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Erstes Kapitel. Einleitung

Mit besonderem Interesse verweilt der Blick des Kulturhistorikers bei der großen Reihenfolge der mannigfaltigsten, weltgeschichtlichen Vorgänge, deren Zusammenhang die glänzende, lebensvolle Geschichte des fünfzehnten Jahrhunderts ausmacht. Das unter dem wilden Ansturm der Osmanen zusammengebrochene Griechenreich sandte die Apostel einer neuen wissenschaftlichen Ära, in der sich die seit vielen Jahrhunderten verschütteten Quellen klassischer Bildung der abendländischen Menschheit aufs neue auftun sollten, nach Italien und Deutschland. Gutenberg erfand seine gewaltige Kunst, die bald die mächtigste Großmacht aller Kulturvölker werden sollte. Kolumbus und Vasco de Gama erschlossen der europäischen Menschheit ganz neue Welten, von deren Dasein man bis dahin nur gefabelt hatte. Kaiser Maximilian beschwor den rohen Geist mittelalterlicher Gewalt, brach dessen Burgen und tat den ersten wirksamen Schritt zur Herstellung eines öffentlichen Rechtszustandes im Deutschen Reiche, und in allen Landen Europas traten Männer auf, die die der Christenheit längst unverständlich gewordene Gottessprache ihres Evangeliums redeten und die Epoche der Reformation vorbereiten halfen.

Aber in düsteren, unheimlichen Zügen fällt auf diese glänzenden Seiten der Geschichte des Abendlandes der Schlagschatten eines Ungeheuers, das an Furchtbarkeit alle Greuel des früheren Mittelalters weit überragt. Es ist dies der Hexenprozeß. Er gewinnt im fünfzehnten Jahrhundert Abschluß und feste Gestaltung und wird als legitimes Kind der Kirche anerkannt, um eine Barbarei ohnegleichen in stets wachsender Verbreitung auf zwei volle Dritteile derjenigen Geschichtsperiode zu vererben, die sich so gern als die der Geistesmündigkeit und Humanität preisen läßt. Und er kontrastiert nicht nur mit dem, was die Zeit bewegt, er wuchert auch darin. Das Größte, Edelste mußte ihm dienen. Aus den wiedereröffneten Hallen der altklassischen Literatur schuf er sich ein reiches Arsenal von Schutz- und Trutzwaffen; Gutenbergs Erfindung, zum Heile der Menschheit erdacht, hat gleichwohl im Jahrhundert ihrer Geburt schwerlich irgendein Buch in größerer Anzahl vervielfältigt als Sprengers berüchtigten Hexenhammer; an Bord der Weltumsegler drang der Hexenprozeß nach Mexiko und Goa, nebst der Inquisition das erste Geschenk, das die europäische Zivilisation den beiden Indien für ihr Gold und ihre Edelsteine geboten hat. Karls V. peinliche Gerichtsordnung stempelte durch allgemeines Gesetz die Zauberei zum todeswürdigen bürgerlichen Verbrechen, wie sie seit den letzten Jahrhunderten als kirchliches gegolten hatte.

Auch die Reformation hat das Übel nicht gebrochen. Luther, Zwingli, Calvin kämpften gegen große und kleine Auswüchse des Pfaffentums; ihrem bizarrsten und blutigsten, dem Hexenprozesse, hat kein Reformator die Maske abgezogen, vielmehr fuhren die Protestanten – nach kurzem Besinnen – fort, mit den Katholischen in unsinniger Verfolgungswut zu wetteifern, und England hat sogar ein gekröntes Haupt aufzuweisen, das neben dem Schwert und dem Feuerbrande auch die Feder gegen den imaginären Frevel führte. Tausende und aber Tausende von Unglücklichen fielen fortwährend in allen Teilen der Christenheit durch Henkershand; die Stimme der wenigen, die Geist, Herz und Mut genug besaßen, dem Unwesen entgegenzutreten, verhallte ungehört oder rief Verfolgung gegen sie selbst hervor.

Das siebzehnte Jahrhundert sah einen dreißigjährigen Glaubenskampf die Eingeweide Deutschlands zerfleischen, und, als wäre es am Kriegsjammer noch nicht genug, erreichte gerade um diese Zeit das deutsche Hexenwesen den höchsten Grad seiner Intensität; ganze Gemeinden, Herrschaften und Fürstentümer wurden dadurch geplündert, entsittlicht und entvölkert, die Familienbande zerrissen, das Vertrauen zwischen Nachbarn und Freunden, Obrigkeiten und Untertanen vergiftet und die Summe des moralischen wie des physischen Elends bis zum Unermeßlichen gesteigert. Und alle diese Gräßlichkeiten wurden im Namen Gottes und der Gerechtigkeit verübt!

Nur wenig mehr als ein Jahrhundert ist vergangen, seitdem in unserem Vaterlande, und nur ein paar Menschenalter, seit im übrigen Europa die letzten Scheiterhaufen verglimmten. Noch reibt sich die europäische Menschheit die Augen, wie neu erwacht aus einem bösen Traum, und kann es nicht fassen, wie es kam, daß dieser Wahn, so schwer und unsinnig, so viele Jahrhunderte andauern konnte.

Aber schon beginnt auch der finstre Aberglaube, der dem Ganzen zur Unterlage diente, seine scharfen, schroffen Umrisse in den zarten Nebelduft der Poesie zu verstecken; das kaum erst Überlebte ist plötzlich zur halbbekannten, nach Ursprung und Wesen vielfach mißdeuteten Antiquität geworden.

Weil Goethe das lebensfrische Bild seines Faust auf jenen düstern Grund gezeichnet, weil Shakespeare im Macbeth und Heinrich VI. den spröden Stoff poetisch bewältigt hat, werfen sich manche als Apologeten des Zauberglaubens auf; in der sagenmäßigen Seite des Gegenstandes festgefahren, reden sie, als wäre niemals Blut geflossen, von frommheiterem, an sich schon dichterisch gestaltendem Volksglauben; ja man ist so weit gegangen, diese Blume aller pfäffischen Mißbildungen für uralt-germanisch zu erklären und mit einer Art patriotischen Stolzes in den dahin einschlagenden Volkssagen nur Reminiszenzen aus der Zeit der Völkerwanderung zu erkennen. Aber Deutschland weist den Vorwurf, die Mutter dieser Geistesverirrungen zu sein, mit gerechtem Unwillen von sich ab. Wahr ist es, daß auch Deutschland gleich anderen Völkern seinen Aberglauben gehabt und ihm drei Jahrhunderte hindurch Molochsopfer dargebracht hat; aber nichtsdestoweniger hat jene große Seuche, die seit Innocenz VIII. ihren verheerenden Gang durch Europa nahm, auf Gründen beruht, die mit dem problematischen Zauberglauben der germanischen Urzeit nur sehr wenig gemein haben.

Auf einer anderen Seite hat man darauf zurückgewiesen, daß bereits die Griechen und Römer ein Strafverfahren gegen Zauberei kannten, und daß sie sogar schon im mosaischen Gesetze als todeswürdiges Verbrechen bezeichnet ist. Wir finden allerdings hier Dinge, die den genannten Erscheinungen in vielen Punkten analog, zum Teil selbst ursächlich verwandt, in vielen aber auch an Charakter, Zweck, Form und praktischer Bedeutung gänzlich fremd sind. Zeit, Ort und Verhältnisse gestalten ja bei Vergehen, die als deutlich erkennbare, scharf begrenzte Taten vor das Auge treten, die gesetzliche Auffassung verschieden, um wie viel mehr bei Dingen, die mehr dem stets veränderlichen und vielgestaltigen Reiche der Einbildungskraft als der Wirklichkeit angehören!

Die Hexenprozesse des 14. bis zum 18. Jahrhundert haben bei aller Verschiedenheit der Auffassung die Aufmerksamkeit der Gegenwart lebhaft erregt. Ihre Darstellung muß an sich schon ein sehr interessantes Kapitel in der Kulturgeschichte dieser Periode bilden. Es verbindet sich aber hiermit für den Augenblick noch ein praktisches Interesse. Nichts ist so geeignet, mit den Mängeln der Gegenwart zu versöhnen und zugleich auf die Zukunft warnend und anregend hinzuweisen, wie der Rückblick auf die Schattenseiten der nächsten Vergangenheit. Die Schwärmer auf dem Nachtgebiete der Natur, die in unsere Zeit wieder eine Geisterwelt hereintragen, mögen zurückblicken auf die Zeiten jener gepriesenen Altgläubigkeit, und ihre Jeremiaden werden verstummen bei dem Anblick der Früchte, die auf dem Boden des Dämonenglaubens wachsen und gedeihen konnten. Auf der anderen Seite werden aber auch die Zweifler am Fortschritt zum Bessern, die Ungenügsamen, denen überall des Lichts noch zu wenig und des Alten zu viel ist, die Ängstlichen, die von jeder vorüberziehenden Wolke eine Sonnenfinsternis besorgen, die Ungestümen, die in ihrem Phaëtonseifer die Welt in Flammen zu setzen drohen, beim Hinblick auf das Überwundene sich beruhigen und anerkennen, daß der menschliche Geist nicht gefeiert hat; sie werden vertrauen, daß er auch in Zukunft seinen Gang gehen wird, der zwar nicht ohne Kampf, aber auch nicht ohne Ruhe und Stetigkeit der Entwicklung sein kann.

In dem Folgenden soll es versucht werden, die Hexenprozesse in ihrer Entstehung, ihrem Fortgange und Verschwinden pragmatisch und übersichtlich zu behandeln. Da sie indessen nur eine einzelne, und zwar die letzte Phase in der Geschichte des Zauberglaubens überhaupt bilden, so kann ihr Wesen außer dem Zusammenhange mit dessen früheren Erscheinungen nicht richtig gewürdigt werden. Deshalb ist es nötig, eine Darstellung des Verhältnisses, das dieser Zauber glaube auch im Altertum und bei den Völkern des Mittelalters dem Gesetze, der Religion und der öffentlichen Meinung gegenüber eingenommen hat, voranzuschicken und seine Formen und Verzweigungen bis zu einer gewissen Grenze zu verfolgen.

Der Glaube, daß durch Zauberei dem Menschen Heil oder Unheil bereitet werden könne, ist fast allen Völkern gemeinsam. Er beruht auf der Vorstellung, daß die Seelen der Verstorbenen ein für uns nicht wahrnehmbares, aber dem leiblichen Leben durchaus ähnliches Dasein fortführen und einerseits die Naturkräfte beherrschen, andererseits die Fähigkeit besitzen, sich in Menschen, Tieren, Pflanzen, Steinen und anderen Dingen einzukörpern Felix Stieve, Abhandlungen, Vorträge und Reden, Leipzig 1900, S. 301..

Aus diesen Vorstellungen hat sich nach Lippert, die Religion entwickelt Jul. Lippert, Kulturgeschichte Leipzig – Prag 1886, III. Abt., S. 37 ff. Dr. M. Hoernes, Urgeschichte der Menschheit, Leipzig 1897, S. 20 ff. E. B. Tylor, Anfänge der Kultur, Braunschweig 1883, S. 115 ff..

Der Zauber- oder Hexenwahn ist demnach, wie Hansen meint, ein Bestandteil derjenigen Anschauung, die der Menschheit durch ihre Religionen vermittelt worden ist. Er hängt aufs engste mit dem religiösen Glauben zusammen. Wie dir religiösen Bekenntnisse in ihren verschiedenen Formen das Vorhandensein eines oder mehrerer göttlicher Wesen lehren, an die sich die Gläubigen bittend wenden, so lehren sie auch, daß es entweder ein dem göttlichen nebengeordnetes oder ihm untergebenes oder ein selbständiges, ihm feindlich gesinntes, aber mächtiges und in seinem Handeln wenig beschränktes Wesen in Einheit oder Mehrzahl gibt, das gleichfalls den Bitten und Wünschen der Menschen zugänglich ist. Seine Anrufung gilt bei allen polytheistischen Religionen für erlaubt oder geduldet, bei allen Monotheisten für streng verpönt.

Der Begriff der Zauberei oder – was wir gewöhnlich als gleichbedeutend nehmen – der Magie, ist nur recht schwer in wenigen Worten zusammenzufassen. Die uns bekannten Definitionen sind fast durchgängig entweder zu weit oder zu eng. Letzteres läßt sich von Jakob Grimms Erklärung behaupten: »Zaubern heißt höhere geheime Kräfte schädlich wirken lassen Deutsche Mythologie S. 579..« Hierunter wären die zauberischen Heilungen nicht begriffen. – Richtiger ist, was W. Müller Geschichte und System der altdeutschen Religion, Gött. 1844, S. 357. sagt: »Zauberei heißt durch irgendwelche geheime Mittel oder Künste, die man erlernen oder mit Hilfe von Geistern sich aneignen kann, Wirkungen hervorbringen, welche die gewöhnliche menschliche Kraft übersteigen. Daß man dadurch anderen schadet, liegt ursprünglich nicht darin, obgleich sich diese Idee später gewöhnlich damit verband.«

Im allgemeinen darf man annehmen, daß derjenige, der dieses Wort gebraucht, an die Bezweckung von Erkenntnissen oder Wirkungen denkt, die das natürliche Maß der menschlichen Kraft übersteigen und zugleich außer dem Gebiete dessen liegen, was ihm als Religion gilt. Aber wie heterogen sind nicht die Objekte, die man in verschiedenen Zeiten als dem Zauberwesen angehörig betrachtet hat! Bald sind es die sinnlosen Heilungszeremonien des Schamanen, bald die phantastischen Metamorphosen eines orientalischen Märchens, bald der wirkliche Eintritt einer Sonnen- oder Mondfinsternis; bald die marktschreierischen Goldmacherkünste eines Raimond Lullus Raimond Lullus, Scholastiker und Alchemist, geboren 1235 in Palma auf Malorka, war der erste Europäer, der die Kabbala kannte, die er als göttliche Weisheit betrachtete. Er wurde 1315 als Missionar an der Nordküste Afrikas gesteinigt., bald die ehrwürdigen, aber von der Menge nicht begriffenen Anfänge einer richtigeren Einsicht in Chemie, Physik und Medizin. Hier weist man hin auf die angebliche Faszination eines Kindes durch den Blick des bösen Auges, dort auf die verbrecherische Erregung der Wollust durch wirkliche Reizmittel oder auf einen heimtückischen Giftmord. An einem dritten Orte sind es die erträumten Gräuel der Hexensabbate, an einem vierten die nächtlichen Brudermahle der christlichen Urgemeinden; dann wieder hier die frechen Betrügereien eines Cagliostro und dort die ewig denkwürdigen Heldentaten, durch die eine begeisterte Jungfrau ihr Vaterland aus Schmach und Not befreite.

Nicht weniger ins Unbestimmte gerückt ist die Basis aller Zauberei. Hier träumt man von den verborgenen Kräften der Kräuter, Steine und Metalle; dort sollen Formeln und Zeremonien die Seelen der Abgeschiedenen und selbst die dämonischen Mächte zum Erscheinen zwingen; anderwärts leitet man die Macht des Zauberers einzig und allein aus einem Bündnis mit dem Satan ab. In dem einen Zeitalter scheint die Zauberei unzertrennlich mit dualistischen Religionsansichten verflochten, in einem andern schlägt sie mitten in dem erklärtesten Polytheismus Wurzel, im dritten heftet sie sich unmittelbar an die Mysterien des christlichen Kultus. So entzieht sie sich als ein vielgestaltiger Proteus fast jedem Versuche, ihr Wesen durch eine einfache Begriffsbestimmung erschöpfend auszudrücken. Wer sie theoretisch beleuchten will, der muß sich auf den dogmatischen Standpunkt stellen, d. h. er muß an ihre Realität glauben wie Bodin, Delrio und Carpzow; vom historischen aus erscheint sie ihrem Gehalte nach nur als ein abenteuerliches Gemenge aus Aberglauben, absichtlichem Betrug und natürlichen, aber in ihrer Kausalität nicht begriffenen Wirkungen.

Der dem Menschen eingepflanzte Trieb, die Dinge außer ihm im Zusammenhange zu erkennen und sich Untertan zu machen, seine Abhängigkeit von Natur und Schicksal zu vermindern oder zu modifizieren und so den höheren Wesen, die er über sich ahnt, durch Wachsen in Erkenntnis und Vermögen näher zu treten, – dieser Trieb ist von jeher die Quelle der edelsten Bestrebungen und der erfreulichsten Resultate gewesen; aber er hat auch, wo Beobachtungsgabe und Kritik nicht zur Seite stand, wo Vorurteil, Selbstsucht und Haß ihn mißleiteten, zu den bizarrsten Phantomen, zu den unseligsten Täuschungen geführt, die in ihren Wirkungen oft um so verderblicher wurden, je geschickter sie ein kleines Teilchen Wahrheit in ihr Gewebe zu verschlingen wußten. Auf diesem Boden wurzelt auch der Zauberglaube. Er ist das Ergebnis einer verirrten Reflexion über die Ursächlichkeit der Naturerscheinungen und über die Bedingungen und Schranken, innerhalb deren sich der Mensch zur Ausübung seiner Herrschaft über die Dinge der sichtbaren Welt berufen weiß.

Je nach dem Maße seiner Bildung und Erfahrung zieht sich der Mensch einen engern oder weitern Kreis, innerhalb dessen ihm dasjenige liegt, was er das Natürliche nennt. Auf dem Standpunkte des großen Haufens fällt das Natürliche mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zusammen; denn es ist in der Tat nicht sowohl die deutlichere Erkenntnis der waltenden Gesetzmäßigkeit, als vielmehr eben nur die gewohnte Wiederkehr und Verbreitung, was der Masse eine Erscheinung weniger auffallend erscheinen läßt als die andre. Das Seltene, im Grade Höhere und darum Imponierende stellt sich ihr gern außerhalb dieses Kreises. Je beschränkter nun das Gebiet ist, das ein Volk dem Natürlichen zuweist, desto mehr füllt sich ihm das Gebiet des Übernatürlichen. Überall nimmt es dann wirkliche Erscheinungen wahr, die ihm, obgleich unzweifelhaft von Menschen hervorgebracht, doch das Maß menschlicher Kraft zu übersteigen scheinen, und für die es also die Mitwirkung höherer Kräfte voraussetzt. Man denke an die Sagen von Deutschlands Riesendomen und von den Teufelsbrücken! Hierbei bleibt man indessen nicht stehen. Ist einmal jene Mitwirkung höherer Mächte anerkannt, so läßt die gemeine Meinung den Menschen durch sie auch solche Wirkungen vollbringen, die in der Wirklichkeit entweder gar nicht oder wenigstens nicht in der vorausgesetzten Weise von ihm erzielt werden können. So gibt sie auf der einen Seite dem menschlichen Vermögen zu wenig, auf der andern zu viel.

Jenseits der Grenze des Natürlichen bewegt sich einerseits das Wunder und andererseits die Zauberei. Hier stellt sich indessen abermals eine Relativität des Begriffes dar. Ob eine übernatürliche Handlung zauberisch oder wunderbar sei, darüber entscheiden die herrschenden Religionsvorstellungen: was diesen genehm ist, fällt dem Wunderbaren, was ihnen widerstrebt, dem Zauberischen zu. So haben die Kirchenväter die heidnischen Orakel und Weihungen, und die Heiden wiederum die christlichen Wunder zauberisch gefunden. Celsus bei Origenes (contra Cels. I. 6. u. 68), Arnobius (adv. gentes lib. I. p. 25. ed. Lugd. Bat. 1651). Iren. adv. haeres. I. 20, Augustin. de Civ. Die XVIII. 53. – Justin. Martyr. Dial. cum.Tryph. pag. 269 ed. Colon. 1686.

Vermöge jener doppelten Relativität der Begriffe ist eine vielfache Verschränkung der Gebiete des Natürlichen und Übernatürlichen, des Wunderbaren und Zauberischen denkbar. Was dem einen auf vollkommen natürlichem Boden sich bewegt, kann dem andern als Wunder, dem dritten als Zauberei erscheinen. So war die Jungfrau von Orleans, bei beiderseits unbezweifelter Übernatürlichkeit ihrer Taten, bloß durch Subsumtion unter verschiedene Gesichtspunkte den Engländern Hexe, den Franzosen Wundertäterin, während sie der heutigen Welt keins von beiden ist. So hat ferner mancher wahre Naturforscher sich als Zauberer behandelt gesehen. Astrologie, Alchymie und Chiromantie haben sich zeitweise als höhere Naturkunde, gewisse Sortilegien und Amulette durch Anschmiegen an den herrschenden Kultus als Wunderwirkungen zu legitimieren gesucht.

Trotz dieser Wandelbarkeit der Gesichtspunkte finden sich zwischen den verschiedensten Völkern und Zeiten im Stoffe wie in der Auffassung zahlreiche Analogien, und es könnte gefragt werden, ob sich hierin eine historische oder nur eine psychologische Verwandtschaft zeige. Wahr ist es, der Zauberglaube ist jederzeit und überall verbreitet gewesen; kein Volk steht in der Geistesbildung so niedrig, daß es sich nicht zu ihm zu erheben vermöchte, keines so hoch, daß es ihn ganz aus sich verbannen könnte. Schon diese Allgemeinheit spricht dafür, daß er auf einer allgemeinen Disposition des menschlichen Gemütes beruhe, und der Versuch, alle seine Erscheinungen auf eine gemeinschaftliche historische Quelle zurückzuführen, würde hier nicht weniger unfruchtbar ausfallen als bei Religion und Sprache. Doch gilt dies nur vom Zauberglauben im ganzen und großen. Denn ebenso, wie einzelne Religionen und Sprachen weit über die Grenzen ihrer ursprünglichen Heimat hinausgedrungen sind und die Religionslehren und Sprachen andrer Völker auf die entferntesten Zeiten hin umgestaltet oder gänzlich verdrängt haben, ebenso lassen sich zwischen einzelnen Zauberformen und ganzen Zauberdoktrinen unbezweifelbare historische Zusammenhänge nachweisen, die bald in dem unmittelbaren Verkehr der Nationen, bald in literarischer Vererbung und sonstigen Einflüssen ihre Erklärung finden. Die Verkennung solcher historischen Verwandtschaften hat oft der Aufklärung und Humanität wesentlich geschadet, indem man da, wo nur Nachtreterei vorlag, einen auf die Realität und Evidenz des Gegenstandes selbst gegründeten Consensus gentium wahrzunehmen wähnte. So ist z. B. ein großer Teil des magischen Unsinns, der im Mittelalter und später die Köpfe des Abendlands füllte, römischen oder griechischen und sogar noch weit älteren Ursprungs. In den Klöstern, wo man so trefflich die Kunst verstand, überall die tauben Nüsse aufzulesen und den gesunden Kern liegen zu lassen, hatte man diese Ausbeute aus der Lektüre der Klassiker gewonnen und suchte sie nun in Lehre und Leben anzuwenden. Später traten die Inquisitoren und die Richter mit der Folter hinzu und torquierten einen überall gleichmäßigen Glauben an die Wirklichkeit dieser Dinge in die Völker hinein. Als nun dieser Glaube im Laufe der Zeit ein wirklich volkstümlicher geworden und sein Ursprung vergessen war, da traten, wo sich Widerspruch erhob, die Apologeten des Hexenprozesses wieder mit den Alten in der Hand hervor und machten das, was die eigentlichen Quellen jener Vorstellungen enthielt, zu ebenso vielen neu aufgefundenen Beweisen für die Wirklichkeit und das hohe Alter der vorgestellten Dinge selbst. – Auf der andern Seite ist aber auch oft eine historische Verwandtschaft angenommen worden, wo sie entweder gar nicht oder wenigstens nicht in der angenommenen Weise bestanden hat. Auch hiefür werden sich Beweise ergeben.


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