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Die Kavalkade mit der Equipage mochte seit einer Viertelstunde vom Hause sein, als Fräulein Pilz aus ihrem Zimmer im dritten Stock in den ersten herabkam und, nachdem sie ein paarmal vor der Moorschen Wohnung auf und ab gegangen, und niemand sich auf dem Korridor und auf den Treppen erblicken ließ, in den Salon huschte, um, sobald sie drinnen war, den Riegel vorzuschieben. Sie hatte dem Stubenmädchen gesagt, daß sie das Aufräumen von Madames Sachen selbst besorgen müsse, das werde wohl eine halbe Stunde währen; sie hatte eben so lange Zeit.
Aber so viel brauchte sie nicht: was sie wollte, konnte in fünf Minuten gethan sein. Wenn dennoch jemand kommen sollte, so – hatte sie den Riegel des Salons aus Versehen vorgeschoben; das nebenan liegende Schlafgemach brauchte sie nicht zu verriegeln, es war immer von innen verschlossen, und in dem Schlafgemache war auch, was sie suchte: da, der kleine, mit Messing beschlagene Lederkoffer, eigentlich nur eine Kassette, welche der Herr stets auf seinen Reisen bei sich führte, und zu welcher er an der Uhrkette das Schlüsselchen trug, das er nie aus den Händen gab.
Ueber das blasse Gesicht der Pilz zuckte eine höhnisches Lächeln. Sie hatte es auch so schlau angefangen! Vor drei Tagen, gerade als man ihr Knall und Fall gekündigt, hatte Herr Moor doch seine Uhr vergessen, und er konnte von dem Ausfluge, welchen er mit den beiden andern Herren Malern zum Skizzieren am frühen Vormittage nach Bouveret unternommen, vor dem Diner um fünf Uhr nicht zurück sein. Und nun muß gerade Richardchen mit Papas Uhr spielen, und als sie ihm dieselbe wegnehmen will, das Glas entzwei gehen! Ein wenig hatte sie ja auch schuld, und die gnädige Frau mußte ihr durchaus erlauben, daß sie selbst die Kommission zum Uhrmacher unternehme – auf der Promenade mit den Kindern; wie oft werde sie denn nun noch mit den lieben Kleinen eine Promenade machen! Die Gnädige hatte nur mit halbem Ohr hingehört; sie war in dem neuen Reithabit, im Begriff, zur Manege des Herrn de la Croix zu fahren, wo sie, vor dem projektierten Ausfluge nach Glion, erst einmal wieder im Sattel sein wollte, um nicht allzusehr zurückzubleiben hinter ihrer lieben Freundin, der himmlischen Angela, vor der sie immer anbetend auf den Knieen lag, und die sie wirklich nicht zu hassen schien, trotzdem ihr der Verdacht eines Verhältnisses – eines früheren wenigstens – zwischen ihrem Gatten und der himmlischen Angela fast zur Gewißheit geworden war. Freilich, die Gnädige hatte Ursache, reinen Mund zu halten! und große Ursache, ihrem par ordre der himmlischen Angela gekündigten Fräulein die besten Worte zu geben und die herzlichsten Empfehlungen nach Berlin und goldene Berge zu versprechen! Nun, von diesen goldenen Bergen wollte sie eben ein Stück sicher haben, die Gnädige würde nicht wagen, sie des Diebstahls zu zeihen – sie konnte die Gnädige ganz anderer Dinge zeihen! Und es war so unwahrscheinlich wie möglich, daß es so weit und herauskam. Der Herr wußte ja nie, wie es um die Kasse stand; wie oft hatte sie über diesen Punkt zwischen den Herrschaften den schönsten Streit entbrennen sehen. Und wenn man das Defizit merkte, wie sollten sie auf den Gedanken verfallen, daß sie die lange, geflissentlich noch verlängerte Promenadenzeit benützt, um bei dem Schlosser, der sie schon vom ersten Abend her kannte, zu »ihrem Kofferchen« einen zweiten Schlüssel anfertigen zu lassen, den sie von dem fleißigen Manne bereits nach einer Stunde wieder abholen konnte (während die Kinder auf dem benachbarten Quai die Möven fütterten), und der dem Original so ähnlich war, daß sie beinahe die Kopie an der Uhrkette befestigt hätte, als sie dann (mit den Kindern) die Uhr wieder abholte und auf das Nachttischchen legte, wo sie der Herr beim Nachhausekommen gefunden und ohne weiters eingesteckt hatte; wenigstens war über die Sache kein Wort geredet worden.
Das zuckte so – schnell wie das höhnische Lächeln über ihr fahles Gesicht – durch das Hirn der Aufgeregten. Sie wunderte sich über ihre Aufregung. Sie wollte ja nicht die ganze Reisekasse, die in der Kassette liegen mußte – so dumm war sie nicht! Sie wollte nur das Versprochene, das sie sonst im Leben nicht bekommen würde – fünfhundert Thaler – zwei Tausendfrancsnoten – voilà tout!
Und Fräulein Pilz lächelte abermals, wie sie die letzten Worte vor sich hinmurmelte, während sie bereits aus der geöffneten Kassette die oberste Schicht des Inhalts Stück für Stück abgenommen und in umgekehrter Ordnung neben die Kassette, an welcher sie kniete, auf den Fußboden gelegt hatte: letzte Hotelrechnungen, Taschentücher, Kravatten – eine schöne Ordnung! – Skizzenblätter – Landschaften – nackte weibliche Figuren – begreiflich, daß der saubere Herr das sorgfältig verschließt! – ein paar Bücher – nun? Das ging bereits zu Ende; was noch d'rin war, ließ sich übersehen – wo blieb das kleine, gelbe Täschchen aus weichem Leder? Madame hatte wiederholt gewünscht, er solle es bei sich führen; er hatte immer gesagt, daß es in der Kassette sicherer sei, aber wo da? wo?
Das blasse Gesicht verzerrte sich im Zorne der Enttäuschung: sie hatte das Herausgenommene nochmals Stück für Stück mit der größten Sorgfalt durchgemustert. Der Rest verlohnte sich nicht der Mühe – ein halbes Dutzend Paketchen – mit Gummibändern zusammengehalten – indessen – es war ja möglich – das Täschchen mußte da hineingelegt sein.
Sie untersuchte die Paketchen, eines nach dem andern – nichts! Das letzte, kleinste – drei oder vier Briefe – alle noch in den Kouverts – es war ganz aussichtslos – könnte ich ihm wenigstens einen Possen – eine Frauenhand –
»Drei Tage schon – drei lange Sommertage und drei Briefe von Dir – – – – – erste Zeile, die ich – – – das ist arg, Liebster, nicht wahr – –«Hm! alte Liebesbriefe, scheint es – wer ist denn die Glückliche?
Sie hatte das Blatt gewendet – ein dumpfer heiserer Laut entwand sich der trockenen Kehle. Das war doch etwas für die Mühe und die Enttäuschung! etwas, woraus sich am Ende viel machen ließ – auf jeden Fall –
Sie hatte die übrigen Paketchen – ebenfalls Briefe, aber von Männerhänden – bereits wieder auf den Boden der Kassette gelegt; nun das andere, Stück für Stück. Wenn er nicht speziell darnach suchte, sollte es schwer halten, zu sehen, daß jemand an dem Inhalt gerührt. So, nun den Deckel zu, wieder abgeschlossen, und die Kassette genau auf dieselbe Stelle, die in dem feinen Staub auf der Tischplatte ringsumher scharf abgezeichnet war. Aus dem Schlafzimmer durch den Salon – sachte den Riegel zurück – leise die Thür auf –
Ah! Pardon, Mademoiselle! Habe hoffentlich nicht gestört – Mademoiselle war so eifrig beschäftigt.
Jean hatte die Thür zur Schlafstube fixiert, während er das sagte, indem er zugleich die Augen halb zukniff wie jemand, der durch eine sehr kleine Oeffnung sieht. War's durch das Schlüsselloch, war's durch eine Ritze gewesen – er hatte es gesehen! Fräulein Pilz erschrak, aber faßte sich alsbald. Es war ja kein Geld, was sie genommen, und – sie hatte schon zu viel mit Jean verhandelt! Sie zog für einen Moment das Paket ans der Tasche, ihm zu zeigen, was es sei.
Wir haben ihn jetzt sicher – Briefe von ihm an sie!
An Madame?
Unsinn! An sie!
Pah!
Wieso? Das ist von der größten Wichtigkeit.
Es ist mir jedenfalls lieb, zu wissen, daß Sie die Briefe haben, wenn man sie vermißt, und wie Sie dazu gekommen sind, Mademoiselle.
Was soll das heißen?
Sie waren in die tiefe Nische des großen Fensters getreten, durch welches der Korridor von der Straße Licht empfing. Jean lehnte sich gegen das Fensterbrett, das eine Bein über das andere geschlagen, die beiden Daumen in den Aermel-Ausschnitten der Weste:
Was das heißen soll? Daß ich noch immer auf die zweihundert Francs warte, welche mir Madame für weitere Dienste versprochen hat. Ich habe eine Hundearbeit gehabt, Monsieur und das Fräulein auf Tritt und Schritt zu überwachen, jedes Wort zu referieren, das zwischen ihnen im Salon gewechselt, und das ich aufgefangen –
Aber es ist nichts dabei herausgekommen, und die Herrschaften wollen erst in drei Tagen reisen, da kann Madame noch immer –
Kann! O ja, aber wird? Und weshalb hat denn Madame ihre Koffer bis auf eine Kleinigkeit schon vorausgeschickt? und Herr Vogel alle seine Sachen?
Sie denken doch nicht?
Möglich ist alles, mit einem Worte –
Sie haben Madame an den Herrn verraten!
Jean lächelte.
Bloß ein paar Andeutungen, Mademoiselle!
Auch daß ich –
Mich hineingemischt? Das ging nun schon nicht anders, Mademoiselle!
Sie sind –
Keine Impertinenzen, Mademoiselle! Sorgen Sie dafür, daß Madame mir morgen zweihundert gibt, so sage ich Monsieur, ich hätte mich doch wohl geirrt, und drehe ihm eine Nase – das überlassen Sie nur mir!
Morgen? Ich will heute fort.
Ah! heute! Dann werde ich mich wegen der zweihundert an Mademoiselle selbst –
Es kamen Schritte den Korridor herauf; Jean trat vom Fensterbrette zurück und nahm eine kellnermäßige Haltung an. Miß Flinch nickte Fräulein Pilz vertraulich zu, sagte, ohne stehen zu bleiben: Sind Sie hernach auf Ihrem Zimmer, meine Liebe? und ging mit ihrem Begleiter bis zur Thür von Lady Ballycastles Salon, in welchem sie verschwanden.
Das ist ja heute ein anderer, sagte Jean; na, das steht auf einem zweiten Konto – mit Ihnen, Mademoiselle –
Wir sprechen uns noch!
Natürlich sprechen wir uns noch; Mademoiselle wird doch das Hotel nicht verlassen, ohne daß ich mich ihr vorher empfehlen darf!
Er nickte und trat auf die Seite, Fräulein Pilz vorbei zu lassen, die eilig die Treppen zu ihrem Zimmer erstieg und sich da einriegelte, diesmal nicht, ohne das Schlüsselloch zu verhängen.
Briefe von ihr in seinem Koffer – das war ja schon Beweis genug; es kam freilich auch auf den Inhalt an. Und dann die Briefe nicht an Frau Moor gegeben! – beim Erblicken von Fräulein Flinch war ihr ein Gedanke durch den Kopf geschossen – ein excellenter Gedanke! wenn nur recht, was man brauchen konnte, in den Briefen stand!
Fräulein Pilz setzte ihre Brille auf, damit ihr auch ja kein Wörtchen entging, sortierte die Briefe nach den Daten – einer hatte keines, sie wollte ihn bis zuletzt lassen – und las:
Berlin, 30. Juni 1864.
Drei Tage schon – drei lange Sommertage! und drei Briefe von Dir – drei lange Briefe! und dies die erste Zeile, die ich an Dich schreibe! Das ist arg, Liebster, nicht wahr? Aber wären die holden Tage noch einmal so lang gewesen, ich hätte nicht Zeit zum Briefschreiben gehabt; und hätte auch heute keine, wäre nicht eben die Absage einer Schülerin gekommen – der vierten Schülerin, mein Herr! Respekt! und eine fünfte hat sich zu morgen anmelden lassen; und K. will durchaus, daß ich in seinem Konzert am Sonnabend spielen und – singen soll. Das sei noch nicht dagewesen, das müsse ungeheuer ziehen! Und der unberechenbare Vorteil für mich, wenn ich mich so dem lieben Publikum als musisches Doppelwesen vorstellen könne, wo ihm dann nur die Qual der Wahl als süße Rache für mich übrig bleibe – Rache für die Nachtstunden, die ich daransetzen muß, wenn ich nicht elend – nein! das ist nicht wahr! ich habe keine Furcht, nicht zu reussieren! ich weiß, es lebt etwas in mir, das mir ein Gott gegeben hat, und womit ich die Herzen der Menschen zwingen kann. Und ich will sie zwingen, so wahr mir der Gott helfe! Aber mit den Nachtstunden, die ich am Klavier verbringe, hat es freilich seine Richtigkeit. Talent ist wohl ein schönes Ding, aber doch nur eine tönende Schelle ohne den Fleiß, der es zur weithin schallenden Glocke macht. Ich habe es gestern wieder einmal erfahren. Ich war an eine gewisse Stelle in der Susannen-Arie geraten, die mir gar nicht liegt und gar nicht heraus wollte. »Gib es auf«, sagte Max, als er zur Schule ging – Du weißt, wie musikalisch der Junge ist, und wie er an mir hängt; »gib's auf, Angela! Du kriegst es nicht.« Und als er am Mittage wiederkam, habe ich's ihm entgegengeschmettert, daß er wie angewurzelt in der Thür stehen blieb und dann Mappe und Bücher zu Boden warf und mir an den Hals stürzte. Und wenn am Dienstag der Saal unter dem Beifallssturm des Publikums zusammenfällt – es soll mich nicht erschüttern – mit dem lieben Jungen freilich hab' ich – nun ja, da habe ich meine redlichen Freudenthränen geweint. Die vier Stunden, während derer ich die Stelle, ohne vom Flügel aufzustehen, ich weiß nicht, wieviel hundert Male gesungen, hatten mich doch ein bißchen nervös gemacht. Das sind denn so kleine Abhaltungen, von den großen ganz zu schweigen; und nun wissen Sie, mein Herr, »warum in aller Welt ich nicht schreibe«. Und Du kannst oder vielmehr, ich kann Gott danken, daß Du in Stralsund, Putbus und Bergen kein Klavier vorfandest, wenn Du des Abends, müde vom Skizzieren, nach Hause, will sagen, in den Gasthof kamst. Sonst würde wohl der Rest nicht Angela, sondern Polyhymnia gewidmet gewesen sein. Darüber wäre denn Angela wohl traurig, aber böse wäre sie nicht gewesen. Sie kennt keine Eifersucht gegen Erdenfrauen, und sollte gegen die Himmlischen eifersüchtig sein? Und euch Maler alle zieht es ja mächtig zur herrlichen Musika, und gar Dich, der Du ein von ihr unter Tausenden Auserwählter bist. O halte treu zu ihr! Du weißt nicht, was Du ihr alles bereits verdankst, noch alles zu verdanken haben wirst. Oder glaubst Du, die Linien würden Dir mit dieser seligen Leichtigkeit von der Hand fließen, die Farbe Dir mit dieser glühenden Pracht aus dem Pinsel quellen, wenn es in Deiner Seele nicht von süßen Melodien wogte, in Deiner Seele nicht die entzückendsten Harmonien erklängen? O, wie bist Du zu beneiden, wie beneide ich Dich! Ich, die ich nur die eine Sprache kann, Dich, der Du in zweien denkst und schaffst – doppelt freudig, doppelt mächtig, doppelt groß! Du, der – Teufel! hätte ich beinahe die gute Frau Schulz angeschrien, als sie eben hereinguckt, zu fragen, ob wir zu Mittag Kartoffelsuppe haben sollen oder Biersuppe. Sie sieht an meinem dummen Gesichte, daß guter Rat bei mir nicht zu holen, et elle a disparu; aber meine Briefstimmung hat sie mitgenommen und – da klingelt auch schon Fräulein Nr. 3, also auf weiteres, wenn wieder einmal eine absagt.
Angela.«
P. S. Wir haben gesiegt – gestern – bei Alsen – Fräulein v. P. (aus dem Kriegsministerium!) erzählt es mir eben. Hurrah! das soll eine Musikstunde werden! Wenn das der gute Papa noch erlebt hätte! – Gleichviel – Hurra!«
Berlin, 7. Juli.
Acht Tage kein Brief, und dann – nein, den Brief hat nicht Arnold, der geniale Künstler, den hat ein grämlicher Pedant geschrieben, der an die große, freie, schöne Welt, in der wir leben, den kleinlichen Maßstab seiner Engherzigkeit legt und sich wundert, nirgends eine Grenze zu finden. Aber da Du dem mürrischen Gesellen doch noch einmal auf Deinem Lebenswege begegnen möchtest, so sag' ihm von seiten Angelas:
Ein Mädchen, das seinem Vater und seiner Mutter die Augen zugedrückt hat, das die Säule des kleinen Hauses ist, in welchem die Verwaisten wohnen, ja, dem es einzig zu verdanken, daß sie da beisammen wohnen können und nicht als Bettlerkinder zerstreut in der Welt umherirren – ein solches Mädchen zählt nicht siebzehn; man zählt ihre Jahre überhaupt nicht, sondern zieht den Hut vor ihr und ehrt sie als des Hauses Herrin. Und weiter sag' ihm, daß, wer das nicht thut, sondern sie ein Kind nennt und in demselben Atem dies Kind zum Weibe begehrt, sehr unlogisch denkt und sozusagen nicht weiß, was er will. Und weiter: daß »das Kind« sehr genau weiß, was es will. Es will die ihm anvertraute Schar durch die Oede der Verlassenheit und die Dornen der Armut sicher zu dem Lande einer ehrenvollen sicheren Zukunft führen, wie sie sich am Sterbelager ihrer Eltern gelobt; und will sich, kann sich dabei auf niemanden verlassen, als auf sich selbst, weil sie die Pflicht hat, dabei zu Grunde zu gehen, wenn es sein muß, aber nicht das Recht, einen andern mit in den Abgrund zu ziehen. Und weiter: daß der andere vorläufig noch mit sich selbst übrig zu thun hat und sich gern gefallen lassen soll, wenn er von jemandem, der es gut mit ihm meint, ein wenig »geschulmeistert« wird, was, so er nur gute Lehre annimmt, gar nicht »ewig« zu sein braucht. Und weiter –
Nein, nicht weiter so in dem ironisch hochmütigen Ton! Aber verteidigen muß ich mich schon noch ein wenig, nicht weil ich recht haben will, sondern weil Du unrecht hast und es einsehen sollst. – Ich habe Dir meine kleine Sing-Anekdote geschrieben, damit »sie Dir als ein Beispiel des Fleißes diene«? Arnold! ich habe sie Dir geschrieben, genau so, wie ich Dir etwas sage und erzähle, wenn wir beisammen sind, nicht weil ich es für besonders wichtig halte, sondern weil es mir durch den Kopf geht und ich annehme, daß, was mich interessiert, Dich nicht langweilen wird. Ich hatte nicht die entfernteste Nebenabsicht – ich schwöre es Dir! Und hätte ich eine gehabt, ist es denn gar so etwas Schlimmes, wenn ein Kamerad dem andern ein wenig von seinen Heldenthaten vorrenommiert, nicht um jenen zu kränken, sondern auch ihm den Mut zu entflammen, alle Kräfte in ihm wachzurufen, ihn anzufeuern, das Große, das er vollbringen kann, wenn er will, nun auch wirklich zu vollbringen? Und – Hand auf das Herz, Arnold! – ist ein solcher kameradschaftlicher Zuruf bei Dir so gar nicht nötig? Sieh', ich hätte Dir vielleicht nicht mitgeteilt, was Professor M. gestern über Dich zu mir gesagt hat; und nun gerade will ich es thun. Wir trafen uns auf der Straße – er hatte mich seit dem Tode der Mutter nicht gesehen und redete mich an, erkundigte sich nach meinen Studien, gratulierte mir zu meinem Konzert-Erfolge, von dem er in den Zeitungen gelesen, und so kamen wir in ein richtiges Kunstgespräch, und Du magst denken, wie ich aufpaßte; ist doch ein jedes Wort, das aus dem Munde eines solchen Meisters kommt, für uns lauteres Gold! Plötzlich nannte er – ich weiß nicht mehr in welchem Zusammenhange – Deinen Namen. Er kennt ja unser wirkliches Verhältnis so wenig, wie irgend einer der anderen wenigen Freunde, die bei den Eltern verkehrten; erinnert sich nur daran, daß er Dich ein paarmal bei uns getroffen – dennoch erschrak ich. Mir war, als ob Du vor den Richter citiert würdest, und vor welchen strengen Richter! und den Du selbst so unendlich hochschätzest, trotzdem er Dir persönlich nicht sympathisch ist, und solche Gefühle pflegen ja gegenseitig zu sein! Und wie wurde ich beschämt! Er war den Tag vorher bei Sachse gewesen. Du warst so unzufrieden mit Deinen Bildern; hast sie nur auf mein Zureden ausgestellt; und er, der große Meister! er sprach: Von unseren jungen Künstlern ist keiner so berufen wie er, keiner so geborener Maler, der eben alles kann, was er will. Er denkt jetzt, nur Landschafter zu sein; ich sage Ihnen: der Kerl (ich citiere wörtlich) kann in allen Sätteln reiten; seine kleine Staffage in der Havel-Landschaft ist mir mehr wert als hundert Genrebilder. – In dem Stil ging's noch eine Zeitlang weiter – ich hätte dem kleinen Manne auf offener Straße um den Hals fallen mögen – und zitterte nur immerfort, ob denn gar kein Aber kommen werde. Und da kam's: »Berufen ist er; aber, ob er auserwählt ist, das wird er noch zu beweisen haben.« – Und wodurch beweist man das, Herr Professor? – Er blieb stehen und blickte so gerade vor sich nieder und knarrte: Wenn man Talent hat, wie er, durch drei Dinge: durch Fleiß, Fleiß und nochmals Fleiß! sagen Sie ihm das, wenn Sie ihn wiedersehen, denn zu mir kommt er ja doch nicht. Adieu!
Wieviel lag in diesem Adieu! ich lege noch mehr, ich lege alles, alles hinein. Adieu, Geliebter!
Angela.«
Berlin, 1. August.
Vierzehn Tage – keine Zeile! Könntest Du mir wirklich zürnen? Sollte wirklich das Wort Deines letzten Briefes mehr als der Ausfluß einer momentanen Verstimmung, sollte es eine wahre Prophezeiung sein: »Wir werden der Welt so lange das Schauspiel zweier Menschen geben, die einander stets widersprechen, bis wir wirklich einander nicht mehr verstehen; werden so lange vor allen Leuten, vor Deinen Brüdern selbst Versteckens spielen, bis wir eines Tages einander wirklich verloren haben und nicht finden, ob wir uns gleich suchen?« Aber das ist ja nicht möglich! Kann man sich selbst verlieren? Bin ich nicht Du? Du nicht ich? Ziehen nicht unsere Seelen denselben stillen Weg, wie die hohen reinen Wolken droben, unbekümmert um das dünne, graue Gewölk, das unter ihnen treibt? Noch heute Morgen – ich kam vom Krollschen Platz durch den Tiergarten – ganz allein – Du weißt, ich kenne keine Furcht – es begegnete mir auch kaum ein Mensch. Draußen stürmte es; aber drinnen war's ganz still. Nur die Wipfel schwankten und musizierten, und am Himmel war's geschäftig, aber nur in den niedrigen Regionen – jagende Dünste und darüber lichter Glanz auf ragenden weißen Gebirgen; und so im Walde bald heller, goldiger Morgenschein und im nächsten Moment grüngrauer Abendschatten. Und da dachte ich an den ich immer denke; aber es war kein Denken, kein einzelnes; es war nur ein großes Empfinden, das mich erfüllte – ich kann's nicht beschreiben – wie wenn ein Tautropfen vom Sonnenschein durchleuchtet ist, so daß an ihm und in ihm nichts ist von seinem eigenen Wesen, nur eitel Licht. Und das wußte ich freilich: das Licht warst Du, Deine Feuerseele, die doch wieder so mild und weich ist; Dein loderndes Ungestüm, das nach dem Höchsten fliegt und sich doch wieder dem Kleinsten so liebevoll hingeben kann. So ging ich dahin; ich merkte nicht, daß ich ging; es war, als ob ich schwebte, wie meinem seligen Traum. Es war kein Traum, Geliebter! gewiß nicht! es war die reine Wahrheit und Wirklichkeit, wie wenn für einen Moment der Vorhang auseinander weht und der Gläubige das Allerheiligste schauen darf und doch nur aus sich herausschaut, denn wo wäre es, als in ihm?
– – – – – – – – – –
Aber das war ein Traum – heute Nacht – ein schauerlicher Traum! Ich war in einem dunklen Walde, oder es war kein Wald – nur eine grausige Wildnis voll Nachtschatten, die alles sein konnten und alles waren: Bäume und Felsen aus Dunkel in Dunkel stürzende Bäche, gähnende endlose Höhlen – und Du hattest Dich in dieser Wildnis verirrt, und ich wollte Dich suchen und konnte Dich nicht finden; und immer entsetzlicher wurde meine Angst, und plötzlich standest Du vor mir und lächeltest so traurig und deutetest mit den Augen nach der Gestalt neben Dir, die nun plötzlich da war, und Du hieltest sie an der Hand. Ich wußte wohl, daß es eine Fee war, wenn sie auch ein Brautkleid anhatte wie ein Menschenkind und einen Myrtenkranz im Haar, an welchem viele Diamanten funkelten. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, das war wie mit einem Schleier bedeckt; ich wußte aber, daß es sehr schön war. Warum lächelst Du so? sagte ich; ich wußte es längst, daß Du eine Fee heiraten würdest, und das ist doch nicht traurig, wenn man eine Fee heiratet? Nur vor meinen Augen küssen darfst Du sie nicht, das kann ich nicht ertragen, dann fange auch ich an zu weinen. Und da hobst Du den Schleier und küßtest sie, und ich fing an zu weinen, und so erwachte ich.
Es war ein Traum; aber wenn es doch mehr – wenn der Traum einst Wahrheit würde – schon geworden wäre! Arnold! es gibt auf Erden keine Feen, aber reiche Mädchen gibt's, und Arnold Moor kann an jede Thür klopfen, und wäre sie von purem Golde, und jede wird sich ihm aufthun. Aber von purem Golde, Arnold! hörst Du! wer zum Herrschen geboren ist, darf Länder verwüsten, Tausende hinopfern, darf alles, um seine großen Pläne zu verwirklichen, nur nicht: sich halber Mittel bedienen. Das darf er nicht, weil nur das erreichte Ziel Entgelt ist für die Opfer und Entsühnung für sein eigen Gewissen. Also: eine Erdenfee, Arnold, mit unschätzbaren Diamanten im Brautkranz! sonst weint alles Ernstes sich ihre schönen Augen aus
Angela.«
P. S. Ob Sie besagte Fee vor ihren Augen küssen dürften, darüber, mein Herr, bittet die oben Unterzeichnete sich noch ein paar Tage Bedenkzeit aus.«
Berlin.
Du hast mich beim Wort genommen, noch ehe mein letzter Brief in Deinen Händen war – das nenne ich Wirkung in die Ferne! Du zeigst mir Deine Verlobung an – wie soll ich Dir für diese Aufmerksamkeit danken! Persönlich werde ich's leider nicht können. Du weltkluger Mann hattest auch darin das Richtige gesehen: es würde mir auf die Dauer unmöglich sein, meine kleine Schar weiter als stundengebende, konzertierende Jeanne d'Arc siegreich durchs kostspielige Leben zu führen. Sie muß nun vorderhand sehen, die Schar, wie sie hirtenlos fertig wird. Du willst anfangs nächster Woche nach Berlin zurückkehren; ich gehe bereits Ende dieser Woche nach England, dem Eldorado deutscher Musikanten. Sorge nicht um mich; ich wandere nicht bloß durch den Tiergarten ohne Furcht. – Auch nicht um die Brüder – sie werden weiter wie bisher zusammen hausen in der Pflege von Frau Schulz, die dem Namen nach Pensionsmutter wird. Es ist alles geordnet, alles vorgesehen. Vergiß nicht, die Verlassenen aufzusuchen; sie würden sonst vielleicht wirklich auf den Verdacht fallen, daß Du früher nicht bloß ihrethalben zu uns gekommen bist.
Du fragst, ob ich meine Briefe wieder haben will. Weshalb sollte ich die paar geschriebenen Worte wieder haben wollen, da ich die unzähligen gesprochenen nicht zurück haben kann? Oder ist man nur verantwortlich für das, was man Schwarz auf Weiß gibt, und für das andere nicht? Nein! ich habe Dir geschrieben, wie ich zu Dir gesprochen, wie ich Dich geküßt – aus ganzer Seele, von ganzem Herzen, in treuem Glauben; und Briefe, Worte, Küsse – sie gehen mich nichts mehr an. Ich will nicht prahlen und sagen, daß mir's leicht ums Herz wäre! Es hängt mir sogar, während ich dies schreibe, recht schwer in der Brust, aber brechen wird's nicht, ich schwöre es Dir. Wenn ich etwas gethan, dessen ich mich zu schämen hätte! Dann würde ich es zerbrechen, wollte es sich einfallen lassen, aus dummer Gewohnheit weiter zu schlagen. Und so leb' wohl! In meinen Augen bist Du mir nichts schuldig; aber wenn jemals die Zeit kommen sollte, wo Dir, was Du mir gethan, als Schuld erscheint – Du hast ein Mittel, das Gespenst zu bannen – und, daß ich's Dir verrate, soll der Dank sein für alles – für das Unendliche, was Du mir gewesen, und zugleich mein letztes Wort: werde ein großer Künstler!
Angela!«
Jetzt hätte sie die Briefe wohl doch gern wieder, murmelte Fräulein Pilz, sich die Brille abnehmend und den letzten Brief auf die andern legend.
Im Grunde war sie sehr enttäuscht; sie hatte viel mehr erwartet. Was die überspannte Person für dummes Zeug zusammengeschrieben! Kaum zu verstehen! Wären die paar Stellen nicht gewesen, man würde es gar nicht für Liebesbriefe halten. Aber die Hauptsache blieb, daß solche Briefe existierten, daß diese Briefe in ihren Händen waren, und daß sich aus diesen Briefen viel Geld machen ließ, wenn – man es schlau anfing. Nur freilich – es war keine Zeit zu verlieren.
Fräulein Pilz blickte ungeduldig nach der Thür, setzte sich die Brille wieder auf, begann wieder hier und da in den Briefen zu lesen und riß die Brille erwartungsvoll ab, als jetzt ein leises Rauschen, das sie bereits sehr gut kannte, auf dem stillen Korridor in der Nähe der Thür sich vernehmen ließ, und dann auch alsbald an die Thür gepocht wurde. Sie beeilte sich, zu öffnen; die Erwartete trat ein. Fräulein Pilz sah auf den ersten Blick, daß die Freundin in übelster Laune war.
Was hat es gegeben? fragte sie.
Die beiden Bonnen bedienten sich, da Fräulein Pilz nur sehr wenig Englisch und Miß Flinch noch etwas weniger Deutsch verstand, als Mittel ihrer Konversationen des Französischen, das beide gleich fertig und gleich inkorrekt sprachen.
Was es gegeben? erwiderte Miß Flinch, sich unaufgefordert auf das Sofa an den Tisch setzend – diese französischen Pfaffen sind miserable Feiglinge; der zweite macht kaum weniger Schwierigkeiten wie der erste, spricht hohe Politik, warnt vor Mißhelligkeiten, die daraus zwischen dem Heiligen Stuhl und der englischen Regierung entstehen möchten; ist, alles in allem, nicht abgeneigt; indessen, er müsse erst klarer in der Situation sehen; so große Eile habe es ja auch nicht, falls Mylady sonst nur entschlossen sei – als wenn das nicht gerade der Punkt wäre! Energie! gar keine hat sie, nicht für so viel!
Und Miß Flinch schnippte mit den dürren Fingern.'
Also wieder nichts herausgekommen? sagte die Pilz in bedauerndem Tone und im Innern sehr erfreut, indem sie die zwischen ihnen auf dem Tische liegenden Briefe näher an sich heranschob. Das würde Fräulein Unverschämtheit einen schönen Tag machen, wenn sie's wüßte!
Miß Flinch lächelte grimmig und trommelte auf der Tischplatte.
Wenn ich nur wüßte, sagte sie, was das für eine Bewandtnis hat –
Was?
Mylady hielt sich heute eigentlich sehr gut, widerlegte sehr klar die albernen Bedenken des Pfaffen und wurde dabei von dem Notar sekundiert – wir hatten heute zum erstenmale einen – wir dachten, es würde zum Abschlusse kommen – bis der Mann sagte – ich glaube, um sie noch mehr zu enkouragieren: wenn das Geschäft sich nicht machte, würde er sich vor seinem Kollegen zu schämen haben, der eben unten ein ähnliches arrangiere – ein Testament. – Wessen? fragt Mylady. – Eines gewissen Herrn Lerma, Madame. – Ist er so krank? – Man muß es annehmen, Madame; mein Kollege, der bereits gestern ein Pourparler mit dem Herrn gehabt, fürchtete schon, er werde diesen Tag nicht erleben. – Mylady sagt nichts; ich sehe sie an; sie stiert so vor sich hin, wird trotz der Schminke, die ich heute fingerdick aufgetragen, blaß und rot in einem Momente, stößt den Stuhl zurück, steht auf und sagt: Dann wollen wir lieber bis morgen warten; da bin ich vielleicht wieder frei und brauche mich mit den Herren nicht mehr herumzuärgern!– worauf sie den Herren, die sehr verblüfft dreinschauten, den Rücken wendete. Nun sagen Sie mir, was in aller Welt hat das Testament des alten Herrn mit ihrer Entschließung zu thun? Sie kennt ihn ja kaum! Ich verstehe es nicht.
Ich auch nicht, sagte Fräulein Pilz ungeduldig; ich verstehe nur, daß immer alles zu ihren Gunsten ausschlagen und sie eines schönen Tages Lady Ballycastle werden wird, und dann sind Sie wohl die längste Zeit in Ihrer Stelle gewesen; ich wundere mich nur, daß Sie nicht jetzt schon weggejagt sind wie ich.
Und Fräulein Pilz schob die Briefe noch näher zu sich heran und begann mit denselben zu spielen, indem sie bald den einen, bald den andern in die Hand nahm und wieder fallen ließ.
Daß der Teufel sie ecrasiere! murmelte die Flinch.
Fromme Wünsche, sagte die Pilz, wenn Sie weiter nichts haben!
Was haben Sie denn? sagte Miß Flinch, Sie kommen auch nicht aus der Stelle. Die Aussage eines schäbigen Kellners wiegt nichts gegen das Wort eines Gentleman, wenn er die Sache ableugnet, sagt Mylady, und ich sage es auch; und daß ein Bekannter von Herrn Vogel ihn früher in dem Hause ihrer Eltern gesehen haben will, das ist ja, falls es wahr ist, allerdings sonderbar in anbetracht, daß sie hier thaten, als hätten sie sich vorher nicht gekannt; beweist aber nichts, wenigstens solange man den Grund nicht kennt, weshalb jetzt sie – sie – ich weiß nicht, was es heißt auf französisch – she cuts him –
Fräulein Pilz wußte es um so weniger, als ihr das englische Wort selbst unbekannt war, aber sie ahnte es, ebenso wie sie das andere, was ihr von dem Französischen der englischen Kollegin unverständlich blieb, sich sofort zurechtzulegen und zu deuten verstand.
Wenn ich nun den Grund kennte? sagte sie.
Sie! Sie! was ist es? Aber so lassen Sie doch die Briefe liegen! – es macht mich ganz nervös.
Es steht hier, was der Grund ist – in diesen Briefen – von ihr an ihn! Halt! so schnell geht das nicht. Was geben Sie für die Briefe?
Gar nichts, sagte Miß Flinch, die Hand, die sie ausgestreckt hatte, zurückziehend, bevor ich weiß, was darin steht.
Ich sage Ihnen: der Grund, weshalb sie ihn jetzt cuts – links liegen läßt– laisse à gauche – n'importe! – enfin: daß sie mit einander verlobt gewesen sind, sich geküßt haben –
Steht das da? rief die Flinch, beide Knochenhände ausstreckend.
Halt! – es steht da!
Und die Briefe sind echt?
So echt, wie Briefe sein können, und stecken noch in ihren Kouverts mit der vollen Aufschrift an Herrn Moor in derselben Hand, welche die Briefe geschrieben und unterschrieben –
Miß –
Jawohl, Miß von Seeburg, Mademoiselle Angela, Fräulein Hochmut –
Und die Pilz verzog die dünnen Lippen zu einem bösen Lächeln, und die Flinch zeigte lachend zwei Reihen langer gelber Zähne.
Uebersetzen Sie mir das – das von dem Küssen, sagte sie.
Die Pilz übersetzte die betreffende Stelle aus dem letzten Briefe und dann noch gleich einige andre, von denen sie sich den größten Eindruck auf ihre Kollegin versprach. In dem Eifer des Uebersetzens hatte sie sich, die Briefe immer festhaltend, weit über den kleinen runden Tisch gebeugt, ebenso wie jene in dem Eifer des Hörens, – die spitzen Nasen berührten sich fast. Dann entstand eine Pause.
Was verlangen Sie für die Briefe? fragte Miß Flinch.
Fräulein Pilz überlegte.
Fünftausendzweihundert Francs.
Sind Sie toll?
Gar nicht; ich denke, dies wird Lady Ballycastle wohl mehr wert sein, als die Tugend der Zigarren-Arbeiterinnen?
Warum aber keine runde Summe?
Zweihundert Francs muß ich an Jean geben; er hat gesehen, wie ich die Briefe – nahm.
Gleichviel, es muß eine runde Summe sein; sagen wir also zehntausend.
Ah! sagte die Pilz.
Das heißt: fünftausend für Sie, fünftausend für mich!
Für Sie?
Wie wollen Sie an Mylady kommen, außer durch mich?
Ich schicke ihr die Briefe.
Es geht alles durch meine Hand.
Auf den blassen Wangen der Pilz brannten rote Flecke.
Wenn Sie so mit mir umspringen, gebe ich die Briefe an Madame.
Was soll sie damit thun? Zum Aeußersten wird es schwerlich gekommen sein. Und wäre es – die Affaire – das geht ja aus den Briefen hervor – spielt vor der Ehe von Madame und Monsieur – das gibt nicht einmal einen Scheidungsgrund. Warum hat Madame sich nicht besser unterrichtet!
Aber es ist doch erst recht vor der Ehe zwischen ihr und Ihrem Herrn Kapitän!
Miß Flinch lächelte verächtlich.
Als ob so eine deutsche Ehe und eine englische dasselbe wäre! als ob ein englischer Gentleman ruhig hinnehmen würde, worüber so eine deutsche Frau gern ein Auge, und, wenn's sein muß, beide Augen zudrückt! Ridiculous! No, No! come! come! Kommen Sie! Fünftausend für Sie, fünftausend für mich. Das ist fair – lo yal. Schlagen Sie ein!
Und sie hielt über den Tisch der andern die Hand entgegen.
Die Pilz zögerte:
Wie bekomme ich das Geld?
Durch einen Check von Mylady, wohin Sie wollen; jeder Bankier honoriert Myladys Checks.
Das ist nichts; ich muß es gleich haben; ich muß in einer Stunde fort.
Ah, so! – Well! es ist auch besser; es macht dann keine Umstände mit meinem Anteil. Sie hat erst gestern zwanzigtausend Francs von unserm hiesigen Bankier bekommen, es wird noch so viel da sein. Ich hole Ihnen das Geld. Soll ich?
Und sie hielt abermals die Hand über den Tisch.
Noch zweihundert, sagte die Pilz.
Keinen Cent mehr!
Na, dann meinetwegen.
Und die beiden reichten sich über Angelas Liebesbriefe die dürren Hände.