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*

Einige Tage darauf fuhr Emita ab. Sie bedauerte es unendlich, aber sie konnte den Millionär nicht länger allein lassen.

»Ich habe nun eure Freunde kennengelernt, ich bin glücklich«, sagte sie.

Besonders entzückt war sie von Stiwenhack. In einer unbeachteten Minute tat sie ihre Hand auf seine Schulter und lud ihn nach Juliusbad ein.

»Sie sind uns jederzeit angenehm, lieber Meister«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.

Als der Abschied kam, lagen sich Mutter und Tochter weinend in den Armen.

Melitta hatte auf eine Einladung gehofft, doch davon sagte Emita nichts. Aber ein anderes ereignete sich, was Melitta diese Enttäuschung verschmerzen liess. Sie hatte in den Tagen oft das Pelzwerk gestreichelt, den Silberfuchs aus dem Land in den Bergen.

Jetzt band Emita den Pelz vom Hals und legte ihn Melitta um. Königlich tat sie es, als verschenkte sie das Goldene Vliess.

Melitta beugte sich, Stiwenhack applaudierte.

Ja, das war wirklich Emita, die Millionärin, und so fuhr sie ab.

Tags zuvor hatte Herr Daudat sie noch an das Geld für den Terrassenbau erinnert. »Selbstverständlich, ich werde sofort alles veranlassen«, war ihre Antwort gewesen.

Nun war sie abgereist, aber das Geld kam nicht.

Daudat wurde ungeduldig:

»Der Januar geht zu Ende, die Aufträge müssen vergeben werden. Unter Umständen kann man im Februar schon mit dem Bau anfangen.«

Er setzte Pagel zu, Emita zu drängen. Pagel weigerte sich. Er war nicht dafür, gleich über alle Masse zu gehen. Schritt für Schritt, das wäre besser. Das Geld von Frau Gloddes würde fürs erste schon reichen, meinte er. Dann hätte man keinem dankbar zu sein.

Daudat sah das Vergebliche seiner Bemühungen bei Pagel ein. Er wandte sich an Melitta. Es gelang ihm, sie zu einem Brief zu überreden.

Von Emita kam umgehend eine Antwort. Der Millionär wäre krank. »Glaube es mir, Kindchen, ich habe im Augenblick ganz andere Sorgen als eure Terrassen. Der Arzt kommt dreimal am Tage. Wir haben eine Diakonissin für die Nacht genommen. Es kostet Geld und nochmal Geld. Aber das wäre ja die geringste Sorge.« Es war ein seitenlanger Brief und auf der letzten Seite schien Emita nicht mehr gewusst zu haben, was sie auf der ersten geschrieben hatte. Auf der letzten Seite stand: »Ich erinnere mich noch mit Vergnügen des kleinen Festes bei euch anlässlich der Fasanen. Vorgestern hatten wir hier auch einen scharmanten Abend. Es gab Gänseleber mit Trüffeln. Der Millionär brachte den Toast aus. Er ist der geborene Unterhalter.«

Melitta genierte sich, Herrn Daudat den Brief zu zeigen. Sie sagte nur, dass der Millionär krank wäre und dass man sich einstweilen noch gedulden müsste.

Auch Pagel bekam den Brief nicht zu sehen.

»War da nicht ein Brief gekommen?« fragte er.

»Ja, ein Brief ist gekommen. Wo habe ich ihn doch?«

Sie suchte den ganzen Tag danach. Sie hatte ihn längst in den Herd gesteckt. Am Abend suchte sie ihn immer noch.

Pagel fragte nicht weiter. Doch am nächsten Tage erklärte Herr Daudat, dass er nun den Konsul einspannen wolle, denn mit den Millionen aus Juliusbad wäre nach dem Briefe vorläufig doch nicht zu rechnen.

Da horchte Pagel auf. Also hatte man hinter seinem Rücken an Emita geschrieben.

Herr Daudat ging schweren Herzens zum Konsul. Aber es war gar keine grosse Diplomatie notwendig. Konsul Klemm stellte die Summe sofort zur Verfügung. »Pagel ist mir sicher. Goldwert, sag ich Ihnen. Ein prima Koch. Nein, was waren die Fasanen köstlich.«

Nun konnte Herr Daudat seine Pläne verwirklichen, die Terrassen und das Tanzzelt. Ein Stein war ihn vom Herzen gefallen.

Er stellte sich jetzt fast täglich im Logierhause ein und entwarf Pläne. Er brachte den Architekten der Baufirma mit und als dritter wurde Stiwenhack hinzugezogen. Pagel hörte sich das Gerede zuweilen mit an. Wenn er nach seiner Meinung gefragt wurde, antwortete er: »Ihr wisst, dass ich es solide und anständig haben will.«

Früher hatte Herr Daudat auch immer gesagt: »Solide, solide.« Der schnelle Aufschwung des Logierhauses schien ihm jedoch in den Kopf gestiegen zu sein. »Bloss nicht hausbacken«, war jetzt seine Redensart.

»Sie werden mit mir zufrieden sein«, versicherte der Architekt, wenn er Pagels bedenkliches Gesicht sah. Er suchte ihn öfter allein auf und erklärte ihm seine Zeichnungen. Er respektierte Pagel, denn er wusste, dass dieser Mann überall Vertrauen genoss. »Wir können uns keine bessere Geschäftsverbindung wünschen«, sagten die Lieferanten.

Die Terrassen waren für Herrn Daudat das Nebensächlichere. In der Hauptsache handelte es sich bei ihm um das Tanzzelt. Er wusste, dass Pagel nicht viel davon hielt, darum weihte er Stiwenhack bis ins kleinste in seine Pläne ein.

»In der Hauptsache werde ich es sein, der diesen Zweig unseres Unternehmens ausbaut. Sie sollen dabei meine rechte Hand werden, Sie haben die künstlerische Erfahrung. Ich erwarte Ideen von Ihnen, exzellent und schlagkräftig!«

Als Pagel einmal zu Daudat bemerkte, dass der Maler nun schon recht lange im Hause wäre und gar keine Anstalten zur Abreise machte, fuhr ihm Herr Daudat dazwischen:

»Wo denken Sie hin? Dieser Mann ist unentbehrlich. Seine Arbeit beginnt erst. Ich habe Grosses mit ihm vor. Goldwert, sag ich Ihnen, ein prima Künstler! Wir können froh sein, dass er uns so billig ins Haus geschneit ist.«

Herr Daudat brachte Malpapier, Farben und Kohlenstifte, Skizzenblocks und Pinsel in allen Grössen aus der Stadt mit.

»Nun können Sie an die Arbeit gehen«, sagte er zu Stiwenhack.

Der Maler schritt jetzt lärmend durch das Haus. Er sang und pfiff und seine Krawatten flatterten pompöser als je. Er wusste nun, dass er unentbehrlich war.

Nach der Schlittenfahrt hatte er sich ein paar Tage lang bescheiden zurückgehalten. Es war ihm wohl nachträglich eingefallen, wie nahe daran er wieder einmal gewesen war, seine warme Stube aufs Spiel zu setzen. Er hatte Pagel bei jeder Äusserung belauert, bis er zu seiner Beruhigung feststellen konnte, dass jener Ausbruch in die Schneenacht unbemerkt geblieben war.

Dass Ohlik sie beobachtet hatte, wussten sie nicht. Der Holzkapitän machte auch nicht die geringste Andeutung. Er kam jetzt aber öfter in das Logierhaus und oft forderte er Melitta auf, das gelbe Kleid anzuziehen. Sie liess sich nicht zweimal bitten, zumal Stiwenhack solche Gelegenheiten benutzte, um einige Skizzen von ihr anzufertigen. Er wollte Wort halten: »Ja, ich werde dich malen, Melitta.«

In dem gelben Kleide sass sie den Männern gegenüber, den Kopf unverwandt auf die Türe gerichtet, so wie der Maler es angeordnet hatte. »Welches Profil«, rief er begeistert.

Manchmal, wenn sie so dasass, ging Pagel durch die Türe. Er nickte ihr zu. Vielleicht freute er sich, dass seine Frau soviel Anerkennung fand. Zuweilen aber schien seine Kopfbewegung nachdenklicher zu sein.

Melitta erwiderte seinen Blick nicht. Sie sass unbeweglich da. Der Maler hatte es so befohlen. »Keine Bewegung, nur diesen Ausdruck! Weisses Feuer, Lilienstengel, Teufelsabbiss!« Er fuhr sich durchs Haar. Er riss seine Krawatte schief. Wenn er zeichnete, betete er ein ganzes Wörterbuch her.

Ja, Melitta bemühte sich, jede Bewegung zu vermeiden. Manchmal fiel es ihr schwer, denn sie hatte das Gefühl, dass sie den Kopf wegwenden müsste, weil etwas Lauerndes im Ansprunge war.

Nicht immer, aber zuweilen fürchtete sie sich vor Ohliks Blick.

Herr Daudat bewunderte Stiwenhacks Zeichnungen.

»Ein süperbes Weib«, sagte er.

Erst jetzt schien es ihm aufzugehen, was hinter Melitta eigentlich zu vermuten wäre. Ja, ein süperbes Weib, wenn sie in dem gelben Seidenkleid zwischen den Männern sass. Aber noch mehr, wenn sie, den Silberfuchs umgelegt, durch Thorde ging.

Pagel hatte sich damals gefreut, als Emita ihr diesen Pelz schenkte. Er gönnte ihr von Herzen alle Freude daran. Doch sollte man nicht jeden Tag mit solch einem Schmuck herumlaufen, das war seine Ansicht, besonders nicht in einem so armen Nest wie Thorde, wo es böses Blut setzen konnte.

Melitta kümmerte sich nicht um seine Bedenken. Im grossen Aufputz ging sie durch Thorde, Stiwenhack neben sich als Kavalier und von Ohlik gefolgt wie von einem Schatten.

Es dauerte nicht lange, dass die Frauen von Thorde anfingen, mit schlimmen Worten hinter ihr herzureden.

In jenen Tagen wurde der Wirt in Haft genommen und in die Stadt transportiert. Er konnte den Versuch einer Brandstiftung nicht ableugnen. Bald darauf wurde dann von der Brauerei die Auktion festgesetzt.

Aus der Umgegend kamen viele Käufer. Sie boten geringe Preise und zogen mit vollen Wagen nach Haus. Zu Pagels Ärger hatte sich auch Herr Daudat an dieser Versteigerung beteiligt. Er erstand billig einige Logierbetten, Spiegel, Schränke und Waschtische.

»Wir werden unser Haus sowieso vergrössern müssen. Die Zimmer werden für die Zukunft nicht ausreichen. Ich rechne damit, dass wir im kommenden Herbst, wenn die Saison vorüber ist, anbauen. Da haben wir schon preiswertes Mobiliar. Es braucht bloss aufgefrischt zu werden. Auch darauf wird sich Meister Stiwenhack verstehen.«

Mit diesen Worten rechtfertigte Herr Daudat seine Käufe.

Stiwenhack hatte ihn auf die Auktion begleitet. Während die anderen mit hitzigen Köpfen im früheren Tanzsaal Zahlen schrien, Angebote brüllten und sich wie hungrige Hunde mit hämischen Blicken anfielen – denn es gibt nichts Entwürdigenderes als eine Auktion, wo nichts anderes geweckt wird als Habgier, die dem armen Menschen, der von seinem Gut und Eigen gehen muss, das Letzte noch um ein Spottgeld entreissen will –, während also die anderen krakeelten und feilschten, sah sich Stiwenhack in dem Gasthause um.

In dem Holzschuppen entdeckte er die bunten Trümmer der dänischen Wiege. Er holte sie sorgsam hervor und stellte sie aneinander.

Wahrhaftig, es war eine Wiege. Ein Haufen zerbrochener Bretter zwar, aber bunt bemalt und mit seltsamen Buchstaben.

Das Gesicht des Malers verklärte sich.

Was er da vor sich hatte, war wohl nur eine vielfarbige Ärmlichkeit, aber für ihn wurde es in dieser Stunde zum Inbegriff eines vollkommenen, würdigen und künstlerischen Hausrates.

Stiwenhack liess Herrn Daudat mit seinen Betten und Schränken im Stich. Er nahm die Trümmer der dänischen Wiege und trug sie auf der Schulter in das Logierhaus.

Er fragte nicht, ob er ein Recht dazu besass. Aus Verfall und Verstossung rettete er das Kunstwerk.

Im Schuppen auf dem Hofe hatte er sich ein Atelier eingerichtet, denn es gab für ihn alle Hände voll zu tun, seitdem Herr Daudat grossen Plänen Gestalt geben wollte.

In diesem Arbeitsraum verbarg er die dänische Wiege, bis er dann eines Tages auf den Gedanken kam, aus ihren Trümmern einen Sessel anzufertigen, einen Prachtstuhl für die Gasträume des Logierhauses.

Tagelang leimte und nagelte er, um die vergessene Wiege zu neuem Leben zu erwecken.


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