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Schlagworte

Drei Dinge gibt es, gegen die der menschliche Geist vergebens ankämpft: die Dummheit, die Bureaukratie und das Schlagwort. Vielleicht sind alle drei auch darin gleich, daß sie notwendig sind. Ich möchte den aussichtslosen Kampf gegen die Dummheit klügeren Zeitgenossen überlassen, erkläre mich im Kampf gegen die Militär-Bureaukratie für restlos unterlegen und will versuchen, den Kampf gegen einige Schlagworte auf dem heimatlichen militärischen Gebiet hier aufzunehmen.

Wenn ich die Notwendigkeit von Schlagworten anerkenne, so liegt darin das Zugeständnis, daß alle die das Schlagwort nicht entbehren können, welche nicht in der Lage sind, ihre eigenen Gedanken zu denken. Damit ist die Notwendigkeit oder Brauchbarkeit des Schlagwortes einwandfrei erwiesen, und die folgenden Darlegungen haben keinen anderen Zweck als den einen oder anderen der oben erwähnten Zeitgenossen zum eigenen Denken anzuregen oder bei der Begegnung mit einem Schlagwort ihn vor die Frage zu stellen: Bist du Wahrheit?

Schlagworte sind nicht das Gleiche wie Zitate, wenn auch etwas Verwandtes; denn auch Zitate wohnen im Bezirk des Lächerlich-Gefährlichen. Immerhin ist es ganz bequem, wenn schon ein Anderer den gleichen Gedanken in glücklicher und anerkannter Form zum Ausdruck gebracht hat; abgesehen davon, daß es einen gebildeten und z.B. bei einem Soldaten jeden Literaten überraschenden oder imponierenden Eindruck macht, wenn er gelegentlich Goethe oder gar etwas Griechisches zitiert und damit den Anschein einer Geistigkeit erweckt, die über die Lektüre des Exerzierreglements hinausgreift. Ich zitiere selbst daher gelegentlich.

Schlagworte sind auch nicht das Gleiche wie Geschichtslegenden, wenn auch wiederum etwas Ähnliches, nur daß hier der Nachbarbezirk im Ehrfürchtig-Erhabenen liegt. Es scheint durchaus notwendig, daß man an Götter und Helden glaubt und daß man Legenden nicht zerstört. Dieses »man« ist ja eigentlich schon ein Schlagwort, weil es den Mut zum »ich« versteckt, und so kann ich nur von mir sagen, daß es mir sehr unbequem ist, daß ich in Nero nicht mehr das kaiserliche Scheusal, das beim Licht eines brennenden Christen zu Bett zu gehen pflegte, sehen darf, sondern einen weisen, etwas eigentümlichen modernen Diktator, und ich bin dankbar, daß besondere Umstände und Liebe mir frühzeitig erlaubten, in dem »eisernen Kanzler« den schillernden Geist und die feinfühlige Hand zu sehen, die im Kampf den ewig ausweichenden, abweisenden, abwartenden und dann stahlhart treffenden Degen, nicht den geistlos zermalmenden Hammer führte.

Auf dem mir eigenen Gebiet, dem militärischen, verfolge ich das Schlagwort aus einem ganz bestimmten Grund, weil es hier im eigentlichen Sinn tödlich wirken kann und muß, weil dem militärischen Schlagwort Tausende von Menschenleben geopfert sind, sicher nie aus bösem Willen, sondern aus dem Mangel an eigenem Denken. Aus dem Verantwortungsgefühl für die Zukunft, die viel wichtiger ist als die Vergangenheit, heraus, will ich einige militärische Schlagworte auf ihren Gehalt untersuchen; vielleicht denkt dann auch ein Anderer über sie nach, bevor er nach ihnen handelt.

Pazifismus. Wer sich über das Wesen des Krieges, über seine Notwendigkeiten, Forderungen und Folgen klar ist, also der Soldat, wird weit ernster über Kriegsmöglichkeiten denken als der Politiker oder der Geschäftsmann, der kühl die Vor- und Nachteile abwägt. Schließlich ist es vielleicht nicht so schwer, das eigene Leben hinzugeben; aber von Berufs wegen das Leben der Anderen einsetzen zu sollen, lastet schwer auf dem Gewissen. Wer dem Krieg tief in die blutunterlaufenen Augen gesehen hat, wer von guter Übersichtswarte aus die Schlachtfelder eines Weltkrieges überblickte, wer die Leiden der Völker mit ansehen mußte, wessen Haar grau wurde von der Asche so vieler verbrannter Heimstätten, wer die Verantwortung für Leben und Tod Vieler getragen hat, der erfahrene und wissende Soldat fürchtet den Krieg weit mehr als der Phantast es kann, der, ohne den Krieg zu kennen, nur vom Frieden spricht. Die Figur des säbelrasselnden, kriegshetzenden Generals ist eine Erfindung vergifteten und skrupellosen politischen Kampfes, eine willkommene Figur geistloser Witzblätter, ein personifiziertes Schlagwort. Will man diese Einstellung zum Krieg Pazifismus nennen, so mag man es tun; es ist ein Pazifismus auf Wissen aufgebaut und aus Verantwortungsgefühl geboren, aber es ist kein Pazifismus nationaler Würdelosigkeit und internationaler Verschwommenheit. Gerade der Soldat wird alle Bestrebungen begrüßen, die auf Verminderung der Kriegsmöglichkeiten hinzielen, aber er zieht nicht auf die Straße unter dem Schlagwort »Nie wieder Krieg«, weil er weiß, daß über Krieg und Frieden höhere Gewalten entscheiden als Fürsten, Staatsmänner, Parlamente, Verträge und Bündnisse, nämlich die ewigen Gesetze des Werdens und Vergehens der Völker. Wer aber für solche Schicksalskämpfe sein eigenes Volk bewußt wehrlos machen will, wer es lieber im Bund mit dem feindlichen Nachbar schwächt, als den Volksgenossen bei der Vorbereitung berechtigter Abwehr unterstützt, der Pazifist gehört noch immer an die Laterne – und wenn es auch nur eine moralische ist.

Von der selbstverständlichen Friedensliebe des erfahrenen und verantwortungsbewußten Mannes bis zur knechtischen Unterwürfigkeit unter den Friedenswillen um jeden Preis reicht der Begriff des Pazifismus und ist somit ein des klaren Sinnes entbehrendes Schlagwort.

Imperialismus. Sieht man von der gefährlichen Verwandtschaft dieses Wortes mit dem Imperator ab, so bleibt die Verwendung zur Bezeichnung eines unziemlichen Herrschafts- und Ausdehnungsdranges eines Volkes, des Strebens nach dem Imperium Mundi. Leider wird oft mit diesem Namen in der Öffentlichkeit jede starke Lebensäußerung, jeder Wille zur Selbsterhaltung im großen Ringen der Völker bezeichnet und bekämpft, und so wird er zum Schlagwort im Kampf der Meinungen. Imperialismus herrscht immer nur bei dem Anderen, gegen dessen offene oder heimliche Eroberungsabsichten es sich angeblich zu wehren gilt. Nur bei dem Engländer darf der Begriff des Empire den Stolz auf die erdumfassende Macht widerspiegeln; bei allen anderen Völkern ist Imperialismus nur Verrat am Weltfrieden.

Militarismus. Das Wort ist im politischen Tagesboxkampf kaum noch ein Schlagwort, sondern fast schon ein Schimpfwort; es rangiert auf der Höhe von »fluchwürdigem alten Regime«, »Feldwebelton«, »Kasernengeist« und wie die Bezeichnungen lauten, die eine neue Zeit einer gestorbenen gern und taktvoll ins Grab nachruft. Es ist schwer zu sagen, was eigentlich Militarismus ist; er ist eben nichts als ein Schlagwort. Ich kann sagen, daß der Militarismus Preußen und dann Deutschland groß und stark gemacht hat; ich kann zugeben, daß er manchem unsympathisch und unbequem erschien, und muß doch behaupten, daß er uns befähigte, vier Jahre lang der feindlichen Welt zu widerstehen, um dann durch seine Erziehung noch den anbrandenden Bolschewismus abzuschütteln, daß auch heute noch Preußen-Deutschland vom alten Militarismus lebt. Darum verstehe ich unter Militarismus – wobei ich bemerken muß, daß dieses öde Schlagwort nicht aus meinem Sprachschatz stammt – eben etwas ganz anderes als mein benachbarter Zeitgenosse, der unter Militarismus die Herrschaft einer Militärkaste, die es bei uns nie gab, eine kriegshetzende, revanchelustige, friedenstörende Militärkamarilla, die nur als Schlagwort in Zeitungsartikeln ein Scheinleben führt, versteht. Zwischen diesen Auffassungen liegen verschiedene andere, denen ihre subjektive Berechtigung abzustreiten, mir fern liegt; aber ich glaube, der Militarismus ist doch als Schlagwort entlarvt. Freilich nur, soweit er den deutschen Militarismus betrifft. Frankreich erzieht stolz sein Volk zur nation armée. Ist das kein Militarismus? Und Amerika, das im Selbstbewußtsein die Fahne des Friedens entfaltet, läßt auf seinen Universitäten – sage und schreibe Generalstabsoffiziere über Krieg und Kriegskunst lesen, sammelt seine gebildete Jugend in officer training corps, übt mit seiner Industrie die Mobilmachung ein. Ich möchte das Patriotismus nennen, doch bei uns hieße es Militarismus; »da sollst du mir nie von Deutschland reden; ich kann's nicht vertragen; es hat seine Gründe«.

Am 29. 5. 1919 erklärte das Deutsche Reich bei der Friedenskonferenz in Versailles, daß es, als Zeichen, daß das Reich allen » imperialistischen und militaristischen Tendenzen dauernd entsage«, der Forderung auf Zerstörung seiner Wehrmacht zustimme.

Schlagworte sind tödlich.

»Der Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.« Die Gefahr dieses zum Schlagwort gewordenen Zitats aus Clausewitz' Skizzen zum 8. Buch seiner Lehre »Vom Kriege« liegt in seiner geistlosen Anwendung und der Möglichkeit, es zum Ausgang der falschesten Schlüsse zu machen. Clausewitz, auf den auch das Wort zutrifft, daß er »weniger erhoben und mehr dafür gelesen sein« sollte, braucht viele Seiten, um klar zu legen, was er mit diesem Wort meint. Der Satz selbst lautet schon etwas anders, als meist zitiert. Clausewitz sagt: Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel, und aus seinen Ausführungen ergibt sich, daß er damit nicht ein Dogma aufstellen will, sondern die Folgerung aus seinen historischen Studien und persönlichen Erfahrungen zieht. Er kommt zu dem Schluß, daß je machtvoller und zielbewußter die Politik eines Staates ist, um so machtvoller wird die von ihr eingeleitete Kriegführung sein, und dieser Schluß ist bei dem erklärlich, der den Sieg napoleonischer Kriegführung über die seiner Gegner erlebt hatte. Ganz uneingeschränkt wird man diesen Satz nach den Erfahrungen unserer Tage nicht gelten lassen, obwohl natürlich zuzugeben ist, daß die politischen Voraussetzungen und Vorbereitungen auf die Führung des Krieges von Einfluß sind. Für alle Zeiten und Fälle zutreffend sind die Ausführungen von Clausewitz über das Fortlaufen der politischen Tätigkeit und diplomatischen Arbeit während des Krieges; ich habe mich über das Verhältnis zwischen Staatsmann und Feldherr in der gleichnamigen Studie ausgesprochen und kann hier auf sie verweisen. Mißverstanden ist das Zitat, wenn es als Schlagwort die gerade von Clausewitz vertretene Lehre vom wahren Wesen des Krieges mit dem Ziel der Vernichtung des Feindes verdunkelt; zutreffend aufgefaßt, will es sagen, daß der Krieg kein Ding an sich ist, doch nach eigenen Gesetzen sich in das organische Leben der Völker einfügt. Wie er von der Politik beeinflußt wird, beeinflußt er sie; mit seinem Abschluß kehrt die Welt nicht in den alten Zustand zurück, sondern steht vor neuen Fragen.

»Clausewitz« wird auch ein Schlagwort, wenn man Aussprüche des großen Kriegsphilosophen nachbetet, anstatt ihn zu studieren.

» Cannae.« Kein Schlagwort ist uns so verderblich geworden wie dieses. Es ist ein typisches Beispiel dafür, wie eine Wahrheit im Schlagwort zum Zerrbild wird. Schon der Umstand, daß Schlieffen so weit in der Kriegsgeschichte zurückgreifen mußte, um die ihm als Beispiel nützliche Idealschlacht zu finden, sollte den Gedanken nahelegen, daß er mit dieser Bezeichnung dem von ihm verfochtenen Grundsatz eine möglichst prägnante Form und seiner Studie einen einprägsamen Titel geben wollte. Was wurde aber aus seiner Lehre gemacht? Geben wir dem Begriff »Cannae« die richtige Bedeutung, so finden wir die Forderung nach der Schlachtführung, die zur Vernichtung des Feindes führt. Diese ist am sichersten durch die kräftige Umfassung beider Flanken des Gegners zu erreichen – siehe Cannae. Zu dieser höchsten Ideallösung gehören die eigene Überlegenheit an den entscheidenden Stellen und ein Feind, der sich doppelt umfassen läßt. Liegen die Voraussetzungen dieser Operation nicht vor, so ist – und das erscheint als logische Abwandlung des Ideals – daran festzuhalten, daß die Umfassung an sich, also auch die einseitige, der sicherste Weg zum vernichtenden Erfolg ist. Um die Wirksamkeit der Umfassung zu erweisen, brauchten wir nicht bis auf Cannae zurückzugehen. Ergibt sich nun aber die Unmöglichkeit einer Umfassung – und diese Fälle haben wir erlebt –, so kann doch der Führer nicht erklären, daß er am Ende seiner Weisheit sei, sondern wird im Geist Schlieffens handeln, wenn er nach klarem Ziel die Massen seiner Kräfte an wirksamster Stelle einsetzt – und sei es im Frontangriff, gegen dessen Wirkung Schlieffen freilich das sarkastische Wort vom »ordinären« Sieg geprägt hatte. – Seien wir ehrlich! Wie viele große und kleine Manöver- und Kartenschlachten sind ohne Versuch oder Durchführung der Umfassung, wenn angängig der doppelten, verlaufen? Konnte man doch ohne weiteres annehmen, daß der Leitende seine Übung auf die Umfassung angelegt hatte. Hatte bei diesen Übungen ein Durchbruchsversuch je Aussicht auf Erfolg? Ein Beweis für die Stärke des Schlagwortes und militärischer Lehrsätze überhaupt ist es mir gewesen, daß bei den Übungen der Nachkriegszeit das Streben nach Umfassen um jeden Preis und das Langziehen der Front bis zur Wesenlosigkeit ebenso zu bekämpfen waren, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Die Folgen im Krieg konnten nicht ausbleiben. Schlieffen selbst verzichtete in seinem Kriegsplan gegen Frankreich durchaus auf das Anstreben der Doppelumfassung zugunsten der Verstärkung des entscheidenden rechten Flügels. Der Grundsatz der Entscheidung suchenden Umfassung wurde von der Taktik auf die große Operation übertragen; aber die eigentlich entscheidende Voraussetzung des Erfolges, das Einsetzen aller verfügbaren Kräfte nach einem Ziel, hier also zur Umfassung durch den rechten Flügel, war nicht mehr gegeben, und mitten im Verlauf der Operation, die, wenn auch mit verminderter Energie, doch den ursprünglichen Plan dieser Umfassung verfolgte, tauchte plötzlich ein Cannae-Gedanke auf, ein Versuch, den Gedanken des Meisters durch Gesellenkunst zu verbessern. Er brachte keinen Erfolg. Auf dem rechten Flügel führte das dauernde Streben nach der taktischen Umfassung dazu, daß das große strategische Ziel der operativen Umklammerung aus dem Auge verloren wurde. Als wir im Osten zur großen Durchbruchsschlacht gekommen waren, hatte die Führung Mühe genug, ihre Truppen und Unterführer an die ihnen fast unbekannten Bedingungen dieser Operation zu gewöhnen und sie von dem frühzeitigen »Einschwenken« und dem so beliebten »Aufrollen der Nachbarfronten« abzuhalten, wo im Vorwärtsgehen der Erfolg lag. »Cannae« als Begriff des Vernichtungswillens bleibt. Wer seinen Sinn nicht erfaßt, für den wird er zum leeren und gefährlichen Schlagwort.

» Angriffskrieg.« Dieser Begriff, der in den politischen Verhandlungen der letzten Zeit eine große Rolle gespielt hat, bedarf dringend der Erläuterung vom Standpunkt des Soldaten. Ob ein Krieg ein Angriffskrieg ist, das ist eine politische, wenn man will, eine völkerrechtliche Frage. Ob diese Frage einwandfrei in jedem Fall zu beantworten, ob der Begriff klar zu definieren ist, erscheint zweifelhaft. Eine Kriegsschuldfrage, die Frage nach dem, der angefangen, also angegriffen hat, wird nach jedem Krieg entstehen und wird immer nach dem Standpunkt des Interessenten beurteilt werden und – nach dem Erfolg. Gerade der, welcher im Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sieht, wird zugeben müssen, daß zum Angriffskrieg nur eine Angriffspolitik führt. Auch sie mag im letzten Grund nur eine Abwehrpolitik sein, weil sie eine noch gefährlichere Zukunft voraussehen zu müssen glaubt. Über solchen Präventivkrieg urteilt Bismarck, und die Verantwortung für ihn trägt der über Theorien und staatsrechtliche Begriffe erhabene, nur dem Heil des eigenen Volkes verantwortliche Staatsmann. Ihn wird ein Schlagwort nicht schrecken. – Wenn man heute anstrebt, den Angriffskrieg aus dem Bezirk der internationalen Beziehungen auszuschalten, so verneint man damit den Satz von der Fortführung der Politik mit kriegerischen Mitteln; denn die Politik selbst wird sich ja doch wohl nicht zur Inaktivität, zur Aufgabe aller Machtziele bequemen. Nur wird sie sich dann bei dieser Aktivität irgendwie aufgehalten sehen, wird aus diesem Widerstand eine Bedrohung ihrer Pläne, bald auch der staatlichen Geltung, endlich der staatlichen Existenz ableiten und wird so im Stand des Angegriffenen einen Verteidigungskrieg führen. Salvavi animam meam. Jetzt hat für eine Weile der Propagandachef das Wort, der für das Weltgewissen das »Haltet den Dieb« ausgibt.

Vom politischen Angriffskrieg grundverschieden ist der militärische Begriff des Angriffskrieges. Wer mit mir der Überzeugung ist, daß wir politisch im Jahr 1914 einen reinen Verteidigungskrieg geführt haben, der wird doch als einzig mögliche militärische Lösung den Angriff auf der entscheidenden Seite als Mittel baldiger und günstiger Entscheidung ansehen; der Angriff wurde zum Mittel der Verteidigung. Dies festzustellen ist in einer Zeit notwendig, in der aus der Art ihrer Kriegführung der Heeresleitung Vorwürfe gemacht werden, als ob sie den politischen Angriffskrieg gewollt, vorbereitet und herbeigeführt habe. Wer fordert, daß wir, um unsere friedliche Politik zu beweisen, den Angriff des Feindes hätten abwarten müssen, der gibt zu, daß er lieber die eigene Heimat als Kriegsschauplatz gesehen hätte als Frankreich.

»Vernichtungs- oder Ermattungs-Strategie?«

Die junge deutsche Militärliteratur hat diese Frage aufgeworfen und beurteilt das große Schicksal des Weltkrieges nach diesem Lehrbüchern entstammenden Schlagwort. So wird die Heerführung Hindenburg–Ludendorff als die Trägerin der alleinseligmachenden Clausewitz–Schlieffenschen Lehre der Vernichtung gepriesen, während man die Periode Falkenhayn als die der matten Ermattungstheorie schmäht. Wenn diese Jugend für ihre militärische Zukunft das Ziel der Feind Vernichtung fest im Auge behält, so ist das erfreulich; aber den Sinn des großen Krieges hat sie nicht erkannt.

Nach einer in diesem Krieg von uns getroffenen schweren Entscheidung kam am späten Abend mein erster Mitarbeiter zu mir, voller Zweifel, ob unser Entschluß richtig gewesen sei. Ich antwortete ihm: Lassen Sie es gut sein. Ob wir richtig gehandelt haben, das wissen nur in fünfzig Jahren die Kriegsschüler ganz genau.

Mir stellt sich der Sinn dieses Krieges wie folgt dar. Wir sind in den Krieg mit dem klaren Ziel der Vernichtung der Streitkräfte unserer westlichen drei Gegner gegangen. Es bestand begründete Aussicht, dieses Ziel zu erreichen, den Feind durch Vernichtung seiner Heere friedensbereit zu machen und den Krieg zu beenden. Ob dieses Ziel tatsächlich erreichbar war, steht dahin; aber ein anderes Ziel gab es nicht. Wir haben es nicht erreicht. Wir haben dann mit weit geringerer Aussicht versucht, Rußland niederzuwerfen. Der Sieg war unser; aber zum Enderfolg reichten die Kräfte nicht. Von diesem Zeitpunkt ab fehlten uns durchaus und in steigendem Maß die Mittel, im kriegsentscheidenden Sinn Vernichtungsstrategie zu treiben. Der Begriff der belagerten Festung charakterisiert unsere Lage, aus der Ausfälle gemacht werden, um den Fall aufzuhalten. Wir konnten doch nur darauf hoffen, daß unsere Gegner unter dem Eindruck dieses erbitterten Widerstandes, nach den Worten der Bürgerschen Ballade, »des langen Haders müde, erweichten ihren harten Sinn und schlossen endlich Friede«. Jeder einzelne dieser Ausfälle wurde mit dem entscheidungsuchenden Willen durchgeführt, aber es liegt im Wesen des Ausfalls, daß sein Ziel begrenzt ist. Konnten dem Führer des Ausfalls doch seine Truppen immer nur »auf Zeit« geliehen werden. Ich finde es anmaßend, die verantwortlichen Führer des Krieges mit der Schneiderelle eines Schlagwortes zu messen.

»Kriegsziele.«

Das Gefährliche dieses einst viel gebrauchten und mißbrauchten Schlagwortes liegt in seiner Verwechselung mit »Kriegsfolgen«. Bei unseren Gegnern bestanden Abmachungen, welche die Forderungen der einzelnen Mitglieder des Bundes bei günstigem Ausgang in großen Zügen festlegten. Bei uns bestand meines Wissens nur die formale Abmachung, daß jeder für die staatliche Integrität des anderen sich ebenso einsetze wie für die eigene. Das sind keine Kriegsziele. Das Kriegsziel gibt den Grund, warum die Politik ein Volk in den Krieg führt. Frankreichs Kriegsziel war nicht Elsaß-Lothringen; dessen Wiedergewinnung war selbstverständliche Folge eines glücklichen Kriegsausganges. Das französische Kriegsziel war die Niederwerfung und möglichst dauernde Schwächung des gefährlichen Nachbars. Rußlands Kriegsziel war nicht Konstantinopel, sondern die unbeschränkte Herrschaft im Osten und Südosten Europas, die es durch Österreich und Deutschland bedroht sah. Unser Kriegsziel war die Erhaltung des Reichs, seiner Grenzen, seiner Macht. Hätte der Krieg mit dem Status quo ante abgeschlossen, so wäre es ein deutscher Sieg gewesen. Begreiflich, selbstverständlich, daß man auch die Folgen erwog, die ein großer Erfolg hätte mit sich bringen können, die Bedingungen sich überlegte, die man als Sieger dem Besiegten auferlegen könne. Es war aber gefährlich und schädlich, solche oft recht egoistischen Wünsche als Kriegsziele zu bezeichnen. Das erweckte den Eindruck, als ob wir um der Becken von Briey oder der Flandernküste oder des deutschen Einflusses bis zum Peipus-See Krieg führten. Erlaubte uns der Ausgang des Krieges, Bedingungen vorzuschreiben, dann konnte eine weise Staatsleitung nach gutem Nikolsburger Muster manches aus dem Friedensschluß herausholen, was uns größere Sicherheit für die Zukunft und Ersatz erlittener Schäden bot. Das waren dann Kriegsfolgen, keine Kriegsziele. Beide sind Aufgaben der Politik, nicht der Heerführung. Ein Stinnes hat im großen Hauptquartier nichts zu suchen. Der Feldherr kennt nur ein Kriegsziel, die Vernichtung der feindlichen Streitmacht.

Nur ganz wenige der zahllosen Schlagworte konnte und wollte ich hier bloßstellen. Es laufen noch viele solcher Gespenster in der Welt umher. Ein Zaubermittel gibt es gegen sie – klares Denken.


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