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Drittes Kapitel.

 

O, Bessy Bell und Mary Gray
Waren zwei Dirnen, schmuck und schön;
Bauten ein Haus in Baches Näh',
Hab's mit dem Binsen-Dache gesehn.

Schön Bessy liebt' ich gestern wahr,
Glaubte, ich könnte nicht wanken,
Doch Mary's schlaues Augenpaar
Bracht' mich auf and're Gedanken.

 

Wir haben Minna und Brenda, die Töchter Magnus Troils, schon erwähnt. Ihre Mutter war vor vielen Jahren gestorben, und sie waren jetzt zwei schöne Mädchen, die älteste 18 Jahre alt, also ein oder zwei Jahre jünger, als Mordaunt Mertoun, die zweite 17. Sie waren die Freude ihres Vaters und das Licht seiner alten Augen, und obgleich er sie mit einer Nachsicht behandelte, welche ihm und seiner Ruhe sehr leicht hätte Gefahr bringen können, so vergalten sie doch seine Zärtlichkeit durch ein Betragen, in welches sich, trotz ihres Verzuges, weder Mangel an Achtung noch weibliche Laune mischte.

Der Unterschied ihrer Gemüthsart, wie ihrer Gesichtsfarbe war besonders auffallend, obgleich, wie gewöhnlich, bei Beiden ein gewisser Grad von Familienähnlichkeit nicht zu verkennen war. Die Mutter der Mädchen war eine Schottin, aus den Hochlanden von Sutherland, und die hinterlassene Tochter eines edlen Häuptlings gewesen. Dieser war während der Fehden des 17. Jahrhunderts aus seinem Lande vertrieben worden, und hatte Schutz auf diesen friedlichen Inseln gefunden, deren Zustand, ungeachtet ihrer Armuth und Abgeschiedenheit, doch in sofern glücklich war, daß ihnen Uneinigkeit und bürgerliche Zwietracht gleich unbekannt blieben. Dem Vater – Saint Clair war sein Name – ging der Verlust seines väterlichen Thales, seines angeerbten Thurmes, seiner Clansleute und seines Ansehens gleich nahe, und er sank, nicht lange nach seiner Ankunft in Shetland, in das Grab. Die Schönheit seiner hinterlassenen Tochter rührte, trotz ihrer schottischen Abkunft, das Herz Magnus Troils. Er bewarb sich um sie, fand Gehör, und sie ward die Seinige; sie starb indeß im fünften Jahre ihrer Verbindung, und Magnus blieb zurück, die kurze Dauer seines häuslichen Glückes zu betrauern.

Von ihrer Mutter hatte Minna die hohe Gestalt und die dunklen Augen, die rabenschwarzen Locken und die feingezeichneten Augenbrauen geerbt, welches Alles darauf hindeutete, daß sie, wenigstens auf einer Seite, mit dem Blute von Thule nicht verwandt sei. Ihre Wange,

O, nennt sie weiß, nicht blaß,

war so leise und zart mit Rosenroth gefärbt, daß Manche meinten, die Lilie herrsche in ihrer Gesichtsfarbe etwas zu sehr vor. In dieser Oberherrschaft der blässeren Blume lag aber nichts Krankhaftes oder Schmachtendes: es war die wahre, natürliche Farbe der Gesundheit, und stimmte ganz besonders zu Gesichtszügen, welche dazu gemacht schienen, einen nachdenkenden, hochgesinnten Geist zu verkünden. Wenn Minna Troil von Mißgeschick oder Ungerechtigkeit erzählen hörte, stieg das Blut ihr in die Wangen, und zeigte deutlich, wie warm ihr Herz schlug, des gewöhnlichen Ernstes, der Besonnenheit und Zurückgezogenheit ungeachtet, welche ihr ganzes Wesen und Betragen aussprach. – Die nicht weniger schöne, eben so liebliche und eben so unschuldige Brenda unterschied sich, wie durch die Gesichtsfarbe, so auch durch ihren Charakter, Geschmack und Ausdruck, von ihrer Schwester. Ihre reichen Locken hatten das lichte Braun, dem der vorübergehende Sonnenstrahl einen Goldglanz verleiht, das aber sogleich wieder verdunkelt, sobald der Strahl verschwunden ist. Ihre Augen, ihr Mund, die schönen Reihen der Zähne, welche ihre unschuldige Lebhaftigkeit oft sehen ließ, die frische, doch nicht zu dunkle Glut einer jugendlichen Gesundheit, welche ihre schneeweiße Haut färbte, deuteten ihre ächt skandinavische Abkunft an. Eine feenhafte Gestalt, nicht so hoch, wie die ihrer Schwester, aber von noch größerem Ebenmaaß, ein sorgloser, kindlich-leichter Schritt; ein Auge, das jeden Gegenstand ausdrücklicher und reiner Heiterkeit des Charakters mit Vergnügen zu betrachten schien, alles das erregte weit mehr allgemeine Aufmerksamkeit, als die Reize ihrer Schwester, obgleich die, welche Minna zu Theil wurde, dauernder und ehrfurchtsvoller sein mochte.

So verschieden auch die Gemüthsart dieser lieblichen Schwestern war, so konnte doch in ihrer Liebe zu ihrem Vater und zu einander Keine der Andern den Vorrang streitig machen. Aber Brenda's Heiterkeit theilte sich jedem Geschäfte des täglichen Lebens mit, und schien unerschöpflich, wogegen der weniger muntere Charakter ihrer Schwester – wenn er auch in der Gesellschaft den ruhigen Wunsch auszusprechen schien, mit Allem, was vorging, zufrieden zu sein, und Antheil daran zu nehmen – sie eher dazu bestimmte, im Strome des Vergnügens und der Freude ruhig mit fortzutreiben, als durch eigene Bemühung seinen rascheren Lauf zu befördern. So ließ sich Minna die Freude eher gefallen, als daß sie sie genossen hätte, und die Vergnügungen, an welchen sie den meisten Gefallen fand, waren mehr ernster und abgesonderter Art. Aus Büchern erlangte Kenntnisse gingen über ihre Sphäre. Shetland bot in jenen Zeiten wenig Gelegenheit dar, sich Lehren anzueignen, welche

die Todten dem Geschlechte hinterlassen,

und Magnus Troil war, wie wir ihn beschrieben haben, nicht der Mann, in dessen Hause sich die Mittel fanden, solche Kenntnisse zu erwerben. Aber das Buch der Natur, dieses edelste der Bücher, welches wir stets anstaunen und bewundern müssen, selbst wenn wir es nicht verstehen, lag vor Minna offen da. Die Pflanzen in diesen wilden Gegenden, die Muscheln an der Küste und die große Zahl der gefiederten Geschlechter, welche diese Klippen und Horste bewohnen, waren Minna Troil eben so bekannt, als dem erfahrensten der Jäger. Sie beobachtete sehr genau, und ließ sich von dem Drange anderer Gefühle nicht ablenken, und die Kenntnisse, welche sie sich durch eine ihr zur Gewohnheit gewordene Aufmerksamkeit erworben hatte, bewahrte ein von Natur starkes Gedächtniß treulich auf. Für die einsame und finstere Größe der Gegenden, welche sie umgaben, hatte sie ein tiefes Gefühl, das Meer in allen seinen verschiedenen erhabenen und schrecklichen Gestalten; die furchtbaren Klippen, welche das endlose Getöse der Wogen wiederhallten, und das Geschrei der Seevögel, hatten für sie beinahe in jedem Zustande, in welchem die wechselnden Jahreszeiten sie zeigten, ihren eigenthümlichen Reiz. In dem enthusiastischen Gefühle, welches dem romantischen Geschlechte eigen ist, aus dem ihre Mutter entsprossen war, wuchs die Liebe zur Natur bei ihr zu einer Leidenschaft, welche nicht allein ihre Seele auszufüllen, sondern sie zu Zeiten auch in die lebhafteste Bewegung zu versetzen vermochte. Ein Anblick, den ihre Schwester mit einem Gefühl vorübergehenden Schauers oder geringerer Bewegung betrachten konnte, erfüllte noch lange Zeit nachher Minna's Phantasie, und das nicht allein in der Einsamkeit und im Schweigen der Nacht, sondern sogar in den Stunden der Unterhaltung, so daß ihre Gedanken zuweilen, wenn sie wie ein schönes Marmorbild in ihrem häuslichen Kreise dasaß, weit entfernt, an der wilden Seeküste und in den noch wilderen Bergen ihrer vaterländischen Inseln umherschweiften. Und doch gab es, wenn man sie in die Unterhaltung zog, Wenige, welche den Genuß derselben mehr zu würzen verstanden; und obgleich in ihrem Wesen Etwas, ihrer Jugend ungeachtet, eben sowohl eine gewisse Ehrerbietung als Zuneigung zu fordern schien, so konnte doch ihre fröhliche, liebliche und liebenswürdige Schwester unmöglich einer allgemeinern Liebe genießen, als die verschlossenere und ernstere Minna.

So waren Minna und Brenda nicht allein das Entzücken aller ihrer Freunde, sondern der Stolz jener Eilande, auf denen die Einwohner eines gewissen Ranges durch die Abgeschiedenheit ihrer Lage und die allgemeine angeborene Gastfreiheit zu einer freundschaftlich verbundenen Gesellschaft vereinigt waren. Ein wandernder Dichter und Sänger, der, nachdem er allerhand Glückswechsel erlebt hatte, endlich auf seine heimathlichen Inseln zurückgekehrt war, um dort seine Tage zu enden, hatte die Töchter des Magnus in einem Gedichte besungen, das er » Tag und Nacht« nannte, und schien in seiner Beschreibung Minna's beinahe, wiewohl nur in rohen Umrissen, den herrlichen Zeilen Lord Byron's:

Sie wallt in Schönheit, gleich der Nacht
Wenn am reinen Himmel blinkt Sternenlicht
Des Schattens Reiz, des Lichtes Pracht,
Vereint sich in ihrem schönen Gesicht.
Sie hat, was die Nacht so zauberisch macht,
Den sanften Schein, der dem Tage gebricht.

vorgegriffen zu haben.

Der Vater liebte beide Mädchen so zärtlich, daß man nicht entscheiden konnte, welcher er den Vorzug gab, ausgenommen, daß er bei Spaziergängen im Freien die ernstere Tochter lieber bei sich hatte, und sein fröhliches Kind gern an dem häuslichen Herde sah; daß er Minna's Gesellschaft vorzog, wenn er traurig, und Brenda's, wenn er vergnügt war; und daß, was beinahe auf Dasselbe hinauslief, Minna vor Tische, und Brenda, nachdem am Abend das Glas gekreist hatte, die Begünstigte war.

Noch außerordentlicher war es aber, daß Mordaunt Mertouns Neigung mit derselben Unparteilichkeit, wie die des Vaters, zwischen den zwei lieblichen Schwestern getheilt zu sein schien. Von seinem Knabenalter an war er, wie wir oben erzählt haben, ein häufiger Gast in Magnus Haus in Burgh-Westra gewesen, obgleich es beinahe zwanzig Meilen von Jarlshof entfernt war. Die Gegend zwischen diesen beiden Orten, welche aus Hügeln bestand, die mit lockerem und weichem Moor bedeckt waren, und häufig von Buchten oder Armen des Meeres durchschnitten, die auf beiden Seiten in die Insel eingriffen, so wie von Flüssen und See'n, machten den Weg in der späteren Jahreszeit sehr beschwerlich, ja gefährlich; dennoch konnte man, sobald seines Vaters Gemüthszustand ihn bewog, sicher sein, Mordaunt am nächsten Tage in Burgh-Westra zu finden, nachdem er seinen Weg in bei weitem kürzerer Zeit zurückgelegt hatte, als der flinkeste Eingeborene dazu gebraucht haben würde.

Man hielt ihn daher auf Shetland für einen erklärten Bewerber um eine der Töchter Magnus Troils, und wenn man des alten Udallers große Vorliebe für den Jüngling in Erwägung zog, so konnte wohl Niemand zweifeln, daß er die Hand einer dieser ausgezeichneten Schönheiten erhalten würde, und dazu einen so großen Antheil an Inseln, felsigem Moorland und Küsten-Fischereien, als nur ein Lieblingskind zur Mitgabe bekommen konnte, – die Aussicht auf den Besitz des halben Grundvermögens des alten Hauses Troil, sobald dessen jetziger Besitzer nicht mehr lebte, nicht zu vergessen. Das schien Allen eine sehr vernünftige Spekulation, und, wenigstens der Theorie nach, besser angelegt, als manche, die in der Welt als unbezweifelte Thatsachen verkündet werden. Aber ach! die schärfsten Beobachter konnten den Hauptpunkt nicht entdecken, nämlich, zu welcher der Jungfrauen Mordaunt sich vorzüglich hinneige. Er schien im Allgemeinen sich so gegen sie zu benehmen, wie ein zärtlicher und liebevoller Bruder gegen zwei Schwestern, die ihm beide so theuer sind, daß ein Hauch die Wagschale der Neigung auf die eine oder die andere Seite niederdrücken würde. Wenn auch, was öfter geschah, zu Zeiten die eine Jungfrau der bestimmtere Gegenstand seiner Aufmerksamkeit zu sein schien, so war dieß augenscheinlich nur deßhalb der Fall, weil die Umstände ihre eigenthümlichen Talente und Stimmung in bestimmten und unmittelbaren Anspruch nahmen.

Beide waren in der einfachen Musik des Nordens bewandert, und Mordaunt, der stets daran Theil nahm, wenn sie diese herrliche Kunst übten, der auch wohl Lehrerstelle versah, suchte vielleicht, jetzt Minna bei der Erlernung dieser natürlich wilden, feierlichen und einfachen Gesänge behülflich zu sein, durch welche die alten Skalden und Harfner die Thaten der Helden verherrlichten; und schien kurz nachher mit eben der Dienstfertigkeit Brenda die lebendigeren und künstlicheren Tonstücke zu lehren, welche ihr Vater aus der Hauptstadt Englands oder Schottlands zum Gebrauch seiner Töchter kommen ließ. Wenn Mordaunt mit ihnen sprach, so ging er, dem neben der raschen und unlenkbaren Fröhlichkeit der Jugend zugleich ein tiefes und lebendiges Gefühl eigen war, eben so leicht in die wilden und dichterischen Träumereien Minna's ein, wie in das lebendige, oft launige Geschwätz der fröhlicheren Schwester. Kurz, er schien sich einer der beiden Jungfrauen so wenig ausschließlich zu nähern, daß er oft sagte: Minna sähe nie so reizend aus, als wenn ihre hochherzige Schwester sie vermocht hätte, auf einige Zeit ihren angeborenen Ernst abzulegen, und Brenda erscheine ihm nie anziehender, als wenn sie horchend einen zarten und liebevollen Antheil an der hohen Erhebung ihrer Schwester nähme.

Die Leute wußten also hier, um einen Jäger-Ausdruck zu brauchen, durchaus keine Fährte zu finden, und konnten, nach langem Wanken zwischen beiden Mädchen, endlich nur das als bestimmt annehmen, daß Mordaunt eine von ihnen heirathen würde; welche aber, konnte sich nur dann erst entscheiden, wenn sein herannahendes Mannesalter, oder das Dazwischentreten des kräftigen alten Magnus, ihres Vaters, Mordaunt Mertoun seinen eigenen Willen klar machen würde. »Ein starkes Stück,« meinten sie zum Schluß der Rede, »sei es immer, daß er, kein Eingeborener, und ganz ohne sichtbare oder bekannte Mittel, zwischen den zwei größten Schönheiten von Shetland schwanke, oder sich das Ansehen gebe, als ob er zwischen ihnen wählen könne. Wenn sie an Magnus Troils Stelle wären, so würden sie der Sache bald auf den Grund zu kommen suchen,« u. s. w. Diese Bemerkungen flüsterte man sich indeß zu, denn der entschiedene Charakter des Udallers hatte zu viel von dem alten norwegischen Feuer, um es irgend Jemand räthlich zu machen, sich unbefugt in seine Familien-Angelegenheiten zu mischen; und so blieb denn das Verhältniß Mordaunts zu der Familie des Mr. Troil von Burgh-Westra, als sich auf einmal die folgende Begebenheit zutrug.


 


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