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Eilftes Kapitel.

 

Natur? Sie ist der Urquell nicht von solcher Pein!
Es schließt ihr eig'nes Herz das Uebel ein!
Es ist die bange Brust, die es umflicht;
Ein Zauber ist's, der ihre Freude bricht;
Ein böser Geist, sie weiß es selber nicht.

Feenkönigin.

 

Die Zeit war schon mehrere Tage verflossen, zu welcher Mordaunt Mertoun, wie er bei der Abreise versprochen hatte, in das väterliche Haus nach Jarlshof zurückkehren sollte, und noch war keine Nachricht von seiner Rückkehr da. Dies Ausbleiben würde zu einer andern Zeit wenig Aufsehen und keine Besorgniß erregt haben, denn die alte Swertha, welche es über sich nahm, für den kleinen Haushalt Alles zu bedenken und zu beklügeln, hätte wahrscheinlich den Schluß gezogen, daß er hinter den übrigen Gästen zu irgend einer Partie der Jagd oder des Vergnügens zurückgeblieben wäre. Allein sie wußte, daß Mordaunt in der letzten Zeit bei Magnus Troil in nicht so großer Gunst gestanden, und wußte ebenfalls, daß er sich vorgenommen, nur kurze Zeit in Burgh-Westra zu bleiben, der Gesundheit seines Vaters wegen, für den er, ungeachtet der wenigen Ermuthigung, welche seiner kindlichen Liebe zu Theil wurde, eine unveränderliche Aufmerksamkeit zeigte. Swertha wußte alles Dieß, und fing an, besorgt zu werden. Sie betrachtete ihren Herrn, den älteren Mertoun, genauer, aber die finstere, starre Gleichförmigkeit seines Aeußeren ließ, gleich dem Spiegel eines mitternächtlichen See's, Niemand in das eindringen, was im Grunde verborgen lag. Seine Studien, seine einsamen Mahle, seine abgeschiedenen Spaziergänge, Alles folgte einander in unverändertem Kreislauf, und schien von keinem entfernten Gedanken an Mordaunts Abwesenheit gestört zu werden.

Endlich kamen jedoch Swertha von verschiedenen Seiten so beunruhigende Gerüchte zu Ohren, daß sie ihre Besorgniß nicht länger verbergen konnte, und sich entschloß, auf die Gefahr, ihres Herrn ganze Wuth zu erregen, ja vielleicht ihre Stelle zu verlieren, ihm die Zweifel mitzutheilen, welche sie beunruhigten. Mordaunts Heiterkeit und angenehmes Aeußere mußten in der That keinen geringen Eindruck auf das verwelkte, selbstische Herz der alten Frau gemacht haben, um sie dahin zu vermögen, den so verzweifelten Entschluß zu fassen, von dessen Ausführung ihr Freund, der Ranzelmann, sie vergebens abzuhalten strebte. Da sie indeß überlegte, daß das Mißglücken ihres Plans, wie der Verlust von Trincula's Flasche im Pferdepfuhl, ihr nicht allein sehr zur Schande gereichen, sondern auch unendlichen Verlust nach sich ziehen würde, so beschloß sie, bei dieser gewagten Unternehmung mit so großer Behutsamkeit zu Werke zu gehen, als es die Absicht des Versuches nur irgend erlaubte.

Wir haben schon bemerkt, daß es in der Natur dieses zurückhaltenden, ungeselligen Wesens, wenigstens seit seinem Aufenthalte in der gänzlichen Abgeschiedenheit von Jarlshof, zu liegen schien, Niemand eine Unterhaltung anfangen, sich von Niemand eine Frage vorlegen zu lassen, welche nicht in der dringendsten Nothwendigkeit begründet war. Swertha wußte daher sehr wohl, daß sie, um das Gespräch, welches sie mit ihrem Herrn anknüpfen wollte, eröffnen zu können, es so anfangen müßte, daß es von ihm auszugehen schien.

Um dieß zu bewirken, legte sie, während sie sich mit den Zubereitungen zu Mertouns einfachem und einsamem Mittagessen beschäftigte, zwei Gedecke statt eines auf den Tisch, und machte alle ihre übrigen kleinen Anstalten, als ob ihr Herr einen Gast oder Tischgenossen haben sollte.

Die Kriegslist glückte, denn Mertoun hatte, als er aus seinem Studierzimmer trat, kaum den Tisch so gedeckt gefunden, als er Swertha, die – wie ein Fischer, der auf seinen Grundköder Acht gibt – im Zimmer auf und nieder trippelte, um die Wirkung ihrer Kriegslist zu beobachten, fragte: »ob Mordaunt von Burgh-Westra noch nicht zurück sei?«

Diese Frage war das Stichwort für Swertha, die mit einem halb wahren, halb angenommenen Tone kummervoller Besorgnisse antwortete: »Nein, nein! Keine solche Musik ist vor unserer Thür ertönt. Es wäre gewiß eine frohe Nachricht, wenn man hörte, daß Mr. Mordaunt, der arme liebe Junge, wieder glücklich nach Hause gekommen wäre.«

»Und wenn er noch nicht gekommen ist, warum legst du denn ein Gedeck für ihn hin, thörichte Träumerin?« erwiderte Mertoun in einem Tone, der nicht dazu gemacht war, die alte Frau zur Verfolgung ihres Planes aufzumuntern. Allein sie erwiderte ganz dreist, daß doch irgend Jemand an Mr. Mertoun denken müßte, und daß Alles, was sie thun könnte, sei, Platz und Teller für ihn bereit zu halten, wenn er käme. Sie meinte aber, der liebe Junge sei schon über die Maßen lange weg, und wenn sie es frei heraussagen dürfte, so habe sie ihre ganz eigenen Besorgnisse, wann und ob er je wieder nach Hause kommen möchte.

»Deine Besorgnisse!« sagte Mertoun, und seine Augen blitzten wie gewöhnlich, wenn die Stunde seiner unbezähmbaren Leidenschaft nahte, »wie kannst du mir von deinen eitlen Besorgnissen etwas sagen wollen, da ich weiß, daß Jede deines Geschlechts, die nicht aus Wankelmuth, Thorheit, Einbildung und Eigenwillen besteht, aus nichts als einfältigen Besorgnissen, Grillen und Furcht zusammengesetzt ist? Was gehen mich deine Besorgnisse an, thörichte alte Hexe?«

Es ist eine bewundernswürdige Eigenschaft der Frauen, daß das ganze Geschlecht sogleich unter Waffen ist, sobald ein Eingriff in die Gesetze der natürlichen Zuneigung und Anhänglichkeit zu ihrer Kenntniß gelangt. Wenn auf der Straße Lärm entsteht, und es heißt, daß Vater oder Mutter ein Kind, oder das Kind eines von den Eltern gemißhandelt hat – von Mann und Frau nicht zu reden, weil man da die Theilnahme auf Rechnung der Sympathie setzen könnte – so nehmen sogleich alle Frauen ringsumher einen lebendigen und entschiedenen Antheil an dem Beleidigten. Swertha hatte, ungeachtet ihrer Habsucht und ihres Geizes, doch auch ihren Antheil an dem schönen Gefühl erhalten, welches ihrem Geschlechte so große Ehre macht, und wurde bei dieser Gelegenheit von demselben so mächtig fortgerissen, daß sie ihrem Herrn kühn die Stirne bot, und ihm seine hartherzige Gleichgültigkeit mit einer Dreistigkeit vorwarf, über die sie sich selbst wundern mußte.

»Allerdings komme es ihr nicht zu, Besorgnisse für ihren jungen Herrn, Mr. Mordaunt, zu hegen, obgleich er so zu sagen das Seekalb ihres Herrn sei, aber jeder andere Vater, als Seine Gnaden, würde Nachforschungen nach dem armen Jungen angestellt haben, der nun schon acht Tage von Burgh-Westra fort sei, und von dem Niemand wisse, wohin er gegangen, oder was aus ihm geworden. Es sei kein Kind auf dem Hofe, das nicht um ihn weinte, denn er schnitzte ihnen mit dem Messer ihre Boote, und es würde im ganzen Kirchspiel kein trockenes Auge geben, wenn ihm irgend Etwas zugestoßen sein würde – nein, keines – es müßte denn das Seiner Gnaden sein.«

Mertoun war von der unverschämten Geläufigkeit der Zunge seiner aufrührerischen Haushälterin schon sehr überrascht und Anfangs sogar zum Stillschweigen gebracht worden; bei dem letzten Trumpfe aber befahl er ihr mit barscher Stimme, zu schweigen, und begleitete diesen Befehl mit einem der furchtbarsten Blicke, welche seine dunkeln Augen schießen konnten. Allein Swertha, die sich, wie sie dem Ranzelmann nachher erzählte, während des ganzen Auftrittes wie durch ein Wunder begeistert fühlte, ließ sich von der lauten Stimme und dem gewaltigen Blicke ihres Herrn nicht einschüchtern, sondern fuhr in dem früheren Tone fort:

»Seine Gnaden,« sagte sie, »habe so viel Wesens gemacht, als die armen Leute aus dem Orte einige wenige Kisten und Lumpen, die doch Niemand gebrauche, an dem Ufer aufgefangen hätten, und nun wäre der wackerste Bursche im Lande verloren, und man möchte sagen, vor seinen Augen d'raufgegangen, und kein Mensch frage einmal darnach, was aus ihm geworden wäre.«

»Was wird aus ihm geworden sein, alte Närrin, als was Gutes?« antwortete Mr. Mertoun; »so viel wenigstens, als etwas Gutes an den Thorheiten sein kann, mit denen er seine Zeit verbringt?«

Dieß wurde mehr in einem verächtlichen als in einem zornigen Tone gesprochen, und Swertha, die jetzt schon in Gang gekommen war, beschloß, das Gespräch nicht fallen zu lassen, um so mehr, da das Feuer ihres Gegners schwächer zu werden schien.

»Ja, allerdings bin ich eine alte Närrin; aber wenn nun Mr. Mordaunt in dem Rust umgekommen wäre, wie das Boot, das bei dem unglücklichen Windstoß am vorigen Morgen untergegangen ist – zum Glück war der Windstoß eben so kurz, als er heftig war, sonst wäre kein Mensch davon gekommen – oder wenn er in einem See ertrunken wäre, als er zu Fuß nach Hause ging, oder von einem Abhange, wo sein Fuß ausglitt, herabgestürzt wäre – die ganze Insel wußte, wie wagehalsig er war – wer wäre dann eine Närrin gewesen? ...« Und nun fügte sie den eindringlichen Ausruf hinzu: »Gott beschütze das arme, mutterlose Kind; denn hätte er eine Mutter, so würde man längst nach ihm gesucht haben!«

Dieser letzte Spott erschütterte Mertoun gewaltig; seine Zähne schlugen zusammen, er erbleichte, und rief Swertha stammelnd zu, in sein Studierzimmer zu gehen (das sie fast nie betraten durfte), und ihm eine Flasche zu holen, welche dort stand.

»Aha!« sagte Swertha zu sich selbst, während sie den Auftrag auszuführen eilte, »mein Herr weiß sehr wohl, wo der Becher des Trostes ist, mit dem er das Wasser zu seiner Zeit mischt.«

Es fand sich auch in der That ein Kästchen mit Flaschen, wie man sie gewöhnlich hat, um abgezogene Wasser darin aufzubewahren; aber der Staub und die Spinnengewebe, womit sie bedeckt waren, zeigte, daß man sie seit Jahren nicht von ihrer Stelle gerückt hatte. Swertha zog, mit einiger Mühe und mit Hülfe einer Gabel – denn Korkzieher gab es in Jarlshof nicht – den Kork aus einer der Flaschen, und nachdem sie sich durch den Geruch, und, um nicht fehl zu gehen, durch einen mäßigen Schluck überzeugt, daß sie gesundes Barbadoes-Wasser enthielt, trug sie sie in das Zimmer, wo ihr Gebieter noch immer mit einer Ohnmacht kämpfte. Sie goß nur ein klein wenig in das nächste Glas, das sie finden konnte, in der weisen Ueberlegung, daß bei Jemand, der so wenig an geistige Getränke gewöhnt sei, auch einige Tropfen schon große Wirkung hervorbringen würden. Allein der Patient winkte ihr ungeduldig zu, den Becher, der ungefähr das Dritttheil einer englischen Pinte halten mochte, bis an den Rand zu füllen, und stürzte es, ohne abzusetzen, hinunter.

»Nun mögen uns die Heiligen droben beschützen!« sagte Swertha; »jetzt wird er, der schon toll ist, auch noch betrunken werden, und wer wird ihn dann regieren können?«

Allein Mertoun kam wieder zu Athem, und seine Farbe kehrte zurück, ohne das geringste Anzeichen, daß er betrunken wäre; im Gegentheil erzählte Swertha nachher, obgleich sie immer fest an die Kraft von einem Schluck Branntwein geglaubt, hätte sie doch nie ein solches Wunder davon gesehen – denn er hätte mehr wie ein Mann von dieser Welt gesprochen, als sie es je von ihm gehört, seitdem sie in seinem Dienst stand.

»Swertha,« sagte er, »du hattest recht, und ich hatte unrecht, geh' sogleich zu dem Ranzelmann hinunter, und sage ihm, daß er augenblicklich herkommen soll, weil ich mit ihm zu sprechen wünsche, und bringe mir genaue Nachricht, wie viele Boote und Leute er aufbieten kann; ich will sie alle auf Nachforschung ausschicken, und sie sollen reichlich belohnt werden.«

Angefeuert von dem Geiste, der, wie das Sprichwort sagt, alte Weiber traben macht, ging Swertha in das Dorf hinab, mit der ganzen Eile von sechzig Jahren, voll Freude, daß ihre Gefühle der Sympathie wahrscheinlich ihren eigenen Lohn bringen würden, da sie zu einer Nachforschung Gelegenheit gegeben habe, welche so einträglich zu werden versprach, und von deren Ertrag sie sich auch schon ihren Theil zufließen sah. Während des Weges, und noch lange ehe man ihre Stimme vernehmen konnte, rief sie schon die Namen, Neil Ronaldson, Swen Erickson, und die der andern Freunde und Bundesgenossen, welche bei ihrer Sendung in Betracht kommen durften; denn – wenn gleich die gute Frau auch einen innigen Antheil an Mordaunt Mertoun nahm, und sie durch seine Abwesenheit in eine wirkliche Angst gerathen war – so würde ihr doch, die Wahrheit zu gestehen, nichts ungelegener gewesen sein, als wenn ihr Mordaunt jetzt frisch und gesund entgegen getreten wäre, und durch seine Erscheinung die Kosten und die Anstalten zur Nachforschung nach ihm unnöthig gemacht hätte.

Swertha hatte ihr Geschäft in dem Dorfe bald abgethan, war mit den Rathsmännern in dem Orte über die Procente einig geworden, die ihr von ihrer Sendung zufallen sollten, und kehrte nun sogleich nach Jarlshof zurück, begleitet von Neil Ronaldson, den sie über alle Eigenthümlichkeiten ihres Herrn auf das Beste zu belehren suchte.

»Vor allen Dingen,« sagte sie, »laß ihn nie auf eine Antwort warten, und sprich laut und deutlich, als ob du ein Boot anriefest, denn er sagt nicht gern eine Sache zweimal, und wenn er nach Entfernungen fragt, so kannst du aus Landmeilen immer Seemeilen machen, denn er weiß nichts von der Welt, in der er lebt, und wenn du von Silber sprichst, so kannst du getrost Dollars statt Schillinge fordern, denn er macht sich nicht mehr daraus, als ob es Schieferstücke wären.«

So unterrichtet, trat Neil Ronaldson vor Mertoun, merkte aber zu seiner größten Bestürzung sehr bald, daß er sich nach dem entworfenen Betrugssystem nicht füglich richten könnte. – Als er durch Ueberschätzung der Entfernung und Uebertreibung der Gefahr die Bezahlung für die Boote und Leute hinaufzuschrauben suchte, kam ihm Mertoun in die Quere, und zeigte plötzlich nicht allein die genaueste Kenntniß des Landes, sondern auch aller Entfernungen, Fluthen, Strömungen, kurz alles Dessen, was zur Beschiffung dieser Meere erforderlich ist, obgleich dieß Gegenstände waren, mit denen er bis jetzt durchaus unbekannt zu sein schien. Der Ranzelmann zitterte, als das Gespräch nun auch auf die Belohnung der Leute für die Nachforschungen kam, denn es war höchst wahrscheinlich, daß Mertoun ebensowohl über das unterrichtet war, was in solchen Fällen als recht und billig gilt, als über andere Gegenstände, und Neil erinnerte sich noch sehr deutlich des Ausbruches seiner Wuth, als er, kurz nachdem er sich in Jarlshof niedergelassen, Swertha und Swen Erickson aus dem Hause getrieben hatte. Während er indeß zwischen der Besorgniß, zu viel oder zu wenig zu fordern, schwankte, machte Mertoun seiner Ungewißheit auf einmal dadurch ein Ende, daß er ihm eine Belohnung versprach, welche das weit überstieg, was er zu fordern gewagt haben würde, und noch eine außerordentliche Erkenntlichkeit verhieß, wenn sie mit der angenehmen Nachricht zurückkehrten, daß sein Sohn geborgen sei.

Als dieser wichtige Punkt in Richtigkeit gebracht war, fing Neil Ronaldson, als ein gewissenhafter Mann, ernstlich zu überlegen an, an welchen Orten man die Nachforschungen nach dem jungen Manne am besten beginnen könne, und nachdem er getreulich versprochen hatte, daß in allen Häusern, sowohl auf dieser, als auf den benachbarten Inseln, die genauesten Nachforschungen vorgenommen werden sollten, fügte er hinzu: »daß nun noch, wenn Se. Gnaden es nicht übel nehmen wollten, nicht weit davon eine Gewisse wäre, die, wenn Jemand eine Frage an sie richten, und sie sie beantworten wollte, bessere Auskunft über Mr. Mordaunt zu geben im Stande sein würde, als irgend Jemand sonst. Ihr werdet wohl wissen, wen ich meine, Swertha? Die, die heute Morgen am Hafen war.« – So schloß er seine Rede, indem er sich mit einem geheimnißvollen Blicke an die Haushälterin wendete, die ihn durch einen Wink des Einverständnisses beantwortete.

»Was meint Ihr damit?« fragte Mertoun, »sprecht es aus, kurz und frei – von wem redet Ihr?«

»Der Ranzelmann,« sagte Swertha, »denkt an Norna von Fitful-Head, denn sie ist heute Morgen in ihren Geschäften nach Sanct Ringans-Kirche hinaufgegangen.«

»Und was kann diese Person von meinem Sohne wissen?« sagte Mertoun; »ich denke, sie ist eine verrückte Herumtreiberin oder Betrügerin.«

»Wenn sie umherwandert,« sagte Swertha, »so geschieht das nicht deßwegen, weil sie keine Mittel hat, sich zu Hause zu ernähren, das weiß man wohl; – sie hat bei sich Ueberfluß an Allem, auch würde der Voigt sie wohl an Nichts Mangel leiden lassen.«

»Aber wie reimt sich das Alles mit meinem Sohne zusammen?« sagte Mertoun ungeduldig.

»Das weiß ich nicht – aber sie fand seit dem ersten Male, wo sie den Mr. Mordaunt sah, immer ganz besonders Gefallen an ihm, gab ihm von Zeit zu Zeit allerhand schöne Sachen; der goldenen Kette nicht zu erwähnen, die er um seinen lieben Hals trägt – die Leute sagen, sie sei von Zaubergold; ich weiß nicht, was Gold ist, aber Bryce Snailsfoot sagte, daß sie wohl hundert Pfund Englisch werth sein möchte, und das ist doch keine faule Nuß.«

»Geht, Ronaldson,« sagte Mertoun, »oder schickt Jemand hin, das Weib aufzusuchen, wenn Ihr glaubt, daß sie vielleicht von meinem Sohne etwas weiß.«

»Sie weiß Alles, was auf den Inseln vorgeht,« sagte Neil Ronaldson, »viel früher als andere Leute, und das ist beim Himmel wahr. Aber nach der Kirche oder dem Kirchhofe zu gehen, um sie aufzusuchen – das wird kein Mensch auf Shetland thun, weder für Geld noch für gute Worte – und das ist eben so wahr, als was ich eben gesagt habe.«

»Feige, abergläubische Thoren!« sagte Mertoun. »Gib mir meinen Mantel, Swertha; dieß Weib ist in Burgh-Westra gewesen, sie ist mit Troils Familie verwandt – sie könnte wohl etwas von Mordaunts Abwesenheit und der Ursache davon wissen – ich will sie selbst aufsuchen – sie ist bei der Kreuzkirche, sagt Ihr?«

»Nein, nicht bei der Kreuzkirche, sondern bei der alten Sanct Ringans-Kirche – es ist eine traurige Gegend und nicht so ganz richtig, und wenn Euer Gnaden,« fügte Swertha hinzu, »mir folgen wollten, so solltet Ihr warten, bis sie zurückkäme, und sie nicht dort stören, wo sie, so viel wir wissen, mehr mit den Todten als mit den Lebendigen zu thun hat. Leute ihrer Art lieben es nicht, daß Andere ihnen auf die Finger sehen, wenn sie – Gott sei bei uns! – ihr Wesen treiben.«

Mertoun antwortete nicht, sondern warf seinen Mantel leicht um (es war ein Tag des Nebels, mit einzelnen Regenschauern untermischt), verließ das verfallene Haus von Jarlshof, und ging ungleich schnelleren Schrittes, als er sonst zu thun gewohnt war, der verfallenen Kirche zu, welche, wie er wohl wußte, drei oder vier Meilen von seiner Wohnung entfernt war.

Der Ranzelmann und Swertha sahen ihm schweigend nach, bis er ihnen aus dem Gesichte war, blickten dann einander bedenklich an, schüttelten ihre weißen Häupter voll ernster Ahnung, und sprachen bedächtig mit einander.

»Thoren sind immer flink auf den Füßen,« sagte Swertha.

»Behexte Leute laufen schnell,« fügte der Ranzelmann hinzu, »und dem, wozu wir geboren sind, können wir einmal nicht entgehen. Ich habe Leute gekannt, die Behexte aufzuhalten versucht haben. Ihr werdet auch von Helene Finberson von Camsei gehört haben, wie sie alle Löcher und Fenster im Hause zustopfte, damit ihr Mann nicht das Tageslicht erblicken und hinaus auf's Fischen gehen möchte, weil sie ungestümes Wetter besorgte, und wie das Boot, worin er fahren sollte, im Rust verloren ging, und wie sie nach Haus kam, und sich freute, daß ihr Mann geborgen sei – wie aber das Alles nichts half, und sie ihn im Maischbottig, in seiner eigenen Hütte, ertrunken fand und noch mehr.«

Hier unterbrach indeß Swertha den Ranzelmann, um ihn daran zu erinnern, daß er nun nach dem Hafen hinuntergehen müßte, die Fischerboote auslaufen zu lassen; »denn,« sagte sie, »mein Herz blutet mir um den wackern Jungen, und ich fürchte, er ist schon verloren, ehe Ihr in See geht; und dann, so mag, wie ich Euch oft gesagt habe, mein Herr wohl lenken, aber fahren mag er nicht, und wenn Ihr nicht thut, was er befiehlt, und in See geht, so bekommt Ihr nicht einen Pfennig Schifferlohn.«

»Nun, nun, gute Frau,« sagte der Ranzelmann, »wir wollen so schnell auslaufen, als wir können, und zum guten Glück ist weder Clausons noch Peter Groats Boot diesen Morgen auf das Meer hinaus; denn als sie an Bord gingen, lief ihnen ein Kaninchen quer über den Weg, und da kamen sie denn, wie kluge Leute, zurück, weil sie wohl wußten, daß sie dann heute noch andere Arbeit erhalten würden. Und es ist wirklich merkwürdig, Swertha, wie wenig wahrhaft gescheidte Leute es noch im Lande gibt. – Da ist nun unser großer Udallar, der ist ganz tüchtig, wenn er nüchtern ist, aber er macht zu viele Reisen in seinem Schiffe und seiner Jölle, um lange so bleiben zu können, und jetzt, sagen sie, soll es mit seiner Tochter Minna da oben auch nicht so ganz richtig sein. – Da ist Norna, sie weiß freilich viel mehr als andere Leute, aber eine eigentlich kluge Frau kann man sie doch nicht nennen. – Nun, unser Tacksmann, Meister Mertoun, sein Verstand hat auch im Bugspriet 'nen Riß bekommen, – sein Sohn ist ein toller Laffe; und außerdem kenne ich doch wenig Leute von Bedeutung hier – versteht sich, mich selbst und etwa Euch, Swertha, ausgenommen – die man nicht auf eine oder die andere Art Narren nennen könnte.«

»Das kann wohl sein, Neil Ronaldson,« sagte die alte Frau, »aber wenn Ihr nun nicht nach dem Ufer eilt, so versäumt Ihr die Fluth, und wie ich zu meinem Herrn noch kurz vorher sagte: wer ist dann der größte Narr?«


 


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