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Bindet sie rasch! sonst bei meinem Schwert
Mach' ich mich schnell mit ihr davon.
Fletcher.
Das schwache Licht, welches zum Fenster herein schien, ließ Jeanie sehen, daß von hier aus ihre Flucht nicht zu bewerkstelligen sei, denn die Oeffnung war hoch in der Mauer, und zu schmal, ihr einen Durchgang zu gewähren, hätte sie auch hinaufklimmen können. Von einem fruchtlosen Versuch mußte sie eine schlimmere Behandlung erwarten, als sie jetzt ihr ward, und sie wollte daher die Gelegenheit sorgfältig erspähen, ehe sie so Gefährliches wagte. Zu diesem Endzweck näherte sie sich leise der gebrechlichen Lehmwand, die das Kämmerchen von der großen wüsten Scheune trennte, und erweiterte behutsam und geräuschlos eine der vielen Ritzen und Spalten darin, bis sie die Alte und den einen Räuber sehen konnte, wie sie bei der halb erloschenen Glut in eifrigem Gespräch saßen. Der Anblick machte sie anfangs schaudern, denn die Züge des Weibes hatten einen scheußlichen Ausdruck von verhärteter Bosheit und steter Mißlaune; und die des Mannes, weniger ungünstig zwar, trugen doch das Gepräge der Zügellosigkeit und eines gesetzwidrigen Treibens.
Allein ihr stetes Vertrauen auf Gott ließ die arme Gefangene den Muth nicht verlieren. Sie gedachte der tröstenden Worte des heiligen Sängers: »Was betrübst Du Dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hülfe und mein Gott ist.«
Und so behielt sie denn in ihrer angstvollen Lage Fassung genug, um mit angestrengter Aufmerksamkeit den größten Theil eines für sie bedeutenden Gesprächs jener Beiden zu erlauschen, obgleich der leise Ton, in dem sie sprachen, die oft unverständlichen Ausdrücke ihres Rothwelsch, und die Zeichen und Geberden, deren sie nach Diebesweise sich zuweilen anstatt der Worte bedienten, sehr schwer machten sie zu verstehen. Der Inhalt dieser Unterredung war ungefähr folgender:
»Ihr seht,« sagte der Räuber, »ich stehe meinen Freunden bei. Ich hab' es nicht vergessen, daß Ihr mir zu dem Messer halft, womit ich den Festungsgittern zu York entging, und ich war gleich bei der Hand zu thun, was Ihr von mir verlangtet, denn eine Freundschaft ist der andern werth. Aber da wir nun hier so allein sind, müßt Ihr mir sagen, wozu das Alles ist, und was das Ende davon sein soll, denn Gott verdamm' mich, wenn ich's leide, daß einer das Mädchen anrührt; und Ratcliffe's Paß hat sie obendrein.«
»Du bist ein ehrlicher Bursch, Franz,« erwiederte die Alte, »nur ein Bischen zu weichmüthig für Dein Handwerk. Dein gutes Herz wird Dich noch zu Schanden bringen. Ich sehe noch, wie sie Dich rückwärts befördern, blos auf's Wort eines einfältigen Kerls, der nichts gesagt haben könnte, wenn Du ihm zu rechter Zeit die Gurgel abgeschnitten.«
Der Räuber widerlegte diese Behauptung, und erneuerte seine Frage in Betreff Jeanie's.
»Nun, Du mußt wissen, Franz, – aber willst Du nicht erst einen Schluck ächten holländischen nehmen?« Sie zog eine Flasche hervor, und schenkte ihm ein tüchtiges Glas Branntwein ein, den er sogleich hinuntergoß, und als wirklich ächten pries. – »Du mußt also wissen, Franz, – aber auf einem Bein kann man nicht stehen;« sie bot ihm von Neuem die Flasche.
»Nein, nein, wenn ein Weib Euch zum Bösen verleiten will, fängt sie immer damit an, Euch betrunken zu machen. – Zum Teufel mit allem Branntweinsmuth, was ich thue, will ich nüchtern thun.«
»Nun denn, Du mußt wissen, daß dies Mädchen nach London geht,« – Sie sprach hier so leise, daß Jeanie nur das Wort Schwester verstehen konnte.
»Hübsch genug von dem Mädchen,« sagte der Räuber lauter; »und was geht's Euch an?«
»Genug sollt' ich meinen. Wenn die Kröte dort dem Galgen entgeht, heirathet sie der Einfaltspinsel Robertson.«
»Und wem ist daran gelegen?«
»Wem dran gelegen ist, Du Dummkopf, Du? Mir ist dran gelegen; und ich erwürge sie mit diesen Händen, ehe ich leide, daß sie Magda's Recht an sich reißt.«
»Magda's Recht! Sehen Eure alten Augen nicht weiter? Wenn er so ist, wie Ihr sagt, glaubt Ihr, daß er in seinem Leben ein Mondkalb wie Magda heirathet? Bei meiner armen Seele, ein guter Einfall, Magda Wildfeuer heirathen!«
»Was Du Beutelschneider, Du geborner Dieb, Du armseliger Lumpenhund! Und wenn er sie auch nicht nimmt, muß er darum eine Andre nehmen, und die Andre haben was meiner Tochter gebührt, und mein armes Kind verrückt sein, und ich eine Bettlerin, und alles durch ihn? Aber ich weiß von ihm, was ihn an den Galgen bringt, und wenn er sich auf zehn Köpfe stellte, – ich weiß von ihm, was ihn an den Galgen bringt, – an den Galgen, – an den Galgen!« Sie fletschte grimmig die Zähne, indem sie bei jeder Wiederholung des Unglücksworts mit rachgierigem Eifer dabei verweilte.
»Und warum bringt Ihr ihn nicht an den Galgen, – an den Galgen, – an den Galgen?« – höhnte Franz ihr nach. »Darin würde doch mehr Verstand sein, als daß Ihr hier Euer Müthchen an zwei Weibsbildern kühlt, die Euch und Eurer Tochter kein Leid gethan.«
»Kein Leid?« rief die Alte. »Und er heirathet das Unkraut, sobald sie nur wieder auf freien Füßen ist!«
»Da er Euer Unkraut nun einmal nicht heirathen wird, so sehe ich nicht, was es Euch angeht,« – sagte er mit Achselzucken. »Wo's etwas zu fischen gibt, gehe ich so weit als Einer, aber ich kann's nicht leiden, um nichts und wieder nichts Böses thun.«
»Und ist die Rache nichts? – Die Rache, der süßeste Leckerbissen aus der Hölle?«
»Der Satan mag ihn selbst verzehren, mir gefällt die Brühe nicht, mit der er ihn anrichtet.«
»Rache!« fuhr die Alte fort; »Rache! Es ist der beste Lohn, den der Teufel hier und dort gibt. Ich habe mich schwer darum gequält, ich habe darum gesündigt, und ich will sie haben, oder keine Gerechtigkeit ist weder im Himmel noch in der Hölle!«
Franz hatte unterdessen seine Pfeife angezündet, und hörte mit großer Ruhe die wilden, wutherfüllten Rasereien des alten Weibes an. Er war durch seine Lebensweise zu verhärtet, um ein Aergerniß daran zu nehmen, zu gleichgültig und vielleicht zu geistlos, die Kraft derselben zu empfinden.
»Aber, Mutter,« fing er nach einigem Stillschweigen an, »ich sag' es noch einmal, wenn Ihr so begierig nach Rache seid, solltet Ihr sie an dem jungen Kerl selber nehmen.«
»Ich wollte, ich könnt' es,« erwiederte sie, und zog den Athem an sich mit der Gier einer Durstenden, die das Trinken nachahmt; »ich wollte ich könnt es, – aber nein, ich kann's nicht, – ich kann's nicht.«
»Und warum nicht? Ihn um die schottische Geschichte dort aufknüpfen zu lassen, wird Euch eben nicht viel Mühe kosten. – Gott verdamme mich, sie könnten nicht mehr Aufhebens darum machen, wenn einer die ganze englische Bank geplündert hätte.«
»Ich habe ihn an dieser verwelkten Brust genährt,« erwiederte die Alte, die Hände kreuzweis über ihre Brust legend, als halte sie ein Kind daran, »und obgleich er sich als eine Natter gegen mich bewiesen, obgleich er mein und der Meinigen Unglück gewesen, obgleich er mich zur Gesellin des Teufels gemacht hat, wenn es einen Teufel gibt, und zur Speise für die Hölle, wenn solch' ein Ort vorhanden, so kann ich ihm doch sein Leben nicht rauben. – Nein, ich kann's nicht,« fuhr sie fort, aufgebracht gegen sich selbst wie es schien, daß sie es nicht konnte, »ich habe daran gedacht, – ich hab' es versucht, – aber, Franz, ich vermag es nicht! – Nein, nein, es war das erste Kind, das ich säugte, – und ein Mann weiß nicht, was das Weib für das erste Kind fühlt, das an ihrer Brust gelegen.«
»Aber, Mutter, man sagt, gegen andere Kinderchen, die Euch in den Weg kamen, wärt Ihr nicht so gütig gewesen. – Ruhig, ruhig, Alte, ich bin hier Herr und Meister, und leide keine Empörung.«
Sie hatte bei jener Frage hastig nach dem Heft eines großen Messers an ihrer Seite gegriffen, ließ es aber jetzt wieder fahren, und sagte mit einer Art von Lächeln: »Kinderchen! Du treibst wohl Deinen Spaß, Bursche, wer wird Kindern etwas zu Leide thun? Magda, das arme Ding, hatte ein Unglück mit dem einen, und das andre« – hier ließ sie die Stimme sinken und Jeanie konnte aller Anstrengung ungeachtet nicht eine Sylbe verstehen, bis sie am Schluß ihrer Rede wieder etwas lauter sagte: »Und so, glaub' ich, warf Magda es in ihrer Tollheit in den See.«
Magda, deren Schlummer kurz und abgebrochen war, wie dies größtentheils bei Geisteskranken der Fall ist, ließ hier sich aus ihrem Schlafgemach vernehmen: »Das ist eine gewaltige Lüge, Mutter, ich hab' es nicht hinein geworfen.«
»Still, Du Schreirachen!« sagte die Mutter, »die andre Dirne wacht sonst auch auf. – Wenn sie nur nicht gar schon gehorcht hat.«
»Das könnte gefährlich sein,« sagte der Räuber, und er stand auf und folgte der alten Grete Murdockson zu der Thür des Kämmerchens.
»Steh auf,« rief sie der Tochter zu, »sonst stoß ich Dir das Messer durch die Bretter in Deinen Tollhäuslersrücken.«
Sie schien ihre Drohung erfüllen zu wollen, denn durch eine Spalte stach sie sie mit der Messerspitze, so daß Magda mit kurzem Aufschrei ihren Platz veränderte, und die Thür sich öffnete.
Die Alte hielt in einer Hand ein Licht, in der andern das Messer. Der Räuber folgte ihr; ob er eine Gewaltthätigkeit verhindern, oder ihr darin beistehen wollte, war zweifelhaft. Jeanie's Geistesgegenwart wurde ihre Retterin in diesem Augenblick der Gefahr. Sie besaß Entschlossenheit genug, Miene und Stellung einer Schlafenden anzunehmen, und, ihres tödtlichen Schreckens ungeachtet, auch beim Athemziehen den Schein der tiefsten Ruhe zu behaupten. Das alte Weib hielt ihr das Licht vor die Augen, und ein so lebhaftes Furchtgefühl erweckte diese Bewegung in Jeanie, daß sie die Gestalten ihrer Verfolger durch ihre fest geschlossenen Augenlider zu sehen glaubte; dennoch behielt sie die Kraft, sich nicht zu verrathen.
Der Räuber betrachtete sie sehr aufmerksam; als er gewiß zu sein glaubte, daß sie schlafe, bewog er die Alte, die Kammer wieder zu verlassen, und ging auch mit hinaus. Jeanie hörte ihn seine Versicherung wiederholen, er werde nicht zugeben, daß ihr ein Leid geschehe. Doch wolle er es der Alten zu Gefallen thun, fügte er hinzu, das Mädchen auf Thoms Mondscheins großes Boot zu schaffen, und sie drei bis vier Wochen aus dem Wege zu halten; bei welchem Versprechen Grete Murdockson sich beruhigte. Denn ob diese hier lebe oder sterbe, sagte sie, sei ihr ganz einerlei, – »aber ihre Schwester, ihre Schwester!«
»Nun schweigt nur jetzt davon,« versetzte der Räuber, »ich höre Thoms kommen. Ich will schlafen, und ihr thätet auch besser dran.« Sie legten sich zur Ruhe nieder, und Alles ward still in dieser Wohnung des Lasters.
Jeanie wachte noch lange. Bei Tagesanbruch hörte sie die beiden Räuber die Scheune verlassen, nachdem sie einige Zeit mit der Alten geflüstert. Der Gedanke, jetzt nur von Weibern umgeben zu sein, gab Jeanie einige Beruhigung, und eine unwiderstehliche Müdigkeit schloß endlich ihre Augen.
Als sie erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Magda Wildfeuer war noch in der Kammer, und mit der ihr eigenen wahnsinnigen Lebhaftigkeit bot sie ihr sogleich guten Morgen. »Und wunderliche Dinge sind vorgefallen, Mädchen, seit Du da liegst und schläfst,« sagte sie; »die Häscher sind hier gewesen, und haben unsre Mutter an der Thür getroffen, und sie mit fortgeschleppt vor den Richter, wegen des Mannes Weizen. – Solch ein englischer Bauerkerl macht ein Lärmen um ein Weizenblättchen, wie ein schottischer Lord nur immer um seine Hasen und Rebhühner machen kann. – Höre, Mädchen, wenn Du Lust hast, wollen wir ihnen einen schönen Streich spielen; wir wollen fort unterdessen in's Freie. – Die werden schreien, wenn sie uns vermissen, wir können aber um Mittagszeit wieder zurück sein, oder spätestens auf den Abend, und es ist doch ein Spaß und ein Bischen frische Luft – Du möchtest aber wohl gern etwas frühstücken, und Dich dann wieder hinlegen? – Ich habe auch oft zu nichts anderm Lust, als den lieben langen Tag mit dem Kopf in der Hand zu sitzen, und kein Wort zu reden, und ein andermal kann ich wieder nicht einen Augenblick ruhen. Die Leute meinen, dann wäre ich am schlimmsten, aber ich bin immer noch pfiffig genug, Du brauchst Dich nicht zu fürchten, komm nur mit.«
Wenn Magda Wildfeuer, anstatt eine halbe, dämmernde, vom leisesten Antrieb hin- und herwogende Vernunft zu besitzen, selbst eine rasend Tolle gewesen wäre, Jeanie hätte kaum Anstand genommen, dieser furchtbaren Gefangenschaft mit ihr zu entfliehen. Sie versicherte eifrig, daß sie weder der Speise noch fernerer Ruhe bedürfe; und in ihrem Herzen hoffend, sie begehe keine Sünde dadurch, schmeichelte sie der wahnsinnigen Neigung ihrer Hüterin, in den Wäldern umher zu streifen.
»Es ist nicht allein deshalb,« sagte die arme Magda; »aber ich glaube, es ist besser für Dich, wenn Du dem Volk hier ein wenig aus dem Wege gehst. Sie sind so schlecht gerade nicht, aber sie haben doch ihre wunderliche Art, und ich denke oft, es ist mit mir und meiner Mutter niemals recht gut gewesen, seit wir uns zu solcher Gesellschaft halten.«
Mit der Hast und Freude, der Furcht und Hoffnung einer dem Kerker enteilenden Gefangenen ergriff Jeanie ihr Reisebündelchen, und folgte Magda hinaus in's Freie. Aengstlich sah sie sich um nach menschlichen Wohnungen; keine war zu entdecken. Der Boden war zum Theil angebaut, zum Theil lag er wild, an einigen Orten mit niedrigem Buschwerk oder mit Wiesengrunde bedeckt, an andern voll tiefer Moräste.
Jeanie's eifriges Trachten war jetzt die Heerstraße zu gewinnen. Dort hoffte sie irgend Jemand anzutreffen, der ihr Schutz verleihen könnte. Allein ihre forschenden Blicke suchten vergebens ein Merkmal, nach dem die Richtung des Weges sich einigermaßen bestimmen ließ. »Wollen wir nicht lieber auf die große Straße?« sagte sie zu Magda in dem Ton, mit dem Wärterinnen den Kindern zuzureden pflegen. »Es ist hübscher zu gehen dort als hier unter all dem wilden Buschwerk und Unkraut.«
Magda, die sehr hastig ging, stand auf einmal still bei dieser Frage, und warf einen schnellen spähenden Blick auf Jeanie. »Aha, Mädchen!« sagte sie, »so ist das Ding so gemeint? Du hast Lust Reißaus zu nehmen.«
Jeanie sann einen Augenblick nach, ob sie nicht den Verdacht wahr machen und wirklich entfliehen sollte. Allein sie wußte nicht nach welcher Richtung. Auch war sie nicht gewiß die schnellste von beiden zu sein, und sollte sie eingeholt werden, so durfte sie nicht erwarten, es mit der Wahnsinnigen an körperlicher Kraft aufnehmen zu können. Sie gab deshalb für jetzt diesen Gedanken auf, sagte Einiges, um ihrer Hüterin Verdacht zu beschwichtigen, und folgte ihr mit ängstlicher Besorgniß auf dem Fußpfad, den sie einschlug. Magda, deren Sinn stets von einem Gegenstand zum andern schweifte, hatte Alles bald vergessen, und begann wie gewöhnlich allerlei durch einander zu schwatzen.
»Es ist gar zu allerliebst im Walde an einem schönen Morgen wie heut. – Mir gefällt es viel besser als in der Stadt. Hier schreit doch nicht ein Rudel zerlumpter Gassenbuben hinter Einem drein, als ob man ein Wunderthier wäre, nur weil man ein Bischen hübscher, und besser angezogen ist, als andre Leute. – Obgleich man niemals auf hübsche Kleider oder Schönheit stolz sein sollte, Jeanie. – Ach, sie sind nichts als Fallstricke. – Sonst hielt ich mehr davon, und was war das Ende?«
»Kennst Du auch den Weg recht?« fragte Jeanie, fürchtend sie werde sich noch mehr in den Wald vertiefen, und ganz von der Heerstraße abkommen.
»Ob ich ihn kenne? – Hab' ich nicht lange hier gewohnt und soll den Weg nicht kennen? – Zwar könnt' ich ihn wohl vergessen haben, denn es war vor meinem Unglück; aber manche Dinge kann Einer nie vergessen, er mag es anfangen wie er will.«
Sie waren indessen tief in den Wald hinein gekommen. Die Bäume standen hier ein wenig licht, und am Fuß einer herrlichen Pappel erhob sich ein moosbedeckter Hügel. Kaum war Magda Wildfeuer zu dieser Stelle gelangt, als sie die Hände über den Kopf schlug, und mit einem lauten Schrei, der wie Lachen klang, sich plötzlich bei dem Hügel nieder stürzte und bewegungslos dort liegen blieb.
Jeanie's erster Gedanke war, die Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen. Allein ihr Wunsch nach Rettung wich in diesem Augenblick der Besorgniß für die arme Wahnsinnige, welche vielleicht hier aus Mangel an Hülfe umkommen konnte. Mit einer für ihre Lage heldenmüthigen Aufopferung beugte sie sich zu ihr nieder, sprach ihr auf das Liebreichste zu, und bemühte sich sie aufzuheben. Mit Mühe gelang es ihr, und als sie die Unglückliche in sitzender Stellung gegen den Baum lehnte, sah sie, daß ihr sonst blühendes Gesicht todtenblaß und in Thränen gebadet war.
Jeanie ward tief gerührt von diesem Zustand; um so mehr, da ihr aus dem wildverworrenen unstäten Treiben ihrer Gefährtin doch stets eine gewisse Milde gegen sie hervor geleuchtet, für welche sie sich dankbar fühlte.
»Laß mich! – Laß mich!« rief das unglückliche Mädchen, als die erste Heftigkeit ihres Schmerzes nachließ. »Laß mich, – das Weinen thut mir wohl. Ich kann keine Thränen vergießen als ein- oder zweimal im Jahr vielleicht, und dann komme ich, diesen Rasen damit zu benetzen, daß schöne Blumen darauf blühen und das Gras grüner sei.«
»Aber was ist Dir?« sagte Jeanie; »warum weinst Du so bitterlich?«
»Ach, ich habe wohl Ursach. Mehr als mein armer Sinn tragen kann. – Warte nur ein wenig, ich will Dir Alles sagen, denn ich bin Dir gut, Jeanie Deans. Alle Menschen sprachen wohl von Dir, da wir noch in der Gegend wohnten. – Und ich denke immer an den Trunk Milch, den Du mir gabst jenes Tages, als ich vierundzwanzig Stunden lang oben auf Arthur's Sitz gewesen war, nach dem Schiff zu sehn, worin Jemand segelte.«
Diese Worte riefen es Jeanie in's Gedächtniß zurück, daß ihr einst früh am Morgen vor ihres Vaters Hause ein wahnsinniges Mädchen begegnet, und sie Anfangs sehr erschrocken, aber bald Mitleid mit der armen halb verhungerten Wandrerin gefühlt, und sie mit einiger Speise erquickt habe. Dieses Ereigniß, geringfügig an und für sich, ward jetzt bedeutend für sie durch den günstigen und dauernden Eindruck, den es auf den Gegenstand ihrer Milde gemacht hatte.
»Ja,« fuhr Magda fort, »ich will Dir Alles sagen, Du bist eines frommen Mannes Tochter, und kannst mir vielleicht den rechten Weg zeigen, denn lange, lange, lange bin ich durch die Wüste Sinai gewandert. – Aber wenn ich auf meine Verirrungen komme, möchte ich mir vor Scham die Lippen schließen.« – Sie sah hier in die Höhe und lächelte. – »Es ist wunderlich, ich habe in zehn Minuten mehr Gutes zu Dir gesprochen, als ich zu meiner Mutter in eben so viel Jahren sprechen würde. Ich denke wohl auch daran, aber dann kommt der Teufel und streicht mit seinem schwarzen Flügel über meine Lippen, daß all meine guten Gedanken fort sind, und eine Menge thörichter Lieder und leerer Eitelkeiten an ihrer Stelle.«
»Versuch es, Magda,« sagte Jeanie, »versuch es, Dich zu sammeln und Deinen Sinn zu reinigen, und das Herz wird Dir leichter werden. Widerstehe nur dem Teufel, und er flieht von Dir. Denn, – wie mein würdiger Vater sagt, – kein Teufel ist so arg, als unsre eigenen schlimmen Gedanken es sind.«
»Das ist wahr, Mädchen,« sagte Magda in die Höhe fahrend; »und ich will einen Weg gehen, wohin der Teufel mir nicht folgen darf. – Aber ich will Dich fest beim Arm fassen, aus Furcht, der böse Geist möchte mir den Paß verrennen.«
Sie stand auf, nahm Jeanie beim Arm, und ging mit starken Schritten vorwärts; und bald, zur großen Freude ihrer Gefährtin, gelangte sie zu einem gebahnten Fußpfade, mit dessen Windungen sie vollkommen bekannt schien. Jeanie bemühte sich, sie zur Fortsetzung ihrer Beichte zu bringen, allein diese Laune war vorüber. Ihr verworrener Sinn war einem Haufen dürrer Blätter zu vergleichen, die vielleicht auf Augenblicke still liegen können, allein von dem ersten zufälligen Lufthauch sogleich in Bewegung gesetzt, und hierhin und dorthin zerstreut werden. Sie hatte jetzt ihre Aufmerksamkeit wieder auf andre Dinge gerichtet, plauderte Dies und Jenes, und kam zuletzt im Fluß ihrer Rede auf einen kleinen Hund zu sprechen, den man ihr getödtet, als sie einst nach dem Wachthause gebracht wurde, und das Hündchen um sich biß, bei welcher Erinnerung sie einen argen Fluch gegen den Mörder des treuen Thieres ausstieß.
»O pfui, Magda,« sagte Jeanie, »Du solltest nicht dergleichen Worte über Deine Lippen bringen.«
»Du hast Recht,« erwiederte Magda, den Kopf schüttelnd; »aber dann muß ich nicht an meinen armen kleinen Hund denken, wie er da sterbend im Rinnstein lag. Doch es ist eben so gut für ihn, denn er litt Hunger und Durst als er lebte, und im Grabe ist Ruhe für Alles, – Ruhe für den kleinen Hund, und für mein armes Kindchen, und für mich.«
»Dein Kind?«
»Nun ja, mein Kind!« sagte sie ärgerlich; »warum sollt' ich nicht ein Kind haben, und ein Kind verlieren so gut wie Dein allerliebstes Schwesterchen, die Lilie von St. Leonard's?«
Diese Antwort machte Jeanie bestürzt. Sie bemühte sich, den Zorn zu besänftigen, den sie wider ihren Willen erregt. »Ich bedaure Dein Unglück« – fing sie an.
»Bedauern?« fiel ihr Magda in's Wort; »was bedauerst Du? Das Kind war ein Segen, – das heißt, Jeanie, es hätte ein Segen sein können, wenn nicht meine Mutter wäre; denn meine Mutter ist eine wunderliche Frau. – Siehst Du, da war ein alter Kerl mit einem kleinen Gütchen, und einem tüchtigen Haufen Geld obendrein, – ich wollte nur, Du hättest ihn watscheln sehn, komm ich nicht heut, so komm ich doch morgen, ein Bein hierhin und ein Bein dorthin, als ob sie zwei verschiedenen Leuten gehörten. Ich wußte mich immer vor Lachen gar nicht zu fassen, wenn ich den hübschen Georg herumstolpern sah gleich ihm. – Damals lachte ich noch herzlicher, wenn auch nicht so oft.«
»Und wer war denn der hübsche Georg?« fragte Jeanie, um sie wieder zu ihrer Geschichte zurückzuführen.
»O, es war ja Georg Robertson; aber das ist auch nicht sein rechter Name. Er heißt – doch was geht's Dich an?« sagte sie, sich plötzlich besinnend. »Was hast Du nach andrer Leute Namen zu fragen? – Willst Du, daß ich mein Messer zwischen Deinen Rippen schleife, wie meine Mutter sagt?«
Sie sprach dies mit wildem Drohen in Ton und Geberde, und Jeanie eilte ihr zu betheuern, daß ihre Frage völlig absichtslos gewesen, worauf sie etwas besänftigter fortfuhr: »Frage nie nach der Leute Namen, Jeanie. Es schickt sich nicht. – So Viele auch zu meiner Mutter hinkamen, sie riefen sich niemals bei ihren Namen. Und Vater Rat sagt, es sei das Unhöflichste von der Welt, denn vor Gericht thun sie Einem immer allerlei dumme Fragen, ob man Den gesehen hat, ob man Jenen gesehen hat; und wenn man ihre Namen nicht weiß, so kann ja gar kein Gerede mehr darüber sein.«
»In welch einer seltsamen Schule ist dies arme Geschöpf erzogen worden,« dachte Jeanie bei sich selbst, »wo man solche Maßregeln gegen die Verfolgung der Gerechtigkeit nehmen muß! Was würde mein Vater oder Butler dazu sagen, erzählte ich ihnen, daß es dergleichen Menschen in der Welt gibt! Und die Einfalt dieser armen Vernunftlosen zu mißbrauchen! O wär' ich nur sicher zurück in der Heimath unter den wahrhaften, rechtlich gesinnten Meinigen! Und ich will Gott preisen, so lange ich Athem habe, daß er mich zu Denen gesellt, die in seiner Furcht leben, und unter dem Schatten seiner Flügel.«
Hier ward sie in ihren Betrachtungen durch das wahnsinnige Gelächter unterbrochen, das eine über den Weg hüpfende Elster ihrer Begleiterin entlockte.
»Sieh einmal, gerade so pflegte mein altes Schätzchen zu hüpfen, nur nicht so behend, er hatte keine Flügel, seinen dürren Beinen nachzuhelfen. Ich hätte ihn aber doch geheirathet, sonst hätte meine Mutter mich todtgeschlagen. Da kam aber die Geschichte mit meinem armen Kindchen, und meine Mutter dachte, das Schreien würde ihn taub machen, und da steckte sie es unter den kleinen Rasenhaufen dort, damit es aus dem Wege käme. Ich glaube aber, sie hat mir mein Bischen Verstand mit begraben, denn ich bin gar nicht mehr dieselbe seitdem. Und stelle Dir nur vor, Jeanie, nachdem meine Mutter sich alle die Mühe gegeben hatte, schlug der alte lendenlahme Hans Drossel mir ein Schnippchen, und wollte nichts mehr von mir wissen. Aber ich mache mir nichts daraus, denn ich habe ein gar lustiges Leben geführt seitdem, und es sieht mich kein feiner Herr, wo es nicht gleich ist, als wollte er vom Pferde springen aus Liebe zu mir. Etliche haben mir schon sechs Pence auf einmal geschenkt, blos um mein hübsches Gesicht.«
Diese Aeußerungen ließen Jeanie einen traurigen Blick in Magda's Geschichte thun. Ein reicher Freier hatte sich um sie beworben, und war ungeachtet seines Alters und seiner Häßlichkeit von der Mutter begünstigt worden. Ein Wüstling hatte sie verführt, und ihre Mutter nicht Anstand genommen, das schuldlose Geschöpf, den Zeugen ihrer Schmach, zu vernichten. Die gänzliche Zerrüttung eines von Natur leichtsinnigen und eitlen Gemüths war die Folge davon.