Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

 

Schwand all' die Freude, die wir theilten, hin?
Der Schwestern Wunsch, die trautverlebte Stunde,
Wo wir geschmäht den schnellen Schritt der Zeit,
Wenn er uns schied; o, Alles ist vergessen?

Sommernachtstraum.

 

Minna's Aufmerksamkeit war durch diese Erzählung des Schreckens, welche manche Fingerzeige bestätigten, die sie von ihrem Vater und andern nahen Verwandten über Norna gehört hatte, sehr angeregt worden, und sie selbst war eine Zeitlang so in Schrecken und Erstaunen verloren, daß sie nicht einmal versuchte, mit ihrer Schwester Brenda zu sprechen. Als sie endlich diese bei ihrem Namen rief, erhielt sie keine Antwort, und als sie ihre Hand berührte, fand sie diese eiskalt. Auf das Aeußerste erschreckt, riß sie die Jalousien und Fensterladen auf, durch welche zugleich die freie Luft und der bleiche Schimmer der nordischen Sommernacht hereinströmte. Jetzt wurde sie gewahr, daß ihre Schwester in Ohnmacht lag. Alle Gedanken an Norna, ihre furchtbare Erzählung und ihre geheimnißvolle Verbindung mit der unsichtbaren Welt waren in diesem Augenblicke vergessen, und sie eilte nach dem Zimmer der alten Haushälterin, um diese zu Hülfe zu rufen, ohne daran zu denken, welche Erscheinungen ihr in den langen, dunkeln Gängen, die sie zu durchwandern hatte, begegnen könnten.

Die Alte eilte zu Brenda's Beistande herbei, und wandte sogleich alle Mittel an, welche ihre Erfahrung ihr an die Hand gab; allein das Nervensystem des armen Mädchens war durch die furchtbare Erzählung, die sie gehört hatte, so erschüttert worden, daß sie, als sie aus der Ohnmacht wieder zu sich kam, trotz ihrer Anstrengung, sich zu fassen, einen ziemlich anhaltenden hysterischen Anfall bekam. Auch dieser wich indeß der Erfahrung der alten Euphane Fea, welche mit den einfachen, auf Shetland gewöhnlichen Heilmitteln sehr wohl bekannt war, und die die Kranke zum Schlummer brachte, nachdem sie ihr einen niederschlagenden, aus Kräutern und wilden Blumen bereiteten Trank gereicht hatte. Minna legte sich zu ihr nieder, küßte ihre Wange und suchte in den Armen des Schlafes Ruhe; allein je sehnlicher sie ihn herbeirief, desto mehr schien er ihre Augen zu fliehen, und wenn sie zu Zeiten im Begriff war, einzuschlummern, so tönte die Stimme der unfreiwilligen Vatermörderin in ihre Ohren und erweckte sie zu wahrem Bewußtsein.

Die frühe Morgenstunde, zu der sie aufzustehen gewohnt waren, fand die Schwestern in einem Zustande, welcher von dem ganz verschieden war, den man hätte erwarten sollen. Ein sanfter Schlaf hatte das Feuer von Brenda's hellem Auge und die Rosen auf ihrer blühenden Wange wieder hervorgerufen, und die vorübergehende Unpäßlichkeit der vorigen Nacht hatte in ihrem Blicke eben so wenig Verstörung zurückgelassen, als die Schrecken von Norna's Erzählung in ihrer Einbildungskraft. Minna's Blicke waren dagegen trübe, sie selbst schien niedergeschlagen und von Wachen und Angst erschöpft. Die Schwestern sprachen Anfangs wenig miteinander, als ob sie sich fürchteten, einen Gegenstand zu berühren, der eben so erschütternd sei, wie der Auftritt der vergangenen Nacht. Erst nachdem sie, wie gewöhnlich, ihre Andacht gemeinschaftlich verrichtet hatten, ward Brenda, während sie ihrer Schwester Mieder schnürte – denn Beide leisteten sich bei dem Ankleiden gegenseitige Handreichung – gewahr, wie bleich ihre Schwester war; und nachdem sie sich durch einen Blick in den Spiegel überzeugt hatte, daß sie selbst nicht so matt aussehe, küßte sie Minnas Wange und sagte zärtlich: »Claudius Halcro hatte wohl recht, liebe Schwester, wenn seine dichterische Ueberspannung uns die Namen Tag und Nacht beilegte.«

»Und warum machst du gerade jetzt diese Bemerkung?« fragte Minna.

»Weil Jede von uns zu der Tageszeit, von der sie den Namen hat, am gesündesten aussieht. Ich war vor Schrecken beinahe des Todes, als ich in der vergangenen Nacht alle die Dinge hören mußte, welche du mit so besonnener Festigkeit vernahmst, und jetzt, wo es Tag ist, kann ich mit Fassung daran denken, während du so bleich aussiehst, wie ein Geist, den der Sonnenaufgang überrascht.«

»Du bist sehr glücklich, Brenda,« sagte ihre Schwester ernst, »daß du eine so wunderbare und schreckliche Geschichte so bald vergessen kannst.«

»Das Schreckliche,« entgegnete Brenda, »läßt sich nicht so leicht vergessen; nur muß man hoffen, daß des unglücklichen Weibes erhitzte Einbildungskraft, welche sich so thätig bei der Herbeizauberung von Erscheinungen beweist, ihr ein Verbrechen angedichtet hat.«

»Du glaubst also,« sagte Minna, »nichts von ihrer Zusammenkunft bei dem Zwergsteine, jenem wunderbaren Orte, von dem man so viel erzählt und der so viele Jahrhunderte lang für das Werk eines Dämons und für seinen Wohnsitz gegolten hat?«

»Ich kann mir nicht denken,« sagte Brenda, »daß unsere unglückliche Verwandte eine Betrügerin sei, und glaube deßwegen, daß sie während eines Gewitters bei dem Zwergsteine war, daß sie in demselben Schutz suchte, und daß sie während des Schlafes oder während einer Ohnmacht einen Traum hatte, welcher mit den Volkssagen übereinstimmte, mit denen sie so sehr vertraut war, mehr kann ich nicht glauben.«

»Und doch bestätigte der Erfolg die dunklen Andeutungen des Gesichts,« sagte Minna.

»Verzeih'!« erwiderte Brenda. »Ich glaube vielmehr, daß der Traum ohne dieses Ereigniß nie eine deutliche Gestalt angenommen, oder sie sich desselben vielleicht gar nicht erinnert hätte. Sie sagte uns ja selbst, daß sie das Gesicht beinahe vergessen hatte, und sich seiner erst nach ihres Vaters furchtbarem Tode wieder erinnerte, – und wer bürgt uns dafür, daß nicht das, was sie sich noch davon zu erinnern glaubte, nichts weiter war, als ein Gebilde ihrer eigenen, von der schrecklichen Begebenheit ganz natürlich zerrütteten Einbildungskraft? Hätte sie den Zauberzwerg wirklich gesehen und mit ihm gesprochen, so würde sie sich der Unterredung lange genug erinnert haben – ich wenigstens hätte es gewiß.«

»Brenda,« antwortete Minna, »du hast doch den guten Pfarrer der Kreuz-Kirche sagen hören, daß Menschenweisheit ärger denn Thorheit sei, wenn man sie auf Geheimnisse anwende, welche über unsere Fassungskraft gehen, und daß wir, wenn wir nicht mehr glaubten, als wir begreifen könnten, oft dem Zeugniß unserer Sinne widersprechen müßten, die uns bei jeder Gelegenheit Umstände vorführten, welche eben so zuverlässig als unbegreiflich wären.«

»Du bist selbst zu gelehrt, Schwester,« erwiderte Brenda, »als daß du den Beistand des guten Pfarrers der Kreuz-Kirche bedürftest; aber ich meine, seine Lehre bezog sich nur auf die Geheimnisse unserer Religion, welche wir, unserer Pflicht gemäß, ohne Grübeln oder Zweifel annehmen müssen. – Allein bei Sachen, die im gemeinen Leben vorkommen, können wir, da Gott uns die Vernunft gegeben hat, unmöglich unrecht thun, wenn wir diese gebrauchen. Du aber, liebe Minna, hast eine regere Einbildungskraft, als ich, und nimmst alle diese wunderbaren Geschichten für Wahrheit, weil du gern an Zauberer, Zwerge und Wassergeister denkst, und gern eine kleine Trau oder Fee, wie die Schotten sie nennen, mit einem grünen Kleide und einem Paar Flügel mit so glänzenden Farben, als der Schimmer am Halse des Staares, zu deiner Bedienung haben möchtest.«

»Das würde dir wenigstens die Mühe ersparen, mein Mieder zu schnüren,« sagte Minna, »und noch dazu falsch, denn du hast in der Hitze deiner Rede zwei Schnürlöcher übersprungen.«

»Dem kann gleich abgeholfen werden,« erwiderte Brenda, »und dann will ich, wie einer deiner Freunde sagen würde, recht ordentlich anholen und belegen – aber du holst so tief Athem, daß das ziemlich schwer werden wird.«

»Ich seufzte nur darüber,« sagte Minna in einiger Verlegenheit, »daß du mit dem Unglücke dieser ungewöhnlichen Frau deinen Spott treiben und dich darüber lustig machen kannst.«

»Ich mache mich nicht darüber lustig, das weiß Gott,« erwiderte Brenda etwas verdrießlich; »du aber, Minna, verdrehst Alles, was ich in Wahrheit und Liebe sage, in etwas Hartes oder Schlechtes. Ich betrachte Norna als eine Frau von außerordentlichen Fähigkeiten, die sich überhaupt mit einem hohen Grade von Geistesverwirrung sehr wohl vereint denken lassen, und glaube, daß sie die Witterungsanzeichen besser kennt, als irgend eine Frau in Shetland; daß sie aber irgend eine Gewalt über die Elemente besitze, daran glaube ich nicht mehr, als an die Ammenmährchen von König Erik, der den Wind aus der Ecke herkommen lassen konnte, wohin er seine Mütze drehte.«

Minna, welche der beharrliche Unglaube ihrer Schwester etwas verdroß, erwiderte spitzig: »Und doch ist es diese Frau – diese halbverwirrte Frau und arge Betrügerin, von welcher du dir in der Angelegenheit Rath ertheilen ließest, die dir in diesem Augenblicke am meisten am Herzen liegt.«

»Ich weiß nicht, was du meinst,« sagte Brenda hoch erröthend, indem sie von ihrer Schwester loszukommen suchte. Da sie sich aber jetzt schnüren lassen mußte, konnte Minna sie an der seidenen Schnur, womit sie das Mieder schnürte, festhalten, und sagte, indem sie ihr sanft auf den Nacken schlug, in milderem Tone: »Ist es nicht sonderbar, Brenda, daß du dem Fremden, Mordaunt Mertoun, noch wohlwillst und seiner gedenkst, ungeachtet wir von ihm so behandelt worden sind, und seine Dreistigkeit ihn wieder uneingeladen in ein Haus geführt hat, in dem seine Gegenwart so unangenehm ist? Wahrhaftig, das könnte schon der Beweis dafür sein, daß es noch Zaubermittel im Lande gibt, und daß du selbst von einem solchen befangen bist. Nicht umsonst trägt Mordaunt eine Kette von Elfengold – sieh dich vor, Brenda, und sei klug, da es noch Zeit ist.«

»Ich habe nichts mit Mordaunt Mertoun zu thun,« sagte Brenda hastig, »auch weiß ich nicht, und bekümmere mich nicht darum, was er oder irgend ein anderer junger Mann um den Hals trägt. Ich könnte die sämmtlichen Goldketten der Schöppen von Edinburgh sehen, von denen Lady Glowrowrum so viel spricht, ohne mich in einen von denen zu vergaffen, die sie tragen.« Nachdem sie so der allgemeinen Sitte der Frauen, sich auf eine so allgemeine Anklage nicht für schuldig zu erklären, Genüge geleistet hatte, fing sie in verändertem Tone sogleich wieder an: »Die Wahrheit zu sagen, Minna, mein' ich, daß du und ihr Alle über unsern jungen Freund, der so lange unser vertrautester Gesellschafter war, viel zu voreilig geurtheilt habt. Bedenke, daß Mordaunt Mertoun dir eben so viel ist, als mir – du selbst weißt, daß er zwischen uns keinen Unterschied machte, und daß er, Kette mag Kette sein, wie ein Bruder mit zwei Schwestern lebte. Und doch kannst du ihn auf einmal von dir stoßen, weil ein hergelaufener Seemann, von dem wir nichts wissen, und ein herumtreibender Hausirer, von dem wir sehr wohl wissen, daß er ein Dieb, ein Betrüger, ein Lügner ist, Klätschereien machen und Etwas anbringen, das nicht zu seinen Gunsten ist. Ich kann es nicht glauben, daß er gesagt habe, er könne unter uns wählen, und warte nur, wer Burgh-Westra und Bredneß-Voe bekommen würde. Ich glaube nicht, daß er je gesagt, oder daß er es auch nur gedacht hat, er könne zwischen uns wählen.«

»Vielleicht,« antwortete Minna kalt, »hattest du Grund, zu vermuthen, daß seine Wahl schon getroffen sei.«

»Nein, länger kann ich es nicht ertragen,« sagte Brenda, indem sie ihrer natürlichen Lebhaftigkeit freien Lauf ließ, und den Händen ihrer Schwester entsprang, dann sich umdrehte und sie ansah, während ihre glühende Wange von einem eben so hohen Roth gefärbt war, als ihr Hals und der obere Theil ihres Busens, welchen das halb zugeschnürte Mieder sehen ließ; »selbst von dir will ich das nicht ertragen! Du weißt, daß ich mein ganzes Lebenlang die Wahrheit gesprochen habe, und daß ich die Wahrheit liebe, und ich sage dir, daß Mordaunt Mertoun in seinem Leben nicht eher einen Unterschied zwischen dir und mir machte, als bis ...«

Hier fühlte sie, daß sie etwas Bezügliches zu sagen im Begriff war, und hielt inne. Ihre Schwester aber erwiderte lächelnd: »Nun, Brenda, als bis? ... Mich dünkt, deine Liebe zur Wahrheit scheint denn doch das, was du eben auf der Zunge hattest, nicht so recht herausbringen zu können.«

»Als bis du ihm nicht mehr die Gerechtigkeit widerfahren ließest, die er verdient,« sagte Brenda heftig; »da ich doch frei heraussprechen soll. Ich glaube nicht, daß er dir seine Freundschaft länger aufdringen wird, da du darauf so wenig Werth zu legen scheinst.«

»Nun wohl,« sagte Minna, »du bist sicher vor meiner Eifersucht, sowohl bei seiner Liebe, als bei seiner Freundschaft. Ueberlege es indessen, Brenda! Cleveland hat es nicht gesagt; Cleveland ist der Verleumdung unfähig; Bryce Snailsfoot hat es nicht ausgesprengt; – es ist nicht Einer unter unseren Bekannten und Freunden auf der Insel, der es nicht geradezu sagte, daß das allgemeine Gespräch auf der Insel sei: die Töchter Magnus Troils warteten ruhig darauf, welche von ihnen der namen- und geburtlose Fremde, Mordaunt Mertoun, wählen würde. – Soll man das von uns sagen dürfen, die wir Abkömmlinge eines norwegischen Jarls und die Töchter des ersten Udallars auf Shetland sind? Und würde es sich für uns ziemen, eine solche Beleidigung ungeahndet zu lassen, wenn wir selbst die gemeinsten Mädchen wären, die je einen Milcheimer trugen?«

»Was Thoren sprechen, kränkt nicht,« erwiderte Brenda mit Wärme; »ich werde wegen des Geklätsches der Insel, welches den unschuldigsten Handlungen die schlimmste Deutung unterschieben kann, meinen eigenen Glauben an einen unschuldigen Freund nie aufgeben.«

»So höre nur, was unsere Freunde sagen,« wiederholte Minna; »höre nur, was Lady Glowrowrum, was Maddy und Clara Groatsettar erzählen.«

»Lady Glowrowrum,« antwortete Brenda fest, »hat die böseste Zunge auf ganz Shetland, und Maddy und Clara Groatsettar waren froh, daß Mordaunt vorgestern bei dem Mittagessen zwischen ihnen saß, wie du selbst bemerkt haben würdest, wenn nicht deine Ohren besser beschäftigt gewesen wären.«

»Deine Augen wenigstens waren nur gleichgültig beschäftigt, Brenda,« erwiderte die ältere Schwester, »da sie auf einen jungen Mann geheftet waren, von dem die ganze Welt, dich ausgenommen, die du es nicht zugeben willst, glaubt, daß er mit der unverschämtesten Anmaßung von uns gesprochen habe. Selbst wenn er unschuldig sein sollte, ist es nicht jungfräulich, und zu dreist von dir, wie Lady Glowrowrum sagt, dahin zu sehen, wo er sitzt, da das nur das Gerücht bestätigen muß.«

»Ich werde sehen, wohin ich will,« sagte Brenda, die jetzt immer eifriger wurde, »und Lady Glowrowrum hat weder über meine Gedanken, noch über meine Worte oder über meine Augen das Geringste zu sagen. Ich halte Mordaunt Mertoun für unschuldig – ich glaube es und werde es immer behaupten, und wenn ich nicht mit ihm rede und ihn nicht wie sonst behandele, so geschieht es aus Gehorsam gegen meinen Vater, und nicht deßwegen, was Lady Glowrowrum und alle ihre Nichten, und wenn sie deren zwanzig hätte, statt zwei, über eine Sache denken und meinen, und achselzucken und schwätzen können, die sie nichts angeht.«

»Ach, Brenda,« antwortete Minna mit Ruhe, »diese Lebhaftigkeit verräth, daß du mehr als einen gewöhnlichen Freund vertheidigst! Sei auf deiner Hut; – der, welcher Norna's Frieden für immer störte, war ein Fremder, dem sie gegen den Willen ihrer Familie ihre Gunst schenkte.«

»Es war ein Fremder, ja,« erwiderte Brenda mit Betonung, »nicht allein durch seine Geburt, sondern auch durch seine Sitten. Sie war nicht mit ihm von Kindheit auf erzogen; sie hatte nicht durch einen mehrjährigen vertrauten Umgang die Redlichkeit und Offenheit seines Charakters kennen gelernt. Er war allerdings ein Fremder, war es durch Charakter, Gemüthsart, Geburt, Betragen und sittliche Bildung – vielleicht ein herumziehender Abenteurer, den ein Zufall oder der Sturm auf die Insel geworfen, und der ein falsches Gemüth unter einer freien Stirne verbarg. Nimm dir deine eigene Warnung an, meine gute Schwester, es gibt außer diesem armen Mordaunt Mertoun noch andere Fremde auf Burgh-Westra.«

Minna schien einen Augenblick von der Schnelligkeit, mit welcher ihre Schwester ihre Warnungen und ihren Verdacht ihr zurückgab, überwältigt; allein ihre natürliche Geistesgegenwart ließ sie bald wieder mit angenommener Fassung antworten: »Wenn ich dir, Brenda, eben so wenig Vertrauen bewiese, als du mir, so würde ich dir antworten, daß Cleveland mir nicht mehr gilt, als Mordaunt mir war, oder der junge Swartaster, oder Lorenz Ericson, oder jeder andere Lieblingsgast meines Vaters mir jetzt ist. Allein ich halte es unter meiner Würde, dich zu hintergehen, oder dir meine Gedanken zu verbergen – ich liebe Clement Cleveland.«

»Sage das nicht, theuerste Schwester,« sagte Brenda, indem sie auf einmal alle Bitterkeit des Tones, mit der die Unterhaltung zuletzt geführt worden war, fallen ließ und ihre Arme um den Hals ihrer Schwester schlang; »sage das nicht, ich beschwöre dich! Ich will Mordaunt Mertoun entsagen – ich will schwören, daß ich nie wieder mit ihm reden will – aber wiederhole nicht, daß du diesen Cleveland liebst.«

»Und warum,« sagte Minna, indem sie sich sanft aus ihrer Schwester Armen wand, »sollte ich nicht die Versicherung eines Gefühles wiederholen, auf das ich stolz bin? Die Kühnheit, die Kraft und die Stärke seines Charakters, dem das Befehlen zur Natur geworden und Furcht unbekannt ist – gerade die Eigenthümlichkeiten, welche dich für mein Glück besorgt machen, sind es, die es begründen. Erinnere dich, Brenda, daß während du an dem ruhigen ebenen Meeresufer, wie es im Sommer ist, zu wandeln pflegtest, ich immer den Blick vom Abhange vorzog, wenn die Wogen toben.«

»Und gerade das ist es, was ich fürchte,« sagte Brenda; »gerade diese Neigung zum Abenteuerlichen ist es, welche dich jetzt an den Rand eines Abhanges hinzieht, gefährlicher als je einer, den die Frühlingsfluth bespült. Dieser Mann – sieh nicht finster aus, denn ich will nicht gewöhnliche Klätschereien sagen – ist er nicht selbst in deinen parteiischen Augen schroff und übermüthig? Du sagst, er sei gewohnt, zu befehlen; aber befiehlt er nicht eben deßwegen auch da, wo er kein Recht dazu hat, und da, wo er eigentlich gehorchen sollte? Geht er nicht mehr wegen seiner selbst, als wegen jeder andern Rücksicht der Gefahr entgegen? Und kannst du dir es möglich denken, mit einem so unstäten, stürmischen Geiste verbunden zu sein, dessen Leben bisher nur unter Gefahren und Tod verging, und der selbst an deiner Seite seine Ungeduld nicht verbergen kann, sich wieder in diese Lebensweise zu stürzen? Ein Geliebter muß, dünkt mich, seine Geliebte höher als sein eigenes Leben halten, aber der deinige setzt sie dem Vergnügen nach, Andern den Tod zu geben.«

»Und gerade deßwegen liebe ich ihn,« sagte Minna. »Ich bin eine Tochter der alten norwegischen Frauen, welche ihre Geliebten lächelnd in den Kampf ziehen sahen, und sie mit ihren eigenen Händen umbringen konnten, wenn sie entehrt zurückkehrten. Mein Geliebter muß die Possenspiele verachten, wodurch unser entartetes Geschlecht sich auszeichnen will, oder sie nur zum Scherz und zur Vorbereitung auf höhere Gefahren treiben. Ich mag keinen Wallfisch fangenden, Vogelnester ausnehmenden Liebhaber; mein Geliebter muß ein Seekönig sein, oder was die neueren Zeiten noch sonst aufzuweisen haben mögen, das sich dieser erhabenen Würde nähert.«

»Ach, Schwester,« sagte Brenda, »jetzt muß ich leider ernstlich an die Kraft der Zaubersprüche und Zaubermittel zu glauben anfangen. Du wirst dich jener spanischen Geschichte erinnern, welche du mir vor längerer Zeit einmal wegnahmst, weil ich dir sagte, daß du mit deiner Bewunderung des Ritterthums der alten Zeiten Skandinaviens eben so abenteuerlich wärest, als der Held darin. – Ach! Minna, deine Farbe zeigt schon, daß dein Gewissen dich schlägt, und daß du dich des Buches entsinnst, das ich meine; glaubst du, daß es klüger ist, eine Windmühle für einen Riesen zu halten, als den Befehlshaber eines elenden Kapers für einen Kämpen oder einen Seekönig?«

Minna war in der That aus Aerger über diese Bemerkung erröthet, deren Wahrheit ihr vielleicht einigermaßen einleuchtete.

»Du hast ein Recht, mich zu verhöhnen,« sagte sie, »denn du weißt jetzt um mein Geheimniß.«

Brenda's sanftes Herz konnte diesen Vorwurf der Lieblosigkeit nicht ertragen, sie beschwor ihre Schwester, ihr zu verzeihen, und Minna's natürliche Herzensgüte konnte ihren Bitten nicht lange widerstehen.

»Wir sind schon sehr unglücklich,« sagte sie, während sie ihrer Schwester Thränen trocknete, »daß wir nicht mit denselben Augen sehen können – laß uns nicht einander durch gegenseitigen Hohn und Lieblosigkeit noch elender machen. Du weißt jetzt mein Geheimniß – es wird vielleicht nicht lange eines bleiben, denn mein Vater soll es erfahren, sobald gewisse Umstände es thunlich gemacht haben werden. Einstweilen weißt du, ich wiederhole es, um mein Geheimniß, und ich bin mehr als gewiß, daß ich auch um das deinige weiß, obgleich du dich weigerst, es einzugestehen.«

»Wie, Minna!« erwiderte Brenda, »soll ich denn Gefühle, wie die, welche du meinst, für irgend Jemand eingestehen, ehe er das geringste Wort gesagt hat, das ein solches Eingeständniß rechtfertigen könnte?«

»Allerdings nicht; allein ein verborgenes Feuer verräth sich sowohl durch Hitze, als durch die Flamme.«

»Du scheinst dich auf solche Zeichen zu verstehen,« sagte Brenda, indem sie ihren Kopf senkte und vergebens der Versuchung zu widerstehen suchte, die Bemerkung ihrer Schwester durch eine andere, bezügliche, zu beantworten; »aber ich kann dir nur das sagen, daß ich, wenn ich je lieben sollte, es gewiß nicht eher thun werde, als bis man mich zwei- oder dreimal dazu aufgefordert hat, was mir bis jetzt noch nicht begegnet ist. Aber laß uns nicht unsern Zwist erneuern, und lieber darüber nachdenken, warum uns Norna diese furchtbare Geschichte erzählt hat und wozu sie führen soll.«

»Sie hat als Warnung dienen sollen,« erwiderte Minna, »eine Warnung, welche unsere Lage und, ich läugne es nicht, namentlich die meinige, ihr zu erfordern schien; allein ich bin stark in meiner Unschuld und Clevelands Ehre.«

Brenda hätte ihr gern geantwortet, daß sie sich auf die zweite nicht so sicher als auf die erste verlassen möchte, aber sie war vorsichtig und antwortete daher nur, um nicht die frühere peinliche Erörterung wieder aufzufrischen: »Es ist sonderbar, daß uns Norna nicht mehr von ihrem Geliebten erzählt hat. Ich will doch nicht hoffen, daß er sie in dem äußersten Elende verlassen hat, in das er sie brachte?«

»Es mag Augenblicke im Unglück geben,« sagte Minna nach einer Pause, »in welchen das Gemüth so verstimmt ist, daß es selbst bei den Gefühlen, welche es am meisten beschäftigt haben, nicht mehr anspricht; ihr Kummer über ihren Geliebten mag in dem Abscheu und in der Verzweiflung untergegangen sein.«

»Oder er mag von den Inseln, aus Furcht vor der Rache unsers Vaters, entflohen sein,« sagte Brenda.

»Wenn er aus Furcht oder Verzagtheit fähig war,« sagte Minna, indem sie emporblickte, »vor dem Anblicke des Unglücks zu fliehen, das er angerichtet hatte, so hoffe ich, daß er jetzt schon die Strafe erhalten hat, welche der Himmel für die schändlichsten Verräther und Feiglinge bestimmt hat. – Komm, Schwester, man hat uns schon lange am Frühstückstische erwartet.«

Dahin gingen sie, Arm in Arm, mit weit größerem Vertrauen, als in der letzten Zeit zwischen ihnen geherrscht hatte, indem ihr kleiner Zank wie eine Art Bourrasque oder plötzlicher Windstoß gewirkt hatte, der Nebel und Dünste zerstreut und schönes Wetter herbeiführt.

Auf dem Wege zum Frühstückszimmer kamen sie darin überein, daß es unnöthig sei, und vielleicht unklug, ihrem Vater die näheren Umstände des nächtlichen Besuches mitzutheilen, oder ihn merken zu lassen, daß sie mehr als sonst von der traurigen Geschichte Norna's wüßten.


 


 << zurück weiter >>