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»Zu bange um sein Leben zagt,
Zu arm an Kraft sich fühlt,
Wer's nicht aufs Spiel zu setzen wagt,
Wenn's hohem Preise gilt!« –
Marquis von Montrose.
»Und siehe, es sind Letzten, die werden die Ersten sein,
und sind Erste, die werden die Letzten sein,«
St. Lukas.
Wir haben schon auf einige berühmte Männer aus dem Volke hingewiesen, die sich aus bescheidenen Verhältnissen durch Fleiß und Ausdauer zu bedeutenden Stellungen emporgeschwungen: wir können aber auch in den Reihen des Adels ebenso lehrreiche Beispiele finden. Der Grund dafür, daß der englische Adel sich so gut zu behaupten gewußt, liegt zum Teil darin, daß er im Gegensatz zu dem Adel anderer Länder sich von Zeit zu Zeit durch das beste Blut der englischen Industrie erneuert hat, die recht eigentlich »Leber, Herz und Hirn Großbritanniens« darstellt. Gleich dem mythologischen Antäos hat er sich erfrischt und gekräftigt durch die Berührung mit der Mutter Erde und durch die Vermischung mit dem ältesten Ritterorden – dem der Arbeit.
Das Blut aller Menschen entstammt demselben Urquell, und wenn viele auch nicht imstande sind, ihre Abstammung bis über ihre Großeltern hinaus deutlich nachzuweisen, so haben doch ohne Zweifel alle das Recht, an das obere Ende ihrer Stammtafel die Namen der großen Erzeuger des Menschengeschlechts zu setzen und es damit dem Lord Chesterfield gleichzuthun, welcher so begann:
»Adam de Stanhope –
Eva de Stanhope.«
Keine Klasse hat dauernden Bestand. Die Hohen kommen zu Fall, und die Niedrigen steigen empor. Neue Familien treten an die Stelle der alten, welche in der Menge des gemeinen Volkes verschwinden. Burkes » Vicissitudes of Families« (Familienschicksale) weisen deutlich dieses Steigen und Fallen der Familien nach und zeigen, daß die Reichen und Vornehmen verhältnismäßig größeren Unglücksfällen ausgesetzt sind als die Armen. Dieser Autor macht auch darauf aufmerksam, daß es heute in dem Hause der Peers nicht mehr einen einzigen männlichen Nachkommen jener fünfundzwanzig Barone giebt, welche einst zu Hütern der Magna Charta ernannt wurden. Bürgerkriege und Aufruhr haben viele der alten Adelsfamilien vernichtet oder zerstreut. In zahlreichen Fällen aber leben ihre Nachkommen noch und sind nur in der Masse des Volkes verborgen. Füller behauptet in seinen » Worthies« (Berühmtheiten), »daß einige Familien, die mit Recht die Namen Bohun, Mortimer und Plantagenet führen, jetzt in den Reihen des gemeinen Volkes zu finden sind.« Ebenso erzählt Burke, daß zwei direkte Nachkommen des Grafen von Kent, des sechsten Sohnes Eduards I., in einem Fleischer und einem Zolleinnehmer entdeckt wurden: daß der Urenkel der Margarete Plantagenet, der Tochter des Herzogs von Clarence zu dem Stande eines Flickschusters zu Newport in Shropshire herabsank, und daß zu den direkten Nachkommen des Herzogs von Gloucester, des Sohnes Eduards III., der verstorbene Küster der St. Georgskirche am Hannover-Square gehörte. Wie man sagt, stammt ein Sattler aus der Tooley-Street in direkter Linie von Simon de Montfort, dem Führer der englischen Barone, ab. Ein Nachkomme der »stolzen Perchs,« der auf den Titel eines Herzogs von Northumberland Anspruch machen durfte, lebte als Kofferfabrikant in Dublin; und vor nicht langer Zeit fand sich in einer Kohlengrube in Northumberland ein Arbeiter, der ein Anrecht auf den Titel eines Grafen von Perth zu haben behauptete. Während Hugh Miller als Steinmetz in der Nähe von Edinburg arbeitete, wurde er von einem Handlanger bedient, welcher einer der zahlreichen Prätendenten des gräflich-Craufordschen Erbtitels war, und den nur das Fehlen eines Trauscheins daran hinderte, seinen Ansprüchen Geltung zu verschaffen. Während die Arbeit vor sich ging, tönte es von den Mauern des Neubaues oft mehrmals am Tage: »Heda, John! Graf Crauford! bring uns noch eine Mulde Mörtel!« Einer von Oliver Cromwells Urenkeln war Gewürzkrämer auf dem Snow-Hill und andere seiner Nachkommen starben in großer Armut. Viele Barone von stolzem Namen und Titel sind auf ihrem Familiensitz gestorben wie das Faultier auf seinem Baum stirbt, wenn es alle Blätter desselben verzehrt hat; andere sind von Unglücksschlägen betroffen worden, von denen sie sich nicht erholen konnten, sodaß sie zuletzt in Armut und Elend versanken. So groß ist die Unsicherheit des Ranges und Vermögens.
Die Masse unseres Adels ist verhältnismäßig modern, was die Titel anbetrifft: aber er ist darum nicht weniger edel, weil er sich in so ausgedehntem Maße aus den Reihen der ehrenwerten Industrie rekrutiert hat. In alten Zeiten war der Reichtum und der Handel Londons, von energischen und unternehmenden Männern geleitet, eine reiche Quelle von Adelspatenten. So wurde die Peerschaft der Grafen von Cornwallis durch Thomas Cornwallis, den Cheapsider Kaufmann, begründet, sowie diejenige der Grafen von Essex durch den Tuchhändler William Capel, und der erste Graf Craven war William Craven, ein ehemaliger Schneider und Garderobenhändler. Der gegenwärtige Graf Warwick ist nicht ein Nachkomme des »Königmachers,« sondern des Wollhändlers William Greville; während die modernen Herzöge von Northumberland ihren Urahn nicht unter den Percys, sondern in Hugh Smithson, einem respektabeln Londoner Apotheker zu suchen haben. Die Begründer der Familien Dartmouth, Radnor, Ducie und Pomfret waren ein Gerber, ein Seidenhändler, ein Schneidermeister und ein Kaufmann aus Calais; während die Stifter der Adelsfamilien Tankerville, Normer und Coventry Krämer waren. Die Ahnen des Grafen Romney, des Lord Dudley und Lord Ward waren Goldschmiede und Juweliere, und Lord Dacres war Bankier unter der Regierung Karls I., wie Lord Overstone unter derjenigen der Königin Viktoria. Edward Osborne, der erste Herzog von Leeds, war Lehrling bei William Hewet, einem reichen Tuchwirker auf der Londoner Brücke, dessen einzige Tochter er mutig vom Tode des Ertrinkens errettete, indem er ihr in die Themse nachsprang – worauf er sie später heiratete. Ebenfalls aus dem Kaufmannsstande hervorgegangen sind die Adelsfamilien Fitzwilliam, Leigh, Petre, Cowper, Darnley, Hill und Carrington. Die Begründer der Häuser Foley und Normanby sind in vielen Beziehungen merkwürdig, und die Geschichte ihres Lebens verdient berichtet zu werden, da sie uns das leuchtende Beispiel eines thatkräftigen Charakters vorführt.
Der Vater Richard Foleys, der Stifter der Familie, lebte zur Zeit Karls I. als kleiner Besitzer in der Nahe von Stourbridge. Jener Ort war dazumal das Centrum der Eisenindustrie der mittleren Distrikte, und Richard wurde in einem Zweige dieser Industrie – als Nagelschmied – ausgebildet. Er konnte auf solche Weise täglich beobachten, wieviel Arbeit und Zeitverlust das plumpe, damals übliche Verfahren verursachte, vermittelst dessen man die Eisenstangen zum Zweck der Nagelfabrikation spaltete. Wie es scheint, verfiel das Gewerbe der Stourbridger Nagelschmiede allmählich infolge der Einführung schwedischer Nägel, welche auf dem Markt zu billigerem Preise verlauft wurden. Man erfuhr, daß die Schweden ihre Nägel so viel wohlfeiler anfertigen konnten, weil sie sich zum Spalten des Eisens einer Maschinerie bedienten, welche das mühsame Verfahren der englischen Nagelschmiede vollständig in den Schatten stellte.
Nachdem Richard Foley sich hierüber Klarheit verschafft, beschloß er, das neue Verfahren kennen zu lernen und seinen Zwecken dienstbar zu machen. Er verschwand plötzlich aus der Stourbridger Gegend und ließ mehrere Jahre nichts von sich hören. Keiner – auch seine Familie nicht – wußte, wo er geblieben: er hatte niemand seine Absicht mitgeteilt, da er des Gelingens nicht sicher war. Fast ohne einen Heller in der Tasche brachte er es fertig, bis Hull zu kommen, wo er sich an Bord eines nach einer schwedischen Hafenstadt abgehenden Schiffes verdingte, auf welchem er sein Passagiergeld abarbeitete. Sein einziges Eigentum war seine Geige, und als er in Schweden gelandet war, bettelte und fiedelte er sich bis zu dem Bergwerk Dannemora bei Upsala durch. Als tüchtiger Musikant und liebenswürdiger Mensch setzte er sich bald bei den Grubenarbeitern in Gunst, Er hatte zu allen Teilen des Bergwerks Zutritt und ergriff begierig die gebotene Gelegenheit, seinen Geist durch Beobachtungen zu bereichern und womöglich das Verfahren des Eisenspaltens kennen zu lernen. Nachdem er sich zu diesem Zweck längere Zeit bei seinen gütigen Freunden, den Bergleuten, aufgehalten, verschwand er plötzlich – niemand wußte, wohin.
Nach England zurückgekehrt, teilte er die Resultate seiner Reise dem Herrn Knight und noch einem anderen Stourbridger Bürger mit, und diese setzten in ihn so viel Vertrauen, daß sie ihm die erforderlichen Mittel zur Errichtung der Gebäude und zur Anschaffung der Maschinen lieferten, welche die Einführung der neuen Methode des Eisenspaltens erheischte. Aber als die Maschinerie in Gang gesetzt werden sollte, zeigte es sich zur großen Betrübnis und Enttäuschung aller Beteiligten, besonders Foleys, daß sie nicht gehen – jedenfalls keine Eisenstangen spalten wollte. Abermals verschwand Foley, Man nahm an, Scham und Arger über das Mißlingen seiner Pläne habe ihn für immer aus der Gegend vertrieben. Das war aber durchaus nicht der Fall. Foley hatte einmal den Entschluß gefaßt, das Geheimnis des Eisenspaltens zu ergründen, und daran hielt er auch jetzt noch fest. Er war wieder in Begleitung seiner Fiedel nach Schweden gereist und kam auch diesmal glücklich bis zu den Eisengruben, wo ihn die Bergleute freudig bewillkommneten und ihn – um ihres lustigen Fiedelmanns sicher zu sein – in dem Spaltwerk selber unterbrachten. Dieser Musikant erschien ihnen in allem außer seinem Geigenspiel so thöricht, daß sie nicht den mindesten Argwohn gegen ihn hegten und ihn so instand setzten, Ziel und Zweck seines Lebens zu erreichen. Er prüfte nun sorgfältig die Einrichtung des Spaltwerks und entdeckte bald die Ursache seines eigenen Mißerfolgs. Er fertigte sich Zeichnungen von den Maschinen an, obwohl er in der Zeichenkunst ganz ungeübt war, und nachdem er sich lange genug in den Gruben aufgehalten, um seine Beobachtungen auf ihre Richtigkeit prüfen und die mechanischen Vorgänge klar und deutlich seinem Geist einprägen zu können, verließ er die Bergleute wiederum, erreichte einen schwedischen Hafen und schiffte sich nach England ein. Ein Mann von so großer Entschlossenheit mußte Erfolg Haben. Nachdem er wieder bei seinen überraschten Freunden eingetroffen war, vervollständigte er seine Einrichtungen, und die Resultate waren durchaus befriedigend. Durch Geschicklichkeit und Fleiß legte er bald den Grund zu einem großen Vermögen, wahrend er gleichzeitig die Industrie eines ausgedehnten Distrikts neu belebte. Er selbst blieb lebenslang seinem Gewerbe treu, wobei er nicht unterließ, alle wohlthätigen Bestrebungen in jener Gegend zu fördern und zu ermutigen. Er stiftete und unterstützte eine Schule in Stourbridge; und sein Sohn Thomas (ein großer Wohlthäter der Stadt Kidderminster), welcher zur Zeit des »Rumpfparlaments« Obersheriff von Worcestershire war, gründete und unterhielt in Old-Swinford eine noch bestehende Anstalt zur unentgeltlichen Erziehung armer Kinder. Die älteren Foleys waren sämtlich Puritaner. Richard Baxter scheint mit mehreren Mitgliedern der Familie auf freundschaftlichem und vertrautem Fuße gestanden zu haben und erwähnt ihrer häufig in seinem Buche: » Life and Times« (Lebens- und Zeitbilder). Als Thomas Foley zum Obersheriff der Grafschaft ernannt wurde, bat er Baxter, vor ihm die übliche Predigt zu halten: und Baxter sagt über ihn in » Life and Times,« daß er »in seiner Handlungsweise so gerecht und makellos gewesen sei, daß alle, die je mit ihm zu thun gehabt, seine große, unzweifelhafte Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit rühmten.« Die Familie wurde unter Karl II. in den Adelsstand erhoben.
William Phipps, der Stifter der Familie Mulgrave oder Normanby, war in seiner Art ebenso merkwürdig als Richard Foley. Sein Vater – ein robuster Engländer – war Büchsenmacher und wohnte zu Woolwich im Staate Maine, der damals noch einen Teil unserer englischen Kolonien in Amerika bildete. William wurde im Jahre 1651 in einer Familie geboren, die nicht weniger als sechsundzwanzig Kinder (darunter einundzwanzig Söhne) zählte, deren einziges Vermögen in ihren mutigen Herzen und kräftigen Armen lag. Der Knabe scheint einen Tropfen normannischen Seefahrerbluts in seinen Adern gehabt zu haben: denn er bequemte sich nur ungern, zu dem ruhigen Schäferleben, das er in seiner frühen Jugend führen mußte. Von Natur kühn und abenteuerlustig, sehnte er sich danach, ein Seemann zu werden und die Meere zu durchkreuzen. Da er kein Schiff fand, das ihn an Bord nahm, ging er zu einem Schiffszimmermeister in die Lehre und erlernte sein Gewerbe gründlich, während er sich gleichzeitig in seinen Mußestunden die Kunst des Lesens und Schreibens aneignete. Nach Ablauf seiner Lehrzeit zog er nach Boston. Hier bewarb er sich um eine Witwe mit einigem Vermögen,, die er auch heiratete. Er richtete nun einen kleinen Schiffsbauplatz für eigene Rechnung ein, baute ein Schiff und ging, selbst damit in See, um etwa zehn Jahre lang einen mühseligen und beschwerlichen Holzhandel zu betreiben.
Als er eines Tages durch die krummen Straßen des alten, Boston ging, belauschte er zufällig das Gespräch einiger Matrosen, die von einem in der Nähe der Bahama-Inseln stattgefundenen Schiffbruch redeten, der ein spanisches, angeblich mit reichen Schätzen beladenes Fahrzeug betroffen. Seine Abenteuersucht war sogleich entfacht; und indem er ohne Zeitverlust eine passende Mannschaft zusammenbrachte, segelte er nach den Bahama-Inseln ab. Da das Wrack in der Nähe der Küste lag, so fand er es bald und rettete einen großen Teil seiner Ladung, erbeutete aber nur so wenig Geld, daß er damit kaum seine Kosten bestreiten konnte. Trotzdem hatte dieser Erfolg seinen unternehmenden Sinn nur stärker gereizt; und als er von einem noch reicher beladenen Schiff hörte, das vor mehr als einem halben Jahrhundert in der Nähe von Port de la Plata untergegangen sein sollte, faßte er sofort den Entschluß, das Wrack zu heben oder wenigstens doch die versunkenen Schätze aus dem Meere heraufzuholen.
Da er indes zu arm war, um sich ohne eine mächtige Beihilfe an solch ein Unternehmen zu wagen, fuhr er nach England hinüber, in der Hoffnung, dort Beistand zu finden. Das Gerücht von seiner erfolgreichen Hebung des Wracks bei den Bahama-Inseln war ihm schon vorausgeeilt. Er wandte sich direkt an die Regierung; sein feuriger Enthusiasmus überwand die gewöhnliche Bedächtigkeit der Beamtenseelen; und schließlich stellte ihm Karl II. die »Rose von Algier« – ein Schiff mit achtzehn Kanonen und fünfundneunzig Mann – zur Verfügung, indem er ihn selbst zum Kapitän des Fahrzeugs ernannte.
Phipps segelte nun ab, um das spanische Schiff aufzusuchen und den Schatz zu heben. Er erreichte glücklich die Küste von Hispaniola (Haiti), aber wie sollte man das gesunkene Schiff finden? Der Unfall hatte sich vor mehr als fünfzig Jahren zugetragen; und statt sicherer Nachrichten, an die man sich hatte halten können, gab es über das Ereignis nur ein unbestimmtes Gerücht. Es galt, längs eines ausgedehnten Küstenstreifens und in dem weiten Ocean, der keine Spuren aufwies, nach einem Fahrzeug zu forschen, das irgendwo auf dem tiefen Meeresgrunde lag. Aber Phipps hatte ein starkes, hoffnungsfreudiges Herz. Er wies seine Leute an, mit Zugnetzen längs der Küste zu fischen: doch wochenlang holten sie nichts herauf als Seegras, Kieselsteine und Holzstücke. Keine Beschäftigung hätte die Geduld der Matrosen auf eine härtere Probe stellen können; und sie begannen heimlich zu murren und einander zuzuflüstern, daß der Kapitän sie zu einem Narrengeschäft brauche.
Allmählich gewannen die Unzufriedenen die Oberhand, und es brach eines Tages eine offene Meuterei auf dem Schiffe aus. Ein Teil der Mannschaft stürzte auf das Quarterdeck und verlangte, daß die Reise aufgegeben werden sollte. Indessen war Phipps nicht der Mann dazu, sich einschüchtern zu lassen; er nahm die Rädelsführer fest und schickte die anderen wieder an ihre Arbeit.
Nun stellte sich jedoch die Notwendigkeit heraus, bei einer kleinen Insel vor Anker zu gehen, da das Schiff einer Reparatur bedurfte: und um das Fahrzeug zu erleichtern, wurde der größte Teil der Ladung ans Land gebracht. Inzwischen wuchs die Unzufriedenheit der Mannschaft; und die an Land Gegangenen faßten den verbrecherischen Plan, sich des Schiffes zu bemächtigen, Phipps über Bord zu werfen und dann einen Piratenzug gegen die Spanier in der Südsee zu unternehmen. Dazu mußte man sich aber der Dienste des ersten Schiffszimmermanns versichern und denselben in die Verschwörung einweihen. Der Mann war jedoch rechtschaffen und unterrichtete den Kapitän sogleich von der drohenden Gefahr. Phipps versammelte nun seine Getreuen um sich, ließ die das Ufer bestreichenden Schiffskanonen laden und befahl, die Landungsbrücke aufzuziehen. Als die Meuterer erschienen, rief der Kapitän ihnen zu, daß seine Leute auf sie schießen würden, falls sie es wagten, sich den noch an Land liegenden Vorräten zu nähern. Darauf zogen sich die Rebellen zurück. Nunmehr ließ Phipps die Vorräte unter dem Schutz seiner Kanonen wieder an Bord bringen; die Meuterer aber, welche sich davor fürchteten, auf der öden Insel allein gelassen zu werden, warfen die Waffen weg und flehten um die Erlaubnis, zu ihrer Pflicht zurückkehren zu dürfen. Der Kapitän gab ihren Bitten nach, traf aber geeignete Vorkehrungen, um sich vor künftigem Unheil zu sichern. Bei erster Gelegenheit setzte er die Meuterer an Land und heuerte andere Leute; als er aber mit seinen Nachforschungen fortfahren wollte, stellte es sich heraus, daß das Schiff notwendigerweise nach England zurückkehren mußte, um dort ausgebessert zu werden. Doch hatte Phipps jetzt eine genauere Vorstellung von dem Ort, wo das spanische Schiff untergegangen war; und wenn er vorläufig auch keinen Erfolg gehabt hatte, so vertraute er doch mehr als je auf das schließliche Gelingen seines Unternehmens.
Nach London zurückgekehrt, teilte Phipps die Resultate seiner Reise der Admiralität mit; dieselbe belobte ihn wegen seiner Bemühungen, wollte ihm aber – da er keinen Erfolg gehabt – kein neues königliches Schiff anvertrauen. Damals saß Jakob II. auf dem englischen Thron; und die Regierung hatte mit so viel Wirren zu kämpfen, daß Phipps mit seinem Goldprojekt vergeblich an sie appellierte. Er versuchte nun die erforderlichen Mittel durch eine öffentliche Subskription aufzubringen. Zuerst lachte man ihn aus; aber schließlich drang er mit seinen unaufhörlichen Vorstellungen doch durch; und nachdem er seinen Plan vier Jahre lang allen großen und einflußreichen Männern in die Ohren posaunt – während er selbst diese Zeit über in bitterer Armut lebte – erreichte er zuletzt seinen Zweck. Es bildete sich nämlich ein Konsortium von zwanzig Mitgliedern, deren bedeutendstes der Herzog von Albemarle – der Sohn des Generals Monk – war, welcher in hervorragendster Weise sich an der Zeichnung beteiligte und den größten Teil der zur Ausführung des Unternehmens erforderlichen Summe hergab.
Gleich Foley hatte Phipps auf seiner zweiten Reise mehr Erfolg als auf der ersten. Das Schiff kam ohne Unfall in Port de la Plata und bei den Klippen an, welche einst der Schauplatz des Unglücks gewesen sein sollten. Es war nun sein Erstes, daß er ein starkes, acht- bis zehnrudriges Boot baute, an welchem er eigenhändig mit zimmerte. Wie man sagt, konstruierte er auch einen Apparat nach Art der Taucherglocke, um damit den Meeresboden zu erforschen. Ein solcher Apparat war schon in Büchern beschrieben worden; aber Phipps hatte wenig gelesen: und man darf wohl annehmen, daß er den Apparat zu seinem eigenen Gebrauch neu erfunden hat. Er engagierte auch indianische Taucher, die in der Perlfischerei und anderen unterseeischen Arbeiten eine merkwürdige Geschicklichkeit besaßen.
Nachdem das Vorratsschiff und das Boot in der Nähe der Klippen Anker geworfen, machten sich die Leute an die Arbeit, ließen die Taucherglocke hinab und suchten während vieler Wochen den Meeresboden auf die verschiedenste Art ab – doch ohne eine Aussicht auf Erfolg. Trotzdem hielt Phipps sich tapfer und hoffte noch immer auf den Triumph einer scheinbar verlorenen Sache. Da ereignete es sich eines Tages, daß ein Matrose, welcher über den Schiffsbord in das klare Wasser hinabsah, unten ein seltsames Seegewächs bemerkte, das aus einer Felsenspalte hervorzusprießen schien. Sogleich rief er einen Indianer herbei und befahl ihm, hinabzutauchen und die Pflanze für ihn heraufzuholen. Als die Rothaut das Gewünschte brachte, berichtete sie, daß auf derselben Stelle des Meeresbodens eine Anzahl Schiffskanonen lägen. Die Nachricht wurde zuerst ungläubig aufgenommen, erwies sich aber bei weiterer Nachforschung als wahr. Man stellte neue Untersuchungen an: und plötzlich kam ein Taucher herauf, der eine massive Silberbarre in seinen Armen trug. Als man Phipps den Fund zeigte, rief er: »Gottlob! nun ist jeder von uns ein gemachter Mann!« Die Taucherglocke und die Taucher gingen nun, wie von einem gemeinsamen Willen beseelt, an die Arbeit; und in wenigen Tagen wurde ein Schatz heraufbefördert, der einen Wert von ungefähr 300,000 Pfund Sterling repräsentierte. Mit diesem segelte Phipps nach England hinüber. Bei seiner Ankunft suchte man den König zu überreden, daß er sich des Schiffes samt seiner Ladung bemächtigte – indem man vorgab, Phipps habe damals, als er die Erlaubnis Seiner Majestät nachsuchte, keine genaue Auskunft über das beabsichtigte Unternehmen gegeben. Doch der König erwiderte, ihm sei Phipps als ein ehrlicher Mann bekannt: darum sollte er sich den ganzen Schatz mit seinen Freunden teilen, wenn derselbe auch noch einmal so groß wäre. Der Anteil, den Phipps erhielt, betrug etwa 20,000 Pfund; und in Anerkennung seiner Energie und Redlichkeit bei der Leitung des Unternehmens verlieh ihm der König den Adel. Er wurde auch zum Obersheriff von Neu-England ernannt; und während er dies Amt verwaltete, leistete er dem Mutterlande und den Kolonisten durch seine Expeditionen gegen Port Royal und Quebec große Dienste gegen die Franzosen. Er bekleidete auch den Posten eines Gouverneurs von Massachusetts, worauf er nach England zurückkehrte und im Jahre 1695 in London starb.
Phipps schämte sich in seinen späteren Jahren durchaus nicht seines niedrigen Ursprungs, sondern war mit Recht stolz darauf, daß er, der aus der bescheidenen Stellung eines Schiffszimmermanns hervorgegangen, in den Adelsstand erhoben und mit der Regierung einer Provinz betraut worden war. Wenn die öffentlichen Angelegenheiten ihn allzu stark in Anspruch nahmen, dann sagte er wohl, daß er es viel leichter haben würde, wenn er wieder zu seiner Zimmeraxt zurückkehrte. Er hinterließ den Ruf eines ehrlichen, rechtschaffenen, vaterlandsliebenden und mutigen Mannes; und dieser Ruf ist sicherlich nicht das schlechteste Erbteil des Hauses Normanby.
William Petty, der Stammvater der Familie Landsdowne, besaß die gleiche Energie und hat seinem Lande seiner Zeit ebenso große Dienste geleistet. Er war der Sohn eines in bescheidenen Verhältnissen lebenden Tuchhändlers aus Romsey in Hampshire, wo er im Jahre 1628 geboren wurde. Als Knabe empfing er einen leidlich guten Unterricht auf der lateinischen Schule seiner Vaterstadt; später beschloß er, seine Studien auf der Universität zu Caen in der Normandie fortzusetzen. Weil ihn sein Vater nicht unterstützen konnte, suchte er sich dort selbst dadurch zu erhalten, daß er »mit einem kleinen Warenvorrat« eine Art Hausierhandel betrieb. Nach England zurückgekehrt, verheuerte er sich auf ein Schiff, dessen Kapitän ihn wegen seiner schlechten Augen »mit einem Tauende traktierte.« Er wandte sich mit Ekel von dem Seemannsberuf ab und widmete sich dem Studium der Medizin. In Paris nahm er vielfach an Sektionen teil und fertigte gleichzeitig Zeichnungen für Hobbes an, der damals seine Abhandlung über die Optik schrieb. Er geriet in solche Armut, daß er zwei oder drei Wochen ausschließlich von Walnüssen lebte. Aber wieder erwarb er sich durch einen kleinen Handel auf ehrliche Weise so viel, daß er bald – mit etwas Geld in der Tasche – nach England zurückkehren konnte. Mit entschiedenem Talent für mechanische Erfindungen begabt, nahm er ein Patent auf eine Kopiermaschine. Alsdann begann er über Kunst und Wissenschaft zu schreiben und daneben chemische und physikalische Versuche anzustellen – und dies alles mit solchem Erfolg, daß er in kurzer Zeit berühmt wurde. Im Verein mit gelehrten Männern faßte er den Plan, eine Verbindung zur Förderung der Wissenschaft zu stiften; und in seiner Wohnung fanden die ersten Versammlungen der neugebildeten »königlichen Gesellschaft« ( Royal Society) statt. In Oxford fungierte er einige Zeit als Stellvertreter des dortigen Professors der Anatomie, welcher einen großen Widerwillen vor Sektionen hatte. Im Jahre 1652 wurde sein Fleiß durch die Verleihung einer Stelle als Militärarzt in Irland belohnt, die er auch antrat, und während er sie inne hatte, war er der ärztliche Begleiter dreier aufeinander folgender Vicekönige von Irland: Lambert, Fleetwood und Henry Cromwell. Als große Pläne konfiszierten Landes unter die puritanischen Soldaten verteilt wurden, machte Petty darauf aufmerksam, daß die Ländereien nicht ordentlich vermessen waren; und trotz seiner mannigfachen Pflichten unterzog er sich selbst dieser Arbeit. Seine Ämter wurden so zahlreich und einträglich, daß die Neidischen ihn der Bestechlichkeit ziehen und bewirkten, daß er aller seiner Würden enthoben ward; doch wurde er nach der Restauration wieder zu Gnaden angenommen.
Petty war ein unermüdlicher Plänemacher, Erfinder und industrieller Unternehmer. Eine seiner Erfindungen war ein Schiff mit doppeltem Boden, das gegen Wind und Strömung zu segeln vermochte. Er gab Abhandlungen über Färberei, Nautik, Tuchweberei, politische Arithmetik und viele andere Gegenstände heraus. Er gründete Eisenhütten, eröffnete Bleigruben und verlegte sich auf den Heringsfang und Holzhandel; dabei fand er noch Zeit, an den Beratungen der »königlichen Gesellschaft« teilzunehmen und deren Bestrebungen thatkräftig zu fördern. Seine Söhne, von welchen der älteste den Titel eines »Baron Shelburne« erhielt, erbten von ihm ein großes Vermögen. Sein Testament – eine merkwürdige Urkunde – war sehr bezeichnend für seinen Charakter; es enthielt eine Schilderung der Hauptereignisse seines Lebens und der allmählichen Vergrößerung seines Vermögens. Seine Ansichten über das Pauperwesen sind charakteristisch. »Die Sitte, Legate für die Armen auszusetzen, bringt mich in Verlegenheit,« schreibt er. »Bettlern von Beruf und Neigung gebe ich nichts; solche, die Gottes Hand arbeitsunfähig gemacht hat, sollten von der Gemeinde unterhalten werden; und diejenigen, welche für keinen Beruf oder Stand erzogen sind, mögen ihrer Sippe zur Last fallen. – – – Ich für meinen Teil lasse mir an dem Ruhm genügen, daß ich alle meine armen Verwandten unterstützte und viele von ihnen instandsetzte, sich selbst ihr Brot zu verdienen; daß ich mich um das öffentliche Wohl bemühte und durch meine Erfindungen wirkliche Werke der Barmherzigkeit vollbrachte. Und hierdurch beschwöre ich jeden meiner Erben, daß er von Zeit zu Zeit auf seine Gefahr das Gleiche thue. Um aber dem Herkommen zu entsprechen und mit der Majorität zu gehen, vermache ich 20 Pfund dem Bedürftigsten des Kirchspiels, in welchem ich sterbe.« Man setzte ihn in der schönen, alten, normannischen Kirche zu Romsey bei – in derselben Stadt, wo er als der Sohn eines armen Mannes geboren wurde – und an der Südseite des Chores ist noch eine einfache Steinplatte mit der von einem ungebildeten Arbeiter eingravierten Inschrift zu sehen:
»Hier ruht Sir William Petty.«
Eine andere Familie, welche wegen ihrer Verdienste auf dem Gebiet der Erfindungen und des Handels in unseren Tagen geadelt wurde, ist die Familie Strutt aus Belper. Ihr Adelspatent wurde virtuell dadurch vorbereitet, daß Jedediah Strutt im Jahre 1758 seinen Wirkstuhl zur Herstellung gerippter Strümpfe erfand und so den Grund zu einem Vermögen legte, das die späteren Träger des Namens sehr vergrößert und in edler Weise angewandt haben. Der Vater des Jedediah – ein Farmer und Mälzer – that für die Erziehung seiner Kinder nur wenig; und dennoch gediehen sie alle. Jedediah war der zweitälteste Sohn und half seinem Vater bei den ländlichen Arbeiten. Schon früh zeigte sich bei ihm eine Neigung zur Mechanik, und er verbesserte die rohen Ackergeräte jener Zeit in mannigfacher Weise. Nach dem Tode seines Onkels erbte er ein Pachtgut zu Blackwall bei Normanton, das die Familie lange inne gehabt, und bald danach heiratete er Fräulein Wollatt, die Tochter eines Strumpfwirkers aus Derby. Als er von dem Bruder seiner Frau hörte, daß man mehrfach – aber stets vergeblich – versucht habe, gerippte Strümpfe zu weben, fing er selbst an, sich mit diesem Gegenstand zu beschäftigen – in der Absicht, etwas auszuführen, was anderen mißlungen war. Er besorgte sich demgemäß einen Strumpfwirkerstuhl, und nachdem er sich mit der Konstruktion und Handhabung desselben vertraut gemacht, begann er allerlei Verbesserungen daran anzubringen, vermittelst deren er das einfache Maschengewebe des Stuhls variierte und schließlich auch das »gerippte« Muster hervorbrachte. Sobald er auf seinen verbesserten Wirkstuhl ein Patent genommen, zog er nach Derby und betrieb dort die Fabrikation gerippter Strümpfe in großem Maßstäbe, womit er viel Glück hatte. Später associerte er sich mit Arkwright, von dessen Verdiensten als Erfinder er vollkommen überzeugt war. Er machte es möglich, sein Patent zu sichern und mit ihm gemeinschaftlich eine große Baumwollenspinnerei zu Cranford in Derbyshire einzurichten. Nachdem der Societäts-Kontrakt mit Arkwright abgelaufen, legten die Strutts ausgedehnte Baumwollenspinnereien in Milford bei Belper an, welche letztere Stadt dem gegenwärtigen Haupt der Familie mit Recht den Namen gegeben hat. Der Begründer des Hauses hatte Söhne, die sich gleich ihm durch mechanische Geschicklichkeit auszeichneten. So soll William Strutt, der älteste Sohn, eine selbstthätige Mulemaschine erfunden haben, deren Erfolg nur dadurch verhindert wurde, daß die mechanische Geschicklichkeit jener Zeit nicht mit ihrer Industrie im Einklang stand. Edward, Williams Sohn, besaß eine hervorragende mechanische Begabung. Frühe schon erfand er das System der »Suspensionsräder« und ließ sich nach demselben einen Schubkarren und zwei Wagen anfertigen, die er auf seiner Farm bei Belper benutzte. Wir wollen noch hinzufügen, daß die Strutts den Reichtum, welchen sie sich durch Fleiß und Geschicklichkeit erwarben, allezeit in hervorragend edler Weise verwandten; daß sie auf alle Art die moralische und sociale Stellung der von ihnen beschäftigten Arbeiter zu heben suchten; und daß sie für gute Zwecke stets eine offene Hand hatten – wofür der schöne Park (das »Arboretum«) zu Derby, welches Herr Joseph Strutt den Bürgern der Stadt zum ewigen Eigentum schenkte, nur ein Beweis unter vielen ist. Die Schlußworte der kurzen Rede, welche er bei der Übergabe dieses wertvollen Geschenkes hielt, sind des Berichtens und Erinnerns wert. Sie lauteten: »Da mir die Sonne während meines Lebens so hell geschienen hat, so würde es undankbar sein, wenn ich nicht einen Teil meines Vermögens dazu anwenden wollte, das Wohl derjenigen zu fördern, unter welchen ich lebe, und deren Fleiß mir bei meinen Bestrebungen behilflich gewesen ist.«
Nicht weniger Eifer und Energie haben die vielen wackeren Männer der Gegenwart und Vergangenheit bewiesen, die durch ihre Tapferkeit zu Lande oder zur See den Adel errangen. Wir denken dabei nicht nur an die alten feudalen Lords, deren Lehen von militärischen Diensten herrührten, sondern mehr noch an Nelson, St. Vincent und Lyons – an Wellington, Hill Hardinge, Clyde und viele andere Männer der neueren Zeit, die sich ihren Rang durch ausgezeichnete Leistungen rechtschaffen verdienten. Doch am häufigsten hat sich der gewissenhafte Fleiß seinen Weg in den Adelsstand durch den ehrenwerten juristischen Beruf gebahnt. Nicht weniger als siebzig Adelsfamilien – darunter zwei herzogliche Häuser – sind durch hervorragende Rechtsanwälte begründet worden. Mansfield und Erskine waren freilich von vornehmer Geburt; aber der letztere pflegte Gott dafür zu danken, daß es in seiner eigenen Familie keinen Lord gab.Mansfield verdankte seinen vornehmen Verwandten nichts: denn diese waren selber arm und ohne Einfluß, Sein Erfolg war das wohlverdiente und logische Resultat fleißig geübter Fähigkeiten. Als Knabe legte er den Weg von Schottland nach London auf einem Pony zurück – zu welcher Reise er zwei Monate brauchte. Nach Absolvierung der Schule und Universität widmete er sich dem juristischen Beruf und beschloß ein Leben geduldiger, unaufhörlicher Arbeit als Lord-Oberrichter von England – d.h. als Inhaber eines Postens, dessen Funktionen er nach allgemeinem Urteil mit unübertrefflicher Geschicklichkeit, Gerechtigkeit und Ehrenhaftigkeit erfüllte. Die anderen waren größtenteils Söhne von Sachwaltern, Krämern, Geistlichen, Kaufleuten und schwer arbeitenden Männern aus dem Mittelstand. Aus solchen Verhältnissen gingen die Adelsfamilien Howard und Cavendish hervor, deren beiderseitiger Stifter Richter waren; ferner die Familien Aylesford, Ellenborough, Guildford, Shaftesbury, Hardwicke, Cardigan, Clarendon, Camden, Ellesmere, Roßlyn – und viele andere, die unserer Zeit noch näher stehen, wie die Häuser Tenterden, Eldon, Brougham, Denman, Truro, Lyndhurst, St. Leonards. Cranworth, Campbell und Chelmsford. Lord Lyndhursts Vater war Portraitmaler, und derjenige St. Leonards war ein Parfümeriehändler und Friseur aus der Burlington-Street. Der junge Edward Sugden war ursprünglich Laufbursche bei dem verstorbenen Herrn Groom, einem Rechtsanwalt und Notar, dessen Bureau Ecke Henrietta-Street und Cavendish-Square lag; und dort nahm der spätere Großkanzler von Irland seine ersten juristischen Anschauungen in sich auf. Die bescheidenste Herkunft war vielleicht die des Lord Tenterden: doch schämte er sich derselben durchaus nicht, weil er fühlte, daß er seine hervorragende Stellung in erster Linie dem eigenen Fleiß, der eigenen Strebsamkeit und Tüchtigkeit verdankte. Man erzählt von ihm, daß er bei einer Gelegenheit seinen Sohn Charles zu einer kleinen Bude führte, die der Westseite der Kathedrale von Canterbury gegenüber lag, und daß er, darauf hinweisend, zu ihm sagte: »Sieh dir diesen kleinen Laden an, Charles! Ich habe dich hierhergebracht, um ihn dir zu zeigen. Dort pflegte dein Großvater seine Kunden für einen Penny zu rasieren – das ist der stolzeste Gedanke meines Lebens.« Als Knabe mußte Lord Tenterden in der Kathedrale mitsingen, und es ist ein merkwürdiger Umstand, daß eine Enttäuschung seinem Leben eine andere Bestimmung gab. Als er in Gesellschaft des Richters Richards den heimatlichen Bezirk bereiste, wohnten sie gemeinschaftlich dem Gottesdienst in der Kathedrale bei. Herr Richards lobte die Stimme eines Chorsängers, und Lord Tenterden erwiderte darauf: »Ach! dies ist der einzige Mensch, den ich je beneidet habe. Als wir noch als Knaben in dieser Stadt zur Schule gingen, bewarben wir uns beide um die Stelle eines Chorsängers, und ihm wurde sie verliehen.«
In nicht weniger merkwürdiger Weise gelangten der rauhe Kenyon und der stämmige Ellenborough zu der hervorragenden Stellung eines Lord-Oberrichters; und dasselbe Amt bekleidete vor nicht langer Zeit ein ebenso bedeutender Mann – der scharfsinnige Lord Campbell, der verstorbene Großkanzler von England, welcher der Sohn eines Landpfarrers aus Fifeshire war. Viele Jahre arbeitete er und mühte sich als Zeitungsreporter, während er sich gleichzeitig auf die Ausübung seines Berufs vorbereitete. Man erzählt von ihm, daß er zu Anfang seiner Laufbahn bei seinen amtlichen Rundreisen von einer Stadt der Grafschaft bis zur anderen zu Fuß zu gehen pflegte, da er noch zu arm war, um sich den Luxus einer Postfahrt zu leisten. Doch Schritt um Schritt stieg er langsam, aber sicher zu jener Höhe und Bedeutung empor, welche ein ehrenhafter und energischer Fleiß allemal – sowohl auf juristischem, als auch auf jedem anderen Gebiet – erreichen wird.
Es giebt noch weitere berühmte Beispiele von Großkanzlern, welche die steile Höhe des Ruhms und der Ehre mit der gleichen Energie und dem gleichen Glück erklommen haben. Die Laufbahn des verstorbenen Lord Eldon liefert hierfür Vielleicht eins der merkwürdigsten Beispiele. Er war der Sohn eines Kohlenhändlers aus Newcastle und als Knabe eher zu unnützen Streichen als zum Lernen aufgelegt – in der Schule ein großer Faulpelz und Taugenichts, der oft furchtbar durchgeprügelt wurde, da das Plündern der Obstgärten zu den beliebtesten Heldenthaten des späteren Großkanzlers gehörte. Sein Vater, der zuerst daran gedacht hatte, ihn zu einem Gewürzkrämer in die Lehre zu geben, war später halb und halb entschlossen, ihn in sein eigenes Geschäft zu nehmen und ihn auch das Gewerbe eines Kohlenhändlers erlernen zu lassen. Aber um diese Zeit schrieb ihm sein ältester Sohn William (der spätere Lord Stowell), welcher ein Stipendium an der Oxforder Universität erhalten hatte: »Schicke Jack zu mir! Ich weiß Besseres mit ihm anzufangen.« John wurde demgemäß nach Oxford gesandt, wo er durch seines Bruders Einfluß und durch eigenen Fleiß eine Stiftsstelle erlangte.
Aber als er zu den Ferien nach Hause kam, hatte er das Unglück oder vielmehr – wie es sich später zeigte – das Glück sich zu verlieben. Er entführte seine Braut, floh mit ihr über die Grenze und heiratete sie, wodurch er sich nach der Ansicht seiner Freunde für sein ganzes Leben ruinierte. Er hatte, als er sich vermählte, weder Haus noch Heimat und nicht einen Heller Einnahme. Er verlor seine Stiftsstelle; und gleichzeitig verschloß ihm seine Handlungsweise die geistliche Laufbahn, für die er bestimmt war – weshalb er sich dem juristischen Studium zuwandte. Er schrieb damals an einen Freund: »Ich habe mich mit meiner Heirat übereilt; aber ich bin entschlossen, aus allen Kräften zu arbeiten, um für den Unterhalt der Frau zu sorgen, welche ich liebe.«
John Scott kam darauf nach London und mietete ein kleines Haus in der Cursitor-Lane, wo er sich an das Studium der Rechte machte. Er arbeitete mit großer Emsigkeit und Energie – von vier Uhr morgens bis spät in die Nacht – indem er sich oft ein nasses Handtuch um den Kopf band, um sich wach zu erhalten. Zu arm, um sich unter der Leitung eines Advokaten auszubilden, schrieb er drei Foliobände aus einer handschriftlichen Sammlung von Präcedenzfällen ab. Lange danach, als er bereits Großkanzler war, ging er einmal die Cursitor-Lane entlang und sagte dabei zu seinem Sekretär:, »Hier hatte ich mich zuerst niedergelassen. Ich denke noch daran, wie oft ich mit einem Sixpence in der Hand diese Straße durchwandert habe, um Sprotten zum Abendessen zu kaufen.« Nachdem er endlich als Rechtsanwalt zugelassen worden, mußte er lange auf Klienten warten. Er nahm vier Jahre hindurch eifrig an den Sitzungen der Londoner Gerichtshöfe und an den richterlichen Rundreisen im Nordbezirk teil, aber mit nicht viel besserem Erfolg. Auch in seiner Heimatstadt waren es fast immer nur arme Klienten, die sich an ihn wandten. Diese Resultate waren in Wahrheit so entmutigend, daß er nahe daran war, das Geschäft in London ganz aufzugeben und sich in irgend einer Provinzialstadt als Volksanwalt niederzulassen. Sein Bruder William schrieb nach Hause: »Bei dem armen Jack geht das Geschäft flau, sehr flau!« Aber wie er dem Schicksal entgangen war, ein Gewürzkrämer, ein Kohlenhändler oder Landpfarrer zu werden, so blieb ihm auch die Stellung eines Volksanwalts erspart.
Endlich fand sich eine Gelegenheit, bei welcher John Scott die eingehende Gesetzeskenntnis zeigen konnte, die er sich mit so großem Fleiß erworben. Als er einst vor Gericht eine Sache verfechten sollte, verlangte er gegen den Wunsch des Staatsanwalts und selbst gegen den seines eigenen Klienten die Heranziehung eines bestimmten Gesetzesparagraphen. Der Gerichtshof entschied gegen ihn; aber nach einem Appell an das Haus der Lords verwarf Lord Thurlow diese Entscheidung auf Grund desselben Paragraphen, auf den sich Scott berufen hatte. Als er an diesem Tage das Haus verließ, klopfte ihm ein Advokat auf die Schulter und sagte: »Junger Mann, jetzt ist Ihr Glück gemacht!« Und diese Prophezeiung erfüllte sich. Lord Mansfield pflegte zu sagen, daß er keine Mittelstufe zwischen »keiner« Einnahme und einem Einkommen von 3000 Pfund jährlich kenne; und Scott hätte dasselbe sagen können; denn er kam nun so rasch vorwärts, daß er im Jahre 1783 mit erst zweiunddreißig Jahren königlicher Rat, Präsident der Gerichtskommission für den Nordbezirk und parlamentarischer Vertreter der Stadt Weoblay war. Durch die gewissenhafte und unermüdliche Arbeit zu Anfang seiner Laufbahn legte er den Grund zu seinen späteren Erfolgen. Er errang sich die Sporen durch Beharrlichkeit, Gelehrsamkeit und sorgfältig ausgebildete Begabung. Er wurde der Reihe nach zu den Ämtern eines Generalprokurators und Kronanwalts berufen und erhob sich, beständig aufsteigend, zu dem höchsten Amt, das die Krone zu verleihen hat – dem des Groß- oder Lordkanzlers von England, welches er während eines Vierteljahrhunderts innehatte.
Henry Bickersteth war der Sohn eines Wundarztes aus Kirkby-Lonsdale in Westmoreland und wurde für denselben Beruf erzogen. Als Student der Edinburger Universität zeichnete er sich durch die Stetigkeit aus, mit welcher er arbeitete, und durch den Fleiß, den er auf das Studium der Medizin verwandte. Nach Kirkby-Lonsdale zurückgekehrt, half er dem Vater in seiner Praxis; doch fand er an dieser Beschäftigung wenig Gefallen und wurde auch des eintönigen Lebens in dem kleinen Marktflecken bald überdrüssig. Dennoch studierte er eifrig weiter und beschäftigte sich mit Untersuchungen auf den schwierigeren Gebieten der Physiologie. In Übereinstimmung mit seinen eigenen Wünschen wurde er von seinem Vater nach Cambridge geschickt, wo er zum Doktor promovieren wollte, um sich dann als Arzt in der Metropole niederzulassen. Ein allzu eifriges Studium jedoch erschütterte seine Gesundheit; und um dieselbe wiederherzustellen, nahm er ein Engagement als Leibarzt und Reisebegleiter bei Lord Oxford an. In der Fremde lernte er italienisch sprechen und die italienische Literatur bewundern, während sich seine Liebe zur medizinischen Wissenschaft durchaus nicht steigerte. Im Gegenteil kam er zu dem Entschluß, ihr ganz zu entsagen. Dennoch erwarb er sich bei seiner Rückkehr nach Cambridge die Doktorwürde; und wie fleißig er zu diesem Zweck gearbeitet, geht aus dem Umstand hervor, daß er der Bestgraduierte seines Jahrgangs war. Da sich seinem Wunsch, in die Armee einzutreten, Hindernisse entgegenstellten, so wandte er sich dem Studium der Rechtswissenschaft zu und wurde als Student in den »Inneren Tempel« aufgenommen. Er war als Rechtsbeflissener ebenso eifrig wie er es als Mediziner gewesen. An seinen Vater schrieb er: »Jedermann versichert mir, daß ich durch beharrlichen Fleiß ans Ziel kommen werde; und obwohl ich nicht recht verstehe, wie dies möglich ist, versuche ich doch nach Kräften daran zu glauben, und werde nicht unterlassen, alles zu thun, was ich irgend vermag.« Mit achtundzwanzig Jahren wurde er Rechtsanwalt (Barrister) und hatte noch nichts vor sich gebracht. Seine Mittel waren beschränkt; und er lebte von den Unterstützungen seiner Freunde. Jahre hindurch studierte und wartete er; aber es wollten sich keine Klienten finden. Er beschränkte sich im Vergnügen, in der Kleidung und selbst in der Nahrung, während er sich unermüdlich durch alle Schwierigkeiten durchkämpfte. In einem Briefe an die Seinigen bekannte er, »daß er kaum noch wisse, wie er sich weiter durchschlagen solle, wenn er nicht Zeit und Gelegenheit finde, sich zu erholen.« Nachdem er noch drei Jahre vergeblich gewartet, schrieb er an seine Freunde, er wolle ihnen nicht länger zur Last fallen, sondern lieber die Sache aufgeben und nach Cambridge ziehen; dort sei er sicher, »Unterstützung und auch einigen Verdienst« zu finden. Darauf sandten ihm die Freunde aus der Heimat noch eine kleine Geldsumme, die ihn zum Bleiben veranlaßte. Und nun fanden sich allmählich die Klienten. Da er kleinere Rechtsfälle geschickt behandelte, wurde er bald mit wichtigeren Angelegenheiten betraut. Er war ein Mensch, der nie eine Gelegenheit ungenützt vorübergehen und sich nie einen redlichen Vorteil entschlüpfen ließ. Sein unermüdlicher Fleiß hatte bald Einfluß auf seine Vermögenslage. In wenigen Jahren konnte er nicht nur die Unterstützungen von daheim entbehren, sondern auch seine Schulden mit Zinsen abzahlen. Die Wolken hatten sich zerteilt; und das spätere Leben des Henry Bickersteth war reich an Ehre, Gewinn und edlem Ruhm. Er beschloß seine Laufbahn als Urkundenbewahrer, während er gleichzeitig unter dem Namen eines Baron Langdale im Oberhaus saß. Sein Leben zeigt abermals, in wie hohem Maße Geduld, Beharrlichkeit und gewissenhafte Arbeit imstande sind, den Charakter des Individuums zu veredeln und seine Arbeiten mit vollem Erfolg zu krönen.
So haben wir dem Leser einige von den ausgezeichneten Männern vorgeführt, die durch den gewissenhaften Gebrauch oft nur mittelmäßiger, aber durch Fleiß und Übung verstärkter Fähigkeiten sich in ehrenvoller Weise den Weg zu den höchsten Stellungen bahnten und in ihrem Beruf die größten Erfolge errangen.