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Nun weint sie nicht länger, die Thrän' ist versiegt,
Es ist die Verzweiflung, die starr auf ihr liegt.
Sie wähnt sich verborgen, da bleich sie vergeht,
So wie ihr die Rose nach Hagelschlag seht.
Der Zustand Minna's glich sehr dem der Dorfheldin in Lady Ann' Lindsay's schöner Ballade. Ihre natürliche Geisteskraft ließ sie nicht unter der Last des schrecklichen Geheimnisses erliegen, das sie wachend verfolgte, und das sie während ihres unterbrochenen und leisen Schlummers noch mehr quälte. Es gibt keinen so nagenden Kummer, als den, welchen wir nicht mittheilen können, und wobei wir weder Theilnahme verlangen, noch wünschen dürfen; wenn zu diesem dann noch die Last eines schuldbeladenen Geheimnisses kommt, das ein unschuldiges Herz wagen muß, so ist es in der That nicht zu verwundern, wenn Minna's Gesundheit bei diesen Umständen erlag.
Ihren Freunden schienen ihr Wesen und Benehmen und selbst ihre Gemüthsart so außerordentlich verändert, daß es nicht auffallen konnte, wenn Einige diese Umwandlung einer Behexung, Andere einer beginnenden Verstandsverwirrung zuschrieben. Es war ihr unmöglich, die Einsamkeit zu ertragen, in der sie früher ihre angenehmsten Stunden zugebracht hatte, und wenn sie sich in die Gesellschaft mischte, so schloß sie sich weder derselben an, noch gab sie auf das Acht, was vorging. Gewöhnlich war sie in düsteres, sogar finsteres Nachdenken versunken, bis ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch die zufällige Nennung der Namen Cleveland oder Mordaunt Mertoun erregt wurde, bei denen sie auffuhr, mit dem Schrecken, den Jemand verräth, der die brennende Lunte an eine geladene Mine halten sieht, und jeden Augenblick erwartet, durch ihr Aufstiegen verschüttet zu werden. Und wenn sie bemerkte, daß man das Geheimniß noch nicht entdeckt habe, so war dieß so wenig ein Trost für sie, daß sie beinahe zu wünschen anfing, das Aergste möge schon offenbar geworden sein, damit sie nur nicht die fortdauernde Qual der Ungewißheit erdulden müsse.
Ihr Betragen gegen ihre Schwester war so ungleich, aber gewöhnlich so peinlich für die gutherzige Brenda, daß es allen Beobachtern als einer der hervorstechendsten Züge ihrer Krankheit erschien. Zuweilen fühlte sich Minna angetrieben, die Gesellschaft ihrer Schwester zu suchen, wie im Bewußtsein, daß sie Beide gemeinschaftlich an einem Unglück litten, dessen ganzen Umfang nur sie zu fassen im Stande sei; dann aber ließ das Gefühl des Unrechts, welches Brenda durch Clevelands muthmaßliche Veranlassung erlitten, sie nicht länger in ihrer Nähe bleiben, und noch weniger auf die Trostsprüche hören, durch welche ihre Schwester, aus Unwissenheit über die Beschaffenheit ihrer Krankheit, sie vergeblich zu beruhigen suchte. Sehr häufig ereignete es sich auch, daß Brenda, während sie ihre Schwester beschwur, sich zufrieden zu geben, unversehens eine Saite berührte, welche bis in das Innerste ihrer Seele widertönte, so daß Minna, unfähig, ihre Pein länger zu ertragen, aus dem Zimmer stürzte. Alle diese verschiedenen Gemüthsbewegungen ertrug Brenda mit unwandelbarer Geduld, obgleich sie Jedem, der mit ihrer wahren Quelle unbekannt war, als Launen einer unfreundlichen Entfremdung erschienen, so daß Minna häufig an ihrem Halse Thränenströme vergoß, und wenn diese Augenblicke auch durch die Erinnerung verbittert wurden, daß ihr unseliges Geheimniß sowohl Brenda's Glückseligkeit, als die ihrige, zerstöre, doch vielleicht, durch die schwesterliche Liebe versüßt, zu den erträglichsten dieser qualvollen Zeit ihres Lebens gehörten.
Die Wirkungen von der Abwechselung träumender Schwermuth, furchtbarer Bewegung und von den Ausbrüchen krampfhaften Gefühles, zeigten sich bald auf dem Gesichte und in der Gestalt des armen Mädchens. Sie wurde blaß und mager; ihr Auge hatte nicht mehr den festen, ruhigen Blick des Glückes und der Unschuld, und erschien abwechselnd trübe oder wild, je nachdem das allgemeine Gefühl ihres eigenen traurigen Zustandes, oder eine tiefer dringende, quälende Angst auf sie einwirkte. Selbst ihre Züge schienen sich zu verändern und scharf und schneidend zu werden, und ihre Stimme, welche sonst sanft und mild gewesen war, sank jetzt bald zu einem unverständlichen Gemurmel herab, bald erhob sie sich über den natürlichen Ton, zu dem eines heftigen, abgebrochenen Ausrufs. Wenn sie in Gesellschaft mit Andern war, so beobachtete sie ein finsteres Stillschweigen, und ging sie in die Einsamkeit, so hörte man (da man es jetzt für nöthig hielt, sie bei solchen Gelegenheiten scharf zu beobachten) wie sie oft mit sich selbst sprach.
Vergebens nahm Minna's besorgter Vater zu der Heilkunde der Inseln seine Zuflucht. Weise beiderlei Geschlechtes, welche die Kräfte jedes Krautes kannten, das den Thau trinkt, und diese noch durch mächtige Worte vermehrten, welche sie bei der Bereitung und Anwendung der Arzneien aussprachen, wurden ohne Nutzen befragt, und Magnus sah sich in der äußersten Noth endlich gezwungen, zu dem Rathe seiner Verwandten, Norna von Fitful-Head, seine Zuflucht zu nehmen, obgleich die Umstände, deren wir im Laufe der Erzählung gedachten, einige Kälte zwischen ihnen herbeigeführt hatten. Sein erster Versuch war vergeblich; – Norna befand sich damals an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte, am Meeresufer, nahe an dem Vorgebirge, nach welchem sie sich nannte, aber obgleich Erik Scambester selbst die Botschaft überbrachte, weigerte sie sich doch entschieden, ihn zu sehen, oder irgend eine Antwort zu geben.
Magnus war über die Nichtachtung, mit welcher sein Bote und seine Botschaft behandelt wurden, höchlich entrüstet; allein seine Besorgniß für Minna, so wie die Achtung, die er vor Norna's wirklichem Unglück und der ihr beigemessenen Weisheit und Macht hatte, hielten ihn dießmal ab, sich seiner gewöhnlichen Reizbarkeit zu überlassen. Im Gegentheil entschloß er sich, seiner Verwandten sein Anliegen in eigener Person vorzutragen. Diesen Vorsatz behielt er indeß für sich, und bat nur seine Töchter, sich bereit zu halten, ihm bei einem Besuche, den er einem Verwandten abstatten wollte, welchen er seit einiger Zeit nicht gesehen, zu begleiten, und gab ihnen dabei die Weisung, einige Vorräthe mitzunehmen, da die Reise weit sei, und man den Freund vielleicht auf ihre Bewirthung nicht vorbereitet fände.
Nicht gewohnt, nähere Erläuterungen über seine Befehle zu verlangen, und in der Hoffnung, daß die Bewegung und Unterhaltung eines solchen Ausfluges ihrer Schwester heilsam sein würde, ließ Brenda, auf welcher jetzt alle Sorgen des Hauswesens und der Familie lasteten, die nöthigen Anstalten zur Reise treffen. Schon der nächste Morgen sah sie auf dem langen und ermüdenden Wege über Ufergrund und Moorland, welche nur durch einzelne Hafer- und Gerstenfelder – da, wo man etwas Boden zum Anbau ausgewählt hatte – Abwechselung bekam und Burgh-Westra von der südwestlichen Spitze des Festlandes (wie die Hauptinsel genannt wird) schied, welche in das Vorgebirge Fitful-Head ausläuft, so wie die südöstliche sich in das Vorgebirge Samburgh endet.
So zogen sie dahin über Feld und durch öde Gegend, der Udallar auf einem starken, mächtigen, wohlgefütterten Gaul von norwegischer Zucht, der etwas größer, aber eben so stämmig, als die gewöhnlichen Landpferde war, während Minna und Brenda, welche, außer andern Vollkommenheiten, auch die besaßen, gute Reiterinnen zu sein, zwei der tüchtigen Thiere ritten, welche mit mehr Sorgfalt, als man hier gewöhnlich auf sie verwendete, gefüttert und gezogen, sowohl durch die Zierlichkeit ihrer Gestalt, wie durch ihre Lebhaftigkeit, bewiesen, daß die so sehr und so unverantwortlich vernachlässigte Rasse sicher auch zu äußerer Schönheit aufgezogen werden könne, ohne deßwegen etwas von ihrem Feuer und ihrer Kraft zu verlieren. Sie waren von zwei Bedienten zu Pferde und von zweien zu Fuße begleitet, welche Letztere man mitgenommen hatte, weil dadurch die Reise nicht aufgehalten werden konnte, da ein großer Theil des Weges entweder klippig oder so morastig war, daß die Pferde nur Schritt gehen konnten, und sie, wenn man an eine längere Strecke harten und ebenen Bodens kam, nur von der nächsten Heerde ein paar Pferde nehmen durften, um sich beritten zu machen.
Die Reise war höchst traurig, und es wurde selten gesprochen, ausgenommen, wenn der Udallar, von Ungeduld und Aerger angereizt, seinen Gaul zum schnelleren Gange antrieb, ihn aber sogleich, Minna's schwache Gesundheit bedenkend, wieder anhielt, und wiederholt fragte, wie sie sich befände, und ob die Reise sie auch nicht zu sehr anstrenge. Zu Mittag hielt die Gesellschaft an, und nahm einige der Erfrischungen zu sich, von denen man einen starken Vorrath mitgenommen hatte. Dieß geschah an einem freundlichen Quell, dessen Wasser aber, trotz seiner Klarheit, dem Gaumen des Udallars nicht eher zusagen wollte, als bis er es durch Beimischung von einem reichlichen Theile ächten Franzbranntweins schmackhaft gemacht hatte. Nachdem er zum zweiten, ja, zum dritten Male einen großen, silbernen Reisebecher gefüllt hatte, auf dem in erhabener Arbeit ein niederländischer Cupido, der eine Pfeife raucht, und ein niederländischer Bacchus, der seine Flasche einem Bären in den Rachen gießt, zu sehen waren, wurde er gesprächiger, als der Aerger es ihm bisher erlaubt hatte, und redete seine Töchter folgendermaßen an:
»Nun, Kinder, wir sind nur noch eine oder zwei Meilen von Norna's Wohnung entfernt, und wir wollen sehen, wie die alte Zaubersprecherin uns empfangen wird.«
Minna unterbrach ihren Vater durch einen schwachen Laut, während Brenda sehr überrascht ausrief: »Also Norna sollen wir diesen Besuch abstatten? – Das verhüte der Himmel!«
»Und warum soll der Himmel es verhüten?« sagte der Udallar, indem seine Augenbrauen sich zusammenzogen; »warum, möchte ich wohl wissen, sollte der Himmel es verhüten, daß ich meine Verwandte besuche, deren Erfahrung deiner Schwester sehr nützlich werden kann, wenn irgend eine Frau oder ein Mann auf Shetland ihr noch zu helfen im Stande ist? Du bist eine Närrin, Brenda; deine Schwester hat mehr Ueberlegung. – Sei heiter, Minna! Du hattest ihre Gesänge und Erzählungen immer gern, und hingst an ihrem Halse, wenn die kleine Brenda weinte, und vor ihr lief, wie ein spanisches Kauffahrteischiff vor einem holländischen Kaper die Flucht nimmt.«
»Ich wünsche, daß sie mir heute nicht wieder solchen Schrecken einjagen mag,« erwiderte Brenda, welche zugleich der Schwester eine Antwort ersparen, und ihrem Vater durch die Fortführung der Unterhaltung gefällig sein wollte; »ich habe so viel von ihrer Wohnung erzählen hören, daß mich der Gedanke erschreckt, uneingeladen dahin gehen zu müssen.«
»Du bist eine Närrin,« sagte Magnus, »wenn du glaubst, daß ein Besuch von Verwandten einem wohlwollenden, aufrichtigen, hialtländischen Herzen, wie das meiner Base Norna ist, ungelegen kommen könnte. Ja, und nun ich es genauer überlege, so war wohl das gerade die Ursache, warum sie Erik Scambester nicht annehmen wollte! – Es ist lange, lange Zeit her, daß ich ihre Esse nicht habe rauchen sehen, und euch habe ich nie mit hierher genommen. – Sie hat nicht ganz unrecht, wenn sie mich unfreundlich schilt. Aber ich werde ihr die Wahrheit geradezu sagen – und das ist, daß ich es, wenn es gleich Mode ist, dennoch nicht für Fug und Recht halte, einzelnen Frommen Alles wegzuessen, wie wir es bei den andern Udallarn thun, wenn wir uns im Winter von einem Hause zum andern wälzen, bis wir wie ein Schneeball angewachsen sind, und Alles verzehren, wohin wir kommen.«
»Dießmal dürfen wir nicht fürchten, Norna in irgend eine Verlegenheit zu setzen,« sagte Brenda, »denn wir haben reichlichen Vorrath von alle Dem bei uns, dessen wir möglicherweise bedürfen könnten: Fische und Speck, und gepökeltes Hammelfleisch und getrocknete Gänse – mehr, als wir in einer ganzen Woche verzehren könnten, und dann noch genug zu trinken, für dich, Vater.«
»Recht, recht, mein Kind!« sagte der Udallar. »Ein wohlversehenes Schiff macht immer eine fröhliche Reise; so werden wir uns von Norna also nur ein Obdach und etwas Betten für euch zu erbitten haben, denn was mich betrifft, so ist mir mein Mantel und ehrliche, trockene norwegische Dielen zum Lager, weit lieber, als Eure Eiderdaunen-Kissen und Matratzen. So wird also Norna das Vergnügen haben, uns zu sehen, ohne daß es ihr einen Stüber Kosten macht.«
»Ich wünsche, sie möchte es für ein Vergnügen halten, Vater,« antwortete Brenda.
»Was will das Mädchen damit sagen, in des Märtyrers Namen!« erwiderte Magnus Troil. »Denkst du, meine Verwandte ist eine Heidin, daß sie sich nicht freut, ihr eigenes Fleisch und Blut zu sehen? – Ich wollte, wir hätten dieß Jahr eben so gewiß einen guten Fischfang. – Nein, nein, ich fürchte nur, daß wir sie nicht zu Hause finden, denn sie wandert oft herum, und denkt dabei nur zu sehr an das, was sich doch einmal nicht ändern läßt.«
Minna seufzte tief auf, während ihr Vater sprach, und der Udallar fuhr fort:
»Seufzest du darüber, mein Kind? – Das ist der Fehler der halben Welt – laß ihn dir nie zu Schulden kommen, Minna.«
Ein zweiter unterdrückter Seufzer deutete an, daß die Warnung zu spät komme.
»Ich glaube wahrhaftig,« sagte der Udallar, indem er ihr in das bleiche Gesicht sah: »Du fürchtest dich eben so vor meiner Base, wie Brenda? Wenn das ist, so sag' es frei heraus, und wir wollen zurückkehren, als ob wir den Wind mit uns hätten, und fünfzehn Knoten in der Stunde segelten.«
»Ja, laß uns zurückkehren, Schwester, um des Himmels willen!« sagte Brenda flehend. »Du weißt – du erinnerst dich – und es muß dir ja einleuchten, daß Norna nichts thun kann, dir zu helfen.«
»Das ist wohl wahr,« sagte Minna mit gedämpfter Stimme, »aber ich weiß nicht – sie kann mir vielleicht eine Frage beantworten, die nur der Elende dem Elenden thun kann.«
»Meine Verwandte ist nicht elend,« sagte der Udallar, der nur den Anfang der Rede gehört hatte; »sie hat ein gutes Einkommen, sowohl auf Orkney, als hier, und manches schöne Ließpfund Butter wird ihr entrichtet. Aber die Armen stehen sich dabei am besten, und Schande über den Shetländer, der es ihnen nicht gönnt; das Uebrige gibt sie, ich weiß nicht wie, auf ihren Reisen aus. Aber ihr werdet gewiß lachen, wenn ihr ihr Haus sehet, und Nick Strumpfer, den sie Pacoletynennt – viele Leute denken, Nick ist der Teufel – aber er hat Fleisch und Blut wie wir, sein Vater wohnt in Gremsay – ich freue mich recht sehr, Nick wieder zu sehen.«
Während der Udallar sprach, überlegte Brenda, welche zur Entschädigung für den geringeren Antheil an Einbildungskraft in Vergleich mit dem ihrer Schwester, viel gesunden Verstand besaß, bei sich selbst, welchen Einfluß dieser Besuch auf Minna's Gesundheit haben dürfte, und kam endlich zu dem Entschlusse, bei der ersten Gelegenheit, welche sich auf der Reise darbieten würde, heimlich mit ihrem Vater darüber zu reden. Ihm beschloß sie das ganze Geheimniß ihrer nächtlichen Zusammenkunft mit Norna zu entdecken – der sie Minna's Niedergeschlagenheit zuschrieb – und ihn selbst wollte sie dann urtheilen lassen, ob er einer so sonderbaren Frau einen Besuch abstatten und seine Tochter der Erschütterung aussetzen wollte, welche ihre Nerven leicht durch die Zusammenkunft erleiden könnten.
In dem Augenblicke, wo sie diesen Entschluß gefaßt hatte, trank ihr Vater, indem er mit der einen Hand seine mit Tressen besetzte Weste von den Brodkrumen säuberte, und mit der andern einen vierten Becher mit Branntwein und Wasser zum Munde führte, andächtig auf den guten Erfolg der Reise, und befahl, daß sich Alle in Bereitschaft halten sollten, diese fortzusetzen. Während die Klepper gesattelt wurden, suchte Brenda ihrem Vater mit einiger Mühe zu verstehen zu geben, daß sie ihn heimlich zu sprechen wünsche – etwas, das den ehrlichen Udallar sehr überraschte, der, wenn gleich verschwiegen wie das Grab, bei den wenigen Dingen, wo er das Geheimhalten als eine Sache von Wichtigkeit ansah, im Ganzen Alles so wenig geheim behandelte, daß die wichtigsten Angelegenheiten oft von ihm ganz öffentlich, in Gegenwart seiner ganzen Familie, die Diener miteingeschlossen, verhandelt wurden.
Sein Erstaunen wuchs indeß noch, als er, absichtlich mit seiner Tochter Brenda im Kielwasser der andern Reiter, wie er es nannte, zurückbleibend, die ganze Erzählung von Norna's Besuch in Burgh-Westra und von den wunderbaren Sachen vernahm, die sie seinen Töchtern mitgetheilt hatte. Lange Zeit konnte er nichts als einzelne Ausrufungen hervorbringen, dann schloß er mit tausend Flüchen auf die Thorheit seiner Verwandtin, seinen Töchtern eine solche Schreckensgeschichte zu erzählen.
»Ich habe sehr oft gehört,« sagte der Udallar, »daß sie bei aller ihrer Weisheit und ihrer Kenntniß von den Jahreszeiten, doch verrückt sei, und bei den Gebeinen meines Namensverwandten, des Märtyrers, ich fange nun wirklich an, es zu glauben. Ich weiß jetzt eben so wenig zu steuern, als ob mein Kompaß verloren gegangen wäre. Hätte ich das gewußt, ehe wir die Reise antraten, so glaub' ich, wäre ich zu Hause geblieben; da wir aber jetzt schon zu weit sind, und Norna uns erwartet ...«
»Erwartet? Vater, ist das möglich?«
»Nun, das weiß ich nicht – aber wer da weiß, wie der Wind wehen wird; der wird auch voraus wissen, welchen Weg wir nehmen wollen. Man muß sie nicht aufbringen; vielleicht hat sie meiner Familie die Uebel wegen des Streites zugefügt, den ich mit ihr über den Burschen Mordaunt Mertoun hatte, und ist dem so, so kann sie es wieder von uns nehmen, und das soll sie thun müssen, oder, ich will wenigstens wissen, warum sie es gethan hat. Erst will ich aber den Weg der Güte versuchen.«
Da Brenda fand, daß die Fortsetzung der Reise unwiderruflich beschlossen sei, suchte sie jetzt zunächst von ihrem Vater zu erfahren, ob Norna's Erzählung sich auf wirkliche Thatsachen gründe. Er schüttelte den Kopf, seufzte tief, und bestätigte mit wenig Worten die Wahrheit des Ganzen, insofern es ihr Verhältniß mit einem Fremden betraf; auch ihres Vaters Tod, dessen zufällige und ganz unschuldige Ursache sie geworden, sei eine traurige, aber unbezweifelbar wahre Thatsache. Was ihr Kind beträfe, sagte er, so habe er nie erfahren können, was aus dem geworden sei.
»Ihr Kind!« rief Brenda aus; »sie sagte kein Wort von einem Kinde!«
»So wollt' ich, meine Zunge wäre eher verdorrt, als daß ich es dir gesagt hätte,« rief der Udallar. »Ich sehe wohl, daß die Männer, sie mögen jung oder alt sein, euch Weibern eben so wenig Geheimnisse verschweigen können, als der Aal in seinem Schlupfwinkel bleiben kann, wenn er mit einer Schnur von Pferdehaar gehascht wird – der Fischer bringt ihn später oder früher aus seinem Loche, wenn er einmal die Schlinge um den Hals hat.«
»Aber das Kind, lieber Vater?« sagte Brenda, welche die genaueren Umstände dieser außerordentlichen Begebenheit jetzt weiter verfolgte, »was wurde aus dem?«
»Wahrscheinlich schleppte es der Schurke Vaughan hinweg,« antwortete der Udallar mit rauhem Tone, dem es deutlich anzuhören war, wie müde er der Sache sei.
»Vaughan?« sagte Brenda, »gewiß der armen Norna Geliebter! Was für ein Mann war er, Vater?«
»Wahrscheinlich ein Mann, wie andere,« antwortete der Udallar; »ich habe ihn in meinem Leben nie gesehen. Er ging mit den schottischen Familien in Kirkwall um, und ich mit den guten alten norwegischen Leuten. – Ach, wäre Norna immer bei ihren Verwandten geblieben, und hätte sich nicht immer zu ihren schottischen Bekanntschaften gehalten, so hätte sie Vaughan nicht kennen lernen, und die Sachen möchten wohl anders gekommen sein – aber dann hätte ich auch deine selige Mutter nicht kennen lernen, Brenda, und das würde mir,« sagte er, indem eine Thräne in sein großes blaues Auge trat, »eine kurze Freude und einen langen Kummer erspart haben ...«
»Norna würde meiner Mutter Platz bei dir, Vater, als Gefährtin und Freundin, nach alle Dem, was ich gehört habe, nicht wohl ausgefüllt haben,« – sagte Brenda nach einigem Zögern. Aber Magnus, der durch die Erinnerung an sein geliebtes Weib erweicht war, antwortete ihr mit mehr Milde, als sie erwartete.
»Ich würde damals gegen eine Heirath mit Norna nichts einzuwenden gehabt haben. Ein alter Zwist wäre dadurch ausgeglichen – ein alter Schade geheilt worden. Alle unsere Blutsverwandten wünschten es, und so wie es damals mit mir stand, besonders da ich deine selige Mutter noch nicht gesehen, hatte ich ihren Beschlüssen wenig entgegenzusetzen. Du mußt von Norna oder von mir nicht nach dem urtheilen, was wir jetzt sind – sie war jung und schön, ich fröhlich, wie ein hochländisches Reh, und wenig darum bekümmert, in welchen Hafen ich einlief, da ich, wie ich meinte, mehr als einen im See hatte. Norna zog indeß diesen Vaughan vor, und dieß war, wie ich dir vorhersagte, vielleicht der beste Freundschaftsdienst, den sie mir erweisen konnte.«
»Die arme Base!« sagte Brenda. »Aber glaubst du, Vater, an die große Macht, die sie zu besitzen vorgibt? – an das geheimnißvolle Gesicht des Zwerges – an das ...?«
Hier unterbrach sie Magnus, dem diese Fragen zu mißfallen schienen.
»Ich glaube, Brenda,« sagte er, »was meine Väter glaubten. – Ich will nicht klüger sein, als sie es zu ihrer Zeit waren, und sie glaubten Alle, daß in Fällen großen irdischen Elends die Vorsicht die Augen des Geistes öffne, und den Leidenden einen Blick in die Zukunft gestatte. Dieß war nur ein Richten des Boots, mit Ehrfurcht gesagt (hier faßte er ehrfurchtsvoll an seinen Hut), und nachdem sie allen Ballast über Bord geworfen hatte, ist die arme Norna noch so schwer im Bug beladen, wie eine Jölle von Orkney beim Seehunds-Fang. – Sie hat so viel Kummer an Bord, daß er alle die Gaben aufwiegen muß, die sie in ihrem Unglück empfangen hat. Diese sind für das arme Geschöpf so schmerzvoll, wie eine Dornenkrone für ihre Stirne sein würde, wäre sie auch das Zeichen des Königreichs Dänemark. Auch du, Brenda, mußt nicht klüger sein wollen, als deine Väter. Deine Schwester Minna hatte, ehe sie so krank wurde, so viel Ehrfurcht vor Allem, was in norwegischer Sprache vorhanden war, als ob es in des Papstes Bulle gestanden hätte, die in ganz reinem Latein geschrieben ist.«
»Die arme Norna,« wiederholte Brenda; »und ihr Kind – wurde es wieder gefunden?«
»Was weiß ich von ihrem Kinde?« sagte der Udallar, noch rauher, als vorher; »mir ist nur so viel bekannt, daß sie sowohl vor als nach der Geburt sehr krank war, obgleich wir sie durch Pfeife, Harfe u. s. w. so viel als möglich aufzuheitern suchten. Das Kind war vor der Zeit auf diese unruhige Welt gekommen, und so ist es wahrscheinlich, daß es schon längst starb. Aber du weißt ja nichts von diesen vielen Dingen, also laß mich zufrieden, und frage mich nicht weiter über Sachen, nach denen du dich schicklicherweise nicht erkundigen darfst.«
Mit diesen Worten gab der Udallar seinem muthigen kleinen Gaule die Sporen, und trabte über Stock und Block dahin, während des Gaules fester Tritt alle Schwierigkeiten des Weges überwand; er war bald an der Seite der trübsinnigen Minna, und ließ sich nun mit ihrer Schwester nicht weiter in ein Gespräch ein, als wenn er Beiden etwas zu sagen hatte. Brenda tröstete sich jetzt nur mit der Hoffnung, daß Minna's Krankheit ihren Sitz in der Einbildungskraft habe, und daß die von Norna empfohlenen Mittel vielleicht einige Wirkung hervorbringen würden, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach danach berechnet sein würden.
Der Weg hatte sie bisher meistens über Moos und Moor geführt. Diese Einförmigkeit war nur zuweilen durch die Nothwendigkeit unterbrochen worden, einen Umweg um die obern Enden der langen Lagunen, Voes genannt, zu machen, welche so in's Land eingreifen, und es durchschneiden, daß es, wenn auch das Festland von Shetland dreißig Meilen lang ist, vielleicht keine Gegend gibt, welche drei Meilen vom Seewasser entfernt wäre. Jetzt hatten sie indeß das südwestliche Ende der Insel erreicht, und zogen nun an einem ungeheuern Gebirgrücken hin, der seit Jahrhunderten der Wuth des nordischen Oceans und aller Winde, von denen er gepeitscht wird, Trotz geboten hatte.
Endlich rief Magnus seinen Töchtern zu: »Dort ist Norna's Wohnung! – Sieh' hin, Minna, meine Liebe; denn wenn das dich nicht zum Staunen bringt, so weiß ich nicht, was es thun soll. Wahrhaftig! nur ein Meeradler hätte sich ein solches Nest, wie dieß ist, bauen können! Bei den Gebeinen meines Namensverwandten, es gibt nichts Aehnliches, worin ein lebendes Wesen je gewohnt hätte (das heißt, ohne Flügel, und mit dem völligen Gebrauche seiner Vernunft), wenn es nicht etwa der Fraw-Stack Der Fraw-Stack oder Mädchen-Felsen ist eine unzugängliche, durch einen schmalen Meerbusen von der Insel Papa getrennte Klippe, auf deren Spitze einige Trümmer sind, von denen man eine ähnliche Legende, wie die der Danae, erzählt. auf der Höhe von Papa ist, wo die Tochter des Königs von Norwegen vor allen ihren Liebhabern verschlossen war, was aber, wenn die Geschichte wahr ist, doch Alles zu nichts half; denn, Mädchen, Ihr müßt wissen, es ist schwer, den Flachs von der Flamme fern zu halten.«