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Den Trägen hörte ich mit matter Stimme klagen:
»Ihr wecktet mich zu früh, es fängt erst an zu tagen.«
Wie um die Angel sich die schwere Thüre drehet,
Dreht er im Bett sich um, weiß nicht wie der Kopf ihm stehet.
Dr. Watts.
Das Herrenhaus von Stummendeich, in welches wir jetzt den Leser einführen wollen, lag drei oder vier Meilen südlich von St. Leonards. Es hatte früher in einigem Ruf gestanden; denn der alte Lord, von dessen Streichen man in allen Wirthshäusern der Gegend erzählte, hielt sein tüchtiges Pferd und seine Koppelhunde, lärmte, schwur, wettete bei Hahnenkämpfen und Pferderennen, und wußte sich viel darauf ein Edelmann zu sein. Allein durch den jetzigen Besitzer hatte der Stamm gar sehr von seinem vorigen Glanz verloren. Er war kein Freund jener ländlichen Vergnügungen, und ebenso sparsam, ängstlich und zurückgezogen, als sein Vater zugleich selbstsüchtig und habsüchtig, verwegen, wild und frech gewesen.
Das Schloß Stummendeich war kein Meisterstück der Baukunst. Einige Stockwerke, wo sich in jedem nur ein einziges weitläuftiges Zimmer befand, von sechs oder acht mit kleinen Scheiben versehenen Fenstern spärlich erleuchtet – ein steiles, roh gedecktes Dach – ein halbrunder Thurm, in dem sich eine schmale Wendeltreppe befand, die zu den obern Stockwerken führte – dies war der stattliche Wohnsitz der Herren des Ortes. Ein paar niedrige, verfallene Nebengebäude, durch eine ebenso verfallene Mauer mit demselben verbunden, umgaben ihn. Der Hof war gepflastert gewesen; doch nur wenige Steine befanden sich noch an ihrer Stelle, und Gras und Disteln sproßten lustig dazwischen empor. Der kleine Garten, durch ein Pförtchen in der Mauer sichtbar, schien in keinem bessern Zustande zu sein. Ein rauher Steindamm führte zu dieser Prachtwohnung, und Aecker, bestellt zwar, aber nicht eingehegt, lagen umher. Auf einem ungepflügten Stück Land stand des Lords treuer Klepper, den Kopf an einen niedrigen Pfahl gebunden, und nährte sich von dem spärlichen Grase. Die ganze Besitzung hatte das Ansehen von Vernachlässigung und Unbehaglichkeit; die Folge der Trägheit und des Kaltsinnes, wenn auch nicht die der Armuth.
Im innern Hof dieses Gebäudes stand Jeanie Deans an einem schönen Frühlingsmorgen, verschämt und zagend. Einem einfachen Landmädchen, wie sie es war, erschien die Wohnung ihres alten Anbeters als eine sehr vornehme, und der Werth seiner Ländereien bedeutend, besonders wenn sie in besserem Zustande gehalten würden. Und eine kleine Aufmunterung von ihrer Seite konnte sie zur Gebieterin dieses ganzen Reichthums machen. Allein Jeanie war ein biederes, treugesinntes, aufrichtiges Mädchen, und es fiel ihr auch nicht einen Augenblick ein, dem Lord, Butler oder sich selbst eine solche Ungerechtigkeit anzuthun, da doch viele Damen höheren Ranges kein Bedenken würden getragen haben, sie bei viel geringerer Versuchung an allen dreien zu begehen.
Sie sah umher, ob sie Niemand entdecken könne, sie bei dem Lord zu melden, den sie zu sprechen wünschte. Da Alles still war, wagte sie eine Thür zu öffnen. Sie fand einen großen verödeten Raum, wo ehemals die Hunde des alten Lords gehaust hatten. Sie versuchte es mit einem andern; es war der Schuppen, wo sich seine Falken befunden hatten; einige halb vermoderte Querstangen, Fußringe und dergleichen verriethen die ehemalige Bestimmung.
Jeanie fuhr in dem vergeblichen Geschäft des Thürenöffnens fort, und fand nichts als leere oder wenig benutzte Räume. Zuletzt kam sie an einen Stall, zum Theil die Behausung ihres alten Bekannten, des hochländischen Kleppers, den sie draußen hatte grasen sehen. Dies bezeugten Sattel und Zaum, ihr gleichfalls bekannt, die halb an der Mauer hingen, halb zur Streu niederschleppten. Die andere Seite des Stalles, durch einen Querbalken von jener geschieden, bewohnte eine Kuh, welche den Kopf umwandte und brüllte als Jeanie hereintrat. Ihre gewohnte Beschäftigung machte, daß sie diese Aufforderung vollkommen verstand, und ihr zu willfahren, schüttete sie dem Thier etwas Futter auf; denn es war wie alles Andere in diesem Hause der Trägheit versäumt worden.
Während sie diese Handlung der Milde vollbrachte, schlich eine nachlässige Magd gähnend herbei, steckte den Kopf in die Thür, und da sie eine Fremde thun sah, was sie selbst schon vor zwei Stunden hätte thun sollen, schrie sie laut: »Ach! ach! der Kobold!« und lief heulend davon, als hätte sie den Teufel gesehen.
Es ging nämlich die Sage, das alte stummendeichsche Schloß sei lange von einem jener Hausgeister besucht worden, denen man früherhin die Dienstfertigkeit zuschrieb, versäumte Geschäfte der Knechte und Mägde zu vollbringen. Und solch ein Zauberbeistand wäre hier wahrlich an der Stelle gewesen, so wenig erwünscht er auch der furchtsamen Magd zu kommen schien.
Jeanie folgte ihr in den Hof, um sie zu beruhigen; doch schon war auf das Geschrei Frau Hanna Balchristie herbeigeeilt – die Herzensfreundin des vorigen Lord, wie böse Zungen behaupten wollten, und die Haushälterin des jetzigen. Die ansehnliche, wohlgenährte Frau zwischen vierzig und fünfzig, wie wir sie beim Tode des letzten Herrn kennen gelernt, war nun zu einer fetten zinnoberfarbigen Alten von etwa siebzig Jahren geworden. Eifersüchtig auf ihr Amt und ihr Ansehen im Hause, und sich dennoch bewußt, daß sie das letztere nicht mehr mit solcher Sicherheit besitze wie früher, hatte sie wohlbedächtig ihre Nichte, die erwähnte Schreierin, eingeführt, die nebst kräftigen Lungen ein hübsches Gesicht und klare Augen besaß. Sie machte aber dessenungeachtet keine Eroberung an dem Lord. Er that, als ob außer Jeanie Deans kein Weib in der Welt sei, und auch für sie schienen seine Gefühle nicht die glühendsten. Frau Hanne hatte aber doch ihre eigenen unruhigen Gedanken über seine täglichen Besuche zu St. Leonard's, und oft wenn der Lord sie nachdenklich mit seinem gewöhnlichen einleitenden Schweigen ansah, erwartete sie zu hören: »Hanne, ich will heirathen.« Aber zu ihrem Trost sagte er nur: »Hanne, ich will andere Schuhe anziehen.«
Dessenungeachtet hegte Frau Balchristie nicht geringen Groll gegen Jeanie Deans, wie ihr denn überhaupt jedes junge und leidlich hübsche weibliche Wesen verhaßt war, welches sich dem stummendeichschen Hause oder dem Eigenthümer desselben nähern wollte. Da sie nun überdies ihre sterbliche Masse zwei Stunden früher als gewöhnlich aus dem Bette erhoben hatte, um ihrer schreienden Nichte zu Hülfe zu kommen, war sie so außerordentlich übler Laune, daß Sattelbaum würde gesagt haben, sie hege inimicitiam contra omnes mortales.
»Wer zum Teufel seid Ihr?« redete sie die arme Jeanie an, die sie nicht sogleich erkannte; »was habt Ihr in einem anständigen Hause am frühen Morgen umherzuschleichen?«
Jeanie erwiederte furchtsam, sie wolle nur den Lord sprechen.
»Und denkt Ihr, Seine Gnaden habe nichts Anderes zu thun, als mit einer liederlichen Landstreicherin zu sprechen? Und überdies schläft er noch, der gute Mann.«
»Liebe Frau Balchristie,« erwiederte Jeanie demüthig; »kennt Ihr mich denn nicht? Kennt Ihr Jeanie Deans nicht?«
»Jeanie Deans!« rief die alte Hexe, sich verwundert stellend; dann trat sie näher und starrte ihr mit boshafter Neugier in's Gesicht: »Jeanie Deans wirklich? – Jeanie Teufel sollte man Euch lieber nennen! – Ein schön Stück Arbeit da von Euch und Eurem Vater, einen armen unschuldigen Wurm umzubringen, und Euer liederliches Stück von Schwester dafür hängen zu lassen, was sie freilich wohl verdient! – Und solch Gesindel kommt in ehrlicher Leute Häuser und will früh am Morgen zu anständigen Junggesellen eingelassen werden, die noch im Bette sind? – Packt Euch! packt Euch!«
Stumm vor Scham konnte Jeanie keine Worte finden, sich gegen diese niedrige Deutung ihres Besuchs zu rechtfertigen. Frau Balchristie benutzte diesen Vortheil, ihre Schimpfreden fortzusetzen. »Macht, daß Ihr fortkommt! Wäre nicht der alte Deans, Euer Vater, früher Pächter unseres gnädigen Herrn gewesen, ich weckte augenblicklich die Knechte und ließe Euch in den Brunnen tauchen für Eure Unverschämtheit.«
Jeanie hatte schon den Rücken gewendet, um zur Pforte des Hofes hinauszugehen, und Frau Balchristie steigerte ihre gewaltige Stimme auf's Aeußerste, damit diese letzte Drohung nicht ungehört bleibe. Doch, wie es oft geht, durch das zu heftige Verfolgen des Feindes verlor sie den Feldzug.
Der Lord war durch die scheltenden Töne der Haushälterin in seinem Morgenschlummer gestört worden. An und für sich nicht ungewöhnlich, schienen sie es doch für diese frühe Stunde. Er hoffte indeß, der Sturm werde bald vorübergehen und legte sich auf die andere Seite, als plötzlich der Name Deans in sein Ohr drang. Frau Hannens ungünstige Gesinnung gegen die Bewohner von St. Leonard's war ihm nicht ganz unbekannt. Er begriff augenblicklich, eine Botschaft von dort müsse diese frühzeitige Wuth in ihr erweckt haben. Dem zufolge stand er auf, schlüpfte so geschwind als möglich in seinen alten damastnen Schlafrock und andere nothwendige Kleidungsstücke, setzte seines Vaters Tressenhut auf, ohne den man ihn selten sah, und öffnete das Fenster. Zu seinem nicht geringen Erstaunen erblickte er Jeanie's wohlbekannte Gestalt, ihren Rückzug aus seinem Gebiete nehmend, während die Haushälterin mit geballter Faust, einen Arm in die Seite gestemmt, zitternd vor Wuth, ihr Ströme von Verwünschungen nachsandte.
Sein Zorn war mächtig aufgeregt. »Du altes Satanskind, Du!« rief er aus dem Fenster, »wer erlaubt Dir die Tochter eines redlichen Mannes so zu behandeln?«
Frau Balchristie sah sich auf der That ertappt. Sie erkannte an dem ungewöhnlichen Eifer des Lords, es sei ihm ernst um die Sache; und dann war es gefährlich ihn zu reizen, ungeachtet seiner gewöhnlichen Trägheit. Sie suchte sich also so gut sie konnte zu entschuldigen: sie hätte ihn nicht so früh stören mögen; Jeanie könne ja wiederkommen, und dergleichen.
»Halt's Maul, alte Vettel,« sagte Stummendeich; »und der Himmel sei Dir gnädig, wenn ich recht gehört habe. – Jeanie, Kind, geh nur indessen in's Wohnzimmer, ich werde sogleich unten sein. – Und kehre Dich nicht an Hannens Reden.«
»Freilich sind sie nicht so schlimm gemeint als sie klingen,« sagte Hanne mit erzwungenem Lachen; »und wenn Ihr eine Verabredung mit dem Lord hattet, warum sagtet Ihr's nicht, ich weiß auch zu leben. Nun, geht nur hinein.« Mit diesen Worten öffnete sie die Hausthür mit einem Hauptschlüssel.
»Ich hatte keine Verabredung mit dem Lord,« sagte Jeanie zurückweichend; »ich wünsche ihn nur auf ein paar Worte zu sprechen, und es kann recht gut hier geschehen.«
»Auf dem Hof? Ei behüte, so unhöflich werden wir ja nicht gegen Euch sein. – Wie geht's denn dem braven Mann, Eurem Vater?«
Das Erscheinen des Lords ersparte Jeanie die Mühe, diese heuchlerische Frage zu beantworten.
»Geh und besorge das Frühstück,« sagte er zu der Haushälterin, »und laß nur vor allen Dingen ein gutes Feuer anmachen.« – Eine Gemächlichkeit, die er besonders liebte. – »Komm, Jeanie, komm herein und ruhe Dich aus.«
»Nein, Lord, ich kann nicht hineingehen; ich habe eine weite Tagereise vor mir. Ich muß heute noch viele Meilen machen, wenn mich meine Füße tragen wollen.«
»Der Himmel sei uns gnädig! Viele Meilen zu Fuß!« rief Stummendeich aus; »das geht nicht. – Komm nur herein.«
»Was ich zu sagen habe, kann ich recht gut hier sagen, Lord; und Frau Balchristie« –
»Der Teufel hole Frau Balchristie, und er wird eine tüchtige Ladung an ihr haben. Ich sage Dir, Jeanie, ich bin ein Mann von wenig Worten, aber ich bin Herr in meinem Hause, und kann Alles in guter Zucht halten, wenn ich will, bis auf meinen Klepper. Aber ich gebe mir selten die Mühe, außer wenn mir einmal das Blut kocht.«
Jeanie fühlte die Nothwendigkeit ihr Anliegen sogleich zu eröffnen. »Ich komme Ihnen zu sagen, Lord, daß ich eine große Reise unternehmen will, und ohne meines Vaters Wissen.«
»Ohne sein Wissen, Jeanie! – Ist das recht? – Das mußt Du noch einmal überlegen. – Es ist nicht recht,« sagte er mit besorglicher Miene.
»Wenn ich nur in London wäre,« sagte Jeanie, um sich zu rechtfertigen; »ich würde ganz gewiß Mittel finden vor die Königin zu kommen, sie um meiner Schwester Leben zu bitten.«
»London! – Die Königin! – Ihrer Schwester Leben! – Das Mädchen ist rasend!«
»Das bin ich nicht, Lord; aber nach London zu gehen bin ich entschlossen, und sollte ich mich auch von Thür zu Thür hinbetteln. Und das muß ich, wenn Sie mir nicht etwas Geld zu den Reisekosten leihen. Ein Weniges nur; Sie wissen, mein Vater ist ein wohlhabender Mann, und wird nicht zugeben, daß irgend Jemand, am wenigsten Sie, Lord, durch mich verliere.«
Kaum traute Stummendeich seinen Ohren, als er dieses Gesuch vernahm. Die Blicke starr auf den Boden geheftet, stand er da, ohne eine Sylbe zu erwiedern.
»Ich sehe, Sie wollen mir nicht helfen, Lord,« sagte Jeanie; »so leben Sie denn wohl; und besuchen Sie meinen Vater ja recht oft; er wird jetzt so verlassen sein.«
»Wo will das närrische Mädchen hin?« sagte Stummendeich. Er nahm sie bei der Hand. »Ich habe wohl schon früher daran gedacht, es blieb mir nur immer in der Kehle stecken,« sagte er zu sich selbst, während er sie in's Haus und in ein alterthümliches Zimmer führte, dessen Thür er hinter sich verschloß und verriegelte. Als Jeanie, über diese Maßregel verwundert, noch an der Thür stehen blieb, ließ der Lord ihre Hand los, und durch den Druck eines geheimen Springschlosses in der Mauer öffnete er einen verborgenen Wandschrank, in welchem ein großer eiserner Geldkasten sichtbar wurde. Er that auch diesen auf, zog zwei oder drei Schieber heraus und zeigte ihr, daß sie lederne Beutel voll Gold und Silber enthielten. »Dies ist meine Bank, Mädchen,« sagte er, indem er zuerst Jeanie, dann seinen Schatz mit großem Wohlgefallen ansah; »mit Wechseln habe ich nichts zu thun, dabei geht man zu Grunde.«
Dann veränderte er plötzlich den Ton und sagte entschlossen: »Jeanie, Du sollst noch heute Lady Stummendeich sein, und in Deiner eignen Kutsche nach London fahren, wenn Du willst.«
»Nein, Lord, das ist unmöglich. – Meines Vaters Betrübniß – meiner Schwester Lage – der Schimpf für Sie.«
»Das ist meine Sache,« entgegnete Stummendeich; »und Du würdest nicht davon reden, wenn Du nicht eine Thörin wärst. – Und doch gefällst Du mir deshalb um so besser. An einem Klugen ist's überdies genug in der Ehe. Wenn Dir aber jetzt das Herz zu voll ist, nimm so viel Geld als Du brauchst, und es mag geschehen, wenn Du wiederkommst.«
»Aber, Lord,« sagte Jeanie, denn sie fühlte, daß sie bei einem so ungewöhnlichen Liebhaber einer deutlichen Erklärung bedürfe; »ich bin einem andern Manne mehr gewogen als Ihnen, und kann Sie nicht heirathen.«
»Einem andern Manne mehr gewogen als mir, Jeanie? – Wie ist das möglich? – Es ist nicht möglich, Mädchen. – Du kennst mich so lange.«
»Aber, Lord, ihn kenne ich noch länger.«
»Länger? – Unmöglich. Wie sollte das sein können; Du bist hier zu Lande geboren. – O Jeanie, Mädchen, Du hast noch nicht Alles, noch nicht die Hälfte gesehen.« – Er zog noch einige Auszüge heraus. – »Lauter Gold, Jeanie. – Und das Zinsenbuch, eine reine Einnahme von dreihundert Pfund Sterling, das hast Du noch nicht gesehen. – Und meiner Mutter Garderobe, und die meiner Großmutter, seidene Kleider so schwer, daß sie von selber stehen, und Spitzen, so fein wie Spinnenweb, und Ringe und Ohrgehänge, es ist alles oben. – O, Jeanie, geh nur hinauf und sieh Dir's an.«
Doch Jeanie widerstand all diesen Versuchungen. »Es kann nicht sein, Lord,« sagte sie. »Ich habe ihm mein Wort gegeben, und kann es nicht brechen.«
»Ihm Dein Wort gegeben?« sagte er empfindlich; »und wem? Ich hörte ja niemals von ihm. – Komm, Jeanie, Du zierst Dich wohl nur ein wenig. – Es gibt wohl so einen gar nicht in der Welt. – Was ist er? – Wer ist er?«
»Ruben Butler, der Schullehrer zu Libberton.«
»Ruben Butler! Ruben Butler!« wiederholte der Lord, indem er mit geringer Verachtung im Zimmer auf- und abschritt; »Ruben Butler, der Schulmeister zu Libberton, und ein Schulmeistergehülfe obendrein! Ruben, der Sohn meines Häuslers! – Sehr wohl, Jeanie, sehr wohl, eigensinnige Weiber müssen ihren Willen haben. – Ruben Butler! Er hat nicht so viel in seiner Tasche, als der alte schwarze Rock werth ist, den er trägt. – Aber es thut nichts.« – Und während er sprach, schob er die Auszüge seines Geldkastens nach einander mit großer Heftigkeit wieder hinein. »Ein gutes Wort findet nicht immer eine gute Statt. – Ein Einziger kann ein Pferd zum Wasser bringen, doch zwanzig werden's nicht zum Trinken zwingen. – Mein Geld aber an anderer Leute gute Freunde verschwenden« –
Jeanie's edler Stolz fühlte sich verwundet. – »Ich habe keins von Ihnen erbettelt, Lord,« sagte sie, »am wenigsten auf die Weise, wie Sie es auslegen. – Leben Sie wohl, Herr. Sie sind wohlwollend gegen meinen Vater gewesen, und mein Herz läßt mich nicht anders als mit Wohlwollen Ihrer gedenken.«
Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, ohne auf ein schwaches: »Aber Jeanie, Jeanie, Mädchen, bleib!« zu hören. Mit hastigem Schritt durcheilte sie den Hof, um ihre Reise zu beginnen, und in ihrem Busen glühten Scham und Unwillen, wie jeder Hochgesinnte sie empfindet, wenn er um eine Gunst gefleht, und unerwartet zurückgewiesen worden. Als sie des Lords Gebiet hinter sich hatte, und wieder auf der Landstraße war, wurden ihre Schritte langsamer, ihr Zorn verflog und gab der Besorgniß Raum. Mußte sie sich wirklich nach London hinbetteln? Oder sollte sie zurückkehren, von ihrem Vater Geld zu fordern, und sich so der Gefahr eines bestimmten Verbots ihrer Reise auszusetzen? Nur diese Wahl blieb ihr übrig; und langsam schritt sie vorwärts, immer noch zweifelnd, ob es nicht besser sei, umzukehren.
Während sie sich in der Ungewißheit befand, hörte sie den Hufschlag eines Pferdes hinter sich, und eine wohlbekannte Stimme rief sie beim Namen. Sie sah sich um und erblickte Stummendeich selbst, der in Schlafrock, Pantoffeln und Tressenhut wunderlich genug auf seinem ungesattelten Klepper dasaß. In dem Eifer ihr zu folgen, hatte er sogar die Hartnäckigkeit dieses eigensinnigen Thieres überwunden, und es gezwungen, den Weg zu gehen, den sein Reiter wählte – ein Zwang, dem es sich jedoch mit allen Zeichen des Widerwillens unterzog, indem es den Kopf drehte und bei jedem Schritte vorwärts eine Seitenbewegung machte, die seine große Sehnsucht umzukehren verrieth, ein Verfahren, dem der Lord nur durch ein unablässiges Arbeiten mit den Fersen und der Peitsche entgegenwirken konnte.
Seine ersten Worte, als er Jeanie erreicht hatte, waren: »Jeanie, man sagt, man müsse ein Mädchen nicht gleich beim Worte nehmen.«
»Aber Sie müssen mich bei dem meinigen nehmen,« sagte sie, indem sie die Augen niederschlug und weiterging. »Ich habe nicht mehr als ein Wort für Jedermann, und das ist immer ein wahres.«
»So solltest Du mindestens nicht immer einen Mann gleich bei seinem Worte nehmen. Du mußt nicht so ohne Geld fortgehen in Deinem Eigensinn.« – Er legte eine Börse in ihre Hand. »Ich würde Dir auch meinen Gaul geben, aber er ist so eigensinnig wie Du, und allzu sehr an einen Weg gewöhnt, den er und ich vielleicht allzu oft gemacht haben, und einen andern wird er nicht gehen.«
»Aber Lord – mein Vater wird zwar dieses Geld bis auf's Geringste zurückgeben – doch möchte ich nicht gern von Jemand borgen, der vielleicht an etwas mehr als an das Wiederbezahlen dabei denkt.«
»Es sind gerade fünf und zwanzig Guineen,« sagte Stummendeich mit einem schwachen Seufzer, »und dein Vater mag sie nun bezahlen oder nicht, ich sage dich von der Verpflichtung dafür los. Geh, wohin Du willst, thu, was Du willst, und heirathe alle Butlers auf der Welt, wenn Du willst. – Und nun guten Tag, Jeanie.«
»Und Gott segne Sie, Lord, mit vielen guten Tagen,« sagte Jeanie – und ihr Herz war durch die ungewöhnliche Großmuth dieses wunderlichen Menschen milder gestimmt, als Butler es vielleicht gern gesehen, hätte er ihre Gefühle in diesem Augenblicke gekannt – »und Heil und Gnade, und der Friede des Herrn, und der Friede der Menschen seien mit Ihnen jetzt und immerdar, wenn wir uns nicht wiedersehen!«
Stummendeich wandte den Kopf und grüßte sie mit der Hand. Sein Klepper, bereitwilliger zu gehen, als zu kommen, trug ihn so eilig heimwärts, daß er, der Hülfe eines gehörigen Zügels, so wie des Sattels und der Steigbügel entbehrend, allzu besorgt war, sich auf seinem Sitz zu erhalten, um noch einen letzten scheidenden Blick zurückwerfen zu können. Und drollig genug sah es aus, wie der ungesattelte Gaul ihn in seinem Schlafrock und Tressenhut entführte.
Das Lächerliche hat etwas den Empfindungen der Liebe Entgegenwirkendes; auch war es selbst auf das wärmere Gefühl dankbar wohlwollender Achtung, welches in Jeanie rege wurde, von einigem Einfluß. »Es ist ein guter, herzensguter Mensch!« sagte sie, »Schade, daß er einen so widerspenstigen Gaul hat.« Stummendeich's Figur war zu lächerlich, als daß Jeanie dadurch nicht zu den ursprünglichen Gefühlen, die sie gegen ihn gehegt, hätte zurückgeführt werden sollen. Darauf richtete sie ihre Gedanken sogleich auf die wichtige Reise, die sie bereits begonnen hatte, und freute sich, bei ihrer einfachen Lebensweise und der Gewohnheit Mühseligkeiten zu ertragen, reichlich mit den Mitteln versehen zu sein, die Reisekosten nach London und zurück bestreiten zu können.