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Das Wesentliche ist die Tat. Sie hat drei Abschnitte, den aus dem Gedanken geborenen Entschluß, die Vorbereitung der Ausführung oder den Befehl, die Ausführung selbst; in allen drei Stadien der Tat leitet der Wille. Der Wille entspringt dem Charakter, dieser ist für den Handelnden entscheidender als der Geist. Geist ohne Willen ist wertlos, Willen ohne Geist ist gefährlich.
Im folgenden soll versucht werden, die Entwicklung der Tat aus ihren Komponenten in allen drei Stadien zu schildern, wobei von dem als Beispiel des Handelnden gewählten Feldherrn leicht Vergleiche zu anderen zum Handeln berufenen hinüberführen.
Der Handelnde, den wir hier Feldherr nennen, muß zur Erfüllung der Aufgabe, die an ihn herantritt, eine Vorbildung, ein Wissen mitbringen. Gut, aber nicht notwendig ist es, wenn er Zeit gehabt hat, sich im Berufsstudium auf den großen Augenblick seines Lebens, die Tat, vorzubereiten. Der Wert des durch Studium erworbenen Wissens darf nicht überschätzt werden. Vor den eigenen Entschluß gestellt, darf der Handelnde nicht die Enzyklopädie seines Faches im Geiste durchblättern und nicht sich erinnern wollen, wie die Feldherren von Alexander bis Zieten in ähnlichem Fall gehandelt hätten. Wissen, wie z. B. das aus dem Studium der Kriegsgeschichte gewonnene, ist nur dann von lebendigem, praktischem Wert, wenn es verarbeitet, wenn aus der Fülle der Einzelheiten das Bleibende, das Wichtige gewonnen und dem eigenen geistigen Schatz einverleibt ist, und die Gabe dazu hat nicht jeder. Ein verstorbener, allgemein hochgeschätzter und verehrter General, ein Born des Wissens, pflegte, zu einer Äußerung über eine militärische Lage aufgefordert, seine Auseinandersetzung mit den Worten zu beginnen: »In solcher Lage würde Friedrich der Große sagen: usw.«, und dann folgte ein stets treffendes Zitat; aber das beste Zitat, der stets im Geist bereite Parallelfall hilft dem Handelnden nicht über die Schwere des Entschlusses.
Zu dem positiven Wissen, auf das besonders früher großer Wert in der militärischen Welt gelegt wurde, gehörte die Militärgeographie. So führten im preußischen Generalstab einst die ältesten Offiziere den Titel: Chef eines Kriegstheaters. Viele werden sich noch mit Schrecken der sogenannten militär-geographischen Beschreibungen und ihrer mit unendlichem Fleiß zusammengetragenen Angaben über mögliche Kriegsschauplätze erinnern. Als wir im August 1914 in langsamem Transport zur Grenze fuhren, versammelte uns Offiziere des Generalkommandos der kommandierende General am ersten Morgen in seinem Salonwagen, um uns durch Verlesung der militär-geographischen Beschreibung von Belgien auf die uns bevorstehende Aufgabe vorzubereiten. Nach kurzer Zeit waren ich, der Chef, und mein getreuer erster Mitarbeiter, der damalige Major Wetzell, in tiefen Schlaf versunken – verzeihlich nach den arbeitsreichen Tagen und schlaflosen Nächten der hinter uns liegenden Mobilmachungsperiode. Nun, wir haben uns doch bis vor die Tore von Paris durchgefunden, und für Serbien und Palästina war ich später auch nicht besonders vorgebildet. Gegen geographische Bildung ist damit nichts gesagt, wie jede allgemeine Bildung den geistigen Wert des Menschen, also auch den des zum Handeln berufenen hebt.
Noch weniger als gegen theoretische Schulung soll gegen die Bedeutung der praktischen etwas gesagt werden. Wer Meister werden will, muß durch die Lehrlings- und Gesellenschule gegangen sein, und nur geniale Begabung ersetzt Lücken in dieser Laufbahn. Das Material, in dem er arbeitet, muß der Künstler – und jeder Handelnde ist ein Künstler – schon kennen, ehe er an die Arbeit geht, das Material, mit dem, in dem und gegen das er arbeitet. Etwas Verwandtes besteht zwischen Lionardos Skizzenbuch und den Entwürfen des Königs Friedrich zu seinen Manövern. Das Genie an der Arbeit! Das schwierigste, widerspenstigste und dankbarste, treuste und verräterischste Material ist der Mensch; mit ihm arbeitet vor allem der Feldherr wie jeder Regierende. Vor kurzem entdeckte eine jugendliche Militärliteratur den »Feldherrn Psychologos«. Die Binse ist eine perennierende Pflanze und Binsenwahrheiten gelangen periodenweise zu neuer Blüte. Als ob wahre Regierungs- und Feldherrnkunst je ohne Psychologie denkbar gewesen wäre! Sie ist die schwerste der Herrscherkünste, die wichtigste und vielleicht seltenste der Feldherrngaben; ihre Ausübung trägt in Beurteilung der Masse und des Einzelnen die Erfolge, aber auch die größten Irrtümer und Enttäuschungen in sich. Sie darf nicht nur vom Standpunkt dessen beurteilt werden, der sich falsch behandelt glaubt. Das Urteil über ein Führertum liegt in seiner Auswirkung auf die Masse; aber die Masse hat kein Recht auf ein Urteil.
So gerüstet steht der Mann vor seiner Aufgabe. Was er zu ihr im Innersten mitbringt, entzieht sich jeder Regel und jeder Schilderung, obwohl es für die Tat das eigentlich Wesentliche ist. Genie ist Charakter.
Aus der Aufgabe heraus setzt sich der Handelnde das Ziel, gleichviel, ob er diese Aufgabe sich selbst stellen konnte – und welcher Handelnde war je ganz frei! – oder ob sie ihm Umstände und höherer Befehl zuwiesen. Das Ziel seines Handelns wird er stets sich weiter stecken, als er es im eigensten Innern für erreichbar hält; er wird dem Glück auch einen Spielraum geben; aber es nicht über diesen verständigen Spielraum hinaus auszudehnen, erfordert weise Beschränkung und Kunstgefühl. Hier liegt die feine Grenze zwischen dem kühnen Feldherrn und dem Hazardeur. Diese Zielsetzung ist wesentlich beeinflußt von dem Urteil über die eigenen Mittel und Kräfte aller Art, wie durch das über den zu erwartenden Widerstand, und erst aus dieser Überlegung heraus ergibt sich das endgültige Urteil über die Erreichbarkeit des Ziels. Aus diesen vielgestaltigen Erwägungen und – wer wollte es leugnen! – Stimmungen heraus zeichnet sich mit zunehmender Deutlichkeit das Bild des Entschlusses ab. Zweifel erheben ihr Haupt; so vieles liegt im Dunkeln. Riesengroß steht die Verantwortung vor dem ringenden Geist. Jetzt spricht der Genius sein entscheidendes Wort, die Faust fällt auf den Tisch, der Entschluß ist gefaßt und der Befehlende tritt hinaus in den Kreis der harrenden Vollstrecker seines Willens.
Nicht jeder Tat ist so glückliche Empfängnisstunde, so einfacher Geburtsakt beschert. Versammlungen, Beratungen, Ausschüsse, Kriegs- und andere Räte sind – und um so größer um so gefährlicher – kraftvollem und schnellem Entschluß Feind. Meist sind sie aus Bedenklichkeiten und kleinen Verantwortungen zusammengesetzt, und der zum Handeln Drängende erträgt schwer die sich dehnenden Stunden der Beratung. Ich entsinne mich aus der Teilnahme an solchem Kreis eines Mitgliedes, das schlechthin zu jedem Gegenstand sprach und stets die gleiche Rede hielt. Zuhören, schweigen und zustimmen zu können, sind seltene Gaben, weit seltener als die Rednergabe selbst, die am schlimmsten wirkt, wenn ihr die Fähigkeit aufzuhören versagt ist, wie dem Mann, der das Radfahren erlernte.
Das Material, das der zum Handeln Berufene zum Unterbau seines Entschlusses gebraucht, werden Gehilfen ihm zutragen; er wird für Einzelheiten den Rat sachverständiger und erfahrener Männer hören, und bis an die Grenze des letzten Entschlusses folgt ihm vielleicht der eine Vertraute. Es ist ein Kennzeichen des wahren Führers, ob er Ratschläge anhören und sie verwerten, selbst befolgen kann, ohne doch die Freiheit verantwortungsvollen Handelns zu verlieren.
Nun muß befohlen werden, damit der Entschluß Gestalt annehmen kann. In diesem Stadium der Tat gelangt der Wille des Handelnden zum stärksten Ausdruck; denn, wenn bisher nur die inneren Widerstände zu überwinden waren, der Entschluß etwas Eigenes, ein Teil des Selbst, war, so trifft er, sobald er Form gewinnt, auf die äußeren Widerstände, die in seiner Weiterleitung in und durch andere menschliche Kanäle liegen. Um so schärfer und klarer muß sich der Wille, der aus dem Entschluß entspringt, jetzt auch in der Form durchsetzen. Nicht umsonst verlangen wir im militärischen Leben eine besondere Befehlssprache. Sie muß den Willen des Befehlenden so klar zum Ausdruck bringen, daß schwachen Geistern kein Zweifel bleibt und daß widerstrebende unter den Willen des Führers gezwungen werden. Mit beiden Arten von Vollstreckern seines Willens muß der Befehlende rechnen und die Hemmnisse, die durch beide entstehen können und immer entstehen werden, durch die Kraft und Klarheit seiner Sprache auszuschalten oder herabzumindern versuchen. Läßt er andere in seinem Namen befehlen, so muß er gewiß sein, daß sie diese seine Sprache sprechen; denn, so sehr auch gewisse, allgemein gebräuchliche Formen des Befehls Arbeit und Verständnis erleichtern, so darf doch dem Befehl nicht das eigentlich Charakteristische der Sprache fehlen, die eben nur der eine Mann spricht. Je höher der Befehlende steht, um so weiter ist der Weg von ihm bis zur letzten ausführenden Stelle, um so größer die Gefahr, daß der Entschluß an Kraft einbüßt, der Wille sich nicht bis in alle Fasern des Körpers durchsetzt. Daher ist es nun die große Aufgabe des Feldherrn, den eigenen Willen so stark in die Gefäße hineinzuzwingen, daß sein Pulsschlag noch in den äußersten Verästelungen fühlbar bleibt. Der Wille Friedrichs und Napoleons lebte in ihrem letzten Grenadier.
Die Gehilfen des Befehlenden sind die unentbehrlichen Weiterleiter bei Ausführung seines Entschlusses. Ihre Auswahl ist schwierig und dem Zufall unterworfen, ihr Wert oder Unwert oft erst zu spät erkannt; Enttäuschung über Mitarbeiter ist das tägliche Brot des Führers; ihre Kräfte und Schwächen rechtzeitig zu erkennen und danach das ihnen zu schenkende Vertrauen zu dosieren, ist eine seiner wichtigen Aufgaben. Die dem Führer nahestehenden Männer, der Stab des Feldherrn, müssen, wenn nicht von seinem Geist, dann von seinem Willen so durchdrungen sein, daß sie ihn ausführen, sei es aus Überzeugung, aus Gehorsam oder aus Furcht. Das Gleiche ist von den Unterführern zu verlangen, die in ihrem Teilbezirk die vollstreckenden Anordnungen zu dem Befehl des Feldherrn treffen. Dieser wird ihnen so viel, aber nicht mehr befehlen, als er für die Durchführung seines Willens für erforderlich hält und ihnen für die Vollstreckung die Freiheit lassen, die allein bereitwillige Mitarbeit im Geist des Ganzen verbürgt. Ohne ein wenig Optimismus kommt der Führer nicht aus.
Kein Handelnder, kein Befehlender hat mit Fassung des Entschlusses und seinem Befehl zur Ausführung genug getan; er bleibt für die Durchführung in seinem Geist, für die Verkörperung seines Willens bis zum letzten Augenblick verantwortlich. Wie er sich hierüber Gewißheit verschaffen kann, das führt in die Einzelheiten der Regierungs- und Befehlstechnik hinein, die hier nicht geschildert werden kann. Am Abend vor einer Schlacht überzeugte ich mich, ob unser Befehl überall durchgedrungen war, und bekam von einem braven Berliner die kurze Antwort: »Ick jreife an.« Er hatte uns verstanden, und das war das Wesentliche.