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Der sorgenvollste, unglücklichste Moment in Hugo de Lacys Leben war ohne Frage der, in welchem er durch die unter allen bürgerlichen und religiösen Gebräuchen vollzogene Verlobung mit Eveline sich dem zu nähern schien, was er seit einiger Zeit am innigsten gewünscht hatte. Der Besitz einer schönen liebenswürdigen Gattin, ausgestattet mit so vielen weltlichen Vorteilen, die seinem Ehrgeiz und seinen Neigungen ein Genüge leisten konnten, stand ihm nahe und gewiß bevor. Aber eben selbst in diesem glücklichen Augenblicke verdunkelte sich der Horizont um ihn her dermaßen, daß er nichts wie Sturm und Unwetter vor sich sah. In seines Neffen Wohnung hörte er, daß der Puls des Patienten noch heftiger schlüge, sein Delirium sich vermehrt hätte, alles um ihn her an seinem Aufkommen zweifelte, vielmehr befürchtete, er werde die schnell sich nähernde Krisis nicht überleben. Der Connetable schlich sich an die Tür des Zimmers, das zu betreten ihm eine Art von Schuldbewußtsein nicht gestattete, und lauschte auf die wahnwitzigen Reden, die der Kranke im Fieber tat. Es gibt nichts Traurigeres als anzuhören, wie der Geist in den gewöhnlichen täglichen Geschäften gleichsam weiterarbeitet, während der Körper in Schmerzen und Gefahren auf einem schweren Krankenlager hingestreckt liegt. Dieser Kontrast gegen den gewöhnlichen gesunden Zustand und dessen Freuden und Lasten macht die Hilflosigkeit des Kranken, vor dem diese Visionen emporsteigen, doppelt ergreifend, und wir fühlen um so regere Teilnahme für den Leidenden, dessen Gedanken so weit von seinem wahren Zustand abschweifen.
Der Connetable fühlte dies bis ins Innerste, als er seinen Neffen das Kriegsgeschrei seines Hauses zu wiederholten Malen ausstoßen hörte, der, nach den Kommandoworten und Anordnungen zu urteilen, die er von Zeit zu Zeit erteilte, sich damit beschäftigt glaubte, seine Reisigen gegen die Walliser anzuführen. Dann murmelte er wieder Redensarten von der Reitschule, der Falkenbeize, der Jagd – er nannte dabei sehr oft seines Oheims Namen, als ob das Bild seines Verwandten mit seinen Kriegestaten, seinen Jagden aufs innigste verbunden sei. Es gab noch andere Laute, die er aber so leise flüsterte, daß sie durchaus unverständlich blieben.
Zweimal legte der Connetable die Hand auf den Drücker der Tür, um in das Krankenzimmer zu treten, und zweimal zog er sie zurück, da seine Augen sich mit Tränen füllten, die er den Leuten drinnen nicht zeigen mochte. Zuletzt gab er den Vorsatz auf und verließ eilig das Haus, stieg zu Pferde, und nur in Begleitung von vieren seiner Diener ritt er dem bischöflichen Palast zu, wo der Erzbischof jetzt seinen Sitz aufgeschlagen hatte.
Der Zug von Reitern, Handpferden und Packmaultieren, von weltlichen und geistlichen Dienern und Knechten, die das Tor des bischöflichen Wohnsitzes umringten, zugleich mit der gaffenden Menge von Einwohnern, die sich hinzudrängte, teils um das glänzende Schauspiel selbst zu sehen, teils um einen Anteil an der Segenssprechung des Prälaten zu erhaschen, war so groß, daß der Connetable nicht bis zum Tore des Palastes gelangen konnte. Als dieses Hindernis überwunden war, fand er ein anderes in der Hartnäckigkeit der erzbischöflichen Bedienten, die ihm, obgleich er Namen und Titel nannte, nicht erlaubten, über die Schwelle zu kommen, bis sie den ausdrücklichen Befehl ihres Herrn erhalten hätten. Der Connetable empfand das volle Gewicht dieses geringschätzigen Empfanges. Er war in der Gewißheit vom Pferde gestiegen, daß er wenigstens sogleich in den Palast gelassen würde, wenn auch nicht gleich vor den Prälaten selbst; und als er nun zu Fuß stand unter Knappen, Dienern, Stallknechten und geistlichen Herren, war ihm das so empörend, daß sein erster Gedanke der war, wieder zu Pferde zu steigen, zu seinem vor den Stadtmauern errichteten Zelt zurückzukehren und es dem Erzbischof zu überlassen, ihn hier aufzusuchen, wenn er wirklich eine Zusammenkunft mit ihm wünschte. Aber die Notwendigkeit, ihn sich geneigt zu machen, trat unmittelbar darauf vor seine Seele und unterdrückte den ersten Entschluß seines beleidigten Stolzes. »Wenn unser weiser König,« sagte er zu sich selbst, »einem Erzbischofe, als er lebte, die Steigbügel hielt, und sich, als er tot war, den erniedrigendsten Gebräuchen vor seinem Grabe unterwarf, so darf ich in der Tat nicht so bedenklich sei.,« Ein anderer Gedanke, den er sich selbst kaum zu sagen wagte, empfahl ihm denselben demütigen, unterwürfigen Gang. Er konnte sich nicht verhehlen, daß er durch seine Bemühung, von dem Gelübde als Kreuzfahrer entbunden zu werden, sich dem gerechten Tadel der Kirche preisgab, daher überließ er sich gern der Hoffnung, daß der kalte, verächtliche Empfang von Balduins Seite schon als ein Teil der Buße anzusehen wäre, die, wie sein Gewissen ihm sagte, sein Benehmen ihm zuziehen müßte.
Nach kurzer Zeit wurde de Lacy endlich eingeladen in den bischöflichen Palast zu treten, um dort bei dem Primas von England Audienz zu erhalten. Aber nun gab es noch mehr als einen Aufenthalt in der Halle und dem Vorzimmer, ehe er endlich vor Balduin gelassen wurde.
Der Nachfolger des berühmten Becket hatte weder die weitsichtigen Pläne noch den hochstrebenden Geist jenes berühmten Mannes, aber anderseits läßt sich bezweifeln, ob dieser, wiewohl er heilig gesprochen worden, für das Wohl der Christenheit halb so aufrichtig besorgt war, als der gegenwärtige Erzbischof. Balduin war in der Tat vollkommen wohlgeeignet, die Macht, die die Kirche gewonnen hatte, zu verteidigen, obwohl vielleicht sein Charakter zu aufrichtig und zu ehrlich war, um ihr zu noch weiterer Ausdehnung zu verhelfen. Die Beförderung des Kreuzzuges war die Hauptbeschäftigung seines Lebens, dessen Gelingen das Hauptziel seines Stolzes; und wenn das Bewußtsein, die Macht der Beredsamkeit zu besitzen und die Gemüter der Menschen nach seinem Willen lenken zu können, sich seinem religiösen Eifer beimischte, so hat doch sein ganzes Leben und später sein Tod vor Ptolomais bewiesen, daß die Befreiung des heiligen Grabes aus den Händen der Ungläubigen das aufrichtige Endziel aller seiner Bemühungen gewesen ist.
Der Prälat, ein Mann von einer schönen, stattlichen Gestalt, mit Zügen, die zu strenge waren, um angenehm zu sein, empfing den Connctable mit allem Pomp der geistlichen Würde. Er saß auf einem reich mit gotischem Schnitzwerk versehenen Stuhle von Eichenholz, der auf einer Erhöhung des Zimmers in einer Nische stand. Er trug den reich gestickten bischöflichen Mantel, der sich vorne auf der Brust öffnete und ein Untergewand zeigte zwischen dessen Falten, als sei es nicht gut verdeckt, das Hemd von Haartuch hervorsah, das der Prälat auf bloßem Leibe unter allen seinen Prachtgewändern trug. Seine Bischofsmütze lag neben ihm auf einem eichenen Tische, an dem sein Hirtenstab lehnte, ein wirklicher Schäferstab von der einfachsten Gattung, der aber, geschwungen von der Hand des Thomas a Becket, sich mächtiger und furchtbarer denn Lanze oder Säbel erwiesen hatte.
In einer geringen Entfernung kniete vor einem Pult ein Kaplan mit einem weißen Chorhemd und las aus einem buntbemalten Buche irgend einen theologischen Traktat vor, und Balduin schien so vertieft zu lauschen, daß er den eintretenden Connetable unbeachtet ließ, der, über diese neue Geringschätzung höchst empört, am Eingänge stehen blieb, unentschlossen, ob er den Vorleser unterbrechen und den Erzbischof anreden oder ohne weiteres sich wieder entfernen sollte. Ehe er aber mit sich selbst darüber einig werden konnte, kam der Kaplan an eine Stelle, wo die Vorlesung abgebrochen werden konnte, und der Erzbischof tat ihm mit den Worten Einhalt: »Satis est, mi fili!«
Umsonst bemühte sich der stolze weltliche Große, die Verlegenheit zu verbergen, mit der er sich dem Prälaten nahte, der offenbar nur in der Absicht, ihn mit Scheu und Sorge zu erfüllen, diese Haltung angenommen hatte. Zwar versuchte er es, ein so unbefangenes Wesen zu zeigen, als bestehe noch ihre alte Freundschaft oder wenigstens eine stolze Gleichgiltigkeit, als ob er sich vollkommen ruhig fühle; aber beides gelang nicht, und seine Anrede verriet gekränkten Stolz, vermischt mit einem nicht geringen Grad von Verwirrung.
»Ich bemerke,« sagte de Lacy, indem er seine Gedanken sammelte und sich darüber schämte, daß dies ihm schwer wurde, »daß eine alte Freundschaft sich hier aufgelöst hat. Ich sollte meinen, Hugo de Lacy hätte durch einen andern Boten zu dieser hochwürdigen Audienz beschieden werden und einen andern Empfang erwarten können.«
Langsam erhob sich der Erzbischof in seinem Sessel und machte gegen den Connetable eine halbe Verbeugung, die dieser aus Verlangen nach Versöhnung gleichsam instinktmäßig tiefer erwiderte, als er selbst wollte oder diese karge Höflichkeit es verdiente. Zu gleicher Zeit gab der Prälat dem Kaplan ein Zeichen, worauf dieser aufstand und sich ehrerbietig zurückzog, ohne die Augen aufzuschlagen, die auf den Boden geheftet blieben, die Hände über der Brust gekreuzt.
Sobald dieser stumme Diener verschwunden war, entwölkte sich zwar des Prälaten Stirn etwas, doch behielt sie noch immer einen finsteren Schatten ernsten Unmuts, und er antwortete auf de Lacys Anrede, noch immer ohne seinen Sitz zu verlassen. »Es kommt jetzt nicht darauf an, Mylord, dessen zu erwähnen, was der tapfere Connetable von Chester dem armen Geistlichen Balduin gewesen, oder mit welcher Liebe, mit welchem Stolz wir ihn das heilige Zeichen der Erlösung nehmen sahen, und wie er gelobte, sich zu Ehren dessen, durch den er selbst zu Ehre und Würden gelangt ist, der Befreiung des heiligen Landes zu weihen. Sehe ich nun noch diesen edlen Lord vor mir, mit demselben heiligen Entschlusse, so laßt mich diese freudenvolle Wahrheit wissen, und ich will Chorrock und Mitra ablegen und seines Pferdes warten wie ein Stallknecht, wenn es nötig sein sollte, durch einen solchen Knechtesdienst ihm die herzliche Achtung zu beweisen, die ich für ihn hege.«
»Hochwürdiger Vater,« antwortete de Lacy mit einigem Stocken, »ich hoffte, daß die Vorschläge, welche Euch von meiner Seite durch den Dechant von Hereford gemacht wurden, Euch triftiger erscheinen würden.« Darauf sein natürliches Selbstvertrauen wiedergewinnend, fuhr er mit mehr Zuversicht in Sprache und Haltung fort, denn die kalten unbeweglichen Blicke des Erzbischofs reizten ihn auf. »Können diese Vorschläge noch verbessert werden, Mylord, so laßt es mich wissen, in welchen Stücken, und Euer Verlangen soll, wenn es möglich ist, erfüllt werden, selbst wenn es etwas unbillig sein sollte. Ich wünsche Frieden mit der heiligen Kirche, Mylord, und bin der letzte, der ihre Weisungen mißachten wollte. Das haben meine Taten im Felde, meine Ratschläge in der Staatssitzung bewiesen; und ich kann nicht glauben, daß meine Dienste kalte Blicke und kalte Sprache vom Primas Englands verdienen.«
»Wollt Ihr der Kirche Eure Dienste vorhalten, eitler Mann!« sagte Balduin. »Ich sage Dir, Hugo de Lacy, was der Himmel durch Deine Hand für die Kirche tun ließ, hätte, wenn es dem göttlichen Willen so gefallen hätte, ebenso leicht auch durch den geringsten Pferdejungen in Deinem Heere geschehen können. Nur Du bist es, der geehrt worden ist, da Du zum Werkzeug erwählt wurdest, durch welches große Dinge in Israel geschahen. – Nein! unterbrich mich nicht. – Ich sage Dir, stolzer Baron, vor dem Angesicht des Himmels ist Deine Weisheit nichts als Torheit – Dein Mut, dessen Du Dich rühmst, nichts als die Zaghaftigkeit eines Dorfmädchens – Dein Speer eine Weidenrute und Dein Schwert eine Binse.«
»Alles das weiß ich, heiliger Vater,« sagte der Connetable. »Und ich habe es wiederholt gehört, daß solche armen Dienste, wie ich sie geleistet habe, vorbei und abgetan sind. Jawohl, als man einer hilfreichen Hand bedurfte, da war ich der gütige Lord bei Priestern und Prälaten, ein Mann, der verehrt und angebetet werden müsse, wie die Schutzheiligen und Stifter der Kirche, die im Chor und unterm Hochaltar schlummern. Da war kein Gedanke, wahrlich! an Weide und Binse, wenn man mich darum anflehte, die Lanze einzulegen oder mein Schwert zu ziehen; nur wenn man ihrer nicht mehr nötig hat, gelten sie und ihre Besitzer nichts mehr. Wohl, mein hochwürdiger Vater! mag es so sein! Wenn die Kirche die Sarazenen aus dem heiligen Lande mit Stallknechten und Pferdejungen verjagen kann, warum predigt Ihr die Ritter und Edlen von ihrer Heimat und ihrem Vaterlande hinweg, das zu beschützen und zu verteidigen sie geboren sind?«
Fest richtete der Erzbischof seinen Blick auf ihn, indem er folgendes erwiderte: »Nicht zum Besten ihres Fleisches stören wir Eure Ritter und Barone in ihren rohen Festgelegen und mörderischen Fehden, worunter Ihr die Verteidigung des Landes versteht, nicht darum, weil der Allmächtige zur Ausführung des großen Befreiungswerkes ihrer Hilfe bedarf – nein, bloß um ihres eignen Seelenheiles willen!«
Ungeduldig schritt der Connetable auf und nieder, indem er vor sich hinmurmelte: »Das ist der luftige Lohn, für den Heere auf Heere aus Europa geschleppt wurden, den Sand von Palästina mit ihrem Blut zu tränken – das sind die eitlen Versprechungen, gegen die wir Vaterland, Güter und Leben austauschen sollen.«
»Ist das Hugo de Lacy, der so spricht?« sagte der Erzbischof und er stand dabei von seinem Sitze auf. »Ist er es, der so herabwürdigend spricht von dem Namen eines Ritters – von der Tugend eines Christen – von der Vergrößerung seiner irdischen Ehre – von dem unberechenbaren Vorteil seiner unsterblichen Seele? – Ist er es, der nach einem solchen groben körperlichen Lohn an Land und Schätzen trachtet, indes ritterliche Ehre, der Glaube seiner Religion, sein Gelübde als Ritter, seine Taufe als Christ ihn zu einem ruhmvollen und gefährlichen Kampfe auffordern? – Ist es möglich? Ist es in der Tat Hugo de Lacy, der Spiegel der anglo-normännischen Ritterschaft, der solche Gedanken hegt, ja der sie aussprechen kann?«
»Mit Schmeichelei und schönen Worten, schicklich gemischt mit Vorwürfen, Mylord,« antwortete der Connetable, wurde rot und biß sich auf die Lippen, »mögt Ihr bei andern etwas erreichen, aber ich bin zu festen Sinnes, um mich durch süße oder herbe Worte bestimmen zu lassen. Glaubt mir nur, der Charakter Hugo de Lacys, mag er nun den Kreuzzug mitmachen oder daheim bleiben, ist in Sachen des Muts nach wie vor ebenso untadelhaft, wie der des Erzbischofs Balbuin in Sachen der Heiligkeit.«
»Möge er noch viel höher stehen,« sagte der Erzbischof, »als der Ruf, mit welchem Ihr ihn zu vergleichen geruht; aber eine Flamme kann so gut gelöscht werden wie ein Funke. Und ich sage es dem Connetable von Chester, daß der Ruhm, welcher seine Fahnen so viele Jahre umschwebte, in einem Augenblick davonflattern kann, ohne sich je wieder zurücklocken zu lassen.«
»Wer wagt das zu sagen?« sagte der Connetable und zitterte für die Ehre, die er in so vielen Gefahren aufrecht erhalten hatte.
»Ein Freund,« sagte der Prälat, »dessen Schläge als Wohltaten aufgenommen werden sollten, Ihr denkt an Zahlung, Herr Connetable, und an Lohn, als ob Ihr noch am Markte stündet und über den Preis Eures Dienstes feilschen dürftet. Ich sage Euch, Ihr seid nicht mehr Euer eigener Herr – Ihr seid durch das heilige Zeichen, das Ihr freiwillig genommen habt, ein Söldner Gottes selbst: wollt Ihr von Eurer Fahne fliehen, so träfe Euch eine Schmach, die selbst Neulinge und Troßknechte scheuen.«
»Ihr verfahrt allzu hart mit uns, Mylord,« sagte Hugo de Lach und hielt in seinem unruhigen Umhergehen inne. »Ihr von der Geistlichkeit macht uns zu Packpferden in Euren eigenen Angelegenheiten und klettert zu Eurer ehrgeizigen Höhe auf unsern überladenen Schultern empor, – Aber alles hat seine Grenzen – Becket überschritt sie, und –«
Ein finsterer, vielsagender Blick stimmte mit dem Tone überein, in dem er diesen abgebrochenen Satz aussprach, aber der Prälat, der wohl wußte, was er hatte sagen wollen, erwiderte mit fester, entschiedener Stimme: »Und – er ward ermordet! – das ists, was Ihr mir andeuten wollt – eben mir, dem Nachfolger dieses verherrlichten Heiligen – damit ich Eurem leichtsinnigen, selbstsüchtigen Wunsche, die Hand vom Pfluge zu ziehen, gefügiger sei. Ihr kennt den Mann nicht, gegen den Ihr diese Drohung braucht. Becket, ein heiliger Streiter auf Erden, gelangte auf dem blutigen Pfade des Märtyrertums zu der Würde eines Heiligen im Himmel; aber nicht weniger gewiß ist es, daß, um auch nur einen tausend Stufen niedrigeren Sitz als sein gesegneter Vorfahr zu erlangen, der unwürdige Balduin bereit ist, unter dem Schütze Unserer Frau sich allem zu unterwerfen, was auch der ärgste Bösewicht unter den gottlosen Menschen hienieden seiner sterblichen Hülle zufügen möge.«
»Es bedarf nicht dieses Schaugepränges von Mut, hochwürdiger Vater,« sagte Lacy, sich sammelnd, »wo weder Gefahr ist, noch sein kann. Ich bitte, laßt uns über diese Sache gemäßigter sprechen. Nie habe ich den Vorschlag getan, meine Absichten auf das heilige Land aufzugeben, es ging mir darum, den Kreuzzug zu verschieben. Mich dünkt, mein Anerbieten war recht annehmbar, und ich sollte damit doch das erlangen, was andern in gleichen Fällen zugestanden wurde – einen kurzen Aufschub meiner Reise.«
»Eine kleine Verzögerung von seiten eines solchen Anführers, wie Ihr, edler de Lacy,« antwortete der Prälat, »wäre der Todesstoß für unser heiliges, herrliches Unternehmen. Geringern Leuten mögen wir die Erlaubnis gegeben haben, zu heiraten oder zu verheiraten, aber Ihr, Mylord, seid ein Hauptpfeiler unseres Unternehmens, und werdet Ihr weggezogen, so stürzt das ganze Gebäude ein. Wer in England wird sich verpflichtet halten, einen Fuß vorwärts zu setzen, wenn Hugo de Lucy zurückweicht. Denkt, Mylord, weniger an die Braut, und mehr an Euern Schwur, und glaubt nicht, daß eine Verbindung je zu etwas Gutem führen kann, die Euerem gesegneten Unternehmen zur Ehre des Christentums hindernd in den Weg tritt.«
Der Connetable geriet durch die Hartnäckigkeit des Prälaten in Verwirrung und begann, wenngleich widerstrebend, seinen Beweisen Raum zu geben, einzig, weil die Gewohnheiten und Meinungen der Zeit ihn keine wirksame Gegenrede finden ließen, er hätte sich denn aufs Bitten und Flehen legen mögen. »Ich erkenne an,« sagte er, »daß ich zum Kreuzzug verpflichtet bin, auch habe ich – ich wiederhole es – keinen weiteren Wunsch, als die kurze Frist zu erlangen, die nötig ist, meine wichtigen Geschäfte in Ordnung zu bringen, indessen meine Vasallen, angeführt von meinem Neffen –«
»Versprich das, was in Deiner Gewalt ist,« sagte der Prälat. »Wer weiß, ob Gott nicht im Zorn darüber, daß Du andere Dinge suchst als Seine heilige Sache, Deinen Neffen von hinnen rufen wird, in diesem Augenblick, wo wir miteinander reden.«
»Das verhüte Gott,« sagte der Baron und fuhr auf, als wollte er zu seinem Neffen fliegen, ihm zu helfen; dann plötzlich innehaltend, warf er auf den Prälaten einen scharfen, forschenden Blick. »Es ist nicht gut getan,« sagte er, »daß Ew. Hochwürden so mit den Gefahren tändeln, die mein Haus bedrohen. Damian ist mir seiner guten Eigenschaften wegen teuer – und dann auch als Sohn meines einzigen Bruders! – Gott verzeihe es uns beiden! Er starb, als wir miteinander entzweit waren. – Mylord! Sollen Eure Worte mir andeuten, daß mein Neffe leidet und in Gefahr schwebt um meiner Sünde willen?«
Der Erzbischof bemerkte, daß er endlich den Punkt berührt hatte, der seinem widerspenstigen Büßenden am meisten zu Herzen ging. Er erwiderte mit Behutsamkeit, wohl wissend, mit wem er zu tun hatte: »Fern sei es von mir, daß ich mich erkühnte, die Ratschläge des Himmels zu deuten! Aber wir lesen in der Schrift, daß, wenn die Väter saure Trauben essen, die Zähne der Kinder davon stumpf werden. Was geht vernünftigerweise daraus hervor, als daß wir für unsern Stolz und unsere Halsstarrigkeit durch ein Urteil gestraft werden sollen, das ganz besonders darauf berechnet ist, diesen Geist des Eigendünkels niederzuschlagen und zu besänftigen? Ihr selbst wißt am besten, ob die Krankheit Euren Neffen überfiel, ehe Ihr daran dachtet, die Fahne des Kreuzes zu verlassen?«
Hugo de Lacy rief sich schnell das Geschehene zurück und fand in der Tat, daß keine Veränderung in der Gesundheit seines Neffen bemerkbar gewesen war, bis er auf den Gedanken kam, Eveline zu heiraten. Sein Schweigen und seine Verwirrung entgingen dem schlauen Prälaten nicht. Er ergriff die Hand des Kriegers, als er so vor ihm stand, ganz in Zweifel vertieft, ob er denn wirklich dafür, daß er die Fortpflanzung seines Hauses der Befreiung des heiligen Grabes vorgezogen, durch die Krankheit, die das Leben seines Neffen bedrohte, gestraft werden sollte. – »Kommt,« sagte er, »edler de Lacy – die Strafe, die Ihr Euch durch einen Augenblick des Dünkels zugezogen habt, läßt sich ebenso durch Gebet und Buße wieder wenden. Nieder, nieder auf Deine Knie und zweifle nicht, Du kannst noch durch Beichte und Kasteiung Deinen Abfall von der Sache des Himmels wieder gut machen!«
Durch die Vorschriften der Religion, in der er erzogen worden, und durch die Furcht, seines Neffen Krankheit und Gefahr sei die Strafe seines Zögerns, gleichsam niedergezogen, sank der Connetable auf die Knie vor dem Prälaten, dem er kurz zuvor Trotz geboten, beichtete als eine Sünde, die tief bereut werden müßte, seinen Vorsatz, die Abreise nach Palästina aufzuschieben, und unterwarf sich wenigstens mit Geduld, wenn auch nicht mit williger Ergebung, der ihm vom Erzbischof auferlegten Buße, die in dem Verbot bestand, die Vermählung mit Lady Eveline zu betreiben, ehe er von Palästina zurückgekehrt wäre, wo er kraft seines Gelübdes drei Jahre zu weilen hatte.
»Und nun, edler de Lacy,« sagte der Prälat, »aufs neue mein geliebtester und geehrtester Freund – fühlst Du nicht Dein Herz erleichtert, nachdem Du Deine Schuld so edelmütig abgetragen und Deinen herrlichen Geist von dem selbstsüchtigen, irdischen Flecken gereinigt hast, der seinen Glanz trübte?«
Der Connetable seufzte: »In diesem Augenblicke würde die Nachricht von der Besserung meines Neffen mein glücklichstes Gefühl erregen.«
»Beunruhigt Euch nicht über das Los des edlen Damian, Eures hoffnungsvollen und tapferen Verwandten,« sagte der Erzbischof. »Ich hoffe, Ihr sollt in kurzem von seiner Heilung hören, oder sollte es Gott gefallen, ihn zu einer besseren Welt abzuberufen, so wird sein Uebergang so leicht und seine Ankunft in jenem Hafen der Seligkeit so schnell sein, daß es besser für ihn sein wird, gestorben zu sein, als zu leben.«
Der Connetable sah ihn an, als wolle er in seinem Gesichte mehr Gewißheit von seines Neffen Schicksal lesen, als seine Worte in sich zu fassen schienen. Der Prälat aber, damit jener nicht weiter in ihn dränge, weil er fühlte, daß er sich selbst vielleicht zu weit verraten habe, schellte mit einer silbernen Glocke, die vor ihm auf dem Tische stand, und gebot dem hierauf eintretenden Kaplan, einen zuverlässigen Boten zur Wohnung von Damian de Lacy zu senden und genaue Nachricht von dessen Befinden einzuziehen.
»Ein Fremder,« erwiderte der Kaplan, »ist eben aus dem Krankenzimmer des edlen Damian de Lacy angekommen und wartet, mit dem Mylord Connetable zu sprechen.«
»Laßt ihn sogleich vor,« sagte der Erzbischof, »mein Herz sagt es mir, er bringt uns frohe Kunde. – Jederzeit ist solche demütige Buße, solche willige Aufopferung der eigenen Begierden, ein solches Verlangen, des Himmels Willen zu tun, hoch belohnt worden, ob schon hinieden oder erst im Himmelreich!«
Während er so sprach, trat ein wunderlich gekleideter Mann ins Zimmer. Seine buntfarbige, auffallend geordnete Tracht war weder die neueste, noch die reinste, auch ziemte sie sich keineswegs vor der Gesellschaft, vor der er jetzt stand.
»Was soll das, Bursche?« sagte der Prälat. »Seit wann ist es Sitte, daß Possenreißer und Minstrels sich in eine Gesellschaft wie die unsrige ohne Erlaubnis eindrängen?«
»Wenn es Euch gefällig ist,« entgegnete der Mann, »ich komme nicht zu Ew. Hochwürden, sondern zum Lord Connetable, der, wie ich hoffen will, um meiner guten Nachrichten willen über mein schlechtes Aeußere hinwegsehen wird.«
»Sprich, Bursche, lebt mein Verwandter noch?« fragte der Connetable begierig.
»Und wird wohl leben bleiben, Mylord,« antwortete der Mann. »Eine günstige Krisis, wie die Aerzte es nennen, ist eingetreten, und er befindet sich außer aller Lebensgefahr.«
»Nun, Gott sei gepriesen, der mir solche Gnade erwiesen hat!« sagte der Connetable,
»Amen! Amen!« stimmte der Erzbischof feierlich ein. – »Um welche Zeit trat diese gesegnete Veränderung ein?«
»Kaum vor einer halben Stunde,« sagte der Bote. »Ein sanfter Schlaf sank auf den kranken jungen Mann, wie der Tau auf ein ausgedörrtes Feld im Sommer – er atmete freier – die brennende Hitze ließ nach – und wie ich sagte, die Aerzte fürchten nicht länger für sein Leben.«
»Bemerkt Ihr die Stunde, Mylord Connetable?« sagte der Bischof mit Begeisterung. »Gerade, als Ihr Euch demütigtet vor den Ratschlägen, die der Himmel durch den geringsten seiner Knechte Euch vorlegte. – Nur zwei Worte der Reue – nur ein kurzes Gebet – und irgend ein huldreicher Heiliger hat mit seiner Fürsprache augenblickliche Erhörung und vollste Bewilligung Deiner Bitte bewirkt. – Edler Hugo!« fuhr er fort, und ergriff seine Hand mit einer Art von Schwärmerei, »gewiß hat der Himmel beschlossen, große Dinge durch die Hand dessen auszuführen, dessen Fehler so bereitwillig vergeben, dessen Gebet so augenblicklich erhört worden ist. – Darum soll ein Tedeum laudamus in jeder Kirche und in jedem Kloster von Gloucester gesungen werden, ehe der Tag vergeht.«
Der Connetable, nicht weniger voll Freude, doch vielleicht minder fähig, eine ganz besondere Vorsehung in seines Neffen Genesung zu entdecken, bewies dem Ueberbringer der frohen Nachricht seine Dankbarkeit, indem er ihm seine Börse hinwarf.
»Ich danke Euch, edler Lord,« sagte der Mann. »Aber wenn ich mich bücke, diesen Beweis Eurer Güte aufzuheben, so geschieht es nur Euch die Habe zurückzureichen.«
»Herr! was soll das!« sagte der Connetable. »Ich dächte Deine Jacke ist nicht so reich besetzt, daß Du Dir's leisten kannst, ein solches Geschenk von Dir zu stoßen.«
»Wer Lerchen fangen will, Mylord,« sagte der Bote, »muß nicht sein Netz über Sperlinge auswerfen. – Ich habe einen größern Lohn von Eurer Herrlichkeit zu erbitten, und daher weise ich das gegenwärtige Geschenk von mir.«
»Einen größern Lohn, ha!« sagte der Connetable. »Ich bin kein irrender Ritter, mich durch ein Versprechen zu binden, ehe ich seinen Inhalt kenne. Aber komme morgen zu meinem Zelte, und Du sollst mich nicht abgeneigt finden zu tun, was recht ist.«
Mit diesen Worten verabschiedete er sich von dem Prälaten und kehrte nach Hause zurück, doch nicht ohne seinen Neffen im Vorbeigehen zu besuchen, wo er die angenehme Bestätigung der Nachricht erhielt, die ihm der Bote mit dem buntfarbigen Mantel überbracht hatte.