Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Siehest du einen Mann endelich (fleißig) in seinem Geschäfte: der wird vor den Königen stehen.« –
Spr. Salomonis 22, 29.
»Ein Mann, der nicht geschäftlich und praktisch gebildet ist, gehört nur zu den untergeordneten Gliedern der Menschheit.« –
Owen Feltham.
Hazlitt stellt in einer seiner geistvollen Abhandlungen den Geschäftsmann als ein recht alltägliches Menschenexemplar dar, das – in einem Rollwagen sitzend, vor welchen ein Gewerbe oder Beruf statt eines Pferdes gespannt ist – nichts weiter zu thun hat, als darauf zu achten, daß der Karren nicht aus dem Gleise kommt, während im übrigen das Geschäftsroß laufen darf wie es will. »Das Haupterfordernis für die gedeihliche Führung eines gewöhnlichen Geschäfts,« sagt er, »ist der Mangel an Phantasie und solchen Ideen, die sich nicht mit den Gebräuchen und Interessen der eigenen engen Sphäre vertragen.« (» On Thought and Action« – »über das Denken und Handeln.«) Aber nichts könnte einseitiger und thatsächlich unwahrer sein als diese Definition. Natürlich giebt es engherzige Geschäftsleute, wie es engherzige Gelehrte, Schriftsteller und Gesetzgeber giebt; aber man findet auch Geschäftsleute von großem und aufgeklärtem Geist, die der hochherzigsten Handlungen fähig sind. Burke sagte in seiner Rede über die »India-Bill« (Gesetzentwurf für Indien), er kenne Staatsmänner, die eigentlich Krämer seien, und Kaufleute, die im Geiste großer Staatsmänner gehandelt.
Wenn wir uns diejenigen Eigenschaften vergegenwärtigen, die zur erfolgreichen Leitung irgend eines wichtigen Unternehmens gebraucht werden – als da sind: besondere Begabung; Geistesgegenwart auch in außergewöhnlichen Fällen; Organisationstalent in der Beaufsichtigung einer größeren Arbeiterschar; Takt und Menschenkenntnis; beständige Selbsterziehung und immer zunehmende Erfahrung in den praktischen Angelegenheiten des Lebens – wenn wir uns das alles vorstellen, so wird es uns wohl klar werden, daß eine geschäftliche Thätigkeit keine so beschränkte Schule sein kann, wie manche Schriftsteller uns glauben machen wollen. Herr Helps kam der Wahrheit viel näher, als er sagte, daß hervorragende Geschäftsleute fast ebenso selten seien als große Dichter – vielleicht noch seltener als wirkliche Heilige und Märtyrer. Von keinem Beruf kann so emphatisch wie von diesem gesagt werden, daß »das Amt den Mann mache.«
Die Dummköpfe aller Zeiten haben mit Vorliebe die falsche Behauptung aufgestellt, daß geniale Menschen für geschäftliche Angelegenheiten untauglich seien; und daß wiederum geschäftliche Verrichtungen einen Menschen zu genialen Bestrebungen unfähig machen. Jener unglückliche Jüngling, der sich vor etlichen Jahren das Leben nahm, weil er zu einem »Manne« geboren war und dazu verdammt wurde, ein »Gewürzkrämer« zu sein, bewies durch seine Handlungsweise nur, daß sein Geist nicht einmal der Würde eines Gewürzkrämers gewachsen war. Denn nicht der Beruf erniedrigt den Menschen, sondern der Mensch erniedrigt den Beruf. Jede Arbeit, die einen ehrlichen Gewinn abwirft, ist ehrenwert – ganz gleich, ob sie mit der Hand oder dem Kopfe ausgeführt werde. Mögen die Finger immerhin beschmutzt sein, wenn das Herz nur rein bleibt! Denn nicht die körperliche, sondern die moralische Unsauberkeit befleckt uns; Habsucht ist verächtlicher als Schmutz – Laster schlimmer als Grünspan.
Die größten Geister haben es nicht verschmäht, zur Gewinnung ihres Unterhalts in ehrlicher und nützlicher Weise zu arbeiten, obwohl sie gleichzeitig nach höheren Zielen strebten. Thales, der erste der sieben Weisen – Solon, der zweite Gründer Athens – und auch der Mathematiker Hyperates – waren Handelsleute. Plato, den man wegen seiner erhabenen Weisheit den »Göttlichen« nannte, bestritt die Kosten seiner Reise nach Ägypten durch den Ölverkauf, welchen er unterwegs betrieb. Spinoza unterhielt sich, während er sich seinen philosophischen Forschungen widmete, durch das Schleifen optischer Gläser. Der große Botaniker Linné lag nicht nur seinen Studien ob, sondern verarbeitete außerdem Leder zu Schuhen. Shakespeare war ein geschickter Theaterregisseur, der sich vielleicht mehr auf seine praktischen Talente in dieser Richtung als auf die von ihm verfaßten Schauspiele und Gedichte zu gute that. Pope war der Ansicht, daß Shakespeare bei seiner Schriftstellerei hauptsächlich den Zweck hatte, sich auf ehrliche Weise ein Vermögen zu erwerben. In der That scheint er gegen litterarischen Ruhm vollkommen gleichgiltig, gewesen zu sein. Man weiß nichts davon, daß er die Herausgabe eines einzigen Theaterstückes geleitet oder auch nur seinen Druck gestattet hätte; und die chronologische Reihenfolge seiner Schriften ist noch heute ein Geheimnis. Dagegen ist es gewiß, daß er in seinem Geschäft Glück hatte und so viel Vermögen erwarb, daß er sich in seiner Heimatstadt Stratford am Avon zur Ruhe setzen konnte.
Chaucer war in seiner Jugend Soldat und später ein tüchtiger Zollaufseher und ein gewissenhafter Forst- und Domänen-Inspektor. Spencer, welcher Sekretär beim Lord-Statthalter von Irland und danach Sheriff von Cork war, soll ein kluger und rühriger Geschäftsmann gewesen sein. Milton – ursprünglich ein Schulmeister – stieg unter der Republik zu der Würde eines Staatssekretärs empor; und das noch existierende Ordonnanzbuch des Staatsrates giebt im Verein mit Miltons noch vorhandenen Briefen genügend darüber Auskunft, wie thätig und nützlich er in jenem Amte gewesen ist. Sir Isaac Newton erwies sich als ein tüchtiger Obermünzmeister. Das Prägen der neuen Münzen vom Jahre 1694 geschah unter seiner unmittelbaren persönlichen Leitung. Cowper rühmte sich seiner geschäftlichen Pünktlichkeit, sagte jedoch, daß er »außer sich selber keinen anderen pünktlichen Dichter kenne.« Aber dieser Behauptung können wir das Leben von Wordsworth und Scott entgegenstellen. Der erstere war Stempelausgeber, der letztere fungierte als Anwalt am Edinburger Gerichtshof; und beide waren nicht nur große Dichter, sondern auch außerordentlich pünktliche und praktische Geschäftsleute. David Ricardo brachte es neben seinem Tagewerk als Londoner Börsenmakler, das ihm ein bedeutendes Vermögen eintrug, noch fertig, seinen Geist in eingehender Weise mit seinem Lieblingsstudium – den Principien der Nationalökonomie – zu beschäftigen und darüber ein helles Licht zu verbreiten: denn in ihm waren die Eigenschaften eines klugen Kaufmanns mit denen eines tiefsinnigen Philosophen vereinigt. Auch der ausgezeichnete Astronom Baily war ein Börsenmakler, der Chemiker Allen aber ein Seidenfabritant.
Auch in unserer Zeit finden wir zahlreiche Beispiele dafür, daß sich die höchste geistige Begabung sehr wohl mit der thätigen und tüchtigen Erfüllung geschäftlicher Pflichten verträgt. Grote, der große Geschichtsschreiber Griechenlands, war ein Londoner Bankier. Und es ist noch nicht sehr lange her, daß John Stuart Mill, der größte unserer modernen Denker, aus dem Dienst der ostindischen Compagnie austrat und die Bewunderung und Achtung aller seiner Kollegen mit sich nahm – nicht wegen seiner erhabenen philosophischen Ideen, sondern wegen der edlen Pflichttreue, die er in seinem Amte bewiesen, und der durchaus befriedigenden Weise, in welcher er die Geschäfte seines Departements verwaltet hatte.
Der Weg des geschäftlichen Erfolgs ist gewöhnlich der Weg des gesunden Menschenverstandes. Geduldige Arbeit und emsiger Fleiß sind hier ebenso notwendig als da, wo es sich um die Aneignung von Kenntnissen oder das Studium einer Wissenschaft handelt. Die alten Griechen sagten: »Um in irgend einem Beruf tüchtig zu sein, braucht man drei Dinge – natürliche Begabung. Studium und Übung.« Im geschäftlichen Leben stellt eine durch verständigen Fleiß erworbene Übung das große Geheimnis des Erfolgs dar. Mancher macht vielleicht einmal einen »glücklichen Coup;« aber gleich einem Spielgewinst kann solch ein »glücklicher Coup« unter Umstanden nur dazu dienen, den Menschen ins Verderben zu locken. Bacon pflegte zu sagen, daß in geschäftlicher wie in örtlicher Beziehung der nächste Weg meistens der schlechteste sei, und daß man, um den besten Weg zu gehen, gewöhnlich einen kleinen Umweg machen müsse. Die Reise dauert auf solche Art vielleicht etwas länger; aber das Vergnügen der damit verbundenen Anstrengung und die Freude an dem erreichten Ziel ist um so größer und ungetrübter. Eine bestimmte tägliche Aufgabe – selbst eine ganz gewöhnliche Plackerei – läßt uns die Mußestunden des Lebens nur um so süßer erscheinen.
Die Mythe von den Arbeiten des Herkules ist typisch für alles menschliche, Handeln und allen menschlichen Erfolg. Jeder Jüngling sollte zu der Erkenntnis gebracht werden, daß sein Glück und Wohlergehen im Leben notwendigerweise mehr von ihm selbst und dem Gebrauch seiner Kräfte als von der Hilfe und Gunst anderer Menschen abhängt. Als der verstorbene Lord Melbourne um eine »kleine Versorgung« für einen der Söhne des Dichters Moore angegangen wurde, antwortete er darauf dem Lord John Russell, der die Sache vermittelt hatte, in einem Briefe, welcher eine Menge nützlicher Ratschläge enthielt.
»Mein lieber John,« schrieb er. »ich schicke Dir Moores Brief zurück. Ich bin bereit, nach deinem Wunsch zu handeln, sobald wir die Mittel dazu haben werden. Doch meine ich: was man thut, sollte man für Moore selbst thun. Das ist deutlicher, bestimmter und klarer. Jungen Leuten eine »kleine Versorgung« zu verschaffen, erscheint mir wenig gerechtfertigt und für sie selbst äußerst schädlich. Sie halten das, was sie haben, immer für größer, als es ist, und strengen sich nicht weiter an. Junge Leute sollten nie eine andere Sprache hören als diese: ›Ihr müßt euch allein forthelfen! Von euren eigenen Anstrengungen hängt es ab, ob ihr hungern werdet oder nicht.‹ Ich verbleibe etc.
Melbourne.«
Praktischer Fleiß, der sich in verständiger und energischer Weise bethätigt, wird immer die gewünschte Wirkung haben. Er bringt den Menschen vorwärts, entwickelt seinen individuellen Charakter und eifert auch andere zu regerer Thätigkeit an. Alle können nicht gleich hoch steigen; aber im allgemeinen steigt doch jeder so hoch, als er es verdient. »Wenn auch nicht jeder auf der Piazza wohnen kann,« sagt das toskanische Sprichwort, »so kann doch jeder den Sonnenschein genießen.«
Im ganzen ist es für den Charakter des Menschen nicht gut, wenn ihm sein Lebensweg gar zu leicht gemacht wird. Es ist besser, sich schwer Plagen und aus der Niedrigkeit emporarbeiten zu müssen, als daß man alles schon fertig bei der Hand hat und sich nur auf ein Pfühl oder Polster zu träger Ruhe niederzulassen braucht. Mit verhältnismäßig geringen Mitteln ins Leben zu treten, scheint für den Menschen in der That ein so vorzüglicher Sporn zur Arbeit zu sein, daß man eine niedrige Geburt fast eine wesentliche Bedingung des Erfolgs nennen könnte. Daher gab ein ausgezeichneter Jurist auf die Frage, was einem Jünger der Rechtswissenschaft am ehesten Zum Erfolg verhelfe, zur Antwort: »Manche gelangen dazu durch hervorragende Begabung, andere durch hohe Konnexionen, noch andere durch ein Wunder – die meisten aber dadurch, daß sie mittellos anfangen.« Man hat uns von einem begabten Architekten erzählt, der sich nach fleißigem Studium und längerem Umherreisen in den klassischen Ländern des Ostens in der Heimat niederließ, um daselbst seinen Beruf praktisch auszuüben. Er war entschlossen, jede Arbeit zu übernehmen, um nur Beschäftigung zu haben. Er unterzog sich daher ohne Murren der Aufgabe, Häuser abzubrechen – d. h. einer der niedrigsten und schlechtbezahltesten Verrichtungen des Baugewerbes. Er war zu verständig, um sich darüber erhaben zu dünken – aber auch entschlossen, sich so schnell in die Höhe zu arbeiten, als es nur auf ehrliche Weise geschehen könnte. An einem heißen Julitage sah ihn ein Freund auf dem Dachfirst eines ihm zum Abbruch übergebenen Hauses sitzen. Mit der Hand seine schweißbedeckte Stirn abwischend, rief er dem Untenstehenden zu: »Das ist hier eine nette Arbeit für einen Mann, der ganz Griechenland bereist hat!« Trotzdem führte er seinen Auftrag gut und gründlich aus und arbeitete unverdrossen weiter, bis ihm allmählich immer einträglichere Arbeiten überwiesen wurden, und bis er schließlich in den edelsten Zweigen seines Berufs Beschäftigung fand.
Man kann die Notwendigkeit der Arbeit in der That als die vorzüglichste Wurzel und Quelle alles dessen bezeichnen, was wir beim Individuum »Fortschritte« und bei Völkern »Civilisation« nennen; und es ist zweifelhaft, ob dem Menschen ein größerer Fluch auferlegt werden könnte als die Fähigkeit der mühelosen Befriedigung jedes Verlangens, die ihm keine Gelegenheit zum Hoffen, Wünschen und Kämpfen böte. Das Bewußtsein, daß es in unserem Leben keinen Antrieb und keine Notwendigkeit zum Handeln gäbe, müßte für uns als vernünftige Wesen überaus qualvoll und unerträglich sein. Als der Marquis von Spinola Sir Horace Vere fragte, woran sein Bruder gestorben sei, antwortete Sir Horace: »Er starb an mangelnder Beschäftigung, mein Herr!« – »Ach,« entgegnete Spinola, »das wäre genug, um auch einen General von meinem Schlage umzubringen ..«
Diejenigen, welchen es im Leben nicht glückt, sind meistens sehr geneigt, für ihr Unglück jeden anderen als sich selbst verantwortlich zu machen. Ein hervorragender Schriftsteller veröffentlichte kürzlich ein Buch, in welchem er seine zahlreichen geschäftlichen Mißerfolge aufzählte – wobei er ganz naiv eingestand, daß er das Einmaleins nie habe bewältigen können. Trotzdem kam er zu dem Schlüsse, die wirkliche Ursache seines Mißerfolgs im Leben müsse der Krämergeist der Zeit sein. Auch Lamartine bekannte ohne Zaudern, daß die Arithmetik ihm Verachtung einflöße. Wäre diese Verachtung aber minder groß gewesen, so hätten wir wahrscheinlich nicht das traurige Schauspiel jener Sammlungen erlebt, welche von seinen Verehrern zur Unterstützung des darbenden Greises veranstaltet wurden.
Andere wiederum meinen, daß sie zum Unglück geboren seien, und daß ihnen – ganz ohne ihr Verschulden – alles fehlschlage. Ein Mann dieser Art hat sich, wie man uns erzählt, einmal zu der Äußerung verstiegen, er glaube, daß die Menschen ohne Köpfe zur Welt kommen würden, wenn er ein Hutmacher wäre. Es giebt aber ein russisches Sprichwort, nach welchem das Mißgeschick der Nachbar der Dummheit ist; und man wird häufig finden, daß Leute, die beständig über ihr Unglück klagen, nur die Früchte ihrer eigenen Nachlässigkeit, Unordnung, Unvorsichtigkeit oder Faulheit ernten.
Dr. Johnson, welcher mit einer einzigen Guinee in der Tasche nach London kam und sich in der Unterschrift eines an einen vornehmen Lord gerichteten Briefes mit voller Wahrheit als »Impransus« – d. h. als einen »Mann mit leerem Magen« – bezeichnete, bekennt ehrlich: »Alle Klagen über die Ungerechtigkeit der Welt sind unbegründet. Ich habe nie gesehen, daß ein Mann von Verdienst vernachlässigt wurde. Wer keinen Erfolg hatte, war gewöhnlich selbst daran schuld.«
Washington Irving, der amerikanische Autor, war derselben Ansicht. »Was man so von bescheidenen, unbeachteten Verdiensten redet,« sagt er, »ist meistens nur ein leeres Geschwätz, durch welches träge und unentschlossene Menschen ihren Mangel an Erfolg dem Publikum zur Last legen möchten. Solch ein »bescheidenes« Verdienst ist in den meisten Fällen nur ein unthätiges, nachlässiges oder unwissendes Verdienst. Ein reifes und ausgebildetes Talent wird immer einen Markt finden, wenn es die nötigen Anstrengungen macht. Freilich darf es nicht immer zu Hause hocken und erwarten, daß man es aus seinem Winkel hervorhole. Man hört auch häufig darüber klagen, daß kecke und unverschämte Leute vorwärts kommen, während würdigere Personen von zurückhaltenderem Wesen beiseite geschoben werden. Aber meistens besitzen jene »kecken« Leute die überaus wertvolle Eigenschaft der Entschlossenheit und Energie, ohne welche selbst ein hoher innerer Wert nur ein totes Kapital ist. Ein bellender Hund ist oft nützlicher als ein schlafender Löwe.«
Aufmerksamkeit. Fleiß. Genauigkeit. Methode. Pünktlichkeit und Schnelligkeit – das sind die hauptsächlichsten Eigenschaften, welche zur ersprießlichen Führung eines Geschäfts – welcher Art es auch sei – unbedingt erforderlich sind. Sie erscheinen uns im ersten Augenblick als Kleinigkeiten: und doch sind sie von hervorragender Bedeutung für das Glück, das Wohlergehen und das nützliche Wirken des Menschen. Es sind nur Kleinigkeiten – freilich! aber das menschliche Leben stellt eine Reihenfolge verhältnismäßig geringfügiger Vorgänge dar. Durch die Wiederholung unbedeutender Handlungen entsteht nicht nur die Summe des menschlichen Charakters, sondern auch der Charakter der Völker wird dadurch bestimmt. Und wo Menschen oder Nationen zu Grunde gingen, da war fast immer das Übersehen einer Kleinigkeit die Klippe, an welcher die einen wie die anderen scheiterten. Jedes menschliche Wesen hat Pflichten zu erfüllen und muß daher die zur Ausübung derselben erforderlichen Fähigkeiten ausbilden – ganz gleich, ob der Wirkungskreis die Führung eines Haushalts, den Betrieb eines Geschäfts oder Gewerbes oder auch die Regierung eines Volkes umfasse.
Die schon angeführten Beispiele großer Arbeiter aus verschiedenen Zweigen der Industrie, Kunst und Wissenschaft überheben uns der Notwendigkeit, die Bedeutung des beharrlichen Fleißes auf jedem beliebigen Arbeitsfelde noch weiter zu betonen. Die tägliche Erfahrung lehrt, daß eine beständige Beachtung aller Einzelheiten die Wurzel des menschlichen Erfolgs, und daß der Fleiß mehr als alles andere der Vater des Glückes ist. Auch die Genauigkeit ist außerordentlich wichtig und ein Zeichen guter Erziehung – Genauigkeit nicht nur in der Beobachtung, sondern auch in der Sprache und in der Arbeit. Jedes Geschäft muß so gut als möglich ausgeführt werden; denn es ist ehrenvoller, ein kleines Quantum Arbeit tadellos zu vollenden, als ein zehnmal so großes zur Hälfte fertig zu bringen. Ein weiser Mann pflegte zu sagen: »Halte ein wenig an, damit wir um so eher zum Ziel kommen!«
Trotz alledem schenkt man dieser so überaus wichtigen Tugend der Genauigkeit noch immer nicht die genügende Beachtung. So sagte ein auf dem Gebiet der praktischen Wissenschaft ausgezeichneter Mann neulich zu uns: »Es ist erstaunlich, wie wenige von den Menschen, mit denen ich im Laufe meines Lebens zusammen gekommen bin, imstande waren, eine Sache genau zu definieren.« Und doch ist in geschäftlicher Beziehung oft gerade die Art, in der wir mit Kleinigkeiten verfahren, dasjenige, was andere Leute für oder gegen uns einnimmt. Trotz seiner Tugend, seines Talents und seiner sonstigen guten Führung wird man einem Menschen, der von Natur unpünktlich und ungenau ist, nicht trauen. Seine Arbeit muß kontrolliert werden; und er verursacht dadurch unendlich viel Plage, Ärger und Mühe. Es war eine der charakteristischen Eigenschaften des Charles James Fox, daß er sich bei allem, was er that, die größte Mühe gab. Als er zum Staatssekretär ernannt wurde, ärgerte ihn eine Bemerkung über seine schlechte Handschrift so sehr, daß er sogleich Unterricht im Schönschreiben nahm und wie ein Schulknabe so lange nach Vorschriften schrieb, bis er sich in der Kalligraphie genügend vervollkommnet hatte. Trotz seiner Korpulenz war er außerordentlich behende im Aufsammeln der Bälle beim Lawn-Tennisspiel; und als jemand ihn fragte, wie ihm das nur möglich sei, antwortete er scherzend: »Das kommt daher, weil ich es so fleißig geübt habe.« Dieselbe Genauigkeit, die er in kleinen Dingen zeigte, offenbarte er auch in Sachen von größerer Wichtigkeit; und gleich einem Maler erwarb er sich seinen Ruf dadurch, daß er »nichts außer acht ließ.«
Um ein größeres Arbeitsmaß in befriedigender Weise zu bewältigen, braucht man auch Methode. »Die Wichtigkeit der Methode,« sagt der Reverend Richard Cecil, »erkennt man, wenn man Sachen in eine Kiste packen will. Ein guter Packer bekommt um die Hälfte mehr hinein als ein schlechter.« Die Schnelligkeit, mit welcher Cecil arbeitete, war erstaunlich. Er befolgte dabei den Grundsatz: »Um in kürzester Zeit möglichst viel zu verrichten, muß man nur immer eine Sache auf einmal abthun;« auch unterbrach er nie eine angefangene Arbeit unter dem Vorwand, daß er sie zu einer gelegeneren Zeit vollenden wolle. Wenn die Geschäfte drängten, so verkürzte er lieber seine Essens- und Schlafenszeit, als daß er seine Pflichten mangelhaft erfüllte. Ähnlich wie Cecils Devise lautete auch diejenige de Witts: »Nie mehr als ein Ding zu einer Zeit!« »Wenn ich dringende Geschäfte vorhabe.« sagte er, »so sind dieselben – so lange sie noch nicht erledigt sind – mein einziger Gedanke; und wenn häusliche Angelegenheiten meine Aufmerksamkeit erfordern, so widme ich mich ihnen mit Leib und Seele, bis ich sie geordnet habe.«
Ein französischer Minister, der ein ebenso flotter Arbeiter als Gesellschafter war, gab auf die Frage, wie er jene beiden Eigenschaften in sich vereinigen könne, zur Antwort: »Einfach dadurch, daß ich nie etwas, was heute gethan werden sollte, auf morgen verschiebe!« Lord Brougham erzählt von einem gewissen englischen Staatsmann, welcher die entgegengesetzte Gewohnheit hatte und es sich zur Regel machte, nie etwas schon heute zu thun, was bis morgen aufgeschoben werden konnte. Leider huldigen außer dem erwähnten, halb vergessenen Minister noch viele andere Menschen diesem Grundsatz, welcher die Devise der Trägheit und Untüchtigkeit darstellt. Solche Leute sind meistens auch sehr geneigt, sich auf Stellvertreter zu verlassen, denen durchaus nicht immer zu trauen ist. Wichtige Geschäfte müssen persönlich besorgt werden. Ein Sprichwort sagt: »Liegt dir daran, daß dein Werk gethan werde, so thue es selbst! Liegt dir nichts daran, so schicke einen anderen!«
Ein untüchtiger Landwirt besaß ein Freigut, welches ihm jährlich ungefähr 500 Pfund abwarf. Da er in Schulden geriet, verkaufte er die eine Hälfte der Besitzung und verpachtete die andere auf zwanzig Jahre an einen fleißigen Farmer. Noch vor Ablauf des Pachtkontrakts fragte der Pächter bei Gelegenheit der Pachtzahlung den Eigentümer, ob er ihm die Farm verkaufen wolle. »Sie wollen sie kaufen?« fragte der Besitzer erstaunt. »Ja, wenn wir uns über den Preis einigen können.« – »Das ist äußerst merkwürdig,« versetzte der andere; »erklären Sie mir doch, wie es kommt, daß – während ich als Besitzer des ganzen Gutes mich nicht darauf ernähren konnte – Sie als Pächter der halben Besitzung mir nicht nur zweihundert Pfund jährliche Pacht regelmäßig zu zahlen vermochten, sondern auch jetzt – nach wenigen Jahren – bereits imstande sind, mir das Gut abzukaufen!« – »Der Grund dafür ist leicht zu finden,« lautete die Entgegnung. »Sie saßen still und sagten zu Ihren Leuten: ›Geht!‹ Ich dagegen stand auf und sagte: ›Kommt mit!‹ Sie lagen im Bett und dachten an Ihr Vergnügen; ich erhob mich in der Frühe und ging an mein Geschäft.«
Sir Walter Scott erteilte einem jungen Manne, der eine Stellung erhalten hatte und ihn um Rat fragte, brieflich diese gute Lehre: »Hüten Sie sich vor einer gefährlichen Neigung, die sich leicht bei einem Menschen entwickelt, dessen Zeit nicht vollkommen ausgefüllt ist – ich will sagen: hüten Sie sich vor dem sogenannten ›Trödeln!‹ Ihr Wahlspruch muß sein: Hoc age! Was Sie zu thun haben, das thun Sie ohne Zaudern! und gehen Sie nie Ihrem Vergnügen nach, bevor Sie Ihre Arbeit vollendet! Bei einem auf dem Marsche befindlichen Regiment geraten die hinteren Kolonnen oft in Verwirrung, weil die vorderen sich nicht stetig und ununterbrochen fortbewegen. So ist es auch im Geschäft. Wenn die zunächstliegenden Pflichten nicht augenblicklich, stetig und regelmäßig erfüllt werden, so häufen sich andere, dahinter auf – bis zuletzt alle Arbeiten auf einmal erledigt werden sollen und kein menschliches Gehirn das Chaos zu ordnen vermag.«
Wenn wir den Wert der Zeit richtig erkennen, so kann uns dies ein Sporn zu rüstigerem Schaffen sein. Ein italienischer Philosoph pflegte zu sagen, die Zeit sei sein Landgut – ein Landgut, das bei richtiger Beackerung und Bestellung nie verfehle, Früchte zu bringen und die Mühe des fleißigen Arbeiters zu belohnen; während es – brach liegend – nichts als schädliches Unkraut und häßliche Wucherpflanzen erzeuge. Eine der weniger hervorragenden nützlichen Wirkungen der fortgesetzten Arbeit besteht darin, daß sie uns von bösen Gedanken abhält; denn fürwahr! ein müßiges Hirn ist des Teufels Werkstatt, und ein müßiger Mensch des Teufels Ruhekissen! Wer beschäftigt ist, hat gewissermaßen einen Mieter im Hause, während dem Faulen die Wohnungen leer stehen; und öffnen sich dann die Thüren der Einbildungskraft, so findet die Versuchung bald den Zugang zu den öden Räumen, und ein Heer böser Gedanken zieht darin ein. Man hat bei den Seeleuten beobachtet, daß dieselben nie so sehr zur Unzufriedenheit und Meuterei geneigt sind, als wenn sie wenig zu thun haben. Daher ließ ein alter Kapitän, wenn es an anderer Arbeit fehlte, an seine Mannschaft den Befehl ergehen: »Scheuert den Anker!«
Geschäftsleute pflegen die Redensart im Munde zu führen: »Zeit ist Geld.« Aber die Zeit ist viel mehr als Geld; richtig verwertet, bedeutet sie Selbsterziehung, Selbstvervollkommnung und Entwicklung des Charakters. Eine Stunde den Tag, die man mit Tändeleien oder in Müßiggang verbringt, würde – dem Selbstunterricht gewidmet – in wenigen Jahren aus einem unwissenden einen kenntnisreichen Menschen machen oder – zu guten Werken angewandt – das Leben fruchtbringend und den Tod zur Ernte einer Aussaat von guten Thaten gestalten. Wenn wir täglich nur fünfzehn Minuten unserer Vervollkommnung widmen, so werden wir die Wirkung davon schon am Ende des Jahres spüren. Gute Gedanken und sorgfältig gesammelte Erfahrungen beanspruchen keinen Raum und können als Begleiter überall mitgenommen werden, ohne Kosten oder Last zu machen. Eine gewissenhafte und haushälterische Benutzung der Zeit ist die beste Methode, sich Mußestunden zu sichern, sie befähigt uns, unsere Geschäfte zu bewältigen und dieselben zu führen, statt uns von ihnen drängen zu lassen. Anderseits verursacht Zeitvergeudung beständige Eile, Verwirrung und allerlei Schwierigkeiten; das Leben wird dadurch zu einem Gemisch von Notbehelfen und Verlegenheitsauskünften, denen das Unheil auf dem Fuße zu folgen pflegt. Nelson äußerte einmal: »Ich verdanke alle meine Erfolge im Leben dem Umstande, daß ich immer eine Viertelstunde vor der bestimmten Zeit auf dem Platze war.«
Manche Leute denken an den Wert des Geldes nicht eher, als bis sie damit zu Ende sind; und viele machen es genau so mit der Zeit. Sie lassen die Stunden ungenützt verfließen; und erst wenn das Leben rasch dahinebbt, erinnern sie sich der Pflicht, einen weiseren Gebrauch davon zu machen. Aber dann ist vielleicht die Gewohnheit der Unachtsamkeit und Trägheit schon zu tief eingewurzelt; und sie sind nicht mehr imstande, die Ketten zu brechen, mit denen sie sich binden ließen. Verlorener Wohlstand läßt sich durch Fleiß zurückgewinnen, verloren gegangenes Wissen durch Studium, verlorene Gesundheit durch Mäßigkeit oder Arzenei – aber die verlorene Zeit ist unersetzlich.
Wer den Wert der Zeit richtig begreift, wird sich auch der Pünktlichkeit befleißigen. »Die Pünktlichkeit.« sagt Ludwig XIV., »ist die Höflichkeit der Könige.« Sie ist aber auch die Pflicht jedes anständigen Menschen – und für Geschäftsleute eine Notwendigkeit. Nichts flößt uns mehr Vertrauen zu einen. Manne ein, als wenn wir ihn jene Tugend üben sehen; und nichts macht uns mißtrauischer gegen einen Menschen, als wenn wir merken, daß er unpünktlich ist. Wer zur verabredeten Stunde erscheint und uns nicht warten läßt, beweist damit, daß er unsere Zeit ebensosehr schätzt als die seinige. Daher ist die Pünktlichkeit einer der Wege, wie wir denjenigen, mit welchen wir geschäftlich oder anders zu thun haben, unsere persönliche Achtung beweisen können. Sie ist auch eine Art von Gewissenhaftigkeit; denn eine Verabredung ist ein ausdrücklicher oder stillschweigender Kontrakt; und wer sie nicht einhält, begeht damit nicht nur einen Wortbruch, sondern vergreift sich auch in unredlicher Weise an der Zeit seiner Mitmenschen und sinkt dadurch selbstverständlich in ihrer Achtung. Wir kommen naturgemäß zu dem Schlusse, daß ein Mensch, der mit der Zeit gewissenlos umgeht, es mit der Arbeit nicht anders machen wird und daher nicht mit wichtigen Angelegenheiten betraut werden darf. Als der Sekretär Washingtons die Schuld seines Zuspätkommens auf seine Uhr schob, entgegnete ihm sein Herr mit großer Ruhe: »So müssen Sie sich eine andere Uhr besorgen – oder ich bin gezwungen, mir einen anderen Sekretär zu suchen.«
Leute, welche mit ihrer Zeit schlecht umgehen, stören gewöhnlich die Ruhe und das Behagen anderer Menschen. Lord Chesterfield bemerkte sehr witzig über den alten Herzog von Newcastle: »Seine Gnaden verliert am Morgen eine Stunde und sucht hinterher den ganzen Tag danach herum.« Unpünktliche Leute versetzen jeden, der mit ihnen zu thun hat, von Zeit zu Zeit in fieberhafte Aufregung: denn sie kommen regelmäßig zu spät und sind nur systematisch in ihrer Unregelmäßigkeit. Sie vertrödeln so hartnäckig ihre Zeit, als ob sie damit eine Pflicht erfüllten; sie erscheinen immer erst, wenn die bestimmte Stunde längst geschlagen hat; sie treffen auf der Bahnstation ein, wenn der Zug eben abdampft, und bringen ihre Briefe zur Post, wenn dieselbe bereits geschlossen ist. So geraten ihre Geschäfte in Verwirrung; und jeder, der mit ihnen zu thun hat, verliert die Geduld. Solche unpünktlichen Leute haben meistens keinen Erfolg im Leben; sie werden beiseite geschoben und vermehren die Zahl der Unzufriedenen und Weltverbesserer.
Hervorragende Geschäftsleute müssen aber nicht nur tüchtige Arbeiter sein, sondern auch eine scharfe Beobachtungsgabe und Energie in der Ausführung ihrer Pläne besitzen. Auch Takt ist erforderlich. Derselbe ist zwar in der Hauptsache eine Gabe der Natur; aber er kann doch durch Beobachtung und Erfahrung ausgebildet und entwickelt werden. Menschen, die Takt besitzen, erkennen leicht den richtigen Weg und führen bei entschlossenem Willen ihre Unternehmungen schnell zu einem glücklichen Ende. Die genannten Tugenden sind aber besonders wertvoll – ja unentbehrlich – für diejenigen, welche in größerem Maßstabe die Thätigkeit anderer Menschen zu leiten haben, wie dies beispielsweise bei dem Oberbefehlshaber einer im Felde stehenden Armee der Fall ist. Der General muß nicht nur ein großer Krieger, sondern auch ein hervorragender Geschäftsmann sein. Er muss viel Takt, Menschenkenntnis und Organisationstalent besitzen, um die Bewegungen einer großen Menschenmasse zu lenken – die er gleichzeitig zu bespeisen, zu bekleiden und mit allem Notwendigen zu versehen hat, um sie instandzusetzen, das Feld zu behaupten und den Sieg zu gewinnen. In dieser Beziehung waren Napoleon und Wellington Geschäftsleute ersten Ranges. Obwohl Napoleon es außerordentlich liebte, auf Einzelheiten einzugehen, so besaß er doch eine lebhafte Einbildungskraft, die ihn befähigte, ein weites Arbeitsfeld zu überschauen und auch jene Einzelheiten nach einem großen Maßstab – d. h. mit scharfem Urteil und schneller Auffassungsgabe – zu behandeln. Seine Menschenkenntnis war so groß, daß er mit fast unfehlbarer Sicherheit die besten Werkzeuge für die Ausführung seiner Pläne herauszufinden wußte. Aber in wichtigen Angelegenheiten, die schwerwiegende Folgen haben konnten, vertraute er seinen Gehülfen so wenig als möglich an. Dieser Zug seines Charakters tritt in merkwürdiger Weise in der soeben erscheinenden »Korrespondenz Napoleons« hervor – ganz besonders in dem Inhalt des 15. Bandes (» Correspondance de Napoléon I., publiée par ordre de l'Empereur Napoléon III. Paris 1864). Dieser Band enthält die Briefe, Befehle und Depeschen, welche der Kaiser im Jahre 1807 – bald nach dem Siege bei Eylau – zu Finkenstein, einem kleinen Schloß an der polnischen Grenze, geschrieben hat.
Die Franzosen kampierten damals längs der Passarge – wo sie die Russen im Angesicht, die Österreicher zur Rechten, die geschlagenen Preußen im Rücken hatten. Es galt, die lange Verbindungslinie mit Frankreich inmitten des feindlichen Landes festzuhalten; und dies wurde mit solcher Umsicht bewerkstelligt, daß Napoleon auch nicht einen Posten übersehen haben soll. Die Bewegungen der Heere; die Heranziehung frischer Truppen aus den entlegeneren Teilen Frankreichs, Spaniens, Italiens und Deutschlands; die Eröffnung von Kanälen und die Anlage von Chausseen, auf welchen die Produkte Polens und Preußens schneller zu seinen Heerlagern transportiert werden konnten – alles dies nahm unaufhörlich seine Aufmerksamkeit in Anspruch und wurde bis in die kleinsten Einzelheiten von ihm beachtet. Wir sehen ihn Anweisungen über die Beschaffung neuer Pferde und der erforderlichen Sättel geben; sehen ihn Schuhe für die Soldaten bestellen und die Zahl der Brot-, Zwieback- und Spiritusrationen bestimmen, welche entweder ins Lager gebracht oder zum Gebrauch der Truppen in Magazinen aufbewahrt werden sollten. Gleichzeitig sehen wir ihn einen Brief nach Paris schreiben, in welchem er die Umgestaltung des » Collège de France« anordnet. Daneben arbeitet er ein neues Programm des Volksunterrichts aus; diktiert Bulletins und Zeitungsartikel für den »Moniteur«; revidiert die einzelnen Posten der verschiedenen Budgets; ordnet bauliche Veränderungen an den Tuilerien und der Madeleine-Kirche an; läßt einen gelegentlichen Sarkasmus gegen Frau von Staël und die Pariser Zeitschriften los; schlichtet einen zwischen den Sängern der »Großen Oper« ausgebrochenen Streit und korrespondiert sowohl mit dem Sultan der Türkei als auch mit dem Schah von Persien – sodaß eigentlich nur sein Körper in Finkenstein war, während sich sein Geist an hundert verschiedenen Orten zu gleicher Zeit – in Paris, Europa oder irgend einem Teil der Welt – zu befinden schien.
Dann wieder hören wir ihn in einem an Ney gerichteten Briefe fragen, ob der Marschall die übersandten Flinten erhalten habe: in einem anderen Schreiben beauftragt er den Prinzen Jerôme mit der Beschaffung von Hemden, Mänteln, Uniformen, Schuhen, Tschakos und Waffen für die württembergischen Regimenter; in wieder einem anderen drängt er Cambacérès, der Armee einen doppelt so großen Kornvorrat zu liefern. »Das Wenn und Aber,« sagt er, »ist hier nicht am Platze: wohl aber die größte Eile.« Dann wieder benachrichtigt er Daru, dass die Armee Hemden brauche, und daß solche noch nicht eingetroffen seien. An Massena schreibt er: »Lassen Sie mich wissen, ob Ihre Zwieback- und Brotangelegenheit geordnet ist!« Dem Großherzog von Berg erteilt er Befehle über die Ausrüstung der Kürassiere: »Ich höre darüber klagen, daß es den Leuten an Säbeln fehle; senden Sie einen Offizier nach Posen und lassen Sie ihn von dorther welche besorgen! Man sagt auch, daß es an Helmen mangele: bestellen Sie welche in Elbing! – – – – Mit Schläfrigkeit wird nichts erreicht.« So wurde kein Detail vernachlässigt und die Energie jedes einzelnen bis zur äußersten Grenze der Leistungsfähigkeit angespannt. Obgleich die Zeit des Kaisers durch Truppeninspektionen – bei welchen er an einem Tage oft dreißig bis vierzig französische Meilen zu Pferde zurücklegte – sowie durch militärische Revuen, durch Empfänge und Staatsangelegenheiten in einer Weise in Anspruch genommen wurde, die ihm für rein geschäftliche Dinge nur wenig Muße ließ, so wurden doch auch die letzteren nicht von ihm vernachlässigt; und wenn es notwendig war, wandte er den größten Teil seiner Nächte dazu an, die verschiedenen Budgets zu prüfen, Depeschen zu diktieren und die tausend kleinen Räder in der Maschinerie der kaiserlichen Regierung zu kontrollieren, deren treibende Kraft sich in seinem Haupte konzentrierte.
Wie Napoleon war auch der Herzog von Wellington ein hervorragender Geschäftsmann; und man dürfte vielleicht ohne Übertreibung behaupten, daß die geniale geschäftliche Begabung des Herzogs in nicht unbedeutender Weise dazu beigetragen hat, denselben unüberwindlich zu machen. Als Subalternoffizier war er mit dem langsamen Tempo seines Avancements unzufrieden; und nachdem er sich zweimal von der Infanterie zur Kavallerie und dann wieder zu jener zurück hatte versetzen lassen, ohne befördert zu werden: wandte er sich an Lord Camden, den damaligen Vicekönig von Irland, mit der Bitte ihm eine Anstellung bei der Finanzkammer oder am Schatzamt zu besorgen. Hätte er eine solche erhalten, so wäre er ohne Zweifel ein ausgezeichneter Staatsbeamter in hervorragender Stellung geworden; wie er in einem anderen Fall auch sicher einen vorzüglichen Kaufmann oder Fabrikanten abgegeben haben würde. Aber seine Bemühung war erfolglos; und er blieb in der englischen Armee, um deren größter General zu werden.
Wellington begann seine aktive militärische Laufbahn unter dem Herzog von York und dem General Walmoden in Flandern und Holland, wo er aus den Schlappen und Niederlagen der Armee erkannte, wie sehr eine schlechte Leitung der geschäftlichen Angelegenheiten und ein schlechtes Kommando die »Moral« der Truppen untergraben. Zehn Jahre nach seinem Eintritt in die Armee sehen wir ihn als Obersten in Indien, wo er bei seinen Vorgesetzten als ein Offizier von unermüdlicher Thatkraft und großem Fleiße galt. Er ging auf die kleinsten Einzelheiten des Dienstes ein und bemühte sich, seine Leute an eine ausgezeichnete Disciplin zu gewöhnen. »Das Regiment des Obersten Wellesley,« schrieb der General Harris im Jahre 1799. »ist ein Musterregiment, dessen militärische Haltung, Disciplin, Instruktion und gutes Betragen nicht genug gerühmt werden können.« Da der Oberst auf solche Art seine Befähigung für größere Vertrauensposten nachgewiesen, wurde er bald darauf zum Gouverneur der Stadt Mysore ernannt. In dem Mahrattenkriege wurde ihm die erste Gelegenheit geboten, sich als Feldherr zu versuchen; und im Alter von vierunddreißig Jahren gewann er die denkwürdige Schlacht bei Assane mit einer aus 1500 Briten und 5000 Seapoys (Sipoys) zusammengesetzten Armee gegen 20,000 Fußsoldaten und 30,000 Reiter der Mahratten. Aber dieser glänzende Sieg störte nicht im mindesten das Gleichgewicht seiner Seele oder die Redlichkeit seines Charakters.
Bald danach bot sich ihm eine Gelegenheit, sein wunderbar praktisches Verwaltungstalent zu beweisen. Unmittelbar nach der Einnahme von Seringapatam wurde er mit der Beaufsichtigung eines großen Distrikts betraut und ließ es nun seine erste Sorge sein, unter seinen eigenen Leuten die strengste Ordnung und Disciplin herzustellen. Vom Sieg berauscht, waren die Truppen zu Ausschweifungen und Meutereien geneigt. »Man muß den Generalprofoß herschicken und unter meinen Befehl stellen,« sagte er; »ehe nicht einige von diesen Marodeuren gehängt sind, ist Ordnung und Sicherheit nicht zu erwarten.« Obwohl die eiserne Strenge, welche Wellington in Kriegszeiten übte, der Schrecken seiner Truppen war, gereichte sie denselben in seinen Feldzügen doch vielfach zum Heil.
Hiernach war seine nächste Sorge, den Handel wieder zu beleben und die Zufuhrquellen von neuem zu erschließen. Der General Harris empfahl in einem Briefe den Obersten Wellesley mit warmen Worten der Beachtung des Generalgouverneurs, indem er ihm nachrühmte, daß er eine so vortreffliche Disciplin hielte und »durch verständige, geradezu meisterhafte Anordnungen in betreff der Zufuhr einen ungehinderten Marktverkehr hergestellt und den Händlern aller Art Vertrauen eingeflößt hätte.« Dieselbe scharfe Achtsamkeit, dasselbe Eingehen auf Einzelheiten zeichnete Wellington während seiner ganzen indischen Laufbahn aus; und es ist merkwürdig, daß eine seiner bedeutsamsten Depeschen an Lord Clive, welche viele praktische Winke über die Führung des Feldzuges enthielt, zu einer Zeit geschrieben wurde, wo die von ihm befehligte Kolonne im Angesicht der auf dem anderen Ufer stehenden, bedeutend stärkeren Armee von Dhoondiah den Toombuddra überschritt; während gleichzeitig tausenderlei Dinge von höchster Wichtigkeit seinen Geist in Anspruch nahmen. Aber es war eine seiner merkwürdigsten Fähigkeiten, daß er seine Aufmerksamkeit zeitweise von den augenblicklichen Geschäften abzulenken und mit ganzer Kraft auf völlig andere Dinge zu richten vermochte; und daß bei solchen Gelegenheiten selbst die schwierigsten Umstände ihn nicht verwirren oder einschüchtern konnten.
Als Sir Arthur Wellesley mit dem Rufe eines vortrefflichen Heerführers nach England zurückkehrte, fand sich für ihn sogleich eine passende Verwendung. Im Jahre 1808 wurde eine Armee von 10,000 Mann, welche die Befreiung Portugals bewerkstelligen sollte, unter seinen Oberbefehl gestellt. Er landete, kämpfte, gewann zwei Schlachten und unterzeichnete die Konvention von Cintra. Nach dem Tode des Sir John Moore wurde er mit der Führung einer neuen Expedition nach Portugal betraut. Aber während aller seiner Feldzüge auf der Pyrenäenhalbinsel hatte Wellington es mit einer furchtbaren Übermacht zu thun. Von 1809 bis 1813 befehligte er nie mehr als 30,000 britische Soldaten; während ihm 350,000 Franzosen – meist altgediente Krieger – gegenüberstanden, die von einigen der besten Generäle Napoleons angeführt wurden. Wie sollte er gegen eine so ungeheure Übermacht mit irgend einer Aussicht auf Erfolg kämpfen? Sein klares Urteil und sein scharfer Verstand lehrten ihn bald erkennen, daß er eine andere Taktik befolgen müsse als die spanischen Generale, die regelmäßig in die Flucht geschlagen wurden, sobald sie eine Schlacht im offenen Felde wagten. Er begriff, daß die Armee, welche mit einiger Hoffnung auf Erfolg gegen die Franzosen kämpfen könnte, von ihm erst geschaffen werden müßte. Als er sich daher nach der Schlacht bei Talavera im Jahre 1809 allseitig von überlegenen französischen Heeren umringt sah, zog er sich nach Portugal zurück, um dort konsequent die Taktik zu befolgen, zu welcher er sich mittlerweile entschlossen hatte. Er wollte eine portugiesische, unter englischen Offizieren stehende Armee bilden, die daran gewöhnt werden sollte, mit seinen eigenen Truppen gemeinsam zu operieren; wobei die Gefahr einer Niederlage durch vorläufige Ablehnung jeder Schlacht vermieden werden sollte. Auf solche Weise hoffte er die »Moral« der französischen Soldaten, die nur durch Siege aufrecht erhalten werden konnte, zu untergraben und wenn dann endlich seine eigene Armee kriegstüchtig und der Feind demoralisiert sein würde, wollte er mit seiner ganzen Macht über ihn herfallen. Die außerordentlichen Fähigkeiten, welche Lord Wellington in diesen glorreichen Feldzügen entfaltete, können nur richtig gewürdigt werden, wenn man seine Depeschen liest, welche in ungeschminkter Darstellungsweise dem Leser die mannigfachen Mittel und Wege vorführen, durch die er seine Erfolge erzielte. Nie hatte ein Mann in höherem Maße mit Schwierigkeiten und Hindernissen zu kämpfen, die in seinem Fall nicht weniger aus der Dummheit, Falschheit und Ränkesucht der damaligen britischen Regierung, als aus der Selbstsucht, Feigheit und Eitelkeit des Volkes entsprangen, welches er retten wollte. Man kann in der That sagen, daß er die Fortsetzung des Krieges in Spanien nur durch sein Selbstvertrauen und seine persönliche Festigkeit ermöglichte, die ihn auch inmitten der niederdrückendsten Erfahrungen nicht im Stiche ließen. Er hatte nicht nur mit den Veteranen Napoleons zu kämpfen, sondern mußte sich auch mit den spanischen Juntas und der portugiesischen Regentschaft herumschlagen. Auch verursachte es ihm die größte Mühe, Proviant und Kleidung für seine Truppen zu erhalten; und kaum glaublich erscheint die Thatsache, daß die Spanier, während der Herzog gegen ihre Feinde in der Schlacht bei Talavera kämpfte, zum großen Teil die Flucht ergriffen und plündernd über das Gepäck der britischen Armee herfielen. Diese und andere Ärgernisse ertrug der Herzog mit erhabener Geduld und Selbstbeherrschung, indem er seinen Weg trotz aller ihm entgegentretenden Undankbarkeit, Verräterei und Widerspenstigkeit mit unbeugsamer Festigkeit verfolgte. Er versäumte nichts und kümmerte sich persönlich um die kleinsten geschäftlichen Angelegenheiten. Als das Ausbleiben des aus England erwarteten Proviants ihm bewies, daß er die Verpflegung seiner Truppen selbst in die Hand nehmen mußte, eröffnete er sogleich in Gemeinschaft mit dem britischen Gesandten in Lissabon einen großartigen Kornhandel. Es wurden Lieferungsverträge abgeschlossen und eine Menge Korn in den Häfen des Mittelmeeres und in Südamerika aufgekauft. Nachdem er seine Magazine gefüllt, verkaufte er den Überschuß an die Portugiesen, denen es auch sehr an Proviant mangelte. Er überließ nichts dem Zufall, sondern sah jede Möglichkeit voraus. Auch die kleinsten Einzelheiten des Dienstes wurden von ihm berücksichtigt; und er pflegte sich von Zeit zu Zeit energisch mit solchen geringfügigen Dingen zu beschäftigen, wie es Soldatenstiefel, Feldkessel, Zwiebäcke und Pferdefutter dem Anscheine nach sind. Seine hervorragenden geschäftlichen Talente machten sich in ihren Wirkungen überall fühlbar; und es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß die Gewissenhaftigkeit, mit welcher er jeden möglichen Fall berücksichtigte, und die persönliche Aufmerksamkeit, die er auch dem geringfügigsten Umstand widmete, die Wurzel seiner großen Erfolge waren.Die kürzlich veröffentlichte Korrespondenz Napoleons mit seinem Bruder Joseph, sowie die Memoiren des Herzogs von Ragusa bestätigen diese Ansicht im vollsten Maße. Der Herzog überwand Napoleons Generale durch seine größere Routine. Er pflegte zu sagen, daß er, wenn nichts anderes, so doch die Kunst verstände, eine Armee zu verpflegen. Auf solche Weise verwandelte er eine Armee von ungeschulten Rekruten in die besten Krieger der Welt, mit denen er – wie er sagte – bereit gewesen sein würde, überall hinzugehen und jede Aufgabe auszuführen.
Wir haben schon auf die merkwürdige Fähigkeit hingedeutet, kraft deren er sich von der augenblicklichen Arbeit – wie dringend dieselbe auch war – loszureißen und seine ganze Energie auf die kleinsten Details einer völlig anderen Angelegenheit zu konzentrieren vermochte.
So erzählt Napier, daß er während der Vorbereitungen zur Schlacht bei Salamanca den englischen Ministern auseinandersetzen mußte, wie unsicher es sei, sich auf eine Anleihe zu verlassen. Auf den Höhen von San Christoval – auf dem Schlachtfelde selber – demonstrierte er die Thorheit des Versuchs, eine portugiesische Bank zu gründen; in den Laufgräben von Burgos kritisierte er Funchals Finanzsystem und den blödsinnigen Vorschlag, die Kirchengüter zu verkaufen; und bei jeder dieser Gelegenheiten zeigte er sich mit den betreffenden Gegenständen so genau vertraut wie mit den kleinsten Details des militärischen Organismus.
Ein anderer, den ehrenwerten Geschäftsmann verratender Zug seines Charakters war seine unerschütterliche Rechtschaffenheit. Während Soult das Land brandschatzte und zahlreiche kostbare Gemälde aus Spanien wegschleppte, eignete sich Wellington auch nicht eines Hellers Wert an. Was er requirierte, bezahlte er – selbst in Feindesland. Als er die französische Grenze mit 40,000 Spaniern passierte, die durch Raub und Plünderung »ihr Glück zu machen« gedachten, tadelte er zuerst ihre Offiziere; und als er fand, daß sie nicht zu zügeln waren, schickte er sie in ihr Vaterland zurück. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß in Frankreich die Bauern vor ihren eigenen Landsleuten flohen und ihr Eigentum unter den Schutz der britischen Truppen stellten! Zu derselben Zeit schrieb Wellington an das britische Ministerium in der Heimat: »Wir sind mit Schulden überbürdet; und ich kann mich kaum aus dem Hause rühren wegen der vielen öffentlichen Gläubiger, die mir auflauern, um die Bezahlung ihrer Forderungen zu verlangen.« Jules Maurel sagt in der Schilderung, die er von dem Charakter des Herzogs entwirft: »Nichts kann größer oder im edelsten Sinne origineller sein als dies Geständnis. Dieser alte Soldat, der auf eine dreißigjährige Dienstzeit zurückblicken kann – dieser eiserne Mann und siegreiche Feldherr, der an der Spitze einer ungeheueren Armee in Feindesland steht, fürchtet sich vor seinen Gläubigern! Diese Art der Furcht hat selten das Gemüt der Eroberer und Länderverheerer beunruhigt; und ich glaube kaum, daß sich in den Annalen des Krieges irgend etwas findet, das dieser erhabenen Einfalt gleich käme.« Hätte man aber die Sache vor dem Herzog selbst zur Sprache gebracht, so würde er höchstwahrscheinlich die Behauptung, daß er in diesem Falle groß oder edel gehandelt, energisch zurückgewiesen haben; denn eine pünktliche Bezahlung seiner Schulden war nach seiner Meinung die beste und ehrenwerteste Art, in welcher er seine Geschäfte führen konnte.
Die Wahrheit jenes alten Spruches, nach welchem »die Redlichkeit die beste Politik ist,« wird täglich durch die Erfahrung bestätigt; und im geschäftlichen Verkehr haben Rechtschaffenheit und Unbestechlichkeit genau so viel Erfolg als irgendwo anders. Daher erteilte Hugh Millers würdiger Onkel dem Neffen öfters diesen Rat: »Wenn du mit deinem Nachbar ein Geschäft abschließest, so laß ihn dabei nicht zu kurz kommen: gieb ihm ›ein voll gerüttelt und geschüttelt Maß!‹ du wirst selbst dabei schließlich nichts verlieren,« Ein wohlbekannter Bierbrauer schrieb seine Erfolge dem freigebigen Gebrauch zu, welchen er von seinem Malz machte. Indem er an den Bottich ging und die Maische kostete, pflegte er zu sagen: »Noch immer ein bißchen schwach, Jungens! gebt noch 'ne Schaufel Malz dazu!« So nahm das Bier gewissermaßen den großmütigen Charakter des Brauers an und erlangte in England, Indien und den Kolonien einen Ruf, der die Grundlage eines großen Vermögens wurde. Redlichkeit in Wort und That sollte der Eckstein jedes geschäftlichen Verkehrs sein. Dem Handelsmann, dem Kaufmann und dem Fabrikanten sollte sie dasselbe sein, was die Ehre dem Soldaten, die Barmherzigkeit dem Christen ist. Auch in dem bescheidensten Beruf wird der Mensch Gelegenheit finden, die Rechtlichkeit seines Charakters zu beweisen. Hugh Miller sagt von dem Maurermeister, bei welchem er seine Lehrzeit durchmachte, daß er »in jeden Stein, den er setzte, sein Gewissen hineingelegt habe.« So wird ein ehrenhafter Arbeiter auf die Tüchtigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Arbeit, ein anständiger Lieferant auf die gewissenhafte Erfüllung auch der kleinsten Punkte seines Kontraktes stolz sein. Der redliche Fabrikant wird durch die Trefflichkeit des von ihm produzierten Artikels, der Kaufmann durch die Echtheit und wirkliche Güte seiner Ware nicht nur Ehre und Ruf, sondern auch pekuniären Vorteil gewinnen. Der Baron Dupin hat in Bezug auf die fast allgemeine Redlichkeit der Engländer, in welcher er die Hauptursache ihres Erfolgs erblickte, gelegentlich geäußert: »Es ist möglich, daß wir für einige Zeit durch Betrug, Überrumpelung oder Gewalt allerlei Vorteile erlangen; aber einen dauernden Erfolg können wir nur durch die geradezu entgegengesetzten Mittel erzielen.«
Was einem Lande hinsichtlich seiner Produkte und seines Volkscharakters einen Vorzug vor anderen Ländern verleiht, ist weniger der Mut, die Intelligenz und Tüchtigkeit seiner Kaufleute und Fabrikanten, als deren Weisheit, Sparsamkeit – und ganz besonders ihre Redlichkeit. Sollten die fleißigen Bewohner der britischen Inseln je diese Tugenden einbüßen, so dürften wir sicher sein, daß es England in diesem Falle wie jedem anderen Lande ergehen würde: die Schiffe eines entarteten Handels würden von jeder Küste zurückgewiesen werden und bald aus jenen Meeren verschwinden, über deren Oberfläche sie jetzt die Schätze des Weltalls tragen, die sie gegen die Erzeugnisse der heimischen Industrie eingetauscht.«
Der Handel stellt den Charakter vielleicht auf eine härtere Probe als irgend ein anderer Lebensberuf. Er ist der trefflichste Probierstein der Redlichkeit, Selbstverleugnung, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit; und Geschäftsleute, die aus solcher Prüfung makellos hervorgehen, verdienen vielleicht ebenso hohen Ruhm als Krieger, die ihren Mut inmitten des Feuers und der Gefahren des Kampfes beweisen. Und zur Ehre der vielen Männer, die in den verschiedenen Zweigen des Handels thätig sind, glauben wir behaupten zu dürfen, daß sie im allgemeinen die Probe gut bestehen. Wenn wir nur einen Augenblick an die großen Wertobjekte denken, welche täglich ganz untergeordneten Personen anvertraut werden, die nicht mehr als ihren bloßen Unterhalt verdienen – an das Bargeld, das beständig durch die Hände der Ladendiener, Agenten, Makler und Bankbeamten geht – und wenn wir uns dann vergegenwärtigen, wie verhältnismäßig selten trotz der großen Versuchung ein Vertrauensbruch vorkommt, so werden wir wohl zugeben müssen, daß diese standhafte, täglich bewiesene Redlichkeit in der Lebensführung ein höchst ehrenvolles Zeugnis für die menschliche Natur ist, auf welches wir fast stolz sein dürfen. Ein gleich großes, auf Gegenseitigkeit beruhendes Vertrauen der Geschäftsleute untereinander spricht sich in dem auf dem Princip der Ehre basierenden Kreditsystem aus, welches überraschen müßte, wenn es nicht im geschäftlichen Verkehr etwas so Alltägliches wäre. Wie Dr. Chalmers sehr richtig bemerkt, bedeutet das unbedingte Vertrauen, welches die Kaufleute in entfernt (vielleicht auf der anderen Hälfte der Erdkugel) wohnende Agenten zu setzen pflegen – dergestalt, daß sie ungeheuere Summen solchen Personen in die Hand geben, die sie zwar ihrem Ruf und Namen, aber nicht ihrer Erscheinung nach kennen – vielleicht eine der schönsten Huldigungen, die ein Mensch dem anderen darbringen kann. Obwohl in den breiteren Volksschichten die Ehrlichkeit zum Glück noch vorherrscht; und obwohl auch das Gros der englischen Geschäftsleute noch redlich denkt und diese Gesinnung in seinen verschiedenen Berufszweigen offenbart, so ereignen sich leider doch heute wie zu allen Zeiten auch zahlreiche Fälle schnöder Unredlichkeit und Betrügerei von seiten gewissenloser, allzu berechnender und maßlos selbstsüchtiger Menschen, die mit Gewalt reich werden wollen. Es giebt Krämer, die ihre Waren verfälschen; Lieferanten, die Unterschleife machen; Fabrikanten, die uns Wollabgänge als Wolle – appretierte Schundware als guten Baumwollenstoff, – gußeiserne Werkzeuge als Stahlwaren – Nadeln ohne Öhre – Rasiermesser, die nur »für den Verkauf« gearbeitet sind – und Schwindelfabrikate aller Art »anschmieren.« Aber solche Handlungen sind exceptionell und werden nur von gemeinen und habsüchtigen Personen begangen, die sich wohl Reichtümer erwerben können, – möglicherweise ohne sie je zu genießen – die aber unter keinen Umständen den Ruf eines redlichen Mannes oder dasjenige erlangen werden, ohne welches der Wohlstand wertlos ist – den Frieden des Herzens! »Der Schelm hat nicht mich, sondern sein eigenes Gewissen betrogen.« sagte der Bischof Latimer von einem Messerschmied, der ihm ein Messer, welches kaum einen Penny wert war, für zwei Pence verkauft hatte. Das Geld, welches durch Gaunerei, Betrug und Übervorteilung gewonnen wird, mag eine Zeitlang die Augen gedankenloser Menschen blenden; aber die Blasen, welche durch das Wirken gewissenloser Schurken an der Oberfläche der Gesellschaft aufsteigen, zerplatzen meistens, wenn sie am größten und glänzendsten sind. Leute wie Sadleir, Redpath und der Dekan Paul nehmen gewöhnlich schon in dieser Welt ein schlimmes Ende; und wenn die Schwindeleien anderer Schurken nicht »herauskommen,« und die Früchte ihrer betrügerischen Manipulationen ihnen auch verbleiben, so werden sie ihnen zum Fluch und nicht zum Segen gereichen. Es ist möglich, daß der gewissenhafte und redliche Mensch nicht so schnell reich wird als der gewissenlose und unredliche; aber dafür ist der Erfolg des ersteren echter und dauerhafter, da er nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit erworben wurde. Und sollte ein ehrenhafter Mensch selbst längere Zeit hindurch keinen Erfolg haben, so muß er dennoch an seiner Redlichkeit festhalten; denn jeder Verlust ist klein gegen die Einbuße des Charakters, der an sich ein Vermögen darstellt. Wenn ein hochherziger Mann nur mutig und unbeirrt seinen Weg fortsetzt, so wird der Erfolg nicht ausbleiben und auch der schönste Lohn ihm nicht vorenthalten werden. So schildert Wordsworth in trefflicher Weise den »fröhlichen Kämpfer« als einen Mann:
»Der seine Pflicht erkennt und sie erfüllt;
Des Denken nur dem einen Ziele gilt;
Und der nicht zaudert und nicht wartet lang
Auf Reichtum, Ehre oder ird'schen Rang;
Auf dessen Haupt doch diese drei vor allen
Gleich Manna-Regen segnend niederfallen.«
Als Beispiel eines edel gesinnten Kaufmanns, der schon früh in redlichen Geschäftsgrundsätzen unterwiesen wurde und sich als Mann durch Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Ehrenhaftigkeit in allen seinen Handlungen auszeichnete, wollen wir den wohlbekannten David Barclay, den Enkel Robert Barclays aus Ury – des Verfassers der berühmten »Quäkerapologie« – nennen und eine kurze Schilderung seines Lebens entwerfen. Während vieler Jahre stand er an der Spitze eines großen Handelshauses in Cheapside, welches hauptsächlich mit Amerika Geschäfte machte; aber wie Granville Sharp hatte auch er eine so starte Antipathie gegen den Krieg mit unseren amerikanischen Kolonien, daß er den Entschluß faßte, sich gänzlich von den Geschäften zurückzuziehen. Als er noch Kaufmann war, zeichnete er sich ebensosehr durch seine Talente und Kenntnisse, seine Redlichkeit und Tüchtigkeit aus als er dies später durch seinen Patriotismus und seine großmütige Menschenfreundlichkeit that. Er war ein Muster von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit; und wie es einem guten Christen und echten Ehrenmann geziemt, galt sein Wort allemal so viel als seine Unterschrift. Seine Stellung und sein hohes Ansehen veranlaßten die damaligen Minister, bei verschiedenen Gelegenheiten seinen Rat einzuholen; und als er vor dem Unterhaus seine Ansicht über den amerikanischen Streit aussprechen sollte, that er dies in so klaren Ausdrücken und unter Anführung so einleuchtender Gründe, daß Lord North öffentlich erklärte, David Barclay habe ihn besser belehrt, als dies irgend ein gewiegter Sachwalter hätte thun können. Als Barclay sein Geschäft aufgab, hatte er nicht die Absicht, fortan in üppigem Müßiggang zu leben, sondern war entschlossen, sich neuen gemeinnützigen Unternehmungen zu widmen. Mit reichen Mitteln versehen, empfand er der Gesellschaft gegenüber noch die Verpflichtung, ein gutes Beispiel zu geben. Er gründete in der Nähe seines Wohnsitzes zu Walthamstow ein Industriehaus, welches er jahrelang mit großen Geldopfern unterhielt, bis es ihm endlich gelang, dasselbe zu einer Quelle des Behagens und Wohlstandes für die wohlgesinnten Armen der Nachbarschaft zu machen. Als ihm eine Besitzung in Jamaika zufiel, beschloß er sofort, allen zu dem Gute gehörigen Sklaven die Freiheit zu geben, obwohl dies für ihn einen Verlust von etwa 10,000 Pfund bedeutete. Er schickte einen Agenten hin, welcher ein Schiff mietete und das Sklavenvölkchen nach einem der freien amerikanischen Staaten brachte, wo es angesiedelt wurde und ein gedeihliches Fortkommen fand. Herr Barclay hatte sagen hören, daß die Neger zu unwissend und roh seien, um die Freiheit vertragen zu können; und es lag ihm daran, die Hinfälligkeit dieser Behauptung praktisch zu beweisen. Durch die Art und Weise, in welcher er über seine reichen Ersparnisse verfügte, machte er sich gleichsam zu seinem eigenen Testamentsvollstrecker; und anstatt bei seinem Tode ein großes, unter seine Verwandten zu verteilendes Vermögen zu hinterlassen, ließ er denselben schon bei seinen Lebzeiten seine großmütige Hilfe angedeihen. Er beobachtete und unterstützte sie auf ihren verschiedenen Lebenswegen und legte dadurch nicht nur den Grund zu einigen der größten Londoner Handelshäuser, sondern erlebte auch deren Blüte. Wir glauben, daß bis auf den heutigen Tag einige unserer bedeutendsten Kaufleute – z. B. die Gurneys, Hanburys und Burtons – mit freudiger Dankbarkeit ihre Verpflichtungen gegen den großmütigen David Barclay anerkennen würden, der ihnen ihren Eintritt in die Geschäftswelt erleichterte und ihnen auch in den späteren Stadien ihrer Laufbahn mit Rat und That zur Hand ging. Solch ein Mann steht in seinem Lande da als ein Markstein kaufmännischer Rechtschaffenheit und Redlichkeit und als ein Muster und Vorbild für die Geschäftsleute aller kommenden Zeiten.