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Die Überschwemmung der Höhle

Die hochaufgewehten Schneemassen im Heimlichen Grund begannen zu schwinden. Föhnstürme brausten, Lawinen stürzten donnernd zu Tal, Steinschläge polterten, es wurde ungewöhnlich warm. Im jungen Grün der Wiesen prangten gelb, weiß und blau die Frühlingsblumen, und aus den knospenden Bäumen flöteten und schmetterten Bergfinken und Ringdrosseln.

Peter lagerte alles, was er an den Lawinen- und Steinschlaglehnen an Fellen erbeuten konnte, in den Gerbtümpel ein; Eva sammelte junges Wildgemüse, und beide fanden, daß der Heimliche Grund ein gesegneter Ort sei. Ihre Wintervorräte an Fisch, Dörrobst und Kastanien waren noch nicht aufgebraucht; nur die Beeren und Pilze hatte der Schimmel verdorben. Aber es gab ja frisches Gemüse! Peter und Eva lebten recht sorglos dahin.

Als jedoch eine Reihe sommerlich warmer Tage kam und der im Winter fast ausgetrocknete Bocksgrabenbach wieder anschwoll, da machte ihnen die vorzeitige Wärme bange; sie trieb aus den Firnen oberhalb der Salzwände die Schmelzwasser ab. Die Besorgnis wuchs, als auch der Klammbach stieg und, sein Höhlentor füllend, tosend aus der Felswand hervordrängte. Er führte weiße Brocken abgebrochener Tropfsteinsäulen mit sich und drückte das Gebüsch des Ufergeländes nieder, das er weithin mit Schotter vermurte. Peter erklärte sich die Überschwemmung nicht anders, als daß die ungewöhnlich frühe und anhaltende Wärme das Eis der Gletscher und Firne oberhalb der Salzwände zum Schmelzen brachte. Er tröstete Eva damit, das Wasser werde sich verlaufen, sobald wieder kühlere Witterung eintrete. Als er aber beim Schöpfen merkte, daß er den Wasserspiegel im Brunnen mit der Hand berühren konnte, griff auch ihm die Angst ans Herz. Kurz nachdem Eva ihr Lager aufgesucht hatte, schlich Peter wieder in die Brunnstube. Steigt das Wasser immer noch? Ja, es stieg. Schon schlug es leise plätschernd an die Zimmerung des Brückenbodens.

Jetzt traf Peter Vorbereitungen zur Flucht. Im Halblicht des verlöschenden Feuers packte er in ein Rehfell alles, was er an Steinwerkzeugen, Specksteinschalen, Hörnern und unentbehrlichen Rohstoffen hineinstopfen konnte. Eva, die nicht hatte einschlafen können, kam herab und fragte verwundert: »Peter, was machst du denn?« Er deutete auf die Brunnstube: »Das Wasser kommt herauf, wir müssen woanders hin.«

Schlaff hingen ihre Arme herab – ein trauriger Blick umfaßte den Raum und den Rest von Speck und geräucherten Forellen, die am Gestänge des Trockenbodens hingen. Dann aber meinte sie entschlossen: »Tragen wir halt alles zu mir hinauf.« Peter aber schüttelte den Kopf: »Auch dorthin kann's Wasser noch kommen.« Ratlos, fassungslos stand Eva neben ihm. Plötzlich schrie sie gellend auf: »Das Wasser ist da!« und sprang zur Seite. Sie zeigte entsetzt auf ein dünnes Rinnsal, das, unter der Wand der Brunnstube hervorquellend, sich über den Lehmboden schlängelte, gerade auf das Herdfeuer zu. Peter griff nach dem nächstbesten Hartstein und ritzte dem Wasser den Weg vor zur Felsrinne, wo der Steigbaum zu lehnen pflegte. Er stieß das Türgitter hinaus und ließ den Steigbaum hinuntergleiten. Dann warf er ein Bündel Reisig in die Herdflammen, daß sie prasselnd aufloderten, und begann hastig den Trockenboden auszuräumen.

Da kam auch schon Eva mit Rehfell und Matte, die sie von ihrem Lager genommen hatte, kniete auf den Boden der Höhle und packte kunterbunt ein, was ihr an Genießbarem in die Hände geriet. Als Peter ihre Bündel fest verschnürt hatte, hob er ihr das eine auf den Rücken und drängte ihr das andere in die Linke. So schwer hatte sie noch nie getragen. Mit tränenerstickter Stimme fragte sie: »Wohin willst du denn?« – Er aber war nicht mehr neben ihr. Sein schweres Bündel auf dem Kopf, die Linke am Holz des Steigbaumes, in der Rechten seinen Speer, kletterte er langsam hinab. Zaghaft begann auch sie den Abstieg. Ihr Leib schauerte vor Kälte.

Wortlos stapfte Peter nach rechts voraus, den sandigen Saum der Felswand entlang. Eva folgte ihm weinend. Wohin wollte er? Auf der Wiese zwischen der Salzlehne und dem Bocksgrabenbach glitzerte das Wasser über den Grashalmen. Trocken überragte der Fuchsenbühel die unruhige Flut. Dort hinüber watete Peter. Unter der hohen Buche, die den Hügel krönte, blieb er stehen und legte seine Last ab. Als Eva, die ihre ganze Kraft brauchte, um ihre Bündel nicht ins Wasser gleiten zu lassen, nachgekommen war, sagte er, heiser vor Erregung: »Da droben in der Buche bau' ich mir ein Nest, und du kannst dir eine von den Fichten aussuchen.« Eva wählte nicht lange. Sie ließ ihre Lasten am Fuße der nächsten Fichte liegen, die in Rufweite von der Buche stand. Dann begannen beide ohne Zeitverlust, Holz zum Nestbau zu sammeln. Der Vollmond gab Licht genug, daß sie die notwendigsten Querhölzer zusammensuchen und auf die Äste auflegen konnten. Todmüde krochen sie in ihre Lager.


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