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Bohun, obgleich ein tapferer und umsichtiger Führer, hatte kein Glück mit dieser Expedition, die er gegen die bewährte Division des Fürsten Jeremias unternommen. Er hatte sich nur in der Überzeugung befestigt, daß der Fürst tatsächlich mit seiner ganzen Heeresmacht gegen Krschywonos ziehe, denn die gefangenen Soldaten Saglobas, welche selbst fest daran glaubten, daß der Fürst ihnen folge, hatten es ihm gesagt. Es blieb also dem unglücklichen Attaman nichts zu tun übrig, als sich so schnell wie möglich zu Krschywonos zurückzuziehen, aber die Aufgabe war nicht leicht. Es gelang ihm kaum, erst am dritten Tage eine Bande von etwa zweihundert und einigen Mann um sich zu sammeln; die anderen waren entweder im Gefechte gefallen, oder verwundet auf dem Schlachtfelde geblieben, oder irrten noch zwischen den Felsen und dem Rohr umher, ohne zu wissen, was sie tun und wohin sie sich wenden sollten. Und auch diese Schar nützte Bohun nicht viel, denn geschlagen, demoralisiert und erschreckt, wie sie war, wollte sie bei jedem geringsten Alarm fliehen.
Sie glaubten, daß sie es, wenn auch nicht mit dem Fürsten selbst, so doch mit einem starken, ihnen mehrfach überlegenen Streifzuge zu tun hatten. Bohun glühte wie im Feuer. Er war an der Hand verwundet, vom Pferde getreten und gedrückt, krank, geschlagen; der vermaledeite Erzfeind war ihm unter den Händen entschlüpft, sein Ruhm erschüttert, denn dieselben Krieger, welche am Vorabend der Niederlage ihm blindlings in die Krim, in die Hölle und gegen den Fürsten selbst gefolgt wären, hatten jetzt den Glauben an ihn und den Mut verloren und dachten nur darüber nach, wie sie sich glücklich in Sicherheit bringen sollten. Und doch hatte Bohun alles getan, was ein Führer zu tun verpflichtet war; er hatte nichts versäumt, hatte rings um das Gehöft Wachen ausgestellt, und nur darum gerastet, weil die Pferde, welche fast in einem Atem von Kamieniez hierher gekommen, gänzlich unfähig waren, weiter zu gehen. Aber Wolodyjowski, welcher sein junges Leben nur auf Schleichwegen und Jagden auf die Tataren verbracht hatte, war wie der Wolf in der Nacht zu den Wachen herangeschlichen, er hatte sie gefangen, noch ehe sie aufzuschreien oder zu schießen vermochten, und überfiel die anderen so schnell, daß er, Bohun, nur in Hose und Hemd zu entfliehen vermochte. Wenn der Bandenführer daran dachte, wurde es ihm schwarz vor den Augen, es wirbelte ihm im Kopf, und die Verzweiflung riß ihm am Herzen, wie ein toller Hund.
Man konnte glauben, der Attaman habe den Boden unter den Füßen verloren, denn sein Unglück war hier noch nicht zu Ende. In der Furcht, daß man ihn wahrscheinlich verfolgen werde, und im Glauben, daß Krschywonos schon die Belagerung aufgegeben habe, ging er nicht geradeaus nach dem Süden, sondern nahm den Weg nach Osten und traf auf Longinus' Abteilung. Wachsam wie ein Kranich, ließ Herr Longinus sich nicht beschleichen, sondern griff den Attaman zuerst an, zersprengte um so leichter seine Abteilung, da die Leute desselben sich nicht schlagen wollten, und trieb sie Skrzetuski zu, der ihnen eine solche Niederlage bereitete, daß Bohun, nach langem Umherirren in der Steppe, kaum mit einigen Pferden, ohne Ruhm, ohne Krieger, ohne Leute und ohne Kundschafter endlich zu Krschywonos zurückkam.
Aber der wilde Krschywonos, welcher gewöhnlich gegen diejenigen Untergebenen, denen das Glück nicht wohlwollte, so grausam war, wurde dieses Mal gar nicht böse. Er wußte aus eigener Erfahrung, was es heißt, mit Jeremias anzubinden. Er tat noch schön mit Bohun, tröstete und beruhigte ihn, und als der Bandenführer in ein hitziges Fieber verfiel, ließ er ihn behüten, pflegen und heilen, wie das Auge im Kopfe.
Unterdessen waren die vier Ritter des Fürsten, nachdem sie das Land mit Entsetzen und Furcht erfüllt hatten, glücklich nach Jarmoliniez zurückgekehrt, wo sie einige Tage blieben, um die Leute und Pferde ruhen zu lassen. Nachdem sie sich in einem Hause einquartiert hatten, gab jeder von ihnen der Reihe nach Rechenschaft von dem, was ihn betroffen, und was er geleistet hatte. Darauf setzten sie sich zur Weinflasche, um in freundschaftlichen Gesprächen die Herzen zu erleichtern und die gegenseitige Neugier zu befriedigen.
Aber nun ließ Sagloba kaum einen zu Worte kommen. Er wollte nichts hören, verlangte aber, daß man nur ihn hören sollte, und es erwies sich auch, daß er das meiste zu erzählen hatte.
»Meine Herren!« sagte er, »ich geriet in Gefangenschaft – das ist wahr! Aber das Glück wendet das Rad. Bohun schlug sein Leben lang, und heute haben wir ihn geschlagen. Seht, wie liegen die Dinge! Wozu sind wir hierher gekommen? Im fürstlichen Dienste, um Nachrichten über Krschywonos einzufangen; nun will ich euch sagen, daß ich zuerst etwas von ihm gehört habe, und das aus der besten Quelle, von Bohun selbst. Ich weiß, daß er bei Kamieniez steht, aber die Belagerung aus Angst aufgeben will. Das weiß ich de puplicis, aber ich weiß noch etwas anderes, was euch die Freude in die Herzen treiben soll, meine Herren, wovon ich bis jetzt nicht gesprochen habe, weil ich wollte, daß wir gemeinschaftlich darüber beraten. Ich war bisher auch nicht gesund, weil die Strapazen mich überwältigt hatten, und von dem mörderischen Fesseln an den Säbel meine Eingeweide rebellierten. Ich glaubte, ich bekäme Blutsturz.«
»Sprecht, um Gottes willen!« rief Wolodyjowski. »Habt Ihr etwas von unserer armen Verschollenen gehört?«
»So ist es, Gott segne sie!« sagte Sagloba.
Herr Skrzetuski erhob sich zu seiner vollen Höhe, setzte sich aber gleich wieder – es entstand eine solche Stille, daß man das Summen der Mücken am Fensterchen hörte, bis Sagloba wieder das Wort ergriff:
»Sie lebt, ich weiß es gewiß, und sie ist in Bohuns Händen. Meine Herren! Das sind gräßliche Hände. Doch hat Gott es nicht zugelassen, daß sie Ungemach oder Schande betroffen hätte. Meine Herren, Bohun hat es mir selbst gesagt; er ist imstande, über alles andere eher Spott zu treiben, als über sie.«
»Wie ist das möglich? Wie ist das möglich?« fragte Skrzetuski fieberhaft.
»Wenn ich lüge, so mag mich der Blitz treffen,« antwortete Sagloba ernst, »denn die Sache ist mir heilig. Hört zu, was Bohun mir gesagt hat, als er mich noch verspotten wollte, ehe ich ihn zum Äußersten gebracht hatte. ›Was? Hast du gedacht (sagte er), daß du sie für einen Bauern nach Bar gebracht hast? Bin ich denn ein Bauer (sagte er), daß ich sie vergewaltigen sollte? Kommt es mir nicht zu, in Kijew in der Kirche mit ihr getraut zu werden, und daß das Volk mir Lieder singt und dreihundert Lichter für mich brennen? – mir, dem Attaman und Hetman!‹ Mit den Füßen hat er vor mir gestampft, und mit dem Messer gedroht, denn er dachte, er würde mich erschrecken, aber ich sagte ihm, er möge Hunde schrecken.«
Skrzetuski war schon zu sich gekommen. Sein Mönchsgesicht hatte sich erhellt, und Befürchtung, Hoffnung, Freude und Ungewißheit malte sich wieder in seinen Zügen.
»Wo also ist sie? Wo?« fragte er eilig. »Wenn Ihr auch das erfahren habt, so seid Ihr mir wie vom Himmel gekommen.«
»Das hat er mir nicht gesagt, aber ein gescheiter Kopf bedarf nur einer Andeutung. Bedenkt, ihr Herren, daß er mich fortwährend höhnte, ehe ich ihn zum Äußersten brachte, aber er sagte auch das: »Zuerst,« sagte er, »führe ich dich zu Krschywonos, und dann möchte ich dich zur Hochzeit einladen, aber jetzt ist Krieg, also ist sie nicht so bald.« Bedenkt, ihr Herren: nicht so bald – somit haben wir Zeit! Zweitens bedenkt noch: zuerst zu Krschywonos, dann zur Hochzeit; sie kann also auf keinen Fall bei Krschywonos sein, sondern irgendwo weiter, wo der Krieg noch nicht hindrang.«
»Ihr seid ein goldener Mensch!« rief Wolodyjowski.
»Ich dachte also zuerst,« sagte Sagloba geschmeichelt, »daß er sie vielleicht nach Kijew geschickt hat, aber nein – denn er sagte, daß er mit ihr nach Kijew gehen wolle; wenn er also dorthin mit ihr will, so bedeutet das, daß sie noch nicht dort ist. Er ist auch zu klug dazu, sie dorthin zu bringen, denn wenn Chmiel nach Rot-Reußen vorgeht, so würde Kijew leicht in die Hände der litauischen Heere kommen.«
»Das ist wahr! Das ist wahr!« rief Longinus aus. »So wahr ich Gott liebe: es könnte mancher mit Eurem Verstände tauschen.«
»Aber ich wollte nicht mit jedem tauschen, damit ich nicht etwa Rübenkraut für meinen Verstand bekomme, was mir in Litauen wohl passieren könnte.«
»Er fängt schon wieder an zu spotten,« sagte Longinus.
»Erlaubt, daß ich zu Ende komme. Sie ist also nicht bei Krschywonos, nicht in Kijew, wo ist sie also?«
»Das ist der Knoten!«
»Wenn Ihr es vermutet, so sagt es schnell, denn ich brenne vor Neugier!« rief Skrzetuski.
»Hinter Jampol!« sagte Sagloba und schaute triumphierend mit seinem gesunden Auge um sich.
»Woher wißt Ihr das?« fragte Wolodyjowski.
»Woher ich es weiß? Seht, daher: ich saß im Stalle, denn jener Bösewicht ließ mich in den Stall sperren (daß ihn dafür die Eber spießen!) und ringsumher unterhielten sich die Kosaken. Ich lege also das Ohr an die Wand, und, was höre ich? Der eine sagt: ›Jetzt wird wohl der Attaman nach Jampol reiten.‹ – Darauf der andere: ›Schweige, wenn dir dein junger Kopf lieb ist.‹ – Ich gebe meinen Kopf darauf, daß sie in Jampol ist.«
»O! So wahr Gott im Himmel ist!« rief Wolodyjowski aus.
»In die wilden Felder kann er sie nicht geführt haben, so muß er sie irgendwo zwischen Jampol und Jahorlik versteckt haben. Ich war einmal in jener Gegend. Es gibt dort genug Schluchten und versteckte Plätze am ganzen Dniestr entlang, und verschiedene Gebüsche, in denen auf Höfen Menschen wohnen, die keine Obrigkeit kennen und in der Einöde leben, ohne ihren Nächsten zu sehen. Bei solchen wilden Einsiedlern mag er sie wohl versteckt haben, weil sie ihm dort am sichersten ist.«
»Bah! Aber wie soll man jetzt dorthin kommen, da Krschywonos den Weg verlegt hat?« sagte Longinus. »Jampol soll auch, wie ich hörte, ein Raubnest sein.«
»Und wenn ich zehnmal meinen Kopf wagen sollte, ich werde sie retten. Ich werde sie verkleidet suchen gehen, und Gott wird mir helfen, – ich werde sie finden.«
»Ich gehe mit dir, Johann!« sagte Herr Wolodyjowski.
»Und ich will Euch auf Bettlerart mit der Laute auf der Schulter begleiten. Glaubt mir, ihr Herren, ich habe von euch allen die meiste Erfahrung, und da mir zuletzt die Laute zum Ekel geworden ist, so werde ich den Dudelsack nehmen.«
»Dann werde ich Euch wohl auch zu etwas nützen können, Brüderchen?« sagte Longinus.
»Ich danke Euch von ganzer Seele, meine Herren,« sagte Skrzetuski, »und nehme euer Anerbieten mit frohem Herzen an. Es geht nichts über treue Freunde in der Not, und solche hat mir, wie ich sehe, die Vorsehung nicht vorenthalten. Der große Gott gebe mir, daß ich mich euch mit meiner Gesundheit, meinem Hab und Gut dankbar erweisen kann.«
»Wir alle stehen für einen Mann!« rief Sagloba. »Gott hat die Friedfertigen gern, und Ihr werdet sehen, die Früchte unserer Arbeit bleiben nicht aus.«
»Jetzt bleibt mir wohl nichts anderes übrig,« sagte Skrzetuski nach einer Weile des Schweigens, »als die Fahne dem Fürsten zurückzuführen und dann gleich mit euch dorthin zu ziehen. Wir ziehen den Dniestr entlang, weit bis hinter Jampol nach Jahorlik, wir wollen überall suchen.«
»Also brechen wir auf!«
»Wir müssen bis morgen warten,« sagte Wolodyjowski. »Übrigens hat Skrzetuski zu befehlen, er ist unser Anführer, aber ich warne Euch, heute auszurücken, damit uns nicht alle Pferde fallen.«
»Ich weiß, daß das unmöglich ist,« sagte Skrzetuski, »aber ich denke, nach gutem Futter können wir es morgen wagen.«
Am anderen Morgen wurde also aufgebrochen. Nach dem Befehl des Fürsten sollten sie nach Sbarasch zurückkehren und dort weitere Bestimmungen erwarten. Sie gingen also über Kuschmin, seitwärts von Felstyn nach Wolotschysk, von wo über Chlebanowka die Landstraße nach Sbarasch führte. Die Reise war unangenehm, denn es regnete, aber sie verlief ruhig, und nur Herr Longinus, der mit hundert Pferden vorausging, zersprengte einige übermütige Haufen, die sich im Rücken des Heeres der Generalregimentarier gesammelt hatten. Erst in Wolotschysk machten sie wieder Halt zur nächtlichen Ruhe.
Aber kaum waren sie sanft nach der langen Reise entschlummert, so wurden sie durch Alarm geweckt, und die Wachen meldeten, daß eine Abteilung zu Pferde sich nähere. Bald jedoch kam die Nachricht, daß es Wierschul mit seiner tatarischen Fahne, also Freunde seien.
Sagloba, Longinus und der kleine Wolodyjowski versammelten sich sogleich in der Stube Skrzetuskis, und gleich hinter ihnen stürmte wie ein Wirbelwind, atemlos, ganz schmutzbedeckt, ein Offizier von der leichten Reiterei herein. Als Skrzetuski diesen sah, rief er aus: »Wierschul!«
»Ich ... bin es!« sagte der Angekommene, nach Luft ringend.
»Bringt Ihr Nachrichten vom Fürsten?«
»Ja! ... O, Luft, Luft!«
»Was für Nachrichten? Ist Chmielnizki schon aufgerieben?«
»Schon ... ist die Republik ... verloren.«
»Bei Christi Wunden, was sprecht Ihr? Eine Niederlage?«
»Eine Niederlage, Scham und Schande! Ohne Schlacht ... Schrecken! ... O! o!«
»Es ist nicht zu glauben,« riefen die Herren wie aus einem Munde, »sprecht, sprecht! Beim lebendigen Gott! ... Die Generalregimentarier?«
»Sind geflohen.«
»Wo ist unser Fürst?«
»Er zieht sich zurück ... ohne Heer ... Ich komme von ihm ... der Befehl lautet ... sofort nach Lemberg ... sie kommen hinter uns her.«
»Wer? Wierschul! Wierschul! Besinnt Euch, Mensch! Wer?«
»Chmielnizki, die Tataren.«
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!« rief Sagloba, »die Welt geht aus den Fugen.«
Aber Skrzetuski begriff, worum es sich handelte.
»Die Fragen auf später,« sagte er, »jetzt zu Pferde!«
»Zu Pferde, zu Pferde!«
Die Hufe der Pferde von Wierschuls Tataren klirrten schon vor den Fenstern; die Einwohner, durch den Einzug der Soldaten erweckt, kamen mit Laternen und Fackeln aus den Häusern. Wie ein Blitz verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Stadt. Bald läuteten die Glocken zur Flucht. Das kurz vorher noch so ruhige Städtchen wurde von Geschrei, Pferdegetrappel, Kommandorufen und dem Lärm der Juden erfüllt. Die Einwohner wollten zugleich mit den Soldaten die Stadt verlassen; man spannte Wagen an, lud Kinder, Frauen und Betten darauf. Der Bürgermeister kam an der Spitze einiger Einwohner Herrn Skrzetuski zu bitten, daß er nicht zuerst ausrücken und die Einwohner wenigstens bis Tarnopol begleiten möge.
Aber Skrzetuski wollte nichts davon hören, da er den direkten Befehl des Fürsten hatte, ohne Verzug nach Lemberg zu gehen.
Sie brachen also auf, und erst unterwegs erzählte Wierschul, nachdem er sich erholt hatte, was und wie es geschehen war.
»Seit die Republik besteht,« sagte er, »ist kein solches Elend über sie gekommen. Weder bei Cecora, noch bei den gelben Wassern, noch bei Korsun war die Niederlage eine so schreckliche!«
Und Skrzetuski, Wolodyjowski und Longinus senkten die Köpfe tief, faßten sich in die Haare und rangen die Hände.
»Die Sache übersteigt menschliche Begriffe,« sagten sie. »Wo ist der Fürst? – Von allen verlassen, absichtlich zurückgedrängt, nicht einmal über seine Division hat er uneingeschränkte Macht.«
»Wer hatte das Kommando?«
»Niemand und alle. Ich diene schon lange und habe im Kriege schon manchen Zahn verloren, aber ein solches Heer und solche Führer sah ich noch nie.«
Sagloba, der Wierschul nicht besonders leiden mochte und ihn wenig kannte, schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
Zuletzt sagte er:
»Mein Herr, seht Ihr auch nicht zu schwarz, oder nehmt Ihr eine teilweise Niederlage nicht etwa für eine allgemeine? Denn das, was Ihr erzählt, klingt unglaublich.«
»Das gebe ich zu, aber ich sage Euch, Herr, daß ich mit Freuden mir den Kopf abschlagen ließe, wenn es sich wunderbarerweise herausstellte, daß ich irre.«
»Denn,« fuhr Sagloba fort, »wie kommt Ihr als erster nach der Niederlage nach Wolotschysk hierher? Ich will doch nicht annehmen, daß Ihr zuerst Fersengeld gegeben habt? Wo ist also das Heer? Wohin flieht es? Was geschah mit ihm? Weshalb ist es fliehend nicht Euch voraus? Auf alle diese Fragen suche ich vergebens eine Antwort!«
Wierschul hätte zu jeder anderen Zeit diese Fragen nicht ungeahndet gelassen, in diesem Augenblick vermochte er an nichts zu denken als an das Unglück der Republik.
»Ich bin zuerst hierher gelangt, weil die anderen sich über Orschygowze zurückziehen, und der Fürst mich expreß in diese Gegend geschickt hat, wo er euch Herren vermutete, damit ihr nicht vom Feinde überrascht würdet, und zweitens, weil die fünfhundert Pferde, welche ihr habt, in dieser Zeit kein geringer Trost sind, da die Division zum größten Teil gefallen oder versprengt ist.«
»Das sind merkwürdige Dinge!« brummte Sagloba.
»Es ist fürchterlich, daran zu denken, die Verzweiflung packt einen, das Herz zerspringt, Tränen fließen!« sagte Wolodyjowski händeringend. »Das Vaterland ist verloren, ein ruhmloser Tod wartet unser – zerstreut solche Heere! ... verloren! Das Ende der Welt bricht herein, das jüngste Gericht naht!«
»Unterbrecht ihn nicht,« sagte Skrzetuski, »laßt ihn alles erzählen.«
Wierschul verstummte eine Weile, als wollte er erst Kräfte sammeln; nichts war zu hören als das Plätschern der Pferdehufe im Kot, denn es regnete. Es war noch tief in der Nacht und sehr finster, weil der Himmel dicht bewölkt war, und in diese Finsternis, diesen Nebel hinein klangen die Worte Wierschuls, der wieder zu reden begann, eigentümlich, unheimlich.
»Wenn ich nicht hoffte, im Kampfe zu fallen, so müßte ich den Verstand verlieren. Ihr Herren spracht vom jüngsten Gericht, und daß es bald hereinzubrechen scheine, – ich glaube, daß es da ist. Alles geht aus den Fugen, die Bosheit gewinnt die Oberhand über die Tugend, der Antichrist geht schon in der Welt herum. Ihr habt nicht alles das gesehen, was geschehen ist, aber wenn ihr schon die bloße Schilderung nicht vertragen könnt, was soll ich denn sagen, der das ganze Unglück, die ganze Schande mit eigenen Augen sah! Gott gab uns einen glücklichen Anfang dieses Krieges. Unser Fürst hatte, nachdem er beim Tschochaner Stein an Lasrer Gerechtigkeit geübt, alles andere vergessen und sich mit dem Fürsten Dominik ausgesöhnt. Wir alle freuten uns dieser Eintracht, und anscheinend ruhte Gottes Segen darauf. Der Fürst siegte wiederholt bei Konstantinow und nahm die Stadt selbst, denn der Feind verließ sie schon nach dem ersten Sturme. Dann zogen wir vor Pilawice, obgleich der Fürst davon abriet. Aber schon unterwegs zeigten sich verschiedene Machinationen gegen ihn, Neid, Unlust und heimliche Wühlereien. Man wollte in den Beratungen seine Stimme nicht hören, wollte auf das, was er sagte, nichts geben, und besonders bemühte man sich, unsere Division zu teilen, damit der Fürst sie nicht ganz in Händen habe. Hätte er sich dem widersetzt, so hätte man die ganze Schuld an der Niederlage ihm beigemessen, aber er schwieg, duldete und litt alles. So blieb denn auf Befehl des Generalregimentariers mit Kuschel die leichte Reiterei, die Kanonen und der Oberst Machnizki in Konstantinow; man trennte den litauischen Lagerhauptmann Orsinski von der Schwadron Koschyzkis, so daß dem Fürsten nur die Husaren unter Sazwilichowski, zwei Regimenter Dragoner und ich mit einem Teil meiner Fahne blieben. Alle zusammen waren es kaum zweitausend Mann. Von da ab mißachtete man ihn schon; ich hörte selbst, wie die Schützlinge des Fürsten Dominik sagten: »Wenn wir jetzt einen Sieg erringen, so wird man nicht mehr sagen können, daß das allein das Werk Wischniowiezkis sei.« Und laut sprachen sie davon, daß, wenn den Fürsten ein so ungeheurer Ruhm bedecke, so würde bei der Königswahl sein Kandidat, der Prinz Karl, gewählt, sie aber wollten nicht ihn, sondern den Prinzen Kasimir. Sie steckten mit ihrem Parteigeist das ganze Heer an; es bildeten sich disputierende Kreise, wie auf dem Landtage, Delegaten wurden abgeschickt und – man dachte an alles, nur nicht an eine Schlacht, gerade als ob der Feind schon vertrieben wäre. Und – wenn ich den Herren erst von den Gastmählern, den Vivatrufen und dem Luxus dort erzählen sollte, so würde ich kaum Glauben bei euch finden. Die Scharen des Pyrrhus, glänzend von Gold, Kleinodien und Straußenfedern, waren nichts im Vergleich zu diesem Heere. An zweitausend Diener, eine Menge Wagen folgten uns, die Pferde brachen unter der Last der Goldstoffe und seidenen Zelte, die Wagen unter der Schwere der Kredenztische zusammen. Man konnte glauben, wir zögen aus, um die ganze Welt zu bekriegen. Der Adel vom Landsturm schwang tage- und nächtelang die Peitschen: »Wie (sagten sie) sollen wir die Bauern in Ordnung halten, ohne die Säbel zu ziehen?« Und uns alten Soldaten ahnte schon beim Anblick dieses unerhörten Hochmutes Böses. Nun fingen auch die Tumulte Kisiels wegen an; die einen behaupteten, er sei ein Verräter, die anderen, er wäre ein ehrenwerter Senator. In der Trunkenheit wurde mit Säbeln zugeschlagen, Lagerwächter gab es nicht. Niemand hielt auf Ordnung, niemand führte Aufsicht, jeder tat, was er wollte, ging, wohin es ihm gut dünkte, stand, wo, es ihm gefiel, das Gesinde lärmte – o, barmherziger Gott! Das war eine Lustreise, kein Kriegszug, eine Lustfahrt, auf welcher die Ehre der Republik vertanzt, vertrunken, verritten und zuletzt verhandelt wurde.«
»Wir leben noch!« sagte Herr Wolodyjowsky.
»Und Gott ist im Himmel!« setzte Skrzetuski hinzu.
Wieder trat eine Pause ein, worauf Wierschul weitersprach:
»Wir gehen ganz und gar unter, es sei denn, Gott tut ein Wunder, hört auf, uns für die Sünden zu strafen und erweist uns unverdiente Barmherzigkeit. Es gibt Augenblicke, wo mir selbst das, was ich gesehen, wie ein Traum scheint, und mir ist, als hätte ich Alpdrücken im Schlafe gehabt ...«
»Erzählt weiter, Herr,« sagte Sagloba. »Ihr kamet also nach Pilawice, was weiter?«
»Und wir hielten dort. Was die Generalregimentarier dort beraten hatten, weiß ich nicht, – am Tage des jüngsten Gerichtes werden sie Rechenschaft davon geben, denn, wenn sie jetzt plötzlich den Chmielnizki angegriffen hätten, er wäre geschlagen und gänzlich aufgehoben worden, so wahr Gott im Himmel ist, trotz der Unordnung, der Zügellosigkeit, der Tumulte und des Mangels eines Führers. Dort war unter dem Gesindel schon Schrecken eingerissen, man beriet schon, wie man den Chmielnizki und die Ältesten ausliefern solle, und er selbst beabsichtigte zu fliehen. Unser Fürst ritt von Zelt zu Zelt, bat, flehte, drohte: »Gehen wir zum Angriff, die Tataren kommen sonst dazu, greifen wir an!« – er raufte sich die Haare – während jene einer den anderen ansahen und sich nicht rührten! Sie tranken und hielten Landtag. Es verbreiteten sich Gerüchte – die Tataren kommen – der Khan nahet mit zweihunderttausend Pferden – sie ratschlagten weiter. Der Fürst schloß sich in seinem Zelte ein, denn sie hatten ihn gänzlich aus dem Rat ausgestoßen. Im Heere fing man an, davon zu sprechen, daß der Kanzler dem Fürsten Dominik verboten habe, eine Schlacht zu liefern, daß Unterhandlungen im Gange seien. Die Unordnung vergrößerte sich noch, – endlich kamen die Tataren, aber Gott half uns am ersten Tage noch; der Fürst griff sie an, Osinski und Lasrer hielten sich wacker, zwangen die Horde, das Feld zu räumen, töteten eine bedeutende Zahl – und dann ...«
Hier erstarb die Stimme Wierschuls.
»Und dann?« fragte Sagloba.
»Dann kam eine gräßliche, unbegreifliche Nacht. Ich erinnere mich, daß ich mit meinen Leuten am Flusse die Wache hatte, als ich plötzlich im Kosakenlager Kanonendonner höre und Geschrei, als ob Willkommschüsse abgefeuert würden. Da fiel mir ein, daß man gestern davon gesprochen hatte, daß noch nicht die gesamte Tatarenmacht angelangt sei, nur Tuhaj-Bey mit einem Teile derselben. Ich dachte also: wenn sie dort Vivat schießen, muß wohl der Khan in eigener Person gekommen sein, bis auf einmal auch in unserem Lager Tumult entsteht. Ich springe mit einigen Leuten hinzu. »Was ist geschehen?« – frage ich. – Sie rufen mir zu: »Die Regimentarier sind entflohen!« – Ich eile zum Fürsten Dominik – er ist fort! Zum Mundschenk, – er ist fort! – Zum Kronsfähnrich, – er ist fort! – Jesus von Nazareth! Die Soldaten rannten auf dem Schloßplatz umher, Geschrei, Lärmen, Getöse, die Klingen blitzen überall: Wo sind die Regimentarier? Wo sind die Regimentarier? Andere rufen: »Zu Pferde! Zu Pferde!« Und wieder andere: »Rettet euch, Brüder! Verrat! Verrat!« sie heben mit wirrem Blick die Hände in die Höhe. Die Augen traten ihnen aus dem Kopfe, sie drängen, treten, quetschen sich, besteigen die Pferde, eilen blindlings, ohne Waffen davon. Jetzt drängt alles nach den Helmen, Panzern, Waffen, Zelten! Endlich erscheint der Fürst im Silberpanzer an der Spitze seiner Husaren. Sechs Fackeln werden ihm zur Seite getragen, er steht in den Steigbügeln und schreit: »Meine Herren, ich bin noch da, zu mir, zu mir!« Umsonst! Sie hören nicht, sie sehen nicht, sie dringen auf die Husaren ein, bringen sie in Verwirrung, werfen Menschen und Pferde zu Boden, kaum gelingt es uns, den Fürsten zu retten, – dann stürzt über zertretene Feuerstellen in der Finsternis, wie ein reißender Strom, wie ein angeschwollener Wasserfall, das ganze Heer in wilder Flucht aus dem Lager, zerstreut sich, verschwindet, flieht ... Es gibt keine Heere, keine Führer, keine Republik mehr; nur unauslöschliche Schande, und der Fuß des Kosaken auf dem Nacken ...«
Wierschul stöhnte und zerrte am Zügel seines Pferdes, denn die Raserei der Verzweiflung befiel ihn, und diese Verzweiflung teilte sich den anderen mit, sie ritten durch Nacht und Regenschauer wie geistesabwesend.
Sie ritten lange – endlich begann Sagloba zu sprechen:
»Ohne eine Schlacht zu liefern – o, ihr Schelme! O, ihr Hundesöhne. Denkt ihr daran, wie sie in Sbarasch groß taten? Wie sie den Chmielnizki ohne Salz und Pfeffer aufzuspeisen gedachten? O, ihr Schelme!«
»Wieso?« schrie Wierschul. »Sie flohen nach der ersten, über die Tataren und das Gesindel gewonnenen Schlacht, nach einer Schlacht, in welcher sogar die vom allgemeinen Aufgebot wie die Löwen kämpften.«
»Das ist der Finger Gottes!« sagte Skrzetuski, »aber hier herrscht auch ein Geheimnis, welches aufgeklärt werden muß ...«
»Denn daß die Soldaten fliehen, das kommt wohl in der Welt vor,« sagte Wolodyjowski, »aber hier haben die Führer zuerst das Lager verlassen, wie um dem Feinde absichtlich den Sieg zu erleichtern und das Heer dem Gemetzel preiszugeben.«
»So ist es! So ist es!« sagte Wierschul, »man sagt auch allgemein, daß eine Absicht vorliegt.«
»Eine Absicht? Bei den Wunden Gottes, das kann nicht sein.«
»Man sagt's! Aber warum? Wer kommt dahinter? Wer vermag es zu ergründen?«
»O, daß man ihre Gräber der Erde gleich machte, daß ihre Geschlechter aussterben und ihr Gedächtnis mit ewiger Schande bedeckt werden möge!« sagte Sagloba.
»Amen!« sprach Skrzetuski.
»Amen!« sagte Wolodyjowski.
»Amen!« wiederholte Longinus.
»Es gibt nur einen Menschen, welcher das Vaterland noch retten kann, wenn man ihm den Feldherrnstab und den Rest der Streitkräfte der Republik übergibt. Es ist nur einer, denn von irgend einem anderen wird weder der Adel noch das Heer etwas hören wollen.«
»Der Fürst!« sagte Skrzetuski.
»Er ist es.«
»Mit ihm wollen wir stehen, mit ihm fallen. – Es lebe Jeremias Wischniowiezki!« rief Sagloba aus.
»Er lebe!« antworteten mehrere unsichere Stimmen, aber der Ruf erstarb gleich, denn der Augenblick, wo ihnen der Boden unter den Füßen entwich und der Himmel einzustürzen drohte, war nicht geeignet zu Vivat rufen.
Unterdessen begann es zu dämmern, und in der Ferne tauchten die Mauern von Tarnopol auf.