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Der Haushalt Evelinens war zwar ihrem jetzigen und zukünftigen Range entsprechend eingerichtet, hatte aber doch auch etwas Einsiedlerisches, denn das Schloß sollte nicht nur ihre Residenz, sondern auch der unberührte Zufluchtsort sein, den ihre Lage erheischte, weil sie nicht mehr zu der Klasse der Mädchen gezählt werden konnte, deren Hand noch frei war, und doch auch nicht zu den Frauen gehörte, die unter dem unmittelbaren Schutze des ehelichen Namens stehen. Ihre nächsten weiblichen Dienerinnen, mit welchen der Leser bereits bekannt ist, bildeten fast ihre ganze Gesellschaft. Die Garnison des Schlosses, außer dem Hausgesinde, bestand aus Veteranen geprüfter Treue, den Gefährten Berengers und de Lacy, auf manchem blutigen Gefilde, denen die Pflicht der Wachsamkeit zur zweiten Natur geworden war, die dabei aber doch, durch Alter und Manneszucht gemäßigt, sich nicht leicht zu einem unbesonnenen Abenteuer oder einem vom Zaun gebrochenen Streit hinreißen ließen. Diese Leute hielten beständig und sorgsam Wache, befehligt durch den Haushofmeister, der obendrein unter der Aufsicht des Pater Aldrovand stand, da dieser neben seinen geistlichen Verrichtungen gern zuweilen noch sich an seinen alten kriegerischen Beruf erinnerte.
Während diese Garnison gegen jeden plötzlichen Angriff von seiten der Walliser Sicherheit gewährte, lag eine starke Mannschaft fünf englische Meilen von Garde Douloureuse in Bereitschaft, beim geringsten Lärm vorzurücken, um den Platz gegen jeden Ueberfall der Feinde zu decken, falls diese, ungeschreckt durch Gwenwyns Schicksal, die Dreistigkeit haben sollten, eine förmliche Belagerung zu beginnen. Zu diesen Truppen, die unter Damians Oberbefehl beständig schlagfertig gehalten wurden, konnte im Notfall die ganze militärische Macht der Grenzen stoßen, die zahlreiche Menge der Flamländer und andere Ansiedler, denen unter der Bedingung, im Kriegsfalle Dienste zu tun, Grund und Boden überlassen worden war.
Während die Festung so vor feindlicher Gewalt sicher war, floß das Leben ihrer Bewohner so gleichförmig und einfach dahin, daß man es einem Mädchen von Jugend und Schönheit nicht verübeln konnte, wenn es selbst auf einige Gefahr hin etwas Veränderung wünschte. In die Arbeiten der Nadel brachte höchstens ein Spaziergang entweder um die Wälle, wo Eveline, Arm in Arm mit Rose, von jeder Schildwache einen militärischen Gruß erhielt, oder im Schloßhofe, wo die Hüte und Mützen der Diener ihr dieselben Ehren erwiesen, etwas Abwechslung. Wünschte sie sich noch weiter ins Freie außerhalb des Tores zu begeben, so war es nicht damit abgetan, Tore zu öffnen und Brücken hinabzulassen; es mußte sogleich eine Bedeckung unter Waffen treten, die zu Fuß ober zu Pferde, wie es nötig war, für die Sicherheit Evelinens zu sorgen hatte. Ohne diese Bedeckung konnte sie nicht einmal zu den Mühlen gehen, wo der ehrliche Wilkin Flammock, seine kriegerischen Taten vergessend, sich mit den Arbeiten seines Gewerbes beschäftigte. Beabsichtigte man gar noch Ergötzungen in weiterer Entfernung, wollte die Lady von Garde Douloureuse der Jagd oder Falkenbeize einige Stunden widmen, so wurde ihre Sicherheit nicht einer so schwachen Bedeckung anvertraut, wie die Burg sie stellen konnte. Da war es nötig, daß Raoul am Abend vorher durch einen besonderen Boten Damian ihren Vorsatz bekannt machte, damit er Zeit hatte, vor Tagesanbruch die Gegend, in der sie sich dieses Vergnügen machen wollte, durch einige Leute der leichten Reiterei absuchen zu lassen; und so lange sie draußen blieb, wurden an allen verdächtigen Punkten Posten aufgestellt. Zwar versuchte sie in der Tat einmal oder zweimal, einen Ausflug zu wagen, ohne dies erst bekannt zu geben; aber alle ihre Pläne schien Damian eben so schnell, wie sie entstanden, zu erfahren, und kaum war sie draußen, so sah man Abteilungen von Bogenschützen und Reitern aus seinem Lager die Täler durchziehen und die Bergpässe besetzen, und Damians eigener Federbusch ragte gewöhnlich unter den entfernten Soldaten hervor.
Die Förmlichkeit all dieser Maßregeln vergällte Evelinen so sehr das Jagdvergnügen, daß sie selten zu einem Zeitvertreib ihre Zuflucht nahm, die mit so großen Umständen verbunden war und so viele Menschen in Bewegung setzte.
Wenn der Tag, so gut es gehen wollte, hingebracht war, pflegte Pater Aldrovand des Abends aus irgend einer heiligen Legende oder aus den Homilien eines verewigten Heiligen solche Stellen vorzulesen, wie er sie für diese seine kleine Gemeinde geeignet fand. Zuweilen las er auch und erklärte ein Kapitel aus der heiligen Schrift; aber dann war des guten Mannes Aufmerksamkeit so sonderbar auf den kriegerischen Teil der jüdischen Geschichte gerichtet, daß er nicht imstande war, sich von dem Buche der Richter oder der Könige und von den Siegen des Judas Maccabäus zu trennen, wiewohl seine Weise, die Siege der Kinder Israels zu schildern, ihm selbst mehr Vergnügen machte, als sie seine Zuhörerin erbaute.
Zuweilen, doch selten, erhielt Rose Erlaubnis, einen wandernden Minstrel einzuführen, um mit seinem Sang von Liebe und Rittertaten eine Stunde auszufüllen; zuweilen vergalt ein Pilger, der von einem fernen Gnadenbilde kam, die in Garde Douloureuse genossene Gastfreundschaft mit langen Erzählungen von den Wundern, die er in andern Ländern gesehen hatte; zuweilen geschah es auch, daß auf Verwendung der Kammerfrau, die darin ihren Vorteil fand, reisende Kaufleute und Hausierer Zutritt erhielten, welche mit Gefahr ihres Lebens von Schloß zu Schloß ihre Stoffe zu reichen Kleidern oder andern weltlichen Schmuck herumtrugen.
Die Ankunft von Bettlern, Taschenspielern und Gauklern darf bei dieser Aufzählung von Vergnügungen nicht vergessen werden, und selbst der Walliser Barde mit seiner großen, mit Pferdehaar bezogenen Harfe wurde zuweilen zugelassen, um die Gleichförmigkeit ihres einsamen Lebens zu unterbrechen, nur daß man wegen seiner Herkunft aus Feindesland ein scharfes Auge auf ihn hatte. Aber außer diesen Unterhaltungen und den regelmäßigen Andachten in der Kapelle, hätte das Leben unmöglich in langweiligerer Einförmigkeit dahinfließen können als auf der Burg Garde Douloureuse. Seit dem Tode des tapfern Besitzers, bei dem ein Festgelage mit zahlreichen Gästen ebenso zur Natur gehörte wie das Streben nach Ehre und Rittertaten, hätte man sagen mögen, die Finsternis eines Klosters umhülle den alten Wohnsitz von Raymond Berenger, wenn nicht die Gegenwart so vieler Wachen in Waffen, die auf den Zinnen auf und niedergingen, ihm vielmehr das Ansehen eines Staatsgefängnisses erteilt hätte. Auch nahm die Stimmung der Einwohner nach und nach den Charakter ihrer Wohnung selbst an.
Besonders fühlte sich Eveline so niedergedrückt, daß ihr sonst so lebendiges Gemüt sich kaum aufrecht erhalten konnte. Je mehr sie sich ins Grübeln einließ, desto mehr verfiel sie in still beschauliche Stimmung, die so oft mit feurigem, schwärmerischem Wesen verbunden ist. Sie dachte tief über die früheren Vorfälle ihres Lebens nach, und da kann es nicht wundernehmen, daß ihre Gedanken immer auf zwei Zeitabschnitte zurückkamen, in denen sie eine übernatürliche Erscheinung erfahren hatte oder erfahren zu haben glaubte. Dann kam es ihr oft vor, als ob eine gute und eine böse Macht um die Herrschaft über ihr Geschick kämpften.
Einsamkeit begünstigt das Gefühl eigner Wichtigkeit, und nur wenn sie allein und einzig mit dem Gedanken an ihr Ich beschäftigt sind, haben Fanatiker Träume, und vermeinte Heilige verlieren sich in Schwärmereien ihrer Einbildungskraft. Bei Evelinen gelangte nun zwar die Schwärmerei nicht zu solcher Höhe, doch kam es ihr in ihren nächtlichen Träumen so vor, als sähe sie bisweilen die Gestalt von Unserer Frau von Garde Douloureuse, die Blicke des Mitleids, des Trostes und des Schutzes auf sie richtete, bisweilen die Gestalt aus dem sächsischen Schlosse Baldringham, wie sie die blutige Hand als Zeugin des Unrechts, das ihr zugefügt worden, aufrecht hielt und dem Abkömmling des Mörders Rache drohte.
Wenn sie aus solchen Träumen erwachte, dann kam sie auf den Gedanken, daß sie der letzte Zweig ihres Hauses sei, eines Hauses, das seit langen Jahren ganz besonders unter dem Schirm und Schutz des Wunderbildes, aber auch unter dem Einfluß und der Feindschaft der rachesüchtigen Vanda stand. Ihr kam es vor, als wäre sie der Preis, um dessen Besitz die milde Heilige und der rächende böse Geist jetzt ihr letztes und gewagtestes Spiel spielten.
Voll von diesen Betrachtungen und wenig darin von äußern Zerstreuungen gestört, ward sie tiefsinnig, zerstreut, verlor sich in Betrachtungen, die ihr Augenmerk ganz von der nächsten Umgebung abwandten, und wandelte in der wirklichen Welt, als befände sie sich noch im Traum. Wenn sie an ihre Verpflichtung gegen den Connetable von Chester dachte, so geschah es mit Ergebung, aber ohne einen Wunsch, ja ohne, daß sie erwartet hätte, jemals in die Lage zu kommen, diese Verpflichtungen einhalten zu müssen. Sie hatte ihr Gelübde erfüllt, indem sie mit ihrem Befreier den Treuschwur wechselte, und wenn sie selbst sich entschlossen wähnte, ihr Wort zu lösen, und sich's nicht gestehen mochte, mit welchem Widerwillen sie daran dachte, es zu tun, – so hegte sie im Innersten doch, wenn sie sich dessen auch kaum bewußt war, die Hoffnung, Unsre Frau von Garde Douloureuse werde kein strenger Gläubiger sein, sondern, zufrieden mit dem guten Willen, nicht auf der Forderung in ihrer vollen Strenge bestehen. Nur die schwärzeste Undankbarkeit hätte wünschen können, daß ihrem tapferen Befreier, für den zu beten sie so viele Ursache hatte, einer von den Unglücksfällen zustoßen möchte, die im heiligen Lande schon so oft den Lorbeer in die Cypresse verwandelten; aber es hatte sich ja wohl manchmal schon ereignet, daß Menschen, die lange außerhalb des Landes waren, bewogen wurden, die Vorsätze zu ändern, mit denen sie die Heimat verlassen hatten.
Ein wandernder Minstrel, der Garde Douloureuse besuchte, hatte zur Ergötzlichkeit der Lady und ihrer Umgebung, die berühmte Geschichte vom Grafen von Gleichen vorgetragen, der, schon verehelicht in seinem Vaterlande, im Morgenlande eine sarazenische Prinzessin, die die Mittel gefunden hatte, ihm seine Freiheit zu verschaffen, aus Dankbarkeit heiratete. Der Papst und sein Konsistorium bewilligten in diesem außerordentlichen Falle die Doppelehe, und der gute Graf von Gleichen teilte sein Bett zwischen zwei Frauen zu gleichem Rechte und schläft jetzt zwischen beiden unter demselben Monument.
Die Bemerkungen der Schloßbewohner über diese Sage waren verschieden und widersprechend. Pater Aldrovand hielt diese Geschichte für durchaus unwahr und die Behauptung, der Papst würden dergleichen Gesetzwidrigkeiten gutheißen, für eine Lästerung des kirchlichen Oberhauptes. Die alte Marjory, mit dem zärtlichen Herzen einer alten Amme, weinte aus Mitleid bitterlich während der Erzählung, und es war ihr recht lieb, daß bei einer solchen Verwicklung von Liebesunfällen, aus denen kein Ausweg zu sein schien, eine so schöne Lösung gefunden worden war. Frau Gillian nannte es unbillig, daß, da einer Frau nur ein Ehemann erlaubt sei, einem Manne, unter welchen Umständen es auch sei, gestattet sein sollte, zwei Frauen zu haben; aber Raoul, ihr einen Blick wie Essig zuwerfend, nannte den Menschen albern, der nicht an einer Frau vollauf genug hätte.
»Schweigt all ihr übrigen,« sagte Lady Eveline, »und sagt Ihr, meine treue Rose, Euer Urteil über den Grafen von Gleichen und seine beiden Frauen.«
Rose errötete und erwiderte, sie wäre nicht gewöhnt, über solche Dinge nachzudenken, aber nach ihrer Ansicht hätte die Frau, welche sich nachher mit der halben Liebe ihres Mannes begnügen könnte, nie verdient, auch nur den kleinsten Teil derselben besessen zu haben.
»Du hast im allgemeinen recht, Rose,« sagte Eveline. »Mir scheint es, die europäische Frau würde, als sie sich von der jungen, schönen Prinzessin überstrahlt sah, am besten ihrer Würde genügt haben, wenn sie ihrer Rechte entsagt hätte. Der heilige Vater würde gewiß, wie dies mehrfach schon stattgefunden hatte, ihre Ehe aufgelöst haben.«
Sie sagte dies mit einer Art von gleichgiltigem, ja vergnügtem Wesen, woraus ihre treue Dienerin sah, daß es ihr selbst wenig Mühe gekostet, ein solches Opfer zu bringen. Doch lag darin auch eine Andeutung, daß es mit ihrer Liebe zum Connetable nicht sehr weit her sei. Es gab eben doch einen andern Mann, zu dem ihre Gedanken, wenn auch unwillkürlich, so doch öfter, als es klüglicherweise hätte geschehen sollen, zurückkehrten.
Die Erinnerung an Damian de Lacy war schon zuvor nicht in Evelinens Seele erloschen. Nun wurde sie gar täglich an ihn erinnert, weil sie so oft seinen Namen nennen hörte und wußte, daß er fortwährend in ihrer Nähe sei und seine ganze Aufmerksamkeit auf ihre Bequemlichkeit, ihren Vorteil, ihre Sicherheit richtete. Doch er selbst ließ sich nie vor ihr sehen und befragte sie nie persönlich nach ihrem Willen, mochte es sich auch um die wichtigste Angelegenheit handeln.
Eveline hätte gern den Zwang fallen lassen, der ihren Verkehr mit Damian beschränkte; Rosens Äußerung hatte auch sie auf den Gedanken gebracht, daß dieser Zwang zu einem herabwürdigenden Argwohn führen müßte. Warum sollte sie an ihrem Beschirmer nur durch die Dienste, die er ihr leistete, durch die Sorge, die er für ihre Sicherheit trug, durch den Mund anderer, die von seiner ritterlichen Gesinnung sprachen, erinnert werden, ohne daß sie sich jemals sahen, ganz als ob eins von ihnen mit der Pest oder sonst irgend einem ansteckenden Uebel befallen sei, das ihr Zusammenkommen dem andern gefährlich machen könnte. Wenn sie sich wirklich gelegentlich einmal sähen, was könnte die Folge sein, als daß die Sorge eines Bruders für seine Schwester, eines treuen und freundlichen Hüters für die verlobte Braut seines nahen Verwandten und verehrten Oberherrn die melancholische Abgeschiedenheit von Garde Douloureuse erträglicher für ein so junges Mädchen machen würde, das zwar jetzt durch die Umstände in gedrückter Stimmung, von Natur aber so fröhlichen Gemütes war.
Obwohl nun eine solche Gedankenreihe der sich selbst überlassenen Eveline ganz folgerecht zu sein schien, so daß sie mehrmals ihre Ansicht Rose Flammock mitteilen wollte, so fürchtete sie doch, wenn sie in die klaren, ruhigen blauen Augen des flamländischen Mädchens blickte, im Herzen ihrer bis zur Grobheit aufrichtigen Dienerin einen Argwohn zu erwecken, von dem ihr eigenes Gewissen sie freisprach. Und ihr stolzer normannischer Geist empörte sich bei dem Gedanken, sich vor irgendwem rechtfertigen zu sollen, wo ihr eigenes Gewissen sich unschuldig wußte. »So mögen die Dinge bleiben, wie sie sind,« sagte sie, »und ich will lieber dieses langweilige Leben ertragen, das so leicht angenehmer gemacht werden könnte, als daß diese eifrige, aber fast zu streng denkende Freundin, die so zärtlich um mich besorgt ist, mich für fähig halten sollte, die Hand zu einem Verkehr zu reichen, der mißdeutet werden oder zu irgend welchem Argwohn Veranlassung geben könnte.« – Aber eben dieser Mangel an Ablenkung, dieses Schwanken im Entschluß, diente nur dazu, das Bild des schönen jungen Damian um so öfter vor Lady Evelinens Phantasie zu zaubern. Solchen Gedanken indessen überließ sie sich niemals lange; denn das Gefühl des sonderbaren Schicksals, das sie bisher betroffen, führte sie bald zu den melancholischen Betrachtungen zurück, aus denen nur auf eine kurze Zeit die Schwungkraft jugendlichen Geistes sie herausgerissen hatte.