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Im Jahr 1183 versammelte Papst Lucius III. in Verona gemeinschaftlich mit Kaiser Friedrich eine Anzahl von Prälaten der Kirche um sich. Neben vielem anderen wurde hier auch die Ketzerei in Südfrankreich und das zu deren Ausrottung anzuwendende Verfahren besprochen. Nicht lange nachher (1183) ließ Lucius durch den Erzbischof von Rheims als päpstlichen Legaten in Flandern eine ganze Anzahl von Ketzern verbrennen.
Dieses Jahr 1183 kann als ein verhängnisvoller Wendepunkt in der Geschichte der Kirche angesehen werden. Von diesem Jahre an wurde nämlich allmählich der Begriff der Ketzerei und das Strafverfahren der Kirche gegen diese ein anderes. Dieses wie jenes geschah aber dadurch, daß sich das Papsttum in ganz neuer Weise als Prinzip alles Glaubens und Lebens der Kirche geltend machte.
Die Auffassung der Ketzerei betreffend, hatte man bisher in der Kirche den Gesichtspunkt festgehalten, von dem einst die römischen Kaiser in ihrer Strafgesetzgebung gegen Ketzerei ausgegangen waren; man hatte zwischen den Irrlehren unterschieden und nur Ketzereien von größerer Bedeutung mit Strafen belegt. Jetzt aber wurde der Gedanke zur Geltung gebracht, daß jedes Dogma auf der Autorität der Kirche, auf dem Papsttum beruhe, daher also auch die geringste Abweichung von der Kirchenlehre eine Verleugnung der Autorität des Papsttums, die Ketzerei, sei, daß also die Ketzerei, in welcher Form sie auch auftrete, immer gleich fluchwürdig und gleich strafbar sei.
Als die der Größe des Verbrechens der Ketzerei – des Abfalls von der Kirche, von Gott – allein entsprechende Strafe betrachtete man den Tod durch Feuer.
Allerdings wurden noch im elften und im Anfange des zwölften Jahrhunderts viele Stimmen in der Kirche laut, die vor der Hinrichtung Irrgläubiger warnten. Ernste, fromme Kirchenmänner wie der Bischof Wazo von Lüttich, der Bischof Hildebert von Le Mans, Rupert von Deutz, der heil. Bernhard von Clairvaux u. a., erinnerten daran, daß ein solches Verfahren gegen Christi Willen sei, daß man dadurch nur die Heuchelei großziehe, die Kirche verhaßt mache usw. – Allein der von dem Papsttum vertretene Gedanke, daß die Ketzerei vom Teufel stamme, daß darum deren Bestrafung Ausrottung der Ketzer sein müsse, gewann in der Kirche mehr und mehr Raum. – Der altkirchliche Gedanke, daß Ketzerei mit Exkommunikation zu ahnden sei, war bald vergessen.
Aber auch der altkirchliche Gedanke, daß die Verfolgung der Ketzerei den Bischöfen zustehe, wurde bald vergessen gemacht. Indem nämlich das Papsttum das eigentliche Wesen der Ketzerei in der Verleugnung seiner Autorität sah, so lag es nahe, daß dieses die Verfolgung und Bestrafung der Ketzerei als eine ihm ausschließlich zugehörige Sache ansah. Daher erhob sich jetzt das Papsttum durch seine Legaten, die von ihm mit den ausgedehntesten Befugnissen ausgestattet waren, das Strafrecht der Kirche gegen die Ketzer selbst auszuüben.
Doch mochte man dabei anfangs die Diözesangewalt der Bischöfe noch nicht eigentlich zur Seite schieben. Als Innocenz III. den Entschluß faßte, Einrichtungen ins Leben zu rufen, durch die eine ununterbrochene Aufspürung und Verfolgung der Ketzer sichergestellt würde, ließ er durch das vierte Laterankonzil verfügen, daß jeder Bischof seine Diözese entweder durch seinen Archidiakon oder durch andere geeignete Personen bereisen und an allen verdächtigen Orten entweder einzelne unbescholtene Leute oder die ganze Einwohnerschaft durch einen Eid alle ihnen bekannten ketzerischen Personen anzeigen lassen sollte. Die Verweigerung des Schwures sollte als Zeichen der Ketzerei gelten; der Bischof aber, der sich in der Verfolgung der Ketzerei lässig zeigen würde, sollte abgesetzt werden. – Formell waren also die Bischöfe mit der Ketzerverfolgung betraut; aber die päpstlichen Legaten waren angewiesen, sie zu beaufsichtigen und zu leiten. – Von dem Konzil zu Toulouse 1229 wurde diese Einrichtung noch erweitert.
Allein so sehr auch die Delegaten des Papstes die Bischöfe zur Aufspürung und Verfolgung der Ketzer antrieben, so hatte die ganze Einrichtung doch nicht im entferntesten den in Rom gewünschten und gehofften Erfolg. Die Denunziationen, ohne die man die Ketzer nicht ermitteln konnte, waren nicht in Gang zu bringen.
Daher entschloß sich Papst Gregor IX., die Inquisition den Bischöfen ganz zu entreißen, sie als ein rein päpstliches Institut einzurichten, dem auch die Bischöfe unterworfen sein sollten, und die »Inquisitio haereticae pravitatis« den Dominikanern zu übertragen, die dieses »heilige Offizium« in seinem unmittelbaren Auftrage ausrichten sollten. Mit dem Jahre 1232 trat dieses neue päpstliche Institut ins Leben, zunächst in Südfrankreich, in Aragonien, in der Lombardei, in Oesterreich und Deutschland Hansen, Zauberwahn, S. 97..
Schon damals hatte Kaiser Friedrich II., um in Italien die Welfen niederwerfen zu können, die 1238 und 1239 noch vermehrten Blutgesetze erlassen, die den letztern alle rechtlichen Schutzmittel entzogen, sie der Inquisition ganz und gar preisgaben und als ihre Strafe den Feuertod und die Konfiskation ihres Vermögens anordneten.
So begannen nun die Päpste mittels ihrer Dominikaner, neben denen späterhin gelegentlich auch Franziskaner herangezogen wurden, ihre Blutarbeit. Mit der Inquisition war die päpstliche Autorität ganz unmittelbar in die Kirche hereingetreten, alle Ordnungen der bischöflichen Diözesanregierung durchbrechend und niedertretend. Jeder einzelne Inquisitor arbeitete im unmittelbaren Auftrag, und vom dreizehnten Jahrhundert an bis zur Reformation hin ist »nie ein Mensch anders als im Namen des Papstes und auf dessen allgemeinem oder speziellem Auftrag zur Folterbank geführt und auf den Scheiterhaufen gestellt worden« Janus, Der Papst und das Konzil, Leipz. 1869, S. 264..
Mit brutalem Übermut erhoben sich daher die Inquisitoren nicht nur gegen die Bischöfe, sondern auch gegen landesherrliche Gewalten. Sie waren genötigt, den Inquisitoren Kerker zu bauen und deren Urteile zu vollstrecken, ohne sich um den Gang der Untersuchung kümmern zu dürfen. Taten sie dieses und wollten sie nicht willfährig die Scheiterhaufen aufrichten und die Verurteilten verbrennen lassen, so verfielen sie dem Kirchenbanne; und hatten sie sich von ihm nicht nach Jahresfrist befreit, so waren sie der Inquisition selbst verfallen. Darum mußte sich in den Dienst der Inquisition alles, alles stellen, und darum wurde ihr auch die Wissenschaft dienstbar, die sich alsbald dazu herbeiließ, das Institut der Inquisition zu rechtfertigen. So namentlich Thomas v. Aquino, der (Summa, II. 9. 11 Art. 3 u. 4) aus symbolischen Bezeichnungen der Ketzer, die das Neue Testament gebraucht, die Pflichtmäßigkeit ihrer Hinrichtung in folgender Weise abzuleiten sucht: Die Häretiker werden im N. T. Diebe und Wölfe genannt; Diebe aber pflegt man zu hängen und Wölfe totzuschlagen. Auch sind die Ketzer Söhne des Satans. Deshalb ist es nur billig, daß ihnen das Los ihres Vaters schon hier auf Erden zuteil werde, d. h. daß sie brennen wie er. An die Worte des Apostels Johannes, daß man einen Häretiker, nachdem man ihn zweimal vergebens belehrt habe, fliehen solle, knüpft er die Bemerkung, daß diese Meldung am besten durch Hinrichtung zuwege gebracht werde. Bei Rückfälligen aber hält er jede Belehrung für unnütz und empfiehlt, sie kurzweg zu verbrennen.
Wie nun die Einsetzung der Inquisition als solche die willkürlichste Durchbrechung der bestehenden hierarchischen Ordnung der Kirche seitens des Papsttums war, so beruhte auch das Prozeßverfahren – der Inquisitionsprozeß – auf dem vollständigsten Bruche mit dem bisherigen Prozeß.
Die Kirche hatte sich von Anfang an das von ihr vorgefundene römische Recht angeeignet, sowohl zur Normierung ihrer mannigfachen inneren und äußeren Verhältnisse als auch für die Form ihres Strafverfahrens, insbesondere bei der Ausübung des Strafrechts H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, Band I., Göttingen 1861, S. 106.. Daher kannte das kanonische Recht bis etwa zum Jahre 1200 ebenso wie das römische Recht keinen anderen Prozeß als den auf wirklicher Anklage beruhenden, – den Akkusationsprozeß Ebenda. S. 101. Wie im römischen, so war auch im kanonischen Strafverfahren die Inscriptio et in crimen subscriptio d. h. die vom Ankläger zu unterzeichnende schriftliche Aufstellung der Anklage im gerichtlichen Protokoll oder in einem vom Ankläger eingereichten Libellus accusationis die eigentliche Basis des ganzen Prozeßverfahrens. Durch sie war dem Prozeß seine bestimmte, nicht zu überschreitende Grundlage gegeben und zugleich die Verantwortlichkeit des Anklägers dem Angeklagten und dem Staate gegenüber gesichert.
Allerdings war in der Kirche aus dem Bedürfnisse der kirchlichen Disziplin schon frühzeitig ein anderes Strafverfahren, das der Inquisitio erwachsen, was später insbesondere durch Innocenz III., und durch die Beschlüsse des Laterankonzils von 1215 bestimmter geregelt wurde. Es kam nämlich insbesondere in Betracht, daß der Akkusationsprozeß zur Handhabung des Strafrechts den Geistlichen gegenüber darum nicht genügen konnte, weil im kanonischen Recht die Erhebung einer förmlichen Anklage gegen einen Geistlichen durch einen Laien oder gegen einen höher stehenden Geistlichen durch einen niederen ausgeschlossen war. Daher waren die geistlichen Gerichte ermächtigt, namentlich in Beziehung auf Kleriker, bei Delictis manifestis s. notoriis, von Amts wegen einzuschreiten, auch wenn kein Ankläger aufgetreten war. Doch konnte der Beschuldigte, wenn er sich schuldfrei wußte, sich eidlich reinigen.
Nach dem damaligen kanonischen Recht galt es daher als Regel, 1. daß der Anklageprozeß, der auf der Inscriptio eines fähigen Anklägers beruhte, das ordentliche Prozeßverfahren war; 2. daß das Prozeßverfahren (wie das römisch-rechtliche) öffentlich und mündlich und streng an die Akkusationsschrift des Anklägers gebunden war, und 3. daß das Geständnis, das der Richter von dem Angeklagten zu gewinnen bemüht sein müsse, nur dann Wert habe, wenn es ein in keiner Weise mit Gewalt erpreßtes, durchaus freiwillig abgelegtes war.
In diesem Punkte wich das Strafrecht der Kirche von dem römischen Recht ab, das bei Majestäts- und anderen Kapitalverbrechen die Anwendung der Folter zuließ.
In Rom war man sich schon bei der ersten Einleitung der Ketzerverfolgung darüber klar geworden, daß der Ketzerrichter, wenn er zum Abwarten einer gesetzlich gültigen Anklage verpflichtet sein sollte, unmöglich Ketzer entdecken könnte. Daher setzte das Papsttum die ganze Rechtsordnung, die im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts in der Kirche noch bestand, ebenso wie die Iurisdictio ordinaria der Bischöfe für das ganze Gebiet der Inquisitio haereticae pravitatis außer Kraft, indem es 1. den Akkusations- durch den Inquisitionsprozeß verdrängte, 2. alle Erwachsenen eidlich zur Anzeige der ihnen bekannten Ketzer verpflichtete, 3. für den Inquisitionsprozeß die Geheimhaltung der Namen der Zeugen, und 4. (seit Innocenz IV.) die Anwendung der Tortur zur Erpressung von Geständnissen anordnete, und 5. die Verurteilung der überführten Ketzer zum Feuertode einführte.
Dieses ganz neue Prozeßverfahren stand nun zu dem deutschen Recht in ebenso grellem Gegensatz wie zu dem bisherigen Kirchenrecht. Denn auch die deutschen Volksrechte, die Kapitularien der fränkischen Könige, die Rechtsbücher des Mittelalters setzten sämtlich den Anklageprozeß als das allein rechtsgültige Verfahren voraus und bestätigten die alte Regel des germanischen Volksbewußtseins: »Wo kein Kläger, da ist auch kein Richter Zachariä, S. 124..« – Als Hauptbeweismittel galt im deutschen Strafrecht neben der Zeugenaussage und dem Gottesurteil der Eid des unbescholtenen Mannes A. v. Kries, Der Beweis im Strafprozeß des Mittelalters, Weimar 1878, S. 3.. – Dieses Beweissystem des deutschen Rechts erhielt sich mit dem Akkusationsprozeß in Deutschland bis über das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts hinaus.
Die Kanonisten dagegen eigneten sich den Gedanken eines Prozeßverfahrens ex officio ohne Akkusation, nur auf böses Gerücht oder Denunziation hin, an, entwickelten ihn zu einem vollständigen System, was (mit der Folter) auch bei den italienischen Zivilisten, und durch diese auch in Deutschland Eingang fand. Bald wurde der Inquisitionsprozeß als der eigentlich gültige Strafprozeß angesehen und anerkannt.
Durch ihn hatten nun die Inquisitoren im Prozeß völlig freie Hand, und die Verdächtigten waren ihrer Willkür vollständig preisgegeben. Daher war der Inquisitionsprozeß, so wie er im dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert geführt wurde, die Ausgeburt der niederträchtigsten und boshaftesten Rabulistik, die bis dahin auf dem Gebiete der Rechtspflege hervorgetreten war. Schon der Verdacht oder die Denunziation, daß jemand einer ketzerischen Meinung ergeben sei, berechtigte zur Verhaftung. Keinem Verhafteten aber durfte, wie schon die Konzilien von Beziers und Narbonne 1235 bestimmt hatten, ein Belastungszeuge namhaft gemacht werden. Papst Innocenz IV. bestätigte dieses 1254 in der Bulle Cum negotium. Zugelassen wurden als Zeugen alle möglichen Personen, die für den Akkusationsprozeß nicht in Betracht kamen: Mitschuldige, Meineidige, Kuppler und sonstige Ehrlose, außerdem auch die allernächsten Familienangehörigen. Aus diesen vorgeladenen Zeugen holte das grausige Gespenst der Inquisition sehr bequem alle möglichen Anzeigen heraus; und um die Angeklagten zur Anerkennung der gegen sie gemachten Depositionen, zum »Geständnis« zu bringen, brachte man sehr bald mit bestem Erfolg die Folter zur Anwendung. Die Hilfe eines Rechtsbeistandes und das Recht der Berufung an eine höhere Instanz waren im Inquisitionsprozeß ausgeschlossen. Dem Inquisitor war verboten, Milde und Schonung zu zeigen. Kein Widerruf, keine Versicherung der Übereinstimmung mit dem Glauben der Kirche konnte den Angeschuldigten retten. Man gewährte ihm Beichte, Absolution und Kommunion, glaubte also im Forum des Sakraments seiner Versicherung der Reue und Sinneswandelung; zugleich aber, wenn er ein Rückfälliger war, wurde ihm erklärt, daß man ihm gerichtlich nicht glaube und er daher sterben müsse. Und endlich, um das Maß voll zu machen, wurde seine unschuldige Familie ihres Eigentums durch die gesetzlich ausgesprochene Konfiskation beraubt. Nur das Leben allein, sagt Innocenz III., soll den Söhnen von Irrgläubigen, und auch dieses nur aus Barmherzigkeit gelassen werden. So wurden sie denn auch zu bürgerlichen Ämtern und Würden für unfähig erklärt Janus, S. 262-263..
Ihren Unterhalt bezogen die Inquisitoren anfänglich von den Gemeinschaften, unter denen sie wirkten, bald aus Teilen des konfiszierten Vermögens. Innocenz IV. wies sie 1252 auf das Drittel an und ließ ihnen im Grunde auch noch ein zweites Drittel zugute kommen, indem er dieses für künftige Inquisitionszwecke zu deponieren befahl. Dabei blieb man nicht. Bernardus Comensis, selbst Inquisitor, kennt es im fünfzehnten Jahrhundert schon als eine rechtliche Gewohnheit, daß die Inquisition das ganze Vermögen der Verbrannten oder sonstwie Hingerichteten an sich zog, und Pegna im sechzehnten nimmt dies überall da als Recht in Anspruch, wo die Inquisition ihre eigenen Diener und Gefängnisse hat und folglich dem Staate keine Ausgaben verursacht Limborch, Hist. Inquis. p. 171..
Das also, was den Inquisitionsprozeß – das »Negotium fidei« – vorzugsweise charakterisierte, war 1. die Anwendung des Inquisitionsverfahrens, durch das die Akkusation als Basis des Prozesses verdrängt wurde, 2. der Gebrauch der Tortur und 3. der des Scheiterhaufens.
Die Folter tritt als Inquisitionsmittel zuerst unter Papst Innocenz IV. hervor. Indessen in einer Bulle (»Ad exstirpanda«), die er 1252 erließ, um den Gebrauch der Tortur kanonisch zu regeln, und die von Alexander IV. 1259, von Clemens IV. 1265 erneuert wurde, erscheint die Tortur als längst zu Recht bestehendes Verfahren. Aber nur wenn andere Beweismittel vorlagen, sollte sie ausgeschlossen sein. Auch sollte sie nicht bis zur Membrorum diminutio et mortis periculum gesteigert werden. Ihr Zweck war ein zwiefacher: die Folter sollte dem Verdächtigen das Geständnis seiner eigenen Schuld und die Anzeige seiner Mitschuldigen erpressen.
So begannen nun die Inquisitoren das »Negotium fidei« zu betreiben, mit ihrer Folter Unzählige zu peinigen und deren Leiber zu zerfleischen. Das geschah im Namen und zu Ehren des Gottes, der den Tod des Sünders nicht will. Daher war freilich die Zerbrechung der Glieder und die Gefährdung des Lebens in der Tortur sogar mit Exkommunikation und Irregularität bedroht. Diese aber und deren kanonische Aufhebung legte den Inquisitor auf eine gewiße Zeit lahm und störte also das »Negotium fidei«. Damit dieses daher in voller Schwunghaftigkeit ungestört betrieben werden könnte, erließ Papst Urban IV. im Jahr 1261 eine Bestimmung, die über alle Schwierigkeiten hinaushalf, indem er verfügte, daß in allen Fällen, wo Inquisiten aus Übereilung oder menschlicher Schwachheit bis zur Membrorum diminutio et mortis periculum gefoltert wären, die geistlichen Inquisitoren sich sollten untereinander absolvieren können! Hatte also ein Inquisitor einen Unglücklichen auf der Folter zu Tode gepeinigt, so war er allerdings sofort vom Gericht getroffen, indem er ipso facto exkommuniziert und irregulär war; beides aber konnte auch sofort wieder aufgehoben werden, wenn ein anderer bei der Inquisition beschäftigter Geistlicher zu ihm die kanonische Formel sprach: Ego absolvo te in nomine etc. Buchanan, S. 178 ff..
Hiermit war nun das Ergebnis jedes einzelnen Inquisitionsprozesses entschieden und die Erreichung seines Zieles sichergestellt. War jemand der Ketzerei verdächtig und von dem Inquisitionsgericht eingezogen, so wurde er von diesem auch als der Ketzerei, Zauberei etc. unzweifelhaft schuldig angesehen. Es galt nur noch durch die Tortur das Geständnis seiner Schuld zu erpressen.
War das »Geständnis« zuwege gebracht, so mußte das nunmehr erwiesene Verbrechen durch Verbrennung des Verbrechers gesühnt werden. Zu dem Akte wurde öffentlich, wohl auch durch reitende Boten, eingeladen.
Die nächsten Vorgänge hingen davon ab, ob der Luftstrom den Opfern des theokratischen Fanatismus den Qualm ins Gesicht oder von ihm hinwegtrieb. In diesem Falle hatten sie den bitteren Kelch bis auf die Neige zu leeren und alle Stadien des langsamen Verbrennens durchzumachen. Manche hatten moralische Kraft genug, lautlos den letzten Schlag des Herzens zu erwarten. Andere brachen, vom Schmerz übermannt, in ein schreckliches Gebrülle aus. Damit nun den »Kleinen kein Ärgernis gegeben« würde, ward den Delinquenten nach dem Zeugnis des Simancas De cathol. instit. tit. 48, § 6. die Mundsperre – eine Art Bremse – angelegt und die Zunge gebunden. So vernahmen die Zuschauer nichts als das Knistern des brennenden Holzes und den monotonen Wechselgesang zwischen einem Priester der Inquisition und seinen Chorknaben beim Rezitieren der Litanei Buchanan, S. 187.,– bis der Leib des Ketzers verkohlt zusammensank.
Dieses in seiner Idee unnatürliche, in seiner Ausführung terroristische und schamlose Verfahren mußte natürlich auf Widerstand stoßen. Während das Leben, die Lehre, die Zwecke und Schicksale der Verfolgten überall, wo sich Sehnsucht nach einem besseren Zustand regte, mächtige Sympathien fanden, war die Inquisition, wie der Abt Fleury bezeugt, Ketzern und Katholiken, Bischöfen und Magistraten, Behörden und Privaten gleich furchtbar und verhaßt. Der Anmaßung, Willkür, Habsucht, Unehrlichkeit und Grausamkeit der Inquisitoren sind darum zu verschiedenen Zeiten Päpste, Könige und Fakultäten mit Entrüstung entgegengetreten. Die Sorbonne führte Beschwerde gegen das unverantwortliche Wüten der unwissenden Mönche, Parlamentsbeschlüsse schritten gegen das bisher unerhörte Rechtsverfahren ein Lamothe-Langon, Hist. de l'Inquis. en France II. p. LXXXVIII.. Königliche Edikte haben wir von Ludwig d. h. Lea, Henry Charles, Geschichte der Inquisition im Mittelalter, Bonn 1909, II. Bd. S. 62, Philipp dem Schönen Lea, II. Bd. S. 66 F. 9. und Ludwig XI. Schon 1243 hatte sich das Konzil zu Narbonne veranlaßt gefunden, die Ketzerrichter von der Auflegung von Geldstrafen um der Ehre ihres Ordens willen abzumahnen Lamothe-Langon, T. II. p. 530.. Hinsichtlich der Erpressungen traten sie in die Fußtapfen der für die Sendgerichte tätigen sogenannten Exploratores criminum oder Promotores, über die Nikolaus von Clemanges Klage führt. Wo die Herrschenden auf seiten der Inquisitoren standen, oder ihre Einsprüche nicht zum Ziele führten, da hat das mißhandelte Volk sich selbst Recht verschafft. Im Jahre 1233 wurden zwei Dominikaner, die nach Cordes geschickt worden waren, um Ketzer ausfindig zu machen, von den Bürgern erschlagen Lea, II. Bd. S. 13.. Am 30. Juli desselben Jahres erlag in der Nähe von Marburg Konrad von Marburg Edelleuten, gegen die er den Kreuzzug gepredigt hatte Ebenda. S. 387.. 1235 wurden die Inquisitoren mit Gewalt aus Toulouse vertrieben Ebenda. S. 17.. Fünf Jahre später tötete man in Carcassonne kalten Blutes dreißig Geistliche, 1242 fielen die Inquisitoren in dem Städtchen Avignonet als Opfer ihres Fanatismus. 1252 erlag in Barlassina bei Como der Inquisitor Peter und ein Ordensbruder den Streichen gedungener Mörder Ebenda. S. 243.. Am 26. Dezember 1277 erschlug Konrad von Venosta den Bruder Konrad Pagano und seine Begleiter, die sich auf der Ketzerjagd im Veltlin befanden Ebenda. S. 267.. Man wird es daher begreiflich finden, daß die Stellung der Inquisitoren schon frühzeitig, wenn sie mächtig und einträglich sein sollte, auch eine sehr gefährliche war.
Dieses änderte sich jedoch, als die Inquisition allmählig eine ganz neue Richtung, nämlich die gegen Zauberei und Hexerei einschlug.
Schon mit der Einsetzung der Inquisition war eine ganz veränderte, erweiterte Auffassung des Begriffs der Ketzerei gegeben. Jede, auch die geringste Abweichung vom Dogma der Kirche, jedes Wort und jede Handlung, worin ein Mangel an Unterordnung unter die absolute Autorität des Papsttums gefunden werden konnte, galt jetzt als Ketzerei. Mit der Ketzerei ging aber nach der in der Kirche längst herrschend gewordenen Vorstellung die Zauberei Hand in Hand. Die Ketzerei war ein Abfall von der Kirche, von Gott, und die Zauberei war ein Wirken mit Kräften des Teufels. Der Gedanke, daß der Zweck des Abfalls vom Reiche Gottes der Eintritt in das Reich des Teufels sei, lag daher nahe und die Inquisition konnte die Zauberei als die praktische Seite der Ketzerei in ihr grimmiges Auge fassen. Dieses muß auch wirklich recht frühzeitig geschehen sein, indem sich Papst Alexander IV. (1254-1261) veranlaßt sah, am 13. Dezember 1258 und am 10. Januar 1260, die Inquisitoren, die gegen alles im Kirchenrecht Verbotene, gegen Zinswucher, Wahrsagerei, Zauberei etc. vorzugehen pflegten, in ihre Schranken zu verweisen. Gegen den üblichen Unfug mit Divinationen und Sortilegien sollten sie nur dann einschreiten, wenn er offenbar auf Ketzerei hinweise; anderenfalls sollten sie jenen, die diese Dinge trieben, den zuständigen Richtern, d. h. den Bischöfen überlassen Sexti Decretalium Libri, Lib. V. Tit. II. cap. 8: F. K. P. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechtes, Berlin 1899, VI. Bd., S. 398 ff..
Diese Verordnung Alexanders IV., die die Inquisitoren in der Verfolgung der mantischen Zauberei beschränkte, wurde nun aber von ihnen als stillschweigende Gutheißung der Verfolgung der ausübenden Zauberei mit Freuden begrüßt, weshalb die Inquisition gerade seit der Publikation jenes Breves die Verfolgung der Hexerei eifrigst zu betreiben begann.
In dem Hexenprozesse gewann jetzt der Inquisitor einen geschmeidigen und unerschöpflichen Stoff, weil, wo die Natur des im Reiche der Einbildungen einheimischen Verbrechens dem Richter den Vorwand leiht, von der Erhebung des objektiven Tatbestandes abzusehen, nirgends eine Grenze gezogen ist. Nicht minder gewann er an Popularität; denn er rechtfertigte die Grausamkeit seines Verfahrens durch die Größe der zu unterdrückenden Greuel und vertauschte die gehässige Rolle eines Verfolgers freierer Religionsansichten mit der dankenswerten eines Wohltäters, der die menschliche Gesellschaft von einer Rotte gemeingefährlicher Bösewichter befreit und dem Furchtsamen schon auf bloße Denunziation hin Schutz bietet, wo der weltliche Richter die förmliche Anklage mit allen ihren Gefahren auferlegt hätte. In dem Hexenprozesse siegte endlich die Inquisition über alle Anfechtungen ihrer Kompetenz im Zauberwesen. Als Sünde hätte die Zauberei vor den Bischof, als Verbrechen – z. B. bei Tötungen, – vor die Obrigkeit gehört; als Ketzerei aber war sie, mit Hintansetzung des ordentlichen Richters, der Inquisition verfallen. Alexanders IV. beschränkende Verordnung ist in der Tat zur privilegierenden geworden, indem sie den Scharfsinn der Inquisitoren darauf hinwies, in der Zauberei häretische Elemente geltend zu machen. Diese Geltendmachung beginnt unmittelbar nach dem päpstlichen Erlasse, kämpft sich durch alle Einwände der Gerichte und der gesunden Vernunft hin und endigt damit, daß sie die Zauberer geradezu zur geschlossenen Sekte erhebt. Nur durch die Aufdrückung eines häretischen Charakters war es möglich, daß magische Vergehungen, für die die Kirche von jeher nur disziplinare Bestrafung gehabt und diese selbst noch im dreizehnten Jahrhundert bestätigt hatte, von nun an zum Scheiterhaufen führten. Nur hierdurch wird es erklärlich, wie in den Prozessen der Inquisitionsgerichte auch Mord, Ehebruch und andere der bürgerlichen Justiz unterworfene Verbrechen eine Stelle gefunden haben. Es wird aber auch bei dieser Ineinanderziehung der Magie und Ketzerei weiter begreiflich, daß, wenn die Inquisitoren den ordentlichen Gerichten gegenüber das Häretische der Magie hervorhoben, es auch ebenso leicht, wie geraten war, in solchen Zeiten, wo die Ketzereien mehr Sympathie zu finden anfingen, das Volk mit dem Magismus der Häresie zu schrecken.
Im Schoße der Inquisition ist der Hexenprozeß erzeugt und großgezogen worden; die Männer, die ihn durch ihre Schriften theoretisch begründet und im einzelnen weitergeführt haben, Eymericus, Nider, Bernhard von Como, Jacquier, Sprenger, Institorius u. a., sind sämtlich Dominikaner und Inquisitionsrichter gewesen.
Über zweihundert Jahre hat sich die Inquisition in fast ausschließlichem Besitze des Hexenprozesses behauptet, und als sie in den meisten Ländern zu Grabe getragen wurde, hat sie ihn den weltlichen Gerichten als ein trauriges Erbteil hinterlassen.
Allerdings konnte dieses nur dadurch erreicht werden, daß der Kanon Episcopi, der im Kirchenrecht stand, unschädlich gemacht wurde. Dieses aber konnte nur durch hundertjährige und noch längere Arbeit geschehen. In Spanien hielten die Minoriten die Geltung des Kanons lange Zeit aufrecht, und es konnte daher gleichzeitig vorkommen, daß man in Spanien als Ketzer verurteilt wurde, wenn man die Möglichkeit der nächtlichen Hexenfahrt behauptete, in Italien aber, wenn man sie leugnete. Allmählich aber siegte die dreifache Autorität des Papsttums, des Thomas von Aquino und des Dominikaner-Ordens Janus, S. 278-279.. Man machte geltend, daß die Autorität eines Konzils doch von der des Papsttums unendlich überragt werde, und indem man die Hexen ohne weiteres zu verbrennen pflegte, so gestaltete sich in der Kirche ein auf der Autorität des Papsttums beruhendes Gewohnheitsrecht, dem gegenüber der Kanon Episcopi nicht mehr in Betracht kam. –
Verfolgen wir jetzt die allmähliche Entwicklung des Unheils!
Um 1271 sieht man die Inquisition in Languedoc beschäftigt, die Überbleibsel der Ketzer, namentlich der Waldenser (vaudoisie), zu vertilgen. Diese Sekten verschwinden für einige Zeit von dem Schauplatze und geben erst wieder zwischen 1285 und 1300, nachdem sie besonders in der Diözese von Albi Zuwachs aus der Lombardei und andern Ländern erhalten haben, Stoff zu neuer Tätigkeit. In der Zwischenzeit aber sind die ersten eigentlichen Hexenprozesse vor den Tribunalen von Carcassonne und Toulouse verhandelt worden. In Toulouse veranstaltete der Dominikaner Hugo von Boniols 1275 eine Ketzer- und Zaubereiverfolgung, in deren Verlauf eine angesehene Frau, die 56jährige, anscheinend geistesgestörte Angela de la Barthe verbrannt wurde. Sie gestand, im Umgang mit dem Teufel ein Monstrum empfangen zu haben, oben Wolf, unten Schlange, zu dessen Fütterung sie kleine Kinder benutzt habe, die sie auf nächtlichen Streifzügen herbeiholte Hansen, Zauberwahn, S. 309. Quellen, S. 446.. Kurz vorher war in Poitou ein gräfliches Edikt ergangen, durch das allen Untertanen auferlegt wurde, in Sachen der Magie und der Sortilegien vor der Inquisition zu Toulouse auf Verlangen eidliches Zeugnis abzulegen Bardin, Chron. ad ann. 1270. S. Hist. de Languedoc. Pr., p. 5.. Gegen die von den Inquisitoren in Languedoc begangenen Exzesse schritt Philipp der Schöne mehrmals ein Hist. de Langu. IV. Preuves, p. 98 ff. und band ihr Vorschreiten an die Mitwirkung der Bischöfe und des königlichen Seneschalls; dagegen verschmähte er es nicht, alle Ränke der Ketzerrichter für seine eigenen Zwecke spielen zu lassen, als er die welthistorische Ungerechtigkeit an dem Templerorden beging, und er hatte volle Ursache, mit den ihm hierbei geleisteten Diensten zufrieden zu sein.
Der Prozeß dieses Ordens ist zwar nicht ein Hexenprozeß an sich, aber er enthält Elemente, die sich im Hexenprozesse wiederfinden, wie der Vorwurf des Abfalls vom Glauben, der Beschimpfung des Kreuzes, der Verachtung der Sakramente, des Kusses, des Homagiums und der Teufelsunzucht. Der angebliche Kopf in den Templerkapiteln scheint da, wo er nicht einfach auf Götzendienst zu deuten ist, nach den astrologischen Bildern Gerberts und Bacons kopiert zu sein Soldan, Über den Kult der Templer, im Comte-rendu des Straßburger Kongresses von 1842. Dasselbe Konzilium zu Vienne, das die Sache dieses Ordens verhandelte, beschränkte die Vollmachten der Inquisitoren, indem es sie abermals enger an die Vorschriften der Ordinarien band, doch wollte es mit Entschiedenheit die Unterdrückung der alten und neuen Ketzereien.
Der Liber Sententiarum der Inquisition zu Toulouse liefert Beweise von der Tätigkeit dieses Tribunals in dem Zeitabschnitte von 1307 bis 1323. Die Urteile betreffen bis dahin meistens noch Albigenser, Waidenser und Beghinen, doch befinden sich unter ihnen schon Verhöre von Zauberern und Zauberinnen S. Hist. de Languedoc. T. IV. p. 184. Hansen, Quellen, S. 446 ff..
Dagegen werden von dieser Epoche an die Autodafés gegen die Sekten in Languedoc in eben demselben Maße seltener, wie sich die Verurteilungen wegen Zauberei mehren.
An dieser Steigerung scheint die persönliche Furcht Johanns XXII. (1316-34) vor magischem Unwesen nicht geringen Anteil gehabt zu haben. Bereits im Anfange seiner Regierung lebte er in steter Angst vor seinen Feinden, unter denen selbst mehrere Kardinäle ihm nach dem Leben getrachtet haben sollen. Nachdem er einmal durch genommenes Gegengift sich gerettet zu haben glaubte, verhängte er bald darauf eine peinliche Untersuchung gegen den Arzt Johann von Amanto und andere Leute seines Hofes, die bezichtigt waren, durch Gift und Wachsbilder unter Anrufung der Dämonen sein Verderben beabsichtigt zu haben Raynald, Annal. Eccles. ad ann. 1317.. Wenige Jahre später (1320) wies Johann die Inquisitoren von Carcassonne unter ausdrücklicher Erweiterung seiner Vollmachten zu eifriger Verfolgung derjenigen an, die den Dämonen opfern, ihnen das Homagium leisten und eine Verschreibung geben, um dann mit allerlei Zaubermitteln Missetaten zu begehen Frater Guilelmus, Episc. Sabinensis, Inquisitori haer. prav. in partibus Carcassonn. S. Hansen, Quellen, S. 4 ff.. Das Jahr 1327 brachte neue Klagen und Strafandrohungen Johanns Raynald, Annal. eccles. ad ann. 1327. Hansen, Quellen, S. 5 ff.; diesmal hatte man den König Karl durch Blei- oder Steinbilder – er weiß es nicht genau – aus der Welt schaffen wollen. Wirklich hatten die königlichen Beamten zu Toulouse deshalb eine Untersuchung angestellt und in diese auch den Neffen Johanns verwickelt Hist. de Langu. T. IV. Pr., p. 173.. Im Jahr 1330 ließ sich endlich der unermüdliche Papst Akten und Berichte über den Stand des Zauberwesens einsenden. Da er das Übel nicht gemindert fand, griff er zu neuen Maßregeln Raynald, ad ann. 1320. Hansen, Quellen, S. 7 ff.. Hatte er doch selbst die Kränkung erleben müssen, daß der Astrolog Franziskus Asculanus den Römerzug Ludwigs des Bayern voraussagte, eine Ungebühr, die der Magier zu Florenz auf dem Scheiterhaufen büßte Raynald, ad ann. 1327.. Der französische Hof, selbst in Furcht vor der Macht jener Bildermagie, gab dem Inquisitionsunfug mehr Vorschub, als er ihm Einhalt tat. Zwar hatte Philipp von Valois bald nach seiner Thronbesteigung den zu Paris versammelten Prälaten sechzig Artikel über den Mißbrauch der geistlichen Gerichtsbarkeit vorlegen lassen, doch hatte ein Beschluß des Pariser Parlaments, wodurch die Inquisition für einen Königlichen Gerichtshof erklärt wurde, in der Tat eine bedeutende Machterweiterung dieses Tribunals zur Folge Lamothe-Langon, Hist. de l'Inqu, T. I. p. LXIX, vgl. T. III p. 214., und Philipp selbst erklärte 1334 ausdrücklich die Kompetenz der Inquisitoren im Punkte der Magie mit der nichtssagenden Einschränkung »sicut eorum officium tangi aut tangere potest« Hist de Languedoc, T. IV. Pr., p. 23..
Unter diesen Verhältnissen konnte es an Schlachtopfern nicht fehlen. In Carcassonne verurteilte man von 1320-1350 über vierhundert Zauberer, von denen mehr als die Hälfte zum Tode geführt wurde. Hier stand 1329 der Karmelitermönch Peter Recordi vor den beiden Inquisitoren Heinrich von Chamay und Peter Bruni. Er war angeklagt, verschiedene Wachsbilder angefertigt und dabei den Teufel unter Beschwörungen angerufen zu haben. Diese Wachsbilder hatte er, mit Giftstoffen und Krötenblut vermischt, zunächst dem Teufel geopfert, indem er sie in der Bauchgegend mit Blut und Speichel besprengte, und sie dann unter die Schwelle der Häuser von Frauen gelegt, mit denen er in geschlechtlichen Verkehr zu treten wünschte. Er hatte dieses starke Mittel dreimal mit vollem Erfolge benutzt. Der Karmeliter hatte jedesmal, wenn sein Werk gelungen war, die Wachsbilder in den Fluß geworfen, dem Teufel einen Schmetterling geopfert und dabei Satans persönliches Erscheinen aus einem Windstoß oder in anderer Weise feststellen können. Die Strafe des bußfertigen und zum Abschwören seiner Ketzerei bereiten Sünders, der die Milde der Kirche anflehte, wurde besonders darnach bemessen, daß er sich im Kerker das Verdienst erworben hatte, die Tätigkeit der Inquisition in der Weise zu unterstützen, daß er andere gefangene Ketzer, die leugneten, zum Geständnis veranlaßte und durch Verrat dessen, was er von ihnen gehört, den Inquisitoren auch sonst Dienste geleistet hatte. Demnach, und mit Rücksicht auf den Orden, dem er angehörte, wurde er von der Exkommunikation losgesprochen und zu ewigem Kerker bei Wasser und Brot und mit eisernen Arm- und Beinfesseln begnadigt Hansen, Zauberei, S. 312 ff. Quellen, S. 449.. Zu Toulouse wurden in demselben Zeitraume etwa sechshundert Urteile gefällt, und ungefähr zwei Dritteile lauteten auf Auslieferung an den weltlichen Arm Lamothe-Langon a. a. O. T. III. p. 226.. Dergleichen Exekutionen wiederholten sich auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts; unter andern hat das Jahr 1357 in Carcassonne allein 31 Hinrichtungen erlebt Hansen, Quellen, S. 454.. Es war damals jene grausige Zeit hereingebrochen, wo der schwarze Tod durch die Völker Europas hinging und im Laufe von wenigen Jahren das Leben von Millionen verschlang, wo die Geißelbrüder in wilder Ekstase durch die Lande wanderten, wo Tausende und aber Tausende in den Niederlanden und in Deutschland von der Epidemie des Veitstanzes erfaßt wurden, mit lautem Geschrei den bevorstehenden Triumph des Satans verkündeten und von Eigennutz geschürter Fanatismus unzählige Juden abschlachtete. Alle Stützen des Lebens schienen zu brechen und ganzer Millionen bemächtigte sich eine unheimliche Stimmung, in der sie sich überall von unsichtbaren, bösen Mächten gefährdet und geschädigt glaubten.
Der Verfasser der Geschichte von Languedoc macht die Bemerkung, daß um dieselbe Zeit, wo die Fratricellen und Beghinen Hahn, Geschichte der Ketzer im Mittelalter, Stuttgart 1845. B. II., S. 423 ff. in Narbonne ihre Irrtümer verbreiteten (1326 ff.), eine große Menge von Menschen sich der Magie ergab, und daß die angestrengteste Tätigkeit der Bischöfe und Inquisitoren nicht vermocht habe, dem Unwesen Einhalt zu tun. Die Ketzerei der Fratricellen Siehe Lib. Sentent. bei Limborch, p. 298. bestand hauptsächlich darin, daß sie, als strenge Anhänger der Armutsregel des hl. Franziskus, die päpstliche Dispensation von ihr für ketzerisch erklärten und diejenigen aus ihrer Mitte, die deshalb den Scheiterhaufen hatten besteigen müssen, als Märtyrer priesen. Außerdem gaben sie sich apokalyptischen Schwärmereien hin, nannten die römische Kirche die babylonische Hure und eine Synagoge des Satans, erblickten in Johann XXII. den Vorläufer des Antichrists und verkündeten eine gewaltsame Umwälzung der Dinge und blutige Kriege als nahe bevorstehend. Auch ist in den Akten niedergelegt, daß sie den Staub und die Knochen ihrer Märtyrer, die sie als Reliquien aufbewahrten, küßten und heilsame Wirkungen von ihnen erwarteten Limborch, p. 319.. Die spätere Tradition modelt das Treiben der Fratricellen wiederum ganz nach dem Typus der Katharergreuel. Auch hier wieder Lichterlöschen, Kinderbraten und Einweihung des Novizen mittelst eines Trankes aus Kinderasche und Wein Trithem., Annal. Hirsaug. ad. ann. 1299 u. 1320..
Kehren wir zum Hexenwesen zurück!
Ein Blick auf die Akten des vierzehnten Jahrhunderts zeigt uns hier überall nur dieselbe Kombination des alten Ketzer- und Zaubermaterials Lamothe-Langon, Tom. III. p. 226 ff..
Man hat sich dem Teufel ergeben und alle Exzesse der Zusammenkünfte mitgemacht, die gewöhnlich in der Nacht von Freitag auf Sonnabend auf dem Berge Alaric zwischen Carcassonne und Narbonne und auf den waldigen Hügeln und Gebirgen bis zu den Pyrenäen hin stattfinden. Der Teufel erscheint mit feurigen Augen oder als riesiger Bock und fordert die Neulinge zur Leistung des Homagiums auf. Die Teilnehmerinnen geben sich ihm und den übrigen Anwesenden hin. Er bläst dem Bejahenden in den Mund; durch seinen bloßen Willen versetzen sich die Geworbenen zum Sabbath. Dort ißt man von dem Fleische geraubter Säuglinge und andern ekelhaften Speisen, ohne Salz, und lernt Zaubermittel, wie man mit Kräutern, Giften, Wachsbildern, Stücken von Leichnamen, die man sich auf den Kirchhöfen oder an den Hochgerichten verschaffte, Zaubereien ausüben konnte, wie man Wetter machte, Hagel erzeugte, giftige, die Weinberge und die Äcker schädigende Nebel hervorbrachte, Tiere und Menschen krank machte und tötete. Natürlich fehlen auch Liebeszauber, die Sterilitäts- und die Impotenz-Malefizien nicht, obschon sie nicht ausdrücklich erwähnt werden. Ebensowenig der Hexentanz. Den Hexentanz finden wir zum ersten Male bei einem Autodafé zu Toulouse im Jahr 1353 erwähnt S. Lamothe-Langon III. 360..
Der Bund mit dem Satan wird zuweilen so geschlossen, daß man sein Blut in ein Feuer laufen läßt, in dem Totenknochen brennen. Man bereitet Liebeszauber aus einem Streifen vom Hemde des Geliebten, aus Galgenstricken, Taubenherzen und dem eigenen Blute, das alles zusammen vergraben wird. Man parodiert die Messe zum Behufe eines Sortilegiums. Zum Zurüsten des Zaubers günstig sind die Nächte vor Johannistag, Weihnachten und die des ersten Freitags im Monat. Zwei Schäfer haben Brunnen durch Magie vergiftet und den Teufel, dem sie ein schwarzes Huhn opferten, nachts auf einen Kreuzweg berufen, um Krieg über das Land zu bringen. Ein anderer Hirt hatte völlig nackt eine Messe gelesen, um ein Zaubermittel wirksam zu weihen. Die Inquisitin hat Hagel, Regen und giftigen Nebel gemacht, Getreide und Reben erfrieren lassen, Ochsen und Schafe der Nachbarn verderbt; sie hat eine Frau getötet, indem sie deren wächsernes Bild am Feuer schmolz.
Papst Johann XXII., der überall Zauberer und Hexen sah, die mit Teufel und Dämonen verbündet wären Buchmann, Die unfreie und die freie Kirche, S. 288 ff., redet in seinen Erlassen von Wachsbildern, mit denen die Zauberer ihm und anderen nach dem Leben trachteten. Diese Wachsbilder seien nämlich von den Zauberern auf den Namen bestimmter Personen getauft, und wenn sie dann das Wachs durchstächen, so würde dadurch der Tod der Personen herbeigeführt, deren Namen sie trügen. Solche Bilderzauberei (envoûter) war es auch, die Enguerrand de Marigny, Philipps des Schönen gewesener Minister, gegen Ludwig X. verübt haben sollte, als der Graf von Valois eines Vorwands bedurfte, um die beschlossene Verbannung des gestürzten Günstlings in die Todesstrafe umzuwandeln Garinet, Historie de la magie en France, p. 82.. Auch in den Tagen der Katharina von Medici war es üblich, Wachsbilder von seinen Feinden anzufertigen und zu durchbohren, wie es die rachsüchtige Japanerin noch heute tut Brauns, Japanische Märchen, 1889, S. 33..
Andere haben durch Formeln oder durch das böse Auge getötet, aus der Hand, den Sternen und Spiegeln geweissagt, wahrsagende Geister in Ringe eingeschlossen usw. Daß die Teufelsunzucht nicht vergessen wurde, versteht sich von selbst. Alvarus Pelayo, Bischof von Sylva (gest. 1352), der um 1332 sein Buch De planctu ecclesiae schrieb, hat viele Nonnen gekannt, die sich den Umarmungen des Teufels ohne Scheu hingaben, wie er aus ihren gerichtlichen Bekenntnissen ersah Raynald ad. a. 1317..
Ein Hexenprozeß von 1344 in Irland ließ in sonnenhellster Weise erkennen, daß er sich auf der Unterlage des Ketzerprozesses gestaltete, und daß damals noch der Vorwurf der Zauberei nur eine Steigerung des Vorwurfs der Ketzerei war Th. Wright, A contemporary narrative of the proceedings against Dame Alice Kyteler or Ketler, prosecuted for sorcery in 1344. Wright, Narratives of sorcery and magic (Lond. 1851) T. I. S. 25-40.. Der Urheber der Verfolgung war hier der Bischof von Ossory im Palatinat Kilkenny, Richard de Ledred aus dem Minoritenorden. Der Kirchenfürst hatte es sich zur Aufgabe gestellt, zunächst in seiner Diözese und weiterhin in ganz Irland der Ketzerei und Zauberei ein Ende zu machen. Daher trat er zunächst in Hirtenbriefen gegen die »gens pestifera novella« auf, die keine kirchlichen Abgaben und Zehnten entrichten wollte, die Rechte der Bischöfe nicht achtete und die Kirchengüter plünderte; – denn dieses war ihm Ketzerei. Im Jahre 1324 wurde nun eine vornehme Dame, Alice Kyteler, mit ihren beiden Zofen, ihrem Sohne William Outlaw, den sie vermutlich zu »kirchenräuberischen« Praktiken, d. h. zur Ketzerei verleitet haben sollte, und mehreren anderen vor das geistliche Gericht geladen, weil sie der Zauberei angeklagt wären. Alle Angeklagten sollten auch, um zaubern zu können, für eine bestimmte Zeit den christlichen Glauben abgeschworen haben. Alice Kyteler insbesondere sollte auf Kreuzwegen (in quadriviis) Zusammenkünfte mit einem bösen Geiste von der armseligsten Sorte (ex pauperioribus inferni) haben, der sich »Robinus filius artis« nenne. Diesem ihren Liebhaber setze sie bei besagten Zusammenkünften neun rote Hähne und eine unbekannte Zahl von Pfauenaugen vor. Sie bereite auch Pulver, Salben und Kerzen aus ekelhaftem Gewürm, giftigem Kraut, dem Fett und Hirn ungetaufter Kinder nebst anderen greulichen Ingredienzen, die sie allesamt in dem Schädel eines vom Galgen gestohlenen Missetäters mische und koche. Ferner trieb die Angeklagte mit ihrem Liebhaber bei den Zusammenkünften Unzucht und höhnte das heilige Meßopfer. An diese Handlung schlössen sich dann noch Verwünschungen gegen alle ihre Feinde, ihre Ehemänner mit eingeschlossen, die sie in allen Gliedern ihrer Körper einzeln verfluche, und deren sie bereits vier durch ihre Teufelskünste umgebracht, wie denn auch ihr gegenwärtiger Ehemann, Lord John de Poer, in einen solchen Zustand geraten, daß ihm Nägel und Haare ausgegangen wären. Alle diese Schandtaten sollte sie ihrem Liebhaber, dem Teufel Robin Artysson zu Gefallen verübt haben. Als ganz besonders erschwerender Umstand wurde noch angeführt, daß Robin einer der gemeinsten aus der Hefe aller Teufel in der Hölle wäre, denn er erscheine immer nur in Gestalt eines Katers oder schwarzhaarigen Hundes oder allenfalls, wenn er bei sehr guter Laune sei, in Gestalt eines Mohren und bringe dann gemeiniglich zwei andere Mohrenteufel für die Zofen Petronilla und Basilia zur Gesellschaft mit.
Allerdings gelang es nun William Outlaw der Gefahr, die ihm und seiner Mutter drohte, einstweilen insoweit zu entgehen, als er es erreichte, daß dem Bischof die Verhaftsbefehle gegen die Angeschuldigten verweigert wurden. Allein Dame Alice wurde exkommuniziert, William Outlaw vor das geistliche Gericht geladen, um sich wegen einer Anklage auf Ketzerei und Anreizung zur Ketzerei vernehmen zu lassen, und endlich setzte es der Bischof, der, ermuntert durch ein besonderes Schreiben Papst Johannes XXII. an König Eduard III. von England, als Inquisitor auftrat, durch, daß das Parlament erklärte, den Lauf der Gerechtigkeit gegen Ketzerei und Zauberei nicht länger aufhalten zu wollen. Bald war nun eine neue Anklageakte gegen Alice Kyteler und deren Angehörigen zuwege gebracht. Die Angeklagten wurden jedoch zu ihrer Sicherstellung in eine entfernte Gegend Irlands geschafft, wo sie in tiefster Verborgenheit lebten. Nur Petronilla geriet in die Hände der Häscher und wurde, als der Ketzerei und Zauberei überwiesen, zum Scheiterhaufen verurteilt. Die Folter übte man damals noch nicht; allein das unglückliche Weib ward sechsmal wegen ihrer »Sortilegien« in grausamster Weise gegeißelt. Nach der sechsten Geißelung legte sie die verlangten Geständnisse ab, wobei sie die Alice Kyteler als die Hauptzauberin des Landes und als die Lehrerin aller anderen Zauberinnen bezeichnete; aber das Benehmen der Unglücklichen am Pfahle bewies, daß sie unter den erlittenen Mißhandlungen wahnsinnig geworden war.
Hernach wandte sich die Bosheit des Bischofs wiederum gegen die Outlaw und gegen andere; diesen jedoch wurde jetzt nur »Ketzerei« zur Last gelegt. – Die Hinrichtung der unglücklichen Petronilla war das erste wegen Hexerei in Irland vollstreckte Bluturteil.
Etwa 1358 schrieb ein spanischer Dominikaner, der Generalinquisitor von Aragon Nicolaus Eymericus (1320 bis 1399) sein Directorium Inquisitorum, die erste systematische Unterweisung für den Ketzerrichter Nic. Eymerici, Directorium Inquisitorum, cum scholiis Francisci Pegnae. Romae 1578., das, obwohl eine Privatarbeit, doch bald das Ansehen einer amtlich aufgestellten Kriminalordnung erlangt und als solche Jahrhunderte hindurch den Inquisitionsprozeß beherrscht hat Hansen, Quellen, S. 66, Lea, II., 174 ff.. Eymericus hat auch Schriften über Logik und Physik verfaßt – aber nicht diesen Arbeiten, sondern seinem »Directorium«, dem sich noch zwei umfangreiche Traktate über denselben Gegenstand anschlossen, verdankt er seine Unsterblichkeit. Er hat sein Amt als Generalmenschenquäler 44 Jahre verwaltet und ist während dieser Zeit, wie sein Biograph von ihm rühmt, ein acer haereticae pravitatis inquisitor gewesen. Was damals irgend möglich war, das hat er getan, um seinen Kollegen die Blutarbeit zu erleichtern. Ein Brevier, ein Kruzifix und dieses Buch in der Tasche – und der Inquisitor war für seine Menschenjagd vollkommen ausgerüstet. Eymericus hat sich aber auch dadurch vor seinen Vorgängern hervorgetan, daß er seinen Amtsgenossen ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis von Ketzereien vorgelegt hat, auf die sie inquirieren konnten. Dieser Katalog ist zwölf eng gedruckte Seiten stark; allein der Buchstabe A umfaßt vierundfünfzig Ketzereien!
Die von dem Kanonisten Franz Pegna 1578 mit Kommentaren versehene Ausgabe (ein mäßiger Folioband) hat Gregor XIII. als praecipua catholicae fidei capita continentem unter dem 13. August 1578 mit einem Privilegium gegen Nachdruck versehen Buchmann, Die unfreie und die freie Kirche (Breslau 1875), S. 152 bis 153. Hansen, Quellen, S. 358. Zauberwahn, S. 269 ff Hoensbroech, Papsttum, I. 39 ff..
In diesem Kodex finden wir nun die Theorie schon so weit fortgeschritten, daß es, die Chiromantie etwa ausgenommen, fast nicht eine einzige magische Übung gibt, von der der Verfasser nicht nachwiese, daß sie ketzerisch sei oder wenigstens nach Ketzerei schmecke, mithin vor das Forum des Inquisitors gehöre.
Auch in Italien zeigen sich um diese Zeit schon Hexenprozesse. Doch ist aus dem Gutachten, das der seiner Zeit in Gelehrtenkreisen hochangesehene, bei dem Volke aber wegen seiner Härte verhaßte Jurist Bartolus von Sassoferraco (Severus de Alphanis) (1314-1357) ausstellte Hansen, Quellen, S. 64. zu ersehen, daß die Hexenprozesse in Italien noch nicht recht im Zuge waren, und daß die Kriminaljustiz zum Verbrennen der Hexen noch nicht den rechten Mut hatte. Johann Visconti, Bischof von Novara (1331-1342), ein eifriger Ketzervertilger, und der päpstliche Inquisitor hatten bei Bartolus angefragt, welche Strafe einer von ihnen gefaßten aus Orta bei Novara stammenden mulier striga gebühre. In seinem Gutachten spricht sich Bartolus ganz entschieden für Bestrafung der Hexen mit dem Feuertod aus, er hält es aber dabei für ratsam, zur Stützung seines Urteils sich auf das zu berufen, was in der kirchlichen Theologie der Zeit unbeanstandet gelehrt wurde. In dieser war es nun längst üblich geworden, das, was Christus und die Apostel, eine geistliche Auffassung ihrer Worte voraussetzend, von dem Reiche Gottes verkündet hatten, auf äußere Verhältnisse, auf die mit äußerer Zwangsgewalt operierende Kirche zu beziehen. Das Wort des Apostels, daß der geistliche Mensch alles richte, verstand man, wie in der Bulle Bonifacius VIII. »Unam sanetam« gelehrt wurde, dahin, daß der Papst nach Christi Ordnung der oberste Richter der Fürsten und Völker sei. Wenn der Prophet Jeremias im Alten Bunde seinen ihm von Gott erteilten Auftrag, göttliche Strafgerichte anzukündigen, in orientalischer Redeweise als einen Befehl, zu verderben und zu verwüsten, bezeichnete, so sollte nach päpstlicher Auslegung hierin eine typische Darstellung der Gewalt des Papstes zu erkennen sein, indem Gott hier eigentlich dem Papsttum habe die Macht verleihen wollen, nach freiem Ermessen zu verderben und aus dem Lande der Lebendigen auszurotten. Wenn es in den Psalmen von dem Könige des zukünftigen Messianischen Gottesreiches auf Erden heißt, er werde mit eiserner Rute die Völker bezwingen, so sah man darin den Beweis für das Recht und die Pflicht der Päpste, die Völker mit ihrer todbringenden Inquisition heimzusuchen.
Auf Grund dieser und ähnlicher Ausführungen erklärte daher der große Bartolo in seinem Gutachten, daß ein zauberisches Weib zu verbrennen sei, weil nach Christi Gebot, wer nicht in seiner Gemeinschaft verbleibe, hinwegzuwerfen sei wie eine verdorrte Rebe, die man verbrenne. – Von dem Bekanntwerden dieses Gutachtens an nahm das regelmäßige Verbrennen der Hexen seinen Anfang Janus, S. 275-276..