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Zehntes Kapitel.

 

Ich habe die Witterung bestimmt und die Jahreszeiten
eingetheilt. Die Sonne hat meinen Geboten gehorcht:
und ist auf meinen Befehl von Wendekreis zu
Wendekreis gewandelt; die Wolken haben auf mein
Geheiß ihre Ströme herabgegossen.

Rasselas.

 

Jede plötzliche Ursache zu beunruhigenden und kränkenden Betrachtungen, welche in reiferem Alter eine finstere, still brütende Unthätigkeit zur Folge hat, reizt die Jugend zu reger und lebendiger Thätigkeit, – als ob sie, wie der verwundete Hirsch, den Schmerz, welchen der in der Wunde steckende Pfeil verursacht, durch die Schnelligkeit der Bewegung zu betäuben suchen wolle. Als Mordaunt nach seiner Flinte gegriffen hatte und zu dem Hause hinausgestürmt war, eilte er schnell über die Haide und durch die Wildniß dahin, ohne bestimmten Zweck, den etwa ausgenommen, daß er wo möglich den schmerzhaften Gefühlen seiner inneren Aufregung zu entgehen suchen wollte. Sein Stolz war durch die Erzählung des Hausirers auf das Empfindlichste gekränkt, um so mehr, da diese Erzählung die Zweifel, welche durch das lange und unfreundliche Stillschweigen der Bewohner von Burgh-Westra in ihm aufgestiegen waren, vollkommen bestätigte.

Wenn Cäsars Geschick ihn, wie der Dichter singt, bestimmt hätte nur »der beste Dichter auf dem Platz zu sein,«

so glauben wir doch, daß bei dieser ländlichen Uebung, von einem Nebenbuhler besiegt zu werden, ihm eben so schmerzhaft gewesen wäre, als seinem Nebenbuhler bei dem Kampfe um die Herrschaft der Welt zu unterliegen. Ebenso fühlte sich Mordaunt Mertoun – der in seinen eigenen Augen jetzt von der Höhe herabgesunken war, auf welcher er als der Erste unter der Jugend der Insel gestanden hatte – beleidigt und zugleich gedemüthigt. Und die beiden schönen Schwestern, um deren Lächeln Alle buhlten, und mit denen er so vertraut gewesen war, daß sich in die Unbefangenheit und Unschuld dieser Verbindung unvermerkt ein gewisser höherer, obgleich nicht genau zu beschreibender Grad von Zärtlichkeit, als der der Bruderliebe, gemischt hatte – auch diese schienen ihn vergessen zu haben. Es konnte ihm nicht unbekannt sein, daß er, der allgemeinen Meinung von ganz Dunroßneß, ja des ganzen Festlandes nach, alle Aussicht hatte, der begünstigte Liebhaber Einer derselben zu werden, und jetzt war er ihnen auf einmal so wenig geworden, daß er sogar die Bedeutsamkeit eines gewöhnlichen Bekannten verloren hatte. Selbst der alte Udallar, dessen biederes und aufrichtiges Gemüth sich auch in der Freundschaft beständig gezeigt haben sollte, schien eben so veränderlich zu sein, wie seine Töchter, und der arme Mordaunt hatte zugleich das Lächeln der Schönen und die Gunst des Mächtigen verloren. Das waren sehr unangenehme Betrachtungen, und er verdoppelte seine Schritte, um ihnen wo möglich zu entgehen.

Ohne genau auf den Weg Acht zu geben, ging Mordaunt in einer Gegend rasch weiter, wo weder Hecken, noch Mauern, noch Umzäunungen irgend einer Art die Schritte des Wanderers aufhalten, bis er an einen einsamen Ort kam, wo zwischen steilen, mit Haidekraut bewachsenen Hügeln, welche sich jäh hinab bis an den Rand des Wassers zogen, einer der kleinen See'n von süßem Wasser lag, deren es auf den shetländischen Inseln so viele gibt, und deren Ufer die Quellen der Bäche und Flüßchen bilden, welche das Land bewässern und die kleinen Mühlen in Bewegung setzen, auf denen die Einwohner ihr Korn mahlen lassen.

Es war ein milder Sommertag; die Strahlen der Sonne wurden, wie dieß in Shetland nicht ungewöhnlich ist, gemildert und gebrochen durch einen silbernen Nebel, welcher die Atmosphäre erfüllte, den starken Gegensatz von Licht und Schatten aufhob, und selbst dem Mittage die ruhige Färbung der Abenddämmerung verlieh. Der kleine See, der kaum dreiviertel Meilen im Umkreise hatte, lag in tiefer Ruhe da; seine Oberfläche war ungekräuselt, ausgenommen, wenn einer der vielen Wasservögel, welche darüber hinschwebten, einen Augenblick untertauchte. Die Tiefe des Wassers gab ihm die blaugrüne Farbe, nach welcher er der grüne See genannt worden war, und in diesem Augenblicke bildete er einen so vollkommenen Spiegel für die Hügel, die ihn umgaben und die seine Fläche zurückwarf, daß es schwer war, das Wasser von dem Lande zu unterscheiden; ja, die Dämmerung, welche der dünne Nebel verbreitete, hätte einen Fremden kaum ahnen lassen, daß ein Wasserspiegel vor ihm lag. Eine einsamere Gegend, deren Eigenthümlichkeit durch die ungemeine Heiterkeit des Wetters, der Ruhe der Atmosphäre und das tiefe Schweigen der Elemente noch erhöht wurde, konnte man sich kaum denken. Selbst die Wasservögel, welche diesen Ort in großer Menge besuchten, unterließen ihr gewöhnliches unruhiges Geflatter und Geschrei, und wiegten sich in tiefer Ruhe auf dem schweigenden Gewässer.

Ohne zu zielen, ohne irgend einen bestimmten Zweck, beinahe ohne daran zu denken, was er that, legte Mordaunt seine Flinte an und schoß über den See. Der grobe Schrot kräuselte die Oberfläche wie ein Hagelschauer; das Echo der Hügel wiederholte den Knall der Flinte mehrmals von allen Seiten; die Wasservögel flogen in engen und unregelmäßigen Kreisen auf, und antworteten dem Wiederhall mit tausendfältig verschiedenem Geschrei, von dem tiefen Tone der weißen Sturmmöve bis zu den klagenden Lauten der Winter- und isländischen Möve.

Mordaunt blickte auf den geräuschvollen Schwarm einen Augenblick mit einem Gefühl der Erbitterung, das er in diesem Augenblicke gern auf die ganze Natur, auf alle belebten und unbelebten Gegenstände ausgedehnt hätte, so wenig sie auch mit der Ursache seines inneren Grimmes in Verbindung standen.

»Ja, ja,« sagte er, »taucht, schreit und lärmt, so viel ihr wollt, und nur deßwegen, weil ihr etwas Ungewöhnliches gesehen und einen ungewöhnlichen Ton gehört habt. Es gibt in dieser runden Welt Viele wie ihr seid, aber ihr sollt wenigstens lernen,« fügte er hinzu, indem er seine Flinte wieder ladete, »daß ein fremder Anblick, ein ungewöhnlicher Ton und fremde Bekanntschaften zuweilen nicht ohne Gefahr sind. – Doch warum soll ich meinen Zorn an diesen harmlosen Seemöven auslassen?« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »sie haben ja nichts mit den Freunden zu schaffen, die mich vergaßen. Ich liebte sie Alle so sehr, – und nun so bald wegen des ersten besten Fremden, den der Zufall an die Küste warf, aufgegeben zu werden!«

Während er so auf seine Flinte gelehnt dastand, und sich diesen peinlichen Betrachtungen hingab, wurde er in seinem Nachdenken plötzlich durch Jemanden unterbrochen, der die Hand auf seine Schulter legte. Er blickte um, und sah Norna von Fitful-Head, in ihren dunkeln, weiten Mantel gehüllt, hinter sich stehen. Sie hatte ihn von dem Hügel aus gesehen, und war zum See durch eine kleine Felsschlucht herabgestiegen, die sie verbarg, bis sie mit unhörbaren Schritten so nahe an ihn herangekommen war, daß sie ihn berühren konnte.

Mordaunt war von Natur weder furchtsam noch leichtgläubig, und eine ausgebreitetere Belesenheit, als man sie gewöhnlich findet, hatte seinen Geist gewissermaßen gegen die Einwirkung des Aberglaubens gestählt; aber es wäre ein wahres Wunder gewesen, wenn er, in Shetland und gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts lebend, schon die Philosophie besessen hätte, welche erst zwei Generationen später in Schottland allgemein wurde. Er zweifelte zwar an der Größe, ja sogar dem Vorhandensein von Norna's übernatürlichen Gaben überhaupt, und das war schon ein hoher Grad von Unglauben in einem Lande, wo Beides allgemein für wahr galt; allein sein Unglauben ging doch nicht weiter, als bis zum Zweifel. Sie war unbestreitbar eine außerordentliche Frau, begabt mit einer ungewöhnlichen Geisteskraft; sie handelte nach eigenthümlichen Beweggründen, und war dem Anscheine nach von irdischen Rücksichten durchaus unabhängig. Bei dieser Ansicht, die er von seiner Jugend an genährt hatte, konnte er dennoch dieses geheimnißvolle weibliche Wesen nicht anders, als mit einer Art von Unruhe plötzlich dicht neben sich erblicken, während sie ihn eben so finster und ernst betrachtete, wie die Schicksalsschwestern – welche nach der nordischen Mythologie die Walkyrien oder »Wählerinnen der Erschlagenen« genannt wurden – die jungen Kämpen zu betrachten pflegten, die sie auserwählt hatten, das Gastmahl Odins zu theilen.

Man hielt es in der That für unglückbedeutend, wenn nicht für etwas noch Schlimmeres, mit Norna plötzlich allein und an einem von allen lebenden Zeugen entfernten Orte zusammenzutreffen, und man glaubte, daß sie bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich als eine böse Prophetin, als ein Anzeichen des Unglücks für die erschien, mit denen sie so zusammentraf. Wenige, oder vielleicht keiner der Inselbewohner würde sie ohne Zittern an den einsamen Ufern des grünen See's neben sich erblickt haben, wie sehr er auch sonst an ihre Erscheinung in der Gesellschaft gewöhnt gewesen wäre.

»Ich bringe dir kein Unglück, Mordaunt Mertoun,« sagte sie, da sie vielleicht von diesen abergläubigen Ahnungen in den Blicken des jungen Mannes etwas lesen mochte. »Ich habe dir nie Unheil zugefügt, und werde es auch ferner nicht.«

»Auch fürchte ich das nicht,« erwiderte Mordaunt, indem er einer Besorgniß Herr zu werden suchte, von der er fühlte, daß sie unmännlich sei. »Und warum sollte ich es auch, Mutter? Ihr waret ja immer meine Freundin!«

»Und dennoch, Mordaunt, bist du nicht aus unserem Lande; – aber Niemand aus shetländischem Blute – nein, selbst denen nicht, welche um den Herd Magnus Troils sitzen, des edlen Abkömmlings der alten Jarls von Orkney – will ich so wohl, als dir, du wackerer, hochherziger Jüngling. – Als ich dir jene bezauberte Kette um den Hals hing – welche, wie auf den Inseln Alle wissen, von keiner irdischen Hand verfertigt wurde, sondern von den Draus Die Draus oder Traus, die rechtmäßigen Nachfolger der nordischen Duergar (Zwerge), und welche in inniger Verbindung mit den Feen stehen, wohnen, wie diese, in dem Innern grüner Hügel und Höhlen, und sind um Mitternacht am mächtigsten. Sie verfertigen künstliche Arbeiten in Eisen, wie aus edlen Metallen, und sind zuweilen den Sterblichen hold, gewöhnlich aber launig und bösartig. Unter dem gemeinen Volke in Shetland herrscht noch jetzt der allgemeine Glaube an ihr Dasein. Auf den benachbarten Faröer-Inseln werden sie Foddenskeneand oder unterirdische Leute genannt, und Lucas Jacobson Debes, der mit ihrer Natur genau bekannt ist, versichert uns (in seiner Beschreibung der Faröer-Inseln, die im siebzehnten Jahrhundert erschien), daß sie an allen den Orten wohnen, wo Blut vergossen wurde, oder die durch die Begehung irgend einer großen Sünde befleckt wurden. Sie haben eine Regierung, welche monarchisch zu sein scheint. in den geheimen Werkstätten ihrer Höhlen – warst du nur fünfzehn Jahre alt, und doch war dein Fuß schon auf der Jungfrauen-Klippe von Northmaven gewesen, die vor dir nur der gehäutete Fuß der Sturmmöve betrat, und dein Nachen war in die tiefste Höhle von Brinnastir eingelaufen, wo der Haafe-Fisch Der größere Seehund, oder das Seekalb, welches die einsamsten Schluchten zu seinem Aufenthalte wählt. S. D. Edmonstone's Beschreibung von Shetland. Th. II. S. 294. vorher in tiefer Finsterniß schlummerte. Deßwegen gab ich dir jenes edle Geschenk, und du weißt wohl, daß dich seit dieser Zeit jedes Auge auf diesen Inseln als seinen Sohn oder Bruder betrachtet hat, hochbegabt vor allen andern Jünglingen, und als den Günstling derer, deren Stunde der Macht erscheint, wenn Tag und Nacht sich vermählen.«

»Ach, Mutter,« sagte Mordaunt, »Eure freundliche Gabe mag mir wohl Gunst verschafft haben, aber sie hat sie mir nicht zu erhalten vermocht, oder ich selbst bin nicht im Stande gewesen, sie mir zu erhalten – doch, was liegt daran? Ich werde lernen, eben so wenig auf Andere zu bauen, wie sie auf mich. Mein Vater sagt, daß ich diese Inseln bald verlassen soll; deßwegen will ich Euch, Mutter Norna, Eure Zauberkette zurückgeben, damit sie einem Andern dauernderes Glück bringe, als sie mir gebracht hat.«

»Verachte die Gabe des namenlosen Geschlechtes nicht,« sagte Norna zürnend, aber sogleich, und indem sie von dem Tone des Mißvergnügens zu dem einer wehmüthigen Feierlichkeit überging, setzte sie hinzu: »Verachte es nicht, Mordaunt, aber huldige ihm auch nicht! Setze dich auf jenen grauen Stein! Du bist der Sohn meiner Wahl, und ich will, so viel ich es vermag, das ablegen, was mich von der großen Menge unterscheidet, und zu dir wie eine Mutter zu ihrem Kinde reden.«

Der bebende Ton des Kummers, welcher sich mit der Erhabenheit ihrer Sprache und ihrer Haltung mischte, war ganz dazu geeignet, Antheil und Aufmerksamkeit zu erregen. Mordaunt setzte sich auf den Stein, auf welchen sie gedeutet hatte, ein Felsstück, welches mit mehreren andern durch einen Wintersturm von dem Felsabhange, an dessen Fuße es gelegen hatte, bis an den Rand des Wassers geschleudert worden war. Norna nahm, ungefähr drei Fuß von ihm entfernt, auf einem andern Steine Platz, legte ihren Mantel so zusammen, daß darunter fast nur ihre Stirn, ihre Augen und eine einzelne Locke ihres grauen Haares zu sehen war, und fuhr dann in einem Tone fort, in welchem die eingebildete Wichtigkeit und Bedeutsamkeit, in welcher die Geistesverirrung sich so oft gefällt, mit dem tiefen Gefühle eines ungewöhnlichen und tief eingewurzelten geistigen Kummers zu sein schienen.

»Ich war,« begann sie, »nicht immer das, was ich jetzt bin. Ich war nicht immer die Weise, Mächtige, Gebietende, vor welcher die Jüngeren scheu dastehen und die Alten ihre grauen Häupter entblößen. Es gab eine Zeit, wo mein Erscheinen den Frohsinn nicht verstummen machte, wo ich Theil an menschlichen Leidenschaften nahm, und meinen Antheil menschlicher Freude und menschlichen Kummers hatte. Es war eine Zeit der Hülflosigkeit, der Thorheit, des müssigen, thörichten Gelächters, eine Zeit der unnützen und unverständigen Thränen, und was würde, ungeachtet aller ihrer Thorheiten, ihrer Sorgen und Schwächen, Norna von Fitful-Head darum gegeben haben, wiederum das unbemerkte und glückliche Mädchen zu werden, das sie in jenen Tagen war! Höre mich, Mordaunt, und habe Geduld mit mir; denn du hörst mich Klagen ausstoßen, die nie zu sterblichen Ohren drangen, und welche nie wieder dahin dringen sollen. Ich will sein, was ich sein sollte,« fuhr sie fort, indem sie ihren magern, verdorrten Arm ausstreckte: »die Königin und Beschützerin dieser wilden vernachlässigten Inseln, – ich will die sein, deren Fuß die Wogen ohne ihre Erlaubniß nicht benetzen dürfen, und wäre selbst ihre Wuth auf den höchsten Gipfel gestiegen, deren Gewand der Wirbelwind verschont, wenn er die Dächer von den Sparren reißt. Gib mir Zeugniß, Mordaunt Mertoun, du hörtest meine Worte in Harfra – du sahst, wie der Sturm sich vor ihnen legte – sprich', gib Zeugniß!«

Ihr in diesem Fluge der aufgeregten Begeisterung zu widersprechen, würde hart und nutzlos gewesen sein, selbst wenn Mordaunt sich noch inniger, als es der Fall war, überzeugt gefühlt hätte, daß eine Wahnsinnige, und nicht eine mit übernatürlicher Gewalt begabte Frau vor ihm stände.

»Ich hörte Euch singen,« antwortete er, »und sah den Sturm sich legen.«

»Sich legen?« rief Norna aus, indem sie mit ihrem Stabe von schwarzem Elchenholze ungeduldig den Boden stampfte. – »Du sagst nur die halbe Wahrheit; er schwieg plötzlich – schwieg in kürzerer Zeit als das Kind, das von der Wärterin beschwichtigt wird. Genug, du kennst meine Macht, aber du weißt nicht, und kein Sterblicher weiß und soll es je erfahren, welchen Preis sie mich kostete. Nein, Mordaunt, nicht für die weite Herrschaft, welche die alten Norweger besaßen, als ihre Banner noch von Bergen bis Palästina wehten, nicht für alles das, was die ganze Erde enthält, vertausche deinen Seelenfrieden gegen eine solche Größe, wie Norna besitzt.« Bei diesen Worten setzte sie sich wieder auf den Felsen, zog den Mantel über das Gesicht, stützte ihren Kopf auf die Hand und schien, nach den krampfhaften Bewegungen ihrer Brust zu schließen, bitterlich zu weinen.

»Gute Norna,« sagte Mordaunt und hielt inne, da er nicht wußte, was er zum Troste des unglücklichen Weibes äußern sollte; »gute Norna,« fing er wieder an, »sollte auf Eurem Gemüthe irgend Etwas lasten, wodurch es beunruhigt wird, – wäre es dann nicht besser, wenn Ihr zu dem guten Pfarrer von Dunroßneß ginget? Die Leute sagen, Ihr wäret seit vielen Jahren in keiner christlichen Gemeinde gewesen – das ist nicht gut und nicht recht. Ihr seid wegen Eurer Kunst in der Heilung körperlicher Leiden bekannt; allein wenn die Seele krank ist, sollen wir zu dem Arzte unserer Seele gehen.«

Norna hatte sich langsam aus der gebückten Stellung erhoben, in welcher sie bisher gesessen; endlich aber sprang sie auf, warf ihren Mantel zurück, streckte den Arm aus, und rief mit schäumender Lippe und blitzenden Augen, in einem Tone, der einem Angstgeschrei glich: »Ich soll mit einem Priester sprechen, soll ihn aufsuchen? Willst du, daß der fromme Mann vor Schrecken des Todes sei? Ich soll in einer christlichen Gemeinde erscheinen? Willst du, daß das Dach auf die schuldlose Versammlung herabstürze und sich ihr Blut mit ihrer Andacht mische? Ich, ich sollte den Arzt der Seele aufsuchen! Soll der böse Feind seine Beute offen vor Gott und Menschen fordern?«

Die ungewöhnliche Bewegung der unglücklichen Sprecherin brachte Mordaunt auf einen Glauben, welcher in diesem abergläubischen Lande und zu jener abergläubischen Zeit allgemein war. »Unglückliche!« rief er, »wenn du dich wirklich mit den Mächten der Finsterniß verbündet hast, warum solltest du nicht noch bereuen können? Aber thue, was du willst, ich kann und darf als ein Christ nicht länger in deiner Nähe verweilen; und nimm hier deine Gabe zurück,« fügte er hinzu, indem er ihr die Kette geben wollte. »Gutes kann mir dadurch nie werden, wenn nicht schon Böses daraus entstanden ist.«

»Sei ruhig und höre mich, thörichter Knabe,« sagte Norna so gelassen, als ob sie durch den Ausdruck des Schreckens und des Abscheu's, den sie auf Mordaunts Gesichte las, wieder zu sich selbst gekommen wäre. »Höre mich, sage ich dir; ich gehöre nicht zur Zahl derer, die sich mit dem Feinde des Menschengeschlechts verbündet haben, oder durch seine Hülfe Wissen und Macht erhalten; und obgleich die überirdischen Mächte durch ein Opfer gewonnen wurden, welches die menschliche Zunge nie aussprechen kann, so ist doch, Gott weiß es, meine Schuld bei diesem Opfer nicht größer, als die des Blinden, welcher von dem Abhange herabstürzt, den er weder sehen noch vermeiden konnte. O, verlaß mich nicht, meide mich nicht in dieser Stunde der Schwachheit! Bleibe bei mir, bis die Versuchung vorüber ist, oder ich stürze mich in jenen See, um meiner Gewalt und meinem Elende zugleich ein Ende zu machen.«

Mordaunt, der diese sonderbare Frau immer mit einer Art von Zuneigung betrachtet hatte, welches sich ohne Zweifel auf das Wohlwollen gründete, das sie ihm schon früh zeigte, so wie auf die Art, wie sie ihn auszeichnete, ließ sich leicht überreden, seinen Sitz wieder einzunehmen, und auf das zu hören, was sie ihm ferner zu sagen hätte, indem er hoffte, daß sie nach und nach ihrer Bewegung Herr werden würde. Es währte auch nicht lange, so schien sie den Sieg errungen zu haben, den ihr Begleiter erwartete; denn sie redete ihn bald nachher auf ihre gewöhnliche feste und gebietende Weise an.

»Ich wollte mit dir nicht von mir selbst sprechen, Mordaunt, als ich dich von dem Gipfel jenes grauen Felsens erblickte und den Fußpfad zu dir herabkam. Mein Schicksal steht in Freude und Leid unabänderlich fest. Für mich selbst habe ich wenig mehr zu wünschen oder zu hoffen, aber für die, welche sie liebt, hegt Norna von Fitful-Head noch immer die Gefühle, welche sie an das Menschengeschlecht ketten. Höre mich – ich kenne einen Adler, den stolzesten, der in jenen luftigen Höhen baut, und in dieses Adlers Horst hat sich eine Otter geschlichen; willst du den Wurm zertreten und die edle Brut des Gebieters des nordischen Himmels retten helfen?«

»Du mußt dich deutlicher erklären, Norna, wenn ich dich verstehen soll,« sagte Mordaunt. »Ich kann keine Räthsel lösen.«

»Wohl denn, ohne Gleichniß – du kennst die Familie von Burgh-Westra, die lieblichen Töchter des großherzigen alten Udallars, Magnus Troil, – Minna und Brenda – meine ich. Du kennst und liebst sie.«

»Ich kenne sie, Mutter,« erwiderte Mordaunt; »und ich habe sie geliebt, Niemand weiß das besser, als Ihr.«

»Sie einmal gekannt haben,« sagte Norna mit Wärme, »heißt, sie immer gekannt haben. Wer sie einmal geliebt hat, liebt sie für immer.«

»Sie einmal geliebt haben, heißt, ihnen für immer Gutes wünschen,« erwiderte der Jüngling; »aber es ist nichts weiter. Offenherzig mit dir zu reden, Norna: die Familie von Burgh-Westra hat mich in neuerer Zeit ganz vernachlässigt. Doch zeig' mir die Mittel, ihnen zu helfen, und ich will dir beweisen, wie dankbar ich für früher erwiesenes Wohlwollen bin, und wie wenig ich spätere Kälte nachtrage.«

»Das ist wohl gesprochen,« sagte Norna; »und ich werde deinen Vorsatz auf die Probe stellen. Magnus Troil hat eine Schlange in seinem Busen aufgenommen – seine lieblichen Töchter werden die Beute der Künste eines Niederträchtigen werden.«

»Ihr meint den Fremden – Cleveland?« sagte Mordaunt.

»Den Fremden, der sich so nennt, denselben, den wir wie ein Bündel Seetang am Fuße des Vorgebirges von Sumburgh fanden. Ich fühlte das in mir, was mich bewogen haben würde, ihn liegen zu lassen, bis die Fluth ihn wieder wegriß, wie sie ihn herangespült hatte. Und ich bereue es jetzt, daß ich diesem Gefühle nicht freien Lauf ließ.«

»Aber,« sagte Mordaunt, »ich kann es nicht bereuen, daß ich meine Schuldigkeit als Christ that. Und welches Recht habe ich auch, zu wünschen, daß die Sache anders wäre, als sie ist? Wenn Minna, Brenda, Magnus und die Uebrigen den Fremden lieber haben, als mich, so darf ich mich darüber nicht beleidigt fühlen; man könnte mich sogar auslachen, wenn ich mich mit ihm vergleichen wollte.«

»Es ist gut; und ich glaube, sie verdienen deine uneigennützige Freundschaft.«

»Bei dem Allen sehe ich aber nicht ein,« sagte Mordaunt, »worin ich ihnen nützlich sein kann. So eben habe ich von Bryce, dem Hausirer, erfahren, daß dieser Capitain Cleveland bei den Damen in Burgh-Westra, so wie bei dem alten Udallar selbst Alles gilt. Ich möchte mich nicht da eindrängen, wo ich nicht willkommen bin, oder mein stilles Verdienst dem des Capitain Cleveland zur Seite stellen. Er kann ihnen von Schlachten erzählen, wo ich nur von Vogelnestern zu sprechen vermag – kann ihnen sagen, wie er Franzosen erschossen hat, wenn ich dieß nur von Seehunden zu erzählen weiß – er trägt prächtige Kleider und hat ein männlich-schönes Gesicht; ich gehe sehr einfach gekleidet und sehe ganz gewöhnlich aus. Ein so stattlicher Liebhaber, wie er, kann die Herzen derer, mit denen er umgeht, berücken, wie der Vogelsteller das Taucherhuhn mit Ruthe und Leim an sich zieht.«

»Du thust dir selbst Unrecht,« sagte Norna; »dir selbst, und noch größeres den beiden Mädchen, Minna und Brenda; verlaß dich nicht auf Bryce's Aussage; er ist wie der gierige Wallfisch, der seine Richtung sogleich verändert, und nach der kleinsten Münze, die ein Fischer in das Wasser wirft, untertaucht. Gewiß ist es aber, daß dieser schmutzige Mensch zum Theil daran Schuld ist, wenn du bei Magnus Troil nicht mehr so gut angeschrieben bist, wie früher. Er mag sich indeß wohl vorsehen, denn ich lasse ihn nicht aus den Augen.«

»Und warum« – erwiderte Mordaunt – »sagt Ihr Magnus Troil nicht alles Das, was Ihr mir so eben gesagt habt?«

»Weil die,« antwortete Norna, »welche sich selbst so weise dünken, durch Erfahrung klug werden müssen. Erst gestern sprach ich mit Magnus, und was gab er mir zur Antwort? Gute Norna, Ihr werdet alt. – Und das mußte ich von Jemand hören, der durch so manche und so enge Bande an mich gefesselt ist – von dem Abkömmlinge der alten norwegischen Grafen – von ihm, von Magnus Troil – und er sagte das Jemandem zu Liebe, den das Wasser wie Seegras ausspie! Da er den Rath der Alten verachtet, so mag er sich nach dem der Jungen richten; es ist indeß nur gut, daß er seiner eignen Thorheit nicht überlassen ist. – Geh' also an des Täufers Fest wie gewöhnlich nach Burgh-Westra.«

»Man hat mich nicht eingeladen – man braucht mich nicht – man verlangt mich nicht – man denkt nicht an mich. – Vielleicht sieht man mich gar nicht einmal mehr an, wenn ich komme, und doch, Mutter, wollte ich, die Wahrheit zu gestehen, hingehen.«

»Das war ein guter und vernünftiger Einfall,« sagte Norna; »wir besuchen unsere Freunde, wenn sie krank am Körper sind, warum sollten wir es nicht thun, wenn sie am Geiste leiden und durch Wohlergehen übersättigt sind? Geh', geh' hin – vielleicht treffen wir uns dort. Jetzt aber haben wir verschiedene Wege. Lebe wohl, und sprich gegen Niemand von diesem Zusammentreffen.«

Sie trennten sich, und Mordaunt blieb an dem See stehen, die Augen auf Norna gerichtet, bis ihre hohe, dunkle Gestalt sich in den Krümmungen des Thales verlor, welches sie hinabwanderte. Dann kehrte er zu seines Vaters Wohnung zurück, entschlossen, einen Rath zu befolgen, der mit seinen eigenen Wünschen so sehr übereinstimmte.


 


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