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Der alte Sachar kehrte nach Kijew zurück, nachdem er einige Tage gerastet hatte; unterdessen war die Nachricht gekommen, daß die Kommissare ohne große Friedenshoffnungen zurückgekehrt waren, ja, daß sie ganz am Zustandekommen des Friedens zweifelten. Sie hatten nur vermocht, einen Waffenstillstand bis zu den russischen Pfingsten auszuwirken, dann sollte eine neue Kommission zusammentreten, um mit der ganzen saporogischen Macht Verträge abzuschließen. Die Bedingungen und Ansprüche Chmielnizkis waren jedoch so große, daß niemand glaubte, die Republik werde sie annehmen können. Man bereitete also beiderseits gewaltige Rüstungen vor. Chmielnizki sandte Boten auf Boten an den Khan mit der Aufforderung, ihm mit sämtlichen Truppen zu Hilfe zu eilen; er schickte auch nach Stambul, wo seit längerer Zeit Bietschynski als Botschafter des Königs weilte, – in der Republik erwartete man jeden Augenblick den Aufruf zum allgemeinen Aufgebot. Es liefen Nachrichten von der Ernennung neuer Führer ein – als welche genannt wurden: der Mundschenk Ostrorog, Landskron und Firlej; auch wurde von dem vollständigen Zurückdrängen des Fürsten Jeremias Wischniowiezki von allen militärischen Angelegenheiten gesprochen. Er konnte fernerhin das Vaterland nur noch mit Hilfe seiner eigenen Truppen schützen. Nicht nur die fürstlichen Soldaten, nicht nur der reußische Adel, sondern sogar die Anhänger der früheren Regimentarier waren über diese Wahl empört, da sie mit Recht schlossen, daß, wenn die Aufopferung Wischniowiezkis Anerkennung gefunden habe, solange Hoffnung war, Verträge abzuschließen, seine Abdankung im Falle des Krieges ein unverzeihlicher Fehler war, da er allein mit Chmielnizki sich zu messen und diesen ausgezeichneten Rebellenführer zu besiegen vermochte. Endlich kam der Fürst selbst nach Sbarasch, um möglichst viel Truppen zusammenzuziehen und kampfbereit dem Kriege entgegenzusehen. Der Waffenstillstand war geschlossen, erwies sich aber alle Augenblicke als unzureichend. Chmielnizki ließ zwar mehrere hier und da verstreut liegende Hauptleute köpfen, wenn sie entgegen dem Übereinkommen sich Überfälle auf Schlösser und Truppen erlaubten, aber er war machtlos der zahllosen Menge des umherziehenden Gesindels gegenüber, welches entweder von dem Waffenstillstand nichts wußte, oder nichts wissen wollte, oder die Bedeutung des Wortes gar nicht kannte. Sie fielen also unaufhörlich in die durch das Übereinkommen gesicherten Grenzen ein und warfen damit alle Versprechungen Chmielnizkis über den Haufen. Andererseits überschritten Privattruppen und Grenzsoldaten bei der Verfolgung der Räuber sehr oft den Pripet und Horyn in dem Kijewer Gebiet, oder jagten im Eifer bis in das Innere der Brazlawer Wojewodschaft und fochten dort, von dem Kosakenvolk überfallen, förmliche Schlachten, die oft genug sehr hitzig und blutig verliefen. Daraus entstanden unaufhörliche Streitigkeiten wegen Wortbruchs, welche zu verhindern tatsächlich niemand die Macht hatte. Die Waffenruhe bestand daher nur insoweit, als Chmielnizki selbst einer- und der König und die Hetmane andererseits nicht ins Feld zogen, aber der Krieg war faktisch schon entbrannt, noch ehe die Hauptmächte zum Kampfe zogen, und die ersten wärmeren Strahlen der Frühlingssonne beleuchteten wie früher brennende Dörfer, Städtchen, Schlösser, sie beschienen Metzeleien und menschliches Elend.
Ganze Banden der Rebellen kamen von Bar, Chmielnik und Machnowka her, bis dicht unter Sbarasch sengend, raubend und mordend. Diese ließ Jeremias niederhauen, er selbst beteiligte sich nicht an diesem Krieg im kleinen, und wollte erst dann mit seiner ganzen Division ins Feld rücken, wenn auch die Hetmane das taten.
Er schickte also Streifzüge aus, mit dem Befehl, Blut mit Blut zu zahlen, und mit dem Pfahl für Raub und Mord.
Unter anderen zog auch Longinus aus und focht bei Tscharny-Ostrow; aber er war nur im Kampfe fürchterlich, mit den Gefangenen ging er viel zu sanft um, darum schickte man ihn nicht mehr aus. Besonders zeichnete sich bei diesen Expeditionen Wolodyjowski aus, welcher als Partisan vielleicht nur noch in Wierschul einen Ebenbürtigen fand. Niemand verstand so blitzschnell zu überrumpeln, niemand den Feind so unbemerkt zu beschleichen, ihn in tollem Überfall in alle vier Winde zu versprengen, einzufangen, zu schlagen und aufzuhängen wie er. In kurzem erregte er ringsum Schrecken und erwarb sich die Gunst des Fürsten.
Gegen Mitte Mai kehrte Herr Wolodyjowski von einem Ritt so traurig und bekümmert zurück, als hätte er eine Niederlage erlitten und seine Leute ruiniert. So schien es allen, aber es war eine irrige Vermutung. Im Gegenteil: Wolodyjowski war auf dieser langen und beschwerlichen Expedition bis hinter Ostrog und Holownia vorgedrungen und hatte dort nicht eine gewöhnliche Bande Meuterer, sondern eine mehrere hundert Mann starke Abteilung Saporogen angetroffen, die er zur Hälfte niedergehauen, zur Hälfte gefangen genommen hatte. Um so seltsamer war die tiefe Trauer, welche sein von Natur fröhliches Antlitz wie mit einem Schleier bedeckte. Viele wollten sogleich die Ursache davon wissen, aber Wolodyjowski sagte ihnen kein Wort, sondern ging, kaum vom Pferde gestiegen, in Begleitung zweier unbekannter Ritter zu einer langen Unterredung zum Fürsten und begab sich hierauf mit ihnen zu Sagloba mit unaufhaltsamer Eile, obgleich Neugierige ihn sogar am Ärmel faßten.
Sagloba sah mit einer gewissen Verwunderung auf die beiden riesenhaften Männer, die er zuvor nie gesehen hatte, und deren Schmuck mit goldener Schleife auf den Schultern anzeigte, daß sie im litauischen Heere dienten. Wolodyjowski aber sagte:
»Schließt die Tür, Herr, und laßt niemanden herein, denn wir haben wichtige Dinge zu verhandeln.«
Sagloba erteilte dem Diener Befehle, dann blickte er unruhig auf die Angekommenen, aus ihren Mienen erkennend, daß sie nichts Gutes brächten.
»Hier sind,« sagte Wolodyjowski, auf die Jünglinge zeigend, »die Fürsten Bulychow-Kurzewitsch, Georg und Andreas.«
»Die Vettern Helenens!« rief Sagloba aus.
Die Fürsten verbeugten sich, und gleichzeitig antworteten beide:
»Die Vettern der verstorbenen Helene.«
Saglobas rotes Gesicht wurde plötzlich bläulich-weiß, er fuhr mit den Händen durch die Luft, als hätte ihn eine Kugel getroffen, er öffnete, nach Atem ringend, den Mund, und mit glotzenden Augen sagte oder stöhnte er vielmehr:
»Wie das?«
»Wir haben Nachricht, daß die Prinzessin im Kloster des guten Nikolaus ermordet wurde,« sagte traurig Wolodyjowski.
»Das Raubgesindel räucherte in einer Zelle zwölf Fräuleins und etliche Nonnen aus, unter denen sich auch unsere Base befand,« setzte Fürst Georg hinzu.
Sagloba antwortete diesmal gar nicht, nur sein eben noch bleiches Gesicht wurde so rot, daß die Anwesenden einen Blutsturz befürchteten. Dann sanken ihm allmählich die Lider über die Augen, welche er mit den Händen bedeckte, und dem Munde entrang sich ein neues Stöhnen.
»Gott! o Gott! – Gott!«
Dann blieb er still.
Und die Fürsten und Wolodyjowski fingen an zu klagen:
»Da haben wir Freunde und Verwandte uns nun zusammengetan, um dir, liebliches Mädchen, Rettung zu bringen,« sagte ein über das andere Mal seufzend der kleine Ritter, »aber wir sind zu spät gekommen mit unserer Hilfe. Umsonst ist unser guter Wille, umsonst unser Mut, unser Schwert, denn du weilst schon in einer anderen, besseren Welt, als diese hier, im Gefolge der Himmelskönigin.«
»Schwester,« rief der riesenhafte Georg, welchen wieder der Schmerz packte, »vergib uns unsere Schuld, und wir wollen für jeden Tropfen deines Blutes einen Eimer Feindesblut vergießen.«
»Wozu uns Gott helfe,« setzte Andreas hinzu.
Und beide Männer streckten die Hände zum Himmel, Sagloba aber stand vom Schemel auf, ging ein paar Schritte bis zu seinem Lager, schwankte wie trunken und fiel dann vor dem Heiligenbilde auf die Kniee.
Nach einer Weile läuteten die Glocken die Mittagsstunde. Sie klangen so düster, als läuteten sie ein Trauergeläute.
»Sie ist nicht mehr!« sagte Wolodyjowski wieder. »Die Engel haben sie in den Himmel genommen und uns nur Seufzer und Tränen zurückgelassen.«
Schluchzen schüttelte den dicken Körper Saglobas, und sie klagten unaufhörlich, und die Glocken läuteten.
Endlich beruhigte sich Sagloba, man konnte denken, er sei kniend eingeschlafen.
Nach einiger Zeit jedoch erhob er sich und setzte sich auf das Lager; aber er war ein anderer Mensch, mit blutunterlaufenen Augen, herabgesunkenem Kopfe. Die Unterlippe hing ihm bis auf das Kinn, aus dem Gesicht lag der Ausdruck der Unzurechnungsfähigkeit und einer vorher nicht dagewesenen Verwitterung, so daß es wirklich schien, als sei jener joviale, ritterliche und überschäumende Sagloba gestorben und nur ein von Alter und Schwäche gebeugter Greis zurückgeblieben.
Jetzt trat, trotz des Protestes des die Tür bewachenden Burschen, Longinus herein, und von neuem begannen die Klagen und der Schmerz. Der Litauer erinnerte sich an Roslogi, an sein erstes Zusammentreffen mit der Prinzessin, an ihre Lieblichkeit, Jugend und Schönheit, endlich fiel ihm ein, daß es jemanden gäbe, der viel unglücklicher sei als sie alle, das war ihr Verlobter Skrzetuski, – und er begann sogleich, den kleinen Ritter nach ihm zu fragen.
»Skrzetuski blieb beim Fürsten Korezki in Korz, wohin er von Kijew aus kam; er liegt bewußtlos krank,« sagte Wolodyjowski.
»Und müßte man nicht zu ihm?« fragte der Litauer.
»Wir würden dort nichts nützen!« entgegnete Wolodyjowski. »Der Medikus des Fürsten verspricht seine Wiederherstellung, Herr Suchodolski, Hauptmann des Fürsten Dominik, aber ein großer Freund Skrzetuskis, auch unser alter Sazwilichowski ist dort, beide pflegen ihn. Es fehlt ihm an nichts, und daß ihn das Delirium nicht verläßt, ist um so besser für ihn.«
»O, allmächtiger Gott!« – sagte der Litauer. »Habt Ihr Herrn Skrzetuski mit eigenen Augen gesehen?«
»Ich sah ihn, aber wenn sie es mir nicht gesagt hätten, daß er es ist, ich hätte ihn nicht erkannt, so hat ihn der Schmerz und die Krankheit verändert.«
»Und hat er Euch erkannt?«
»Wohl hat er mich erkannt, obgleich er nichts sagte, denn er lächelte und nickte mir mit dem Kopfe zu; mich ergriff eine solche Trauer, daß ich nicht länger bleiben konnte. Der Fürst Korezki will mit seinen Fahnen hierher nach Sbarasch kommen, Sazwilichowski kommt mit ihm, und auch Herr Suchodolski schwört, daß er mitgeht, und wenn er selbst entgegengesetzte Befehle vom Fürsten Dominik bekäme. Sie wollen auch Skrzetuski hierher bringen, wenn er es überlebt.«
»Und woher habt Ihr die Nachricht vom Tode der Prinzessin?« fragte Longinus weiter. »Haben etwa diese Kavaliere sie gebracht?« fügte er hinzu, auf die Fürsten zeigend.
»Nein. Diese Kavaliere erfuhren ihren Tod zufällig in Korz, wohin sie mit Verstärkung vom Wojewoden von Wilna kamen, und jetzt sind sie mit mir hierher gereist, weil sie Briefe vom Wojewoden an unseren Fürsten haben. Der Krieg ist gewiß, die Kommission kommt nicht mehr zusammen.«
»Dasselbe wissen auch wir bereits; aber, sagt mir, Herr, wer erzählte Euch vom Tode der Prinzessin?«
»Mir sagte es Sazwilichowski, und er weiß es von Skrzetuski. Chmielnizki hatte diesem die Erlaubnis gegeben, die Prinzessin mit Hilfe des Metropoliten in Kijew zu suchen. Sie suchten deshalb in den Klöstern, denn alles, was von den Unsrigen in Kijew blieb, verbirgt sich in den Klöstern. Sie glaubten, daß auch Bohun die Prinzessin in einem Kloster untergebracht haben würde. Sie suchten und suchten und waren guter Dinge, obgleich sie wußten, daß das Gesindel im Kloster beim guten Nikolaus zwölf Jungfrauen ausgeräuchert hatte. Der Metropolit selbst versicherte, daß an die Geliebte Bohuns keiner Hand anlegen würde, bis es sich anders zeigte.«
»So war sie beim guten Nikolaus?«
»Ja, sie befand sich dort. Skrzetuski fand in einem Kloster den Herrn Joachim Jerlitsch versteckt, und da er einen jeden nach der Prinzessin fragte, so fragte er auch ihn. Jerlitsch erzählte ihm, daß alle Jungfrauen von den Kosaken fortgeschleppt worden seien, und nur beim guten Nikolaus zwölfe übriggeblieben waren, welche man später ausgeräuchert hat. Unter diesen soll die Kurzewitsch gewesen sein. Skrzetuski glaubte ihm nicht gleich, da er doch ein Verbannter und aus Angst halb geistesgestört war. Er ging also noch einmal ins Kloster des guten Nikolaus, um noch einmal nachzuforschen. Unglücklicherweise wußten die Nonnen, von denen drei ebenfalls erstickt waren, die Namen nicht, aber als sie die Beschreibung der Prinzessin von Skrzetuski hörten, sagten sie, daß eine solche Jungfrau dabei gewesen war. Da verließ Skrzetuski Kijew sofort und wurde krank!«
»Es wundert mich nur, daß er noch lebt.«
»Er wäre sicherlich gestorben, wäre nicht jener alte Kosak gewesen, der ihn während der Gefangenschaft in der Sitsch bewachte, dann den Brief von ihm hierher brachte und, zurückgekehrt, ihm wieder suchen half. Dieser hat ihn nach Korz gebracht und ihn dem Herrn Sazwilichowski übergeben.«
»Möge ihn Gott behüten, denn er wird sich niemals trösten!« sagte Longinus.
Wolodyjowski schwieg still, und Grabesstille herrschte ringsumher.
Die Fürsten saßen mit aufgestemmten Ellbogen und gerunzelter Stirn bewegungslos. Longinus richtete den Blick nach oben, Sagloba heftete das gläserne Auge auf die gegenüberliegende Wand, als wäre er in tiefes Sinnen versunken.
»Kommt zu Euch, Herr!« sagte endlich Wolodyjowski zu ihm, ihn an der Schulter rüttelnd. »Worüber sinnt Ihr? Ihr sinnt doch nichts mehr aus, und alle Eure Anschläge führen zu nichts mehr.«
»Das weiß ich!« entgegnete Sagloba mit gebrochener Stimme. »Ich sinne nur darüber, daß ich alt bin und auf dieser Welt nichts mehr nützen kann.«