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Das erreichbare Ziel

Die Frage nach dem »ewigen Frieden« führt leicht ins Uferlose. Der Skeptiker weist auf vieltausendjährige Kriegsgeschichte hin und bezweifelt, daß in Versailles der Epilog geschrieben wurde; der Idealist fragt dagegen, warum er an diesem neuen Morgenrot verzweifeln sollte. Der eine sieht ewiges Auf und Ab der Entwicklungen, der andere den Aufstieg der Menschheit zu reineren Höhen. Beweise für die Richtigkeit beider Auffassungen gibt es nicht und Prophezeien ist eine undankbare Tätigkeit. Gegen die großen welthistorischen Umwälzungen wird kein Locarno helfen, und einen Sturm vom Osten wird wie einst bei Liegnitz westeuropäische Ritterschaft mit dem Schwert aufhalten müssen. Doch um solche Überlegungen handelt es sich heute in dieser rauhen Gegenwart nicht. Die Frage ist so zu stellen: lohnt es, auf dem politischen Arbeitsfeld der Einschränkung der Gefahr kriegerischer Lösungen zuzustreben? Schon diese Frage zu bejahen, setzt genügenden politischen Idealismus voraus und die Erkenntnis, daß der Fortschritt nur langsam und etappenweise denkbar ist.

Wir werden uns auf dieser Straße, an deren Anfang der Wegweiser »Zum ewigen Frieden, Entfernung unbekannt« steht, mit dem Erreichen eines kleinen Dorfes am Abend der Wanderschaft begnügen müssen, dessen Wirtshaustür das Schild trägt: »Zur Rüstungsbeschränkung«. Wir werden den Krieg nicht aus der Welt schaffen, aber er sollte nur »um des Lebens große Gegensätze« geführt werden. Der Satz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist zum Schlagwort geworden und daher gefährlich. Ebenso gut kann man sagen: Krieg ist der Bankerott der Politik.

Unrichtig ist die Begründung der heutigen Friedensbewegung mit den technischen Schrecken und der Ausbreitung des Krieges. Human ist auch das Schwert und die 21-Zentimeter-Brisanzgranate nicht. Denken wir doch an den Dreißigjährigen Krieg und an die vielen »Wüste x Dorf«, die auf der Karte noch heute die Stelle einstiger blühender Orte bezeichnen, um uns zu erinnern, daß auch früher der Krieg nicht Weib und Kind, nicht Haus und Hof verschonte. Ob unsere vielgepriesenen Kulturgüter wertvoller sind, als die, welche einst unter Schwert und Fackel der Germanen dahinsanken, mag immerhin zweifelhaft sein. Also nicht Furcht vor dem Gasangriff auf unsere Städte darf unser Urteil beeinflussen; Furcht war stets ein schlechter Ratgeber und Angst ist keine Weltanschauung. Gegen technische Angriffsmittel hat die gleiche Technik noch immer Abwehr erfunden.

Setzen wir uns aus anderer Überlegung heraus ein Ziel, das in den Grenzen des Erreichbaren zu liegen scheint. Wenn wir gegenüber der Forderung der Abschaffung des Krieges um der großen weltbewegenden Fragen willen resignieren, so können wir die Forderung um so lauter erheben, daß nicht um rein politischer Fragen willen zum Schwert gegriffen wird. Vielleicht – und dieses Vielleicht enthält viel Skepsis – ist es möglich, in Europa zu einem Zustand zu kommen, der ruhiger Überlegung und gewichtigem Zuspruch Zeit und Raum sichert, bevor der Eine dem Andern an die Gurgel fährt. Wir sprechen hier besser nur von Europa, denn Ostasien und Zentralafrika scheinen zurzeit friedlichen Zukunftsbestrebungen noch nicht ganz zugänglich zu sein, und Amerika ist ein Land für sich. Die Politik findet schon in Europa ein weites Feld für die eigenen Mittel.

Wenden wir uns nun zu der militärischen Betrachtung der Friedensmöglichkeit, so kann uns auch hier nur die historische Methode weiterhelfen. Es gibt im wesentlichen zwei Arten der Kriege. In dem ersten macht sich ein Volk auf, um das andere, das besser und wärmer wohnt, aufzufressen. Davon hat die Weltgeschichte Beispiele genug und vielleicht in ihrem Zukunftsarchiv noch einige schwarze oder gelbe Blätter bereit. Zu dieser Art zählen auch die Kriege, die aus den großen geistigen Bewegungen entstanden, und von denen der dreißigjährige, mit Hilfe freundwilliger Nachbarn geführte Bruderkrieg noch immer das warnende Beispiel ist. Gegenüber diesen großen kriegerischen Katastrophen stehen die Kriege, die wir gewohnt sind, Kabinettskriege zu nennen. Zwischen beiden Arten bestehen viele Übergangsstufen, und es wird schwer sein, den einen oder anderen Krieg mit Sicherheit der ersten oder zweiten Art zuzuteilen. Bringen wir beide auf eine Formel, so ist der erste Krieg der von Volk gegen Volk, der zweite der zwischen Heer und Heer. Der letzte Weltkrieg stand in seiner Art zwischen beiden; die Gründe, die zu ihm führten, gehören der Kabinettspolitik an, sein Ausmaß dem Volkskrieg.

Erklären wir uns nun unfähig, den großen weltbewegenden Machtentscheidungen wirksam vorzubeugen, so bleibt doch die Möglichkeit, auch auf militärischem Gebiet, die Kriegswahrscheinlichkeit einzuschränken.

Die Kriegsgefahr liegt wesentlich in der Ungleichheit der militärischen Kräfte, die den Stärkeren verführt, durch Drohung oder Anwendung von Gewalt dem Schwächeren gegenüber seine politischen Interessen durchzusetzen. Eine Friedenssicherung liegt daher weniger in der Rüstungsverminderung als im Rüstungsausgleich. Wenn man diesen anstrebt, wird man seine Ziele nicht zu weit stecken dürfen. Die eigentliche militärisch nutzbar zu machende Stärke eines Landes liegt in seiner Bevölkerungszahl und seinem Reichtum, und diese Machtmittel entziehen sich der Beschränkung. Wohl aber erscheint es angängig, die verwendungsbereiten Friedenskräfte in ein solches Verhältnis zueinander zu bringen, daß kein Staat über eine Macht gebietet, die der mehrerer anderer Staaten überlegen ist. Ein solcher Ausgleich würde das allgemeine Sicherheitsgefühl erhöhen, wie umgekehrt durch Verträge erhöhte Sicherheit Verminderung der Rüstungen begünstigt.

Es ist notwendig, zwischen offensiven und defensiven Rüstungen zu unterscheiden. Unternimmt man es, einem Staat die Abwehrmöglichkeit zu nehmen oder zu beschränken, so steigert man bei ihm das Gefühl der Unsicherheit und damit die Kriegsgefahr.

Der stärkste Anreiz zum Krieg ist ein wehrloser Nachbar; daher erscheint als erstes und erreichbares Ziel auf dem Weg zur Friedenssicherung der Rüstungsausgleich.


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