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Um dieselbe Zeit, als Gray die ärztliche Ausbildung seines Pflegesohnes auf sich genommen hatte, wandte sich ein gewisser Adam Hartley an ihn mit dem Ansuchen, bei ihm in die Lehre treten zu dürfen.
Der junge Mann war der Sohn eines achtbaren Pächters, der den ältesten Sohn zu seinem eignen Berufe herangezogen hatte und aus dem zweiten einen Arzt zu machen wünschte. Er nahm hiermit das freundliche Anerbieten seines Gutsherrn an, den Sohn in seiner Laufbahn zu unterstützen – eine Hilfe, die besonders bei der Beförderung eines Arztes sich als wertvoll geltend machen könne.
Middlemas und Hartley wurden also Lehrkameraden. Während des Winters kamen sie nach Edinburgh in Pension, um dort die medizinischen Vorlesungen zu hören, da der Besuch der Universität zur Erlangung des Doktortitels erforderlich war.
So gingen drei, vier Jahre hin – die zwei Studenten der Medizin waren nun keine Knaben mehr, es waren junge Leute geworden, die als stattliche Jünglinge, gut gekleidet und wohl erzogen, auch mit Geld versehen, in dem kleinen Orte, wo es kaum jemand gab, der zu den obersten Zehntausend zu rechnen gewesen wäre, Personen von Bedeutung wurden, da an jungen Männern ein Mangel, an Mädchen dagegen ein Überfluß vorhanden war.
In ihrer äußeren Erscheinung waren sie sehr von einander verschieden. Adam Hartley war mittelgroß, robust und starkknochig, unter den kastanienbraunen Locken zeigte sich ein offnes, biedres, echt angelsächsisches Gesicht. Er trieb mit Vorliebe Leibesübungen, wie Ringen, Boxen, Springen und Fechten, und besuchte jedesmal die Stierhatz, die in dem Städtchen ab und zu gehalten wurde.
Richard dagegen hatte schwarzes Haar wie sein Vater und seine Mutter – stolze, schön gebildete Züge, die aber einen etwas fremdländischen Charakter hatten. Seine Gestalt war groß und schlank, muskulös und schmiegsam zugleich. Ein überaus graziöses und leichtes Benehmen – wie es sonst niemand im ganzen Orte zu eigen war – mußte ihm angeboren sein.
Die Einwohnerschaft war in der Beurteilung der beiden in zwei Parteien geteilt. In Ermangelung eines besseren Gesprächsstoffes stellten sie Vergleiche zwischen ihnen an und beriefen sich dabei auf das Urteil des Arztes, aber Herr Gray war hierin sehr zurückhaltend und beschränkte seine Äußerung in der Regel darauf, die beiden Jünglinge seien wackre Burschen und würden tüchtige Leute in ihrem Fache werden, wenn sie sich nicht den Kopf durch allerlei alberne Aufmerksamkeiten, die die Leute im Orte ihnen erwiesen, verdrehen ließen.
Es gab Personen in Middlemas, die so unbedacht waren zu glauben, Marie Gray allein sei die beste Richterin über die beiderseitigen Verdienste der jungen Männer, über deren Vorzüge die öffentliche Meinung geteilt sei.
Allerdings wagte niemand – selbst ihre vertrautesten Freundinnen nicht – die Frage offen an sie zu richten. Aber ihre Handlungsweise wurde scharf überwacht und man kam zu der Ansicht, daß sie in ihren Aufmerksamkeiten gegen Adam Hartley offener und freier sei. Mit ihm lachte, schwatzte und tanzte sie, während sie gegen Richard scheu und zurückhaltend war. An diesen Beobachtungen war nicht zu zweifeln, aber über die Folgerungen, die daraus zu ziehen wären, war die Meinung abermals geteilt.
Es war nicht gut möglich, daß die beiden jungen Leute es nicht hätten merken sollen, in wie angelegentlicher Weise sich die Gesellschaft von Middlemas mit ihnen beschäftigte. Da sie von der kleinen Welt, in der sie sich bewegten, gegeneinander abgewogen wurden, hätte ihr beiderseitiger Charakter über dem Durchschnittsschlage stehen müssen, um nicht eifersüchtig aufeinander zu werden, nicht nur als Nebenbuhler um den Beifall der Öffentlichkeit und von dieser zum Wetteifer angespornt, sondern auch durch eigenen Antrieb aus sich selber heraus dazu getrieben, miteinander um die Palme zu ringen.
Dazu kam noch, daß Marie Gray zu einem der schönsten Mädchen nicht nur von Middlemas, sondern von der ganzen Grafschaft herangewachsen war. Ihr Vater schien nicht im mindesten um sie besorgt, obwohl sie fast ununterbrochen mit den beiden jungen Männern zusammen war, während er häufig und fast täglich vom Hause weg war.
Es läßt sich begreifen, daß die jungen Leute ihren Ehrgeiz darein setzten, wer von beiden ihr am meisten gefiel, und so wurden sie auch hier zu stillen, doch heftigen Nebenbuhlern.
Gideon Gray aber wußte, daß seine Tochter von Charakter ebenso fest, aufrichtig und rechtschaffen war wie er selber und daß er nicht den geringsten Grund zu der Besorgnis habe, seine Tochter könne sein Vertrauen mißbrauchen oder sich seiner unwürdig zeigen. Er verließ sich daher mit vollem Recht auf die Festigkeit ihrer Grundsätze, übersah jedoch die Gefahren, in die ihr Herz und ihre Neigungen geraten mußten.
Im Umgange zwischen Marie und den beiden Jünglingen schien jetzt allerseits eine große Zurückhaltung eingetreten zu sein. Nur bei Tische sahen sie sich, und Marie gab sich – vielleicht auf den Rat ihres Vaters hin – alle Mühe, beiden die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Das war indessen gar nicht leicht. Hartley benahm sich jetzt mit einemmal so kalt und förmlich, daß es ihr unmöglich wurde, noch länger mit ihm zu verkehren. Middlemas dagegen behielt mit der ihm eignen sichern Grazie des Wesens sein bisheriges Verhalten bei.
Schließlich nahte die Zeit, daß die jungen Leute, deren vertragsmäßige Lehrzeit ablief, sich nach einem eignen Weg in die Welt und das Leben hinein umsehen mußten.
Doktor Gray teilte Richard mit, er habe in dieser Angelegenheit schon mehrmals dringend an Herrn von Moncada geschrieben, ohne jedoch bisher eine Antwort zu erhalten. Er wolle ihm nicht seinen eigenen Rat erteilen, ehe nicht die Meinung des Großvaters eingegangen sei.
Diese Verzögerung schien Richard mit größerer Geduld hinzunehmen, als seinem Charakter zu entsprechen schien. Er fragte nicht, sprach keine Vermutungen aus und ließ durch nichts erkennen, daß es ihm um eine Beschleunigung der Angelegenheit zu tun sei. Er schien mit Geduld abwarten zu wollen, wie die Dinge sich weiter entwickeln würden.
In der Tat hatte nämlich Richard selber einen Versuch gemacht, sich seinem unerbittlichen Verwandten zu nähern. Er hatte an Herrn von Moncada einen Brief voll Dankbarkeit, Liebe und kindlicher Ergebung gesandt und um die Erlaubnis gebeten, persönlich mit ihm zu korrespondieren, indem er versprach, sich in jeder Einzelheit nach dem großväterlichen Willen zu richten.
Die Antwort war, daß der Brief zurückgeschickt wurde. Die Sendung enthielt nur ein Anschreiben des Bankiers, durch den der Brief versandt worden war, mit der Bemerkung, daß Herr von Moncada jede weitere Geldsendung oder irgendwelche Unterstützung unterlassen und einstellen werde, sobald noch ein einziger Versuch gemacht würde, sich ihm aufzudrängen.