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Das Wachsein jeder Kultur gestattet zwei Wege des Innewerdens, je nachdem das schauende Empfinden das kritische Verstehen durchdringt oder umgekehrt. Das magische Schauen ist bei Spinoza als amor intellectualis bezeichnet, bei den gleichzeitigen Sufisten Mittelasiens als mahw (Auslöschen in Gott). Es kann sich bis zur magischen Ekstase steigern, die Plotin mehrmals und seinem Schüler Porphyrios im hohen Alter einmal zuteil geworden ist. Die andere Seite, die rabbinische Dialektik, erscheint bei Spinoza als geometrische Methode und in der arabisch-jüdischen Spätphilosophie überhaupt als Kalaam. Beides aber beruht auf der Tatsache, daß es ein magisches Einzel-Ich nicht gibt, sondern ein einziges, in allen Erwählten zugleich vorhandenes Pneuma, das zugleich Wahrheit ist. Es kann nicht oft genug betont werden, daß der hieraus folgende Grundbegriff des idjma mehr ist als Begriff, daß er ein Erlebnis von erschütternder Gewalt werden kann und daß alle Gemeinschaft magischen Stils auf ihm beruht und damit von der aller anderen Kulturen abgehoben ist. »Die mystische Gemeinde des Islam erstreckt sich vom Diesseits in das Jenseits; sie reicht über das Grab hinaus, indem sie die verstorbenen Muslime früherer Generationen, ja sogar die vorislamischen Gerechten umfaßt. Mit ihnen allen fühlt sich der Muslim zu einer Einheit verbunden. Sie helfen ihm und auch er kann ihre Seligkeit noch durch Zuwendung eigener Verdienste steigern.«Horten a. a. O., S. XII. Ganz dasselbe haben sowohl die Christen wie die Synkretisten der Pseudomorphose mit den Worten polis und civitas bezeichnet, die einst eine Summe von Körpern bedeuteten und jetzt einen consensus der Zugehörigen. Am berühmtesten ist Augustins civitas dei, die weder ein antiker Staat ist noch eine abendländische Kirche, sondern genau wie die Mithrasgemeinde, der Islam, der Manichäismus und das Persertum eine Ganzheit von Gläubigen, Seligen und Engeln. Da die Gemeinschaft auf dem consensus beruht, so ist sie in geistigen Dingen unfehlbar. »Mein Volk kann niemals in einem Irrtum übereinstimmen« hat Mohammed gesagt, und genau dasselbe setzt Augustin in seinem Gottesstaat voraus. Von einem unfehlbaren päpstlichen Ich oder irgendeiner andern Instanz zur Feststellung dogmatischer Wahrheiten ist bei ihm keine Rede und kann es nicht sein: das würde den magischen Begriff des consensus völlig zerstören. Das gilt in dieser Kultur allgemein und nicht nur vom Dogma, sondern auch vom RechtVgl. Bd. II, S. 634 f. und vom Staate überhaupt: Die islamische Gemeinschaft umfaßt wie die des Porphyrios und Augustin die ganze Welthöhle, das Diesseits wie das Jenseits, die Rechtgläubigen wie die guten Engel und Geister, und in dieser Gemeinschaft bildet der Staat nur eine kleinere Einheit der sichtbaren Seite, deren Wirksamkeit also durch das Ganze geregelt wird. Eine Trennung von Politik und Religion ist also in der magischen Welt theoretisch unmöglich und widersinnig, während der Kampf zwischen Staat und Kirche auch der Idee nach in der faustischen Kultur notwendig und ohne Ende ist. Weltliches und geistliches Recht sind schlechthin dasselbe. Neben dem Kaiser von Byzanz steht der Patriarch, neben dem Schah der Zarathustrotema, neben dem Resch galuta der Gaon, neben dem Kalifen der Scheich ül Islam, Vorgesetzter zugleich und Untergebener. Mit dem gotischen Verhältnis von Kaiser und Papst hat das nicht die leiseste Verwandtschaft, und auch der Antike war jeder Gedanke daran fremd. In der Schöpfung Diokletians ist zum erstenmal diese magische Einbettung des Staates in die Gemeinschaft der Gläubigen Wirklichkeit geworden, und Konstantin hat sie ganz durchgeführt. Es war schon gezeigt worden, daß Staat, Kirche und Nation eine geistige Einheit bilden, eben den in der lebenden Menschheit sichtbar hervortretenden Teil des rechtgläubigen consensus. Es war deshalb für die Kaiser eine selbstverständliche Pflicht, als Beherrscher der Gläubigen – das ist der Teil der magischen Gemeinschaft, den Gott ihnen anvertraut hat – die Konzile zu leiten, um den consensus der Berufenen herbeizuführen.