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Mit der Hochscholastik beginnt seit 200 auch das Streben, die sichtbare und immer strenger gegliederte Gemeinschaft der Gläubigen mit dem Organismus des Staates gleichzusetzen. Das folgt mit Notwendigkeit aus dem Weltgefühl des magischen Menschen und führt zur Verwandlung der Herrscher in Kalifen – Beherrscher vor allem der Gläubigen, nicht eines Gebietes – und damit zur Auffassung der Rechtgläubigkeit als der Voraussetzung wirklicher Staatsangehörigkeit, zur Pflicht der Verfolgung falscher Religionen – der heilige Krieg des Islam ist so alt wie diese Kultur selbst und hat ihre ersten Jahrhunderte vollkommen erfüllt –, zur Stellung der im Staate nur geduldeten Ungläubigen unter eigenes Recht und Verwaltung – denn das göttliche Recht ist Ketzern versagt – und damit zur Wohnweise des Ghetto.
Zuerst ist im Mittelpunkt der aramäischen Landschaft, in Osrhoëne, das Christentum um 200 Staatsreligion geworden. 226 wurde im Sassanidenreich der Mazdaismus und unter Aurelian (†275) und vor allem Diokletian (295) der durch den Divus-, Sol- und Mithraskult zusammengefaßte Synkretismus im römischen Imperium Staatsreligion. Konstantin geht seit 312, König Trdat von Armenien um 312, König Mirian von Georgien einige Jahre später zum Christentum über. Im Süden muß Saba schon im 3. und Axum im 4. Jahrhundert christlich geworden sein, aber gleichzeitig wird das Himjarenreich jüdisch und Kaiser Julian versucht noch einmal, die Heidenkirche zur Herrschaft zu bringen.
Den Gegensatz dazu bildet, wieder in allen Religionen dieser Kultur, die Ausbreitung des Mönchtums mit seiner radikalen Abwendung von Staat, Geschichte und der Wirklichkeit überhaupt. Der Widerstreit von Dasein und Wachsein, von Politik also und Religion, Geschichte und Natur läßt sich durch die Form der magischen Kirche und ihre Gleichsetzung mit Staat und Nation doch nicht ganz überwinden; die Rasse bricht im Leben dieser geistlichen Schöpfungen doch hervor und überwältigt das Göttliche, eben weil es das Weltliche in sich aufgenommen hat. Aber hier gibt es keinen Kampf zwischen Staat und Kirche wie in der Gotik, und deshalb bricht er innerhalb der Nation aus zwischen dem Weltfrommen und dem Asketen. Eine magische Religion wendet sich ausschließlich an den göttlichen Funken, das pneuma im Menschen, das er mit der unsichtbaren Gemeinschaft der gläubigen und seligen Geister teilt. Der übrige Mensch gehört dem Bösen und der Finsternis. Das Göttliche – kein Ich, sondern gleichsam ein Gast – soll aber in ihm herrschen und das andere überwinden, unterdrücken, vernichten. In dieser Kultur ist der Asket nicht nur der wahre Priester – der Weltpriester genießt wie im Russentum niemals wirkliche Achtung; meist darf er auch heiraten –, sondern überhaupt der eigentlich Fromme. Außerhalb des Mönchtums ist eine Erfüllung der religiösen Forderungen gar nicht möglich, und deshalb nehmen Büßergemeinschaften, Einsiedlertum und Kloster schon früh einen Rang ein, den sie aus metaphysischen Gründen weder in Indien noch in China erhalten konnten, vom Abendland ganz zu schweigen, wo die Orden arbeitende und kämpfende, also dynamische Einheiten sind.Der faustische Mönch bezwingt seinen bösen Willen, der magische die böse Substanz in sich. Dualistisch ist nur das zweite. Deshalb trennt sich die Menschheit der arabischen Kultur nicht in »die Welt« und in mönchische Kreise mit genau getrennten Gebieten der Lebensart und den gleichen Möglichkeiten, die Gebote des Glaubens zu erfüllen. Jeder Fromme ist eine Art Mönch.Die Reinheits- und Speisegesetze des Talmud und Awesta greifen viel tiefer in das tägliche Leben ein als etwa die Benediktinerregel. Zwischen Welt und Kloster besteht kein Gegensatz, sondern nur ein Unterschied des Grades. Magische Kirchen und Orden sind gleichartige Gemeinschaften, die sich nur durch den Umfang unterscheiden lassen. Die Gemeinschaft des Petrus war ein Orden, die des Paulus eine Kirche, und die Mithrasreligion ist für die eine Bezeichnung fast zu groß, für die andre zu klein.
Jede magische Kirche ist selbst ein Orden und nur mit Rücksicht auf die menschliche Schwachheit werden Stufen und Grade der Askese nicht gesetzt, sondern erlaubt wie bei den Marcioniten und Manichäern ( electi und auditores). Und eigentlich ist eine magische Nation nichts anderes als die Summe, der Orden aller Orden, die in ihr immer kleinere und strengere Kreise ziehen bis zum Eremiten, Derwisch und Säulenheiligen, an denen nichts Weltliches mehr ist, deren Wachsein nur noch dem pneuma gehört. Sieht man von den prophetischen Religionen ab, aus und zwischen denen mit der apokalyptischen Erregung immer zahlreichere ordensartige Gemeinschaften entstanden, so waren es die beiden Kultkirchen des Westens, deren zahllose Einsiedler, Wanderprediger und Orden sich zuletzt nur durch den Namen der angerufenen Gottheit unterschieden. Alle empfehlen sie Fasten, Gebet, Ehelosigkeit und Armut. Es ist sehr fraglich, welche von beiden Kirchen um 300 asketischer gerichtet war. Der neuplatonische Mönch Sarapion geht in die Wüste, um nur noch die Hymnen des Orpheus zu studieren, Damaskios zieht sich, durch einen Traum bestimmt, in eine ungesunde Höhle zurück, um beständig zu Kybele zu beten.R. Asmus, Damaskios, Philos. Bibl. 125 (1911). Das christliche Anachoretentum ist jünger als das heidnische: Reitzenstein, Des Athanasius Werk über das Leben des Antonius, Sitz. Heid. Akad. (1914), VIII, 12. Die Philosophenschulen sind nichts als asketische Orden; die Neupythagoräer stehen den jüdischen Essäern nahe; der Mithraskult, ein echter Orden, gestattet nur Männern den Zutritt zu seinen Weihen und Gelübden; Kaiser Julian wollte heidnische Klöster erbauen. Das Mandäertum scheint eine Gruppe von Ordensgemeinschaften verschiedener Strenge gewesen zu sein, unter denen sich die Johannes' des Täufers befand. Das christliche Mönchtum beginnt nicht mit Pachomius (320), der nur das erste Kloster gebaut hat, sondern mit der Urgemeinde in Jerusalem. Das MatthäusevangeliumBis zu der Forderung 19, 12, die Origenes wörtlich befolgt hat. und fast alle Apostelgeschichten sind Zeugnisse einer streng asketischen Gesinnung. Paulus hat es nie gewagt, dem ausdrücklich zu widersprechen. Die persische und nestorianische Kirche haben die mönchischen Ideale weiter entwickelt und der Islam hat sie sich endlich in vollem Umfange zu eigen gemacht. Die orientalische Frömmigkeit wird heute durchaus von den moslemischen Orden und Bruderschaften beherrscht. Die gleiche Entwicklung nahm das Judentum von den Karäern des 8. bis zu den polnischen Chassiden des 18. Jahrhunderts.
Das Christentum, das noch im 2. Jahrhundert nicht viel mehr als ein verbreiteter Orden gewesen war, dessen öffentliche Macht über die Zahl der Mitglieder weit hinausging, wächst etwa seit 250 plötzlich ins Ungeheure. Es ist die Epoche, in welcher die letzten Stadtkulte der Antike verschwinden, nicht vor der christlichen, sondern vor der neu entstehenden Heidenkirche. 241 brechen die Akten der Arvalbrüder in Rom ab; 265 erscheinen die letzten Kultinschriften in Olympia. Die Häufung der verschiedensten Priestertümer auf eine Person wird gleichzeitig Sitte,Wissowa, Religion und Kultus der Römer, S. 493; Geffcken, S. 4 und 144. das heißt man empfindet diese Bräuche nur noch als die einer einzigen Religion. Und diese Religion tritt werbend auf und verbreitet sich weit über das griechisch-römische Stammgebiet hinaus. Dennoch ist um 300 die christliche Kirche die einzige, welche sich über das ganze arabische Gebiet ausgedehnt hat, aber gerade daraus folgt nun die Notwendigkeit innerer Gegensätze, die nicht mehr auf der geistigen Anlage einzelner Menschen, sondern auf dem Geist der einzelnen Landschaften beruhen und die deshalb zum Zerfall des Christentums in mehrere Religionen geführt haben, und zwar für immer.
Der Streit um die Wesenheit Christi ist das Feld, auf dem der Kampf zum Austrag kommt. Es handelt sich um Substanzprobleme, die in ganz derselben Form und Richtung auch das Denken aller andern magischen Theologien erfüllen. Die neuplatonische Scholastik, Porphyrios, Jamblich und vor allem Proklos haben solche Fragen in westlicher Fassung und in enger Fühlung mit der Denkweise des Philo und selbst des Paulus behandelt. Das Verhältnis zwischen dem Ur-Einen, Nus, Logos, dem Vater und dem Mittler wird auf das Substanzielle hin betrachtet. Handelt es sich um Ausstrahlung, Teilung oder Durchdringung? Ist eins im andern enthalten, sind sie identisch oder schließen sie sich aus? Ist die Trias zugleich Monas? Im Osten, wo schon die Voraussetzungen des Johannesevangeliums und der bardesanischen Gnosis eine andere Fassung dieser Probleme zeigen, hat das Verhältnis Ahura mazdas zum heiligen Geiste ( spenta mainyu) und das Wesen des Vohu mano die awestischen »Väter« beschäftigt, und gerade in der Zeit der entscheidenden Konzile von Ephesus und Chalcedon bezeichnet der vorübergehende Sieg des Zrvanismus (438–457) mit dem Vorrang des göttlichen Weltlaufs ( zrvan als historische Zeit) über die göttlichen Substanzen den Höhepunkt eines dogmatischen Kampfes. Der Islam hat endlich die ganze Frage noch einmal aufgenommen und mit Beziehung auf die Wesenheit Mohammeds und des Koran zu lösen versucht. Vorhanden ist das Problem, seit es ein magisches Menschentum gibt, so gut wie mit dem faustischen Denken auch schon die spezifisch abendländischen Willensprobleme an Stelle der Substanzprobleme gegeben sind. Man braucht nicht nach ihnen zu suchen; sie sind da, sobald das Denken der Kultur beginnt. Sie sind Grundform dieses Denkens und dringen in allen Untersuchungen hervor, auch wo man sie nicht sucht oder gar nicht bemerkt.
Aber auch die drei landschaftlich vorbestimmten christlichen Lösungen des Ostens, Westens und Südens sind von Anfang an vorhanden und schon in den Hauptrichtungen der Gnosis – etwa durch Bardesanes, Basilides und Valentinus – angelegt. In Edessa treffen sie zusammen. Hier hallten die Straßen wider vom Kampfgeschrei der Nestorianer gegen die Sieger auf dem Konzil zu Ephesus und später von den å?ò-èåüò-Rufen der Monophysiten, die verlangten, daß der Bischof Ibas den Tieren im Zirkus vorgeworfen werde.
Athanasius hatte, und zwar ganz aus dem Geist der Pseudomorphose heraus und seinem heidnischen Zeitgenossen Jamblich in vielem verwandt, die große Frage formuliert. Gegen Arius, der in Christus einen Halbgott – dem Vater nur wesens ähnlich – erblickte, behauptete er: Vater und Sohn sind von derselben göttlichen Substanz èåüôçò, die in Christus ein menschliches soma angenommen hat. »Das Wort ward Fleisch.« Diese Formel des Westens ist abhängig von anschaulichen Tatsachen der Kultkirche, das Verstehen der Worte vom beständigen Erblicken des Bildhaften. Hier im bilderfreundlichen Westen, wo eben jetzt Jamblich sein Buch über die Götterstatuen schrieb, in denen das Göttliche substanziell anwesend ist und Wunder wirkt,Das ist auch die metaphysische Grundlage der bald beginnenden christlichen Bilderverehrung und der Erscheinung wundertätiger Marien- und Heiligenbilder. ist neben dem abstrakten Verhältnis der Dreieinigkeit das sinnlich-menschliche von Mutter und Sohn stets wirksam, und gerade dieses ist aus den Gedankengängen des Athanasius nicht fortzudenken.
Mit der anerkannten Wesensgleichheit von Vater und Sohn war das eigentliche Problem erst gestellt: das der geschichtlichen Erscheinung des Sohnes selbst, wie sie aus dem magischen Dualismus aufgefaßt werden müsse. In der Welthöhle gab es die göttliche und die weltliche Substanz, im Menschen den Anteil am göttlichen Pneuma und die mit dem »Fleisch« irgendwie verwandte Einzelseele. Wie stand es mit Christus?
Es ist entscheidend, eine Folge der Schlacht bei Actium, daß der Streit in griechischer Sprache und auf dem Boden der Pseudomorphose geführt wurde, ganz im Machtgebiet des »Kalifen« der westlichen Kirche. Schon Konstantin hat das Konzil von Nikäa, wo die Lehre des Athanasius siegte, einberufen und beherrscht. Im aramäisch schreibenden und denkenden Osten verfolgte man diese Ereignisse kaum, wie die Briefe des Aphrahat beweisen. Man stritt nicht über das, was man für sich längst entschieden hatte. Der Bruch zwischen Ost und West, eine Folge des Konzils von Ephesus (431), trennte zwei christliche Nationen, die der »Perserkirche« und der »Griechenkirche«, aber innerlich bestätigte er nur die ursprüngliche Verschiedenheit von zwei landschaftlich durchaus getrennten Denkweisen. Nestorius und der ganze Osten erblickten in Christus den zweiten Adam, den göttlichen Gesandten des letzten Aion. Maria hat einen Menschen geboren, in dessen menschlicher und geschaffener Substanz (physis) die göttliche, ungeschaffene wohnt. Der Westen sah in Maria die Mutter eines Gottes: die göttliche und die menschliche Substanz bilden in seinem Leibe (persona in antikem Sprachgebrauch)Vgl. Bd. II, S. 624f. eine Einheit (von Kyrill als ?íùóéò bezeichnet).Die Nestorianer protestierten gegen die Maria theotokos, die Gottgebärende, der sie den Christus theophoros, den Gott in sich tragenden, entgegenstellten. Darin kommt sogleich der tiefe Unterschied zwischen einer bilderfreundlichen und bilderfeindlichen Religiosität zum Vorschein. Als das Konzil von Ephesus die »Gottesgebärerin« anerkannt hatte, kam es in der Stadt der berühmten Diana zu einer wahrhaft antiken Festorgie.Man beachte die »westlichen« Substanzfragen in Proklos' gleichzeitigen Schriften, vom doppelten Zeus, der Trias von ðáôÞñ, äýíáìéò, íüçóéò, die zugleich íïçôüí sind. Zeller, Philosophie der Griechen V, S. 857 ff. Ein wirkliches Ave Maria ist der schöne Hymnus des Proklos an Athene: »Wenn aber ein böser Fehl meines Daseins mich in Banden schlägt – ach, ich weiß es ja selbst, wie ich von vielen unheiligen Taten hin und her geworfen werde, die ich in meiner Verblendung begangen –, so sei mir gnädig, du Sanftmütige, du Heil der Menschheit, und laß mich nicht furchtbaren Strafen zur Beute am Boden liegen, denn ich bin und bleibe dein Eigentum« (Hymn. VII, Eudociae Aug. rel. A. Ludwich, 1897).
Aber vorher schon hatte der Syrer Apollinaris die »südliche« Fassung verkündet: Im lebenden Christus ist nicht nur eine Person, sondern auch eine einzige Substanz vorhanden. Die göttliche hat sich verwandelt, nicht mit einer menschlichen vermischt (keine êñ?óéò, wie Gregor von Nazianz gegen ihn behauptete); diese monophysitische Auffassung läßt sich, was bezeichnend ist, am besten durch Begriffe Spinozas: die eine Substanz in einem andern Modus, ausdrücken. Die Monophysiten nannten den Christus des Konzils von Chalcedon (451), wo wieder der Westen seine Fassung durchgesetzt hatte, das »Götzenbild mit den zwei Gesichtern«. Sie fielen nicht nur von der Kirche ab; es kam zu erbitterten Aufständen in Palästina und Ägypten; als unter Justinian die persischen Truppen, also Mazdaisten, bis zum Nil vordrangen, wurden sie von den Monophysiten als Befreier begrüßt.
Der letzte Sinn dieses verzweifelten Kampfes, in dem es sich ein Jahrhundert lang nicht um gelehrte Begriffe, sondern um die Seele der Landschaft handelt, die in ihren Menschen befreit sein wollte, war die Zurücknahme der Tat des Paulus. Man muß sich ganz in das Innerste der beiden neu entstehenden Nationen versetzen und alle kleinen Züge der bloßen Dogmatik beiseite lassen: dann sieht man, wie die Richtung des Christentums nach dem griechischen Westen und seine geistige Verbindung mit der Heidenkirche ihren Gipfel in der Tatsache erreicht hatte, daß der Herrscher des Westens das Oberhaupt des Christentums überhaupt geworden war. Für Konstantin war mit Selbstverständlichkeit die paulinische Gründung innerhalb der Pseudomorphose das Christentum; die Judenchristen petrinischer Richtung waren eine ketzerische Sekte, die Ostchristen »johanneischer« Art hat er gar nicht bemerkt. Als der Geist der Pseudomorphose auf den drei entscheidenden Konzilen zu Nikäa, Ephesus und Chalcedon das Dogma ganz und endgültig nach seiner Veranlagung gefaßt hatte, richtete sich die eigentlich arabische Welt mit Naturgewalt auf und zog eine Grenze zwischen sich und ihm. Mit dem Ende der arabischen Frühzeit tritt der endgültige Zerfall des Christentums in drei Religionen ein, die sich symbolisch mit den Namen Paulus, Petrus und Johannes bezeichnen lassen und von denen keine mehr die eigentliche und wahre genannt werden darf, wenn man nicht historischen und theologischen Vorurteilen nachgibt. Sie sind zugleich drei Nationen im Stammgebiet der älteren griechischen, jüdischen und persischen Nation, und sie bedienen sich der von diesen entlehnten Kirchensprachen des Griechischen, Aramäischen und Pehlewi.