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Bläff, der Haushund

Einäugel tat sich schwer mit ihren fünf Kindern. Sie war wohl gesund, aber zu zart, die Hungrigen satt zu machen. Jetzt merkte man, daß sie die eigene Mutter viel zu früh verloren, deren Pflege und Fürsorge entbehrt hatte. Eva gab sich alle Mühe, ihr bei der Aufzucht der Kleinen zu helfen. Vergeblich. Drei starben, noch ehe sie sehend wurden, und von den zwei anderen, die sehr lebhaft und verspielt waren, starb eines während des Zahnwechsels, so daß nur noch eine Hündin zurückblieb, die wohl ein wenig klein war, aber recht gut gedieh. Sie war im Spiele mit ihrer Mutter, mit Eva und Peter von einer entzückenden Munterkeit und zeigte sich auffallend »gesprächig«. Ihr drolliges Bläffen, das sie hören ließ, sooft irgendein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregte, trug ihr den Namen Bläff ein. Leider blieb Bläff ihrer Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit etwas zu »sagen«, auch treu, als sie zur Jagd herangezogen wurde, und verdarb dem Jäger mehr als einmal die Pirsch.

Da alle Erziehungsversuche nichts halfen, ließ Peter den unverbesserlichen Kläffer daheim und arbeitete fortan nur mit der zuverlässigen Einäugel.

Bläff sollte Evas Haushund werden. Durch Erfahrung klug geworden, hütete sie sich diesmal, den ihr überlassenen Fuchs zu überfüttern, sorgte aber schon während des Kochens durch kleine Leckerbissen, um die das Füchslein betteln mußte, für die Zuneigung des neues Haustieres. Krebse und Fische, Bläffs Lieblingsspeise, reichte sie ihm niemals roh. Sie hoffte nämlich, durch unblutige Nahrung die angeborene Wildheit des Tieres einzudämmen. Bläff gewöhnte sich leicht an allerlei Gebratenes und Gekochtes, das neben Gemüsen und Früchten Evas Hauptnahrung ausmachte. Das hinderte sie aber nicht, den von der Jagd heimkehrenden Peter schon von weitem mit einem heiseren Freudengebell zu begrüßen, gab er ihr doch jedesmal einen blutigen Fleischhappen, gegen Evas Willen. Bläffs scharfes Ohr vernahm das Plätschern seines breiten Ruders viel früher als Eva. Stieß Peter drüben am Sonnstein vom Lande ab, so konnte er sicher sein, gleich darauf Bläffs kurzes, hochtönendes, stoßweises Anschlagen zu hören, das sein Kommen ankündigte.

Der Haushund, den Eva ohne Leine überall herumstöbern ließ, war, wie sich bald zeigte, ein vortrefflicher Mäusejäger, der Fallen überflüssig machte. Aber sie hatte auch Mühe, die Füchsin von Eigenmächtigkeiten abzuhalten; Bläff kannte nämlich noch keinen Unterschied zwischen mein und dein. Wurde sie von Eva bei Diebereien ertappt und ausgeschimpft, war sie jedesmal sehr geknickt und klemmte die Lunte, ihren schönen Schwanz, ein; die menschliche Sprache verstand sie nicht, doch aus dem Ton der Rede hörte sie genau heraus, ob es Lob oder Tadel war.

Mit dem neuen Hausgenossen kam für Eva eine fröhlichere Zeit. Sie hatte nun etwas Lebendiges um sich, für das sie sorgen mußte. Um Peter kümmerte sie sich wenig, oder besser gesagt, sie versuchte, sich nicht um ihn zu kümmern. Eva hatte nicht unrecht, wenn sie sich sagte, weniger Metall, weniger Waffen, ja, auch weniger Geschirr wäre auch genug gewesen. War es nötig, daß er sich zu Hause so selten sehen ließ?

Eva wußte nicht, daß er sich an eine Arbeit gewagt hatte, die an Schwierigkeiten alles Bisherige übertraf. Sie sah wohl, wie er im Torfboden grub, fragte aber nicht nach dem Zweck seines Tuns. Peter wußte, was er tat. Die Schmelzwasser des letzten Frühlings hatten nämlich das Bett des Moorbachs mit Steinblöcken so vermurt, daß ihm die Floßfahrt stromaufwärts fast unmöglich wurde. Darum hatte er beschlossen, durch den Torfboden des oberen Moorgrundes einen kurzen Wasserweg zu den Öfen am Goldbach zu bahnen. Da er schon vorher einmal entdeckt hatte, daß getrockneter Torf sich zum Brennen eignet, brachte er alle ausgehobenen Torfbrocken auf seinem neuen Schlitten auf die Moorleiten in die Nähe seiner Öfen, um sie zu trocknen.

Ehe der Frühling kam, hatte Peter den schwingenden Boden, der aus einer kniehohen Torfschicht bestand, in der Breite von zwei Armlängen durchgegraben und stieß vor der Mündung des Goldbachs auf eine dunkelbraune, erdig brüchige Masse, die an den Bruchstellen deutliche Abdrücke von Binsen, Rohr, Kalmuswurzeln, Schnecken und Flügeldecken von Käfern zeigte. Es war Raseneisenerz, wie es sich durch Auslaugen eisenführender Gesteine als Schlamm im stehenden Wasser absetzt. Die Feuchtigkeit in den ausgehobenen Brocken verdunstete an der Luft sehr rasch, und was zurückblieb, erschien Peter zum Bau eines neuen Ofens um so mehr geeignet, als der Töpferofen aus Kalk und Glimmerschiefer brüchig und rissig geworden war.

Der neue Töpferofen, der einen fast mannshohen gewölbten Heizraum hatte, wurde fertig, ehe der Föhn die Schneemassen der Moorwände abschmelzte. Peter schleppte knetbaren Ton und Klumpen von Graphit vor Evas Hütte. Daraus sollte sie neues Geschirr formen, denn vom alten war nicht mehr viel da, und das wenige war brüchig oder hatte vom eingezogenen Fett einen ranzigen Geruch angenommen. Insbesondere verlangte er bauchige Vorratstöpfe. Einen großen, dickwandigen, noch ungebrannten Topf, in dem sie unüberlegterweise Salz aufbewahrte, mußte sie leeren, damit er vor dem Brennen austrocknen konnte. Als der neue Ofen mit dem vorher gut vorgetrockneten Geschirr beschickt war, zündete Peter das Gemenge von Holz, Torf und Holzkohle an, mit dem er den Feuerungsraum gefüllt hatte. Dicker, brauner, übelriechender Qualm entstieg dem Schlot des hohen, plumpen Ofens, strich, vom Winde gedrängt, über das Moor, legte sich als gelber Schleier auf den klaren Spiegel des Klammbachsees und kroch als dünner Nebel an den Klammwänden empor.

Als der überheizte Ofen ausgebrannt war, dauerte es noch eine volle Woche, bis die glühende Wandung so weit abgekühlt war, daß Peter ans Ausräumen gehen konnte. Es gelang ihm, eine schöne Schüssel und einen kniehohen Vorratstopf freizubekommen, beide klingend hart gebrannt. Er begann den Feuerungsraum auszufegen und die Schlacken zu zerschlagen, die in geschlossener Schicht unten zusammengeschmolzen waren. Darunter war der Boden mit einer grauen, matt metallisch glänzenden Masse bedeckt, von der er noch nicht wußte, wozu sie taugte. Er war zu sehr in die Bewunderung des neuen Geschirrs vertieft, als daß er dem spröden Grauzeug besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

Neugierig, was aus ihrem Geschirr geworden sei, fuhr Eva mit Bläff auf ihrem plumpen Fahrzeug zum Brennofen. Sie hörte wohl das Fauchen der Blasebälge am Schmelzofen, aber sie suchte Peter nicht auf. Am Töpferofen angelangt, sah sie durch die Mauerbresche der Vorderwand rotgebranntes und grauglänzendes Geschirr noch im Schlot aufeinanderstehen, nur vorne war ein wenig davon abgetragen worden. So machte sie sich unverzüglich ans Ausräumen. Heller als sonst war der Klang der Gefäße, die sie mit dem Fingerknöchel abklopfte; nur hier und da verriet ein Scheppern, daß eines beim Brennen gesprungen war. Je weiter sie zur Hinterwand des Ofens vordrang, um so häufiger traf sie auf gesprungene Töpfe, die verbogen und nach hinten geneigt im Ofen standen, als sei einer der unteren in sich zusammengebrochen. Plötzlich stieß sie auf einen Haufen Scherben, die über und über mit einer harten, glänzenden Schicht überzogen waren. An einem Daumenabdruck auf einem Henkelstück erkannte sie, daß es der Salztopf war. Das in die Wandung eingedrungene und in der Hitze verdampfte Salz hatte sich in den glänzenden Überzug verwandelt. Eva erkannte, daß sich da etwas Neues ereignet hatte. Mit einem dieser Scherben in der Hand lief sie zu Peter, der ohne mit dem Treten der Blasebälge auszusetzen, das sonderbar glänzende Stück beschaute. Nur das Aufblitzen in seinen Augen verriet, wie willkommen ihm die neue Entdeckung war. Aber im Augenblick konnte er sich damit nicht befassen. Seine Aufmerksamkeit gehörte ungeteilt dem widerspenstigen Grauzeug, aus dem er durch starkes Erhitzen etwas Verwendbares zu gewinnen hoffte. Nur ein Teil davon hatte sich als hämmerbar, der andere als spröd erwiesen; Peter wußte nicht, warum. Er hatte schon versucht, es im Wasser abzukühlen, wie das braune Metall; das graue Metall jedoch verhielt sich anders als das braune: Nach dem Kühlen im Wasser war es härter als zuvor!

Der Herbst kam. Tage und Wochen vergingen, ehe sich Peter entschloß, von seinen Schmelzversuchen abzulassen und sich der Jagd zu widmen.

Daß Peter sich um das Eintragen der Herbsternte gar nicht mehr kümmerte, war für Eva eine große Belastung. Sie mußte die kürzer werdenden Tage vom Morgen bis zur Abenddämmerung ausnützen, wenn sie die kostbare Kastanien-, Nuß- und Wildobsternte nicht den Bären, Wildschweinen und Eichhörnchen überlassen wollte. Peter schleppte reichlich Wildbret an, das zu Rauchfleisch verarbeitet werden mußte; Gedärme und Blasen mußten gereinigt und gespannt werden; Häute waren einzulagern kurz, die Tage reichten nicht aus, alles zu bewältigen. Eva pflegte beim flackernden Licht der Talgkerzen oder der Ampel zu arbeiten, bis ihr die Augen zufielen. Daß Peter sie mit bronzenen Nadeln, mit Messern, Löffeln, Sägen und Beilen viel reicher ausgestattet hatte als ihrem Bedürfnis entsprach, schätzte sie nicht als hohen Lohn ihrer Arbeit, sondern als das, was es war: Peter hatte diese Dinge aus Freude an der Metallarbeit gemacht!


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