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Siebentes Kapitel.

 

Er thut nichts halb, der wilde Ocean
Verschlinget Die, die er erwürgt; sein nasser Schooß
Gewährt dem Seemann, den er faßt
Zugleich das Grab auch mit dem Tode.

Altes Schauspiel.

 

Es lagen zehn »lange schottische Meilen« zwischen Stourburgh und Jarlshof, und obgleich der Wanderer nicht alle die Hindernisse zählte, welche Tam-o'-Shanter in den Weg traten – denn in einem Lande, wo es weder Hecken noch steinerne Einfassungen gibt, können auch weder Oeffnungen noch Thore sein – war doch die Menge der Gewässer und Sümpfe, über die er auf seiner Wanderung gehen mußte, hinreichend, um mit jenen verglichen zu werden, und seine Reise so beschwerlich und gefahrvoll zu machen, als Tam-o'-Santhers berühmten Rückzug von Ayr. Indessen kamen Mordaunt weder Zauberer noch Hexen in den Weg. Der Tag war schon bedeutend lang, und er langte um elf Uhr Abends glücklich in Jarlshof an. Alles war still und finster um das Haus her, und erst nachdem er zwei- oder dreimal unter Swertha's Fenster gepfiffen hatte, wurde das Zeichen beantwortet.

Bei dem ersten Tone verfiel Swertha in einen angenehmen Traum von einem jungen Wallfischfänger, der vor einigen vierzig Jahren ein solches Zeichen unter dem Fenster ihrer Hütte zu geben pflegte; bei dem zweiten erwachte sie, und erinnerte sich, daß Johanie Fea schon seit vielen Jahren unter dem Eise von Grönland ruhte, und daß sie jetzt Herrn Mertouns Haushälterin in Jarlshof sei; bei dem dritten stand sie auf, und öffnete das Fenster.

»Wer ist denn das,« fragte sie, »zu einer solchen Stunde in der Nacht?«

»Ich bin's,« antwortete der Jüngling.

»Und warum kommt Ihr denn nicht herein? Die Thür ist nur eingeklinkt, und auf dem Küchenherde ist glimmender Torf und ein Spahn daneben; Ihr könnt Euer Licht daran anzünden.«

»Ganz gut,« erwiderte Mordaunt, »aber ich wollte wissen, wie sich mein Vater befindet.«

»Wie gewöhnlich, der gute Herr. – Er fragte nach Euch Mr. Mordaunt; Ihr macht aber auch zu weite und zu lange Spaziergänge, junger Herr.«

»Die finstere Stunde ist also vorüber, Swertha?«

»Ja wohl, Mr. Mordaunt,« antwortete die Haushälterin, »und Euer Vater ist nach seiner Art recht vernünftig und gutmüthig. Ich sprach ihn gestern zweimal an, ohne daß er zuerst zu mir gesprochen hatte; das erste Mal antwortete er mir so höflich, als Ihr es nur thun könntet, und das nächste Mal sagte er, ich sollte ihn in Ruhe lassen, und da dachte ich dann, drei Male wäre gerade recht, und versuchte es noch einmal, und da nannte er mich einen schwatzhaften alten Satan, aber mit aller Art und Höflichkeit.«

»Genug, genug, Swertha,« antwortete Mordaunt, »nun steh aber auf, und schaffe mir Etwas zu essen, denn ich habe ein schlechtes Mittagsbrod gehabt.«

»Da seid Ihr also gewiß bei den neuen Leuten in Stourbourgh gewesen, denn ich wüßte doch kein Haus auf den Inseln, wo man Euch nicht das Beste vom Besten gäbe. Habt Ihr Norna von Fitful-Head gesehen? Sie ging diesen Morgen nach Stourbourgh, kam aber am Abend zurück.«

»Kam zurück? So ist sie hier? Aber wie konnte sie drei Meilen und darüber in so kurzer Zeit zurücklegen?

»Wer weiß es denn, wie sie reiste?« erwiderte Swertha; »aber ich hörte es mit meinen eigenen Ohren, wie sie dem Ranzelmann erzählte, daß sie heute nach Burgh-Westra hätte gehen wollen, um mit Minna Troil zu sprechen, daß sie aber in Stourbourgh (sie sagte indeß Harfra, denn anders nannte sie es nicht) Etwas gesehen, das sie bewogen hätte, wieder hierher an unsern Ort zurückzukommen. Aber geht nur herein, und Ihr sollt ein gutes Abendessen haben. Unsere Speisekammer ist weder leer, noch verschlossen, obgleich mein Herr ein Fremder, und es bei ihm da oben nicht recht richtig ist, wie der Ranzelmann sagt.«

Mordaunt ging also nach der Küche, wo Swertha's Sorgfalt ihm bald ein reichliches, obgleich ganz einfaches Mahl vorsetzte, welches ihn für die karge Bewirthung in Stourbourgh entschädigte.

Am Morgen verließ der junge Mertoun, der sich etwas erschöpft fühlte, das Bett später als gewöhnlich, so daß er, was sonst nicht der Fall war, seinen Vater bereits in dem Zimmer fand, wo sie zu essen pflegten, und das überhaupt zu ihren häuslichen Zwecken diente, ausgenommen, daß es nicht als Schlafzimmer oder Küche gebraucht wurde. Der Sohn begrüßte den Vater mit stummer Ehrfurcht, und wartete, bis dieser ihn anreden würde.

»Du warest gestern nicht hier, Mordaunt,« sagte der Vater. Mordaunt war länger als eine Woche abwesend gewesen, aber er hatte sich öfter überzeugt, daß sein Vater nie bemerkte, wie die Zeit verging, so lange er seine trübe Laune hatte. Er bejahte daher, was der ältere Mertoun sagte.

»Und du warest in Burgh-Westra, nicht wahr?« fuhr sein Vater fort.

»Ja, Vater!« erwiderte Mordaunt. – Der ältere Mertoun schwieg eine Zeitlang, ging die Stube, in tiefem Stillschweigen und mit der Miene des düsteren Nachdenkens, auf und ab, und es schien, als ob er wieder in seine trübe Stimmung verfallen wollte. Plötzlich wandte er sich aber gegen seinen Sohn, und sagte in fragendem Tone: »Magnus Troil hat zwei Töchter, – es müssen jetzt erwachsene Mädchen sein; man hält sie für schön, nicht wahr?«

»Allgemein, Vater!« antwortete Mordaunt überrascht, seinen Vater nach Personen eines Geschlechtes fragen zu hören, von dem er gewöhnlich mit Geringschätzung sprach. Diese Ueberraschung wuchs aber noch bei des Vaters nächster Frage, die eben so kurz, als die erste gethan wurde.

»Welche hältst du für die Schönste?«

»Ich, Vater?« erwiderte der Sohn mit einiger Verlegenheit; »wahrhaftig! ich kann darüber nicht urtheilen; ich habe darüber nie nachgedacht, welche die Schönste ist. Es sind Beide sehr hübsche junge Mädchen.«

»Du weichst meiner Frage aus, Mordaunt, und doch habe ich vielleicht besondere Gründe, wegen welcher ich es wünschen möchte, deinen Geschmack in dieser Hinsicht zu wissen. Ich verliere meine Worte nicht gern unnütz. Ich frage dich noch einmal, welche von Magnus Troils Töchtern du für die Schönste hältst?«

»Wahrhaftig, Vater« – antwortete Mordaunt – »aber Sie scherzen nur, daß Sie mir eine solche Frage vorlegen.«

»Junger Mensch,« entgegnete hierauf Mertoun, mit Augen, die vor Ungeduld zu rollen und zu blitzen begannen, »ich scherze nie. Ich verlange eine Antwort auf meine Frage.«

»Nein, auf mein Wort, Vater,« sagte Mordaunt, »ich kann zwischen Beiden nicht entscheiden – sie sind Beide sehr hübsch, aber einander durchaus nicht ähnlich. Minna hat dunkles Haar und ist ernster, als ihre Schwester, – ernster, aber keineswegs grämlich oder düster.«

»Hm,« antwortete der Vater; »du bist sehr ernst gezogen, und diese Minna gefällt dir also am besten?«

»Nein, Vater, wahrhaftig, ich kann ihr keinen Vorzug vor ihrer Schwester Brenda geben, die so fröhlich ist, wie ein Lamm an einem Frühlingsmorgen; sie ist nicht so groß, als ihre Schwester, aber so wohlgebaut und eine so vortreffliche Tänzerin« –

»Da sie sich am besten dazu schickt, einen jungen Mann zu erheitern, der ein langweiliges Haus und einen trübsinnigen Vater hat,« sagte Mr. Mertoun.

Nichts in seines Vaters Betragen war Mordaunt je so aufgefallen, als die Beharrlichkeit, mit welcher er ein Thema zu verfolgen schien, das seiner gewohnten Gedankenrichtung und Gesprächsweise so wenig entsprach. Er begnügte sich indessen, noch einmal zu beantworten: daß die beiden jungen Damen die höchste Bewunderung verdienten, daß er sie aber in seinen Gedanken nie verglichen, und dann die eine niedriger, als die andere gestellt hätte; daß ein Anderer vielleicht besser zwischen ihnen entscheiden könnte, je nachdem er einer ernsten oder einer fröhlichen Gemüthsstimmung, einer dunkeln oder weißen Gesichtsfarbe den Vorzug gäbe; daß er aber an der Einen keine ausgezeichnete Eigenschaft bemerkt hätte, die nicht von einer gleich anziehenden bei der Andern ausgewogen würde.

Es ist leicht möglich, daß die Ruhe, mit welcher Mordaunt diese Erklärung gab, den Vater, in Rücksicht auf das, was er zu erfahren wünschte, nicht befriedigte; allein Swertha trat in diesem Augenblicke mit dem Frühstück ein, und der Jüngling nahm, trotz seines späten Abendessens, das Mahl mit so großer Eßlust ein, daß Mertoun sich bald überzeugt hielt, sein Sohn sehe dieß als etwas bei weitem Wichtigeres an, als die vorherige Unterhaltung, und hätte über den Gegenstand wirklich nichts Weiteres zu sagen, als was er schon erklärte. Er hielt daher die Hand über die Augen, und blickte den Jüngling, der mit seinem Frühstück emsig beschäftigt war, lange unverwandt an. Keine seiner Bewegungen verrieth Befangenheit oder das Bewußtsein, als werde er beobachtet; Alles war frei, natürlich und offen.

»Sein Gemüth ist noch unbestochen,« sagte Mertoun für sich hin; »so jung, so lebendig, so voll Einbildungskraft, so schön und so anziehend von Gesicht und Gestalt, ist es sonderbar, daß er, in seinem Alter und unter seinen Verhältnissen, den Schlingen entgangen sein sollte, in welchen sich die ganze Welt fängt.«

Als das Frühstück vorüber war, nahm der ältere Mertoun, statt wie gewöhnlich zu sagen, daß sein Sohn, der seine Befehle erwartete, dieses oder jenes Studium bestimmen sollte, seinen Hut und Stock, und gebot Mordaunt, ihn auf die Spitze der Klippe Sumburgh-Head zu begleiten, um von dort aus auf das Meer zu sehen, das von dem Sturme des vorigen Tages noch in großer Bewegung sein mußte. Mordaunt war in dem Alter, wo junge Leute jene sitzende Beschäftigung gern mit thätiger Bewegung vertauschen; er sprang daher sogleich auf, seines Vaters Befehlen zu gehorchen, und nach wenigen Minuten schon stiegen sie den Hügel hinan, der – von der Landseite einen langen, steil hinangehenden, mit Gras bewachsenen Abhang bildend – vom Gipfel herab bis zur See plötzlich in einen schroffen, furchtbaren Abgrund blickt.

Der Tag war herrlich und die Luft gerade so bewegt, daß die kleinen, wolligen Wölkchen, welche am Horizont zerstreut waren, nicht an einer Stelle blieben, sondern von Zeit zu Zeit vor der Sonne vorüberglitten, und die Landschaft abwechselnd in dem Licht und Schatten erscheinen ließen, der einer kahlen, dem Auge unabgeschlossen erscheinenden Gegend oft, wenigstens auf einige Zeit, eine Art von Zauber verleiht, welcher etwas von der Mannigfaltigkeit eines angebauten und gepflanzten Gefildes verräth. Tausend flüchtige Tinten von Schatten und Licht glitten über das wilde Moor und die Felsen und Buchten, welche sich immer weiter vor ihnen ausbreiteten, je höher die Wanderer hinanklimmten.

Der ältere Mertoun blieb oft stehen und blickte umher; einige Zeit glaubte der Sohn, er verweile, um die Schönheiten der Gegend zu genießen; als sie aber den Hügel hinaufstiegen, bemerkte er, daß sein Athem kürzer und seine Schritte wankender und mühsamer wurden, und sah nicht ohne einige Unruhe, daß seines Vaters Kräfte für den Augenblick erschöpft waren, und daß er das Bergsteigen beschwerlicher und angreifender als gewöhnlich fand. Er trat deßhalb näher zu ihm, und reichte ihm stillschweigend seinen Arm, ein Dienst, welchen die Ehrerbietung der Jugend gegen das Alter und Mordaunts kindliche Liebe natürlich machte, und den Mertoun Anfangs in diesem Sinne zu betrachten schien, denn er nahm stillschweigend die ihm dargebotene Hülfe an.

Der Vater bediente sich der Unterstützung seines Sohnes indeß nur einige Minuten. Sie waren noch nicht hundert Schritte weiter gegangen, als er Mordaunt plötzlich, ja beinahe rauh, von sich stieß, und, als ob ihm irgend eine Erinnerung doppelte Kräfte gäbe, den Berg vollends mit so großen und schnellen Schritten hinanstieg, daß Mordaunt Mühe hatte, ihm zur Seite zu bleiben. Er kannte seines Vaters eigenthümliches Wesen, und wußte aus manchen unbedeutenden Umständen, daß er, trotz der Sorgfalt, die er auf seine Erziehung verwendet, und obgleich er der einzige Gegenstand seiner Aufmerksamkeit auf Erden zu sein schien, ihn dennoch nicht liebte. Nie hatte er indeß diese Ueberzeugung lebendiger erhalten, als durch die hastige Rauhheit, mit der Mertoun seines Sohnes Beistand zurückwies, welchen sonst ältere Leute gern von jüngeren annehmen, mit denen sie selbst nur entfernter bekannt sind, und zwar als einen Zoll, der gleich angenehm zu entrichten und zu empfangen ist. Mertoun schien indeß den Eindruck nicht zu bemerken, welchen seine Unfreundlichkeit auf die Gefühle seines Sohnes hervorbrachte. Er blieb auf einer Fläche stehen, die sie jetzt erreicht hatten, und sagte zu seinem Sohne in einem Tone der Gleichgültigkeit, der etwas erkünstelt zu sein schien:

»Da du so Veranlassung hast, Mordaunt, auf diesen wilden Inseln zu bleiben, so hast du wohl zuweilen den Wunsch gehegt, dich etwas weiter in der Welt umzusehen?«

»Auf mein Wort, Vater,« erwiderte Mordaunt, »ich kann nicht sagen, daß ich daran je gedacht hätte.«

»Und weßhalb nicht, junger Mensch?« fragte der Vater; »ich dächte, das wäre in deinem Alter nur natürlich. In deinem Alter konnte mir das schöne lachende England kaum genügen, geschweige denn ein solches seeumgürtetes Stück Torfmoor, wie dieß.«

»Ich habe nie daran gedacht, Shetland zu verlassen, Vater,« erwiderte sein Sohn; »ich bin hier glücklich und habe Freunde. Selbst Sie, Sir, würden mich vermissen, Sie müßten denn in der That« – – – –

»Du wirst mich doch nicht überreden wollen,« sagte der Vater etwas barsch, »daß du aus Liebe zu mir hier bleibst oder hier zu bleiben wünschest?«

»Warum sollte ich nicht, Sir?« antwortete Mordaunt sanft. »Es ist meine Pflicht, und ich hoffe, ich habe sie bis jetzt erfüllt.«

»Ja so,« wiederholte der Vater in dem vorigen Tone, »deine Pflicht – deine Pflicht. So ist es auch die Pflicht des Hundes, dem Diener des Hauses zu folgen, der ihn füttert.«

»Und thut er das nicht immer?« sagte Mordaunt.

»O ja,« sagte der Vater, indem er den Kopf abwendete, »aber er wedelt nur Denen zu, die ihn liebkosen.«

»Ich hoffe, Sir,« erwiderte Mordaunt, »daß ich hierin nichts vernachlässigt habe?«

»Nichts mehr davon – nichts mehr davon,« sagte Mertoun kurz; »wir haben Beide lange für einander genug gethan – wir müssen uns bald trennen – laß das unsere Beruhigung sein, wenn unsere Trennung sie erfordern sollte.«

»Ich werde immer bereit sein, Ihre Wünsche zu erfüllen,« sagte Mordaunt, der mit der Aussicht, die Welt weiter zu sehen, gar nicht unzufrieden war. »Wahrscheinlich werden Sie mich meine Reise mit einer Fahrt auf den Wallfischfang beginnen lassen?«

»Wallfischfang!« erwiderte Mertoun, »das wäre ein Weg, die Welt zu sehen; aber du sprichst, wie du es verstehst. Für jetzt genug davon. – Sage mir, wo fandest du bei dem gestrigen Sturme ein Obdach?«

»In Stourburgh, dem Hause des neuen Verwalters aus Schottland.«

»Ein pedantischer, überspannter, träumerischer Planmacher,« sagte Mertoun; »und wen fandest du dort?«

»Seine Schwester,« erwiderte Mordaunt, »und die alte Norna von Fitful-Head.«

»Was! Die? welche so mächtige Zaubersprüche kennt?« antwortete Mertoun mit einem höhnischen Lächeln, »die den Wind wenden kann, wenn sie ihr Kopftuch auf die eine Seite zieht, wie König Erich, wenn er seine Mütze umwendete? Die Frau macht weite Reisen, – wie geht es ihr? Hat sie schon viele Reichthümer damit erworben, daß sie Denen, die in den Hafen einlaufen wollen, günstigen Wind verkauft?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Sir,« sagte Mordaunt, den gewisse Erinnerungen abhielten, in seines Vaters Laune einzustimmen.

»Du hältst die Sache für zu ernsthaft, um damit Scherz zu treiben, oder vielleicht die Waare für zu leicht, dich darum zu bekümmern,« fuhr Mertoun in demselben spöttischen Tone fort, die einzige Anstrengung, die seine Laune zu gestatten schien, »aber überlege nur die Sache genauer. Alles in der Welt wird gekauft und verkauft, warum nicht der Wind, wenn der Kaufmann Käufer finden kann? Die Erde ist verpachtet, von ihrer Oberfläche bis zu den Bergwerken in ihrem Innersten; das Feuer und die Mittel, es zu nähren, werden ganz in der Ordnung gekauft und verkauft; die Elenden, welche den ungestümen Ocean mit ihren Netzen bestreichen, bezahlen ihren Zoll für das Vorrecht, darin zu ertrinken. Weßhalb sollte die Luft von diesem allgemeinen Handel ausgeschlossen bleiben? Alles über der Erde hat seinen Preis, seine Verkäufer, seine Käufer. In vielen Ländern verkaufen dir die Priester einen Theil des Himmels, – in allen Ländern sind die Menschen gern bereit, gegen Gesundheit, Reichthum und Gewissensfreiheit einen gehörigen Theil der Hölle zu kaufen. Weßhalb also soll Norna nicht ihren Handel treiben?«

»Nein, ich weiß keinen Grund dagegen,« erwiderte Mordaunt, »nur wünsche ich, sie schlüge ihre Waare in kleineren Quantitäten los. Gestern handelte sie im Großen – wer sich mit ihr einließ, bekam für sein Geld zu viel.«

»So ist es,« sagte der Vater, indem er am Rande des wilden Vorgebirges stehen blieb, das sie erreicht hatten, und wo der Felsen schroff zu dem gewaltigen und stürmischen Meere hinabsinkt; »die Spuren sind noch sichtbar.«

Das Vordertheil dieses hohen Vorgebirges besteht aus weichem, bröcklichem Sandstein, welcher der Einwirkung der Atmosphäre allmählig weicht, und sich in großen Massen zerspaltet, die locker über dem Rande des Abgrundes hängen, und durch die Wuth der Stürme losgerissen, oft mit großer Gewalt in die tosenden Wogen hinabstürzen, welche den Fuß des Felsens peitschen. Viele von diesen gewaltigen Bruchstücken liegen am Fuße der Klippen umher, von denen sie herabgestürzt sind, und zwischen diesen schäumt und braust die Fluth mit einer diesen Breiten eigenthümlichen Wuth.

In dem Augenblicke, als Mertoun und sein Sohn von der Spitze des Felsens herabblickten, war das weite Meer noch aufgeregt von dem gestrigen Sturme, der zu heftig gewesen war, um sich so schnell zu legen. Die Fluth schlug daher mit betäubendem Geräusche an das Ufer, und das Auge schwindelte, wenn es in die Wogen hinabblickte, die Allem, was sie in ihre Gewalt hinabziehen konnten, augenblickliche Zerstörung drohten. Der Anblick der Natur in ihrer Pracht, in ihrer Schönheit, oder in ihren Schrecken, hat zu jeder Zeit etwas Ueberwältigendes, dessen Eindruck selbst die Gewohnheit nicht schwächen kann, und Vater und Sohn setzten sich auf die Klippe, auf den ungemessenen Kampf der Wellen zu blicken, welche in ihrem Zorne bis an den Fuß des Abgrundes rollten.

Auf einmal sprang Mordaunt, dessen Auge schärfer und dessen Aufmerksamkeit wahrscheinlich reger war, als die seines Vaters, auf und rief: »Gott im Himmel, da ist ein Fahrzeug in dem Roost!«

Mertoun blickte nach Nordwesten, und sah einen Gegenstand in der schäumenden Fluth. »Es zeigt kein Segel,« sagte er, und gleich darauf, als er durch sein Fernglas gesehen hatte, fügte er hinzu: »es ist entmastet und liegt als Wrack auf dem Wasser.«

»Und treibt auf Sumburgh-Head zu,« sagte Mordaunt voll Schrecken; »ohne das geringste Mittel, das Vorgebirge zu umschiffen.«

»Es macht keine Bewegung,« erwiderte der Vater, »wahrscheinlich ist es von der Mannschaft verlassen.«

»Und an einem solchen Tage, wie der gestrige,« sagte Mordaunt, »wo kein offenes Boot die See halten konnte, wäre es auch mit den besten Seeleuten bemannt gewesen, die je ein Ruder geführt haben, müssen Alle untergegangen sein.«

»Das ist sehr wahrscheinlich,« sagte sein Vater mit ernster Fassung, »aber später oder früher hätten doch Alle untergehen müssen. Was liegt daran, ob der Vogelsteller, dem Nichts entgeht, sie auf einmal von jenem zertrümmerten Verdeck weghaschte, oder aber sie einzeln, wie der Zufall sie ihm überlieferte, in seine Krallen bekam? Was liegt daran? das Verdeck, das Schlachtfeld haben eben die Gefahr für uns, wie unser Tisch und unser Bett, und wir entgehen dem einen nur, um ein unbefriedigendes und ermüdendes Dasein fortzuleben, bis wir an dem andern sterben. Ich wollte, die Stunde wäre gekommen, – die Stunde, deren Annäherung die Vernunft uns wünschen ließe, wenn uns nicht die Natur die Furcht davor so tief eingeprägt hätte! Du wunderst dich über solche Betrachtungen, weil das Leben dir noch neu ist; ehe du mein Alter erreichst, werden sie auch mit deinen Gedanken verschwistert sein.«

»Wahrlich, Sir,« erwiderte Mordaunt, »ein solcher Widerwille gegen das Leben ist doch nicht die nothwendige Folge eines vorgerückten Alters?«

»Für alle Die, welche genug Verstand haben, zu schätzen, was es wirklich werth ist,« sagte Mertoun. »Die, welche, wie Magnus Troil, so viel von den thierischen Neigungen an sich haben, daß sie an der Sinnesbefriedigung Geschmack finden, werden vielleicht, wie die Thiere, schon durch das reine Dasein befriedigt.«

Mordaunt gefiel weder die Rede noch das Beispiel. Er war der Meinung, daß ein Mann, der seine Pflichten gegen Andere so redlich erfüllte, wie der gute, alte Udallar, hell die Sonne seinen Untergang bescheinen zu sehen, ein größeres Recht habe, als das, welches ihm die bloße Fühllosigkeit geben konnte. – Aber er ließ das Gespräch fallen, denn wenn er mit seinem Vater zu streiten anfing, hatte dieß immer die Folge, daß dieser aufgebracht wurde; deßhalb wendete er seine Aufmerksamkeit abermals auf das Wrack.

Das Wrack, denn es war nicht viel besser, war jetzt in der Mitte der Strömung, und trieb mit großer Schnelligkeit zu dem Fuße der Klippe, an deren Rand sie standen. Es dauerte unterdessen lange, ehe sie den Gegenstand deutlich erkennen konnten, welchen sie zuerst als einen schwarzen Fleck im Wasser gesehen hatten, und der, etwas näher gekommen, wie ein Wallfisch aussah, der bald kaum die Rückenflosse über das Wasser erhebt, bald seine große, schwarze Seite zeigt. Jetzt konnten sie indeß deutlicher die Gestalt des Schiffes erkennen, denn die gewaltigen Rollwogen, welche es der Küste zutrugen, hoben es bald über den Spiegel des Meeres empor, bald begruben sie es in dessen Tiefe. Es schien ein Fahrzeug von zwei- bis dreihundert Tonnen, und zur Vertheidigung eingerichtet zu sein, denn man konnte die Stückpforten sehen. Es hatte wahrscheinlich in dem Sturme am vorigen Tage seine Masten verloren, und lag nun mit Wasser angefüllt auf den Wellen, eine Beute ihrer Wuth. Es schien gewiß, daß die Mannschaft, als sie gesehen, daß es unmöglich sei, das Schiff zu lenken, oder es durch Pumpen zu retten, sich in die Boote geworfen und das Schiff seinem Schicksale überlassen hatten. Alle Besorgnisse, welche den Untergang der Menschen betrafen, waren deßwegen unnütz, und doch konnten die beiden Mertouns nicht ohne ein Gefühl der Beklommenheit das Schiff betrachten – das seltene Meisterstück, wodurch der Mensch sich zum Herrn der Welten zu machen, und mit den Winden zu kämpfen versucht, und doch jeden Augenblick in Gefahr ist, ihre Beute zu werden.

Jetzt kam sie heran, die große, schwarze Masse, die mit jeder Fadenlänge größer zu werden schien. Sie kam näher, auf einer furchtbaren Welle emporgetragen, welche ungebrochen mit ihr daher rollte, bis diese sammt ihrer Last gegen den Felsen anprallte; und nun war der Triumph der Elemente über das Werk menschlicher Hände auf einmal vollendet. Jene Welle zeigte das zertrümmerte Schiff noch in seiner ganzen Größe, als sie es emporhob und es gegen die Felsenwand trug. Als aber diese Welle von dem Fuße des Felsens zurückrollte, war das Schiff nicht mehr, und die zurückgekommene Woge brachte nur eine Anzahl Balken, Planken, Fässer und ähnliche Gegenstände, die sie auf die Höhe des Meeres hinaustrug, damit sie von dort durch die nächste Welle zurückgebracht und wiederum gegen den Felsen geschmettert würden.

In diesem Augenblicke glaubte Mordaunt einen Menschen auf einer Planke oder einem Fasse schwimmen zu sehen, welcher abwärts von der Hauptströmung auf einen kleinen Sandfleck zuzulenken schien, wo das Wasser seicht war, und die Wellen sich weniger ungestüm brachen. Die Gefahr zu sehen, auszurufen: »Er lebt und kann noch gerettet werden!« war die erste Aufwallung des furchtlosen Mordaunt; die nächste, nach einem schnellen Ueberblick der Felsfläche, sich von der Spitze herabzustürzen (so schnell schien die Bewegung) und, die Spalten, Risse und Vorsprünge des Felsens benutzend, hinabzuklettern, – ein Unternehmen, welches jedem Zuschauer als das eines Rasenden erschienen sein würde.

»Halt, ich befehle es dir, unbesonnener Knabe!« rief der Vater, »dieses Wagestück bringt dir den Tod. Halt, und nimm den sicheren Pfad zur Linken.« Aber Mordaunt war schon zu weit in seinem gefährlichen Unternehmen vorgeschritten. »Und warum sollte ich ihn auch hindern?« sagte der Vater, indem die strenge und empfindliche Denkungsart, die er sich angeeignet hatte, alle Besorgniß unterdrückte. »Käme er jetzt um, erfüllt von einem großartigen hohen Gefühle, voll Glut für die Sache der Menschlichkeit, glücklich in der Anwendung seiner eigenen selbstbewußten Behendigkeit und seiner jugendlichen Stärke, – käme er jetzt um – entginge er dann nicht dem Menschenhaß, den Gewissensbissen, dem Alter und dem Gefühle der abnehmenden Kraft der Seele und des Körpers? – Ich will indeß nicht hinblicken – nein – ich kann diese jugendliche Flamme nicht so plötzlich verlöschen sehen.«

Er trat von dem Abhange zurück und ging weiter als eine Viertelmeile links nach einer Riva oder Spalte, in welcher ein Pfad, die Erichs-Stufen genannt, lag, der zwar weder sicher noch bequem, aber der einzige war, welchen die Bewohner von Jarlshof einzuschlagen pflegten, wenn sie an den Fuß des Felsens gelangen wollten.

Lange zuvor, ehe Mertoun nur das obere Ende des Pfades erreicht, hatte sein kühner und gewandter Sohn schon sein gefahrvolles Unternehmen bestanden. Vergebens hatten Schwierigkeiten, die von oben nicht geahnt, sich ihm entgegengestellt und ihn von der geraden Richtung beim Herabsteigen abgehalten; sein Weg wurde zwar länger, allein er konnte dadurch nicht zurückgehalten werden. Mehr als einmal gaben große Felsstücke, auf denen er fußen wollte, nach und rollten in das gepeitschte Meer hinab, und ein- oder zweimal stürzten ihm solche losgerissene Massen nach, als ob sie ihn in ihrem Falle mit sich fortreißen wollten. Sein muthiges Herz, sein ruhiges Auge, seine kräftige Hand und sein fester Fuß halfen ihm indeß das Wagestück glücklich vollenden, und in sieben Minuten stand er am Fuße der Klippen.

Der Ort, wo er jetzt anhielt, war ein kleiner, von Steinen, Sand und Kies gebildeter Vorsprung, welcher sich etwas in die See hinaus erstreckte, die zur Rechten den Fuß der Klippe bespülte, und zur Linken von demselben und durch einen schmalen, von den Wellen zerrissenen Uferstreif getrennt war, der sich bis zu dem Fuße der Erichs-Stufen hinzog, auf denen sein Vater heruntersteigen wollte.

Als das Schiff zerschellte und in Stücke ging, verschlang der Ocean Alles, was man nach dem ersten Stoße noch auf den Wellen hatte schwimmen sehen, einige wenige Trümmer, Fässer, Kisten und dergleichen ausgenommen, welche ein starker Strudel, den das Zurückstürmen der Wellen verursachte, da an das Land geworfen hatte, wo Mordaunt jetzt stand. Unter diesen entdeckte sein forschendes Auge bald den Gegenstand, der zuerst seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und den er jetzt in der Nähe wirklich für einen Menschen erkannte, welcher sich aber in einer höchst mißlichen Lage befand. Er hatte die Arme fest und krampfhaft um den Balken geschlungen, an den er sich in dem Augenblicke des Stoßes angeklammert hatte, aber Bewußtsein und Bewegung hatten ihn verlassen, und die Lage, in welcher die Planke halb auf dem Ufer, halb noch im Meere lag, machte es möglich, daß sie wieder vom Ufer fortgespült wurde, in welchem Falle des Mannes Tod unvermeidlich war. Eben als das Alles dem jungen Mertoun klar wurde, sah er eine gewaltige Welle heranbrausen, und eilte nun, zu Hülfe zu kommen, ehe sie sich brach, denn das Zurückströmen derselben mußte den Unglücklichen mit fortreißen.

Er warf sich daher in die Brandung und packte den Körper mit einer Gewalt, der ähnlich, mit der ein Hund auf seine Beute stürzt. Die Stärke der zurückrollenden Woge war größer, als er erwartet hatte, und Mordaunt mußte einen harten Kampf für sein eigenes und des Fremden Leben bestehen, um nicht von ihr in das offene Meer hinausgerissen zu werden, wo er, obgleich ein gewandter Schwimmer, von der Stärke der Fluth entweder gegen die Felsen geschmettert oder in die weite See geschleudert worden wäre. Er behauptete indeß seinen Platz, und ehe die zweite Welle zum Angriff zurückgekehrt war, hatte er schon den Körper und die Planke, woran sich dieser festhielt, auf den Streifen trockenen Sandes gezogen. Wie aber den Funken des verlöschenden Lebens und der Kraft anfachen und den Unglücklichen, der zu seiner eigenen Rettung nichts zu thun im Stande war, an einen sichern Ort schaffen? Das waren Fragen, die sich Mordaunt nicht zu beantworten wußte.

Er blickte zur Spitze der Klippe hinauf, wo er seinen Vater zurückgelassen hatte, und rief diesem zu, ihm Beistand zu senden; aber sein Auge konnte ihn nicht entdecken, und nur das Geschrei der Seevögel antwortete auf seinen Ruf. Er blickte den Unglücklichen noch einmal an; ein nach der Art jener Zeit reich mit Tressen besetztes Kleid, feines Leinen, Ringe an den Fingern, bewiesen, daß er ein Mann von bedeutendem Range sei, und sein bleiches, entstelltes Gesicht zeigte Jugend und Anmuth. Er athmete noch, aber so schwach, daß man kaum eine Spur seines Athems bemerken konnte, und das Leben schien nur noch an einem so dünnen Faden zu hängen, daß sich befürchten ließ, er werde ganz zerreißen, wenn er nicht bald verstärkt würde. Ihm die Halsbinde abzulösen, ihn mit dem Gesicht gegen den Wind zu drehen und ihn mit seinen Armen zu unterstützen, war Alles, was Mordaunt zu seinem Beistande thun konnte, während er sehnlichst nach Jemanden umherblickte, der ihm helfen könnte, den Unglücklichen an einen sichern Platz zu schleppen.

In diesem Augenblicke sah er einen Mann langsam und vorsichtig am Ufer herkommen. Er hoffte Anfangs, es sei sein Vater, besann sich aber sogleich, daß dieser den weiten Weg noch nicht zurückgelegt haben konnte, den er nothwendig eingeschlagen haben mußte, und sah auch, daß der Mann, der sich näherte, kleiner war. Als er noch näher kam, erkannte Mordaunt den Hausirer, mit dem er am vorigen Tage in Harfra zusammengetroffen war, und den er früher schon bei manchen Gelegenheiten kennen gelernt hatte. Er rief ihm daher so laut er konnte zu: »Holla, Bryce! komm her, Bryce!« Aber der Händler, der an nichts weiter dachte, als einige Ueberbleibsel aus dem Schiffbruche aufzufischen und diese aus dem Bereiche der Fluth zu ziehen, schien auf sein Rufen gar nicht zu achten.

Als er sich endlich Mordaunt näherte, geschah es nicht, um ihm zu helfen, sondern um ihm die Unbesonnenheit seines Unternehmens vorzuwerfen. »Seid Ihr toll?« sagte er; »Ihr, der Ihr so lange auf Shetland gelebt habt, wollt es wagen, einen Ertrinkenden zu retten? Wißt Ihr nicht, daß er Euch gewiß ein Leid zufügt, wenn Ihr ihn wieder in das Leben zurückbringt? – Kommt, Mr. Mordaunt, steht mir bei, etwas Besseres zu thun. Helft mir eine oder zwei Kisten, ehe ein Anderer kommt, an das Ufer bringen, und wir wollen uns in das, was Gott gibt, theilen und ihm danken.«

Mordaunt war mit dem sonderbaren Aberglauben nicht unbekannt, welcher in früheren Zeiten wirklich unter den niederen Shetländern herrschte, und der vielleicht um so mehr beachtet wurde, da er zu einem Vorwande dienen konnte, den unglücklichen Opfern des Schiffbruches Beistand zu versagen, während man ihre Güter plünderte. Wie dem nun auch sein mag, so bildete doch der Glaube, daß, einen Ertrinkenden zu retten, einen schlechten Dank nach sich ziehe, einen sonderbaren Gegensatz in dem Charakter dieser Inselbewohner, die, gastfreundlich, großmüthig und uneigennützig bei allen andern Gelegenheiten, doch zuweilen, von diesem Aberglauben angeregt, bei dieser Art von Lebensgefahr, welche an ihrer felsigen und stürmischen Küste so häufig war, ihre Hülfe versagten. Wir können indeß, Gott Lob, jetzt sagen, daß die Ermahnungen und das Beispiel der Grundbesitzer selbst die Spuren dieses unmenschlichen Vorurtheiles vertilgt haben, von dem man zu jener Zeit noch Beispiele fand.

Bryce hielt sehr fest daran, vielleicht um so mehr, weil der Vorrath in seinem Pack sich weniger aus den Niederlagen zu Lerwick oder Kirkwall ergänzte, als durch die Folgen eines solchen Nordwestwindes, wie der am vorigen Tage, für welchen er daher auch (als ein nach seiner Art sehr frommer Mann) dem Himmel zu danken nie unterließ. Ja, man sagte von ihm, wenn er so viel Zeit zur Hülfe der schiffbrüchigen Seeleute verwendet hätte, als er zur Plünderung ihrer Kisten und Kasten brauchte, würde er manches Leben gerettet, aber auch manchen Ballen Leinen weniger haben. Er achtete auf die wiederholten Bitten Mordaunts durchaus nicht, obgleich er jetzt dicht bei ihm stand (Bryce kannte diesen Uferstreif als einen Ort, wohin der Strudel alle die Leute zu führen pflegte, welche der Ocean auswarf), sondern beschäftigte sich eifrig damit, das in Sicherheit zu bringen und sich zuzueignen, was ihm am leichtesten fortzuschaffen und den größten Werth zu haben schien. Endlich sah Mordaunt den ehrlichen Handelsmann seinen Blick auf eine starke Schiffskiste richten, welche aus irgend einem indischen Holze gemacht, durch Messingplatten wohl verwahrt und von fremder Arbeit zu sein schien. Das starke Schloß widerstand allen Anstrengungen Bryce's, es zu öffnen, bis er mit großer Ruhe Hammer und Meißel aus der Tasche zog und nun die Haspen aufzubrechen anfing.

Ergrimmt über die Theilnahmlosigkeit, ergriff Mordaunt ein Querholz, das neben ihm lag, legte seine Bürde sanft auf den Sand nieder, näherte sich Bryce mit drohender Geberde und rief aus: »Du kaltblütiger Unmensch! Du stehst entweder sogleich auf und hilfst mir diesen Mann wieder in's Leben zurückrufen, oder ich schlage dich auf der Stelle nicht allein windelweich, sondern zeige auch Magnus Troil deine Diebereien an, damit er dich peitschen lasse, bis das Fleisch von deinen Knochen fällt, und dich nachher vom Festlande verbanne.«

Der Deckel der Kiste war eben aufgesprungen, als dieser kräftige Zuspruch in Bryce's Ohren drang, und das Innere des Fundes bot eine sehr lockende Aussicht auf einen Vorrath von Sachen für See- und Landgebrauch dar: Hemden, einfach und mit Spitzen-Manschetten, ein silberner Compaß, ein Degen mit einem silbernen Griffe, und andere Gegenstände von Werth, von welchen der Hausirer wohl wußte, daß sie im Handel etwas galten. Bryce war schon im Begriff aufzuspringen, den Degen zu ziehen, der zugleich ein Stoß- und Hiebdegen war, und »sich zum Gefecht anzuschicken«, wie Spencer sagt, um seine Beute nicht fahren oder sich bei seinem Geschäfte unterbrechen zu lassen; – und da er, obgleich klein, doch ein starker, vierschrötiger Kerl, noch in der vollen Kraft der Jahre, und überdieß besser bewaffnet war, als sein Gegner, so dürfte er Mordaunt leicht mehr zu schaffen gemacht haben, als dieser wegen seiner irrenden Ritter-Thaten verdiente.

Schon hatte – als Mordaunt mit Heftigkeit seine Anforderungen wiederholte, daß Bryce von seiner Plünderung abstehen und zur Unterstützung des Sterbenden herbeikommen sollte – der Hausirer in trotzigem Tone geantwortet: »flucht nicht, Sir! flucht nicht; ich leide kein Fluchen in meiner Gegenwart, und wenn Ihr Hand an mich legt, weil ich dieß mir rechtmäßig zukommende Gut der Aegypter nehme, so will ich Euch einen Denkzettel geben, den Ihr von heute bis Weihnachten nicht vergessen sollt.«

Mordaunt war im Begriff, die Herzhaftigkeit des Hausirers auf die Probe zu stellen, als eine Stimme hinter ihm plötzlich »Halt!« rief. Es war die Stimme Norna's von Fitful-Head, welche sich in der Hitze des Streites Beiden unbemerkt genähert hatte. »Halt!« wiederholte sie; »und du, Bryce, leiste Mordaunt den Beistand, den er verlangt; ich bin es, die dir sagt, daß dir dieß mehr Vortheil bringen wird, als Alles, was du heute verdienen könntest.«

»Es ist siebenzehnhunderts Leinwand,« sagte der Hausirer, indem er eins der Hemden mit der Kennerart befühlt, womit Frauen und Sachverständige das Gewebe beurtheilen; »es ist siebenzehnhunderts Leinwand, so stark, als ob es Doppelleinwand wäre. Indessen, Mutter, soll Euer Wille geschehen. Ich würde Mr. Mordaunts Willen ebenfalls gethan haben,« fügte er hinzu, indem er von dem Tone des Trotzes zu dem der dienstbeflissenen Ergebenheit überging, dessen er sich gegen seine Kunden bediente, »wenn er nicht so gotteslästerliche Flüche ausgestoßen hätte, welche mir die Haut schauern machten, so daß ich mich wirklich beinahe vergessen hätte.« Er zog hierauf eine Flasche aus der Tasche und näherte sich dem Schiffbrüchigen. »Es ist vom besten Branntwein,« sagte er, »und wenn ihn das nicht wieder in das Leben bringt, so weiß ich nicht, was ich thun soll.« Mit diesen Worten nahm er im Voraus selbst einen Schluck, gleichsam um die Vorzüglichkeit des Getränkes zu beweisen, und war im Begriff, dem Manne etwas davon in den Mund zu gießen, als er auf einmal die Hand zurückzog und sagte: »Norna, Ihr bürgt mir für Alles, was mir von ihm geschehen könnte, wenn ich ihm Hülfe leiste – Ihr wißt selbst am besten, Mutter, was die Leute sagen.«

Statt aller Antwort nahm ihm Norna die Flasche aus der Hand und begann dem Schiffbrüchigen die Schläfe und den Hals damit zu reiben, wobei sie Mordaunt die nöthige Anweisung gab, wie er dessen Kopf halten solle, damit er das eingeschluckte Seewasser wieder von sich gäbe.

Der Hausirer sah einen Augenblick unthätig zu, und sagte dann: »Nun, es ist nicht mehr so gefährlich, ihm zu helfen, da er aus dem Wasser ist und hoch und trocken am Ufer liegt; die Hauptgefahr ist immer für die, welche ihn zuerst berühren. Aber es ist ein Jammer, zu sehen, wie diese Ringe des armen Menschen geschwollene Finger pressen, wahrhaftig, seine Hand ist so blau, wie der Rücken einer Krabbe, ehe sie gekocht wird.« Mit diesen Worten ergriff er eine der kalten Hände des Menschen, deren zitternde Bewegung so eben eine Spur des zurückkehrenden Lebens andeutete, und ging an sein Werk der Barmherzigkeit, indem er die Ringe, welche von Werth zu sein schienen, von den Fingern zu ziehen begann.

»Wenn du dein Leben lieb hast, laß ab,« sagte Norna ernst, »oder ich lege dir Etwas auf, was dir deine Reise durch die Inseln gewiß verderben soll.«

»Um Gotteswillen, Mutter, nichts mehr davon,« erwiderte der Hausirer, »ich will ja gern thun, was Ihr verlangt. Ich fühlte wirklich gestern schon einen Schmerz im Rücken, und es wäre großes Unglück für mich, wenn ich nicht meinen ruhigen Gang durch das Land machen könnte, meinen Handel zu treiben, mir mein Brod mit Ehren zu verdienen und das mitzunehmen, was die Vorsehung an unsere Küste wirft.«

»Nun, so sei ruhig,« sagte die Frau; »sei ruhig, wenn du es nicht bereuen willst, und nimm diesen Mann auf deine breiten Schultern. Es ist an seinem Leben gelegen und du sollst dafür belohnt werden.«

»Das thut mir auch wohl noth,« antwortete der Hausirer, indem er gedankenvoll den deckellosen Kasten und die andern Sachen anschaute, welche auf dem Sande umherlagen; »denn er hat mich an einem Erwerbe gehindert, der für mein übriges Leben einen Mann aus mir gemacht haben würde, und nun muß es hier liegen bleiben, bis die nächste Fluth es in die Strömung hinabführt, denen nach, die es gestern Morgen noch besaßen.«

»Sei unbesorgt,« sagte Norna; »es wird schon Jemanden zu Statten kommen. Sieh, dort kommen Raubvögel, die ein so scharfes Auge haben, wie du.«

Sie redete die Wahrheit, denn mehrere Leute aus dem Dorfe Jarlshof eilten jetzt nach dem Ufer, um ebenfalls ihren Antheil an der Beute zu erhalten. Der Hausirer sah sie mit einem tiefen Seufzer kommen. »Ja ja,« sagte er, »die Leute von Jarlshof werden bald reinen Tisch machen; sie sind weit und breit dafür bekannt; sie lassen nicht so viel liegen, wie eine vermoderte Ratte werth ist, und was noch schlimmer ist, es ist nicht Einer unter ihnen, der Sinn und Verstand genug hätte, für die Waare zu danken, wenn er sie bekommen hat. Da ist der alte Ranzelmann, Neil Ronaldson, der nicht eine Meile gehen kann, wenn er die Prediger hören soll, aber zehn Meilen weit humpelt, sobald er hört, daß ein Schiff gestrandet ist.«

Norna schien indeß ein so unbeschränktes Uebergewicht über ihn zu haben, daß er sich nicht länger bedachte, den Mann, der jetzt deutliche Kennzeichen des zurückkehrenden Lebens gab, auf seine Schultern zu nehmen, sondern mit Mordaunts Hülfe, ohne weitere Erinnerung, seine Bürde am Meeresstrande entlang trug. Der Fremde deutete, ehe er weggetragen wurde, noch auf den Kasten und schien Etwas zu stammeln, worauf Norna erwiderte: »Schon gut. Er soll in Sicherheit gebracht werden.«

Als sie an die sogenannten Erichs-Stufen kamen, welche sie hinansteigen mußten, begegneten sie den Leuten von Jarlshof, welche nach der entgegengesetzten Seite hineilten. Männer und Frauen machten, als sie vorbeigingen, der Norna ehrerbietig Platz und grüßten sie, wobei man auf den Gesichtern Einiger deutlich den Ausdruck der Furcht erkennen konnte. Sie war kaum einige Schritte an ihnen vorüber, als sie sich umwendete und dem Ranzelmanne, der (obgleich die Sache mehr Gebrauch, als gesetzliche Handlung war) die übrigen Leute aus dem Orte auf diese Unternehmung begleitete, zurief: »Neil Ronaldson, höre, was ich dir sage: Dort steht ein Kasten, von dem der Deckel so eben abgesprengt worden ist. Sorge dafür, daß er nach deinem eigenen Hause in Jarlshof gebracht werde, ganz so, wie er da ist. Hüte dich, das Geringste darin von der Stelle zu rücken oder zu berühren. Der ist des Todes, der den Inhalt nur ansieht. Ich sage dieß nicht umsonst, und will, daß man mir pünktlich Gehorsam leiste.«

»Euer Wille soll geschehen, Mutter,« sagte Ronaldson. »Ich stehe dafür, daß nichts angerührt werden soll, da Ihr es so haben wollt.«

Weit hinter den übrigen Dorfbewohnern kam eine alte Frau, die mit sich selbst sprach und ihre Gebrechlichkeit verwünschte, die sie zwang, so weit zurückzubleiben, jedoch mit aller Macht vorwärts strebte, um ihren Theil an der Beute ebenfalls zu erhaschen.

Als sie näher kamen, war Mordaunt nicht wenig erstaunt, in ihr seines Vaters alte Haushälterin zu erkennen. »Was ist das, Swertha,« sagte er; »was machst du so weit vom Hause?«

»Ich war nur so hinaus geschlendert, um nach meinem alten Herrn und nach Euer Gnaden zu sehen,« antwortete Swertha, wie ein Verbrecher, der auf der That ertappt wird; denn bei mehr als einer Gelegenheit hatte Mertoun sein großes Mißfallen über dergleichen Gänge zu erkennen gegeben, wie der, auf dem sie sich jetzt befand.

Mordaunt war indessen zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, als daß er auf ihr Treiben hätte achten sollen. »Hast du meinen Vater gesehen?« fragte er Swertha. »Ja, das habe ich,« antwortete diese. »Der gute Herr war im Begriff, die Erichs-Stufen hinunterzuklimmen, und das wäre sein Ende gewesen, denn das ist kein Weg für gebrechliche Leute. So habe ich ihn denn nach Hause zu gehen vermocht, und ich suchte Euch so eben auf, damit Ihr Euch in das Herrenhaus zu ihm begebt, denn meines Bedünkens nach ist er nichts weniger als wohl.«

»Mein Vater unwohl?« sagte Mordaunt, da er sich jetzt der Anwandlung von Schwäche erinnerte, die er zu Anfange des Morgenspaziergangs an ihm bemerkt hatte.

»Nichts weniger als wohl – nichts weniger als wohl,« stöhnte Swertha mit einem mitleidigen Kopfschütteln. »Kreideweiße Backen, und noch die Riva hinabsteigen zu wollen!«

»Geh' nach Hause, Mordaunt« – sagte Norna, die das Gespräch mit angehört hatte. – »Ich werde dafür sorgen, daß alles Nöthige zur Pflege dieses Mannes geschehe, und du wirst ihn bei dem Ranzelmanne finden, wenn du dich nach ihm erkundigen willst; du kannst nicht mehr thun, als du schon für ihn gethan hast.«

Mordaunt fühlte die Wahrheit dieser Worte, befahl Swertha, ihm sogleich zu folgen, und eilte mit schnellen Schritten nach Hause.

Swertha humpelte unwillig hinter ihrem Herrn her; sobald sie ihn aber aus dem Gesichte verloren, als er eben in die Spalte des Felsens einbog, drehte sie um und brummte für sich: »Und ich sollte nach Hause gehen und die beste Gelegenheit, die mir seit zehn Jahren geboten wurde, einen neuen Mantel und Rock zu bekommen, verlieren? – Nein, wahrhaftig nicht – solche reiche Gottesgaben kommen nicht oft an unsere Küste; man weiß nichts davon, seitdem die Jenni und James zu König Karls Zeiten an unserer Küste strandeten.«

Mit diesen Worten beflügelte sie ihre Schritte so gut sie konnte, und da der willige Geist dem schwachen Fleische zu Hülfe kam, erreichte sie bald den Strand, wo der Ranzelmann, während er seine eigenen Taschen vollstopfte, die Uebrigen ermahnte, ehrlich zu theilen, nachbarliche Gesinnungen zu zeigen, und den alten und Hülflosen auch ihren Antheil zu gönnen, was, wie er andächtig bemerkte, die Küste segnen und ihnen vor dem Winter noch mehr Schiffbrüche bringen würde.


 


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