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*

XIV.

Im Garten fand Angela die Kinder mißmutig an dem Bassin des Springbrunnens. Lolo wollte die Goldfische nicht mehr anbellen und Richard nicht mehr Pferd spielen. Sie hätten auch sonst schon alles durchgespielt – sagte Annchen – und Fräulein habe mit ihnen spazieren gehen sollen und die Möven füttern – habe Mama gesagt; nun sei sie allein fortgegangen und sie dürften sich nicht vom Fleck rühren. Ob Angela mit ihnen spielen wolle?

Gewiß, sagte Angela; ich bin ja dazu gekommen, und Ball wollen wir spielen.

Das haben wir schon gespielt, sagte Richard.

Aber nicht mit mir: Abschlagball, und ich fange an. Wer den Ball fallen läßt, muß ein Pfand geben. Wenn wir sechs haben, lösen wir sie aus.

Das war eine Neuerung, die den erlöschenden Spieltrieb der Kinder kräftig entfachte. Sie schrieen und jauchzten vor Lust, so oft eines den Ball fallen ließ, und zu den schon eingegangenen und auf dem Bassinrand deponierten Pfändern ein neues hinzukam. Sechs Pfänder waren offenbar zu wenig; es mußte ein Dutzend sein und ein dreizehntes von Tante Angela; nur daß Tante Angela, sie mochten werfen, wie sie wollten, den Ball immer fing, bis es endlich Richard gelang, sie mit einem Scheinwurf zu überlisten – da mußte selbst Lolo mit lautem Bellen in den Jubel einstimmen.

Nun ging es in der Laube an das schwierige Sortieren der Pfänder; und jedes Kind wollte jedes Pfand gegeben haben, aber Tante Angela wußte ganz genau, wem das Messerchen und wem die Schleife und der Ledergürtel und der lange Tannenzapfen und der runde Kieselstein gehöre; und für jedes waren richtig vier Pfänder und das dreizehnte für sie, und dann fand sich plötzlich noch ein vierzehntes, das solle Lolos Pfand sein. Richard protestierte: Lolo hätte nicht mitgespielt und könne deshalb auch kein Pfand haben; aber Richard wurde überstimmt, und Lolo mußte sogar sein Pfand zuerst auslösen und sollte mit Richard um die Wette dreimal um das Bassin herumlaufen eine Proposition, auf welche Lolo mit dem entschiedensten Eifer einging und dabei die Delikatesse hatte, beim drittenmale aus der Bahn zu brechen, so daß Richard unzweifelhaft Sieger blieb. Nun ging's lustig weiter: Was soll der thun, dem dies Pfand gehört? Und Annchen mußte ein Verschen aufsagen und Karlchen Schinken schneiden; und nun kam Tante Angelas Pfand! Das war mit so einer Kleinigkeit nicht abgemacht; das mußte etwas Besondres, ganz Besondres sein. Sie rieten hin und her, ohne das Rechte finden zu können, bis Annchen plötzlich rief: Jetzt weiß ich's: Tante Angela soll immer bei uns bleiben! Und das holde Kind stürzte sich Angela in die Arme und barg das verschämt lachende Gesichtchen an ihrem Busen, zur nicht geringen Verwunderung von Fräulein Pilz, welche eben, mit den Ueberkleidern der Kinder auf dem Arme, in die Laube trat.

Fräulein Pilz hatte Frau Moors Ausfahrt benutzt, einen ganz notwendigen Gang in die Stadt zu machen – nur in der unmittelbarsten Nähe – zu einem Schnittwarenhändler – eine Kleinigkeit – eine halbe Elle Seidenband – aber sie habe doch schließlich niemanden zum Schicken, und die Kinder befänden sich ja sehr gut in dem rings eingeschlossenen Garten. Wenn sie freilich hätte ahnen können – so, liebe Kinder, nun spielt noch ein bißchen für euch; hernach wollen wir miteinander spazieren gehen – ich habe eure Sachen schon mitgebracht.

Die Kinder hatten – offenbar nur sehr ungern und erst als Angela den Befehl von Fräulein Pilz in ihrer anmutigen Weise wiederholte – die Laube verlassen.

Sie kommen von drinnen? rief Angela; Sie haben – Herrn Moor gesehen; wie steht es?

Fräulein Pilz blickte mit einem spöttischen Lächeln in das erregte Gesicht.

Gott, liebes Fräulein, sagte sie; wenn Sie sich schon für fremde Leute so interessieren! ich kriegte das nie fertig; ich habe schon genug mit meiner Gesellschaft zu thun. Und nun wird es wieder ein Lamento geben, daß ich eine Minute fortgegangen bin, und richtig, da muß auch gleich etwas passieren. Na, wofür wären wir armen Mädchen denn da, wenn man uns nicht schikanieren und zum Sündenbock machen könnte! Ihre Frau Baronin wird wohl auch nicht anders sein?

Fräulein Pilz zwinkerte, ein Wort des Einverständnisses erwartend, mit den blaßblauen Augen; Angela, die kaum hingehört, wiederholte ihre Frage, aber etwas gefaßter. Sie hatte Zeit gehabt, zu überlegen, daß das Fräulein bei aller Herzenshärtigkeit, die ihre blassen scharfen Züge nur zu deutlich verrieten, unmöglich so ruhig sein würde, wenn es mit Arnold hoffnungslos schlimm stände.

Hoffnungslos? erwiderte Fräulein Pilz und lachte dabei noch hämischer. Denkt nicht dran! Der Doktor ist ja schon da – ein bißchen geschrammt, weiter nichts. Da wird denn gleich ein Wesen draus gemacht; unsereine könnte sich Arm und Beine und den Hals brechen, es krähte kein Hahn danach. Dachte freilich auch im ersten Augenblick wunder was los wäre, als ich da hineinplatze und die ganze Stube ist voll Leute. Na, ich war ja Gott sei Dank überflüssig; Ihre Frau Baronin hat das Kommando übernommen; als die Tante von meiner Gnädigen paßt das ja auch ganz schön. Die Frau Baronin meinte übrigens, ich käme direkt aus dem Garten von den Kindern; habe sie natürlich dabei gelassen. Sie werden mich nicht verraten? Wir müssen überhaupt ein bißchen zusammenhalten, habe ich mir gleich gesagt, als meine Gnädige vorhin, wie ich ihre Sachen auskramte, mit der großen Neuigkeit ins Zimmer stürzte; und ein Fräulein habe die Frau Baronin auch bei sich, und sogar ein Fräulein von! Na, dachte ich, Fräulein von oder nicht von – sie wird ihren Pack mit der Alten gerade so zu tragen haben, wie du mit der Jungen. Und mit der ist es ein Kreuz, das kann ich Ihnen sagen. Und die Ehe zwischen den beiden – das ist ein Hauptspaß; ich könnte Ihnen Geschichtchen erzählen –

Ich glaube, die Kinder werden ungeduldig, sagte Angela.

Laß' sie, sagte Fräulein Pilz. Geschichten – haarsträubende Geschichten! Gestern Abend –ich denke, sie werden sich einander auffressen, und – es ist zum Totlachen – wie ich heute Morgen früh in ihr Zimmer trete, kommt sie eben zur andern Thür herein und wird über und über rot, wie sie mich sieht, und ich thue, als ob ich gar nichts merke, und sage ganz trocken: Schon so früh auf, gnädige Frau, und Ihr Bett auch schon gemacht? Das mußte sie doch kriegen, und gesessen hat's, das kann ich Ihnen sagen. Gott, ja! Gott, ja! Ich komme schon! Da zieht euch eure Sachen allein an – Annchen, hilf Karlchen ein bißchen! Und, was ich sagen wollte: wer ist denn eigentlich der Engländer, der ihn gebracht hat? Ihre Baronin that ja ganz vertraut mit ihm. Herr des Himmels, ich komme ja – diese abscheulichen Kinder – nicht eine Minute hat man für sich! Also, auf Wiedersehen, liebes Fräulein – auf Wiedersehen –

Sie lassen sich gegen die Kinder nichts merken? sagte Angela.

Damit doch die Heulerei gleich auf der Straße losgeht? erwiderte Fräulein Pilz; i, wie werde ich! Jetzt wird spazieren gegangen. Wenn wir wieder nach Hause kommen, wird die Frau Mama wohl zurück sein. Dann kann die das besorgen.

Fräulein Pilz hatte mit den Kindern, die in ihrer Sehnsucht nach den Möven selbst Angelas vergaßen, durch die Pforte, welche unmittelbar auf die Quai-Promenade führte, den Garten verlassen. Auch die paar Herrschaften, welche vorhin noch hier und da auf ihren gewohnten Plätzen gesessen, waren verschwunden; es war niemand mehr im Garten außer ihr.

Und wie sie nun über den Platz, auf welchem eben noch die Kinder gespielt und gejubelt, langsam dem Hause zuschritt, und nur das Plätschern des Springbrunnens die tiefe Stille unterbrach, und nur ihr Schatten vor ihr herfiel auf den sonnigen Kiesweg, ergriff sie eine unendliche Traurigkeit. Der liebste Mann da oben hinter den Fenstern, zu denen sie nicht den Blick zu erheben wagte, um ihrethalben verwundet, krank unter den Händen ihm fremder Menschen; – die holden Kleinen, die sie morgen vergessen haben würden, ihr entführt von einem rohen Mietling; – die alte Freundin, ganz der Sorge um den Gatten ihrer Nichte hingegeben, die lustig in die sonnige Welt hineinkutschierte an der Seite der Frau, der sie selbst sechs Jahre ihres Lebens geopfert, um nun von ihr mit Füßen getreten zu werden – es war doch hart – recht hart. Und wenn die entsetzliche Person nicht gelogen, wenn die Qualen, in denen sie seit gestern Abend sich gewunden, ganz umsonst gewesen; wenn die roten Lippen, die munteren Augen der schönen jungen Frau den sicheren Sieg davontragen – sie – weshalb sollte sie nicht kämpfen um den Gatten, den Vater ihrer Kinder, und das waren ja ihre einzigen Waffen; aber er! es war unmöglich, es mußte gelogen sein, oder es lebte in der Seele eines Mannes neben der Liebe noch ein Etwas – nein, nein! Das kann nicht sein – später, wenn er dich ganz vergessen hat – nur nicht in dieser Nacht, zu derselben Stunde, da du sterben wolltest – für ihn – für ihn! –

Sie hatte sich auf der Veranda in einen der Sessel sinken lassen und, die Arme auf dem Tischchen vor ihr, die brennenden Augen in die Hände gedrückt. Ein rascher Schritt, der auf dem Kieswege an der Seite des Hauses herankam, ließ sie sich jäh aufrichten. Vor ihr an dem Holzgeländer der Veranda stand der junge Engländer und zog, sie erblickend, den Hut:

Ich komme von oben – und er deutete nach den Fenstern hinauf – die Baronin schickt mich – darf ich näher treten – nur auf ein paar Minuten?

Die muntere Stimme, das frische Gesicht mit den klaren, hellen Augen, das halb kecke, halb verlegene Lächeln um die scharfgeschnittenen Lippen, zwischen welchen die weißen Zähne hervorblitzten – es war für Angela, wie wenn in dumpfer Krankenstube ein Fensterflügel aufgestoßen wird und die blaue Frühlingsluft hereinweht. Und er konnte ja nicht lachend von einem Sterbenden kommen!


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