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Das Logierhaus wurde gebaut. Das gab eine grosse Aufregung in Thorde. Neugier gab es und Klatsch. Schon der Wirt sorgte dafür, dass die Leute nicht zur Ruhe kamen. Er verstand es, die meisten auf seine Seite zu bringen. Er nahm sie gegen das Logierhaus ein.

»Was werdet Ihr davon haben?« fragte er. »Nichts werdet Ihr haben. Es werden Fremde kommen, die Euch über die Achsel ansehen.«

Der Wirt hatte recht. Was sollte eine solche Neuerung in Thorde?

Die Frauen wollten auch Melitta den Triumph nicht gönnen. Wie sie dahergeht, weil ihr Mann seine paar Kröten in das Unternehmen steckt. Was sie sich einbildet, sagten die Frauen.

Nun, mit allen solchen Dingen musste gerechnet werden.

Der Bau ging rüstig vonstatten.

»Ich habe gedacht, wir nennen es das Strandschloss«, sagte Ohlik.

Daudat, der keinen Tag vorüberliess, ohne nach dem Bau gesehen zu haben, war schon ärgerlich über die vielen Einfälle des Holzkapitäns. »Wer baut hier eigentlich?« fragte er pikiert.

Ohlik begütigte ihn. Er wollte es mit Daudat nicht verschütten, aber er blieb hartnäckig bei seinem »Strandschloss« und brachte es bei jeder Gelegenheit an.

»Er fällt mir auf die Nerven«, jammerte Daudat und hielt sich die Ohren zu. »Ich bin ein vielbeschäftigter Mensch. Der Schornstein muss rauchen. Wovon raucht der Schornstein? Man muss das Feuer in Gang halten. Ich habe viele Eisen im Feuer. Sie machen mich verrückt.«

Herr Daudat konnte den ganzen Tag mit einem Notizbuch hin und her laufen.

In all dieser Zeit wusste Pagel nicht recht, was er anfangen sollte.

Er kam sich wie ein Müssiggänger vor. Auf dem Neubau hielt er sich immer nur kurze Zeit auf, weil er nicht untätig dabeistehen wollte.

Das besorgte Boom Garde. Pünktlich wie ein Arbeiter stellte er sich am frühen Morgen ein, hielt genau mit ihnen die Essenspausen inne, und wenn sie Feierabend machten, stelzte er noch einmal inspizierend um den Bau. Es war erstaunlich, was er im Zuschauen leisten konnte.

Pagel aber hätte am liebsten ein Handwerkszeug genommen und mitgeschafft. Doch ging das vor den Leuten nicht. Er war froh, wenn Daudat ihn in die Stadt bestellte, weil wegen der Einrichtungen dieses und jenes zu besprechen und zu besorgen war.

Da die Dinge ihm fremd waren, musste er sich in allem Daudats Führung anvertrauen. Er ordnete sich unter und führte aus, was der andere ihm auftrug.

Schliesslich handelte es sich nicht um das Haus, das am Strande erstand. Das alles war nur ein äusseres Geschehen. Es kam nicht darauf an, wer dieses oder jenes tat und ob es schneller oder mehr mit Bedacht getan und ob es besser oder schlechter ausgeführt wurde.

Nein, darauf kam es nicht an. Es ging hier um ein anderes. Für Melitta baut Pagel sein Leben um. Das ist eine langwierige Wandlung. Wer damit zu tun hat, dem bleibt das Äussere fremd. Nun gut, Pagel gehorchte diesem Herrn, der Daudat hiess. Das Schicksal wünschte wohl, dass er um Melitta dienen sollte.

Das Logierhaus wurde gebaut. Es war nicht das Feenschloss, das Ohlik sich in seinen Gedanken vorstellte. Es hatte auch keine fünfzig Betten, wie Herr Daudat zuerst behauptet hatte. Es stellte sich heraus, dass das Geld nicht so weit reichte.

Nun, man konnte auch bescheiden anfangen und sich mit zwölf Zimmern begnügen. Man konnte auch allen Schmuck fortlassen.

Aber die grosse Veranda musste gebaut werden. Daran hielt Daudat fest. Die Veranda ist der Anziehungspunkt, sagte er.

Er hatte auch tatsächlich schon für das Haus in Thorde Reklame gemacht. Es kam vor, dass Bekannte von ihm sonntags herausgefahren kamen, um den Bau zu besichtigen. Einmal waren auch junge Mädchen darunter, die baten Herrn Daudat, dass in der Veranda getanzt werden dürfe. Doch das lehnte er ab.

»Es soll ein ruhiges und solides Haus sein«, sagte er. »Das mit dem Tanz können wir für später im Auge behalten. Es wird sich schon eine Möglichkeit schaffen lassen.«

Eines Tages kam er triumphierend an. Er hatte bereits für den kommenden Sommer sechs Zimmer vermietet.

»Passen Sie auf, bevor noch die Saison beginnt, haben wir das Haus voll«, sagte Herr Daudat und warf die Hände geschäftig hin und her.

Er nannte die Sommermonate jetzt immer die Saison.

Ja, er behielt recht. Noch ehe das begann, was Herr Daudat mit Saison bezeichnete, kamen die ersten Gäste.

Da stand nun das Logierhaus am Strande, ein viereckiger Kasten, nüchtern und weiss getüncht, an dessen Ostseite auf dicken Holzbohlen die Veranda angebaut war, ein geräumiger Käfig aus Holz und Glas, von dem Herr Daudat sich soviel versprach.

Über die Vorderfront liefen grosse Buchstaben: Pagels Logierhaus. Sehr zu Ohliks Widerspruch, der der Ansicht war, dass der Bau mindestens den Namen Strandschloss tragen müsste.

Pagel hatte sich zuerst dagegen gesträubt, dass sein Name derart in Erscheinung trat. Aber Herr Daudat behauptete, der Name, den er für das Unternehmen ausgewählt hätte, besässe einen guten Klang.

»Pagels Logierhaus, gut und solide«, sagte er, »ich muss immer wieder sagen solide – solide!«

Er selbst legte keinen Wert darauf, dabei genannt zu werden. Schon der Schiffahrtsgesellschaft wegen, deren Agent er war, wollte er sich nicht so in den Vordergrund drängen.

»Still, aber sicher«, lachte er.

Als alle Zimmer bewohnt waren, schlug Herr Daudat vor, eine kleine Eröffnungsfeierlichkeit zu begehen. Er liess einen Klavierspieler aus der Stadt kommen, der in dem Speiseraum, von Herrn Daudat als Kursaal bezeichnet, zum Tanz aufspielen musste. Zu dieser Feier waren nicht nur die Gäste geladen, nein, Herr Daudat hatte es auch verstanden, mehrere Persönlichkeiten der Stadt auf die Beine zu bringen. Unter seinem grossen Bekanntenkreis traf er eine sorgfältige Auswahl. Als Ehrengast hatte er sich des Konsuls Klemm versichert.

Daher kam es, dass die Feier über das Logierhaus hinauswuchs und über Thorde. Die Stadt nahm daran teil.

Auf dem weissen Dampfer, den Konsul Klemm zur Verfügung gestellt hatte, fuhren die Geladenen nach Thorde. Sie hatten Musik an Bord. Es war schon ein Fest, das sie mitbrachten.

Auf einmal war Musik in allen Räumen. In dem Saal, auf der Veranda und vor dem Büfett.

Die armen Leute von Thorde drückten sich an den Fenstern die Nasen platt. Die dicken Frauen draussen liessen ihre gehässigen Reden. Das Fest hatte sie weich gestimmt. Sie lauschten vor den Türen, um auch ein wenig von dieser Herrlichkeit zu erwischen.

Bieke führte an diesem Tage die Oberaufsicht in der Küche. Geesche trug die Speisen und Getränke auf. Antje und Deeke halfen ihr dabei. Sie wurden von den Gästen mit Bevorzugung behandelt. Sie sahen reizend aus in den steifen Kleidern mit den gestärkten Schürzen und den wunderlichen Häubchen mit der Messingschnalle.

»Es ist die alte Tracht von Thorde«, verkündete Herr Daudat. Wenn man ihn dieses Ausspruches wegen auf Herz und Nieren geprüft hätte, wäre er wohl in Verlegenheit gekommen. Aber die Gäste nahmen es nicht so genau. Sie freuten sich über die schmucken Mädchen.

»Welche hübsche Tracht«, sagten sie. »Es ist schade, dass so etwas in Vergessenheit geriet.«

Unter den Gästen befand sich auch Herr Mathiessen, der junge Lehrer. Er war ein ständiger Gast in Thorde geworden. Jeden Sonntag kam er, oft auch sonnabends, wenn er seine Gesangstunde gegeben hatte. Dann blieb er in dem Gasthause über Nacht.

Zuerst war es dem Wirt gelungen, ihn gegen das Logierhaus aufzubringen. Das konnte nicht schwerfallen, weil Herr Mathiessen sich sowieso über den hässlichen Kasten am Meer geärgert hatte. Dann aber gelang es der Klugheit des Herrn Daudat, den Lehrer für sich zu gewinnen. Als er ihn eines Tages traf, sagte er:

»Sie sind ein beschlagener Mensch, Herr Mathiessen. Wir haben in unseren Räumen einige Anschläge anzubringen. Wenn Sie uns bei deren Abfassung behilflich sein könnten, wären wir Ihnen dankbar.«

Herr Mathiessen fühlte sich geehrt. Er versprach seine Hilfe. Sie sassen dann einen Abend lang beisammen, entwarfen die Anschläge und tranken die Flasche Wein, die Herr Daudat spendiert hatte.

Am nächsten Sonntag sprach Herr Mathiessen mit vor, um sich von der Wirkung seiner Plakate zu überzeugen.

Zu seiner Überraschung wurde ihm der Kaffee von Geesche serviert. Es stellte sich heraus, dass Geesche jetzt in dem Logierhause half. Auch ihre Mutter Bieke ging Melitta zur Hand.

Das war überhaupt ein Kapitel für sich, die Küche und die Bewirtschaftung. Melitta war ganz verzweifelt darüber. Sie hatte sich das alles einfacher vorgestellt.

Jetzt, wo Bieke da war, ging es einigermassen.

Also Geesche half in dem Logierhause. Das hatte sich von einem zum andern Tage entschieden. Herr Mathiessen trank mit Behagen seinen Kaffee. Nun wusste er, wo er in Thorde einzukehren hatte.

Ja, auch Herr Mathiessen war unter den Gästen, die zu der Eröffnungsfeier geladen waren. Auch Ohlik, der Holzkapitän, sass da und Frau Wanda, die Wirtin.

»Wir wollen keine Feinde im Dorf haben«, hatte Herr Daudat gesagt. Er war in das Gasthaus gegangen und hatte die Wirtsleute eingeladen.

»Hören Sie mich in Ruhe an«, sagte er. »Sie werden es uns einmal danken, dass das Logierhaus da ist. Ich verspreche Ihnen, dass Thorde aufblühen wird. Von allen Seiten werden die Gäste kommen. Auch Ihr Gasthaus wird überfüllt sein.«

Der Wirt hatte aufgeregt dagegen gesprochen. Herr Daudat war schliesslich verstimmt fortgegangen.

Aber nun war doch die Wirtin gekommen. Sie mussten sich wohl nachträglich in Ruhe überlegt haben, dass Herrn Daudats Versprechungen nicht ganz aus der Luft gegriffen sein mochten.

Also doch, Frau Wanda war da. Herr Daudat begrüsste sie strahlend.

»Das Kriegsbeil ist begraben«, sagte er verbindlich.

Ja, Herr Daudat verstand es, mit den Menschen umzugehen. Im schwarzen Anzug mit weisser Krawatte stand er inmitten der Gäste. Mitten im Saale stand er, wenn die Paare sich drehten. Er gab der Musik Winke, er klatschte in die Hände. Er leitete das Fest.

Pagel sass neben Frau Wanda, der Wirtin. Er wusste nicht, zu wem er sich an diesem Tage gesellen sollte. Er hatte ungeschickt in seinem blauen Anzug herumgestanden. Dieser Anzug hatte ihm vor Tagen einen Verweis eingetragen.

»Blau?« hatte Herr Daudat festgestellt. »Blau? Unmöglich. Sie müssen sich einen schwarzen Anzug anfertigen lassen. Der gehört dazu.«

Doch Pagel war in seinem blauen Anzug gekommen. Nun unterhielt er sich mit der Wirtin, die auch bisher verloren in einer Ecke gesessen hatte.

An diesem Tage trug Melitta das gelbe Seidenkleid.

Keine der Frauen war so festlich gekleidet wie sie. Ohlik, der Holzkapitän, folgte ihr wie ein Schatten. Ja, das war Frau Hildas gelbe Seide, die hier durch die Räume rauschte und dort zwischen den Tanzenden aufflammte. Es war Frau Hildas gelbe Seide, die in fremdartiger Feier an diesem Abend zwischen Musik und Gelächter aufblühte.

An jenem Tage, als die Maurergesellen die Richtkrone auf das Haus gesetzt hatten, war Ohlik mit dem Kleide zu Melitta gekommen. Sie hatte sich nicht lange gesträubt, es anzunehmen. Man kannte sich gut genug. Was sollte das Kleid auch länger in der Truhe liegen.

»Es ist ein denkwürdiger Tag«, hatte Ohlik gesagt. »Das Schloss ist gebaut, ein neues Leben beginnt nun.«

Er erzählte, dass der Maurergeselle eben die bändergeschmückte Tannenkrone auf den Dachfirst gesetzt hätte. Es war also der rechte Augenblick zu einem fürstlichen Geschenk.

Melitta konnte sich von dem Anblick der alten wundervollen Seide nicht trennen.

Sie zog das Kleid sofort an. Es war ein unmodernes Kleid mit grossen Puffärmeln und einer spitzen Taille. Auch der Rock war zu lang. Frau Hilda Ohlik musste grösser gewesen sein als Melitta. Aber sie raffte den Rock, und nun war er nicht mehr zu lang.

Ohlik hatte mit seiner Bewunderung nicht zurückgehalten. Er war überschwenglich geworden. Er sagte: »Wie eine Fürstin.«

Ja, dieses Kleid wäre für Geesche viel zu schade gewesen, von Bieke ganz zu schweigen. Nur eine Frau, die einen anmutigen Gang hatte wie Melitta, durfte dieses Kleid tragen.

Natürlich musste es geändert werden. Melitta sass mehrere Abende mit Nadel und Schere darüber. Man hätte nicht glauben sollen, wie geschickt sie es fertig brachte, das Kleid wieder instand zu setzen.

Ja, Pagel konnte stolz sein auf solche Frau.

Ach ja, er hätte stolz sein können, aber er ging ärgerlich umher, weil er mit dem Geschenk nicht einverstanden war.

»Meine Frau braucht sich von keinem Fremden ein Kleid schenken zu lassen«, hatte er gesagt.

Endlich sah er wohl ein, dass der Holzkapitän kein Fremder wäre und dass es lächerlich war, sich wegen eines Kleides derart in Harnisch zu bringen. Er wollte auch Melitta nicht kränken, die schon mit Tränen herumging. So fand er sich mit dem Geschenk ab, und als Melitta das Kleid in der neuen Form eines Abends ihm vorführte, äusserte er sich anerkennend über Melittas Geschicklichkeit.

Ja, er konnte stolz sein auf so eine Frau.

Nun sass er neben Frau Wanda, der Wirtin, und wenn Melitta festlich an ihm vorüberging, blickte er auf und freute sich an dem Glanz, der von ihr ausstrahlte.

Er sass neben der Wirtin, und sie sprachen von täglichen Dingen. Melitta aber tanzte. An diesem Abend war sie die begehrteste Tänzerin.

»Mir ist heiss«, sagte sie zu jedem Tänzer. »Dabei hab ich noch gar nichts getrunken –. »Gar nichts«, beteuerte sie, als erwartete sie eine Anerkennung.

Wenn die Musik mit einem altmodischen Walzer einsetzte, erschien jedesmal Konsul Klemm und forderte sie auf. Zu den raschen Tänzen jedoch fanden sich die jungen Herren aus der Stadt.

Herr Mathiessen hätte gerne mit Geesche getanzt. Aber sie hatte keine Zeit dazu. Mit Deeke und Antje ging sie durch die Reihen der Gäste, bot Erfrischungen an oder fragte nach den Wünschen. Einmal aber, als sie das Tablett abgesetzt hatte, bekam Herr Mathiessen sie zu packen und tanzte mit ihr herum. Die Gäste klatschten, als die beiden sich so flink im Tanze drehten. Da waren auch zwei andere Herren nicht faul und griffen Antje und Deeke. Ja, nun tanzten die Thorder Fischermädchen. Einen Galopp spielte die Musik dazu. Das war ein Extratanz.

Als Herr Mathiessen an Melitta, die sich vor Lachen bog, vorüberwalzte, rief er: »Die Hexen ho und hei!«

Er hatte ihr erstes Gespräch nicht vergessen. Er kannte ihre Sehnsucht, und wenn er sie später getroffen hatte, erzählte er von dem Land in den Bergen.

»Ho und hei«, rief Herr Mathiessen.

Da lachte Melitta nicht mehr. Mitten in aller Lust überfiel sie eine Traurigkeit. Nur eine Sekunde lang oder zwei. Heute ist hier ein Fest, dachte sie, aber morgen ist wieder ein grauer Tag. Das dachte sie wohl. Für eine Sekunde war die Musik fort, und der Tanz war fort. Die fröhlichen Gäste waren fort und die schäumenden Getränke. Für eine Sekunde war in ihr nichts als der eintönige Schlag des Meeres.

Als Herr Mathiessen zum zweiten Male vorbeitanzte, lachte sie schon wieder, und nun rief sie selber:

»Die Hexen, ho und hei!«

Ja, die Hexen! Aus den Schornsteinen tanzten sie heraus, jung und in sündiger Begehr. Jachternd flogen sie fort aus den niedrigen Häusern, den engen Küchen, den winkligen Stuben. Selig und sündig schwangen sie sich auf. Weit fort in zauberhaften Dunkelheiten warteten die reichen Herren auf sie, die grossen Könige, Saul und König Salomo.

Ho und hei! riefen nun auch die Gäste. Und Geesche, Deeke und Antje tanzten, dass ihnen die Luft ausging. Kreischend und japsend lagen sie ihren Tänzern im Arm. Schluss, Schluss, baten sie. Aber die Musik kannte kein Erbarmen. Immer von neuem begann sie mit ihrem Galopp.

Da fielen die Mädchen auf die Stühle. Zuerst Deeke und Antje, dann auch Geesche. So erschöpft waren sie, so schwindelig, so ohne Atem, und die Tänzer fächelten ihnen Luft zu mit den weissen Taschentüchern.

Die Musik aber jauchzte und raste.

Jetzt bekamen auch die anderen Lust, sich in solche Wildheit einzulassen. Doch ehe sie noch zum Tanz antreten konnten, hatte Pagel Melitta um die Taille gefasst. Da machten sie Platz für das Paar.

»Einen Extratanz für den Chef«, ruft Herr Daudat.

Es ist ein gelungener Abend. Nichts kann mehr schief gehen nach menschlichem Ermessen. Das Haus ist gegründet. Man hat seine Reputation.

Auf den Gesichtern der Gäste liest man, dass sie mit allem einverstanden sind. Von diesem Fest wird man noch lange sprechen.

Herr Daudat reckt sich auf die Fussspitzen.

»Einen extra für den Chef«, schreit er. Die Instrumente prahlen.

Musik stolziert einher. Eine Weile klatschen die Gäste den Takt mit.

Ja, das stolziert durch den Saal: Geige, Trompete, Klavier und die klatschenden Hände.

Die Musiker sehen nicht mehr in die abgegriffenen Notenblätter. Auf Melitta blicken sie und auf das grosse gelbe Seidenkleid, das sich da wiegt und biegt, das herumgedreht und geschwenkt wird.

Ja, die Musiker sehen schon längst nicht mehr in die Noten. Es ist erstaunlich, was für eine Musik sie mit Händen und Lippen hervorbringen.

Mit steifen Schritten, altfränkisch, hatte Pagel zu tanzen begonnen.

Melitta zupfte ihn erst. Sie genierte sich wohl. Sie war noch ganz verdutzt, dass sie nun mit Pagel sich drehte.

Er hatte Frau Wanda sitzen lassen. Mitten im Gespräch war er aufgestanden, quer durch den Saal gegangen und hatte Melitta zum Tanz geholt.

Was war auf einmal in Pagel gefahren? Die Musik oder der Aufruhr der Mädchen von Thorde, das Halloh der Gäste? Er wollte sich wohl in diesen wirren Minuten seines Besitzes vergewissern. Ja, das wollte er. Darum holte er Melitta zum Tanz.

Vielleicht aber war ihm die tote Sekunde nicht entgangen, die über Melittas Gesicht geflogen war.

Nun hielt er sie im Arm, und sie tanzten.

»Mir ist heiss«, sagte sie. »Dabei habe ich noch gar nichts getrunken.«

Er drückte ihr die Hand und lachte freundlich. Nun hatte sie ihre Anerkennung. Er lachte freundlich und drückte ihr die Hand. Da schmiegte sie sich an ihn.

Das ist der Tanz mit dem Wirbel. Um seinen Nacken klammerte sie die Hände. Ihre Füsse berühren kaum noch den Boden.

Herr Daudat blickt sich triumphierend um. Was sagen Sie nun, meine Herrschaften? Ja, so tanzen die Schiffer! Die Seefahrer tanzen so! So wird in Thorde getanzt, verstanden?

Herr Daudat ist stolz über diesen Triumph. Jawohl, auch von diesem Tanz wird man reden.

Die Gäste haben die Augen aufgerissen. Aber die jungen Leute werden ungeduldig. Sie wollen nun selber tanzen.

Herr Daudat hat einen bittenden Blick. Bitte, noch etwas Geduld. Stören Sie den Tanz nicht.

Aber Pagel ist stehengeblieben. Mitten in den drei Takten ist er stehengeblieben. Er hat seinen Arm noch um Melitta. Einen Augenblick stehen sie dicht aneinander. Dann lässt er sie los.

Er wischt sich die Stirne. Er schüttelt etwas verlegen den Kopf und will an seinen Platz gehen. Nun kommt es ihm selber wunderlich vor, dass er sich plötzlich in die Tanzenden drängte.

Herr Daudat macht ein verdutztes Gesicht. Teufel? Pagel hatte sich selbst um den Beifall gebracht. Wie konnte man einen solchen Tanz einfach abbrechen. Man hat ihn zu Ende zu tanzen, so wie die Regel es verlangt.

Herr Daudat sieht sich um den Erfolg betrogen. Er versucht zwar zu applaudieren, aber sein kläglicher Beifall geht unter im Gedränge der Paare. Hastig muss er zur Seite springen. Platz da, die Tanzenden!

Konsul Klemm hat Pagel untergehakt und zieht ihn mit an seinen Platz. Er hat Wein bestellt und füllt nun zwei Gläser. Er nimmt ein Schlückchen und sagt:

»Bisschen warm geworden. Das kommt von Ihrem Tanz. Da kann auch der Wein nicht kalt bleiben.«

Das ist ein Scherzwort, über das Konsul Klemm noch lange lachen muss.

Als Pagel Melitta los liess, hatte Herr Mathiessen sie zum Tanz genommen.

»Ho und hei«, rief er anerkennend.

Melitta nickte. Sie dachte nicht mehr an die Hexen. Ihre Blicke waren auf Pagel gerichtet.

Auf einmal ist ein neuer Takt im Saal. Boom Garde ist gekommen. Langsam stelzt er mit seinem Holzbein durch die tanzenden Reihen.

Ein hölzerner Schlegel geht durch den Saal. Er vertreibt Ohlik, den Holzkapitän.

»Hast mich wohl vergessen«, brummt Boom Garde. »Mir wurde die Zeit zu lang in deinem Turm. Um zwölf wolltest du mich ablösen.«

Ohlik ist erschrocken. Jedes Mass für die Zeit war ihm abhanden gekommen an diesem Abend. Das letzte Fest hatte er auf den Holmen gefeiert, als Frau Hilda noch lebte. Die langen Jahre, die dazwischen liegen, sind ausgelöscht. Es schien ein immerwährendes Fest zu werden.

Nun aber kam der mahnende Schlegel.

Ohlik lief davon. Er war so erschrocken über die Mahnung, dass er einen letzten Blick vergass auf das tanzende gelbe Kleid, das er den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen hatte.

Er lief davon. Der verlassene Leuchtturm hatte nach ihm geschickt.

Früher hätte er Ohlik überhaupt nicht freigegeben, der Leuchtturm. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang hatte der Holzkapitän oben im Turm bei den brennenden Petroleumlampen sitzen müssen. Abend für Abend und Nacht für Nacht. Jahre um Jahre. Jetzt aber gab es künstliches Licht im Leuchtturm von Thorde.

Es war schon in der Nacht, als Ohlik davonlief. Später schien es, als stünde er vor dem hellen Fenster des Saales.

Bis spät in den Abend hatten die Leute von Thorde hier gestanden. Dann waren sie müde nach Hause gegangen.

Nun, mitten in der Nacht, schien es noch einmal, als stünde der Holzkapitän da, spähend, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt.

Melitta tanzte noch immer in dem grossen gelben Kleid.

Aber vielleicht war es gar nicht Ohlik, draussen am Fenster, vielleicht war es niemand. Vielleicht war es nur sein Schatten.


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