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Achtes Kapitel.

 

Verloren ist für mich all' diese Wonne;
Vernunft und Zeit, die mußten sie verleiden.
Nicht mehr wird sich, sobald die Gluth der Sonne
Im Thau erlischt, mein Blick an ihnen weiden!
Das Bild, das mir die Phantasie gebar,
Des Kirchhofs Geist, es schwand auf immerdar!

Die Bibliothek.

 

Der Sittendichter, dem wir das Motto für dieses Kapitel entlehnen, hat einen Gegenstand berührt, bei welchem die Gefühle der meisten Leser unwillkürlich mit anklingen. Wenn der Aberglaube nicht in der vollen Macht seiner Schrecken erscheint, sondern seine Hand ganz sanft auf das Haupt dessen legt, der sich vor ihm beugt, hat er gewisse Reize, die wir selbst auf den Stufen der menschlichen Gesellschaft, von welchen sein Einfluß durch das Licht der Vernunft und der allgemeinen Erziehung beinahe ganz verschwunden ist, vermissen. Wenigstens hatte in unwissenderen Zeiten sein System eingebildeter Schrecknisse für Gemüther, die sonst wenig erregt wurden, etwas Anziehendes. Dieß gilt noch ganz besonders von den leichteren Abstufungen abergläubischer Gefühle und Gewohnheiten, welche sich in die Vergnügungen früherer, ungebildeter Zeiten mischten, und welche, wie die Vorbereitungen am Abend vor Allerheiligen, theils als Scherz, theils als wahrer und prophetischer Ernst angesehen werden. Mit ähnlichen Gefühlen sind noch in unsern Zeiten Leute von ziemlich guter Erziehung aus Spaß zu den Wahrsagern gegangen, und doch nicht immer mit vollem Unglauben an die Antworten, die sie erhalten.

Als die Schwestern von Burgh-Westra in das Zimmer traten, wo ein Frühstück genossen werden sollte, so reichlich wie das, welches wir am vorigen Morgen beschrieben, und nachdem sie von dem Udallar einen scherzenden Vorwurf über ihr spätes Erscheinen hatten hören müssen, fanden sie die Gesellschaft, von welcher die Meisten schon gefrühstückt hatten, mit einer alten norwegischen Sitte beschäftigt, von dem Charakter, wie wir so eben beschrieben.

Sie scheint aus den Gedichten der Skalden entlehnt worden zu sein, in denen Kämpen und Helden so oft beschrieben werden, wie sie von irgend einer Zauberin oder Wahrsagerin ihr künftiges Schicksal zu erfahren suchen, und – wie in Gray's Legende »die Erscheinung Odins« – durch die Kraft der runischen Reimsprüche die widerspenstige Verkünderin der Schicksalsbeschlüsse erweckt und sie zu Antworten gezwungen haben, welche oft sehr zweideutig waren, damals aber in dem Glauben standen, einen Schatten von den Begebenheiten der Zukunft anzudeuten.

Eine alte Sybille, Euphane Fea, die schon oben erwähnte Haushälterin, saß in der Vertiefung eines großen Fensters, die durch Bärenhäute und andere Behänge absichtlich verdunkelt worden war, so daß sie beinahe wie eine lappländische Hütte aussah und, wie ein Beichtstuhl, eine Oeffnung hatte, durch welche die darin sitzende Person die Fragen, die ihr gethan wurden, sehr gut hören, aber den oder die Fragende nicht sehen konnte. Hier sitzend, mußte die Voluspa oder Sybille auf die in Reimen vorgelegten Fragen, die man an sie richtete, eine Antwort aus dem Stegreife geben. Der Umhang sollte verhindern, zu sehen, von wem sie befragt wurde, und die absichtliche oder zufällige Beziehung, in welcher die unter solchen Umständen gegebene Antwort zu der Lage der Person stand, von welcher die Frage gethan wurde, gab oft Stoff zum Lachen; zuweilen aber auch, wie es sich traf, zu ernsthafter Betrachtung. Die Sybille wurde gewöhnlich darnach gewählt, wie sie das Talent des Improvisirens in norwegischer Dichtung besaß, eine Gabe, welche da nicht ungewöhnlich war, wo so Viele eine große Menge alter Verse auswendig wußten, und die Regeln des Versbaues so ungemein einfach waren. Auch die Fragen wurden in Versen gethan; da man aber die Fertigkeit des aus dem Stegreif Dichtens, wenn sie auch noch so gewöhnlich war, doch nicht als allgemein annehmen konnte, durfte sich jeder Fragende eines Dolmetschers bedienen, welcher den Gegenstand in Verse bringen mußte, während der, welcher das Orakel befragte, ihn bei der Hand hielt, und neben dem Orte stand, von wo die Aussprüche kamen.

Bei dieser Gelegenheit wurde Claudius Halcro einstimmig dazu erwählt, das Amt des Dolmetschers zu übernehmen. Der frohsinnige alte Mann schüttelte den Kopf, stammelte einige Entschuldigungen von Abnahme des Gedächtnisses und der poetischen Kräfte – welche indeß sein eigenes vertrauensvolles Lächeln und der allgemeine Widerspruch der Gesellschaft widerlegten, und schickte sich dann an, seine Rolle bei diesem Scherze zu übernehmen.

In dem Augenblicke aber, wo er anfangen wollte, litt die Rollenvertheilung eine sonderbare Veränderung. Norna von Fitful-Head, die Jedermann – die zwei Schwestern ausgenommen – meilenweit entfernt glaubte, trat plötzlich in das Zimmer, ohne zu grüßen, schritt majestätisch auf das Gezelt von Bärenfellen zu, und deutete der, welche darin saß, an, ihr Heiligthum zu verlassen. Die alte Frau kam hervor, schüttelte den Kopf und sah aus, wie Jemand, der von Furcht ganz überwältigt ist; auch gab es in der That unter den Anwesenden nur Wenige, welche mit voller Fassung die plötzliche Erscheinung einer Person sahen, die so allgemein bekannt und gefürchtet war, wie Norna.

Sie blieb einen Augenblick an dem Eingange des Zeltes stehen, und während sie das Fell aufhob, welches den Eingang bildete, sah sie nach Norden empor, als ob sie von dieser Gegend Begeisterung erwartete, deutete dann den erstaunten Gästen an, daß sie, Einer nach dem Andern, sich dem Gezelte nähern möchten, in welches sie sich niederlassen wollte, trat hinein, und war ihren Augen entschwunden.

Das war indeß eine Belustigung, welche man nicht auf solche Weise gewünscht hatte, und die den Meisten nun viel mehr nach Ernst als nach Scherz zu schmecken schien, so daß man sich eben nicht sehr dazu drängte, das Orakel zu befragen. Norna's Weise und Ansprüche schienen fast allen Anwesenden zu ernst für die Rolle, die sie zu spielen übernommen hatte. Die Männer flüsterten unter einander, und die Frauen gaben, wie Claudius Halcro meinte, ein Beispiel von der Schilderung des herrlichen Dryden:

»Vor Schrecken schaudernd, rennen sie zu Haufen.«

Die Pause wurde endlich durch die laute männliche Stimme des Udallars unterbrochen, welcher rief: »Warum geht das Spiel nicht fort, ihr Leute? Fürchtet ihr euch, weil meine Verwandte unsere Voluspa machen will? Es ist sehr freundlich von ihr, uns das zu Gefallen thun zu wollen, was Niemand auf der Insel so gut vermag, wie sie, und wir wollen deßwegen unsern Scherz nicht unterbrechen, sondern ihn nur desto lebendiger fortspielen.«

Nichts desto weniger dauerte aber die Pause in der Gesellschaft fort, und Magnus setzte daher hinzu: »Man soll nicht sagen können, daß meine Verwandte in ihrer Laube unbegrüßt sitzen müßte, als ob sie eine unserer alten Berg-Riesinnen wäre, und das zwar aus bloßer Furcht. Ich werde zuerst sprechen; da mir aber das Reimen jetzt schwerer von der Zunge geht, als wie ich noch zwanzig Jahre jünger war, müßt Ihr, Claudius Halcro, mir zur Seite stehen.«

Sie näherten sich nun Hand in Hand dem Schrein der sogenannten Sybille, und nach einer augenblicklichen Berathung sprach Halcro die Frage seines Freundes und Gönners folgendermaßen aus. (Man muß wissen, daß der Udallar, wie viele andere Leute von Bedeutung in Shetland, die, wie ihnen Sir Robert Sibbald bezeugt, sich schon damals auf Handel und Schifffahrt gelegt hatten, einen bedeutenden Antheil an dem Wallfischfange der Jahreszeit hatte, und daß der Barde deßwegen die Weisung erhalten hatte, in den Endvers eine Frage nach dessen Erfolg zu verweben.)

Claudius Halcro:

Mutter, düster, Mutter, graus,
Auf dem Fitful steht dein Haus!
Du kannst melden, was geschah,
Was nur je die Sonne sah!
Kannst durch Frost und Schnee erfahren,
Was in Grönland sie gewahren.
Ob wohl dort am eis'gen Strand
Unser Schiff den Wallfisch fand?
Mutter, düster, Mutter, graus,
Kommt das Schiff mit Thran nach Haus?

Der Scherz schien zum Ernst zu werden, als Alle die Köpfe hinwendeten, um auf die Stimme Norna's zu lauschen, welche in demselben Augenblicke aus dem Innersten des Zeltes, in dem sie saß, antwortete:

Norna:

Das Alter sinnt immer nur reicher zu werden,
Und will sich erfreuen an Fischen und Heerden.
Bei Fischen und Heerden in reichlicher Zahl,
Entgeht es doch nimmer den Thränen der Qual!

Es entstand jetzt eine augenblickliche Pause, während welcher Triptolemus Zeit hatte, zu flüstern: »Und wenn zehn Hexen und eben so viele Wahrsager es beschwören, so werde ich doch nie glauben, daß ein rechtlicher Mann sich den Bart zerreißen, oder sich überhaupt noch über Etwas grämen wird, so lange Vieh und Korn gedeihen, wie sie sollen.«

Die Stimme aus dem Zelte ertönte indessen abermals in ihren einförmigen Lauten, unterbrach dadurch diese Erläuterung, und ließ sich folgendermaßen vernehmen:

Norna:

Das Schiff, beladen mit stattlichem Gut,
Durchfurcht mit dem Kiel die eisige Fluth.
Gen Shetland wehet ein günst'ger Wind,
Um die Krone Diese ist ein künstlicher Kranz, aus Bändern von den jungen Frauenzimmern gemacht, welche an einem Wallfischfänger oder dessen Bemannung Theil nahmen; er wird gewöhnlich an dem Tauwerk befestigt, und mit großer Sorgfalt während der Reise zu erhalten gesucht. schlingt sich der Reigen geschwind.
Wohl sieben der Fische sind's, die man gefangen.
Ich sehe die Barten am Takelwerk Der beste Anthran wird aus den Kinnbacken des Wallfisches gewonnen, die man, um es zu sammeln, an den Masten des Schiffes aufhängt. hangen.
Zwei kamen nach Lerwick, nach Kirkwall zwei,
Jedoch nach Burgh-Westra die besten drei!

»Nun, die himmlischen Mächte mögen sich unser erbarmen und uns beschützen!« sagte Bryce Snailsfoot; »denn es ist mehr als Frauenverstand, der das herausgebracht hat. Ich traf in Nord-Ronaldscha Leute, die das gute Schiff, den Olaf von Lerwick, gesehen hatten, an dem unser würdiger Gönner einen so großen Antheil hat, daß man ihn beinahe den Eigenthümer desselben nennen kann, und sie hatten das Schiff mit dem Besen befragt Die Wallfischfänger haben unter einander eine Art von telegraphischem Signal, wonach eine gewisse Anzahl von Bewegungen, die mit einem Besen gemacht werden, einem andern Schiffe die Anzahl von Fischen angibt, welche es gefangen hat., und so wahr die Sterne am Himmel stehen, gab es sieben Fische an, gerade wie uns Norna in ihren Reimen verkündet.«

»Hm – gerade sieben Fische? und Ihr hörtet das in Nord-Ronaldscha?« sagte Capitain Cleveland, »und erzähltet das als eine Neuigkeit, als Ihr herkamt?«

»Es kam nie über meine Lippen, Capitain,« antwortete der Hausirer; »ich habe wohl manche Handelsleute, reisende Kaufleute und dergleichen gekannt, die ihren Handel vernachlässigten, um Klatschereien und Geträtsch hin und her, von einem Ende des Landes bis zum andern zu tragen, aber das ist nicht meine Art. Ich glaube nicht, es drei Leuten gesagt zu haben, daß der Olaf seine Ladung an Bord hat, seitdem ich nach Dunroßneß herübergekommen bin.«

»Wenn aber Einer von diesen Dreien die Neuigkeit wieder gesagt hat – und es ist zwei gegen Eins zu wetten, daß das geschah – so hat die alte Frau leicht zu prophezeihen.«

Cleveland sagte das zu Magnus Troil, aber ohne Beifall dafür zu empfangen. Des Udallars Achtung vor seinem Lande erstreckte sich auch bis auf dessen Aberglauben, und dieß war auch bei dem Antheil an seiner unglücklichen Verwandten der Fall; denn wenn er auch ihren Ansprüchen auf übernatürliches Wissen keinen ausdrücklichen Glauben schenkte, so wollte er dieß wenigstens von Andern nicht in Zweifel ziehen lassen.

»Norna, seine Base,« sagte er mit einem besondern Nachdrucke auf dieß Wort, »stehe in keiner Gemeinschaft mit Bryce Snailsfoot oder dessen Bekannten. Er wolle sich nicht auf eine Erklärung einlassen, wie sie zu ihrer Kenntnis gekommen, allein er habe immer bemerkt, daß Spötter und Fremde, wenn sie nach Shetland kämen, gern Erklärungen für Dinge aufsuchten, welche denen noch immer dunkel wären, deren Vorfahren schon seit Jahrhunderten da gewohnt hätten.«

Capitain Cleveland verstand den Wink, und verbeugte sich, ohne einen Versuch, seinen Scepticismus weiter zu vertheidigen.

»Und nun vorwärts, ihr wackern Leute,« sagte der Udallar; »und mögt ihr Alle so gute Nachrichten bekommen, als ich – drei Wallfische müssen doch geben – laßt einmal sehen – wie viel Oxhoft ...?«

Es fand ein augenscheinlicher Widerwille bei den Gästen statt, das Orakel des Zeltes zunächst zu befragen.

»Manche Leute hören immer gern gute Neuigkeiten, und wenn der Teufel sie ihnen brächte,« sagte Miß Baby Yellowley, indem sie sich zu Lady Glowrowrum wendete, denn die Gleichheit ihrer Gemüther in einigen Dingen hatte unter ihnen eine Art Vertraulichkeit bewirkt; »aber ich denke, Mylady, darin liegt doch zu viel arge Hexerei, um die Billigung guter Christinnen, wie Ihr, Mylady, und ich, zu erhalten.«

»Es mag Etwas an dem sein, was Ihr sagt, Miß,« antwortete die gute Lady Glowrowrum: »allein wir Hialtländer sind einmal nicht wie andere Leute, und da diese Frau, wenn gleich eine Hexe, doch nun einmal des Voigtes Freundin und nahe Verwandte ist, so wird man es uns übel nehmen, wenn wir uns nicht, wie die Uebrigen, wahrsagen lassen, und so mögen denn meine Nichten, wenn an sie die Reihe kommt, auch herantreten, ohne daß es ihnen etwas schadet. Sie haben ja noch Zeit vor sich, es zu bereuen, wenn etwas Schlimmes daran ist.«

Während Andere ebenfalls in diesem Zustande der Ungewißheit und Besorgniß schwebten, erklärte Halcro, der an dem Zusammenziehen der Augenbrauen des alten Udallars und an einem gewissen ungeduldigen Scharren mit dem rechten Fuße, welches der Bewegung eines Menschen glich, der sich des Stampfens nur mit Mühe enthält, wohl merkte, daß er die Geduld zu verlieren anfing, er für seine eigene Person, und nicht als Anwalt für Jemand anders, wolle nun die nächste Frage an die Seherin thun. Er hielt einen Augenblick inne, überdachte seine Verse, und redete sie dann folgendermaßen an:

Halcro:

Mutter, düster, Mutter, graus,
Auf dem Fitful steht dein Haus.
Du kannst melden, was geschah,
Was nur je die Sonne sah!
Sage mir, bleibt mein Gesang,
Wie einst Halcro's Harfenklang?
Und vergleicht man, floh mein Hauch,
Drydens Liede meines auch?

Die Stimme der Sybille antwortete augenblicklich aus ihrem Heiligthume:

Norna:

Mit bunter Klapper spielt das Kind,
Dem ähnlich oft auch Alte sind.
Doch anders spielt das Kind, der Greis,
Der von des Kindes Lust nicht weiß.
Gen Himmel steigt der Aar gemach,
Doch nimmer folgt die Gans ihm nach.
Sie liebt am Ufer hinzugleiten,
Wo Seehund sich und Seekalb streiten.

Halcro biß sich in die Lippen, zuckte die Achseln, gewann aber sogleich seine gute Laune wieder, und in der geläufigen, obgleich untergeordneten Stegreif-Dichtungsart, mit der ihn lange Gewohnheit vertraut gemacht hatte, entgegnete er sehr artig:

Halcro:

So laß die Gans mich bleiben dort
In stiller Bucht und Felsenport.
Da nimmt mich nie der Jäger wahr,
Und keine Kugel droht Gefahr.
Da lern' ich neue Lieder draußen,
Wenn Nordlands Wogen mich umbrausen.
Am fernen Felsen hört man dann,
Die Lieder, die ich dort begann.
Die Woge tönt zu meinem Sang,
Es heult der Sturm dazu entlang.

Als der kleine Barde mit schnellem Schritte und befriedigter Miene zurücktrat, folgte ihm allgemeiner Beifall wegen der geistreichen Art, wie er seinen Ausspruch, der ihn einer Imbergans gleich machte, hingenommen hatte. Seine anständige und beherzte Ergebung machte aber dennoch Niemand weiter Muth, die gefürchtete Norna zu fragen.

»Die feigen Thoren!« sagte der Udallar. »Fürchtet Ihr Euch auch, Capitain Cleveland, zu einem alten Weibe zu sprechen? Fragt sie doch, was Ihr wollt, fragt sie, ob die Schaluppe von zwölf Kanonen in Kirkwall Euer zweites Schiff ist oder nicht?«

Cleveland sah Minna an, und da er wahrscheinlich bemerkte, daß sie seine Antwort auf ihres Vaters Frage mit Aengstlichkeit erwartete, nahm er sich zusammen, und sagte nach augenblicklichem Zögern: »Ich habe mich nie gefürchtet, weder vor einem Manne noch vor einem Weibe. Meister Halcro, Ihr habt die Frage gehört, die ich nach dem Wunsche unseres Wirthes thun soll – thut sie in meinem Namen nach Eurer Art; ich verstehe so wenig von der Dichtkunst, als von der Hexerei.«

Halcro wartete die Wiederholung dieser Aufforderung nicht ab, sondern nahm Capitain Cleveland bei der Hand, wie es die Form des Spieles mit sich brachte, und that nun die Frage, welche der Udallar dem Fremden in den Mund gelegt hatte, in folgenden Worten:

Halcro:

Mutter, düster, Mutter, graus,
Auf dem Fitful steht dein Haus.
Sieh, ein Schiff soll, stattlich, fein,
In der Bai von Magnus sein.
Reiche Ladung führt's, und dann
Trägt es auch manch' kühnen Mann.
Reich ist es an allem Gut,
Reich an Weines süßer Gluth.
Hat auch dieser fremde Mann
Seinen Antheil mit daran?

Es entstand eine ungewöhnlich lange Pause, ehe das Orakel Antwort gab, und als diese erfolgte, geschah es in einem dumpferen, obgleich eben so entschiedenen Tone, als der gewesen war, in welchem Norna früher geantwortet hatte:

Norna:

Röthlich, klar ist Goldes Gluth,
Roth und schwarz zeigt sich das Blut.
Als ich nach der Bai hinsah,
Weh, o weh, mir grauste da!
Einen Falken sah ich dort,
Seine Beute trug er fort.
Blutig waren seine Klau'n, –
Wessen Hand von euch zu schau'n
Blutig ist, Theil hat er dort
An dem Schiff in jenem Port!

Cleveland lächelte zornig, und streckte die Hand aus. – »Wenige Leute sind so oft als ich auf dem spanischen Boden gewesen, ohne mit den Guarda-Costa's einmal oder das andere zu thun gehabt zu haben; aber an meiner Hand hat nie so viel Blut geklebt, daß man es nicht mit einem feuchten Handtuche hätte abwischen können.«

Der Udallar fügte mit mächtiger Stimme hinzu: »Mit den Spaniern jenseits der Linie ist nimmer Friede – ich habe Capitain Tragendeck und den ehrlichen alten Kommodore Rummelaer das wohl hundert Male sagen hören, und die waren Beide in der Bai von Honduras und überall da herum gewesen. – Ich hasse alle Spanier, seitdem sie im Jahre 1558 herkamen, und den Leuten auf Fair-Isle alle ihre Lebensmittel wegnahmen Der Admiral der spanischen Armada litt hier Schiffbruch. Der Herzog von Medina Sidonia landete mit einigen seiner Leute, und plünderte den Inselbewohnern ihre ganzen Wintervorräthe. Diese Fremden blieben in Feindschaft mit den Eingebornen auf der Insel, bis zum Frühjahr, wo sie ihre Flucht bewirkten.. Ich habe meinen Großvater davon erzählen hören, und es treibt sich hier im Hause ein altes holländisches Buch herum, worin es steht, was sie in langer Zeit in den Niederlanden für Unheil angestiftet haben. Sie haben weder Erbarmen noch Glauben.«

»Wahr – sehr wahr, mein alter Freund,« sagte Cleveland, »sie sind so eifersüchtig auf ihre indischen Besitzungen, so eifersüchtig, als ein alter Mann auf seine junge Braut, und wenn sie das Uebergewicht erhalten, so heißt's: ›In die Bergwerke Zeitlebens!‹ So schlagen wir uns denn mit ihnen, unsere Flagge an den Mast genagelt.«

»So ist es recht,« rief der Udallar triumphirend; »die alte brittische Flagge muß nie gestrichen werden. Wenn ich an die hölzernen Mauern denke, so halte ich mich beinahe selbst für einen Engländer; doch das würde so denken heißen, wie unsere schottischen Nachbarn – damit will ich übrigens gegen Niemand etwas gesagt haben, meine Herren – Alle sind Freunde und Alle willkommen. Nun, Brenda, setze das Spiel weiter fort – sprich du nun, du hast norwegische Reime genug im Kopfe, das ist bekannt.«

»Aber keine, Vater, welche zu diesem Spiele passen,« sagte Brenda, indem sie zurückwich.

»Unsinn!« sagte der Vater, indem er sie vorwärts stieß, während Halcro sie, trotz ihres Widerstrebens, bei der Hand nahm – »unzeitige Bescheidenheit muß treuherziger Fröhlichkeit nie im Wege sein – sprich du in Brenda's Namen, Halcro – es ist ja dein Handwerk, den Gedanken der Mädchen Worte zu leihen.«

Der Dichter verbeugte sich gegen die junge Schöne, mit der Ehrerbietung eines Dichters und der Galanterie eines Reisenden, und nachdem er ihr zugeflüstert, daß sie für den Unsinn, den er jetzt sagen würde, durchaus nicht verantwortlich sei, hielt er inne, blickte empor, lächelte, als ob er plötzlich einen Einfall bekäme, und ließ sich endlich folgendermaßen vernehmen:

Halcro:

Mutter, düster, Mutter, graus,
Auf dem Fitful steht dein Haus.
Leicht thust du der Maid wohl kund,
Was zu fragen scheut ihr Mund;
Doch kleid' es in Milch und Wein,
Weich umhüllet laß es sein.
Gerne wüßten wir wohl Alle,
Ob ihr bald ein Mann gefalle?

Die Prophetin erwiderte beinahe augenblicklich hinter dem Vorhang hervor:

Norna:

Der Liebe fremd, gleicht Mädchensinn genau
Dem Schnee dort auf den Höhen. Aufwärts schau,
Hoch zu den Wolken, willst du seinen Schein
Erblicken, wie er strahlend, schön und rein.
Doch trifft ihn kaum der Sonne Gluth,
So schmilzt zum Thale seine Fluth.
Und Gras und Kräuter nährt er dort,
Er tränkt die Heerde, bis er fort,
Zum klaren Bach verwandelt, zieht,
Worin des Hirten Dach man sieht.

»Eine schöne Lehre und wohl gesprochen,« sagte der Udallar, indem er die erröthende Brenda festhielt, die im Begriff war, zu entschlüpfen, »schäme dich deßwegen nicht, mein Kind, die Hausfrau eines rechtlichen Mannes zu werden, und einen alten norwegischen Namen aufrecht zu erhalten, seine Nachbarn glücklich, die Armen froh zu machen, ist das beste Loos, das einem jungen Mädchen werden kann, und ich wünsche es allen den gegenwärtigen von ganzem Herzen. Nun, wer spricht zunächst! – Jetzt gibt es gute Männer; – Maddy Groatsettar – meine schöne Clara, komm' und nimm auch du dein Theil.«

Lady Glowrowrum schüttelte den Kopf und sagte: »sie könne es doch nicht so recht gutheißen ...«

»Schon gut, – schon gut,« erwiderte der Udallar; »man muß Niemanden zwingen; aber das Spiel soll denn doch fortgehen, bis wir seiner müde sind. Hier, Minna – dir darf ich befehlen. Komm' her, mein Kind, es gibt außer einem altmodigen und unschuldigen Scherze noch viele Dinge, deren man sich schämen könnte – komm' her; ich selbst werde für dich sprechen, wenn ich auch gleich nicht ganz sicher bin, ob ich mich wohl noch auf einen Reim besinnen kann.«

Minna's Gesicht überflog eine leichte Röthe; allein sie gewann sogleich ihre Fassung wieder, und stand stolz aufgerichtet neben ihrem Vater, wie Jemand, der über jeden Scherz, zu dem seine Lage Gelegenheit geben kann, erhaben ist.

Der Vater brachte, nachdem er sich die Stirn gerieben und einige andere mechanische Mittel angewendet hatte, um seinem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen, endlich so viele Verse zusammen, damit die folgende Frage zu thun, wenn sie auch weniger zierlich als Halcro's Fragen klang:

Sprich Mutter und verschweig' es nicht,
Ob bald den Hochzeitkranz dieß Mädchen flicht?
Wird sie wohl bald ein Weibchen sein,
Doch auch dem Gram sich dann nicht weih'n?

Ein tiefer Seufzer ertönte aus dem Gezelte der Wahrsagerin, als ob sie den Gegenstand des Ausspruches bemitleidete, den sie ertönen zu lassen genöthigt war. Hierauf gab sie, wie gewöhnlich, ihre Antwort:

Der Liebe fremd, gleicht Mädchensinn genau
Dem Schnee dort auf den Höhen. Aufwärts schau,
Hoch zu den Wolken, willst du seinen Schein
Erblicken, wie er strahlend, schön und rein.
Doch faßt das arme Herz die Leidenschaft,
So tobt sie gleich des Frühlingssturmes Kraft.
Dann schmilzt der Schnee von jenen Höhen nieder,
Im Thal seh'n wir die Fluthen toben wieder.
Es wankt der Fuß, umbraußt vom Fluthendrang,
Der stürmt auf ihn, und macht ihn muthlos, bang!

Der Udallar hörte diese Antwort mit tiefem Unwillen. »Bei den Gebeinen des Märtyrers,« sagte er, indem sein kräftiges Gesicht plötzlich eine dunkle Röthe färbte, »das heißt doch aller Sitte Hohn sprechen. Wahrhaftig, wäre es irgend Jemand anderes gewesen, der von Zerstörung gesprochen, und meiner Tochter Namen dabei genannt hätte, so sollte er es bereuen, das Wort über seine Lippen gebracht zu haben. Aber, komm' heraus aus dem Zelte, du alter Giftdrache,« fügte er lächelnd hinzu; »ich hätte es wissen sollen, daß du nicht lange an etwas Freude finden kannst, das nach Fröhlichkeit schmeckt. Helf dir Gott!« Seine Aufforderung blieb indessen unbeantwortet, und nachdem er einen Augenblick gewartet, redete er sie abermals an: »Nun, schmolle mir nur nicht, Base, weil ich etwas heftig gewesen bin – du weißt, ich habe auf Niemanden Groll, geschweige denn auf dich, – komm' also nur heraus, und gib mir die Hand. – Du hättest mir den Untergang meines Schiffs und meiner Boote, oder einen schlechten Häringsfang verkünden können, und ich würde nicht ein Wort verloren haben, aber Minna und Brenda sind mir einmal an's Herz gewachsen. Nun, kommt heraus, gebt mir Eure Hand, und damit gut.«

Norna gab auf sein wiederholtes Zureden keine Antwort, und die Umstehenden fingen schon an, einander deutsame Geberden zuzuwerfen, als der Udallar, indem er das Fell aufhob, welches den Eingang des Zeltes verhüllte, entdeckte, daß dieses leer sei. Die Bewunderung wurde jetzt allgemein, und mischte sich bei Manchen sogar mit Furcht, denn es schien unmöglich, daß Norna aus dem Zelte, in dem sie eingeschlossen war, hatte entschlüpfen können, ohne von den Umstehenden bemerkt zu werden. Wie dem aber auch sein mochte, war sie doch verschwunden, und der Udallar ließ nach kurzem Staunen das Bärenfell wieder über den Eingang des Zeltes fallen.

»Meine Freunde,« sagte er mit heiterem Gesichte, »wir Alle kennen seit langer Zeit meine Verwandte, und wissen, daß ihre Wege in dieser Welt nicht die anderer gewöhnlicher Leute sind. Dennoch meint sie es gut mit Hialtland, hat für mich und mein Haus eine wahrhaft schwesterliche Liebe, und keiner unter meinen Gästen darf von ihr Uebles fürchten oder ihr etwas übel nehmen. Ich zweifle nicht, daß sie sich zur Tischzeit wieder bei uns einfinden wird.«

»Das verhüte Gott!« sagte Miß Baby Yellowley – »denn, meine gute Lady Glowrowrum, Euer Herrlichkeit die Wahrheit zu sagen, ich liebe Frauen gar nicht, die so wie ein Sonnenblick oder wie ein Stoß des Wirbelwindes kommen und gehen können.«

»Sprecht leise, sprecht leise,« antwortete Lady Glowrowrum; »und danket Gott, daß dieß Weib nicht noch ein Stück vom Hause mit fortgenommen hat. Ihresgleichen haben wohl noch ärgere Streiche gespielt, und sie selbst ebenfalls, wenn man ihr nicht zu viel nachsagt.«

Aehnliche heimliche Gespräche wurden von den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft geführt, bis der Udallar seine gebieterische Stentorstimme erhob, sie zum Schweigen zu bringen, und die Gesellschaft einlud, oder vielmehr ihr befahl, die Boote auf die Haaf- oder hohe Meer-Fischerei auslaufen zu sehen.

»Der Wind sei seit Sonnenaufgang sehr heftig gewesen,« sagte er, »und habe die Boote in der Bucht zurückgehalten, jetzt aber wäre er günstig, und sie würden nun augenblicklich unter Segel gehen.«

Diese plötzliche Veränderung des Wetters gab zu manchen Winken und Zeichen unter den Gästen Anlaß, welche glaubten, sie mit Norna's plötzlichem Verschwinden in Verbindung bringen zu dürfen; ohne indessen Bemerkungen zu wagen, die ihrem Wirthe nothwendig hätten unangenehm sein müssen, folgten sie seinen stattlichen Schritten zum Ufer, wie eine Heerde Damhirsche dem Leithirsche folgt, mit allen Zeichen ehrerbietiger Achtung.


 


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