Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mehr als drei Monate waren seit dem im letzten Kapitel erzählten Ereignis vergangen, doch war dies nur der Vorläufer von andern, noch wichtigern Begebenheiten gewesen, die sich im Verfolg unserer Erzählung entwickeln werden. Da wir aber nicht gesonnen sind, dem Leser einen genauen, ausführlichen Bericht von allen Umständen nach Folge und Datum zu geben, sondern nur eine Reihe von Gemälden, die die ergreifendsten Vorfälle dem Auge oder der Einbildungskraft derer, die daran teilnehmen, vorstellen sollen; so eröffnen wir jetzt eine neue Szene und bringen andere Schauspiele auf die Bühne.
Durch eine sehr verwüstete Gegend, mehr als zwölf Meilen von Garde Douloureuse entfernt, in der Hitze eines Sommernachmittags, wo die Sonne ihre sengenden Strahlen in das schweigende Tal und auf die schwarzen Trümmer der Hütten warf, die es einst schmückten, wanderten langsam zwei Reisende. An ihrer Kleidung, dem Stab, den breitkrempigen Hüten, die vorn mit einer Jakobsmuschel geziert waren, und vor allem an dem Kreuz von rotem Zeuge auf der Schulter erkannte man zwei Pilgrime, die ihr Gelübde erfüllt hatten und jetzt von dem verhängnisvollen Lande zurückgekehrt waren, aus dem in jenen Tagen so wenige von den Tausenden heimkamen, die es aus Liebe zu Abenteuern oder aus heißer Andacht besuchten.
Die Pilgrime waren schon seit dem Morgen durch einen Schauplatz von Verwüstung gezogen, der an Elend kaum den Stätten des Schreckens nachstand, die sie in den Schlachten des Kreuzzuges betreten hatten. Sie hatten Dörfer gesehen, die die ganze Wut des Krieges gelitten zu haben schienen. Die Häuser waren bis auf den Grund niedergebrannt, und oft stießen sie auf Leichname der unglücklichen Bewohner oder auf verstümmelte Gliedmaßen, die man am Galgen oder an Bäumen aufgehängt hatte. Kein lebendiges Wesen ließ sich sehen, außer jenen natürlichen Freibürgern, den wilden Tieren, die stillschweigend den wieder verwüsteten Landstrich einnahmen, aus dem die Zivilisation sie früher vertrieben hatte. Ihren Ohren bot sich ebensowenig Erfreuliches dar wie ihren Blicken. Die in Gedanken verlorenen Reisenden hörten das Gekrächze der Raben, die gleichsam zu beklagen schienen, daß hier schon die Schlachtbank abgeräumt sei, an der sie geschwelgt hatten; oder sie hörten dann und wann das klagende Geheul eines Hundes, der Haus und Herrn verloren hatte; aber kein Geräusch des Gewerbes oder der häuslichen Arbeit war zu vernehmen.
Die schwarzen Gestalten, die mit müden Schritten über diesen Schauplatz der Verheerung und des Elends dahinwanderten, schienen mit ihrer Umgebung durchaus im Einklang zu stehen. Sie sprachen nicht miteinander – nur hielt sich der eine, der kleinere von beiden, immer einen halben Schritt vor seinem Gefährten – sie bewegten sich langsam wie Priester, die von eines Sünders Sterbebette kommen, oder noch besser wie Gespenster, die längs der Kirchhofsmauer hingleiten.
Endlich erreichten sie einen Rasenhügel, auf dessen Gipfel eines von den Grabmälern alter britischer Häuptlinge stand, die aus unaufgerichteten Granitblöcken bestehen und so gestellt sind, daß sie einen Sarg von Steinen oder etwas Aehnliches bilden. Das Grabmal war schon früher von den siegreichen Sachsen zerstört worden, entweder aus Spott oder aus eitler Neugier, oder weil man glaubte, daß bisweilen Schätze an diesen Stellen niedergelegt wären. Der gewaltige platte Stein, der erst die Decke dieses Sarges gewesen, lag in zwei Stücke zerbrochen in einiger Entfernung vom Grabmal, und diese Trümmer, überwachsen mit Schlingkräutern und Gras, zeigten deutlich, daß der Deckel schon seit vielen Jahren geborsten war. Ein verknorpelter Eichbaum breitete noch seine Zweige über das offene, rauhe Mausoleum, als ob der Druiden Wahrzeichen und Sinnbild, zwar schon erschüttert und vom Sturme gebrochen, sich darum noch immer darüber neigte, um seinen Schutz den letzten Ueberbleibseln ihrer Verehrung zu gewähren.
»Dies ist also der Kist-vaen,« sagte der kleinere Pilger, »hier müssen wir die Nachrichten von unserm Kundschafter erwarten. Aber, Philipp Guarine, welche Erklärung der Verwüstungen, durch die wir gegangen sind, steht uns bevor?«
»Ein Einfall der welschen Wölfe, Mylord!« erwiderte Guarine, »und bei Unserer Frau, hier liegt ein armes, sächsisches Schaf, das sie zerrissen haben!«
Der Connetable, denn er war der Pilger, der voranging, drehte sich bei diesen Worten nach seinem Squire um und sah den Leichnam eines Mannes im Grase, wo er so versteckt lag, daß er vorbeigegangen war, ohne das zu bemerken, was sein weniger in Gedanken versunkener Diener entdeckte. Das lederne Wams des Erschlagenen zeigte, daß er ein englischer Bauer gewesen, der Körper lag auf dem Gesichte, und die Ursache seines Todes, der Pfeil, steckte noch in seinem Rücken.
Philipp Guarine zog mit der kalten Gleichgiltigkeit eines Mannes, der an einen solchen Anblick gewöhnt ist, so gelassen den Pfeil aus des Menschen Rücken, wie er ihn aus dem Körper eines Hirsches gezogen hätte. Mit ähnlichem Gleichmut gab der Connetable dem Waffenträger einen Wink, ihm den Pfeil zu geben – er betrachtete ihn genauer und sagte dann: »Du hast Dein altes Handwerk vergessen, Guarine, wenn Du das einen welschen Pfeil nennst. Glaube mir, er flog von einem normännischen Bogen. Aber wie er in den Leib eines englischen Bauers kommt, kann ich schlecht erraten.«
»Irgend ein entlaufener Leibeigener, will ich wetten – irgend ein falschherziger Köter, der sich an die welschen Rudel von Hunden angeschlossen hat,« antwortete der Schildknappe.
»Es könnte wohl sein,« sagte der Connetable, »aber ich schließe vielmehr auf einen Bürgerkrieg zwischen den Bauern und den Markherren selbst. Die Walliser zerstören die Dörfer und lassen nichts wie Blut und Asche zurück, aber hier scheint man auch Schlosser gestürmt und genommen zu haben. Möge Gott uns gute Nachrichten von Garde Douloureuse senden!«
»Amen! erwiderte der Squire, »aber wenn Renault Vidal sie bringt, so ist es das erste Mal, daß er ein Vogel von guter Vorbedeutung ist.«
»Philipp,« sagte der Connetable, »ich habe Dir schon oft gesagt, Du bist ein eifersüchtiger Narr. Wie oft hat Vidal seine Treue in zweifelhaften Umständen – seine Geschicklichkeit in schwierigen Lagen – seinen Mut in der Schlacht – seine Geduld im Leiden gezeigt.«
»Das kann alles sehr wahr sein, Mylord,« erwiderte Guarine. »Dennoch – doch, was nützt das Reden? – ich gestehe, er hat Euch zuweilen sehr gute Dienste geleistet; aber nur ungern möchte ich Euer Leben und Eure Ehre in Renault Vidals Macht gegeben wissen.«
»Im Namen aller Heiligen, Du grämlicher und argwöhnischer Narr, was hast Du denn zu seinem Nachteil anzuführen?«
»Nichts, Mylord,« erwiderte Guariue, »als Verdacht und Abscheu aus Instinkt. Ein Kind, das eine Schlange sieht, weiß nichts von ihren üblen Eigenschaften, es wird ihr aber doch nicht nachstellen und sie haschen wie einen Schmetterling. So ist meine Abneigung gegen Vidal – ich kann mir nicht helfen. Ich könnte dem Menschen seine boshaften, düstern Seitenblicke, wenn er sich von niemand beobachtet glaubt, vergeben; aber sein höhnisches Lachen vergebe ich ihm nie; – er gleicht der Bestie, von der wir in Judäa hörten und die, wie man erzählt, erst lacht, dann zerreißt und umbringt.«
»Philipp,« sagte de Lacy, »ich bin betrübt Deinetwegen – betrübt von ganzer Seele, daß eine so vorherrschende, grundlose Eifersucht im Gehirn eines so wackeren, alten Kriegers sitzt. Um von früheren Proben seiner Treue zu schweigen – hat er sie nicht hier bei unserm letzten Unglück vollauf bewiesen, als wir an der Küste von Wales Schiffbruch erlitten und man uns augenblicklich den Tod gegeben hätte, wenn die Cymries in mir den Connetable von Chester und in Dir seinen treuen Schildknappen, der seine Befehle so manchesmal an den Wallisern vollstreckt hat, erkannt hätten?
»Ich gestehe es,« sagte Philipp Guarine, »der Tod wäre gewiß unser Los gewesen, wäre nicht dieser Mann auf den Einfall gekommen, uns für Pilgrime auszugeben, und hätte er nicht unsern Dolmetscher gespielt. Indem er uns zu dieser Verkleidung verhalf, entzog er uns aber auch alle Möglichkeit, uns von irgend jemand über die Lage der Dinge berichten zu lassen, während doch Ew. Herrlichkeit alles genau hätte erfahren müssen; denn wahrlich, schlimm genug sieht hier alles aus.«
»Noch immer bist Du ein Tor, Guarine,« sagte der Connetable, »denn sieh, hätte Vidal es übel mit uns gemeint, so hätte er uns den Wallisern verraten oder es doch so einrichten können, daß wir durch die Kenntnis ihrer Gaunersprache, so viel Du und ich davon wissen, uns selbst verrieten.«
»Gut, Mylord,« sagte Guarine, »Ich kann wohl zum Schweigen gebracht werden, aber ich bin doch nicht zufrieden gestellt. Trotz all der schönen Worte, die er reden kann – trotz all der schönen Weisen, die er singen kann – wird Renault Vidal in meinen Augen immer ein finsterer, verdächtiger Mann sein, dessen Gesichtszüge immer bereit sind, sich in die Form zu legen, die am besten Vertrauen zu erwecken vermag, dessen Zunge es versteht, zu einer Zeit die schmeichelhaftesten, angenehmsten Worte auszusprechen, zu einer andern verschmitzte Einfalt oder plumpe Ehrlichkeit zu äußern; dessen Auge aber, wenn er sich unbemerkt glaubt, jedem angenommenen Gesichtsausdruck, jeder Versicherung der Rechtlichkeit, jedem Worte der Höflichkeit und Herzlichkeit Hohn spricht. – Doch ich will über die Sache nicht mehr sprechen. – Ich bin ein alter Bullenbeißer von der echten Gattung – ich liebe meinen Herrn, aber ich kann einige von denen nicht ausstehen, die er begünstigt. – Aber dort, wie es mir scheint, kommt Vidal, um uns, wie ich vermute, nach Gutdünken über unsere Lage zu berichten.«
Wirklich erblickte man einen Reiter, der in Eile sich dem Kist-vaen näherte. An seiner Kleidung, die ein wenig an morgenländische Mode erinnerte, verbunden mit dem gewöhnlichen phantastischen Anzuge der Männer von seiner Profession, erkannte der Connetable in dem rasch näherkommenden Manne den Minstrel.
Obgleich Hugo de Lacy seinem Diener nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen glaubte, als seine Dienste es verlangten, wenn er ihn gegen den Argwohn Guarines verteidigte; so hatte er doch im Grunde seines Herzens zuweilen diesen Argwohn selbst gehegt und war als gerechter und rechtlicher Mann oft über sich selbst unwillig, daß er auf das schwache Zeugnis von Blicken oder gelegentlichen Ausdrücken hin seine Treue in Zweifel ziehen konnte, die sich durch so viele Beweise von Eifer und Unbescholtenheit bewährt hatte.
Als Vidal vom Pferde gestiegen war und herankam, um sich vor seinem Gebieter zu verneigen, eilte dieser, ihn mit freundlichen Worten zu begrüßen, als sei er sich bewußt, daß er Guarines ungerechtes Urteil gewissermaßen, schon indem er es anhörte, geteilt habe. »Willkommen, mein ehrlicher Vidal,« sagte er, »Du bist der Rabe gewesen, der uns in den Bergen von Wales gespeist hat, sei nun die Taube, die uns gute Nachrichten von den Grenzen bringt. – Du schweigst? – Was bedeuten diese niedergesenkten Blicke – dieses verlegene Betragen – diese in die Augen gedrückte Mütze? – Um Gottes willen, Mann! sprich! – Fürchte Dich nicht vor mir. – Ich kann Schlimmeres ertragen, als Menschen erzählen können. – Du hast mich in Palästinas Kriegen gesehen, als meine braven Streitgenossen fielen, Mann für Mann rings um mich her, und ich fast allein übrig blieb – und erblaßte ich damals? – Du sahst mich, als des Schiffes Kiel an dem Felsen zerkrachte und die Wellen schäumend über das Verdeck schlugen – erblaßte ich damals? – Nein, und auch jetzt werde ich es nicht.« –
»Rühmt Euch nicht!« sagte der Minstrel und blickte scharf den Connetable an, als dieser die Haltung und Fassung eines edlen Mannes annahm, der dem Schicksal und seiner äußersten Bosheit Trotz bietet. – »Rühme Dich nicht und trau Dir nicht mehr zu, als Du zu tragen vermagst!
Eine minutenlange Pause folgte, während die Gruppe ein eigentümliches Bild abgab. Der Connetable, der den Minstrel nicht zu fragen wagte und sich doch schämte, Furcht vor der schlimmen Kunde zu verraten, die er hören sollte, trat dem Boten gegenüber, hoch aufgerichtet, die Arme übereinander geschlagen, die Stirn frei und voll Entschlossenheit, während der Minstrel, seiner gewöhnlichen Ruhe und Gleichgültigkeit durch die Macht des Augenblicks entrissen, einen scharfen Blick auf seinen Gebieter heftete, als wollte er beobachten, ob sein Mut echt oder nur erkünstelt sei.
Philipp Guarine dagegen, dem der Himmel zwar ein rauhes Aeußere gegeben, aber dabei Verstand und Beobachtungsgeist nicht versagt hatte, faßte seinerseits Vidal fest ins Auge, als suche er es aufzufinden, worin eigentlich der rege Anteil bestehe, der aus des Minstrels Augen sichtbar hervorleuchtete. Er war im Zweifel, ob es der eines treuen Dieners sei, den die schlechte Nachricht erschüttert hat, durch die er seinen Herrn unglücklich machen soll, oder eines Henkers, der sich mit dem Messer über sein Opfer beugt und nur zuzustoßen zögert, bis er die Stelle entdeckt hat, wo der Stoß am schmerzlichsten gefühlt werden möchte. Guarine, voreingenommen, wie er gegen den Minstrel war, traute ihm vielmehr das letztere zu, und es gelüstete ihn heftig, den Stab zu erheben und den Diener zu Boden zu strecken, der sich so an dem verlängerten Leiden ihres gemeinschaftlichen Meisters zu weiden schien. Endlich zeigte sich ein krankhaftes Zucken auf des Connetables Angesicht, und Guarine, der nun bemerkte, daß ein sardonisches Lächeln Vidals Lippen zu kräuseln begann, konnte nicht länger schweigen. »Vidal!« rief er, »Du bist ein –«
»Ein Ueberbringer böser Zeitungen,« sagte Vidal, ihn unterbrechend, »und daher der Mißdeutung jedes Narren ausgesetzt, der keinen Unterschied zwischen dem Urheber des Bösen und dem, welcher es ungern hinterbringt, zu machen weiß.«
»Wozu dieser Aufschub?« sagte der Connetable. »Kommt, Herr Minstrel, ich will Euch eine Qual ersparen. – Eveline hat mich verlassen und vergessen?«
Der Minstrel bejahte mit einer Verbeugung.
Hugo de Lacy ging einigemale vor dem steinernen Denkmal auf und nieder, indem er sich bemühte, der tiefen Erschütterung, die er empfand, Herr zu werden. »Ich vergebe ihr,« sagte er.– »Vergeben? sagte ich so? – Ach! ich habe nichts zu vergeben. – Sie hat sich nur des Rechts bedient, das ich in ihrer Hand ließ. – Ja – die Zeit unseres Verlöbnisses war abgelaufen. – Sie hat von meinen Verlusten gehört – von meinen Niederlagen – von der Zerstörung meiner Hoffnungen – von der Vernichtung meines Vermögens. Nun hat sie die erste Gelegenheit ergriffen, die ihr das strenge Recht zugestand, ihre Verpflichtung gegen den aufzuheben, der einen Bankerott an Glück und Ruhm erlitten hat. – Mehr als ein Mädchen würde so gehandelt haben – hätte vielleicht klüglicherweise so handeln müssen – aber dieses Mädchens Name hätte doch nicht Eveline Berenger lauten sollen.«
Er lehnte sich auf seines Knappen Arm und ließ einen Augenblick das Haupt an dessen Schulter ruhen, mit einer so tiefen Rührung, wie Guarine noch nie an ihm gewahr wurde, und die er mit linkischer Teilnahme dadurch zu beschwichtigen suchte, indem er ihn ermahnte, »guten Mutes zu sein – er hätte ja nur ein Weib verloren.«
»Ich sage das nicht aus Eigennutz, Philipp,« sagte der Connetable wieder mit seiner gewöhnlichen Selbstbeherrschung. »Ich bedaure weniger, daß sie mich verlassen, sondern, daß sie mich falsch beurteilt hat – daß ich von ihr behandelt wurde wie der unglückliche Schuldner vom Pfandleiher, der sich des Pfandes bemächtigt, sobald der Augenblick verflossen ist, bis zu welchem es eingelöst werden konnte. Denkt sie denn, daß ich meinerseits ein so strenger Gläubiger gewesen wäre? – Seit ich sie kenne, und als ich noch Reichtum und Ruhm besaß, hielt ich mich Ihrer kaum für würdig, und sollte ich nun darauf bestanden haben, daß sie mein vermindertes Glück, meine Erniedrigung teilen sollte? – Wie wenig hat sie mich jemals gekannt! Sonst hätte sie nie geglaubt, daß mich mein widriges Schicksal so selbstsüchtig gemacht habe! – Doch es ist so – sie ist dahin – möge sie glücklich sein! – den Gedanken, daß sie mir Kummer bereitet, will ich in meiner Seele unterdrücken; und ich will denken, sie hat das getan, was ich selbst oder ihr bester Freund mit Ehren ihr hätte raten müssen.«
So sprach er, und zum Erstaunen seiner Diener nahm sein Gesicht die gewöhnliche Festigkeit und Ruhe an.
»Ich wünsche Euch Glück!« flüsterte der Knappe dem Minstrel zu. »Eure bösen Neuigkeiten haben weniger tief verwundet, als Ihr es zweifelsohne für möglich gehalten habt.«
»Ach!« erwiderte der Minstrel, »ich habe noch andere und noch schlechtere zu bringen.«
Diese Antwort wurde in zweideutigem Tone gegeben, der ganz mit der Eigentümlichkeit seines Wesens übereinstimmte und aus dem Innersten eines heimtückischen Charakters hervorging.
»Eveline Berenger ist also verheiratet?« fragte der Connetable, »und laßt mich einmal eine gewagte Mutmaßung anstellen – sie gab die Familie nicht auf, wiewohl sie ein Mitglied davon verließ – sie ist noch immer eine de Lacy, ha!? – Tölpel, der Du bist, willst Du mich nicht verstehen? – Sie ist mit Damian de Lacy vermählt – mit meinem Neffen!«
Die Anstrengung, mit der der Connetable diese Vermutung hervorstieß, bildete einen krassen Gegensatz gegen das gezwungene Lächeln, das er seinem Gesicht dabei gleichsam abnötigte. Mit einem solchen Lächeln mag ein Mann, der eben Gift trinken will, eine Gesundheit ausbringen, indem er den verhängnisvollen Becher an seine Lippen setzt.
»Nein, Mylord, – nicht verheiratet,« antwortete der Minstrel, mit einer Betonung, die der Connetable nach seiner Weise auslegte.
»Nein, nein!« antwortete er schnell, »nicht verheiratet – vielleicht nur versprochen – verlobt. Und warum nicht? Die Zeit der älteren Verlobung war verflossen, – warum nicht eine neue eingehen?«
»Lady Eveline und Sir Damian sind nicht verlobt, soviel ich weiß,« antwortete der Diener.
Diese Antwort trieb de Lacys Geduld aufs äußerste.
»Hund, spielst Du mit mir?« rief er aus. »Elender Bänkelsänger! Du marterst mich. Sprich das Schlimmste mit einemmal aus, oder ich will Dich im Augenblick zum Minstrel an Satans Hof machen!«
Ruhig und gefaßt entgegnete der Minstrel: »Lady Eveline und Sir Damian sind weder verheiratet, noch verlobt, Mylord, Sie lieben sich und leben zusammen ›par amour‹.«
»Hund! und Sohn eines Hundes! Du lügst.« Und der aufs äußerste empörte Freiherr faßte dem Minstrel bei der Brust und schüttelte ihn mit allen seinen Kräften. Aber wie groß auch seine Stärke war, er vermochte Vidal, einen geübten Ringer, nicht aus der festen Stellung, die er eingenommen hatte, zu heben, so wenig wie sein Zorn ihn aus seiner Gelassenheit bringen konnte.
»Bekenne, Du hast gelogen!« sagte der Connetable, und ließ ihn los, nachdem er durch seine Heftigkeit ebensowenig erreicht, als wenn Menschenkraft sich an den Felssteinen der Druiden versucht hätte, die sich wohl schütteln, aber nicht aus ihrer Lage bringen lassen.
»Könnte ich durch eine Lüge mein Leben erkaufen, ja das Leben meiner ganzen Zunft,« sagte der Minstrel, »ich wollte keine sagen. Aber die Wahrheit selbst wird immer Lüge genannt, wenn sie unsere innersten Wünsche zunichte macht.«
»Hör ihn, Philipp Guarine, hör ihn,« rief der Connetable aus und wandte sich rasch zu seinem Squire. »Er erzählt mir von meinem Unglück, von der Schande meines Hauses – von der Verdorbenheit derer, die ich am meisten auf der Welt liebte – er erzählt mir davon mit ruhigem Blick, festem Auge und flinker Zunge. – Ist das, kann das natürlich sein? – Ist de Lacy so tief gesunken, daß seine Schande von einem gemeinen herumziehenden Minstrel erzählt wird, so ruhig, als ob es sich um das Thema einer armseligen Ballade handelte. – Vielleicht gedenkst Du eine daraus zu machen, he?« – schloß er, einen wütenden Blick auf den Minstrel schleudernd.
»Vielleicht würde ich es tun, Mylord,« sagte Vidal, »müßte ich nicht darin auch vom Mißgeschick Renault Vidals erzählen, und daß er einem Herrn diente, der weder die Geduld besaß, Beleidigungen und Unrecht zu ertragen, noch den Mut hatte, sich an dem Urheber seiner Schande zu rächen.«
»Du hast recht, Du hast recht, guter Bursche,« sagte der Connetable heftig. »Die Rache allein ist uns geblieben! – und doch, an wem?« Indem er so sprach, ging er kurz und heftig auf und nieder. Er schwieg – stand still – und rang seine Hände in großer Bewegung.
»Ich sagte es Dir wohl,« sagte der Minstrel zu Guarine, »meine Neuigkeiten würden doch eine empfindliche Stelle berühren. – Erinnerst Du Dich des Stiergefechtes, das wir in Spanien sahen. Tausend kleine Wurfspieße reizten und peinigten das edle Tier, ehe es den letzten tödlichen Stoß von der Lanze eines maurischen Kavaliers empfing.«
»Mensch oder Teufel, sei, was Du willst,« erwiderte Guarine, »der Du mit Wohlgefallen Dich an dem Schmerz eines andern weiden kannst, ich rate dir, nimm dich vor mir in acht! – Gib Dein kaltes Höhnen andern Ohren zu hören, denn wenn meine Zunge auch stumpf ist, so trage ich ein Schwert, das scharf genug ist.«
»Du hast mich unter Schwertern gesehen,« antwortete der Minstrel,« »und weißt, wie wenig sie einen Mann, wie ich bin, schrecken.« – Doch zog er sich, indem er so sprach, ein wenig von dem Knappen zurück. Dieser hatte ihn eigentlich nur in der Fülle des Herzens angeredet, die sich, wäre er allein gewesen, in einem Selbstgespräch Luft gemacht hätte, jetzt sich aber auf den nächsten Zuhörer ergoß, ohne daß der Sprecher sich vergegenwärtigte, welche Empfindungen seine Worte erregen konnten.
Wenige Minuten waren verstrichen, als der Connetable wieder die äußere Ruhe erlangt hatte, mit der er bis zu diesem letzten furchtbaren Streiche alle Schläge des Schicksals erduldet hatte. Er wandte sich gegen seine Begleiter und redete den Minstrel mit seiner gewöhnlichen Fassung an. »Du hast recht, guter Bursche,« sagte er, »mit dem, was Du mir da sagtest, und ich verzeihe Dir die Stichelei, die Deinen guten Rat begleitete. In Gottesnamen, sprich nun alles aus, Du sprichst zu einem Manne, der vorbereitet ist, die Leiden zu tragen, die Gott ihm sendet. Gewiß ist es, der beste Ritter wird in der Schlacht erkannt, der gute Christ aber in Tagen der Not und der Bedrängnis.«
Der Ton, in dem der Connetable sprach, schien von entsprechender Wirkung auf das Verhalten seiner Begleiter zu sein. Der Minstrel ließ den höhnenden, verwegenen Ton fallen, mit dem er bis dahin die Leidenschaft seines Herrn gereizt, und in einfacher und ehrerbietiger Sprache, die selbst dem Mitgefühl sich näherte, vollendete er nun seinen Bericht, In der Tat hatte er ein Unglück über das andere mitzuteilen. Die Weigerung der Lady Eveline Berenger, Monthermer mit seinen Leuten in die Burg zu lassen, hatte natürlich allen den Verleumdungen, die ihr und Damian bereitet waren, Glauben verschafft; auch gab es viele Leute, die es aus verschiedenen Ursachen für vorteilhaft fanden, diese Lästerungen auszubreiten und zu bekräftigen. Eine starke Macht war in die Landschaft ausgesandt worden, die aufrührerischen Bauern zu unterdrücken; und die Ritter und Edlen, die dazu befehligt waren, ermangelten nicht, an den unglücklichen Bürgerlichen aufs äußerste das adlige Blut zu rächen, das jene während ihres vorübergehenden Triumphs vergossen hatten.
Die Kampfgenossen des unglücklichen Wenlock stimmten in das allgemeine Gerede ein. Wegen ihrer so eiligen, feigen Uebergabe eines noch haltbaren Platzes von vielen getadelt, versuchten sie, sich selbst zu rechtfertigen, indem sie die feindliche Erscheinung der Reiterei Damians als den einzigen Grund ihrer zu frühzeitigen Unterwerfung angaben.
Diese Gerüchte, von solchen parteiischen Zeugen unterstützt, gingen weit und breit durchs Land, und vereint mit der unleugbaren Tatsache, daß Damian Zuflucht in dem starken Schlosse von Garde Douloureuse gesucht habe, das sich selbst den königlichen Waffen widersetzte, stachelten sie die zahlreichen Feinde des Hauses de Lacy auf und machten dessen Vasallen und Freunde völlig mutlos, indem diese sich vor die Wahl gestellt sahen, entweder ihrem Lehnseide untreu zu werden oder die noch heiligeren Pflichten gegen ihren Landesherrn zu verletzen.
In diesem entscheidenden Augenblick erhielten sie die Kunde, daß der weise, tätige Monarch, der damals das Szepter Englands in Händen hatte, an der Spitze einer großen Armee nach diesem Teil Englands vorrücke, in der Absicht, zugleich die Belagerung von Garde Douloureuse zu beschleunigen und die Unterdrückung des Bauernaufstandes zu vollenden, den Guy Monthermer bereits fast ganz niedergeworfen hatte.
In dieser dringenden Not, und als die Freunde und Untergebenen des Hauses Lacy kaum wußten, welchen Weg sie einschlagen sollten, erschien plötzlich unter ihnen Randal, des Connetables Verwandter und nach Damian sein nächster Erbe, mit einem königlichen Auftrage, diejenigen von den Vasallen seines Hauses, welche sich nicht an der vermeintlichen Verräterei Damians beteiligt hätten, zu seinen Fahnen zu versammeln und sich an ihre Spitze zu stellen. In unruhigen Zeit vergißt man die Laster der Menschen, wenn sie Tätigkeit, Mut und Klugheit, die gerade dann so nötigen Tendenzen, zeigen; und das Auftreten Randals, dem diese Eigenschaften keineswegs fehlten, wurde als eine gute Vorbedeutung von den Anhängern seines Vetters aufgenommen. Schnell versammelten sie sich um ihn, übergaben nach dem königlichen Befehl alle festen Orte, die in ihrer Gewalt waren, und um sich ganz von jeder Teilnahme an den Verbrechen zu reinigen, die man Damian zuschrieb, fochten sie mutig unter Randals Oberbefehl gegen die zerstreuten Bauern, die noch immer das Feld behaupteten oder sich in den Bergschluchten versteckt hatten. Nach jedem Siege gingen sie so unbarmherzig vor, daß selbst Monthermers Truppen im Vergleich mit denen de Lacys menschlich erschienen. Endlich zog Randal mit dem Banner seines Hauses und fünfhundert rüstigen Kriegern vor Garde Douloureuse und vereinigte sich dort mit Heinrichs Lager.
Schon war die Burg hart bedrängt, und die wenigen Verteidiger, durch Wunden, Wachen und Hunger sehr geschwächt, mußten nun obendrein allen Mut verlieren, da sie nun gegen ihre Mauern auch noch das einzige Banner in ganz England wehen sahen, das allein ihnen vielleicht Hilfe hätte bringen können.
Die von hohem Geiste beseelten Ermahnungen Evelinens, die sich durch Unglück und Entbehrung nicht niederdrücken ließ, verloren allmählich ihre Wirkung auf die Verteidiger des Schlosses. In einem tumultuarischen Kriegsrate, zu dem sich nicht allein Offiziere niederen Ranges, sondern auch viele von den Gemeinen herzugedrängt hatten, da eine solche allgemeine Not alle Bande der Kriegszucht lockert und jedermann die Freiheit gibt, für sich selbst zu sprechen und zu handeln, wurden Vorschläge zur Kapitulation gemacht und besprochen. Mitten in diesen Beratungen erschien zu aller Erstaunen Damian de Lacy, der sein Krankenbett verlassen hatte. Bleich und schwach, mit dem schauderhaften Geisterblicke, der nach einer langen Krankheit zurückbleibt, lehnte er sich auf seinen Pagen Amelot. »Edle Herren und Krieger!« sagte er, »doch wie kann ich die einen oder die anderen so nennen? Edle Männer sind immer bereit, für das Wohl einer Frau zu sterben – Krieger verachten das Leben, wenn es die Ehre gilt.«
»Weg mit ihm! Weg mit ihm!« riefen einige Soldaten, ihn unterbrechend. »Er will wohl, daß wir, die wir unschuldig sind, den Tod der Verräter sterben und in der Rüstung an den Mauern aufgehängt werden, ehe er sich von seinem Schätzchen trennt.« »Schweig, unverschämter Sklave!« schrie Damian mit Donnerstimme, »oder mein letzter Schlag soll ein gemeines Ziel haben, indem er einen solchen Schurken wie Dich trifft. – Und Ihr,« fuhr er zu, den anderen fort. »Ihr, die Ihr von den Beschwerden Eures Berufes zurückschaudert, weil der Tod sie vielleicht einige Jahre früher endigen kann, wie es doch einmal geschehen muß, – Ihr, die Ihr Euch schrecken laßt, wie Kinder beim Anblicke eines Totenkopfes – glaubt nicht, daß Damian de Lacy auf Kosten dieses Euch so teuren Lebens sich retten wollte! Schließt Euren Handel mit König Heinrich ab! Uebergebt mich seiner Gerechtigkeit oder Strenge; oder wenn Euch das besser gefällt, schlagt mir das Haupt ab und werft es als Friedenszeichen über die Mauern dieses Schlosses; ich vertraue Gott, daß er zu seiner Zeit meine Ehre in helles Licht stellen werde. Mit einem Worte: überliefert mich, tot oder lebendig, oder öffnet die Tore, damit ich mich selbst übergebe. Nur, so wahr Ihr Menschen seid, da ich nichts Besseres von Euch sagen kann, tragt wenigstens Sorge für die Sicherheit Eurer Gebieterin, stellt die Bedingung, daß ihr kein Leides geschehen darf, und rettet Euch selbst von der Schande, als feige und meineidige Schurken in die Gruft zu fahren.«
»Mich dünkt, der junge Mann spricht gut und vernünftig,« sagte Wilkin Flamock. »Laßt uns also des Königs Gnade wiedergewinnen, indem wir ihn überliefern und dabei die besten Bedingungen für uns und unsere Gebieterin ausmachen, eh noch der letzte Bissen von unserm Vorrat verzehrt ist.«
»Ich würde schwerlich diese Maßregel vorgeschlagen haben,« sagte Pater Aldrovand, der vor kurzem vier Vorderzähne durch eine Steinschleuder verloren hatte; »da sie aber von dem, den es hauptsächlich angeht, so großmütig angeboten wird, so halte ich es mit den gelehrten Scholiasten: Volenti non fit injuria!!«
»Priester und Fläminger,« fügte der alte Bannersmann Ralph Genvil. »Ich sehe, wohin der Wind Euch treibt. Aber Ihr betrügt Euch selbst, wenn Ihr unsern jungen Gebieter Sir Damian zum Sündenbock für Euer leichtsinniges Fräulein machen wollt. – Nein, runzelt nicht die Stirn und tobt nicht, Sir Damian! Wißt Ihr keinen gescheitern Ausweg zu finden, so wissen wir es. – Krieger de Lacys, werft Euch auf die Pferde, zwei auf eines, wenn es nötig ist! – Wir wollen diesen hartnäckigen Knaben in die Mitte zwischen uns nehmen, und der schmucke Squire Amelot soll auch mit gefangen sein, wenn er uns durch seinen kindischen Widerstand aufhält. Dann laßt uns einen tüchtigen Ausfall machen; die, die sich durchhauen, fahren gut dabei, und die, welche fallen, nun, die sind auch versorgt.«
Jubelnd zollten die Reiter de Lacys diesem Vorschlag Beifall. Während die von der Partei Berengers mit lauten und scheltenden Worten noch darüber stritten, suchte Eveline, durch den Tumult herbeigerufen, sie zu besänftigen, doch vergebens; und Damians Vorwürfe oder Bitten waren bei seinen Streitgenossen ebenfalls fruchtlos. Beiden erteilte man die gleiche Antwort.
»Bekümmert Euch darum nicht! – Denkt Ihr, weil's Euch beliebt par amours, könnt Ihr Euer Leben und das unsrige nur so hinwerfen?« so rief Genvil de Lacy zu, und zwar sanfter, aber mit gleicher Halsstarrigkeit, weigerten sich die Geleitsmänner von Raymond Berenger, bei dieser Gelegenheit auf die Befehle oder Bitten seiner Tochter zu hören.
Wilkin Flamock hatte sich aus dem Tumult zurückgezogen, sobald er sah, welche Wendung die Sache genommen hatte. Er verließ die Burg durch eine Ausfallpforte, deren Schlüssel ihm anvertraut war, und kam unbemerkt und unbehelligt in das königliche Lager. Er begehrte den König zu sprechen. Dieser Wunsch wurde gewährt, und sehr bald stand Wilkin vor dem König Heinrich. Der Monarch befand sich in seinem königlichen Zelt, in Gesellschaft seiner beiden Söhne Richard und Johann, welche späterhin das Szepter Englands unter ganz anderen Verhältnissen führten.
»Was gibt es? – Wer bist Du?« war die königliche Frage.
»Ein ehrlicher Mann aus der Burg Garde Douloureuse.«
»Du magst ein ehrlicher Mann sein,« erwiderte der Souverän, »Du kommst aber aus einem Nest von Verrätern.«
»So wie sie da sind, will ich sie Eurer Königlichen Gnade überliefern; denn sie wissen nicht mehr aus noch ein. Sie verstehen sich nicht mehr zu verteidigen und wissen sich auch keinen Rat, wie sie kapitulieren sollen. Aber ich möchte gerne zuvorderst von Ew. Gnaden wissen, welche Bedingungen Ihr den Verteidigern jenes Schlosses zugestehen wollt?«
»Die, welche Könige den Verrätern zugestehen,« sagte Heinrich strenge. – »Scharfe Messer und starke Stricke.«
»Nein, gnädiger Herr, Ihr mußt milder sein, als worauf das ausgeht, wenn das Schloß durch meine Vermittlung übergeben weiden soll. Sonst werden Eure Stricke und Messer nur mit meinem armen Leichnam etwas zu schaffen haben, und von dem Innern von Garde Douloureuse werdet Ihr so entfernt bleiben wie jetzt.« Der König sah ihn scharf an, »Du kennst,« sagte er, »die Kriegsgesetze. – Hier, Oberprofoß, steht ein Verräter, und dort steht ein Baum.«
»Und hier steht eine Kehle,« sagte der hochherzige Flamländer und knöpfte den Kragen seines Wamses auf.
»Bei meiner Ehre,« sagte Prinz Richard, »ein kecker, treuer Bursche. Es wäre besser, man schickte solchen Kerlen was Ordentliches zu essen und schlüge sich dann vor der Burg wacker mit ihnen herum, statt sie auszuhungern, wie die bettelhaften Franzosen ihre Hunde hungern lassen.«
»Still, Richard!« sagte sein Vater, »Dein Witz ist zu grün und Dein Blut zu heiß, um hier mein Ratgeber zu sein. – Und Du, Bursche, schlage einige vernünftige Bedingungen vor, und wir wollen es nicht zu genau mit Dir nehmen.«
»Zuerst denn,« sagte der Flamländer, »dinge ich mir aus, vollen und freien Pardon an Leib, Leben und Gütern für mich, Wilkin Flamock, und meine Tochter Rose!«
»Ein echter Flamländer,« sagte Prinz John, »er sorgt für sich selbst im ersten Artikel.«
»Seine Forderung ist vernünftig,« sagte der König. – »Was zunächst?«
»Sicherheit für Ehre, Leben und Länder dem Fräulein Eveline Berenger.«
»Wie? Herr Schuft!« sagte der König erzürnt. »Ziemt es sich für Deinesgleichen, unserm Urteil oder unserer Gnade in Sachen der edlen normannischen Lady Vorschriften zu machen? – Beschränke Deine Fürsprache auf Leute Deiner Art; oder vielmehr gib uns das Schloß ohne längeren Aufschub, und sei versichert, daß dies das beste für die Verräter ist, jedenfalls weit besser, als ein wochenlanger Widerstand, der schließlich doch fruchtlos sein muß.«
Der Flamländer stand schweigend da; er hatte keine Lust, das Schloß, ohne ausdrücklich vereinbarte Bedingungen, zu übergeben, und war doch überzeugt, daß er bei der Lage, in welcher er die Besatzung von Garde Douloureuse verlassen hatte, Evelinen den besten Dienst leisten würde, wenn er die königlichen Truppen einließe.
»Mir gefällt Deine Treue, Bursche,« sagte der König, dessen scharfes Auge den Kampf in des Flamländers Brust bemerkte, »aber treibe Deine Hartnäckigkeit nicht zu weit. Haben wir nicht gesagt, wir wollen gnädig gegen jene Verbrecher verfahren, soweit unsere königliche Pflicht es erlaubt?« »Und, königlicher Vater,« sagte Prinz Johann, sich einmischend, »ich bitte Euch um die Gnade, laßt mich zuerst von Garde Douloureuse Besitz nehmen und zugleich die Strafe der verräterischen Lady bestimmen und vollziehen.«
»Auch ich bitte Euch, mein königlicher Vater, Johanns Gesuch zu genehmigen,« sagte sein Bruder Richard mit spöttischem Tone. »Bedenkt, königlicher Vater, es ist das erstemal, daß er den Wunsch äußert, sich den Barrieren der Burg zu nähern, obschon wir vierzigmal zum wenigsten Sturm liefen. – Ei ja doch! Da waren Armbrust und Steinschleuder tätig, und die werden jetzt wahrscheinlich ruhig sein.«
»Haltet Frieden, Richard!« sagte der König. »Eure Worte durchbohren mein Herz. – Johann, Deine Bitte sei Dir gewährt, was das Schloß anbetrifft; aber die unglückliche junge Lady wollen wir in unsere eigene Aufsicht nehmen. – Flamländer, wieviel Mann unternimmst Du, ins Schloß einzulassen?«
Ehe Flamock antworten konnte, näherte sich ein Squire dem Prinzen Richard und flüsterte ihm ins Ohr, doch so, daß es alle hören konnten: »Wir haben bemerkt, daß infolge einer inneren Zwistigkeit oder aus einer anderen unbekannten Ursache sich ein großer Teil der Wachen von der Burg entfernt hat, und daß ein plötzlicher Angriff vielleicht –«
»Hörst Du das, Johann?« rief Richard aus, »Leitern, Mann! – schaff Leitern herbei, und hin zur Mauer – O! wie ich mich freuen werde, dich auf der höchsten Staffel zu sehen, – Deine Kniee schlotternd – Deine Hände krampfhaft sich anklammernd, wie einer im Fieberschauer – nichts wie Luft um Dich, ein paar hölzerne Stäbe ausgenommen – der Graben unten – ein halbes Dutzend Piken an Deiner Kehle.«
»Ruhig, Richard, aus Scham, wenn nicht aus Barmherzigkeit!« sagte sein Vater in einem zornigen Tone, in welchen sich jedoch auch Gram mischte. – »Und Du, Johann, mache Dich fertig zum Angriff!«
»Sobald ich meine Rüstung angelegt habe,« antwortete der Prinz und ging mit bleichem Gesicht langsam hinaus.
Sein Bruder lachte, als er sich entfernte, und sagte darauf zu seinem Squire: »Es wäre kein schlechter Spaß, Alberick, wenn wir das Schloß erstürmten, ehe noch John sein seidenes Wams mit einem stählernen vertauscht.«
Mit diesen Worten eilte er schnell davon, und der König rief ihm mit väterlichem Schmerze nach: »Weg ist er! ach! er ist zu heiß, und sein Bruder zu kalt! doch ist sein Fehler der männlichere – Gloucester,« sagte er zu dem berühmten Grafen dieses Namens, »nehmt hinlängliche Mannschaft und folgt dem Prinzen Richard, ihn zu unterstützen. Vermag einer ihn zu zügeln, so kann es nur ein so berühmter Ritter sein wie Du. – Ach! ach! für welche Sünden verdiene ich den Schmerz, daß meine Söhne sich also befehden!«
»Tröstet Euch, mein Gebieter!« sagte der Kanzler, der ebenfalls gegenwärtig war.
»Sprecht nicht von Trost zu einem Vater, dessen Söhne in Zwiespalt miteinander stehen, und nur im Ungehorsam gegen ihn eins sind.«
So sprach Heinrich II., der weiseste oder, allgemein genommen, glücklichste Monarch, der je auf dem Throne von England saß. Doch war sein Leben ein schlagender Beweis dafür, wie Uneinigkeit in der Familie das glänzendste Los verdüstern kann, das der Himmel je einem Sterblichen vergönnte, und wie befriedigter Ehrgeiz, ausgedehnte Macht und der höchste Ruhm in Krieg und Frieden doch nicht die Wunden zu heilen vermögen, die häuslicher Kummer schlägt.
Der plötzliche und feurige Angriff Richards, der an der Spitze von ein paar Dutzend aufs Geratewohl zusammengerafften Soldaten die Mauern erstürmte, hatte den vollen Erfolg eines Ueberfalls. Nachdem sie die Mauern mit ihren Leitern erstiegen hatten, sprengten sie die Tore und ließen Gloucester hinein, der ihnen eiligst mit einem starken Heerhaufen gefolgt war. Die Garnison in diesem Zustande der Ueberraschung, Verwirrung und Uneinigkeit leistete nur geringen Widerstand; sie hätten über die Klinge springen müssen, und der Ort wäre geplündert worden, wenn nicht Heinrich selbst eingezogen wäre und durch seine persönliche Gegenwart den Ausschweifungen der zügellosen Soldaten Einhalt getan hätte.
Der König selbst beobachtete, wenn man den Charakter der Zeit und seine gereizte Stimmung berücksichtigt, eine lobenswerte Mäßigung. Er begnügte sich damit, die gemeinen Soldaten zu entwaffnen und zu entlassen, und gab ihnen noch eine kleine Summe als Wegzehrung, damit Entbehrung sie nicht verleite, sich zu Räuberbanden zusammenzurotten. Strenger wurden die Offiziere behandelt, die größtenteils in den Kerker geworfen wurden, um hier den Spruch des Gesetzes abzuwarten. Vor allem war strenge Haft das Los Damians de Lacy, auf welchen Heinrich, da er den mannigfaltigen Klagen gegen ihn Glauben beimaß, so sehr erzürnt war, daß er beschloß, ihn zum warnenden Beispiel für alle falschen Ritter und pflichtvergessenen Untertanen zu machen. Der Lady Eveline Berenger wies er ihr eigenes Zimmer zum Gefängnis an, worin sie ehrenvoll von Rose und Alice bedient, doch aber mit der größten Strenge bewacht wurde. Man erzählte sich allgemein, ihr Gebiet würde als ein der Krone verfallenes Eigentum erklärt und wenigstens teilweise dem Randal de Lacy verliehen werden, der während der Belagerung so gute Dienste geleistet hatte. Sie selbst, glaubte man, sollte in einem fernen französischen Nonnenkloster eingeschlossen werden, um in voller Muße ihre Torheit und Uebereilung zu bereuen.
Pater Aldrovand wurde zur Bestrafung seinem Kloster übergeben, da Heinrich sehr nachdrücklich erfahren hatte, wie unklug es sei, die Gerechtsame der Kirche zu beeinträchtigen, wiewohl der König, als er ihn zuerst in dem über seinen geistlichen Rock geschnallten rostigen Panzer erblickte, nur mit Mühe den Wunsch unterdrücken konnte, ihn über den Zinnen aufhängen zu lassen, damit er dort den Raben predige.
Mit Wilkin Flammock hatte Heinrich manche Unterredung, besonders über Handel und Gewerbe, worüber der Flamländer mit seinem gesunden Kopf, wiewohl mit etwas derber Sprache, dem verständigen Monarchen recht gute Aufschlüsse zu geben wußte. »Es soll Dir nicht vergessen werden,« sagte er, »daß Du uns ins Schloß einlassen wolltest, obwohl die tollkühne Tapferkeit meines Sohnes Richard Dir zuvorgekommen ist, die manchem armen Schurken das Leben gekostet hat. – Richard ist nicht der Mann, ein Schwert ohne Blutflecken in die Scheide zu stecken. Aber Du und Deine Landsleute sollen dort zu ihren Mühlen zurückkehren, mit voller Vergebung aller ihrer Vergehungen, nur daß Ihr Euch künftig nicht mehr mit solchen verräterischen Dingen befaßt.«
»Und unsere Privilegien und Dienstpflichten, mein Fürst?« sagte Flammock. »Ew. Majestät weiß wohl, wir sind Vasallen, dem Herrn dieser Burg gehörig, und müssen ihm in den Krieg folgen.«
»So soll es nicht länger sein,« sagte Heinrich. »Ich will hier eine Gemeinde von Flamländern bilden, und Du, Flammock, sollst ihr Bürgermeister sein, damit Du Dich, wenn wieder mal jemand Verrat sinnt, nicht wieder mit Deiner Lehnspflicht entschuldigen kannst.«
»Verrat!« sagte Flammock, der sehnlich wünschte, aber es kaum wagte, ein Wort zu Gunsten der Lady Eveline einzulegen, an der er trotz der natürlichen Kälte seines Charakters wirklich Anteil nahm. – »Ich wünsche, Ew. Gnaden wüßten nur ganz richtig und genau, wieviel Fäden zu diesem Gewebe zusammenkamen.«
»Still, Bursche! – Bekümmert Euch um Euren Webstuhl!« sagte Heinrich, »lassen wir uns herab, mit Dir über Dein Handwerk zu sprechen, so halte das nicht für eine Erlaubnis, Dich weiter in unsere Vertraulichkeit einzudrängen.«
So zurückgestoßen, entfernte sich der Flamländer schweigend, und das Geschick der unglücklichen Gefangenen blieb in des Königs Brust verschlossen. Er selbst nahm Wohnsitz in der Burg von Garde Douloureuse, weil dieser Ort sehr dazu geeignet war, um Streifzüge gegen die rebellischen Bauern zu unternehmen und jeden Funken, der etwa noch unter der Asche glomm, auszulöschen. Randal de Lacy war aber bei diesen Gelegenheiten so tätig, daß er täglich in des Königs Gnade zu steigen schien und mit beträchtlichen Geschenken aus den Besitzungen der Berenger und Lacy belohnt wurde, welche der König schon als verfallenes Eigentum zu behandeln schien. Viele Leute betrachteten die wachsende Gunst Randals als ein schlimmes Vorzeichen sowohl für des jungen de Lacy Leben als für das Geschick der unglücklichen Eveline.