Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenter Brief.

Derselbe an Denselben.

(Fortsetzung.)

Der kleine Benjie mit dem Pferde wanderte also auf der linken Seite des Baches, während der Quäker und ich auf dem jenseitigen Ufer spazierten, wie Cavaliere und Infanterie derselben Armee die beiden Ufer eines Flusses besetzen. Aber während mein würdiger Gefährte mich von den freundlichen Wiesen um seine Wohnung unterhielt, wich der kleine Benjie, obgleich ihm befohlen worden war, in unserem Gesichtskreise zu bleiben, von dem vorgeschrieben Wege ab und führte, indem er sich rechts wandte, den anvertrauten Salomon vor unsern Augen fort.

»Der Elende will ihn reiten,« schrie Josua mit größerer Lebhaftigkeit, als sich mit seinen Grundsätzen von leidender Duldung vertrug. Als er heftig forteilte und sich die Falten von der Stirne zu verscheuchen bemühte, versuchte ich es, ihn zu beruhigen, indem ich beweisen wollte, daß, wenn auch der Knabe das Pferd besteigen sollte, er doch seiner eigenen Sicherheit wegen langsam reiten würde.

»Ihr kennt ihn nicht,« rief Josua, allen Trost zurückweisend, »er soll etwas anständig und langsam thun – nein, er wird auf dem Salomon galoppiren – er wird die ruhige Geduld des armen Thieres, das mich so lange trug, mißbrauchen! Ja, ich bin selbst Schuld daran, daß ich ihn nur die Zügel berühren ließ; denn solch' einen kleinen Bösewicht gab es vor ihm noch nicht im Lande.«

Dann rechnete er alle Landfrevel her, deren er Benjie beschuldigte. Er stand im Verdacht, den Rebhühnern Fallen zu stellen – war von Josua selbst darauf ertappt worden, als er den Singvögeln mit Leimruthen nachgestellt – ein schwerer Verdacht lastete auf ihm, daß er mit Hülfe eines eben so boshaften, hinterlistigen, heimtückischen Dachshundes wie er, mehrere Katzen gequält und geplagt hätte, endlich und hauptsächlich wurde er angeklagt, eine Ente gestohlen zu haben, indem er sie mit eben diesem Dachshunde erjagte, welcher so gewandt im Wasser wie auf dem Lande war. Um meinen Freund nicht noch mehr zu erzürnen, stimmte ich mit ihm ein und erklärte, daß auch ich – aus eigener Erfahrung – den Buben zur Satansbrut rechnete. Josua Geddes aber tadelte den Ausdruck als zu übertrieben und unziemend im Munde eines nachdenkenden Mannes, und ich wollte den Ausdruck eben als eine gebräuchliche Redensart vertheidigen, als wir vom jenseitigen Ufer des Baches her ein Geräusch hörten, welches anzuzeigen schien, daß Salomon und Benjie im Streit begriffen wären. Die Sandhügel, hinter welchen er sich verbarg, hatten ihn seiner Absicht gemäß unseren Blicken entzogen, er hatte den Salomon bestiegen und ihn tüchtig angetrieben; so waren sie in guter Freundschaft fortgaloppirt, bis sie sich der Furt näherten, bei welcher des Pferdes gesetzmäßiger Eigenthümer schon vorbei war.

Hier aber entstand eine Verschiedenheit in den Ansichten zwischen Pferd und Reiter. Der Letztere nemlich wollte nach Vorschrift den Salomon den Weg zur steinernen Brücke führen, aber Salomon glaubte wahrscheinlich, die Furt wäre der nächste Weg zu seinem Stalle. Die Ansichten wurden von beiden Seiten heftig bestritten, und wir hörten Benjies »halloh – jă – vorwärts« und hauptsächlich sein mächtiges Peitschen, während Salomon, so fromm er sonst war, nun die Geduld verloren zu haben schien, stampfte und ausschlug. Dieser vereinigte Lärm war es also, den wir hörten, obschon wir sie nicht sehen konnten, und dessen Grund Josua wohl vermuthen konnte.

Beunruhigt über diese Wahrzeichen, schrie der Quäker: »Benjie – du Schurke – Salomon – du Narr,« als plötzlich beide in voller Hast erschienen. Salomon hatte gesiegt und stürzte sich nun sammt seinem widerstrebenden Reiter in vollem Galopp in die Furt. Nie wechselte noch Zorn so schnell mit menschenfreundlicher Besorgniß, wie jetzt bei meinem Gefährten. »Der Bursche wird ertrinken! Der Sohn einer Wittwe! – ihr einziger Sohn! – und ertrinken! – Laß mich los!« schrie er, indem er sich mit Gewalt losreißen wollte, als ich ihn verhinderte, sich in die Furt zu stürzen.

Ich fürchtete durchaus nichts für Benjie! denn konnte er schon das widerspenstige Pferd nicht zähmen, so saß er doch wie ein Affe im Sattel. Salomon und Benjie durchschritten die Furt mit wenig Mühe und setzten am diesseitigen Ufer unaufhaltsam ihren Galopp fort.

Es ist unmöglich zu bestimmen, ob bei dieser Gelegenheit der Benjie mit dem Salomon, oder Salomon mit Benjie durchging; doch, Charakter und Beweggründen nach zu urtheilen, vermuthe ich eher das Erstere. Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten, als der Schurke an mir vorbei eilte, grinsend vor Angst und Wonne zu gleicher Zeit, wie er am Sattelknopf hing und mit ausgestreckten Armen Zügel und Mähne ergriff, während Salomon schäumend im festen Gebiß, den Kopf zwischen den Vorderfüßen, in ungewöhnlicher Hast ganz dicht neben seinem Herrn vorbeieilte.

»Der boshafte Bastard,« schrie der Quäker, im Schrecken die gewöhnliche Mäßigung vergessend, – »der Galgenvogel! – er wird dem Salomon die Rippen zerschlagen, gewiß, gewiß!«

Ich bat ihn, sich zu trösten, versicherte ihn, ein tüchtiger Galopp würde seinem Liebling nichts schaden und erinnerte ihn, daß er mich eben erst wegen eines harten Ausdrucks von dem Knaben getadelt hätte.

Josua war um Antwort nicht verlegen. – »Junger Freund, du sprachst von der Seele des Burschen, von welcher du behauptetest, sie wäre dem bösen Feinde verfallen, und das konntest du doch nicht wissen; ich aber sprach von ihm als Mensch, und wenn er seine Lebensart nicht ändert, wird er dem Strick gewiß nicht entlaufen. Ja, man sagt sogar, er gehöre schon, so jung er ist, zu der Bande des Laird's.«

»Zu der Bande des Laird's!« – sagte ich, erstaunend die Worte wiederholend – »meint Ihr damit den Mann, bei dem ich übernachtete? – Ich hörte, wie Ihr ihn Laird nanntet. – Ist er denn der Anführer einer Bande?«

»Nein, ich wollte nicht gerade eine Bande sagen,« – erwiderte der Quäker, der in Eile wahrscheinlich mehr gesagt hatte, als er Willens war – »eine Verbrüderung, eine Partei hätte ich sagen sollen; aber, Freund Latimer, so geht es selbst den weisesten Männern, wenn sie sich von ihren Leidenschaften hinreißen lassen, dann sprechen sie, wie im Fieber, thöricht und vorschnell.«

Das war also eine Bestätigung meines bisher gehegten Verdachtes, daß meines Freundes natürliche Herzensgüte, verbunden mit der angenommenen Ruhe seiner Sekte, dennoch hie und da das Ausbrausen seines von Natur feurigen und heftigen Gemüthes nicht gänzlich hatte verdrängen können. Nun aber, als fühle er, daß er bei dieser Gelegenheit einen größern Grad von Bewegung gezeigt hatte, als sich für seinen Charakter ziemte, vermied Josua alle ferneren Anspielungen auf Benjie und Salomon, und suchte meine Aufmerksamkeit auf die uns umgebende Natur zu lenken, welche an Schönheit und Anmuth zunahm, als wir dem geschlängelten Laufe des Baches folgend, das brachliegende Land verließen und ein wohl angebautes, von Zäunen durchschnittenes Land betraten, wo Acker und Wiesengrund lieblich mit Bäumen und Hecken abwechselten. Nahe am Strome hinabsteigend, führte uns unser Weg durch ein kleines Thor zu einem reinlichen Fußpfad, dessen Seiten mit Bäumen und hochsprossenden blühenden Sträuchern besetzt waren; endlich führte ein liebliche Terrasse aus dem Thale heraus, und plötzlich standen wir vor einem niedrigen, aber freundlichen Gebäude von unregelmäßiger Form; mein Führer schüttelte mir freundlich und herzlich die Hand und hieß mich zu Mount Sharon willkommen.

Das Gehölze, durch welches wir uns dem kleinen Gebäude genähert hatten, umgab es auf der Nord- und Nord-West-Seite; von da aber zertheilte es sich in verschiedene Richtungen und ward von gut bewässerten und gut angebauten Feldern unterbrochen. Das Haus gewährte die Aussicht nach Süd-Ost; liebliche Anlagen oder Gärten führten zum Wasser. Ich erfuhr nachher, daß der Vater des gegenwärtigen Besitzers, der einen großen Hang zum Gartenbau hatte und ihn seinem Sohn vererbte, diese Gärten angelegt hatte, welche mit ihren ebenen Nasen, verschlungenen Alleen, mit ihren wilden, kühn emporsprossenden Bäumen und Sträuchern Alles gar sehr verdunkelten, was man in dieser Art in der Umgegend versucht hatte.

Wenn auch ein wenig Eitelkeit in dem wohlgefälligen Lächeln verborgen lag, mit welchem mich Josua Geddes ansah, als ich mit Entzücken eine Gegend betrachtete, die von der nackten Haide, welche wir heute zusammen durchwandert hatten, so verschieden war; so darf man es wohl meinem Manne zu gut halten, der, wie er selbst sagte, körperliche Gesundheit und geistige Erholung darin fand, daß er die Schönheiten der Natur anbaut und erhöht. Am Ende des weitläufigen Gartens bildete der Bach in einem Halbzirkel die natürliche Gränze. Auf dem jenseitigen Ufer besaß Josua keine Besitzungen mehr, dort ward der Bach von abschüssigen Kalkfelsen zurückgedrängt, als wollte die Natur eine Ringmauer ziehen um dieses kleine Eden der Schönheit, der Ländlichkeit und des Friedens.

»Aber vergiß nicht,« sagte der gütige Quäker, »bei deiner Bewunderung der Schönheiten unseres kleinen Erbtheils, daß du nur ein sparsames Frühstück eingenommen hast.«

Indem er dieses sagte, öffnete Josua ein kleines Gitterthor, welches durch einen Laubgang, der mit Geisblatt und Waldrebe umrankt war, in ein mäßig großes Wohnzimmer führte, dessen Möbel mit Reinlichkeit und Einfachheit das deutliche Kennzeichen der Sekte trugen, zu welcher der Eigenthümer gehörte.

Deines Vaters Hanna wird allgemein als eine Ausnahme von allen schottischen Haushälterinnen angesehen, und in Reinlichkeit ist ihres Gleichen nicht zu finden unter allen Weibern Alt-Schottlands, aber Hanna's Reinlichkeit ist noch Nachlässigkeit im Vergleich mit dem sorgfältigen Scheuren und Putzen dieser Leute, welche auf die geringsten Dinge des Lebens jene Strenge übertragen, die sie in ihren moralischen Handlungen zeigen wollen.

Das Wohnzimmer würde, da es niedrig war und kleine Fenster hatte, sehr düster gewesen sein, hätte der Eigenthümer es nicht durch eine Glasthüre erhellt, die in ein ebenfalls mit Glas gedecktes Treibhaus führte.

Als ich mich dem Treibhaus näherte, um es genauer zu betrachten, zog das Kamin des Wohnzimmers meine Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein Pfeiler aus einem einzigen Stein, der mit der Höhe des Zimmers ganz außer Verhältniß stand. Einst schien er ein Wappenschild getragen zu haben, denn der Hammer oder der Meisel, der Schild und Visir zerstörte, hatte den Baldachin unverletzt gelassen, der das fromme Motto trug: Vertrau' auf Gott! Ich hatte von jeher, wie du wohl weißt, eine besondere Freude an altgothischen Buchstaben, und die Grabsteine auf dem Kirchhofe zu Grey-Friar's suchte ich oft zu entziffern, um zu erfahren, was sie von längst vergessenen Todten sagen.

Josua sah mich schweigend an, als er mich diese Reliquie des Alterthums betrachten sah. »Kannst du es lesen?« frug er endlich.

Ich wiederholte das Motto, und fügte hinzu, es wäre noch eine Spur von einer ehemaligen Jahreszahl vorhanden.

»Es soll wohl 1537 heißen,« sagte er, »denn so lange ist es wenigstens, daß meine Voreltern in den blinden Zeiten des Papstthums diese Wohnung bauten.«

»Das ist ein alter Ursprung,« sagte ich, indem ich das Monument mit Ehrfurcht betrachtete, »es thut mir leid, daß das Wappen ausgelöscht ist.«

Wahrscheinlich war es meinem Freunde, obwohl er ein Quäker war, unmöglich, so ganz allen Mangel an Ehrfurcht vor seinem Stammbaum zu verläugnen, obgleich er beständig gegen diese Eitelkeit eiferte, ungefähr so, wie Jack Fawkes uns im Collegium mit einer Miene, in welcher Schwermuth, Reue und Selbstgefühl vermischt lagen, die unglückselige Verwicklung seiner Vorfahren in der Pulververschwörung erzählte.

»O Eitelkeit der Eitelkeiten, sagt der Prediger« – fing Josua Geddes von Mount Sharon seine Rede an – »wenn wir selbst ein Nichts sind in den Augen Gottes, wie viel weniger als Nichts muß nicht unsere Abstammung von vermoderten Gebeinen und verfallenem Staube sein, deren unsterbliche Geister längst heimgegangen sind, Rechnung abzulegen von ihrem Thun? Ja, Freund Latimer, meine Vorfahren waren berühmt unter den räuberischen und blutdürstigen Männern, welche dieses unterdrückte und geplagte Land bewohnten, ja, so berüchtigt waren sie wegen ihrer glücklichen Freibeuterei, ihren Räubereien und ihrer Mordlust, daß man sagt, sie hätten den Namen Geddes von dem Raubfische bekommen, der in der Landessprache Ged genannt wird – wahrlich eine ehrenwerthe Auszeichnung für einen Christen! Sie malten diesen Flußbewohner auf ihre Schilder, und die schändlichen Priester eines verächtlichen Götzendienstes, jene ruchlosen Schmeichler, Herolde genannt, die Fische, Vögel und vierfüßige Thiere aushauen, damit die Menschen vor ihnen niederfallen und anbeten mögen, bestimmten ihnen den Ged zum Symbol und Wappenhalter, hauten ihn aus auf ihren Kaminen, stellten ihn auf ihre Gräber; so wurden die Männer meines Namens immer frecher, immer ähnlicher dem Raubfische, mordeten, führten in Gefangenschaft, theilten Beute, bis daß der Ort ihres Wohnsitzes den Namen Sharing-Knowe bekam von der Beute, die dort zwischen ihnen und ihren Helfershelfern getheilt wurde. Eine bessere Einsicht wurde erst meinem Großvater Philipp Geddes zu Theil, der, nachdem er vielfach versucht hatte, sein Licht an einem der wild flackernden Feuer, die damals in allen Bürgerversammlungen loderten, anzuzünden, endlich einen Funken von der Lampe des gesegneten Georg Fox auffing, welcher nach Schottland kam, das Licht verbreitend in tiefer Finsterniß, so reichlich, wie er selbst sich ausdrückt, wie die Funken sprühen von den Hufen des Pferdes, das in gestrecktem Laufe auf steinigen Wegen dahineilt.« – Hier unterbrach sich der gute Quäker. – »Ach es ist wahr, ich muß gleich nachsehen, wie es mit dem Salomon steht!«

Ein Diener, ebenfalls ein Quäker, trat jetzt in das Zimmer, neigte den Kopf gegen seinen Herrn, aber nicht wie Jemand, der sich verbeugt, und sagte gelassen: »Sei willkommen in deinem Hause, Freund Josua, wir erwarteten dich nicht so frühe, aber was ist denn deinem Pferde Salomon zugestoßen?«

»Was ihm zugestoßen ist,« sagte mein Freund, »hat ihn denn der Knabe, den sie Benjie nennen, nicht hierher zurückgebracht?«

»Freilich hat er das,« sagte der Bediente, »aber auf eine sonderbare Art; denn es kam wüthend schnell hergelaufen, und warf den Knaben Benjie von seinem Rücken auf den Düngerhaufen, der im Hof liegt.«

»Das freut mich,« sagte Josua schnell – »das freut mich von ganzem Herzen! Aber nein, er ist der Sohn einer Wittwe – hat sich der Knabe beschädigt?«

»Ganz und gar nicht, denn er stand eilig auf und lief davon.«

Josua murmelte etwas von der Peitsche, dann frug er nach dem jetzigen Zustande des Pferdes.

»Es schwitzt wie ein dampfender Kessel,« antwortete der Diener, »Bauldie, der Bursche, führt es im Hofe am Halfter umher, daß es sich nicht erkältet.«

Mr. Geddes eilte in den Stallhof, um selbst nach dem Zustand seines Lieblings zu sehen, und ich folgte ihm, um ihm meinen Rath als Stallknecht (lache nicht, Allan, ich habe Stallknechtskenntnisse genug, einem Quäker beizustehen) in dieser unangenehmen Untersuchung anzubieten.

Der Bursche, der das Pferd herumführte, schien kein Quäker zu sein, doch hatte ihm sein Umgang mit der Familie einen ernsten Anstrich in Blick und Wesen gegeben. Er versicherte Josua, das Pferd habe durchaus nichts gelitten, und ich gab zu verstehen, daß ihm die Uebung sogar zuträglich wäre. Salomon selbst neigte seinen Kopf gegen seinen Herren, und rieb ihn an den Schultern des guten Quäkers, als wolle er ihn über sein Wohlbefinden beruhigen, so daß Josua zufrieden in das Wohnzimmer zurückkehrte, wo nun das Frühstück aufgetragen werden sollte.

Seitdem habe ich erfahren, daß Josua's Neigung für sein Pferd von einigen seiner Glaubensbrüder als ungehörig betrachtet wird; und daß er vielfachem Tadel unterliegen mußte, daß er ihm einen Namen, und gar einen biblischen beilegte; doch genoß er einer so großen Achtung und eines so großen Einflusses unter ihnen, daß sie diese Schwäche übersahen.

Während nun der alte Diener Jehrjachim aus und ein ging, und mit den Vorbereitungen zum Frühstück gar nicht fertig werden wollte, erfuhr ich von meinem Freunde Josua, daß sein Großvater Philipp, der Convertite des Georg Fox, in den Verfolgungen, welche diese unschuldigen Andächtigen in jenem unduldsamen Zeitalter von allen Seiten erduldeten, viel gelitten hatte, und daß ein großer Theil ihres väterlichen Erbes zu Grund gegangen war. Bessere Tage waren dem Vater unseres Josua vorbehalten, der, nachdem er sich mit einer reichen Quäkerfamilie in Lancashire verschwägert hatte, verschiedene Handelszweige mit Erfolg betrieb, den Rest des Gutes einlöste, und ihm statt des Namens Sharing-Knowe, wie die Gränzbewohner es nannten, die evangelische Benennung Mount-Sharon beilegte.

Erwähnter Philipp Geddes hatte, wie schon gesagt, den Geschmack am Gartenbau und an Blumen, der ohnehin seiner Sekte eigenthümlich ist, hier einheimisch gemacht, er riß die Ueberbleibsel des alten Hauses nieder, baute das neue Gebäude dahin, und während er die Wohnstätte seiner Vorfahren ihrer Gastfreundschaft wegen, und das fromme Motto, das sie zufällig angenommen hatten, verehrte, vernichtete er auf der anderen Seite die weltlichen und militärischen Zeichen, die Schild und Helm schmückten, sammt allen Wappenzierden.

Nachdem Mr. Geddes den Bericht von sich und seiner Familie geendigt hatte, trat seine Schwester Rahel, das einzige noch lebende Mitglied derselben, in das Zimmer. Sie war wunderbar lieblich anzusehen, denn obgleich sie wenigstens dreißig Jahr alt sein mußte, hatte sie doch noch das Ansehen und die lebhaften Bewegungen eines jüngeren Alters. Der Mangel an Verzierungen und Putz wurde durch Zierlichkeit und Reinlichkeit des Anzugs reichlich ersetzt; eine einfache, anliegende Haube stand gar wohl zu den Augen, aus denen Sanftmuth und Taubeneinfalt sprach. Auch ihre Züge waren gar angenehm, doch hatten sie ein wenig von dem erklärten Feinde aller Schönheit, von den Blattern, gelitten; ein Nachtheil, der zum Theil von einem schön geformten Munde, von Zähnen wie Perlen, von einem freundlich lächelnden Zug aufgewogen wurde, der einem Jeden, mit dem sie sprach, zeitliche und ewige Glückseligkeit zu wünschen schien. Du kannst hier keine niedrige Anspielung machen, Allan, denn ich habe dir ein getreues Bild der Rahel Geddes gegeben; folglich kannst du hier nicht, wie in deinem Briefe, den ich eben empfange, sagen, daß ich sie als einen Gegenstand, den ich zu erwähnen fürchtete, übergangen hätte. Doch bald ein Mehreres darüber.

Wir begannen also das Frühstück nach einem Segensspruch, oder vielmehr nach einem Gebete aus dem Stegreif, das Josua hielt, und das der Geist ihn mehr zu verlängern antrieb, als es mir angenehm war. Dann, Allan, griff ich so tüchtig beim Morgenimbiß zu, wie du den Darsie Latimer wohl noch nie beim Frühstück sahst, Thee und Chocolade, Eier, Schinken und Pasteten, die gebackenen Fische nicht zu vergessen, kurz alles verschwand mit einer Schnelligkeit, die den gutmüthigen Quäker staunen machte, der meinen Teller immer von Neuem belud, als wollte er sehen, ob es gar nicht möglich wäre, mich zu ermüden, dennoch aber bekam ich einen Wink, der mich erinnerte, wo ich war. Miß Geddes hatte mir nämlich süßen Kuchen angeboten, den ich für den Augenblick ablehnte, doch als er mir gleich darauf wieder unter Händen kam, nahm ich mir in Gedanken ein Stück davon, und wollte es eben auf meinen Teller legen, als mein Wirth Josua (doch keineswegs in der Manier des Arztes des Sancho, Lirtea Fuera, sondern kalt und ruhig) es mir wieder wegnahm, und es auf den Tisch legte, indem er trocken sagte: »Du schlugst es eben aus, Freund Latimer.«

Diese guten Leute erkennen das Recht nicht an, sein Wort zurücknehmen zu dürfen, was dein guter Vater das Privilegium der Bewohner von Aberdeen nennt; oder wie die Weisen sagen, den zweiten Gedanken.

Diesen kleinen Wink abgerechnet, der mich belehrte, daß ich mich unter sehr pünktlichen, eigenthümlichen Menschen befand, war in meinem Empfang nichts Ausgezeichnetes – nur bemerkte ich die ängstliche, gleichförmige Zuvorkommenheit, von welcher alle Aufmerksamkeitsbezeugungen meiner neuen Freunde deutliche Spuren trugen; als wären sie besorgt, dafür mich fühlen zu lassen, daß die Vernachlässigung der gebräuchlichen Höflichkeitsbezeugungen, die ihnen ihr Glaube verbietet, nur ihre Gastfreundschaftlichkeit noch herzlicher mache. Endlich war mein Hunger gestillt, und der würdige Quäker, der mit gutmüthigen Blicken meinen Appetit beobachtet hatte, wandte sich mit folgenden Worten an seine Schwester:

»Dieser junge Mann, Rahel, hat in den Zelten unseres Nachbars, den man den Laird nennt, übernachtet. Es thut mir leid, daß ich ihm nicht gestern Abend begegnete, denn unseres Nachbars Gastfreundschaft wird zu selten in Ausübung gebracht, als daß er mit den Mitteln zum Empfang gut vorbereitet sein konnte.«

»Nicht so, Josua,« sagte Rahel, »wenn unser Nachbar etwas Gutes that, so solltest du ihn bei dieser Gelegenheit nicht schelten; hat unser junger Freund eine Nacht schlecht zugebracht, so mag ihn das Bessere, das Gott ihm künftig schickt, um so viel mehr erfreuen.«

»Und damit er das besser könne,« sagte Josua, »so wollen wir ihn bitten, Rahel, ein oder zwei Tage bei uns zu verweilen: er ist jung, tritt eben in die Welt, so möge ihm, wenn er will, unsere Wohnung als zum Ruheplatz dienen, von wo aus er die Pilgerfahrt, die ihm bevorsteht, und den Weg, den er wandern soll, übersehen mag. – Was sagst du dazu, Freund Latimer? Wir zwingen unsere Freunde nicht zu unserer Lebensart, und du wirst wohl so vernünftig sein, keinen Anstoß daran zu nehmen, wenn wir der unserigen folgen, selbst wenn wir dir hier und da einen wohlgemeinten, freundschaftlichen Rath geben, so denke ich, wirst du auch darüber nicht böse werden.«

Du weißt, Allan, wie leicht mich auch nur ein Anschein von Herzlichkeit hinreißt, darum nahm ich also – wenn ich mich schon vor den Umständlichkeiten ein wenig fürchtete – die Einladung an, und bat nur, man möchte einen Boten nach Shepherd's Busch schicken, um meinen Diener und meinen Mantelsack kommen zu lassen.«

»Du hast recht, Freund,« sagte Josua, »dein Aeußeres würde durch reinere Wäsche wohl gewinnen; ich will deinen Auftrag im Gasthaus der Wittwe Gregson selbst vollführen, und dir deinen Burschen mit den Kleidern hierherschicken. Unterdessen wird dir Rahel unsere Gärten zeigen, und dich in den Stand setzen, deine Zeit nützlich zuzubringen, bis uns um zwei Uhr das Mittagessen ruft. Für jetzt sage ich dir Lebewohl, denn ich habe noch eine ziemliche Strecke zu gehen, da ich meinem Salomon jetzt Ruhe gönnen muß.«

Mit diesen Worten ging Mr. Josua Geddes seines Wegs. Gar manche Frauenzimmer, die wir kennen, würden Verlegenheit gefühlt oder affectirt haben, wenn man sie mit einem – (frei herausgesagt, Allan) artigen, jungen Manne, mit einem Fremden allein gelassen hätte, die honneurs de la maison (die gastlichen Pflichten) zu machen. Sie ging einige Minuten hinaus, und kam dann wieder mit ihrem einfachen Gewand, ihrer Haube, und mit Handschuhen an, bereit, mir mit eben so einfacher Unbefangenheit zum Führer zu dienen, als hätte es deinem Vater gegolten, Allan. So machte ich mich also mit meiner schönen Quäkerin auf den Weg.

Wenn auch das Haus zu Mount Sharon nur eine geräumige, anständige Wohnung von mäßiger Größe und geringer Bedeutung ist, so können doch die Gärten und Oekonomie-Gebäude, obschon sie nicht sehr weitläufig sind, was Sorgfalt und Aufwand betrifft, sich kühn mit denen eines Grafen messen. Zuerst führte mich Rahel auf ihren Lieblingsort in den Hühnerhof, wo allerlei Arten Federvieh, das Seltenste sowohl wie das Gewöhnlichste, zu finden war, das sich auf dem Lande aufhält, und so waren beide Gattungen wohl versorgt.«

Alle diese Geschöpfe schienen ihre Gebieterin zu erkennen, und einige besonders Begünstigte eilten zu ihren Füßen, und folgten ihr, so weit es ihre Gränze erlaubte. Sie kannte ihre Eigenheiten und ihre Eigenschaften so genau, wie Jemand, der sich dem Studium der Naturgeschichte gewidmet hat. Ich gestehe, daß ich nie zuvor das Hofgeflügel mit so vielem Antheil betrachtet habe – es müßte denn gebraten oder gesotten gewesen sein. Ich konnte mich nicht enthalten, ihr die verfängliche Frage vorzulegen, wie sie das Tödten eines der Geschöpfe, die sie mit so viel Sorgfalt pflege, anordnen könne. Es wäre ihr freilich hart, sagte sie, doch aber wäre es den Gesetzen ihres Daseins gemäß. Sie müßten sterben, doch wüßten sie nicht, wann der Tod herannahe; und wenn man ihnen nur ein Erträgliches, angenehmes Leben verschaffte, so trüge man zu ihrem Glücke so viel bei, wie die Bedienung ihres Daseins erlaube.

Ich bin nicht ganz ihrer Meinung, Allan, ich glaube, weder Schweine noch Geflügel würden zugeben, daß das bestimmte Ende ihres Daseins wäre, getödtet oder gegessen zu werden. Doch berührte ich den Punkt nicht weiter, dem meine Quäkerin entschlüpfen wollte, denn als sie mich in das Pflanzenhaus führte, das geräumig und mit den seltensten Pflanzen versehen war, zeigte sie mir einen Vogelbauer, der am äußersten Ende stand, dessen Bewohner sie versorgte, ohne, wie sie sagte, von den traurigen Gedanken an ihre Zukunft gestört zu werden.

Ich will dich mit keinem Berichte von den verschiedenen Treibhäusern und Gärten und ihrem Inhalte belästigen. Es muß wahrlich keine geringe Summe Geldes verwendet worden sein, um sie in diesem ausgezeichneten Grade von Ordnung aufzubauen und zu erhalten. So viel ich hörte, war die Familie mit der des berühmten Millar bekannt, und hatte von dieser den Geschmack am Blumen- und Gartenbau angenommen. Statt aber botanische Namen zu radebrechen, will ich dich lieber in den Lustgarten führen, den Josua oder sein Vater geschmackvoll zwischen Haus und Garten angelegt hat. Auch dieser war, im Gegensatz zu der sonst vorherrschenden Einfachheit, ungewöhnlich verziert. Da gab es verschiedene Partien, welche aber so gut verbunden waren, daß die ganze Fläche, die nicht größer als 5–6 Acker Landes war, wohl viermal so groß schien. Die Zwischenräume enthielten dichte Alleen und offene Spaziergänge, einen so hübschen, künstlichen Wasserfall und einen Springbrunnen, der einen bedeutenden Bogen beschrieb, und in dessen Ströme die Sonnenstrahlen einen beständigen Regenbogen bildeten. Da fand man ferner ein Laube-Kabinet, wie es die Franzosen nennen, um sich in der Hitze des Sommers abzukühlen, und eine Terrasse, die gegen Nord-Ost von einer Hecke von Stechpalmen mit glänzenden Dornen beschützt war, wo du in heiteren, kalten Wintertagen dich der erwärmenden Sonnenstrahlen erfreuen kannst. Ich weiß, das du, Allan, das Alles als schlecht und alt verwerfen wirst, denn seitdem Landseer die Anlagen zu Leasowes beschrieben und von Brown's Nachahmung der Natur geschwatzt hat, und seitdem Horacius Walpole seine Versuche über den Gartenbau bekannt machte, bist du nur für einfache Naturanlagen – verdammst es, Terrassen in freier Luft aufzuführen, und findest nur an Wäldern und Wildnissen Wohlgefallen. Aber ne quid nimis. Ich möchte freilich großartige Naturschönheiten nicht durch künstliche Anlagen verderben, wo aber die Lage keine besondere Schönheiten darbietet, da sind sie, glaube ich, an ihrem Platze.

Hätte ich also ein Landhaus (wer weiß, wie lang es bis dahin noch dauert?) so wirst du Grotten, Wasserfälle und Springbrunnen sehen, ja, wenn du mich mit Wiederspruch ärgertest, so könntest du mich sogar dazu bringen, einen Tempel hinzubauen – reize mich also nicht, denn du siehst, zu welchen ungeheuren Dingen ich fähig bin.

Wenn du auch, Allan, allen übrigen Grund und Boden meines Freundes Geddes als Künsteleien verdammt hättest, so hat er doch scharf am Rande des Stromes einen Weidengang, so düster, so feierlich, so stille, daß er deine Bewunderung erzwungen hätte. Der Bach, der am äußersten Ende des Guts, durch einen natürlichen Damm oder Felsenschleuse eingeengt, schien, selbst angeschwollen wie er war, kaum sanft dahinzugleiten, und die blasse Trauerweide sammelte um ihre in den Strom hinabhängenden Aeste kleine Kronen von Schaum, die der früher reißende Fluß hierherführte. Kaum sah man durch die Aeste die hohen Felsen des jenseitigen Ufers, deren bleiche, glänzende Stirne mit langen Hecken von wilden Rosen und anderen niederen Sträuchern bekränzt, ein Schlagbaum schien, der den ruhigen Pfad, den wir wandelten, abschied von der geschäftigen, unruhigen Welt jenseits. Der Pfad selbst beschrieb, indem er den Krümmungen des Stromes folgte, einen sanft gebogenen Halbzirkel, doch so, daß er das Ende des Weges verbarg, bis man es erreicht hatte. Ein dumpfes, düsteres Brausen, das zunimmt, je mehr du dich ihm näherst, bereitet dich auf dieses Ende vor, wo du auf einem einfachen Baumstamme sitzend, einen sechs bis sieben Fuß hohen Wasserfall erblickst, wo, wie schon erwähnt, der Fluß sich über den Felsendamm stürzt.

Die Stille, die Dämmerung, die Abgelegenheit dieses Ganges stimmten zu vertraulichen Mittheilungen; und da ich meiner schönen Quäkerin nichts Anziehenderes zu sagen wußte, so nahm ich mir die Freiheit, sie um die Verhältnisse des Lairds zu fragen; denn du weißt oder solltest es wissen, Allan, daß nächst den Herzensangelegenheiten, das schöne Geschlecht sich am meisten mit denen der Nachbarn beschäftigt.

Ich verbarg ihr weder meine Neugierde noch die Art, wie Josua sie zurückgewiesen hatte; meine Begleiterin antwortete verlegen: »Ich kann nur die Wahrheit reden, und darum gestehe ich dir, daß meinem Bruder der Mann, dessen du erwähntest, mißfällt, daß ich ihn fürchte. Vielleicht haben wir beide Unrecht – aber er ist ein gewaltthätiger Mann, und übt über Viele einen großen Einfluß aus, die ihrem Gewerbe als Schiffer oder Fischer nachgehend so unempfindlich werden, wie das Element, das ihnen ihre Nahrung darbietet. Sie geben ihm (was nichts Ungewöhnliches unter ihnen ist) keinen bestimmten Namen, denn es ist ein roher Gebrauch bei ihnen, sich gegenseitig durch Beinamen zu bezeichnen. Sie nennen ihn den Herrn der Seen (ich will gar nicht erwähnen, daß man Niemand Herr nennen sollte, als nur den Einen), thörichte Lächerlichkeit! denn man nennt die Pfützen von Salzwasser, welche die Ebbe im Sande zurückläßt, die Seen der Solway.«

»Hat er denn keine anderen Einkünfte, als die, welche er aus diesen Dünen zieht?«

»Das kann ich nicht beantworten,« erwiderte Rahel, »man sagt, es fehle ihm nicht an Geld, und er theile den Armen in seiner Umgegend freigebig von seinem Ueberflusse mit, obschon er wie ein gewöhnlicher Fischer lebt. Sie geben zu verstehen, daß er ein Mann von Bedeutung sei, der in die unglückliche Empörungsgeschichte so tief verwickelt wäre, daß ihm noch zu viel Gefahr drohe, wenn er seinen eigentlichen Namen annähme. Auch ist er manchmal Wochen und Monden lang von seiner Wohnung zu Broken-Burn-Cliffs abwesend.«

»Ich glaubte,« sagte ich, »die Regierung würde bei jetziger Zeit selbst den hartnäckigsten Rebellen nicht in Anklagezustand versetzen. Gar viele Jahre sind seitdem verstrichen.« –

»Das ist wohl wahr,« erwiderte sie, »doch begreifen Leute der Art wohl, daß ihr Leben nur gesichert ist, so lange sie im Stillen leben. Man kann aber von diesen rohen Menschen nichts Gewisses erfahren. Sie gehen nicht mit Wahrheit um – nur Wenige sind unter ihnen, die nicht an dem ungesetzmäßigen Handel zwischen diesen Gegenden und den benachbarten Ufern Englands Theil nehmen; jede Art von Falschheit und Betrug ist ihnen wohl bekannt.«

»Es ist Jammerschade,« bemerkte ich, »daß Ihr Bruder solche Nachbarn hat, besonders da ich bemerkte, daß er in einige Streitigkeiten mit ihnen verwickelt ist.«

»Wo, wann, warum?« frug Miß Geddes mit heftiger, gespannter Angst, die mich bereuen machte, daß ich den Gegenstand berührt hatte. Ich erzählte ihr also so schonend wie möglich den Wortwechsel, der heute Morgen zwischen ihrem Bruder und dem Herrn der See stattgefunden hatte.

»Du erschreckst mich sehr,« antwortete sie, »eben dieser Umstand verscheucht den ruhigen Schlaf der Nacht von mir. Als mein Bruder Josua sich von der Theilnahme an den Handelsgeschäften meines Vaters zurückzog, zufrieden mit dem Antheil an weltlichen Gütern, welche ihm zugefallen waren, blieb er nur bei einer oder zwei Unternehmungen betheiligt, entweder, weil sein Zurückziehen seinen Freunden geschadet hätte, oder weil er auf irgend eine Weise seine Zeit nützlich anwenden wollte. Unter die wichtigern gehört eine Fischerei an der Küste, wo durch eine verbesserte Art, Reusen so zu legen, daß sie sich beim Herannahen der Ebbe öffnen, und bei der Fluth wieder schließen, bei weitem mehr Fische gefangen werden, als wenn man ihrer, wie die Leute von Broken-Burn, mit Netz, Speer und Fischangel habhaft werden will. Sie beklagen sich über diese Ebben-Netze als eine Neuerung und glauben ein Recht zu haben, sie mit Gewalt niederzureißen und zu zerstören. Ich fürchte sehr, dieser gewaltthätige Mann, den sie Laird nennen, wird seine Drohung ausführen, was nicht ohne Verlust und Gefahr für meinen Bruder geschehen kann.«

»Mr. Geddes,« sagte ich, »sollte sich an die bürgerliche Behörde wenden; es liegen Soldaten in Dumsfries, die man zu seinem Schutze absenden könnte.«

»Du sprichst,« antwortete die Dame, »wie Jemand, der noch in der Galle der Bitterkeit, in dem Verbande der Ungerechtigkeit befangen ist. Gott bewahre uns, Netze von Flachs und Pfähle von Holz, oder den Mammon von Gewinnst, den sie uns verschaffen, mit den Händen der Kriegsleute zu beschützen, auf die Gefahr hin, Menschenblut zu vergießen!«

»Ich ehre Ihre Bedenklichkeiten,« erwiderte ich, »aber wenn ihr diese Gesinnung hegt, so sollte doch Ihr Bruder der Gefahr durch Vertrag oder durch Nachgeben ausweichen.«

»Das wäre wohl auch das Beste,« versetzte Rahel, »aber was kann ich sagen? – Selbst in dem bestgearteten Gemüthe können noch Spuren vom alten Adam zurückbleiben; auch weiß ich nicht, ob es dieser oder ein besserer Geist ist, der meinen Bruder Josua dazu bringt, daß er, obgleich er nicht Gewalt mit Gewalt vertreiben will, dennoch sein Recht nicht leeren Drohungen aufopfern, oder sie durch sein Nachgeben nicht ermuntern will, auch Schaden zuzufügen. Er sagt, seine Mitgenossen vertrauten auf seine Festigkeit, und er wollte sie nicht täuschen, indem er ihre Rechte aufgäbe aus Furcht vor den Drohungen der Menschen, deren Athem in der Nase ist.«

Diese Bemerkung überzeugte mich, daß der Geist den alten Beutetheiler aus dem Busen des friedfertigen Quäkers noch nicht gänzlich verbannt war, und in meinem Innern mußte ich gestehen, daß Josua Recht hatte, als er behauptete, daß eben so viel Muth zum Dulden wie zum Handeln gehöre.

Als wir uns dem äußersten Ende des Weidengangs nahten, ward das dumpfe und anhaltende Brausen des herabstürzenden Wassers immer tosender, so daß es uns zuletzt schwer fiel, miteinander zu sprechen. Die Unterhaltung stockte, doch schienen die Gedanken meiner Gefährtin immerwährend an den trüben Ahnungen zu hängen, die es erregt hatte. Am Ziele des Wegs genossen wir einer Aussicht auf den Wasserfall, wo der angeschwollene Bach schäumend und tosend über den natürlichen Felsendamm stürzte, der vergeblich seinen Lauf hemmen zu wollen schien. Entzückt blickte ich hin; als ich mich aber umwandte, meiner Gefährtin meine Gefühle auszudrücken, bemerkte ich, daß sie die Hände gefaltet hatte, in einer Stellung kummervoller Ergebung, welche anzeigte, daß ihre Gedanken fern von der vor uns liegenden Naturscene waren. Da sie sah, daß ihre Zerstreuung bemerkt wurde, nahm sie die frühere Ruhe in ihren Manieren wieder an; und als sie mir hinlänglich Zeit gelassen hatte, das Ziel unseres stillen, einsamen Spaziergangs zu bewundern, schlug sie mir vor, auf einem andern Wege durch die Ländereien ihres Bruders zurückzukehren. »Selbst wir Quäker, wie man uns nennt,« sagte sie, »haben unseren kleinen Stolz, und mein Bruder Josua würde es mir nicht verzeihen, wenn ich es versäumte, dir die Felder zu zeigen, die er mit der größten Freude nach den neuesten und besten Arten anbaut, worüber er von gültigen Richtern viel Lob erhalten hat, aber auch von denen lächerlich gemacht wurde, die es für eine Thorheit halten, die Gebräuche unserer Väter verbessern zu wollen.«

Während sie sprach, öffnete sie ein niedriges Thor, das durch eine mit Moos und Epheu bedeckte Mauer, welche die Gränze des Lustgartens bildete, in das freie Feld führte; hier wanderten wir auf einem ordentlichen Fußpfad, der in einem guten, einfachen Geschmack angelegt, zwischen Hecken und Zäunen, durch Wiesen, Aecker und Waldungen ging, so daß der gute Mann bei gewöhnlichem Wetter die Runde um seine Oekonömie-Gebäude machen konnte, ohne auch nur den Schuh zu beschmutzen. Auch Ruhesitze waren angebracht, und waren sie auch weder mit Inschriften geziert, noch so häufig, wie die Beschreibung der Anlagen zu Leasowes es erwähnt, so war doch ihre Stellung so gewählt, daß sie entweder eine fernere Aussicht beherrschten, oder einen Blick heimwärts gewährten.

Aber was mir in Josua's Gebiet am meisten auffiel, war die Anzahl und die Zahmheit des Wildes. Kaum verließ das Rebhuhn den Zweig der Hecke, wo es seine Brut um sich versammelt hatte, obschon der Weg dicht daran vorbeiführte. Der Hase blieb in seiner Lage liegen und schaute uns, wenn wir vorbeigingen, mit vollen, dunkeln Augen an, oder er hüpfte eine kleine Strecke und stellte sich dann aufrecht hin, um uns mit größerer Neugierde als Furcht zu betrachten. Ich machte Miß Geddes auf die Zahmheit dieser ängstlichen und scheuen Thiere aufmerksam, und sie belehrte mich, daß ihr Zutrauen von dem Schutz, dessen sie im Sommer, und von der Nachsicht, deren sie sich im Winter erfreuten, herrührte.

»Sie sind Schützlinge meines Bruders,« sagte sie, »der ihnen um so viel größeren Anspruch auf seine Güte einräumt, da ihr Geschlecht von der Welt im Allgemeinen verfolgt wird. Er versagte sich es selbst einen Hund zu halten, damit diese Geschöpfe hier einer ungestörten Sicherheit genießen können. Und selbst diese harmlose menschliche Neigung oder Laune hat unsere gefährlichen Nachbarn beleidigt.«

Sie erklärte es, indem sie mir sagte, daß mein Wirth von gestern Nacht wegen seiner Leidenschaft zur Jagd berüchtigt wäre, der er sich ohne Rücksicht auf die Wünsche derjenigen, über deren Felder er jage, überließe. Die unbestimmte Mischung von Ehrfurcht und Angst, mit welcher man ihn allgemein betrachte, verleite viele der benachbarten Gutsbesitzer, von ihm zu dulden, was sie an jedem anderen als Waldfrevel bestraft hätten. Aber Josua Geddes erlaubte keinen Eingriff in seine Rechte, und so wie er früher mehrere seiner Nachbarn beleidigt hatte, die ihn, weil er das Wild weder selbst jagte, noch zu jagen erlaubte, mit einem Hunde in einer Fleischerbude verglichen hatten; so vermehrte er nun die Abneigung, die der Laird schon gegen ihn gefaßt hatte, indem er ihm ein für alle Mal verbot, dem Wild auf seinem Grund und Boden nachzujagen. »So daß ich gar oft wünsche,« sagte Rahel Geddes, »unser Loos möchte uns an einem anderen Orte gefallen sein, als an diesen lieblichen Ufern, wo wir, wenn auch weniger Schönheiten uns umgäben, doch eine friedliche, wohlmeinende Nachbarschaft hätten.«

Endlich kehrten wir nach Haus zurück, wo mir Miß Geddes eine kleine Bibliothek zeigte, die in zwei Schränken aufbewahrt war. »Diese,« sagte sie, indem sie auf den kleineren Schrank zeigte, »werden dir, wenn du ihnen deine Muße leihst, gewiß nützlich sein, und jene (indem sie auf den anderen größeren Schrank zeigte) werden dir, glaube ich, nicht schaden. Einige unserer Völker glauben freilich, ein jeder Schriftsteller, der nicht für uns ist, wäre gegen uns, aber mein Bruder Josua ist gemäßigt in seinen Meinungen, und steht mit unserem Freunde John Scott von Amwell, der doch Verse gemacht hat, die selbst in der Welt Beifall fanden, in Briefwechsel. – Ich wünsche dir recht viel Gutes, bis wir uns Mittags wieder treffen.«

Als ich nun allein war, untersuchte ich beide Sammlungen; die erste bestand blos aus theologischen und polemischen Abhandlungen, die zweite aber aus einer kleinen historischen Bibliothek und aus moralischen Schriften in Prosa und in Versen.

Da ich mir nicht viel Unterhaltung davon versprach, so besitzest du in diesen Blättern die Früchte meines Fleißes, und ich glaube wahrlich, eine Geschichte zu schreiben, wo man selbst den Helden macht, ist eben so unterhaltend, als die eines fremden Landes in irgend einer Epoche zu lesen.

Sam, der immer noch häufiger betrunken als nüchtern ist, kam zur rechten Zeit mit meinem Mantelsack an, und setzte mich also in den Stand, meine Kleidung so zu ordnen, daß sie sich für diesen Tempel der Reinlichkeit und des Wohlanstandes besser ziemt; da ich (schließlich) wahrscheinlich mehrere Tage hier verweilen werde.

P.S.

*

Ich habe mir das Abenteuer, wie ihr heimgezogenen Jünglinge es nennen mögt, von dem Besuch des ehrbaren Lairds gemerkt. Wir Reisende betrachten solch' ein Ereigniß als nichts Bedeutendes, wenn es schon das einförmige Leben von Browns Square ein wenig beleben mag. Aber schämst du dich nicht, mit einer so nichtigen Erzählung Jemand interessiren zu wollen, der die Welt in ihrer Größe sieht, und die menschliche Natur an einem großen Maßstabe studirt? Auf was kömmt es denn am Ende heraus, als daß ein Laird, der ein Tory ist, mit einem Juristen, der sich zu den Whig's zählt, zu Mittag aß? Gar nichts Besonderes ist an der Geschichte, besonders da Mr. Herries das Majorat verloren und nur noch den Titel beibehalten hat. – Der Laird betrug sich hochmüthig und frech – auch das weicht vom Charakter nicht ab; daß er die Treppe nicht hinabgeworfen wurde, das liegt daran, daß Allan Fairford nicht ganz der Mann ist, wie sein Freund ihn wünschte. Nun, was ist denn daran, wenn ein junger Rechtsgelehrter, statt den guten Freund zur Thüre hinauszuwerfen, sie lieber selbst ergriff, und den eben erwähnten Laird den alten Rechtsgelehrten etwas fragen hörte, was den Darsie Latimer betraf? Wahrscheinlich frug er nach dem schönen, liebenswürdigen Familiengliede, das erst kürzlich der Themis seine Verbeugung gemacht hat, und die Ehre zurückwies, ihr ferner zu folgen. Du lachst mich wegen meiner Luftschlösser aus; aber gestehe nur ein, beruhen sie im Allgemeinen nicht auf besseren Gründen, als auf zwei Worten, die solch' ein Mann wie Herries sprach? Und doch – doch Allan, möchte ich einen Zusammenhang in der Sache finden, denn in finsterer Nacht wird selbst ein Johanniswürmchen ein Gegenstand des Glanzes, und für Jemanden, der in meiner Unwissenheit und Ungewißheit schwebt, ist der schwächste Strahl, der Aufklärung verspricht, anziehend. Mein Leben gleicht dem unterirdischen Strome in dem Felsen zu Derby, der nur da sichtbar wird, wo er die berühmte Höhle durchströmt. Da bin ich, so viel weiß ich, aber wo ich herstamme, wohin mein Lebenslauf mich führen wird, wer kann mir das sagen? Auch dein Vater schien also Antheil daran zu nehmen und bestürzt zu sein, er sprach davon, mir zu schreiben; wollte der Himmel, es geschähe! – Ich schicke täglich auf die nächste Post nach Briefen.


 << zurück weiter >>