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Zwölftes Kapitel.

 

– – – – Du hast beschrieben,
Wie ein warmer Freund erkaltet; – merk' dir, Lucilius.
Fängt Liebe an zu kränkeln und zu schwinden,
Bringt sie gewöhnlich nur erzwung'ne Förmlichkeit. –
Nicht Streiche findet man im einfach offnen Glauben.

Julius Cäsar.

 

Wenn der Geruch, der aus den Schornsteinen von Burgh-Westra zu den öden Hügeln aufstieg, die das Wohnhaus umgaben, schon – wie Mrs. Barbara meinte – die Hungrigen erquickt haben könnte, so würde der Lärm, welcher daraus erschallte, den Tauben das Gehör wiedergegeben haben. Es war ein Gemisch aller Laute, und Alle hingen mit Fröhlichkeit und heiterem Willkommen zusammen. Auch waren die damit verbundenen Anblicke, die sich dem Auge darboten, nicht minder belebend.

Schaaren von Freunden kamen an – die losgelassenen Klepper liefen nach allen Seiten zu den Mooren, um so gut als möglich ihre Waiden wiederzufinden, da dieß die Art war, wie man die für den Dienst eines Tages ausgehobene Cavallerie entließ. In einem kleinen, aber bequemen Hafen, der sich bis zu dem Dorfe und dem Hause hinzog, landeten die Besucher von den entfernten Inseln und der Küste, die in den Booten gekommen waren, und die Seereise vorgezogen hatten. Da sie oft anhielten, einander zu begrüßen, konnten Mordaunt und seine Begleiter eine Gesellschaft nach der andern dem Hause zugehen sehen, dessen immer offene Thüre sie in so großer Menge aufnahm, daß es beinahe schien, als sei der Raum des Hauses, trotz des Reichthums und der Gastfreiheit des Besitzers, für die Gäste nicht einmal groß genug.

Zwischen den verworrenen Tönen der Freude und der Bewillkommnung, mit denen jede neu ankommende Gesellschaft begrüßt wurde, glaubte Mordaunt das laute Lachen und die herzliche Begrüßung des Hausherrn zu vernehmen; er begann um so stärker die beängstigenden Zweifel zu fühlen, ob dieser herzliche Empfang, der allen Andern so uneingeschränkt zu Theil wurde, sich auch bis auf ihn erstrecken würde. Als man näher kam, hörte man deutlich das freiwillige Spiel und die munteren Töne der wackern Geiger, welche schon ungeduldig mit ihren Bogen die Klänge hervorlockten, mit denen sie den Abend erheitern sollten. Das Geschrei der Gehülfen des Kochs und das laute Schelten des Kochs selbst, konnte man ebenfalls vernehmen – Töne, die zu jeder andern Zeit für Mißklänge gegolten haben würden, die aber jetzt, mit andern vermischt, und durch gewisse Verbindungen, keinen unangenehmen Bestandtheil des vollen Chores bilden, der einem ländlichen Feste jedesmal vorangeht.

Während dieser Zeit waren unsere Gäste herangekommen, Jeder von seinen eigenen Gedanken erfüllt. Von denen Mordaunts haben wir schon oben gesprochen. Baby war ganz in den Kummer und das Erstaunen versunken, welches die bestimmte Ueberzeugung bei ihr hervorgebracht hatte, daß wirklich so viel Speise zubereitet worden sei, als hinlänglich war, alle Die zu sättigen, die sie um sich her so laut lärmen hörte, – eine Ausgabe, deren Größe, wenn sie davon auch nichts zu tragen hatte, ihre Nerven erschütterte, wie der Anblick eines Gemetzels die des gleichgültigsten Zuschauers ergreifen würde, so überzeugt er auch von seiner persönlichen Sicherheit sein möchte. – Ihr wurde bei dem Anblicke einer solchen Verschwendung unwohl, wie dem [abessinischen] Bruce, als er die unglücklichen Barden von Gondar auf Ras Michaels Befehl in Stücke hauen sah. Was ihren Bruder betraf, so waren seine Gedanken – da sie da angekommen waren, wo die rohen und alterthümlichen Werkzeuge des shetländischen Ackerbaues in der gewöhnlichen Verwirrung eines schottischen Pächterhofes umherlagen – nur mit der Unvollkommenheit des einsterzigen Pfluges; des twixar, womit man den Torf sticht; der Schlitten, worauf man allerhand Sachen herbeischafft, kurz, mit all' Dem beschäftigt, wodurch sich die Gewohnheiten dieser Inseln von denen Schottlands unterscheiden. Der Anblick dieser unvollkommenen Werkzeuge brachte Triptolemus Yellowley's Blut in Bewegung, so wie das des kühnen Kriegers zu wallen anfängt, wenn er die Waffen und Feldzeichen des Feindes sieht, mit dem er kämpfen soll; seines großen Unternehmens eingedenk, empfand er weniger den Hunger, den seine Reise bei ihm erregt hatte (obgleich dieser bald durch ein Mittagsessen gestillt werden sollte, wie es ihm selten zu Theil wurde), als die Wichtigkeit der Aufgabe, die er zu lösen unternommen hatte: die Sitten der Shetländer zu verfeinern, und ihren Ackerbau zu verbessern.

» Jacta est alea,« brummte er vor sich hin, »dieser Tag soll mir beweisen, ob die Shetländer unsrer Anstrengungen werth, oder ob ihre Gemüther des weiteren Anbaues eben so unfähig sind, wie ihre Torfmoore. Aber wir wollen vorsichtig zu Werke gehen, und die passende Zeit zum Sprechen abwarten. Ich fühle es an mir selbst, daß es besser ist, den Körper in seinem gegenwärtigen Zustande die Stelle der Seele einnehmen zu lassen. Ein Bissen von dem Roost-Beef, das so appetitlich riecht, wird eine vortreffliche Einleitung zu meinem großen Plane bilden, die Zucht der Thierart selbst zu verbessern.«

Die Gäste waren inzwischen an der niedrigen, aber langen Vorseite von Magnus Troils Hause angelangt, welches zu verschiedenen Zeiten erbaut zu sein schien, und an dem man mehrere große, geschmacklose Anbauten gemacht hatte, je nachdem die Vergrößerung des Gutes oder der Familie des Eigenthümers diese zu erfordern geschienen. Unter einem niedrigen, aber breiten und großen gewölbten Vorbau, der von zwei gewaltigen, hölzernen, mit Schnitzwerk verzierten Säulen getragen wurde, die einst die Hauptverzierungen von Schiffen gewesen waren, die an der Küste strandeten, stand Magnus selbst, die zahlreichen Gäste, welche nach und nach ankamen, zu empfangen und zu bewillkommnen. Seine große stattliche Gestalt paßte sehr gut zu dem Anzuge, den er trug, einen blauen Rock von altväterischem Schnitt, mit Scharlach gefüttert und mit goldenen Tressen auf den Nähten, an den Knopflöchern und an den großen Aufschlägen besetzt. Derbe, männliche Züge, welche durch häufigen Aufenthalt in freier Luft bei strengem Wetter geröthet und gebräunt waren; ein ehrwürdiges Silberhaar, welches in reichlicher Fülle unter seinem goldenen Tressenhute hervorwallte, und hinten ganz leicht durch ein Band zusammengehalten wurde, deuteten sein vorgerücktes Alter, seinen heftigen, aber gutmüthigen Charakter und seine kernhafte Gesundheit an. Als unsere Reisenden sich ihm nahten, schien eine leichte Wolke des Mißvergnügens über seine Stirne zu fliegen, und auf einen Augenblick den aufrichtigen und herzlichen Erguß der Fröhlichkeit zu hemmen, mit welchem er alle früher Ankommenden begrüßt hatte. Als er sich dem Triptolemus Yellowley näherte, richtete er sich noch einmal so gerade auf, um, wie es schien, in das Willkommen des freiherzigen und gastfreundlichen Wirthes auch etwas von der gestattlichen Gewichtigkeit des reichen Udallars zu legen.

»Ihr seid willkommen, Herr Yellowley,« redete er den Verwalter an: »Ihr seid willkommen in Westra. Der Wind hat Euch an eine rauhe Küste verschlagen, und wir, die Eingeborenen, müssen so freundlich gegen Euch sein, als wir können. Dieß, glaube ich, ist Eure Schwester – Mrs. Barbara Yellowley; vergönnt mir die Gunst eines nachbarlichen Grußes.« Und mit diesen Worten nahm er sich, mit einer dreisten, eigenmächtigen Höflichkeit, die man in unsern ausgearteten Tagen vergeblich suchen würde, die Freiheit, einen Kuß auf die verwelkte Wange der Jungfrau zu drücken, welche ihre gewohnte Grämlichkeit so weit verläugnete, daß sie die Höflichkeitsbezeigung mit etwas wie einem Lächeln hinnahm. Hierauf blickte er Mordaunt Mertoun starr an, und sagte, ohne ihm jedoch die Hand zu bieten, in einem Tone, der eine unterdrückte Bewegung verrieth: »Auch Ihr seid willkommen, Mr. Mordaunt.«

»Glaubte ich das nicht,« entgegnete Mordaunt, der sich durch die Kälte in dem Betragen des Wirthes beleidigt fühlte, »so würde ich nicht hergekommen sein; indeß ist es noch nicht zu spät, wieder umzukehren.«

»Junger Mann,« erwiderte Magnus; »Ihr wißt besser, als die Meisten, daß vor dieser Thür Niemand umkehren darf, ohne den Eigenthümer zu beleidigen. Ich bitte nur, stört die Fröhlichkeit meiner Gäste nicht durch Eure unzeitige Empfindlichkeit. Wenn Magnus Troil willkommen ruft, so sind alle Die willkommen, welche den Ton seiner Stimme vernehmen, und diese ist ziemlich laut. Kommt herein, meine werthen Gäste, und laßt uns sehen, wie meine Damen im Hause uns empfangen werden.«

Mit diesen Worten, und indem er Sorge trug, die Bewillkommnung so allgemein zu machen, daß Mordaunt sie nicht besonders auf sich beziehen, noch sich davon ausgeschlossen fühlen konnte, führte der Udallar die Gäste in sein Haus, wo zwei große Vorzimmer, welche hier die Stelle eines neuen Salons vertreten mußten, bereits mit Gästen aller Art angefüllt waren.

Die Meubles waren sehr einfach, und trugen das Gepräge der Eigenthümlichkeit dieser stürmischen Inseln. Magnus Troil war, wie die meisten aus der höheren Klasse der shetländischen Grundbesitzer, ein Freund der bedrängten Reisenden, zu Wasser oder zu Lande, und hatte wiederholentlich sein ganzes Ansehen aufgeboten, die Person und das Eigenthum verunglückter Seeleute zu schützen; allein die Schiffbrüche waren an dieser furchtbaren Küste so häufig, und es wurden fortdauernd so viel herrenlose Sachen an das Ufer getrieben, daß das Innere des Hauses Beweise genug von den Verwüstungen des Meeres, so wie von der Ausübung der Rechte aufweisen konnte, welche die Advocaten Flotsome und Jetsome nennen. Die Stühle, welche an den Wänden standen, waren von der Art, wie man sie gewöhnlich in den Cajüten sieht, und mehrere von fremder Arbeit. Die Spiegel und Schränke, welche zur Zierde oder Bequemlichkeit angebracht waren, wurden, wie man aus ihrer Gestalt sehen konnte, offenbar zum Schiffsgebrauch angefertigt, und einer oder zwei der letztern waren von fremdem und unbekanntem Holze. Selbst die Scheidewand, welche die beiden Zimmer trennte, schien aus der Querwand eines großen Fahrzeuges gemacht, und zu dem jetzigen Zwecke von einem eingeborenen Tischler plump zugerichtet zu sein. In den Augen eines Fremden würden diese augenscheinlichen Denk- und Kennzeichen des menschlichen Elends einen starken Gegensatz gegen den Schauplatz der Freude, den sie jetzt verzieren helfen mußten, gebildet haben; die Eingeborenen waren aber mit dieser Verbindung so vertraut, daß der Anblick auch nicht einen Augenblick den Taumel ihrer Freude störte.

Für den jüngeren Theil der fröhlichen Gesellschaft war Mordaunts Erscheinen eine neue Veranlassung zur Lust. Alle versammelten sich um ihn, ihre Verwunderung über seine lange Abwesenheit zu bezeigen, und ihre wiederholten Fragen ließen deutlich schließen, daß sie überzeugt wären, sie sei von seiner Seite freiwillig gewesen. Der Jüngling fühlte, daß diese allgemeine Vermuthung seine Besorgniß wenigstens über einen peinlichen Punkt mildere. Welche Vorurtheile die Familie von Burgh-Westra auch gegen ihn gefaßt haben mochte, so mußten sie sich auf einen besondern Fall beziehen, und er hatte also wenigstens nicht den Kummer, zu sehen, daß er überhaupt in den Augen der Gesellschaft von seinem Werth verloren hätte: seine Rechtfertigung brauchte sich daher, wenn er einer solchen überhaupt bedurfte, nur auf den Kreis der Familie zu beschränken. Dieß war ein Trost, obgleich sein Herz immer noch ängstlich bei dem Gedanken schlug, seinen, ihm entfremdeten, aber immer noch herzlich geliebten Freundinnen gegenüber zu stehen. Nachdem er seine Abwesenheit mit dem Gesundheitszustande seines Vaters entschuldigt hatte, bahnte er sich einen Weg durch die verschiedenen Gruppen von Freunden und Gästen, von denen Jeder ihn so lange als möglich festhalten zu wollen schien, und nachdem er sich von seinen Reisegefährten, die Anfangs wie Kletten an ihm hingen, dadurch losgemacht hatte, daß er sie einer oder zwei Familien von Bedeutung vorstellte, erreichte er endlich die Thür eines kleinen Zimmers, in welches man aus einem der größern oben erwähnten trat, und das Minna und Brenda nach ihrem eignen Geschmack eingerichtet hatten, und als ihr besonderes Eigenthum betrachten durften.

Mordaunt hatte nicht wenig Theil an der Erfindung und Ausführung der Verzierungen dieses Lieblingszimmers, und es hatte ihm während seines letzten Aufenthalts in Burgh-Westra eben so offen gestanden, wie den Bewohnerinnen selbst. Jetzt aber waren die Zeiten so verändert, daß sein Finger auf der Klinke ruhte, ungewiß, ob er ihn aufdrücken solle, oder nicht, bis Brenda's Stimme die Worte: »Nun, herein!« in einem Tone ausrief, wie Jemand, der von einem unangenehmen Besuche unterbrochen wird, dessen er sich sobald als möglich wieder entledigen will.

Auf dieses Zeichen trat Mertoun in das phantastische Cabinet der Schwestern, welches durch manche Verzierungen, und darunter einige Gegenstände von bedeutendem Werthe, zu der bevorstehenden Feier ausgeschmückt worden war. Magnus' Töchter saßen, als Mordaunt eintrat, in tiefer Berathung mit dem fremden Cleveland und mit einem kleinen, behenden, alten Manne, dessen Auge noch die ganze Lebendigkeit des Geistes verrieth, die ihn in den tausend Schicksalen eines wechselvollen und schwankenden Lebens aufrecht erhalten hatte, und die, seine treue Begleiterin im hohen Alter, sein graues Haar vielleicht weniger Ehrfurcht gebietend, aber nicht weniger anziehend machte, als dieß bei einem ernsteren und weniger phantasiereichen Ausdrucke des Gesichts und des Charakters der Fall gewesen sein würde. Es lag sogar eine gewisse durchdringende Schlauheit in dem neugierigen Blicke, mit dem er das Zusammentreffen Mordaunts mit den beiden lieblichen Schwestern zu beobachten schien, während er auf die Seite trat.

Der Empfang des Jünglings war im Allgemeinen dem ähnlich, der ihm von Magnus Troil selbst zu Theil wurde; allein die Mädchen konnten das Gefühl der veränderten Umstände, unter denen sie sich wiedersahen, nicht so gut verbergen. Beide errötheten, als sie aufstanden, und Mordaunt – ohne die Hand auszustrecken, geschweige denn die Wange hinzureichen, wie die Sitte der Zeit gestattete, ja beinahe forderte – so begrüßten, wie einen gewöhnlichen Bekannten. Das Erröthen der älteren Schwester war eines der unmerklichen Anzeichen flüchtiger Bewegung, die so schnell wieder verschwinden, wie der vorübergehende Gedanke, der sie verursacht. Nach einem Augenblicke stand sie wieder ruhig und kalt vor Mordaunt, und erwiderte mit besonnener, zurückhaltender Höflichkeit die gewöhnliche Artigkeit, die Mordaunt mit bebender Stimme auszusprechen versuchte. Brenda's Bewegung dagegen schien, wenigstens den äußeren Kennzeichen nach, tiefer zu sein, und verrieth mehr Erschütterung. Eine dunklere Röthe überflog ihre Haut, wo ihr Anzug sie sichtbar werden ließ, ihren schlanken Hals und den oberen Theil ihres schön geformten Busens. Auch versuchte sie es nicht, den Theil der verwirrten Begrüßung zu beantworten, den Mordaunt besonders an sie richtete, aber sie sah ihn mit Augen an, aus denen Mißvergnügen und das Gefühl des Bedauerns und der Erinnerung an frühere Zeiten sprachen. Mordaunt fühlte sich augenblicklich überzeugt, daß Minna's Achtung für ihn erloschen sei, daß es ihm aber noch möglich sein dürfte, die der mildergesinnten Brenda wieder zu erlangen; und so auffallend ist die Verschrobenheit des menschlichen Geistes, daß ihm – der bisher zwischen diesen schönen und anziehenden Mädchen in seinem Herzen nie einen bestimmten Unterschied gemacht hatte – die Gunst von der, welche sich am entschiedensten von ihm abgewendet zu haben schien, in seinen Augen in eben diesem Momente die wünschenswertheste wurde.

In diesen plötzlichen Gedanken wurde er durch Cleveland gestört, der mit soldatischer Gradheit auf ihn zukam, seinen Lebensretter zu bewillkommnen, und damit nur so lange gewartet hatte, als nöthig war, die gewöhnlichen Begrüßungen zwischen dem Eintretenden und den Damen des Hauses austauschen zu lassen. Er näherte sich indeß mit solcher Freundlichkeit, daß es Mordaunt – obgleich er den kälteren Empfang, der ihm auf Burgh-Westra geworden, von der Ankunft dieses Fremden und von seinem Aufenthalte in der Familie herschreiben zu müssen glaubte – unmöglich war, sein Entgegenkommen anders als höflich zu erwidern, seinen Dank mit der Miene der Zufriedenheit anzunehmen, und zu äußern, er hoffe, daß ihm die Zeit seit ihrem letzten Zusammentreffen angenehm vergangen sei.

Cleveland war im Begriff, zu antworten, als ihm der kleine alte Mann zuvorkam, dessen wir oben gedacht haben, und der jetzt auf einmal näher trat, Mordaunt bei der Hand faßte, ihn auf die Stirn küßte, und zu gleicher Zeit fragend und antwortend sagte: »Wie die Zeit in Burgh-Westra vergeht? Fragst du das, mein Fürst der Klippen und Felsen? Wie sollte sie anders vergehen, als auf den Flügeln, die Schönheit und Freude ihr leihen, ihren Flug zu beschleunigen?«

»Und Witz und Gesang ebenfalls, mein guter, alter Freund« – sagte Mordaunt, halb ernsthaft, halb scherzend, während er des alten Mannes Hand herzlich schüttelte – »die können da nicht fehlen, wo Claudius Halcro ist!«

»Spotte nicht, mein lieber Gesell,« erwiderte der Alte; »wenn dein Fuß erst so träg sein wird, als der meine, dein Witz so matt, deine Kehle so verstimmt ...«

»Wie könnt Ihr Euch selbst nur so sehr Unrecht thun, mein guter Meister?« antwortete Mordaunt, der seines alten Freundes Eigenthümlichkeiten dazu benützen wollte, etwas anzuknüpfen, das einer Unterhaltung gliche, um der Spannung dieser seltsamen Zusammenkunft ein Ende zu machen, und Zeit zur Beobachtung zu gewinnen, ehe er eine Erklärung von dem veränderten Betragen der Familie gegen ihn forderte. – »Sprecht nicht so,« fuhr er fort, »die Zeit legt nur leise ihre Hand auf die Barden, mein guter Freund. Hab' ich Euch nicht öfter sagen hören, daß der Dichter die Unsterblichkeit des Gesanges theile? Der große englische Dichter, von dem Ihr uns sonst erzähltet, war doch gewiß älter, wie Ihr, als er unter allen Schöngeistern Londons glänzte.«

Dieß bezog sich auf eine Geschichte, welche Halcro's cheval de bataille war, wie die Franzosen sagen, so daß die leiseste Anspielung darauf ihn in den Sattel seines Steckenpferdes hob, und dieses in volle Bewegung setzte.

Sein lachendes Auge glühte, während er sich über den Gegenstand ergoß, von dem er am liebsten redete, von einer Begeisterung, welche gewöhnliche Leute närrisch genannt haben würden. »Ach, mein theurer Mordaunt Mertoun, Silber ist Silber, und wird nicht blind durch den Gebrauch, während Zinn Zinn bleibt, und je länger, desto schwärzer wird; der arme Claudius Halcro darf von seinen Jahren nicht neben denen des unsterblichen John Dryden reden. Es ist wahr, wie ich Euch wohl schon erzählt haben mag, daß ich diesen großen Mann gesehen habe, ja, ich bin sogar mit ihm in dem Witzkaffeehause, wie man es damals nannte, gewesen, und habe einst eine Prise aus seiner eigenen Schnupftabaksdose genommen. Ich habe Euch das Alles schon erzählt, aber Capitain Cleveland hat es noch nicht gehört. Ich wohnte, müßt Ihr wissen, in Russel-Street; Ihr wißt doch Russel-Street, Coventgarden, Capitain Cleveland?«

»Ich glaube, daß ich ihre Breite genau kenne,« sagte der Capitain lächelnd; »aber Ihr habt uns das gestern schon auseinandergesetzt, und außerdem haben wir heute alle Hände voll zu thun; Ihr müßt uns das Lied noch einmal vorspielen, das wir einstudiren sollen.«

»Das können wir jetzt nicht mehr brauchen,« erwiderte Halcro; »wir müssen jetzt auf etwas denken, wobei unser lieber Mordaunt zu thun hat, er, der erste Sänger auf der Insel! Sei es nun im Chor oder Solo. Ich rühre den Bogen nicht an, wenn Mordaunt Mertoun uns nicht aushilft. Und was sagst du, meine schönste Nacht? Und was denkst du, meine süße Tagesdämmerung?« fügte er hinzu, indem er die jungen Mädchen fragte, denen er, wie wir schon anderswo gesagt haben, vor langer Zeit diese allegorischen Namen gab.

»Mr. Mordaunt Mertoun,« sagte Minna, »ist zu spät gekommen, um bei dieser Gelegenheit an unserm Chor Theil zu nehmen; es ist ein Unglück für uns, aber es läßt sich nicht ändern.«

»Wie? Was?« sagte Halcro hastig. »Zu spät, und Ihr habt Euer ganzes Leben lang Musik mit einander gemacht? Glaubt mir, meine guten Kinder, alte Weisen sind die angenehmsten, und alte Freunde die zuverlässigsten. Mr. Cleveland hat einen schönen Baß, das muß man gestehen, aber die schönste Wirkung macht es doch, wenn Ihr eine von den zwanzig hübschen Arien singt, die Ihr singen könnt, wo Mordaunts Tenor sich so angenehm mit Euren eigenen Zauberstimmen vereinigt. Mein lieblicher Tag hier billigt gewiß im Herzen die Veränderung.«

»Ihr waret nie mehr im Irrthum, Vater Halcro,« sagte Brenda, indem sich ihre Wangen abermals rötheten, und wie es schien, mehr aus Unwillen, als vor Scham.

»Aber was ist denn das?« sagte der alte Mann, indem er plötzlich inne hielt, und Beide abwechselnd ansah. »Was gibt es denn hier? Eine bewölkte Nacht und einen feuerrothen Morgen? Das deutet auf ungestümes Wetter. Was soll denn das Alles heißen, Ihr jungen Frauenzimmer? Wo liegt die Beleidigung? – Ich fürchte, am Ende bei mir selbst, denn den Alten wird immer die Schuld in die Schuhe geschoben, wenn junge Leute, wie ihr, Lust haben, sich miteinander zu zanken.«

»Ihr habt nicht Schuld, Vater Halcro,« sagte Minna, indem sie aufstand, und ihre Schwester beim Arme nahm, »wenn in der That irgendwo die Schuld liegt.«

»So fürchte ich, Minna,« sagte Mordaunt, indem er den Ton des leichten Scherzes anzunehmen suchte, »daß der neue Ankömmling das Aergerniß mitgebracht hat?«

»Wenn man kein Aergerniß nimmt,« erwiderte Minna mit ihrem gewöhnlichen Ernst, »so fragt sich's auch nicht, wer es gegeben hat

»Ist es möglich, Minna,« rief Mordaunt aus, »daß du so mit mir reden kannst? Und wirst auch du, Brenda, so hart über mich urtheilen, ohne mir nur einen Augenblick zu einer ehrlichen und offenen Rechtfertigung zu gönnen?«

»Die, welche es am besten wissen müssen,« antwortete Brenda mit gedämpfter Stimme, aber entschieden, »haben uns befohlen, und ihrem Befehle müssen wir gehorchen. Schwester, ich denke, wir sind schon zu lange hier geblieben, und werden anderswo vermißt werden. Mr. Mertoun wird uns an einem so beschäftigten Tage wohl entschuldigen.«

Die Schwestern legten ihre Arme in einander. Halcro versuchte es vergebens, sie zurückzuhalten, indem er zugleich eine theatralische Geberde machte, und sagte endlich:

Nun Tag und Nacht, das ist doch wunderseltsam!

Dann wendete er sich an Mordaunt, und fügte hinzu: »Die Mädchen sind dem Geiste der Veränderlichkeit unterworfen, und zeigen, wie unser Meister Spenser sehr gut sagte, daß

Bei allen lebenden Geschöpfen, mehr oder weniger,
Veränderung herrscht und behauptet die Oberhand.

Capitain Cleveland, erinnert Ihr Euch an irgend etwas, das diese jugendlichen Grazien verstimmt haben könnte?«

»Der wird sich verrechnen,« antwortete Cleveland, »der seine Zeit mit der Untersuchung verliert, warum der Wind von einem Strich zum andern umsetzt, oder warum ein Frauenzimmer die Laune wechselt. Wäre ich an Mr. Mordaunts Stelle, ich würde den stolzen Dingern wahrhaftig nicht noch eine Frage nach dem Gegenstande vorlegen.«

»Das ist ein freundschaftlicher Rath, Capitain Cleveland,« erwiderte Mordaunt, »und ich halte ihn nicht weniger werth, weil er mir ungefragt ertheilt wurde. Erlaubt mir aber die Frage, ob Ihr selbst so gleichgültig gegen die Meinung Eurer Freundinnen seid, als ich es sein soll?«

»Wer, ich?« sagte der Capitain mit dem Tone unbefangener Gleichgültigkeit. »Ich denke nie zweimal über einen solchen Gegenstand nach; ich habe noch kein Frauenzimmer gesehen, das werth gewesen wäre, daran zu denken, nachdem der Anker gelichtet war; – am Lande ist das ein ander Ding, und ich werde mit zwanzig Mädchen lachen, tanzen und liebeln, wenn sie wollen, und wären sie auch nur halb so hübsch, wie die, welche uns so eben verlassen haben, und mir nichts daraus machen, wenn sie so schnell, wie des Bootsmanns Pfeife tönt, ihren Cours ändern. Es wäre schlimm, aber ich wette, daß ich so schnell umsetze, wie sie.«

Ein Patient findet selten an dem Troste Gefallen, der sich darauf stützt, daß man das Uebel, über welches er klagt, für ganz unbedeutend hält. Mordaunt hatte Lust, es dem Capitain übel zu nehmen, daß er seine Verlegenheit bemerkte, und seine Ansicht ihm aufdringen wollte; deßwegen sagte er auch etwas spitzig: daß Capitain Clevelands Meinung sich nur für die passe, welche die Kunst besäßen, sich überall beliebt zu machen, wohin der Zufall sie auch verschlüge, und welche an einem Orte ruhig verlieren könnten, weil sie sicher wären, daß sie an einem andern wieder gewinnen müßten.

Das war ironisch gemeint, allein die Wahrheit zu gestehen, der Mann, dem es galt, besaß eine größere Weltkenntniß, und ein Bewußtsein seines äußeren Verdienstes, das sein Dazwischentreten doppelt unangenehm machte. Es lag, wie Sir Lucius O'Trigger sagt, eine gewisse Art von Bewußtsein des Erfolgs in dem Capitain Cleveland, die höchst ärgerlich war. Jung, hübsch und keck, kleidete ihn das Ansehen seemännischer Geradheit ungemein gut, und paßte vielleicht besonders gut zu den einfachen Sitten des abgelegenen Landes, in dem er sich befand, und wo, selbst in den besten Familien, eine gewisse Feinheit seine Unterhaltung ungleich weniger anziehend gemacht haben würde. Er begnügte sich bei dieser Gelegenheit damit, gutmüthig über die sichtbare Verstimmung Mordaunts zu lächeln, und erwiderte: »Ihr seid böse auf mich, mein guter Freund, aber Ihr werdet es nicht dahin bringen, daß ich wieder böse auf Euch werde. Die schönen Hände all' der hübschen Frauen, die ich in meinem Leben gesehen habe, würden mich aus dem Rust von Sumburgh nicht aufgefischt haben. Zankt also nicht mit mir, denn Mr. Halcro ist mein Zeuge, daß ich Flagge und Marssegel gestrichen habe, und wenn Ihr mir auch eine volle Lage geben solltet, keinen einzigen Schuß erwidern kann.«

»Ja ja,« sagte Halcro; »du mußt dich mit Capitain Cleveland aussöhnen, Mordaunt. Man muß sich nie wegen der Grillen eines Weibes mit einem Freunde veruneinigen. Und wenn sie immer gleicher Laune wären, wie Teufel könnten wir dann so viele Lieder auf sie machen? Selbst der alte Dryden, der herrliche alte John, würde nur wenig über ein Mädchen haben sagen können, das immer eines Geistes ist, so wenig, als man Verse auf einen Mühlgraben machen kann. Eure Fluthen und Eure Strömungen, und Eure Strudel und Eure Ebben, die kommen und gehen, die strömen und stehen (wahrhaftig, ich fange schon an zu reimen, wenn ich nur an sie denke), die einen Tag lächeln, den nächsten wüthen, die schmeicheln und verzehren, uns ergötzen und zu Grunde richten – die sind es, welche der Dichtkunst das wahre Leben geben. Habt Ihr nie mein Lebewohl an das Mädchen von Northmaven gehört, die arme Bet Stimbister, die ich des Klanges wegen Mary nenne, wie mich selbst Hacon, nach meinem großen Vorfahr, Hacon Goldemund, der mit Harold Harfager auf die Insel kam und sein erster Skalde war. – Gut, aber wo blieb ich – ja so, die arme Bet Stimbister und einige Schulden waren die Ursache, daß ich die Inseln von Hialtland (der bessere Name für Shetland oder selbst Zetland) verließ und in die weite Welt ging. Ich habe darin manchen Stoß bekommen, ich habe mich durchschlagen müssen, Capitain, wie nur ein Mensch thun kann, der einen so leichten Kopf, leichten Beutel und ein eben so leichtes Herz hat, habe mir einen Weg gebahnt und dafür bezahlt – das heißt, entweder mit Geld oder mit Witz – habe Könige wechseln und absetzen sehen, wie man einen Pächter vom Pachte treibt; kannte alle die schönen Geister des Zeitalters, vorzüglich den herrlichen John Dryden (was für ein Mann auf den Inseln kann das von sich sagen, ohne zu lügen?), ich habe eine Prise aus seiner eigenen Tabaksdose genommen – ich will Euch erzählen, wie ich zu dem Glücke kam.«

»Aber das Lied, Mr. Halcro,« sagte Capitain Cleveland.

»Das Lied?« antwortete Halcro, indem er den Capitain bei dem Knopfe ergriff, denn er war zu sehr daran gewöhnt, daß ihm seine Zuhörer während seiner Erzählungen wegliefen, um sich nicht aller Mittel zu bedienen, sie daran zu verhindern. »Das Lied? Nun, ich gab davon, und von fünfzehn andern, dem unsterblichen John eine Abschrift, Ihr sollt es hören – Ihr sollt sie alle hören, wenn Ihr nur einen Augenblick stille stehen wollt, und du ebenfalls, lieber Junge, Mordaunt Mertoun, aus dessen Munde ich beinahe seit sechs Monaten kein Wort gehört habe – und du willst mir auch weglaufen?« Und indem er so sprach, hielt er ihn mit der andern Hand fest.

»Nun,« sagte der Seemann, »jetzt hat er uns Beide in's Schlepptau genommen, nun müssen wir ihn schon aushören, wenn er gleich einen so zähen Faden spinnt, als ein alter Matrose von einem Kriegsschiffe, wenn er um Mitternacht Wache hält.«

»Aber nun seid auch still, seid still und laßt Einen von uns allein reden,« sagte der Dichter gebieterisch, während Cleveland und Mordaunt sich mit einem komischen Ausdrucke von Ergebung in ihr Geschick anblickten, und in Demuth die wohlbekannte und unvermeidliche Erzählung erwarteten. »Ich werde es Euch haarklein erklären,« fuhr Halcro fort. »Ich wurde in der Welt umhergeworfen, wie andere junge Leute, und fing bald dieses, bald jenes an, mein Brod zu verdienen, denn Gott sei's gedankt, ich hatte Geschick zu Allem; aber ich liebte dabei die Musen so sehr, als ob die undankbaren Dirnen mich, wie so manche andere Dummköpfe, nur in einer Kutsche mit sechs Pferden gesehen hätten. Ich hielt es indeß aus, so gut ich konnte, bis mein Vetter, der alte Lawrence Linkletter, starb und mir das Zipfelchen von Insel dort hinterließ, – obgleich, beiläufig gesagt, Cultmalindie mit ihm eben so verwandt war, als ich; aber Lawrence liebte Geist, wenn er auch selbst wenig hatte. – Nun, er hinterließ mir also das kleine Bischen Insel; es ist so dürre, wie der Parnaß selbst. Nun wohl, ich habe einen Penny auszugeben, einen Penny in der Börse, einen Penny für die Armen – ja und ein Bette und eine Flasche für einen Freund, wie Ihr sehen werdet, Kinder, wenn Ihr, nach der Lustbarkeit hier, zu mir kommen wollt. Doch wo blieb ich in meiner Geschichte stehen?«

»Vor dem Hafen, hoffe ich,« antwortete Cleveland. Aber Halcro war ein zu eifriger Erzähler, um sich selbst durch den handgreiflichen Wink unterbrechen zu lassen.

»Ja, ja,« fing er mit der selbstzufriedenen Miene eines Mannes, welcher den Faden seiner Geschichte wieder gefunden hat, an: »Ich war in meiner alten Wohnung in Russel-Street bei dem alten Timothy Thimblethwaite, dem Meister Kleidermacher, der damals für den besten in der Stadt galt. Er arbeitete für alle schönen Geister und daneben für die reichen Dummköpfe, und ließ die Einen für die Andern bezahlen. Er versagte nie einem geistreichen Manne Credit, außer etwa aus Scherz, oder um eine witzige Antwort zu bekommen, und stand in beständigem Briefwechsel mit allen Leuten in der Stadt, deren Bekanntschaft der Mühe werth war. Er bekam Briefe von Crowne, Tate, Prior, Tom Brown und allen den berühmten Leuten der damaligen Zeit, mit solchen Ballen von Witz, daß man sie nicht lesen konnte, ohne vor Lachen zu sterben, und die alle damit endigten, daß sie um Verlängerung der Frist zur Bezahlung baten.«

»Ich sollte denken, der Schneider mußte den Spaß sehr ernsthaft gefunden haben,« erwiderte Mordaunt.

»Keinesweges – keinesweges; – Tim Thimblethwaite (er war aus Cumberland),« erwiderte sein Lobredner, »hatte ein fürstliches Gemüth, ja, und starb auch mit einem fürstlichen Vermögen; denn wehe dem mit Eierrahm vollgestopften Aldermann, der unter Tims Bügeleisen kam, wenn er einen solchen Brief bekommen hatte; der mußte gewiß dafür büßen. Man hielt Thimblethwaite gewöhnlich für das Original zu dem kleinen Tom Bibber, in des herrlichen Johns Komödie: der wilde Liebhaber, und ich weiß, daß er John geborgt und noch dazu Geld aus seiner eigenen Tasche geliehen, zu einer Zeit, wo alle seine schönen Hoffreunde kalt genug blieben. Er borgte mir auch, und ich habe zuweilen für mein Dachstübchen zwei Monate lang bei ihm an der Kreide gestanden. Nun, ich erwies ihm denn auch wieder allerhand Gefälligkeiten, – nicht, daß ich etwas zuschneiden oder nähen half, was auch für einen Mann von guter Familie nicht schicklich gewesen wäre, aber – hm, hm, – ich schrieb Rechnungen aus, zog die Bücher zusammen ...«

»Trug den schönen Geistern und dem Aldermann die Kleider hin, und bekam dafür freie Wohnung« – fiel Cleveland ein.

»Nein, nein, hol's der Teufel, nein,« erwiderte Halcro; »das that ich nicht, Ihr bringt mich ganz heraus – und wo war ich denn nun geblieben?«

»Ei, der Teufel helfe Euch in Eure Breite,« sagte der Capitain, indem er seinen Knopf von des unbarmherzigen Barden Finger und Daumen losmachte; »denn ich habe keine Zeit zu einer näheren Beobachtung zu verlieren.« Und damit stürmte er aus dem Zimmer.

»Ein alberner, ungezogener, eingebildeter Narr,« sagte Halcro, indem er ihm nachsah, »der eben so wenig Sitte als Geist in seinem leeren Schädel hat. Ich kann nicht begreifen, was Magnus und die Frauenzimmer an ihm haben, und dabei erzählt er solche verwünscht lange Geschichten von seinen Seeabenteuern und Gefechten, ... jedes zweite Wort eine Lüge, wie ich nicht bezweifle. Mordaunt, lieber Junge, nimm dir ein Beispiel an dem Menschen, das heißt, wie du es nicht machen mußt; erzähle nie lange Geschichten, die dir begegnet sind. Du hast es an dir, zuweilen zu lange von deinen auf Klippen, Felsen bestandenen Gefahren und dergleichen zu sprechen, was nur die Unterhaltung hemmt und andere Leute am Reden verhindert. Doch ich sehe, du bist ungeduldig, zu hören, was ich erzählen wollte, wo war ich denn stehen geblieben?«

»Ich fürchte, Mr. Halcro, wir müssen das Uebrige bis nach dem Mittagsessen aufsparen,« sagte Mordaunt, der ebenfalls daran dachte, wie er am besten entrinnen könnte, obgleich er doch mit mehr Schonung gegen seinen alten Freund zu thun wünschte, als Capitain Cleveland es für nöthig gehalten hatte.

»Nein, mein lieber Junge,« sagte Halcro, der sich auf dem Punkte sah, ganz verlassen zu sein; »verlaß du mich nicht auch; folge nicht dem bösen Beispiele, daß du einen alten Bekannten so verächtlich behandelst. Ich habe in meinem Leben manchen sauern Schritt thun müssen, aber er wurde mir immer leicht, wenn ich mich dabei auf den Arm eines alten Freundes, wie du bist, stützen konnte.«

Mit diesen Worten ließ er den Rock des Jünglings fahren, faßte ihn aber dafür desto fester, indem er seine Hand unter dessen Arm schob, was sich Mordaunt, gerührt von des Dichters Bemerkungen über die Unfreundlichkeit gegen alte Bekannte, die auch er zu erdulden hatte, willig gefallen ließ. Als aber Halcro die furchtbare Frage: »Wo blieb ich stehen?« wiederholte, erinnerte ihn Mordaunt, der seine Verse seiner Prosa vorzog, an das Lied, welches er dichtete, als er Shetland zum ersten Male verließ – ein Lied, das er zwar sehr gut kannte, das wir aber, da es dem Leser neu sein wird, als eine wohlgelungene Probe der poetischen Fähigkeiten dieses liederreichen Abkömmlings Hacon Goldemunds hier mittheilen wollen. Denn nach der Meinung mehrerer ziemlich verständigen Beurtheiler behauptete er einen sehr ehrenvollen Platz unter den Madrigal-Dichtern der ehemaligen Zeit, und konnte seinen Nancy's von den Hügeln oder Thälern eben so gut Unsterblichkeit verleihen, als mancher angenehme Sonetten-Dichter von Witz und Lebendigkeit in der Stadt. Er war auch etwas von einem Musiker, ergriff jetzt eine Art Laute und, indem er sein Opfer losließ, schickte er sich an, seinen Gesang mit dem Instrumente zu begleiten, wobei er, um keine Zeit zu verlieren, beständig sprach.

»Ich lernte die Laute,« sagte er, »von demselben Manne, der sie den ehrlichen Shadwell lehrte – den plumpen Tom, wie man ihn zu nennen pflegte – und den der herrliche John, wie du dich erinnern wirst, etwas unsanft handhabte, Mordaunt, – du erinnerst dich.

Ich glaub', ich sehe dort den neuen Arion schiffen;
Die Laute bebt von deines Fingers Griffen;
Es brummt vor Furcht der Baß, es quieket der Discant,
Und tönet über's Meer, und klingt von Land zu Land.

Komm, ich bin jetzt wegen des Liedes gleichgültig; was sollte es doch sein? Ja, ja, ich erinnere mich – das Lied auf das Mädchen von Northmaven, die arme Bet Stimbister! Ich habe sie in dem Gedicht Mary genannt. Bet ist ganz gut für ein englisches Lied, aber Mary ist hier natürlicher.« Mit diesen Worten sang er, nach einem kurzen Vorspiele, mit leidlicher Stimme und einigem Geschmack folgende Verse:

Mary.

Fahre wohl nach Northmaven,
  Grauer Hillswick, du, ade;
Zu der Stille im Hafen,
  Zu dem Sturm auf der Höh',
Zu dem säuselnden Fächeln,
  Zu Allem rings umher! –
Meiner Mary süß Lächeln –
  Ich sehe es nie mehr!

Leb' wohl, milde Fähre,
  Die Hacon einst trug,
Wenn die Woge im Meere
  Den Skerry weiß schlug.
Ein Mädchen, mit Sehnen,
  Blickt eitel hinaus; –
Sein Schiff bringen Thränen
  Wohl nimmer nach Haus!

Du hast dein Versprechen
  Der Strömung versenkt;
Du konntest mir's brechen,
  Die deiner gedenkt?
Die Nixen erwidern
  Den wonnigen Laut;
Sie lauschen den Liedern,
  Auf die ich vertraut.

O sagt mir, wo lieget
  Die Insel, beglückt,
Wo Keiner uns lüget,
  Kein Mann uns berückt? –
Wohl wäre die Schlinge
  Zu lockend und süß,
Die Hoffnung dort ginge,
  Die Erde verließ!

»Ich sehe, du bist gerührt, mein junger Freund,« sagte Halcro, als er seinen Gesang beendet hatte; »und so geht's den Meisten, die das Lied hören. Text und Musik sind beide von mir, und wenn ich auch nicht behaupten will, daß viel Geist darin ist, so liegt doch eine gewisse – hm, hm – Einfachheit und Wahrheit darin, welche ihren Weg zu den Herzen der meisten Menschen nicht verfehlt. Selbst dein Vater kann ihm nicht widerstehen, er, der doch ein Herz hat, gegen Dichtkunst und Gesang so verschlossen, daß Apollo selbst einen Pfeil darauf abdrücken könnte. Aber er muß zu seiner Zeit allerhand Unglück mit Weibern gehabt haben, wie man an seinem Groll gegen sie deutlich sehen kann; ja, ja, da liegt es, es gibt Keinen von uns, der sich nicht zu seiner Zeit da getroffen gefühlt hätte. Aber komm, lieber Junge, sie versammeln sich schon im Saale, Männer und Frauen – so viele Noth sie uns machen, würden wir doch ohne sie schlachtfertig werden. Aber ehe wir gehen, höre noch einmal die letzten Zeilen:

Die Hoffnung dort ginge,

das heißt, auf der Insel ein Ort, den es nie gegeben hat
und nie geben wird.

Die Erde verließ!

Nun sieh einmal, mein liebster Junge, darin ist nichts von dem heidnischen Zeuge, das Rochester, Etheridge und solche wilde Kerle an einander zu reihen pflegten. Ein Prediger könnte das Lied singen und seinen Küster die Endstrophen wiederholen lassen – aber da läutet die verwünschte Glocke, wir müssen jetzt gehen; – aber laß es nur gut sein, – – wir wollen heute Abend schon eine ruhige Ecke finden, und da will ich dir das Uebrige erzählen.«


 


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