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Sechster Brief.

Darsie Latimer an Allan Fairford.

(Fortsetzung des 3ten und 4ten Briefs.)

Ich erzählte dir, daß ich mit meinem ernsten, finstern Wirthe in's Freie trat. Nun konnte ich deutlicher als in der vergangenen Nacht das einsame Thal sehen, in welchem zwei oder drei Hütten standen, die ihm und seiner Familie zur Wohnung zu dienen schienen.

Es ist im Verhältniß zu seiner Tiefe so schmal, das kein Strahl der Morgensonne es erreichen kann, und es wird nur dann beleuchtet, wenn die Sonne hoch am Horizont steht. Blickst du in das Thälchen hinab, so siehst du einen schäumenden Bach, der in flüchtiger Schnelle jenem Dickicht enteilt, wie ein Renner, ungeduldig das Ziel zu erreichen; schaust du noch aufmerksamer hin, so kannst du einen Theil eines hohen Wasserfalls bemerken, der durch das Laub durchschimmert, und ohne Zweifel den schnellen Lauf des Baches verursacht. Tiefer hinab wird der Strom sanfter und erweitert sich zu einem ruhigen Wasserbecken, welches zwei oder drei Fischerbooten zu einem natürlichen Hafen diente; weil es gerade Ebbe war, lagen sie auf dem trockenen Sand. Einige elende Hütten, wahrscheinlich von den Eigenthümern der Boote bewohnt, waren am Ufer des kleinen Hafens sichtbar, doch standen sie in jeder Hinsicht dem Gebäude meines Wirthes nach, wenn schon das elend genug war.

Es blieben mir nur eine oder zwei Minuten, diese Bemerkungen anzustellen, aber selbst während dieser kurzen Zeit konnte mein Gefährte den Ausbruch seiner Ungeduld nicht mäßigen, und rief mehrmals »Christal, Christal Nixon«, bis der alte Mann, welchen ich den Abend zuvor gesehen hatte, an der Thüre einer der benachbarten Hütten oder vielmehr Nebengebäuden erschien, das früher erwähnte schwarze, kräftige Pferd gesattelt und gezäumt herbeiführend. Mein Führer winkte dem Christal mit dem Finger, und, indem er sich wegwandte, schlug er den Weg nach dem steilen Hohlwege ein, der das abgeschlossene Thal mit dem offenen Land verbindet.

Hätte ich den Weg, welchen ich den vergangenen Abend mit solchem Ungestüm hinabgeeilt war, genauer gekannt, ich zweifle sehr, ob ich es gewagt hätte, hinabzusteigen; denn er verdiente eigentlich nur den Namen eines Canals, welcher zum guten Theil mit Wasser gefüllt, die Ströme des nächtlichen Regens schäumend und brausend in das Thal leitete. Mit einigen Schwierigkeiten erstieg ich den bösen Weg zu Fuße, aber mir schwindelte, wenn ich aus den Spuren, welche der Regen nicht verlöscht hatte, sah, daß das Pferd Abends zuvor auf seinen Hüften fast hinabgegleitet zu sein schien.

Mein Wirth schwang sich auf seines Pferdes Rücken, ohne den Fuß in den Steigbügel zu setzen – kam mir den gefährlichen Weg hinauf zuvor, und spornte sein Roß, als könne es wie eine wilde Katze klettern. Wasser und Schmutz spritzten beim raschen, wilden Lauf von seinen Hufen; einige Sätze nur – und da standen, an der Spitze der Kluft, wo ich sie einholte, – Pferd und Reiter wie Bildsäulen da, das erstere die breiten Nasenlöcher aufsperrend, den Morgenwind aufzufangen, der letztere bewegungslos, die Augen hingewendet zu den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, welche im Osten emporstieg und die entfernten Gebirge von Cumberland und Liddesdale vergoldete.

Er schien in Träumen vertieft zu sein, aus denen er emporschreckte, als ich mich ihm nahte, und, indem er sein Pferd in Bewegung setzte, schlug er einen ungebahnten, sandigen Weg ein, welcher eine weite, flache, unangebaute Sandebene, von Morästen unterbrochen, durchschnitt, die der Umgegend von Shepherd's Busch ähnlich war. Im Allgemeinen bietet dieser ganze Strich des Landes, da, wo er sich der See naht, einige begünstigtere Stellen ausgenommen, denselben einförmigen, schauerlichen Anblick dar.

Ungefähr hundert Ellen vom Rande der Schlucht genoßen wir einen noch ausgedehnteren Ueberblick über diese wüste Einöde, schauerlicher noch durch den Gegensatz, welchen die jenseitigen Küsten von Cumberland bildeten, die, von tausenden von Bäumen in Alleen gepflanzt, durchkreuzt und durchschnitten, beschattet von Wäldern und Bosquets, belebt von Dörfern und Landhäusern, aus denen dünne Rauchwolken emporstiegen, ein liebliches Bild menschlichen Treibens und menschlichen Kunstfleißes gewähren.

Mein Führer hatte den Arm ausgestreckt, um mir den Weg nach Shepherd's Busch zu zeigen, als man von Ferne den Tritt eines Pferdes hörte. Er sah sich sorgfältig um, und als er bemerkte, wer sich näherte, fuhr er in seiner Erklärung fort, indem er zu gleicher Zeit den Weg versperrte, welcher auf dieser Stelle durch einen Sumpf zur Rechten und einen Sandhügel zur Linken eingeengt war.

Ich bemerkte, daß der Reiter, welcher sich näherte, den langsamen Trab seines Pferdes in Schritt übergehen ließ, als wolle er uns den Vortritt lassen, oder wenigstens vermeiden, uns auf einer Stelle zu begegnen, wo er nahe bei uns vorbeireiten mußte. Du kennst meinen alten Fehler, Allan, meine Aufmerksamkeit lieber jedem anderen Gegenstande zu widmen, als dem, von welchem die Rede ist.

Dieser liebenswürdigen Eigenheit zufolge überlegte ich gerade vor mir, was wohl der Grund sein möchte, daß der Reiter sich immer in gewisser Entfernung von uns hielt, als mein Gefährte seine tiefe Stimme so plötzlich und so ernsthaft steigerte, daß meine umherirrenden Gedanken sich mit einem Male wieder sammelten. »In des Teufels Namen, junger Mann,« rief er aus, »glaubt Ihr, andere Leute könnten ihre Zeit nicht nützlicher anwenden, als Ihr, daß Ihr mich dieselbe Sache dreimal wiederholen laßt? Seht Ihr, sage ich, dort, ungefähr eine Meile von hier, jenes Ding, das wie ein Wegzeiger, oder vielmehr wie ein Galgen aussieht? – Ich wollte, es hinge irgend ein träumerischer Narr daran, allen nachdenklichen Mondkälbern zum warnenden Beispiel. – Jener galgenartige Pfahl wird Euch zur Brücke führen, dort geht Ihr also über den breiten Bach, immer gradaus, bis sich bei einem Steinhaufen mehrere Wege kreuzen – der Henker auch, da träumet er schon wieder!«

Es war wirklich an dem, daß, da in diesem Augenblick der Reiter sich uns näherte, meine Aufmerksamkeit sich diesem zuwandte, als ich auswich, ihm Platz zu machen. Sein ganzes Aeußere zeigte, daß er zu der Gesellschaft der Freunde gehöre, oder wie die Welt und die Weltgesetze sie nennen, daß er ein Quäker sei. Ein starker, brauchbarer, eisengrauer Klepper zeigte durch Glätte und Wohlbeleibtheit, daß der barmherzige Mann auch barmherzig gegen sein Vieh sei. Seine Kleidung war zwar nicht übertrieben, doch reinlich und ordentlich, wie diese Sektirer sich zu kleiden pflegen. Ein langer Ueberrock von ausgezeichnet feinem Tuche, welcher bis auf die Füße herabfiel, war bis an's Kinn zugeknöpft, um ihn gegen die Morgenluft zu schützen. Der Rand seines nach Quäker-Art, ohne Knopf oder Schleife, herabhängenden Biberhutes beschattete gutmüthige, freundliche Züge, deren Ernst mit einer Dosis Humor gemischt war, welcher mit dem finsteren puritanischen Wesen, welches die Frömmler heucheln, nichts gemein zu haben schien. Eine hohe Stirne, frei von den Falten des Alters oder der Heuchelei, ein klares Auge, ruhig und gesetzt, schien doch einen Anstrich von Aengstlichkeit, wenn nicht von Furcht zu verrathen; und als er den gewöhnlichen Gruß: »Ich wünsche dir einen guten Morgen, mein Freund,« aussprach, drängte er sein Roß so nahe an die eine Seite des Wegs, als spreche er damit den Wunsch aus, bei uns mit so wenig Umständen als möglich vorbeizuschlüpfen, gerade wie ein Wanderer bei einem Bullenbeißer vorübergeht, auf dessen friedliche Gesinnungen er keineswegs vertraut.

Aber mein Freund hatte wahrscheinlich die Absicht nicht, ihn so friedlich vorüberziehen zu lassen, denn er stellte sein Pferd der Breite nach so in den Weg, daß der Quäker unmöglich vorbei konnte, ohne entweder durch den Sumpf zu waden, oder den Sandhügel zu ersteigen; und zu keinem von beiden schien er sonderliche Neigung zu haben. Er machte also Halt, als wollte er warten, bis mein Gefährte ihm Platz machen würde, und während sie so gegenüber standen, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß sie kein übles Sinnbild des Kriegs und des Friedens abgeben könnten. Denn obgleich mein Führer unbewaffnet war, so glich doch sein ganzes Wesen, sein ernster Blick, seine gerade Haltung zu Pferd völlig einem Soldaten in Civilkleidung. Er redete den Quäker mit folgenden Worten an: » – Ha, ha, Freund Josua – du bist heute frühe auf dem Wege, hat der Geist dich und deine rechtlichen Brüder bewogen, einmal ehrlich zu handeln und Eure Fischnetze abzureißen, welche die Fische verhindern, den Strom hinabzuschwimmen?«

»Gewiß nicht, mein Freund,« antwortete Josua fest, aber dabei gutmüthig, »du kannst nicht erwarten, daß unsere Hände niederreißen werden, was unser Beutel aufrichtete. Du tödtest die Fische mit Speer, Angel und Netz, und wir mit Schlingen und Reusen, welche auf Ebbe und Fluth berechnet sind. Ein Jeder thut, was in seinen Augen am besten scheint, in seinen Grenzen sich einen Theil des Segens zu versichern, mit welchem die Vorsehung den Fluß begabte. Ich bitte dich, suche keinen Streit mit uns, denn wir werden dir kein Unrecht zufügen!«

»Sei ruhig,« erwiderte der Fischer, »ich werde es von Niemanden dulden, er trage einen gestutzten oder breitrandigen Hut. Ich sage dir gerade zu, Josua Geddes, daß du und deine Genossen ungesetzmäßige Mittel anwenden, die Fische in der Solway durch Pfahlnetze und Reusen zu zerstören, und daß wir, die wir nach der alten Weise unserer Väter männlich dem Fischfang nachgehen, täglich an Jagd und Ertrag verlieren. Glaubt nicht, daß Ihr es mit Ehrbarkeit und Heuchelei ausführen werdet wie bisher. Die Welt und wir kennen Euch. Ihr wollt den Salmfang, den Unterhalt fünfzig armer Familien, vernichten und dann das Maul abwischen, um bei einer hochverehrlichen Brüdergemeinde eine erbauliche Rede zu halten. Aber glaubt nicht, daß es dabei bleibt. Ich warne Euch hiermit ernstlich; wir werden uns eines Morgens über Euch aufmachen, und dann soll auch nicht ein Pfahl in dem Grunde des Solway stehen bleiben, die Fluth soll sie wegschwemmen; glücklich für Euch, wenn nicht ein Pachter mitschwimmt.«

»Freund,« erwiderte Josua mit einem erzwungenen Lächeln, »wüßte ich nicht, daß du nicht denkst, wie du sprichst, so würde ich dir sagen, daß wir unter dem Schutz der Landesgesetze stehen; und wir verlassen uns um so viel mehr auf deren Schirm, da unsere Grundsätze uns nicht erlauben, uns mit offener Gewalt zu beschützen.«

»Lauter niedriges Geschwätz und Feigheit,« schrie der Fischer, »das Euern scheinheiligen Geiz bemänteln soll!«

»Nenne es nicht Feigheit, mein Freund,« antwortete der Quäker, »da du wohl weißt, daß wenigstens eben so viel Muth dazu gehört, zu dulden, wie zu handeln; dieser Jüngling oder irgend ein Anderer urtheile, ob nicht – selbst in der Meinung der Welt, deren Ansichten du huldigst – ob es nicht feiger ist, bewaffnet zu unterdrücken und zu schmähen, als wehrlos zu dulden und zu leiden!«

»Ich werde keinen Wortwechsel mehr mit Euch darüber führen,« sagte der Fischer, welcher, von dem letzten Grund des Mr. Geddes ergriffen, ihm nun Platz machte, seinen Weg fortzusetzen, – »doch vergeßt nicht,« fügte er hinzu, »daß Ihr nun förmlich gewarnt worden seid, und glaubt ja nicht, daß wir schöne Worte zur Entschuldigung für schlechte Handlungen annehmen werden. Diese Eure Netze sind ungesetzlich – sie beeinträchtigen uns in unserer Fischerei – und wir werden sie umwerfen auf jede Gefahr hin! Ich bin ein Mann von Wort, Freund Josua!«

»Ich glaube es gerne,« sagte der Quäker; »aber um so vorsichtiger solltest du dann auch sein, das zu sagen, was du nie ausführen wirst. Denn ich sage dir, Freund, ob zwar ein so großer Unterschied zwischen dir und einem unseres Volkes ist, wie zwischen einem Löwen und einem Schafe, so glaube ich doch, daß du auch die Eigenschaft des Löwen besitzest, deine Stärke und deine Wuth nicht an denen zu zeigen, die keine Mittel zum Widerstand besitzen. Der Sage nach soll das Gute an dir sein, wenn auch wenig mehr.«

»Die Zeit wird es lehren,« antwortete der Fischer, »doch höre, Josua, ehe wir uns trennen, will ich dir Gelegenheit verschaffen, eine gute That zu thun, welche, glaube mir, besser ist als zwanzig moralische Reden. Da ist ein fremder Jüngling, welchen der Himmel so spärlich mit Gehirn versehen hat, daß er sich wie gestern Nacht im Sand verirren wird, wenn du dir nicht die Mühe gibst, ihm den Weg nach Shepherd's Busch zu zeigen, denn ich habe es umsonst versucht, ihm denselben begreiflich zu machen. – Trägst du wohl so viel Menschenliebe unter dem Mantel deiner Einfachheit, Quäker, das gute Werk zu thun?«

»Nein, dir Freund,« antwortete Josua, »muß es an Menschenfreundlichkeit fehlen, weil du nur vermuthen kannst, es könne Jemand eine so kleine Gefälligkeit verweigern.«

»Du hast Recht – ich hätte bedenken sollen, daß es dich nichts kostet – junger Herr, dieses fromme Muster patriarchalischer Einfachheit wird dir den rechten Weg nach Shepherd's Busch zeigen – ja, aber dennoch wird er dich scheeren wie ein Schaf, wenn du allenfalls von ihm kaufen oder ihm verkaufen willst.«

Dann frug er mich plötzlich, wie lang ich wohl in Shepherd's Busch zu bleiben gedächte.

Ich erwiderte, das wäre für jetzt noch ungewiß – doch wahrscheinlich so lange, als ich in der Nachbarschaft Unterhaltung finden würde.

»Ihr liebt die Fischjagd?« fügte er in demselben kurzen Frageton hinzu.

Ich bejahte es, doch bemerkte ich, daß ich völlig unerfahren darin wäre.

»Wenn Ihr vielleicht noch einige Tage dort wohnt,« sagte er, »so werden wir uns wieder begegnen, und ich könnte Euch vielleicht Unterricht darin geben.«

Ehe ich noch Dank und Einwilligung ausdrücken konnte, wandte er sich, indem er statt des Lebewohls mit der Hand winkte, hinweg, und ritt zurück bis an den Hohlweg, von welchem wir ausgegangen waren; als er am Rande stille hielt, konnte ich noch lange seine Stimme hören, wie er den Bewohnern des Thals zurief.

Unterdessen setzten der Quäker und ich einige Zeit unsere Reise stillschweigend fort; er zwang sein gehorsames Pferd zu einem Schritt, dem selbst ein minder rüstiger Fußgänger, wie ich, leicht hätte folgen können, indem er mich von Zeit zu Zeit mit wohlwollender Neugierde betrachtete. Ich meines Theils hatte keine Neigung, die Unterhaltung zu eröffnen. Ich war bisher mit keinem Anhänger dieser Sekte in Gesellschaft gewesen, und um zu vermeiden, in der Anrede, ohne es zu wissen, gegen eines ihrer Vorurtheile oder Eigenheiten anzustoßen, schwieg ich lieber stille. Zuletzt frug er mich, ob ich schon lange im Dienste des Lairds, wie man ihn nenne, stände.

Ich wiederholte die Worte: »in seinem Dienste?« mit einem Ausdruck des Erstaunens, welcher ihn zu sagen bewog: »Nein, Freund, ich wollte dich nicht beleidigen, vermuthlich hätte ich mich besser ausgedrückt, wenn ich gesagt hätte, in seiner Gesellschaft – ein Bewohner seines Hauses – meine ich?«

»Ich kenne den Mann, von dem ich mich eben trennte, gar nicht,« sagte ich, »und unsere Bekanntschaft war nur vorübergehend. – Er war so gütig, mir den Weg von den Dünen zu zeigen, und mir eine Nachtherberge gegen den Sturm zu gewähren. Damit fing unsere Bekanntschaft an, und wahrscheinlich wird sie auch damit enden; denn Ihr werdet wohl bemerken, daß unser Freund keineswegs geneigt scheint, Freundschaftsbündnisse anzuknüpfen.«

»Um so viel weniger,« antwortete mein Gefährte, »als das, glaube ich, das erste Mal ist, daß er einen Fremden in seinem Hause aufnahm; nämlich, wenn du wirklich die Nacht bei ihm zubrachtest.«

»Warum zweifelt Ihr daran?« erwiderte ich, »welchen Grund könnte ich haben, Euch hintergehen zu wollen? auch ist ja die ganze Sache der Mühe nicht werth.«

»Sei nicht böse auf mich,« sagte der Quäker, »aber du weißt, daß dein eigenes Volk sich nicht an die einfache Wahrheit bindet, wie wir es in der Demuth unseres Herzens zu thun streben, sondern daß es die Sprache der Falschheit nicht allein seines Nutzens, sondern auch der Höflichkeit, ja manchmal sogar des bloßen Zeitvertreibs wegen gebraucht. Ich habe mancherlei Geschichten von meinem Nachbar gehört, von denen ich freilich nur wenigen Glauben schenke, doch sind auch diese schwer in Einklang zu bringen. Da ich aber jetzt zum ersten Mal hörte, daß er einen Fremden in seine Wohnung aufnahm, so konnte ich einen Zweifel nicht unterdrücken. Ich bitte dich, laß es dich nicht beleidigen.«

»Er scheint,« sagte ich, »nicht eben sehr reichlich die Mittel zur Ausübung der Gastfreundschaft zu besitzen, und folglich dürfte er wohl zu entschuldigen sein, wenn er sie in gewöhnlichen Fällen nicht anbietet.«

»Das heißt so viel, mein Freund,« erwiderte Josua, »als: du hast schlecht zu Nacht gegessen und wahrscheinlich noch schlechter gefrühstückt. Nun liegt uns aber mein kleines Wirtschaftsgebäude, Mount Sharon genannt, zwei Meilen näher als dein Gasthaus, und obgleich dein Weg weiter ist, wenn du mich dahin begleitest, als der gerade Weg nach Shepherds Busch, so denke ich, wird Bewegung deinen jungen Gliedern so wenig schaden, wie ein vollständiges, gutes Mahl deinem Appetit. Was sagst du dazu, mein junger Bekannter?«

»Wenn es Euch nicht stört,« erwiderte ich, denn die Einladung war herzlich, und das Brod und die Milch hatte ich schnell verschlungen und in geringer Quantität.

»Nein,« sagte Josua, »gebrauche nicht die Sprache der Complimente mit denen, welche darauf verzichten; denn wäre mir diese geringe Höflichkeit sehr störend gewesen, so hätte ich sie wahrscheinlich nicht angeboten.«

»Ich nehme also mit derselben Bereitwilligkeit die Einladung an, mit der Ihr sie anbietet.«

Der Quäker lächelte, reichte mir die Hand, ich schüttelte sie ihm herzlich, und so gingen wir in größter Vertraulichkeit unsern Weg weiter fort zusammen. In Wahrheit unterhielt es mich in meinem Herzen, die offene Weise des gutmüthigen Josua Geddes mit dem harten, finstern und zurückstoßenden Betragen meines gestrigen Wirthes zu vergleichen. Beide waren derb und ohne Ceremoniel; doch trug die Offenheit des Quäkers einen Anstrich frommer Einfachheit, und war mit so viel ächter Herzensgüte gepaart, als wollte der ehrliche Josua durch Freimüthigkeit die äußere Höflichkeit ersetzen. Die Manieren des Fischers aber waren die eines Mannes, der wohl vertraut mit den Regeln eines feinen Betragens zu sein schien, der aber, sei es aus Stolz oder aus Menschenfeindschaft, sie zu beobachten vernachlässigte. Doch gedachte ich seiner mit Interesse und Neugierde, trotz dem, daß er so manches Abstoßende in seinem Wesen hatte, und ich nahm mir vor, im Laufe des Gesprächs von dem Quäker zu erfahren, was er von ihm wüßte. Er aber lenkte das Gespräch auf einen andern Gegenstand und frug mich über meine eigene Lebensweise und über meine Absicht, warum ich diese entlegene Gränze besuchte.

Ich fand es nun für nöthig, meinen Namen zu nennen und hinzuzufügen, daß ich mich den Rechten gewidmet hätte, daß ich aber, weil ich unabhängig wäre, mir eine Erholung erlaubt hätte und nun in Shepherds Busch wohnte, um besser das Vergnügen zu angeln genießen zu können.

»Ich wünsche dir gewiß nichts Böses, junger Mann,« sagte mein neuer Freund, »wenn ich dir für deine ernsten Stunden eine bessere Beschäftigung und ein menschlicheres Vergnügen (wenn du doch Vergnügen suchst) für deine Erholungsstunden wünsche.«

»Ihr seid streng, Sir,« erwiderte ich – »denn vor einem Augenblick hörte ich erst, wie Ihr euch auf den Schutz der Landesgesetze berufen habt – gibt es also Gesetze und Rechte, so muß es doch auch Rechtsgelehrte geben, sie zu erklären, und Richter, um sie in Anwendung zu bringen.

Josua lächelte und zeigte auf die Schafe, welche eben auf der Wiese grasten, bei welcher wir vorbeigingen. »Käme jetzt ein Wolf unter diese Heerde, sie würden sich ohne Zweifel um den Schäfer und seinen Hund versammeln und um Schutz flehen; und doch werden sie täglich von ihm gebissen und geplagt, von jenem geschoren und zuletzt umgebracht. Doch sage ich das nicht, um dich zu beleidigen; denn obgleich Rechte und Rechtsgelehrte ein Uebel sind, so sind sie doch bei dem gegenwärtigen Zustande der Gesellschaft ein nothwendiges Uebel, bis endlich die Menschen lernen werden, aus dem eigenen Drange ihres Gewissens und aus keinem andern Grunde ihren Mitmenschen das zu geben, was ihnen gebührt. Doch habe ich rechtliche Männer gekannt, welche deinen zukünftigen Stand mit Geradheit und Rechtlichkeit verwalteten. Das Verdienst dessen ist um so viel größer, der aufrecht wandelt auf schlüpfrigem Pfade.«

»Und das Angeln –« sagte ich – »was könnt Ihr gegen dieses Vergnügen einwenden, Ihr, der, wenn ich anders das recht verstand, was zwischen Euch und meinem vormaligen Wirthe vorging, selbst Besitzer von Fischereien seid?«

»Nicht gerade ein Besitzer,« erwiderte er, »ich bin nur mit Anderen dabei betheiligt, ein Pachter, wenn du so willst, einer etwas bedeutenden Salmfischerei am unteren Ende der Küste. Aber mißverstehe mich nicht. Das Schlimme beim Angeln, worunter ich auch alle Arten der Jagd, wie man es nennt, verstehe, welche das Leiden des Thieres bezweckt, besteht nicht im bloßen Fangen und Tödten der Thiere, mit welchen die Güte der Vorsehung die Erde zum Besten der Menschen bevölkerte, sondern darin, daß man aus ihren Leiden einen Gegenstand des Vergnügens und des Genusses macht. Ich betreibe diese Fischerei, nemlich das nothwendige Fangen, Tödten und Verkaufen der Fische gerade so, wie ich, wenn ich ein Pächter wäre, meine Lämmer zu Markt schicken würde. Doch würde ich eben so leicht darauf verfallen, Freude am Metzgerhandwerk zu finden, wie an dem eines Fischers.«

Wir berührten diesen Punkt nicht weiter; denn wenn ich schon seinen Grund für allzu streng hielt, so sprach mich doch mein Gewissen von jeder andern Freude, außer der an der Theorie der Feldjagd frei; darum fühlte ich also keinen Beruf in mir, eine Beschäftigung, welche mir noch so wenig Freude gewährt hatte, zu vertheidigen.

Wir waren während der Zeit an den Ueberbleibseln des alten Wegweisers vorbeigekommen, den mein Wirth vorher als Markstein bezeichnet hatte. Ich ging über eine verfallene hölzerne Brücke, welche auf langen, krückenähnlichen Pfosten ruhte, während mein neuer Freund aufwärts eine sichere Furt zum Durchreiten suchte; denn der Strom war bedeutend angeschwollen.

Als ich ihn am jenseitigen Ufer erwartete, beobachtete ich einen Angler, welcher eine Forelle nach der anderen fast so schnell fing, als er die Schnur auswarf. Ich gestehe, daß ich mich trotz meines Freundes Josua's Vorlesungen über Humanität nicht enthalten konnte, seine Gewandtheit und seinen guten Erfolg zu beneiden; so natürlich ist unserem Gemüthe die Liebe zur Jagd, oder wir gewöhnen uns vielmehr so leicht daran, einen glücklichen Erfolg der Feldjagd mit einer Idee von Vergnügen und mit dem Lob, welches der Gewandtheit und Geschicklichkeit gebührt, zu verbinden. Bald erkannte ich in dem glücklichen Angler den kleinen Benjie, der, wie du aus meinen früheren Briefen ersehen hast, mein Lehrer und Unterweiser in dieser edlen Kunst war.

Ich rief – ich pfiff – der Bursche erkannte mich, und als hätte ich ihn auf einem Verbrechen ertappt, schien er zu schwanken, ob er sich nähern oder fortlaufen sollte; als er sich zu dem Ersteren entschloß, bestürmte er mich mit einem lauten, lärmenden und übertriebenen Bericht über die Angst, welche sich aller Bewohner von Shepherd's Busch meiner persönlichen Sicherheit wegen bemächtigt hätte. Wie meine Gastwirthin geweint, wie Sam und der Hausknecht das Herz nicht gehabt hätten, sich in's Bett zu legen, sondern die ganze Nacht beim Krug geblieben wären – und endlich, wie er selbst lange vor Tagesanbruch aufgestanden sei, um Erkundigungen über mich einzuziehen.

»Wahrscheinlich plätschertest du im Wasser,« sagte ich, »um meinen Leichnam auszufischen?«

Der ertappte Sünder stotterte ein verlegenes Nein, doch fügte er sogleich mit seiner natürlichen Unverschämtheit und im Vertrauen auf meine Güte hinzu, er glaube, eine oder zwei Forellen würden mir wohl zum Frühstück behagen, und weil das Wasser gerade zum Fischfang so geeignet wäre, so hätte er sich nicht enthalten können, die Angel auszuwerfen.

»Während mir in diesem Wortwechsel begriffen waren, kam der würdige Quäker am anderen Ende der Brücke zurück, um mir zu sagen, daß er es nicht wagen könnte, bei seiner jetzigen Größe durch den Bach zu reiten, sondern daß er gezwungen wäre, eine steinerne Brücke aufzusuchen, welche eine und eine halbe Meile oberhalb seiner Wohnung läge. Er wollte mir zeigen, wie ich den Weg ohne ihn finden und seine Schwester auskundschaften könnte, als ich ihm den Gedanken einflößte, er solle, wenn er es für gut hielte, sein Pferd dem kleinen Benjie anvertrauen, der es über die Brücke führen könnte, während wir auf dem kürzeren, lieblicheren Wege zu Fuß nach seiner Wohnung gingen.

Josua schüttelte den Kopf; denn er kenne, sagte er, den kleinen Benjie als den größten Taugenichts in der Umgegend. Dennoch aber, um mich nicht zu verlassen, willigte er darin ein, sein Pferd auf eine kurze Zeit seiner Obhut anzuvertrauen; doch ermahnte er ihn ernstlich, das Pferd ja nicht zu besteigen, sondern den Salomon (so hieß das Pferd) hübsch am Zügel zu führen, wogegen er ihm ein Sechspence-Stück bei guter Besorgung, aber Züchtigung beim Uebertreten seiner Befehle versprach, »er sollte dann gewiß gepeitscht werden.«

Versprechungen kosteten meinen Benjie wenig, er gelobte noch mehr, als man verlangte, bis ihm der Quäker endlich die Zügel überließ, indem er seinen Auftrag wiederholte und ihm mit den Fingern drohte. Ich meiner Seits trug dem Benjie auf, die Fische, welche er gefangen hatte, in Mount Sharon zu lassen, indem ich mich zugleich bei meinem neuen Freunde entschuldigte, da ich nicht wissen konnte, ob ihm als einem Gegner der Jagd und des Fischfangs eine solche Höflichkeitsbezeugung willkommen wäre.

Er verstand mich sogleich und rief mir seine Definition von dem Unterschied in's Gedächtniß zurück, der zwischen dem Fangen eines Thiers zur grausamen Lust und zwischen der gesetzmäßigen Nahrung obwalte, wann es getödtet wäre. Was Letzteres betraf, so hegte er keinen Gewissenszweifel darüber, sondern versicherte mich im Gegentheil, dieser Bach enthalte die wahre Art der rothen Forellen, welche von allen Kennern so geschätzt würden, und denen, (wenn sie nach einer Stunde, nachdem sie gefangen wurden, gegessen werden,) eine eigene Festigkeit des Fleisches und ein Wohlgeschmack eigen wäre, die sie zu einer willkommenen Zugabe eines Frühstücks machte, besonders wenn es wie das unsrige durch Frühaufstehen und kräftige körperliche Bewegung gewürzt würde.

Sei nur ruhig, Allan, noch haben wir die Fische nicht ohne ferneres Abenteuer verzehrt. Lediglich und allein um deine Geduld und meine Augen zu schonen, schließe ich diesen Brief und verweise dich über den weiteren Hergang meiner Geschichte auf meinen folgenden Brief.


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