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Der Gegenstand, der unsern Geist zuletzt beschäftigt hat, schwebt uns auch oft noch in der Nacht während des Schlummers vor, wenn die Einbildungskraft, ungeregelt durch die Sinne, ihr eigenes phantastisches Gewebe aus Ideen webt, die zufällig in buntem Wechsel in dem Schläfer erwachen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß es de Lacy in seinen wirren Träumen so vorkam, als wäre er mit dem unglücklichen Marke von Cornwall einunddieselbe Person, und daß er aus solchen unangenehmen Bildern mit weniger heiterer Stirn erwachte, als er sich des Abends niedergelegt hatte. Er war still und schien in Gedanken verloren, als sein Squire bei seinem Lever ihn mit der Ehrfurcht bediente, die man jetzt nur den Fürsten zollt, »Guarine,« sagte er endlich, »kennt Ihr den stämmigen Flamländer, der sich so gut bei der Belagerung von Garde Douloureuse betragen haben soll, einen großen, dicken, kräftigen Mann?«
»Allerdings, Mylord,« antwortete der Squire, »ich kenne Wilkin Flammock. – Ich sprach ihn noch gestern.«
»Wirklich!« erwiderte der Connetable. – »Hier sagst Du? – Hier in der Stadt Gloucester?«
»Gewiß, mein edler Herr. Er ist hierhergekommen teils seines Handels wegen, teils, denke ich, seine Tochter Rose zu sehen, die sich im Gefolge der gnädigen Lady Eveline befindet.«
»Er ist ein tüchtiger Soldat, nicht wahr?«
»Wie die meisten seiner Landsleute, – ein Wall für eine Burg, aber ein Sandhaufen im Felde,« sagte der normännische Knappe.
»Treu auch, nicht wahr?« fuhr der Connetable fort.
»Treu, wie die meisten Flamländer, solange Ihr ihre Treue bezahlen könnt,« erwiderte Guarine, sich ein wenig über den ungewöhnlichen Anteil wundernd, den sein Gebieter an einen seiner Meinung nach so niedrig stehenden Menschen nahm, aber nach einigen weiteren Fragen gebot der Connetable, sogleich den Flamländer herbeizurufen.
Jetzt kamen andere Geschäfte des Morgens an die Reihe (denn seine schnelle Abreise verlangte noch manche schleunige Anordnungen), und als der Connetable noch mehreren Offizieren seiner Truppen Audienz gab, erschien schon die gewaltige Gestalt Wilkin Flammocks am Eingange des Zeltes. Er trug eine Jacke von weißem Zeuge, und seine einzige Waffe war ein Messer an der Seite.
»Verlaßt das Zelt, meine Herren,« sagte de Lacy, »aber wartet in der Nähe auf mich; hier kommt jemand, mit dem ich allein zu sprechen habe.«
Die Offiziere entfernten sich, und der Connetable war mit dem Flamländer allein. »Ihr seid Wilkin Flammock, der so wacker gegen die Walliser zu Garde Douloureuse focht?«
»Ich tat mein Bestes, Mylord!« antwortete Wilkin. – »Ich war durch meinen Kaufbrief dazu verpflichtet, und ich hoffe, stets wie ein Mann von Treue und Glauben zu handeln.«
»Mich dünkt,« sagte der Connetable, »daß Ihr mit einem so eisenfesten Körper und, wie ich höre, einem so kühnen Geiste den Blick wohl etwas höher, als auf dieses Euer Weberhandwerk, richten könnt.«
»Keiner hat was dawider, seine Lage zu verbessern, Mylord!« sagte Wilkin. »Doch ich bin soweit entfernt, über die meinige zu klagen, daß ich sehr gern zufrieden sein würde, wenn sie auch niemals besser werden sollte, nur freilich müßte man mir auch die Versicherung geben, daß sie nie schlechter werden solle.«
»Und dennoch, Flammock,« sagte der Connetable, »habe ich größere Dinge für Euch im Sinn, als Eure Bescheidenheit Euch ahnen läßt. – Ich gedenke Dich in einem Amte hier zu lassen, zu dem ich einen sehr zuverlässigen Mann brauche.«
»Wenn es Tuchballen betrifft, Mylord, so soll keiner die Sache besser verrichten,« sagte der Flamländer.
»Fort damit, Du denkst zu niedrig von Dir,« sagte der Connetable. – »Was meinst Du, wenn ich Dich zum Ritter schlage, wie Deine Tapferkeit wohl verdient hat, und Dich als Kastellan von Garde Douloureuse zurücklasse?«
»Was die Ritterwürde anbetrifft, Mylord, da muß ich um Vergebung bitten, sie würde mir passen wie der Sau ein goldener Helm. Aber die Bewachung eines Schlosses oder einer Hütte, – ich glaube, das würde ich so gut verrichten wie ein anderer.«
»Ich fürchte doch, Dein Rang muß etwas erhöht werden,« sagte der Connetable, indem er die unkriegerische Kleidung der Gestalt vor sich betrachtete, »in Deiner jetzigen niedrigen Stellung kannst Du nicht gut zum Beschützer und Hüter einer jungen Lady von Geburt und Rang gemacht werden.«
»Ich der Hüter einer jungen Lady von Geburt und Rang!« sagte Flammock, und seine großen hellen Augen wurden bei diesen Worten noch größer und heller und drehten sich rascher als sonst.
»Eben Du,« sagte der Connetable. »Lady Eveline will im Schlosse Douloureuse Aufenthalt nehmen. Ich habe es mir überlegt, wem ich die Obhut über sie und die Feste anvertrauen soll. Wollte ich irgend einen berühmten Ritter erwählen, wie ich deren mehrere in meinem Hofstaat habe, so würde er aus Lehnspflichten Taten gegen die Walliser verrichten wollen und sich in Unruhen einlassen, die die Sicherheit des Schlosses gefährden könnten; oder er würde die Feste verlassen, um sich an Ritterfesten, Turnieren, Jagdpartien zu beteiligen; oder er würde vielleicht gar dergleichen lockere Schauspiele vor den Wällen, ja Wohl gar in dem Schloßhofe veranstalten, und in dem einsamen stillen Aufenthalt, welcher sich für Evelinens Lage schickt, die Zügellosigkeit der ausgelassensten Gelage einführen. – Dir kann ich vertrauen – Du wirst fechten, wenn es erforderlich ist, aber nicht die Gefahr um ihrer selbst willen herausfordern. Deine Geburt, Deine Gewohnheiten werden Dich diese Lustbarkeiten vermeiden lassen, die, wie verführerisch sie auch für andere sein mögen, Deinem Geschmack durchaus nicht entsprechen. – Du wirst alles so pünktlich verwalten, wie ich Sorge dafür tragen werde, daß es Dir an nichts fehle. Deine Verwandtschaft mit ihrem Liebling Rose, wird Deine Obhut der Lady Eveline angenehmer machen, als wäre dazu einer ihres Ranges bestimmt. – Und, um mit Dir eine Sprache zu sprechen, die Euer Volksschlag rasch begreift. Dein Lohn, Flamländer, wenn Du dieses wichtige Amt ordentlich verwaltest, soll Deine schmeichelhaftesten Hoffnungen übertreffen.«
Der Flamländer hatte den ersten Teil dieser Rede mit einem Ausdruck des Erstaunens angehört, das allmählich einem tiefen, besorgten Nachdenken Platz machte. Er starrte fest auf den Boden hin, und erst als der Connetable wohl eine Minute lang schon geschwiegen, riß er plötzlich die Augen auf und sagte: »Es ist unnütz, mich rundherum nach Entschuldigungen umzusehen. Das kann nicht Euer Ernst sein, Mylord – und wenn auch, so wird doch nichts daraus.«
»Wie? und weshalb?« fragte der Connetable mit unwilligem Erstaunen.
»Ein anderer mag nach Eurem Anerbieten gierig greifen und sich nicht weiter drum grämen, ob Ihr den gehörigen Gegenwert dafür erhaltet; aber ich bin ein ganz gerader Mann und will nicht Zahlung nehmen für Dienste, die ich nicht leisten kann.«
»Aber ich frage noch einmal, warum kannst Du nicht, oder vielmehr warum willst Du nicht dieses Amt übernehmen?« sagte der Connetable. »Wahrlich, wenn ich dir ein solches Vertrauen schenken will, so solltest Du doch an Deinem Teile mir auch entgegenkommen.«
»Ganz wahr, Mylord,« sagte der Flamländer, »aber mich dünkt, der edle Lord de Lacy sollte es fühlen, und der kluge Lord de Lacy sollte es vorhersehen, daß ein flamländischer Weber nicht der beste Hüter für eine verlobte Braut ist. – Denkt sie Euch nur einmal in jenem einsiedlerischen Kastell eingesperrt, unter so geringem Schutze, und überlegt wohl, wie lange es in diesem Lande der Liebe und der Abenteuer eine Einsiedelei bleiben würde. Da werden wir Minstrels haben, die zu Dutzenden unter unsern Fenstern Balladen singen und die Harfe klimpern werden, daß unsere Mauern in ihren Grundfesten zittern werden, wie die Geistlichen sagen, daß es zu Jericho geschah. – Da werden wir recht viel irrende Ritter um uns haben, wie zu Karls des Großen oder König Arthus Zeiten. – Gott sei mir gnädig! Eine feine, edle Einsiedlerin, in einen Turm gesperrt und von einem flamländischen Weber bewacht, so wird es heißen, und die halbe Ritterschaft von England wird sich um uns her versammeln, Lanzen zu brechen, Gelübde zu tun, Liebesfarben zur Schau zu tragen und was weiß ich der Narrheiten mehr zu treiben. – Denkt Ihr, daß solche galanten Herren, mit einem Blute, das durch ihre Adern wie Quecksilber fliegt, sich daran kehren würden, wenn ich ihnen geböte, uns zu verlassen?«
»Riegel vor! Zugbrücke auf! Fallgitter nieder!« sagte der Connetable mit einem gezwungenen Lächeln.
»Und glaubt Ew. Herrlichkeit, daß solche Galane sich um dergleichen Hindernisse kümmern? Das ist ja erst die rechte Würze der Abenteuer, die sie suchen. – Der Ritter des Schwanes wird durch den Graben schwimmen – der des Adlers über die Mauern fliegen – der des Donnerkeils die Tore sprengen.«
»Laß Armbrust und Steinschleuder spielen!« sagte de Lacy.
»Und laß Dich in aller Form belagern,« sagte der Flamländer, »wie das Kastell von Tintadges auf den alten Tapeten, alles aus Liebe zu einer schönen Dame! – Und dann die lustigen Frauen und Fräulein, die von Schloß zu Schloß auf Abenteuer ausziehen, von Turnier zu Turnier, mit bloßem Busen, wallenden Federn, Dolche an der Seite, Wurfspieße in den Händen, schnatternd wie die Elstern, flatternd wie die Dohlen, und zuweilen girrend wie die Tauben, – wie soll ich diese von Lady Evelinen fernhalten?«
»Indem Du die Tore gut verschlossen hältst, sage ich Dir,« antwortete der Connetable, noch immer in dem Tone einer erzwungenen Scherzhaftigkeit, »dagegen dient schon ein hölzerner Riegel.«
»So? aber wenn der flamländische Weber sagt: Zu! und die normannische Edle sagt: Auf! bedenkt einmal, wer sich da am sichersten Gehorsam verschaffen wird. Mit einem Wort, Mylord, – was eine solche Hüterschaft und dergleichen anbetrifft, da sage ich: Hände weg! Ich wollte es nicht unternehmen, der keuschen Susanne Hüter zu sein, lebte sie auch in einem bezauberten Schlosse, dem sich kein lebendes Wesen nähern könnte.«
»Du sprichst und denkst wie ein gemeiner Wüstling, der über weibliche Beständigkeit lacht, weil er nur mit den Unwürdigsten des Geschlechts gelebt hat,« sagte der Connetable. »Aber Du solltest doch das Gegenteil kennen, da Du, wie ich weiß, eine so tugendhafte Tochter hast.«
»Deren Mutter es nicht weniger war,« unterbrach Wilkin den Connetable etwas aufgeregter als sonst. »Aber das Gesetz, Mylord, verlieh mir die gebührende Gewalt, mein Weib zu beherrschen und zu behüten, wie auch Natur und Gesetz mir Macht und Pflicht gegen meine Tochter gaben. Was ich beherrschen kann, dafür kann ich verantwortlich sein; aber ob ich ebensogut meine Pflicht erfüllen kann, wo ich bloß ein Stellvertreter sein soll, das ist eine andere Frage. – Bleibt zu Hause, mein guter Lord,« fuhr der ehrliche Flamländer fort, da er merkte, daß seine Worte einigen Eindruck auf de Lacy machten, »laßt eines Narren Rat einmal dazu dienen, eines weisen Mannes Vorsatz zu ändern, den er, ich sage es dreist, nicht in einer weisen Stunde faßte. Bleibt in Eurem eigenen Lande – regiert Eure eigenen Vasallen – und schützt Eure Braut, Ihr allein könnt von ihr herzliche Liebe und bereitwilligen Gehorsam fordern; und ich bin gewiß, ohne daß ich mir anmaße, zu erraten, was sie, von Euch getrennt, tun wird, unter Euren eigenen Augen wird sie die Pflichten einer treuen, liebenden Gattin erfüllen.« »Und das heilige Grab?« fragte seufzend der Connetable, dessen Herz die Weisheit des Rates anerkennen mußte, den zu befolgen die Umstände ihm nicht gestatteten.
»Laßt die, die das heilige Grab verloren, es wiederzugewinnen suchen, Mylord,« erwiderte Flammock. »Wenn jene Lateiner und Griechen, wie sie sie nennen, nicht bessere Leute sind, als ich gehört habe, so hat es nicht viel zu sagen, ob sie oder die Heiden das Land besitzen, das Europa schon soviel Blut und Schätze gekostet hat.«
»Bei meiner Treu,« sagte der Connetable, »was Du sagst, hat Sinn. Doch warne ich Dich, es zu wiederholen, oder sie halten Dich für einen Ketzer oder Juden. Was mich anbetrifft, Wort und Schwur sind ohne Widerruf verpfändet; ich habe nur noch zu überlegen, wen ich am besten zu der wichtigen Stelle ernennen soll, die Du als vorsichtiger Mann, nicht ohne einen Schatten von Recht, ausschlägst.«
»Es gibt keinen, dem Ew. Herrlichkeit so natürlich und so geziemend diese Stelle übertragen können,« sagte Flammock, »als dem nahen Verwandten, der so ganz Euer Vertrauen besitzt. Aber viel besser wäre es, Ihr brauchtet in dieser Sache überhaupt niemand.« »Wenn Ihr,« sagte der Connetable, »unter meinem nächsten Verwandten Randal de Lacy versteht, so mache ich mir nichts daraus, es Euch zu sagen, daß ich ihn für gänzlich unwürdig halte, ein ehrenvolles Vertrauen zu verdienen,«
»Nein, ich meinte einen andern,« sagte Flammock, »der Euch noch näher steht durch die Bande des Bluts und, wenn ich mich nicht sehr irre, noch viel näher durch Zuneigung – Ich hatte Euren Neffen, Damian de Lacy im Sinne.«
Der Connetable schrak zusammen, als hätte ihn eine Wespe gestochen; aber er antwortete zugleich mit gezwungener Fassung: »Damian sollte an meiner Stelle nach Palästina gehen – es scheint nun so, als müsse ich an der seinigen gehen. Denn seit dieser letzten Krankheit haben die Aerzte gänzlich ihre Meinung geändert und halten ein warmes Klima jetzt für so gefährlich, als sie es vorher für zuträglich hielten. Aber unsere gelehrten Aerzte müssen, wie unsere gelehrten Priester, immer recht haben, mögen auch ihre Meinungen sich ändern, wie sie wollen; wir armen Laien haben aber immer nur unrecht. Ich kann, das ist wahr, auf Damian mich mit der größten Zuversicht verlassen; aber er ist jung, Flammock – sehr jung – und gerade darin gleicht er nur allzusehr ihr, die ich sonst wohl seiner Fürsorge anvertrauen möchte.«
»Dann noch einmal, Mylord! bleibt zu Hause, und seid selbst der Beschützer dessen, was Euch naturgemäß so sehr teuer ist.« –
»Noch einmal wiederhole ich, ich kann nicht,« antwortete der Connetable. »Der Schritt, zu dem ich mich verpflichtet habe, mag vielleicht ein großer Irrtum sein – ich weiß nur, daß er unwiderruflich ist.«
»So vertraut denn Eurem Neffen, Mylord, – er ist redlich, und treu, und es ist immer noch ein besserer Verlaß auf junge Löwen als auf alte Wölfe. Er kann vielleicht irren, aber nicht aus vorbedachter Verräterei.«
»Du hast recht, Flammock,« sagte der Connetable, »vielleicht hätte ich Dich eher um Rat fragen sollen, derb wie er ist. Aber laß das, was zwischen uns vorgefallen, ein Geheimnis unter uns sein und besinne Dich auf etwas, womit ich Dir eine Gunst erweisen kann.«
»Die Rechnung können wir bald aufsetzen, Mylord,« erwiderte Flammock, »denn ich hatte die Absicht, Ew. Herrlichkeit Fürsprache mir zu erbitten, um in jenem wilden Winkel, wohin wir Flamländer uns gezogen haben, eine gewisse Ausdehnung unserer Privilegien zu erhalten.« »Die soll Dir werden, wenn Du nichts Uebertriebenes forderst,« sagte der Connetable. Und der ehrliche Flamländer, unter dessen guten Eigenschaften ein ängstliches Zartgefühl nicht die erste war, beeilte sich bis auf das kleinste, alle Punkte seines Gesuchs auseinanderzusetzen, das schon früher vergebens vorgelegt worden war und nun durch diese Unterredung Erfüllung fand.
Begierig, den einmal gefaßten Beschluß auszuführen, eilte der Connetable nun zur Wohnung Damians und verkündete seinem Neffen, zu dessen nicht geringem Erstaunen seinen veränderten Vorsatz. Er führte seine eigene beschleunigte Reise, Damians letzte und noch dauernde Krankheit, vereint mit dem für Eveline nötigen Schutz, als die Gründe an, weswegen sein Neffe notwendig zurückbleiben müsse, um während seiner Abwesenheit sein Stellvertreter zu sein, die Rechte des Hauses de Lacy und die Ehre der Familie zu beschützen – vor allem aber der Hüter der jungen, schönen Braut zu sein, die sein Oheim und Schutzherr eine Zeitlang zu verlassen gezwungen sei. Als ihm sein Oheim diese Veränderung seines Vorsatzes ankündigte, hütete Damian noch das Bett. Vielleicht war ihm dies nur angenehm, weil er in dieser Stellung leichter vor den Augen seines Oheims die mannigfaltigen Bewegungen verbergen konnte, die er nicht zu unterdrücken vermochte. Der Connetable dagegen, mit der Hast eines Mannes, der nur das eilig zu enden wünscht, was er über einen unangenehmen Gegenstand zu sagen hat, erörterte in großer Hast die Vorkehrungen, welche er schon getroffen hatte, damit sein Neffe die Mittel in Händen hätte, mit gehörigem Nachdruck sein wichtiges Geschäft auszuführen.
Der Jüngling horchte wie auf eine Stimme im Traume, die zu unterbrechen ihm die Kraft fehlte, obgleich in ihm etwas war, das ihm zuflüsterte, daß Klugheit und Rechtlichkeit es erheischten, gegen den veränderten Entschluß seines Oheims Einwendungen zu machen. Sobald der Connetable schwieg, versuchte er deshalb auch wirklich etwas vorzubringen; aber er redete zu schwach, um einen zwar schnell, aber fest gefaßten Entschluß erschüttern zu können, zumal er einen Mann vor sich hatte, der nicht gewöhnt war, zu sprechen, ehe sein Vorsatz feststand, oder ihn zu ändern, wenn er ausgesprochen war.
Auch wurden die Gegenvorstellungen Damians – wenn sie so genannt werden konnten – in so widersprechenden Ausdrücken vorgebracht, daß sie kaum verständlich waren. In dem einen Augenblick äußerte er seinen Schmerz, sich die Lorbeeren entrissen zu sehen, die er in Palästina zu sammeln gehofft hatte, und beschwor seinen Oheim, seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern ihm zu gestatten, seinen Fahnen dahin zu folgen; in der nächsten Wendung der Rede, erklärte er seine Bereitwilligkeit, Lady Eveline bis auf den letzten Tropfen Blutes zu verteidigen. De Lacy sah nichts Unzusammenhängendes in diesen Gefühlen, ob sie gleich für den Augenblick einander widersprachen. Es war natürlich, dachte er, daß ein junger Ritter ein Verlangen trug, Ehre zu gewinnen – aber auch natürlich, daß er gern ein so ehrenvolles und wichtiges Amt übernehmen wollte, mit welchem er ihn bekleiden wollte; und daher dachte er, es wäre nicht sehr zu verwundern, daß bei der willigen Uebernahme der neuen Pflicht der junge Mann zugleich einen Schmerz darüber fühle, die Aussicht auf ehrenvolle Abenteuer zu verlieren. Er lächelte daher nur zu den abgebrochenen Einwendungen seines Neffen, und seine Anordnungen noch einmal bekräftigend, verließ er den jungen Mann, damit er mit Muße über den Wechsel seiner Bestimmung nachdenken könnte. Er selbst begab sich zum zweitenmale in die Benediktinerabtei, um den gefaßten Entschluß der Aebtissin und seiner erwählten Braut mitzuteilen.
Der Mißmut der ersteren Dame wurde durch diese Mitteilung nicht verringert, an der sie überhaupt sehr wenig Anteil zu nehmen schien. Sie betonte fortwährend ihre religiösen Pflichten und ihre geringe Kenntnis in weltlichen Angelegenheiten; im übrigen, meinte sie, wären bisher wohl immer noch die Beschützer der jungen Schönen ihres Geschlechts aus den Kreisen der reiferen Männer gewählt worden.
»Eure eigene Unfreundlichkeit, Lady,« antwortete der Connetable, »hat mir keine bessere Wahl gelassen. Da Lady Evelinens nächste Freunde ihr den Aufenthalt unter ihrem Dache versagen, weil sie mich eines Anrechts auf ihren Besitz würdigt, so würde es von meiner Seite noch mehr als undankbar sein, wenn ich Ihr nicht den Schutz meines nächsten männlichen Erben zusicherte. Damian ist jung, aber er ist zuverlässig und achtungswert, und die ganze Ritterschaft Englands bietet mir keine bessere Wahl dar.«
Eveline schien mit Staunen, ja fast mit Schrecken den so plötzlich ausgesprochenen Entschluß ihres Bräutigams zu vernehmen, und es traf sich vielleicht recht glücklich, daß die Bemerkung der Aebtissin eine Antwort des Connetables notwendig machte und ihn abhielt, zu bemerken, wie ihre Farbe mehr wie einmal von der Blässe zum höchsten Rot abwechselte.
Rose, die von der Zusammenkunft nicht ausgeschlossen war, zog sich dicht zu ihrer Gebieterin, und indem sie sich stellte, als lege sie ihr den Schleier zurecht, drückte sie insgeheim recht innig ihre Hand und flößte ihr dadurch Mut ein, sich zu einer Antwort zu sammeln. Diese wurde kurz und mit einer Festigkeit ausgesprochen, die bewies, daß die Ungewißheit des Augenblicks verschwunden oder unterdrückt worden war. Im Falle einer Gefahr, sagte sie, würde sie nicht verfehlen, Damian de Lacy aufzufordern, zu ihrem Beistand zu eilen, wie er es schon früher getan; aber sie fürchte jetzt in ihrem eigenen sichern Schlosse von Garde Douloureuse keine Gefahr und wäre entschlossen, dort allein mit ihrem eigenen Haushalt zu verweilen. Sie wäre überdies entschlossen, fuhr sie fort, ihrer ganz eigentümlichen Lage wegen, dort in der strengsten Abgeschiedenheit zu leben, die, wie sie erwarte, auch selbst von dem edlen jungen Ritter, den sie zum Beschützer erhalten, nicht gestört werden würde; es sei denn, daß irgend eine Besorgnis ihrer Sicherheit wegen seinen Besuch unbedingt notwendig mache.
Die Aebtissin stimmte, wiewohl sehr kalt, diesem Vorschlag, bei, den ihre Begriffe von Anstand billigten; und somit wurden denn schnelle Vorbereitungen zu Lady Evelinens Rückkehr in die Burg ihres Vaters getroffen. Zwei Zusammenkünfte, welche, noch ehe sie das Kloster verließ, stattfanden, waren ihrer Natur nach höchst peinlich. In der ersten wurde ihr Damian feierlich von seinem Oheim vorgestellt als der Bevollmächtigte, dem er die Aufsicht über sein Eigentum und, was ihm noch teurer sei, wie er versicherte, die Obhut über ihre Person anvertraut hatte.
Kaum gestattete sich Eveline einen einzigen Blick; aber auch dieser einzige Blick erkannte schon all die Verwüstungen, welche Krankheit, mit Gram vereint, an der männlichen Gestalt und auf dem schönen Antlitz des Jünglings vor ihr angerichtet hatte. Sie empfing ihn ebenso verlegen, wie er sie verlegen begrüßte, und erwiderte, als er ihr stotternd seine Dienste angeboten, sie hoffe, während der Abwesenheit seines Oheims nur für seinen guten Willen ihm Dank schuldig zu werden.
Ihr Abschied vom Connetable war die höchste Prüfung, der sie sich unterziehen mußte. Sie schieden nicht ohne Rührung, obwohl sie ihre bescheidene Fassung und de Lacy seinen ruhigen Ernst behauptete. Doch schwankte seine Stimme, als er zu äußern begann: Es sei ungerecht, daß sie auf immer durch eine Verpflichtung gebunden sein solle, welcher sie mit so ungemeiner Güte sich unterzogen habe. Drei Jahre wären die abgemachte Zeit, da der Erzbischof Balduin eingewilligt hätte, bis auf diese Dauer die Zeit seiner Abwesenheit abzukürzen. »Erscheine ich nicht, wenn diese Jahre verstrichen sind,« sagte er, »so mag Lady Eveline schließen, daß de Lacy das Grab umfängt, und sich einen glücklicheren Mann zu ihrem Gefährten aussuchen. Einen dankbareren wird sie nirgends finden, obgleich viele ihrer würdiger sein mögen als er.«
Hiermit trennten sie sich. – Der Connetable schiffte sich sehr bald darauf ein, durchschnitt das schmale Meer bis zu den Küsten von Flandern, wo er seine Macht mit dem Grafen dieser reichen und kriegerischen Landschaft vereinigte, um dann mit ihm zusammen auf dem besten Wege, dem gemeinsamen Ziel zuzusteuern. Das breite Panier mit dem Wappen der de Lacys wallte auf dem Vorderteil des Schiffes, das ein günstiger Wind vorwärts trieb, und wenn man den Ruhm des Anführers und die Trefflichkeit seiner Krieger betrachtete, so war wohl noch nie eine tapfrere Schar zu einem Rachezuge wider die Sarazenen gen Palästina gesegelt.
Nach einem kalten Abschiede von der Aebtissin trat nun auch Eveline die Rückreise nach dem väterlichen Schlosse an, wo ihr Haushalt so eingerichtet werden sollte, wie es der Connetable angegeben und sie gebilligt hatte.
Dieselben Maßregeln, wie auf ihrer Reise nach Gloucester, waren auch jetzt zu ihrer Bequemlichkeit an jedem Platz, wo man Halt machte, getroffen worden, und eben wie damals, war der Mann unsichtbar, der das alles für sie befolgte, obwohl es ihr nicht schwer sein konnte, seinen Namen zu erraten. Für alle Bedürfnisse und Bequemlichkeiten, wie im größten Maße für ihre Sicherheit, war allenthalben auf dem ganzen Wege gesorgt; aber es waltete dabei nicht mehr die zarte, geschmackvolle Galanterie ob, welche verriet, daß diese Aufmerksamkeiten einer jungen schönen Dame galten. Nicht mehr wurde die reinste Quelle, der schattigste Hain zum Platz ihres Mittagsmahles erwählt; sondern das Haus irgend eines Landwirts oder ein kleines Kloster gewährte die erforderliche Gastfreundschaft. Alles war mit der strengsten Rücksicht auf Rang und Stand geordnet, – es schien, als ob eine Nonne irgend eines strengen Ordens, nicht ein junges Mädchen von hoher Geburt und großem Reichtum durch das Land reiste, und obwohl Eveline an dem Zartgefühl Wohlgefallen fand, mit dem auf ihre schutzlose, ganz eigentümliche Lage Rücksicht genommen wurde, so kam es ihr doch bisweilen unnötig vor, daß sie durch so manche indiskreten Andeutungen an das Sonderbare ihrer Lage erinnert wurde. Auch schien es ihr sonderbar, daß Damian, dessen Obhut sie so feierlich übergeben wurde, auch nicht einmal auf dem Wege ihr seine Aufwartung machte. Zwar flüsterte eine Stimme ihr zu, es sei ungeziemend, wohl gar gefährlich, öfters mit ihm zusammen zu sein; jedenfalls aber hätte es ihm die Pflicht als Ritter und Edelmann gebieten sollen, sich hin und wieder vor der unter seinen Schutz gestellten Jungfrau sehen zu lassen, wäre es auch nur geschehen, um sie zu befragen, ob sie mit den getroffenen Einrichtungen zufrieden sei oder ob sie einen besonderen Wunsch hätte, der noch zu erfüllen wäre. Allein der Verkehr zwischen beiden blieb darauf beschränkt, daß Amelot, Damian de Lacys junger Page, des Morgens und Abends erschien, Evelinens Befehle betreffs der ferneren Reise und der ihr gefälligen Ruhestunden zu vernehmen.
Bei dieser Förmlichkeit wurde die Einsamkeit, in der sich Evelinens Rückreise vollzog, noch unausstehlicher, und hätte sie nicht Roses Gesellschaft gehabt, so wäre sie sich fast wie eine Gefangene vorgekommen. Sie wagte selbst gegen ihre Begleiterin einige Bemerkungen über das sonderbare Benehmen de Lacys, der doch das Recht habe, sich ihr zu nähern, und sich doch davor so sehr zu fürchten schien, als ob sie ein Basilisk wäre.
Rose ließ die erste Bemerkung dieser Art vorübergehen, als ob sie sie nicht gehört hätte; aber als ihre Gebieterin eine zweite Bemerkung der gleichen Art machte, antwortete sie mit der gewohnten Offenheit und Freimütigkeit ihres Charakters, doch vielleicht mit weniger Klugheit wie sonst: »Damian de Lacy urteilt sehr richtig, edle Lady. Wem ein königlicher Schatz zur sichern Bewahrung anvertraut ist, der darf sich's nicht erlauben, zu oft die Blicke daran zu werfen.«
Eveline errötete, wickelte sich fester in ihren Schleier und nannte während der ganzen Reise den Namen Damian de Lacys nicht wieder.
Als am Abend des zweiten Tages die grauen Türme von Garde Douloureuse ihr Auge begrüßten und sie wiederum ihres Vaters Banner vom höchsten Wachturm zu Ehren ihrer Ankunft wehen sah, mischte sich tiefer Schmerz in ihre Empfindungen; doch blickte sie im ganzen auf die altertümliche Heimat als auf einen Zufluchtsort hin, wo sie über ihre neue Lage als Braut in der alten Umgebung nachdenken konnte, die ihr schon als Kind und Tochter lieb und wert gewesen war. Sie trieb ihren Zelter vorwärts, das altertümliche Portal so schnell wie möglich zu erreichen, und verneigte sich flüchtig gegen die wohlbekannten Gesichter, die sich auf allen Seiten zeigten; aber mit keinem sprach sie, bis sie vor der Kapelle vom Pferde gestiegen und zu dem Heiligtum geeilt war, worin das wundertätige Bild sich befand. Hingesunken auf den Boden, erflehte sie sich hier der heiligen Jungfrau Führung und Beschirmung in den verwickelten Verhältnissen, in die sie sich selbst gebracht hatte, um das Gelübde zu erfüllen, das einst sie in der Angst ihres Herzens vor dem heiligen Schrein tat.