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In einer hellen Nacht bewegte sich am rechten Ufer der Waladynka in der Richtung nach dem Dniestr zu ein Reitertrupp.
Die Reiter ritten sehr langsam, fast Schritt für Schritt, vorwärts. An der Spitze, ein Stück den anderen voraus, ritten zweie gleichsam als Vorhut, aber sie hatten augenscheinlich keine Ursache, wachsam zu sein, denn, anstatt die Gegend im Auge zu behalten, unterhielten sie sich die ganze Zeit über miteinander; indem sie alle Augenblicke die Pferde anhielten, sahen sie zurück nach dem Reste des Zuges, und dann sagte immer einer von ihnen:
»Langsam dort! Langsam!«
Und dann bewegte sich der Zug noch langsamer, er schob sich kaum vorwärts.
Endlich, als er hinter einem Hügel vorgekommen war, welcher ihn in seinen Schatten gehüllt hatte, kam der Zug auf einen Platz, welchen das Mondlicht hell übergoß, und nun konnte man verstehen, warum er sich so langsam fortbewegte. In der Mitte der Karawane trugen zwei nebeneinandergehende Pferde eine an ihre Sättel befestigte Sänfte, in welcher eine Gestalt lag. Die Silberstrahlen des Mondes beleuchteten ihr blasses Gesicht mit den geschlossenen Augen.
Hinter der Sänfte ritten zehn Bewaffnete. An den fähnchenlosen Spießen konnte man Kosaken erkennen. Einige führten Saumpferde, andere ritten lose, aber so wenig die beiden voraus Reitenden die Gegend zu beachten schienen, so unruhig und furchtsam blickten jene nach allen Seiten hin. Und dennoch schien die Gegend eine völlige Einöde zu sein.
Die Stille wurde nur durch den Hufschlag der Pferde und den Ruf des einen der vorderen Reiter unterbrochen, welcher von Zeit zu Zeit die Warnung wiederholte:
»Langsam! Vorsichtig!«
Schließlich wandte er sich an seinen Begleiter:
»Ist es noch weit, Horpyna?« fragte er.
Der Begleiter, welchen er Horpyna nannte, und welcher ein riesenhaftes, als Kosak verkleidetes Mädchen war, sah nach dem bestirnten Himmel und antwortete:
»Nicht mehr weit. Vor Mitternacht sind wir dort. Wir passieren jetzt den Grenzpaß, dann die tatarische Ebene, und dahinter sind wir gleich in der Teufelsschlucht. O! Es wäre gefährlich, sie zwischen Mitternacht und dem ersten Hahnenschrei zu passieren; ich darf es, aber für Euch wäre es schlimm.«
Der erste Reiter zuckte die Achseln.
»Ich weiß,« sagte er, »daß der Teufel mit dir verbrüdert ist, aber es gibt Mittel gegen seine Macht.«
»Teufel oder nicht Teufel, Mittel gibt es nicht,« entgegnete Horpyna. »Wenn du, Falke, in der ganzen Welt ein Versteck für deine Prinzeß suchtest, ein besseres würdest du nicht finden. Hier hindurch kommt nach Mitternacht niemand, außer mit mir, und die Teufelsschlucht hat noch kein Menschenfuß betreten. Will jemand sich wahrsagen lassen, so bleibt er vor der Schlucht stehen und wartet, bis ich herauskomme. Fürchte nichts. Dahin kommen weder Lechen noch Tataren oder sonst wer, niemand findet sie. Die Teufelsschlucht ist gruselig, du wirst es sehen.«
»Mag sie so gruselig sein, als sie will; ich sage dir, ich komme, so oft ich die Lust verspüre.«
»Wenn du nur am Tage kommst,« entgegnete die Horpyna.
»Ich werde kommen, wann es mir gefällt. Und stünde der Teufel selbst quer vor der Schlucht, so fasse ich ihn an den Hörnern.«
»Ei, Bohun! Bohun!«
»Ei, Donzowna, Donzowna, sorge du dich nicht um mich. Ob mich der Teufel holt oder nicht, dein Werk wäre das nicht, aber das sage ich dir: wirtschafte du mit deinen Teufeln, soviel du willst, wenn nur der Prinzeß kein Leid geschieht, denn passiert ihr etwas, so ist kein Teufel und kein Gespenst imstande, dich meinen Händen zu entreißen.«
Die Unterhaltung brach ab, man hörte nur den Hufschlag auf den Steinen und gewisse Laute, welche von der Flußseite herkamen und dem Zirpen der Grillen ähnlich waren.
Bohun schenkte diesen Lauten, welche doch mitten in der Nacht auffallen mußten, keine Aufmerksamkeit, er wandte das Gesicht dem Monde zu und versank in tiefes Nachdenken.
»Horpyna!« sagte er nach einer Weile.
»Was willst du?«
»Du Zauberin, du mußt doch wissen, ob es wahr ist, daß es ein Kraut gibt, welches zuwege bringt, daß derjenige, der davon trinkt, lieben muß? Liebeskraut, oder wie es sonst heißt?«
»Liebeskraut. Aber deinem Elend hilft auch kein Liebeskraut ab; doch ich kenne ein anderes Kraut, das in der Erde wächst. Wer davon trinkt, liegt zwei Tage und zwei Nächte wie ein Klotz und weiß nicht, was mit ihm geschieht. Ich werde ihr von diesem Kraute geben, – und dann ...«
Der Kosak richtete sich im Sattel auf, er sah mit seinen in der Dunkelheit funkelnden Augen die Hexe durchdringend an.
»Nein! Nein! Als wir Bar genommen hatten, war ich der erste, welcher ins Kloster drang, um sie vor den Trunkenbolden zu schützen, und jedem den Schädel einzuschlagen, der es wagen sollte, sie zu berühren, und sie stieß sich das Messer in die Brust – jetzt liegt sie bewußtlos da. Würde ich sie nur mit der Hand berühren, so würde sie sich erstechen oder in den Fluß springen – ich Unglückseliger könnte es nicht verhüten!«
»Du bist in deiner Seele ein Leche, kein Kosak, wenn du das Mädchen nicht nach Kosakenart zwingen willst.«
»O, wäre ich ein Leche! Wäre ich einer!« rief Bohun, »wäre ich ein Leche!«
Und er griff mit beiden Händen nach seinem Kopfe, denn wilder Schmerz erfaßte ihn.
»Sie muß dich bezaubert haben, diese Lechin,« brummte die Horpyna.
»Sie muß es wohl,« entgegnete er wehmütig. »O, daß mich doch die erste Kugel träfe, daß ich das elende Leben auf dem Pfahle endete ... ich begehre nur eine auf Erden, und diese eine will mich nicht!«
»Narr!« rief Horpyna zornig, »du hast sie ja!«
»Halte dein Maul!« antwortete der Kosak wütend.
»Und wenn sie sich tötet, was dann?«
»Dann würde ich dich zerreißen, mich zerreißen, mir den Kopf an Steinen zerschmettern und die Menschen beißen, wie ein Hund. Ich würde mein Seelenheil, meine Kosakenehre für sie hingeben und fliehen bis Jahorlik und weiter fort bis ans Ende der Welt, wenn es nur mit ihr wäre, wenn ich mit ihr leben, bei ihr sterben könnte.«
»Es wird ihr nichts geschehen, sie wird nicht sterben.«
»Wenn sie stürbe, so würde ich dich an der Tür festnageln.«
»Du hast gar keine Macht über sie,« sprach die Horpyna.
»Ich habe keine, gar keine. Ich wollte, daß sie mich mit dem Messer niederstäche, mich tötete, mir wäre wohler.«
»Die alberne Lechin. Wenn sie sich dir doch freiwillig hingeben wollte. Findet sie denn einen Besseren als dich?«
»Wenn du das zuwege bringst, schicke ich dir einen Topf voll Dukaten und Perlen. Wir haben in Bar und schon vorher gute Beute gemacht.«
»Du bist reich, wie Fürst Jeremias – und ruhmbedeckt. Man sagt, daß selbst Krschywonos dich fürchtet.«
Der Kosak wehrte mit der Hand ab.
»Was nutzt mir das alles, wenn das Herz schmerzt ...«
Und wieder trat Stillschweigen ein. Das Flußufer wurde immer wilder, öder. Das blasse Mondlicht gab den Bäumen und Felsen phantastische Gestalten. Endlich sprach Horpyna:
»Hier ist das Teufelsfeld. Wir müssen zusammenreiten.«
»Warum?«
»Es ist nicht geheuer hier.«
Sie hielten die Pferde an, und nach einer Weile vereinte sich der zurückgebliebene Zug mit ihnen.
Bohun erhob sich in den Steigbügeln und blickte in die Sänfte.
»Schläft sie?« fragte er.
»Sie schläft, süß wie ein Kind,« antwortete der alte Kosak.
»Ich habe ihr einen Schlaftrunk gegeben,« entgegnete die Seherin.
»Langsam, vorsichtig,« sagte Bohun, mit den Augen die Schlafende fast verschlingend, »damit ihr sie nicht aufweckt. Der Mond schaut meinem Herzchen gerade ins Angesicht.«
»Still, weckt sie nicht,« flüsterte einer der Kosaken.
Und der Zug ging weiter. In kurzem waren sie an dem Teufelsfelde. Es war dies eine Erhöhung, niedrig und kahl, dicht am Flusse gelegen, wie eine auf der Erde liegende runde Scheibe. Der Mond übergoß sie ganz mit seinem Lichte und beleuchtete die über die ganze Fläche umher verstreuten weißen Steine. Die ganze Erhöhung sah aus wie ein einziger, großer Trümmerhaufen. Möglicherweise hatte einst, vor langen Zeiten, zur Zeit der Jagiellonen, hier menschliches Leben gekeimt, jetzt war jene Erhöhung und die ganze Gegend bis nach Barkow hin eine stille Wüste, in welcher nur wilde Tiere hausten, und nachts trieben verdammte Seelen da ihr Unwesen.
So war der Zug kaum bis zur Hälfte der Höhe hinaufgeklommen, da verwandelte sich der bisherige leichte Wind in einen förmlichen Sturm, welcher die Anhöhe mit einem eigentümlichen melancholischen und unheilverkündenden Pfeifen umtoste, und es kam den Kriegsknechten vor, als ob zwischen jenen Trümmern hervor schwere, wie aus gepreßter Brust hervordringende Seufzer, Stöhnen, dann wieder Lachen und Weinen und Kinderstimmen tönten. Der ganze Hügel wurde lebendig und begann in verschiedenen Stimmen laut zu werden. Hinter den Steinen schienen hohe, dunkle Gestalten hervorzusehen, sonderbare Schatten schlüpften still zwischen den Kieseln umher, im Halbdunkel blitzten aus der Ferne eigentümliche Lichtchen, ähnlich dem Leuchten der Wolfsaugen; endlich war vom niederen Ende des Hügels her, zwischen den dichteren Haufen und Trümmern, ein wie aus der Tiefe kommendes Geheul zu hören, das von ähnlichen Tönen begleitet wurde.
»Sind das Vampire?« flüsterte ein junger Kosak dem alten Anführer zu.
»Nein, es sind Totengespenster,« entgegnete der Mann noch leiser.
»O, Mutter Gottes, erbarme dich!« – riefen andere, indem sie die Mützen abnahmen und sich fromm bekreuzigten.
Die Pferde spitzten die Ohren und schnauften. Horpyna, welche an der Spitze des Zuges ritt, brummte halblaut unverständliche Worte, wie Beschwörungsformeln.
»He! Kriegsknechte,« sagte die Seherin, »das ist die Tatarenebene, aber fürchtet euch nicht, hier gibt es nur einmal im Jahre eine böse Nacht, und die Teufelsschlucht mit meinem Gebiet ist gleich da.«
In kurzem hörte man Hundegebell. Der Zug betrat den Hals der Schlucht, welcher fast senkrecht zum Flusse hinabführte und so eng war, daß kaum vier Reiter nebeneinander fortkommen konnten. Am Boden jener Kluft floß ein Quell, er blitzte im Strahl des Mondes und eilte munter dem Flusse zu. Aber in dem Maße, wie der Zug sich vorwärts bewegte, traten auch die zerrissenen Wände immer mehr auseinander, eine geräumige Fläche umrahmend, die leicht aufwärts stieg und von allen Seiten von Felsen eingeschlossen war. Hier und da war der Boden mit hohen Bäumen bedeckt. Es war windstill. Lange, schwarze Schatten zogen sich von den Bäumen über die Erde. In den von Mondlicht übergossenen Zwischenräumen glänzten weiße, runde oder längliche Gegenstände, in welchen die entsetzten Kriegsknechte menschliche Gerippe und Totenköpfe erkannten. Mißtrauisch blickten sie, von Zeit zu Zeit sich bekreuzigend, um sich. Da blitzte in der Ferne zwischen den Bäumen ein Licht auf, und gleichzeitig kamen zwei sehr große, schwarze, häßliche Hunde beim Anblick der Menschen und Pferde bellend und heulend herbei. Auf die Zurufe Horpynas beruhigten sie sich endlich und umkreisten die Reiter schnaubend und vor Erschöpfung lechzend.
»Die sind nicht bei sich,« flüsterten die Kriegsknechte.
»Das sind keine Hunde,« brummte der alte Owsiwny in einem Tone, dem man die Überzeugung anhörte.
Unterdes tauchte hinter den Bäumen eine Höhe auf, hinter ihr ein Stall; weiter, etwas höher, lag noch ein finsteres Gebäude. Die Hütte sah äußerlich ordentlich und geräumig aus, die Fenster waren erleuchtet.
»Das ist mein Wohnsitz,« sagte die Horpyna zu Bohun; »das dort ist die Mühle, die kein anderes Getreide mahlt als das unsrige, aber ich bin Wahrsagerin und prophezeie aus dem Wasser über dem Rade. Ich werde auch dir prophezeien. Die Jungfrau wird in der Gaststube wohnen, willst du den Raum aber erst schmücken, so müssen wir sie zuerst nach der anderen Seite bringen. Stillgestanden und abgesessen!«
Der Zug stand still, Horpyna fing an zu rufen:
» Tscheremis, huhu, huhu, Tscheremis!«
Eine Gestalt, ein Bund brennende Kienspäne in der Hand haltend, trat vor die Hütte, und, den Bund hochhebend, betrachtete sie stillschweigend die Anwesenden.
Tscheremis war ein alter, grauenhaft häßlicher Mensch, fast zwerghaft klein, mit plattem, viereckigem Gesicht und schief geschlitzten Augen.
»Was bist du für ein Teufel?« fragte Bohun.
»Du mußt nicht fragen,« sagte die Riesin, »ihm ist die Zunge geschnitten.«
»Komm näher!« befahl sie dem Zwerg.
»Höre,« sprach das Mädchen weiter, »vielleicht könnte man die Jungfrau in die Mühle tragen? Hier werden die Kriegsknechte die Gaststube schmücken und Zwecken in die Wand schlagen; sie wird davon erwachen.«
Die Kosaken waren abgesessen und banden vorsichtig die Sänfte los. Bohun selbst wachte mit der größten Sorgfalt über allem und trug sie selbst am Kopfende, als man sie in die Mühle schaffte. Der Zwerg ging mit dem Kien leuchtend vorauf. Die Prinzessin, eingeschläfert von einem Trank, den Horpyna ihr aus einschläfernden Pflanzen bereitet hatte, erwachte nicht, nur zuckten ihre Lider beim Schein des Kienholzes. Ihr Gesicht wurde von diesem Scheine rosig belebt; vielleicht wiegten auch wunderbare Träume die Schlafende, denn sie lächelte süß während dieses Marsches, der einem Leichenzuge ähnelte. Bohun sah sie an; ihm war zumute, als ob ihm das Herz die Brust zersprengen müsse. »Du, meine Liebliche, mein Liebling!« flüsterte er leise, und sein strenges, obgleich schönes Antlitz wurde milde und glühte im Widerschein einer große Liebe, die ihn erfaßt hatte und immer mehr gefangen nahm, so wie die vom Wanderer vergessene Flamme die wilde Steppe in Brand setzt.
Die neben ihm stehende Horpyna sagte:
»Wenn sie aus diesem Schlaf erwacht, wird sie gesund sein.«
»Gelobt sei Gott! Gelobt sei Gott!« antwortete der Krieger.
Unterdes begannen die Kriegsknechte vor der Hütte die Gepäckstücke von den sechs Pferden herunterzunehmen und Möbelstoffe, Teppiche und andere in Bar erbeutete Kostbarkeiten auszupacken. Man hatte in der Gaststube reichlich Feuer angesteckt, und während die einen immer neue Behänge herbeischleppten, befestigten die anderen dieselben an den hölzernen Wänden. Bohun hatte nicht nur an einen sicheren Käfig für seinen Vogel gedacht, sondern auch beschlossen, ihn auszuschmücken, damit dem Vogel die Gefangenschaft nicht gar zu unerträglich vorkommen solle. Bald kam er auch von der Mühle herüber und überwachte selbst die Arbeit. Die Nacht verfloß, die Gipfel der Felsen versanken bereits im Schatten, und immer noch war das gedämpfte Klopfen der Hämmer zu hören. Die einfache Bauernstube verwandelte sich immer mehr in ein wohnliches Gemach. Endlich, als die Wände schon alle ausgeschlagen und die Unordnung beseitigt war, brachte man die schlafende Prinzessin zurück und legte sie auf weiche Kissen nieder. Dann wurde alles still. Nur im Stall hörte man noch eine Zeitlang durch die Stille lautes Gelächter, ähnlich dem Gewieher eines Pferdes; – das war die junge Seherin, welche, mit den Kriegsknechten am Herde scherzend, denselben bald Faustschläge, bald Küsse austeilte.