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Zwölftes Kapitel.

 

– Mir sind die alten Trümmer werth.
Wir treten nie herein, daß nicht der Fuß
Auch über manches würd'ge Denkmal schreitet.
Und sicher liegt in diesem offenen Raum,
Der allen Stürmen freies Spiel gewährt,
So mancher Mann, dem werth die Kirche war,
Und der sie reich bedacht, indem er glaubte,
Hier werd' ich bis zur Auferstehung ruh'n.
Doch Alles wandelt sich! Kirche wie Städte!
Was, wie der Mensch, vergänglich ist auf Erden,
Das muß auch untergehen, so wie wir.

Herzogin von Malfy.

 

Die verfallene St. Ninians-Kirche war zu ihrer Zeit sehr berühmt gewesen; denn das mächtige System des katholischen Aberglaubens, das seine Wurzeln durch ganz Europa streckte, hatte sich auch bis zu diesem entfernten Inselmeer ausgedehnt, und Shetland hatte in den katholischen Zeiten seine Heiligen, seine Schreine und seine Reliquien, welche, wenn auch anderwärts wenig bekannt, doch die Huldigungen der einfachen Bewohner von Thule genossen, und bei ihnen in hohem Ansehen standen. Ihre Verehrung gegen die Kirche des heiligen Ninian – oder wie ihn die Leute nannten, Sanct Ringan – war wegen der Lage des Gebäudes, das dicht am Meeresufer stand, und deßwegen oft zum Landmerk für ihre Boote diente, besonders ausdauernd gewesen, und stand mit so vielen abergläubischen Feierlichkeiten und Volksvorurtheilen in Verbindung, daß die reformirte Geistlichkeit es für das Beste hielt, durch einen Befehl der geistlichen Gerichtshöfe allen Gottesdienst in ihren Mauern zu untersagen, weil dieser, wie sie sagten, dem eingewurzelten Glauben des einfältigen und rohen Volkes umher an der Verehrung der Heiligen und andern Irrlehren der römischen Kirche, nur neue Nahrung gab.

Nachdem die St. Ninians-Kirche für einen Sitz des Götzendienstes, und folglich als entheiligt erklärt worden war, wurde der Gottesdienst in eine andere Kirche verlegt, und nachdem das Dach mit seinem Blei und seinen Balken von dem kleinen, rohen, alten gothischen Gebäude abgenommen war, wurde dieß in der Wildniß dem Spiel der Elemente preis gegeben. Die Wuth der fessellosen Winde, welche über eine nackte Sandebene dahinheulten, – denn der Boden glich dem, welchen wir in Jarlshof beschrieben haben – machte bald, daß Schiff und Seitengänge versandeten, und auf der nordwestlichen, dem Winde hauptsächlich ausgesetzten Seite, an den äußeren Mauern, weiter als halb hinauf, Sandberge sich aufhäuften, über welche die Giebelenden des Gebäudes, so wie der kleine Glockenthurm, welcher auf dem Schiffe stand, in kahler, trauriger Nacktheit der Verwüstung emporragten.

Trotz dieser Verödung blieb der Kirche Sanct Ringans doch noch immer ein Schein der Verehrung, die ihr früher erwiesen worden war. Die rohen, unwissenden Fischer von Dunroßneß beobachteten einen Gebrauch, dessen Ursprung sie selbst ganz vergessen haben mochten, und von dem die evangelische Geistlichkeit sie umsonst abzubringen suchte. – Wenn ihre Boote sich in äußerster Gefahr befanden, war es bei ihnen gewöhnlich, Sanct Ringan ein sogenanntes Almosen zu geben, und wenn die Gefahr vorüber war, versäumten sie nie, sich ihres Gelübdes dadurch zu entledigen, daß sie einzeln und heimlich nach der alten Kirche kamen, dort ihre Schuhe und Strümpfe am Eingange des Kirchhofes auszogen, und dreimal um die Kirche gingen, wohl weislich, daß es nach dem Laufe der Sonne geschah.

War der Umgang zum dritten Male vollendet, so warf der Opfernde seine Spende, gewöhnlich eine kleine Silbermünze, zwischen den steinernen Posten eines lanzettförmigen Fensters hindurch, welches auf einen Seitengang ging, und begab sich dann hinweg, ohne sich eher umzusehen, als bis er außerhalb der Gränzen dieses einst heiligen Bodens war; denn es war ein allgemeiner Glaube, daß das Gerippe des Heiligen die Gabe in seiner knöchernen Hand empfange, und seinen gräßlichen Todtenschädel an dem Fenster zeige, durch welches sie geworfen worden.

Für schwache und einfältige Gemüther erhielt der Ort dadurch noch etwas ganz besonders Schrecken-Erregendes, daß die stürmischen, wirbelnden Winde, welche auf der einen Seite der Kirche die Trümmer im Sande zu begraben drohten, und in der That, diesen schon in so großer Menge angehäuft hatten, daß die Seitenmauer mit ihren Strebepfeilern dadurch beinahe ganz verdeckt wurde, die Gräber derer, welche ihren langen Schlaf auf der südöstlichen Seite schliefen, gänzlich entblößen zu wollen schienen; denn nach einem ungewöhnlich heftigen Wehen dieser Winde geschah es wohl, daß die Särge, ja zuweilen selbst die Gerippe derer, welche ohne die gewöhnlichen Umhüllungen beerdigt worden waren, auf eine gräßliche Weise den Augen der Lebenden bloß gestellt blieben.

Zu diesem einsamen Verehrungsorte begab sich nun der ältere Mertoun, obgleich ohne irgend eine der religiösen oder abergläubischen Absichten, mit der man sich gewöhnlich der Sanct Ringans-Kirche näherte. Er theilte keine von den abergläubischen Besorgnissen des Landes, ja, man glaubte – nach der abgeschiedenen und finstern Lebensweise, die er führte, und da er sich der menschlichen Gesellschaft sogar dann entzog, wenn sie zur Verehrung des höchsten Wesens versammelt war – sogar allgemein, daß er sich mehr zu der entgegengesetzten Seite hinneige, und eher zu wenig als zu viel von dem glaube was die Kirche annimmt, und das Christenthum (?) lehrt.

Als er zu der kleinen Bucht kam, an deren Ufer und beinahe an deren Rande die Trümmer lagen, konnte er nicht umhin, einen Augenblick stehen zu bleiben, um sich bewußt zu werden, daß diese Gegend, wegen des größeren Eindrucks auf die Gefühle der Menschen, mit vieler Ueberlegung zur Erbauung einer Stätte für die Gottesverehrung gewählt worden war. Vor ihm lag das Meer, in welches zwei Vorgebirge, welche die äußersten Punkte der Bucht bildeten, ihre riesenhaften Zungen von dunkeln, schwärzlichen Felsen streckten, auf deren Rande die Möven und andere Seevögel wie Schneeflocken erschienen, während auf den niedrigen Klippenstufen ganze Reihen von Kormorans dicht bei einander standen, wie in Schlachtordnung aufgestellte Krieger, und kein anderes lebendes Wesen zu erblicken war. Das Meer, obgleich nicht stürmisch, war doch aufgeregt genug, um an diese Vorgebirge mit einem Geräusch anzubrausen, welches dem des entfernten Donners glich, und die Wellen, die in Staubmassen bis zur Hälfte dieser schwarzen Felsen hinaufstiegen, bildeten mit diesen einen eben so auffallenden, als furchtbaren Gegensatz der Färbung.

Zwischen den äußersten Enden oder Vorgebirgen dieser Landspitzen, hatte sich an dem Tage, wo Mertoun den Ort besuchte, eine dunkle, dichte Wolkenmasse angeschichtet, die kein sterbliches Auge zu durchdringen vermochte, welche den Gesichtskreis beschränkte, und dadurch, daß sie den Blick auf den entfernten Ocean ganz verschloß, keine unangemessene Versinnlichung der Aussicht auf die See gab, wie sie in Mirza's Gedicht beschrieben ist, und deren Ausdehnung durch Dünste, Wolken und Stürme beschränkt wurde. Der Boden, welcher steil von dem Meeresufer aufstieg, verschloß alle Aussicht in das Innere des Landes, und schien nur ein Schauplatz unbezwinglicher Dürre, auf welchem man nichts weiter erblickte, als elendes, zwerghaftes Haidekraut, mit dem langgebogenen, groben Grase vermischt, das gewöhnlich die Sandhügel bedeckt. Auf einer natürlichen Erhöhung, die ganz am Ende der Bucht über die Bodenfläche emporstieg, und etwas von der See zurücktrat, so daß sie sich außer dem Bereich der Wellen befand, standen die halb im Sande begrabenen Trümmer, welche wir schon oben beschrieben haben, von einer verwitterten, halb verfallenen abbröckelnden Mauer umgeben, die zwar an mehreren Orten voller Löcher war, aber gleichwohl die Gränze des Kirchhofs noch bezeichnete. Die Seeleute, welche zufällig in diese einsame Bucht verschlagen wurden, behaupteten, daß man die Kirche von Zeit zu Zeit durch Lichter erhellt sähe, und pflegten danach Schiffbrüche und Unglücksfälle zur See vorauszusagen.

Als Mertoun sich der Kirche näherte, traf er unwillkürlich, und vielleicht ohne viele Ueberlegung, Vorsichtsmaßregeln, um nicht gesehen zu werden, bis er dicht unter der Mauer des Kirchhofs war, der er sich zufällig auf der Seite genähert hatte, wo der Wind den Sand von den Gräbern wehte, wie wir oben beschrieben haben.

Als er hier durch eine der Oeffnungen in die Mauer blickte, welche die Zeit gemacht hatte, bemerkte er die, welche er suchte, auf eine Art beschäftigt, welche zwar mit den Begriffen, die man gewöhnlich von ihrem Charakter hegte, wohl übereinstimmte, übrigens aber außerordentlich genug war.

Sie stand neben einem rohen Denkmale, dessen eine Seite den groben Umriß eines Ritters zu Pferde darstellte, während auf der andern ein Schild mit dem Wappen zu sehen war, aber so verwischt, daß man es nicht mehr erkennen konnte; dieß Wappenschild war in einen schiefen Winkel gestellt, gegen die neuere Sitte, nach der es gewöhnlich gerade aufgerichtet steht. Am Fuße dieser Säule sollten, wie Mertoun früher gehört hatte, die Gebeine Ribolt Troils ruhen, eines der frühesten Vorfahren von Magnus, der sich im fünfzehnten Jahrhunderte durch viele kühne Thaten ausgezeichnet hatte. Norna von Fitful-Head schien bemüht, von dem Grabe dieses Kriegers den Sand wegzuschaufeln, eine geringe Mühe, wo er so leicht und locker lag; es schien daher, daß sie in kurzer Zeit das vollendet haben würde, was die rauhen Winde begonnen hatten, und daß bald die Gebeine entblößt sein würden, welche hier begraben lagen. Während sie so arbeitete, summte sie ihren Zaubergesang vor sich hin, denn ohne die runischen Reime wurde nie eine Handlung des nordischen Aberglaubens verrichtet. Wir haben vielleicht schon zu viele Proben dieser Zauberverse gegeben, allein wir können doch nicht umhin, auch noch die folgenden zu übersetzen:

Krieger, welchen manche Schlacht,
Mancher Sieg berühmt gemacht,
Asche, Staub nur und Gestein
Decken hier nun dein Gebein.
Hätt'st in deines Lebens Frist
Nicht die Bärenhaut gemißt.
Jetzt nimmt dir ein Weib, ein Kind,
Was dich kaum beschützt vor'm Wind.

Krieger, zürne du nicht mir,
Schätze such' ich ja nicht hier;
Nicht in frevelhaftem Muth
Nehm' ich weg, was auf dir ruht.
Dir frommt nicht, was ich hier fand,
Fluche drum nicht meiner Hand.
So viel, Wackrer, laß ich dir,
Dein Gebein zu schützen hier.

Wohl, ich trenne mit dem Stahl –
Als am Leben du einmal,
Warst du nicht so ruhig, wie
In der Todtonhülle hie!
Magst du wachen, magst du ruh'n,
Dieses härmt mich wenig nun,
Ist doch, was ich suche, mein,
Wie es einst gewesen dein!

Dank' dir, Ribolt, auch das Meer
Tose wild nicht zu dir her.
Ruhig zieh' es an den Strand,
Stör' nicht deines Grabes Sand.
Ribolt Dank; sei unverletzt,
Wenn der Sturm die Wolken hetzt;
Ueber deiner stillen Gruft
Stürme tobend nicht die Luft.

Sieh, wie Norna voll Verdruß
Aengstlich späh'n und lauschen muß.
Ist sie doch bei aller Macht
Zur Verzweiflung fast gebracht.
Doch der Muth weicht nicht von ihr,
Bei dem Leben schwör' ich's dir,
Und so zürne du ihr nie,
Sucht sie Schutz und Schirm sich hie!

Während Norna den ersten Theil dieser Reime sang, entblößte sie einen Theil von dem bleiernen Sarge des Kriegers, und löste mit vieler Behutsamkeit und anscheinender Ehrfurcht einen Theil des Bleies davon ab. Hierauf bedeckte sie den Sarg andächtig wieder mit Sand, und als sie ihren Gesang geendet hatte, war von der Verletzung der Geheimnisse des Grabes keine Spur mehr zu bemerken.

Mertoun starrte sie während der ganzen Feierlichkeit unverwandt über die Kirchhofsmauer an, nicht aus einem Gefühle der Ehrfurcht vor ihr, oder vor ihrer Beschäftigung, sondern weil er glaubte, eine Blödsinnige in ihrem verwirrten Thun zu stören, würde keineswegs der beste Weg sein, die Nachrichten von ihr zu erhalten, die er wünschte. Unterdessen hatte er hinlängliche Zeit, ihre Gestalt zu betrachten, wenn auch ihr Gesicht durch ihr wild umherhängendes Haar, und durch die Kappe ihres dunkeln Mantels halb verhüllt war, so daß man mehr davon sehen konnte, als vielleicht bei einer Druidin, die ihre geheimnißvollen Feierlichkeiten beging, sichtbar gewesen wäre. – Mertoun hatte schon früher oft von Norna reden hören, ja, es ist wahrscheinlich, daß er sie öfters gesehen hatte, denn sie war mehr als einmal in der Nähe von Jarlshof gewesen, seitdem er daselbst seinen Wohnsitz aufschlug. Die albernen Mährchen, die über sie im Umlauf waren, waren jedoch Ursache, daß er keine Aufmerksamkeit auf eine Person richtete, welche er entweder für eine Betrügerin, eine Verrückte, oder ein Gemisch von Beidem hielt. Jetzt aber, wo seine Aufmerksamkeit durch die Umstände unwillkürlich auf ihre Person und ihr Betragen gelenkt wurde, mußte er sich gestehen, daß sie entweder eine wahrhaft begeisterte sei, oder ihre Rolle wenigstens so trefflich spiele, daß keine Seherin alter Zeiten es ihr zuvorgethan haben könnte. Die Würde und Feierlichkeit ihrer Geberden, der wohlklingende und doch eindringliche Ton der Stimme, mit der sie den abgeschiedenen Geist beschwor, dessen sterbliche Ueberbleibsel sie zu stören wagte, mußten einen tiefen Eindruck auf ihn machen, wenn er auch gewöhnlich auf Alles das, was um ihn her vorging, nur wenig zu achten schien. Kaum war indessen ihre sonderbare Beschäftigung vollendet, als er nicht ohne Mühe über die zerrissenen Trümmer der Mauer kletterte, den Kirchhof betrat, und dadurch Norna auf seine Gegenwart aufmerksam machte. Ohne indeß zu stutzen, oder das geringste Erstaunen über seine Erscheinung an einem so einsamen Orte zu bezeigen, sagte sie in einem Tone, welcher anzudeuten schien, daß er nicht unerwartet komme: »So habt Ihr mich also doch endlich aufgesucht?«

»Und gefunden,« antwortete Mertoun, welchem, seine Nachforschungen einzuleiten, das Beste schien, wenn er einen Ton annahm, der in den ihrigen übereinstimmte.

»Ja!« antwortete sie; »Ihr habt mich gefunden, und zwar an dem Orte, wohin wir Alle kommen müssen – unter den Wohnungen der Todten.«

»Allerdings müssen wir Alle endlich hierher kommen,« – erwiderte Mertoun, indem er einen Blick über die einsame Stätte warf, wo theils stehende, theils halb in Sand vergrabene, theils liegende Leichensteine, von denen der Wind den Boden, auf dem sie ruhten, mit Inschriften bedeckt, und mit den Zeichen der Sterblichkeit verziert, hinweg geweht hatte, die am meisten in's Auge fallenden Gegenstände bildeten: – »Hier, in der Wohnung des Todes, müssen wir endlich Alle zusammenkommen, und glücklich sind die, welche den Hafen der Ruhe am frühesten erreichen.«

»Wer sich nach diesem Hafen sehnen darf,« sagte Norna, »muß auf der Reise des Lebens streng seinen Weg verfolgt haben. Ich darf einen so ruhigen Zufluchtsort für mich nicht hoffen. Aber du, darfst du ihn erwarten? Und hat der Weg, den du gewandelt, ihn verdient?«

»Das hat mit meinem jetzigen Zwecke nichts gemein,« erwiderte Mertoun; »ich komme, Euch zu fragen, was Ihr von meinem Sohne Mordaunt Mertoun wißt?«

»Ein Vater,« antwortete die Sybille, »fragt eine Fremde, was sie von seinem Sohne wisse? Wie soll ich etwas von ihm wissen? Der Kormoran sagt nicht zur wilden Ente: wo ist meine Brut?«

»Legt diesen nutzlosen Schein des Geheimnißvollen ab,« sagte Mertoun; »er mag seine Wirkung auf den Pöbel haben, aber bei mir hilft er zu nichts. Die Leute auf Jarlshof haben mir gesagt, daß Ihr von Mordaunt Mertoun, der nach dem St. Johannisfeste, das in dem Hause Eures Verwandten, Magnus Troil, gefeiert wurde, nicht nach Hause zurückgekehrt ist, etwas wüßtet oder wissen dürftet. Gebt mir Kunde, wenn Ihr könnt, und Ihr sollt dafür belohnt werden, wenn es anders in meiner Macht steht, Euch zu belohnen.«

»Das weite Erdenrund,« erwiderte Norna, »hat nichts, das ich eine Belohnung für das geringste Wort nennen möchte, welches ich an ein sterbliches Ohr verschwende. Was aber deinen Sohn betrifft, so geh', wenn du ihn noch lebend sehen willst, zu dem bevorstehenden Markt nach Kirkwall, auf Orkney hinüber.«

»Und warum dahin?« sagte Mertoun, »ich weiß nicht, daß er die Absicht gehabt hätte, dorthin zu gehen.«

»Wir treiben auf dem Strome des Lebens dahin, ohne Ruder oder Steuer. Ihr hattet auch diesen Morgen nicht die Absicht nach der Kirche von St. Ringan zu kommen, und doch seid Ihr jetzt hier; Ihr hattet noch vor einer Minute nicht die Absicht, Euch nach Kirkwall zu begeben, und doch werdet Ihr dahin gehen.«

»Gewiß nicht, wenn ich nicht über die Ursache dazu mehr Aufklärung erhalte. Ich theile nicht den Glauben Derer, Frau, welche Euch übernatürliche Kräfte beimessen.«

»Ihr werdet ihn theilen, ehe wir von einander scheiden,« sagte Norna. »Bis jetzt wißt Ihr nur wenig von mir, auch sollt Ihr nicht mehr erfahren. Aber ich weiß genug von Euch, und könnte Euch durch ein einziges Wort davon überzeugen.«

»So überzeugt mich,« sagte Mertoun, »denn wenn ich nicht so überzeugt werde, so ist wohl wenig Aussicht dafür, daß ich Euern Rathschlägen folge.«

»So gebt denn,« sagte Norna, »auf das genau Acht, was ich Euch von Eurem Sohne sage, denn sonst möchte das, was ich Euch von Euch selbst sagen werde, wohl die anderen Gedanken aus Eurem Gedächtnisse verwischen. Ihr werdet zu dem bevorstehenden Markte nach Kirkwall gehen, werdet am fünften Markttage in dem äußeren Seitengange der St. Magnus-Kathedrale wandeln, und dort Jemanden treffen, der Euch Nachricht von Eurem Sohne geben wird.«

»Ihr müßt Euch deutlicher erklären, Frau,« erwiderte Mertoun unwillig, »wenn Ihr wollt, daß ich Eurem Rathe folgen soll. Ich bin, zu meiner Zeit, gar oft von Frauen geäfft worden, aber nie so plump, als Ihr es zu beabsichtigen scheint.«

»So höre denn!« sagte die alte Frau. »Das Wort, das ich jetzt aussprechen werde, betrifft dein innerstes Geheimniß, und soll dir durch Nerv und Gebein zucken.«

Mit diesen Worten flüsterte sie Mertoun etwas in's Ohr, dessen Wirkung beinahe zauberhaft war. Er blieb starr und bewegungslos stehen, während Norna, den Arm langsam, mit der Miene der Obergewalt und des Triumphs, emporhebend, von ihm hinwegglitt, sich um eine Ecke der Trümmer wandte, und bald darauf verschwunden war.

Mertoun machte keine Bewegung, ihr zu folgen, oder ihr nachzublicken. »Vergebens suchen wir dem Schicksale zu entgehen,« sagte er; als er sich wieder etwas erholt, drehte er sich um, und kehrte den öden Trümmern und dem Kirchhofe den Rücken. Als er von der letzten Stelle, von der man die Kirche noch sehen konnte, zurückblickte, sah er Norna's Gestalt, in ihren Mantel gehüllt, auf der obersten Spitze des verfallenen Thurmes stehen, und weit in die Luft etwas hinausstrecken, das einem weißen Wimpel, oder einer Flagge glich. Ein Gefühl des Schreckens, dem ähnlich, das ihre letzten Worte in ihm erregt hatten, durchzuckte abermals seinen Busen, und er eilte mit ungewohnter Hast hinweg, bis die St. Ninians-Kirche mit ihrer Sandbucht weit hinter ihm lag.

Als er in Jarlshof ankam, waren seine Gesichtszüge so verändert, daß Swertha schon besorgte, es möchte wieder einer der Anfälle jener düstern Schwermuth bevorstehen, welche sie seine finstere Stunde nannte.

»Nun,« dachte Swertha bei sich, »was war aber auch Anders zu erwarten, wenn er Norna von Fitful-Head aufsuchen mußte, als sie gerade in der Gespensterkirche von St. Ninian war?«

Ohne indessen andere Anzeichen eines verwirrten Verstandes blicken zu lassen, als das einer tiefen, finstern Niedergeschlagenheit, machte ihr Herr sie mit seiner Absicht, nach Kirkwall zu gehen, bekannt – eine Sache, die mit seinen Gewohnheiten so sehr im Widerspruche stand, daß die Haushälterin ihren Ohren kaum traute. Kurz nachher hörte er, mit anscheinender Gleichgültigkeit, die Berichte an, welche ihm die Leute abstatteten, die zu Lande und zu Wasser ausgeschickt worden waren, um Nachrichten von Mordaunt einzuziehen, und die sämmtlich unverrichteter Sache zurückkehrten. Der Gleichmuth, mit welchem Mertoun ihre Nachrichten anhörte, überzeugte Swertha nur noch mehr, daß bei seiner Zusammenkunft mit Norna die Sybille, welche er um Rath gefragt hatte, ihm diesen Ausgang weissagte.

Die Bewohner des Ortes wurden noch mehr überrascht, als ihr Tacksmann, Herr Mertoun, wie nach einem plötzlichen Entschlusse Anstalten traf, während der Marktzeit nach Kirkwall zu gehen, obgleich er bis dahin geflissentlich alle dergleichen öffentliche Zusammenkunftsorte gemieden hatte. Swertha zerbrach sich den Kopf ohne das Geheimniß erforschen zu können; noch mehr aber lag ihr das Schicksal ihres jungen Gebieters am Herzen. Ihre Betrübniß wurde indeß dadurch wesentlich gemildert, daß ihr Herr eine Summe Geldes, die, wenn sie gleich an und für sich sehr mäßig war, ihr doch ein Schatz schien, in ihren Händen zurückließ, und ihr zugleich anzeigte, daß er in einem kleinen Boote, welches dem Eigentümer der Insel Macha gehörte, die Ueberfahrt nach Kirkwall machen würde.


 


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