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Sechstes Kapitel.

Lange Zeit hatten die beiden Lehrkameraden in dieser beiderseitigen Stimmung nicht miteinander geredet. Eines Abends ersuchte nun Adam Hartley seinem bisherigen Verhalten entgegen seinen Gefährten um eine Unterredung.

»Ich hätte gern mit dir gesprochen, Middlemas«, sagte er. »Ich fürchte nur, ich störe dich.«

»Durchaus nicht,« sagte der andere, die Hacke niederlegend, mit der er in dem kleinen Kräutergarten des Arztes arbeitete. »Ich habe nur etwas Unkraut ausgejätet, das nach dem letzten Regen stark emporgewuchert ist, und stehe dir jetzt zur Verfügung.«

Hartley ging nach einer nahen Bank und setzte sich. Middlemas folgte seinem Beispiel.

»Ich habe soeben eine wichtige Unterredung mit Herrn Gray gehabt«, begann Hartley nach einer Pause. Man merkte ihm an, daß ihm nicht sehr leicht fiel, was er sich vorgenommen hatte.

»Ich hoffe, ihr seid zu einem beide Teile befriedigenden Einverständnis gelangt«, warf Middlemas hin.

»Darüber magst du selber urteilen«, fuhr Adam fort. »Doktor Gray hatte die Güte, sich über meine Fortschritte in meinem Berufe sehr lobend auszusprechen, und hat mir zu meinem nicht geringen Erstaunen die Frage vorgelegt, ob ich, da er doch jetzt alt würde, willens wäre, in meiner gegenwärtigen Stellung noch zwei Jahre zu bleiben und zwar gegen ein entsprechendes Salär. Ich solle dann nach Ablauf dieser Zeit sein Teilhaber werden.«

»Herr Gray hat allein das maßgebende Urteil,« sagte Middlemas, »wer sich am besten zum Assistenzarzt für ihn eignet. Die Praxis bringt jährlich 200 Pfd. ein, und ein fleißiger Assistenzarzt, der die Praxis bis nach Strath-Devan und Carse ausdehnen kann, vermag am Ende die Einnahme zu verdoppeln. Aber selbst dann ist sie noch recht mäßig, wenn sie in zwei Teile geht,«

»Das ist aber noch nicht alles«, fuhr Hartley fort. »Der Doktor sagte ferner noch – er hat mir vorgeschlagen – kurz, er hat mir angeboten, ich solle in diesen zwei Jahren um die Gunst des Fräulein Gray werben und dann nicht nur sein Teilhaber, sondern auch sein Schwiegersohn werden.«

Bei diesen Worten sah er Richard fest ins Gesicht, der für einen Augenblick die Fassung zu verlieren schien. Aber dieser hatte sogleich die Kaltblütigkeit wieder erlangt und antwortete in einem Tone, in welchem sich Ärger und gekränkter Stolz vergebens unter erkünstelter Gleichgültigkeit zu verbergen versuchten:

»Ei, zu dieser patriarchalischen Ordnung deiner Angelegenheiten kann ich dir nur Glück wünschen. Fünf Jahre lang hast du gedient um dein Doktordiplom – zwei Jahre wirst du nun dienen um das Töchterlein des Doktors. Sicherlich – doch es ist vielleicht unartig von mir, danach zu fragen – sicherlich hast du das schmeichelhafte Anerbieten angenommen.«

»Du bedenkst nicht, daß eine Bedingung daran geknüpft wurde. Schon lange, Middlemas, habe ich den Verdacht gehegt, daß du den unschätzbaren Vorteil hast, Fräulein Grays Zuneigung erworben zu haben.«

»Ich?« fiel ihm Middlemas ins Wort. »Du scherzest oder bist eifersüchtig. Du traust dir selber zu wenig zu und mir mehr als zuviel.«

»Du solltest dir selber sagen,« versetzte Hartley, »daß hier von Vermutungen oder von dem, was du Eifersucht nennst, nicht die Rede ist. Ich sage dir offen, Marie Gray hat mir selber ihre Liebe zu dir eingestanden, denn ich habe sie natürlich von meiner Unterredung mit ihrem Vater in Kenntnis gesetzt. Ich sagte ihr, ich sei freilich überzeugt, daß ich zurzeit noch nicht den Platz in ihrem Herzen hätte, der allein mir das Recht geben könnte, sie zu bitten, daß sie sich dem anschlösse, was ihr Vater mir angeboten habe. Ich ersuchte sie aber, sich nicht vorschnell zu meinen Ungunsten zu entscheiden, denn ich hegte die Hoffnung, daß die Zeit und die Dienste, die ich ihrem Vater erweisen würde, eine Änderung zu meinen Gunsten bewirken würden.«

»Ein ganz natürliches und sehr bescheidenes Ansuchen; was hat die junge Dame dir geantwortet?«

»Sie ist ein Mädchen von edler Gesinnung, Richard Middlemas,« erwiderte Adam. – »Ich kann nicht genug die jungfräuliche Bescheidenheit preisen, mit der sie mir sagte, sie kenne zu wohl meine Herzensgüte – dies waren ihre eignen Worte – als daß sie es über sich gewinnen könne, mir die Pein einer unerwiderten Liebe zu verlängern. Sie erklärte mir nun aufrichtig, daß sie schon geraume Zeit heimlich mit dir verlobt sei, daß ihr euch gegenseitig eure Bilder geschenkt hättet. Und wenn sie auch niemals ohne die Einwilligung ihres Vaters dir die Hand geben werde, so sei es ihr doch unmöglich, ihren Gefühlen soweit Zwang anzutun, daß sie jemals einem andern Hoffnung auf Erfolg machen könne.«

»Das muß ich sagen,« rief Middlemas, »sie ist sehr aufrichtig, und ich bin ihr sehr verbunden.«

»Und das muß ich sagen, Middlemas,« versetzte Hartley, »du tust Fräulein Gray unrecht, ja du bist undankbar gegen sie, wenn du dich darüber ärgerst, daß sie mir das vertraut hat. Sie liebt dich, wie nur ein Weib bei ihrer ersten Liebe lieben kann – sie liebt dich mehr, als....«

Er brach ab, und Middlemas vollendete seinen Satz:

»Mehr als ich verdiene, nicht wahr? Das kann schon sein – doch ich habe ihre Liebe nicht unerwidert gelassen. Du mußt aber einsehen, daß das Geheimnis unserer Liebe ebensowohl mir als ihr gehörte, und daß es wohl besser gewesen wäre, sie hätte mich zuvor um Rat gefragt, ehe sie es einem Dritten verriet.«

»Middlemas,« sagte Hartley voller Ernst, »wenn du auch nur im geringsten die Besorgnis hegst, daß dein Geheimnis in meinem Besitz nicht sicher sei, so kann ich dir mein Wort darauf geben, meine Dankbarkeit für Fräulein Gray dafür, daß sie mir ein so zartes Geheimnis mitgeteilt hat, um mir Schmerz zu ersparen, ist so groß, daß ich mir eher von wilden Pferden ein Glied nach dem andern abreißen lasse, ehe ich mir auch nur die geringste Silbe abzwingen ließe.«

»Nun, mein lieber Freund,« sagte Middlemas mit einer offnen Herzlichkeit, wie sie zwischen beiden lange Zeit nicht mehr zum Ausdruck gekommen war, »du darfst es mir nicht verübeln, wenn auch ich ein wenig eifersüchtig bin. Wer ein echter Liebhaber ist, muß zuweilen auch ein bißchen verrückt sein, und auf alle Fälle muß es mich seltsam berühren, daß sie jemand zu ihrem Vertrauten macht, den ich selber für einen heftigen Rivalen gehalten habe. Es ist aber die höchste Zeit, daß wir die alberne Kälte fallen lassen, die wir in letzter Zeit gegeneinander beobachtet haben. Denn, wie du begreifen wirst, ist die eigentliche Ursache dazu eben unsre Nebenbuhlerschaft gewesen. Nun aber bedarf ich eines guten Rates, und wer könnte mir da einen bessern geben, als der alte Kamerad, den ich stets um sein gesundes Urteil beneidet habe.«

Hartley ergriff Richards Hand, doch nicht mit der gleichen zwanglosen Herzlichkeit, wie sie ihm hingereicht wurde.

»Ich habe nicht die Absicht,« sagte er, »noch lange hier zu bleiben, und in ein paar Stunden, denke ich, ist mein Bündel geschnürt. Wenn ich dir bis dahin noch einen guten Rat erteilen oder dir sonst einen Dienst erweisen kann, so soll das von Herzen gern geschehen. Das ist ja die einzige Art, wie ich Marie Gray noch zu Diensten sein kann.«

»Nun sieh, du bist sozusagen nur Zuschauer, willst du nicht uns, die wir die Schauspieler sind, die unglücklichen Darsteller, deine Meinung sagen, was du über dieses unser Spiel denkst?«

»Wie kannst du eine solche Frage an mich richten, da ein so schönes Feld sich dir eröffnet? Sicherlich wird Herr Gray unter denselben Bedingungen, wie er sie mir gemacht hat, dich als Assistenzarzt behalten. Du bist nebenbei auch eine bessere Partie für seine Tochter, denn du hast etwas Geld, so daß dir fürs erste der Weg geebnet ist.«

»Das stimmt freilich, nur vermute ich, ich habe in dieser Hinsicht bei Herrn Gray keinen sehr großen Stein im Brett.«

»Wenn er bisher deiner Tüchtigkeit keine Gerechtigkeit hat angedeihen lassen, so wird das anders sein, sobald er weiß, daß seine Tochter dir den Vorzug gegeben hat.«

»Das kann sein, und ich liebe sie deshalb auch über alles. Sonst, lieber Adam, bin ich nicht der Mann, der nach dem greift, was andre übrig gelassen haben.«

»Richard,« erwiderte Hartley, »dieser Stolz macht dich undankbar und wird dich auch noch unglücklich machen, wenn du ihn nicht beizeiten unterdrückst. Herr Gray ist dir sehr freundlich gesonnen, allein er glaubte, du würdest durchaus unzufrieden sein mit den bescheidenen Aussichten, die sein Anerbieten dir gewährt. Er glaubte, du hegtest den Wunsch, in die weite Welt zu gehen und dein Glück zu suchen. Er meinte, wenn du auch seine Tochter innig genug liebtest, daß du ihretwegen die ehrgeizigen Ideen aufgeben könntest, so würden doch die Teufel der Ruhmsucht und Habsucht schließlich wiederkehren, sobald erst die Zauberkraft der Liebe, die diese bösen Geister eine Zeitlang bezwungen hatten, an Macht verloren hätte. Er glaubte daher triftigen Grund zu haben, um das Glück seiner Tochter besorgt zu sein.«

»Meiner Treu, der würdige alte Herr spricht gelehrt und weise,« versetzte Richard, »ich hatte ihm einen so prophetischen Blick gar nicht zugetraut. Soll ich dir die Wahrheit sagen? – Wenn die schöne Marie nicht wäre, so würde ich mich so wohl fühlen wie ein Droschkengaul, wenn er seine tägliche Tour abgeklappert hat, während andre lustige Abenteurer dreist den Versuch machen, wie sie in der Welt zurecht kommen. – So zum Beispiel, wohin willst du?«

»Ein Verwandter von mir mütterlicherseits ist Kapitän eines Schiffes von der ostindischen Gesellschaft, ich will bei ihm als Unterarzt eintreten; wenn mir der Seedienst zusagt, bleib ich dabei, wo nicht, versuch ich was andres.«

Hartley begleitete seine Worte mit einem Seufzer.

»Nach Indien!« rief Richard. »Du Glückspilz! Da kannst du dich freilich mit vollem Gleichmut darüber hinwegsetzen, daß deine Hoffnungen auf dieser Seite unsers Erdenballes sich nicht erfüllt haben. – Oh Delhi! Oh Golkonda! liegt in diesen Namen nicht eine Kraft, die alle eitlen Erinnerungen verbannt? – Indien, wo man Gold mit Eisen gewinnt, wo ein tapfrer Mann sein Verlangen nach Reichtum noch so hoch schrauben mag, er wird sein Ziel doch erreichen, wenn ihm einigermaßen das Glück hold ist. Wie ist es nur möglich, daß ein Bursch wie du, dem es vergönnt ist, in die weite Welt zu ziehen, in eigensinniger Schwermut den Kopf hängen kann, weil ein blauäugiges Mädel einen andern vorgezogen hat, der nicht halb so glücklich ist wie du? Wie ist es nur möglich?«

»Nicht halb so glücklich?« fragte Hartley. »Kannst du, der glückliche Geliebte der Marie Gray, auch nur im Scherze so sprechen?«

»Sei nicht böse, Adam,« sagte Richard, »weil ich, der ich doch den Sieg davongetragen habe, meines Glückes nicht ganz so froh bin, als du vielleicht es wärest. Trotzdem kann ich ohne meine süße Marie nicht leben, und ich will sie zur Frau haben. Aber noch zwei Jahre lang in dieser höllischen Ödenei leben zu müssen und hier sich um Kronen und halbe Kronen plagen zu müssen, dieweil Kerls, die nicht halb soviel los haben, die Rupien säckeweise verdienen – weiß der Kuckuck, Adam, das ist ein gar erbärmliches Los. Nun gib mir einen Rat, Freund, kannst du mir nicht sagen, wie ich um diese zwei Jahre der Langeweile herumkommen kann?«

Hartley vermochte seinen Widerwillen nicht länger zu verhehlen.

»Nein!« versetzte er kurz. »Du bist einundzwanzig Jahre alt, und wenn der Doktor in seiner Klugheit eine solche Prüfzeit für mich für nötig hält, wo ich doch zwei Jahre älter bin als du, so wird er sie dir wohl schwerlich erlassen.«

»Das mag sein,« erwiderte Middlemas, »meinst du nicht aber, daß ich diese zwei oder meinetwegen auch drei Prüfungsjahre nicht besser in Indien abmachen könnte, da kann man's doch in kurzem viel weiter bringen als hier, wo man doch nur das Salz zur Suppe verdient? Meiner Meinung habe ich einen angeborenen Trieb nach Indien. Das ist auch ganz natürlich. Mein Vater war Soldat. Der Vater meiner Mutter ist ein reicher Kaufmann. Ein so bescheidenes Einkommen von 200 Pfd. im Jahre mit dem alten Herrn zu teilen, das muß einem jungen Mann wie mir, dem die weite Welt offen steht und der einen Degen hat, sich einen Weg zu bahnen, doch im Grunde recht bettelhaft vorkommen. Marie freilich ist ein Edelstein – ein Diamant – das gebe ich zu; aber ein so kostbares Juwel möchte man auch lieber in Gold und Brillanten fassen statt in Blei und Kupfer. Sei ein guter Kamerad, Adam, und unterbreite dem Doktor meinen Plan. Meiner Meinung nach kann er für sich und Marie nichts Bessres tun, als daß er mich die zwei Prüfungsjahre im Lande der Kaurie-Muscheln zubringen läßt.«

»Herr Richard Middlemas,« entgegnete Hartley, »ich wünschte nur, es wäre mir gegeben, in den wenigen Worten, die ich noch an Euch zu richten denke, Euch erklären zu können, ob ich Euch mehr bemitleide oder mehr verachte. Der Himmel hat Euch Glück, Auskommen und Zufriedenheit beschert, und Ihr wollt diese Güter von Euch stoßen, um Eurem Ehrgeiz und Eurer Habsucht nachzugehen. Würde ich in dieser Hinsicht dem Doktor oder seiner Tochter einen Rat erteilen, so könnte es höchstens der sein, jeden Verkehr mit einem Manne abzubrechen, der sich in kurzem, wenn auch noch so von der Natur begabt, als ein großer Tor erweisen wird – und der ferner, wenn auch noch so ordentlich erzogen, sich bei der ersten Versuchung obendrein auch als Schurke erweisen könnte. Ich werde aber meinen Rat für mich behalten, denn helfen würde er doch nichts. Ich werde so rasch wie möglich abreisen und wir werden uns nicht wiedersehen. Ich werde es Gott anheimstellen, Unschuld und Ehrlichkeit gegen die Gefahren zu schützen, die Eitelkeit und Torheit mit sich bringen.«

Mit diesen Worten wandte er sich verächtlich von dem jugendlichen Narr des Ehrgeizes ab und verließ den Garten.

»Halt ein!« rief Middlemas ihm nach, betroffen über die Vorstellungen, die der Kamerad seinem Gewissen gemacht hatte. »Halt ein, Adam Hartley, laß dir sagen –«

Aber entweder hörte Hartley seinen Ruf nicht mehr, oder er ließ sich dadurch nicht zur Umkehr bewegen.

Im nächsten Augenblick hatte bei Richard die Keckheit wieder die Oberhand gewonnen.

»Wenn er noch einen Moment länger geblieben wäre,« sagte er zu sich selber, »so hätte ich ihn zu meinem Beichtvater gemacht, den Bauernlümmel! Hat denn Marie Gray sich zu irgend etwas ihm gegenüber verpflichtet? Seinen Bescheid hat er ja bekommen – was mischt er sich denn nun noch zwischen mich und sie? Wenn nur der alte Moncada seine Pflicht als Großvater getan und mir ein anständiges Vermögen vermacht hätte, dann wäre das ja schließlich ganz fein zu machen gewesen und ich hätte das Mädel geheiratet und mich hier niedergelassen. Aber das Dasein ihres alten Packesels von Vater zu führen und hier im Umkreis von zwanzig Meilen jedem Bauern zu Befehl zu stehen! Weiß es Gott. Das ist ein Tagwerk, wie es ein Trödler hat, der mit Nadeln, Bändern und Tabak hausiert – ja er verdient dabei noch mehr und hat weniger Schererei, und das Renommee ist dasselbe. – Nein, wenn ich den Reichtum nicht näher antreffen kann, so will ich ihn dort aufsuchen, wo er für jedermann zu haben ist. Und somit will ich in die Schenke gehen und mal meinen Freund um Rat fragen.«


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