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Sechstes Kapitel.

Aber lange, lange hielt Elspat die Blicke über die ferne Straße hin gerichtet, vom Frühlicht bis zum Ersterben der Abenddämmerung, und keine Staubwolke weckte frohe Hoffnung in ihrem Herzen, keine wallende Feder oder glitzernde Waffe zauberte Lächeln auf ihre Lippen. Im braunen Kittel des Talschotten, mit dem schwarz oder dunkelrot gefärbten Tartan, wie es dem Gesetz nach sein mußte, das alle bunte, gewürfelte Tracht verbot, mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenem Wesen zog hin und wieder wohl ein einsamer Wanderer vorbei, in Trauer über die strengen Vorschriften, die gegen hochländische Tracht und Bewaffnung, jedem Schotten heilig als Vorrechte seiner Geburt, vom Erbfeind erlassen worden waren. In solchem Wanderer erkannte aber Elspat den frischen munteren Tritt des Sohnes nicht wieder, der ihrer Meinung nach nun alle Zeichen sächsischer Sklaverei von sich gestreift haben müsse.

Eine Nacht um die andere schlich sie, wenn es dunkel geworden, von der Tür ihrer Hütte, die sie nie abschloß, hinweg zu ihrem ärmlichen Lager, das ihr aber nur selten Ruhe brachte. Der Tapfere und Furchtbare, sagte sie, wandelt bei Nacht; in der Finsternis, wenn alles still ist, außer dem Wind und dem Wasserfall, vernimmt man seinen Tritt; nur wenn die Sonne über dem Gipfel des Berges steht, wagt sich das scheue Reh hervor, aber der gierige Wolf wandelt im roten Lichte des Erntemonds. Umsonst waren solche Gedanken; nimmer weckte ihr Sohn sie von dem harten Lager, auf dem sie von seiner Ankunft träumte. Ihr Hamish kam nicht.

»Betrogene Hoffnung,« spricht der königliche Weise, »macht das Herz krank,« und so kräftig auch Elspat, in körperlicher Hinsicht war, so spürte sie doch allmählich, daß sie den Anforderungen nicht mehr so wie früher gewachsen war, die ihre ungezügelte Sehnsucht an ihren Körper stellten.

Da aber kam ein Morgen, an welchem auf der einsamen Bergstraße in weiter Ferne von der Hütte ein Wanderer sichtbar wurde. Die trostlose Verzweiflung, deren Beute sie seit so langer Zeit war, wich herrlicher Hoffnung. Denn je näher der Wanderer kam, desto deutlicher trat in Sicht, daß von sächsischer Sklaverei kein Zeichen an ihm war. Bald konnte sie den Hochlandsmantel wehen sehen, der sich in schönen Falten niederlegte, und bald auch die wallende Hutfeder, das Merkmal von Rang und edler Geburt.

Über der Schulter trug er die Flinte, an seiner Seite hing das breite Schlachtschwert, im Gürtel steckten Dolch und Pistol, und an der Seite hing der »Sporren-Mollach«, die geißlederne Tasche, die der Hochländer um den Leib geschnallt trägt. Näher und näher heran kam der Wanderer, seine Schritte schienen sich zu weiten, sein Herz schien ihnen Flügel zu geben – und nun, ein Augenblick noch, und die Greisin umarmte den geliebten Sohn, der vor sie hintrat in der Tracht des Vaters und der Ahnen, als Schönster für die Augen der Mutter unter zehntausend.

Unsäglich war das erste Entzücken, das in ihr Herz einzog. Mit den schönsten Schmeichelworten, die ihre kraftvolle Sprache birgt, verband sie die innigsten Segenswünsche. Im Nu war der Tisch gedeckt mit allem, was sich herbeischaffen ließ, und mit der gleichen seligen Wonne, die sie empfand, als sie den Neugeborenen zum erstenmal an die Brust legte, blickte die Mutter auf den jungen Krieger, der nun an ihrem Tische saß und sich labte.

Dann verlangte es sie, die Abenteuer zu hören, die ihr Sohn während der langen Trennung bestanden habe, und sie konnte sich nicht enthalten, ihn ob der Unbesonnenheit zu tadeln, am helllichten Tage in Hochlandstracht durch die Berge zu wandern, da doch so schwere Strafe auf solch Beginnen gesetzt sei und es von Verrätern in der Gegend doch wimmele.

»Seid meinetwegen ohne Furcht, Mutter,« sagte Hamish in besänftigendem Tone zu ihr, der ihre Unruhe aber eher noch mehrte – »ich trage, sobald ich Lust dazu habe, den Breacan vorm Tore von Fort Augustus.«

»Hamish, Hamish! Sei nicht allzukühn! Wenngleich solche Eigenschaft ein Fehler wäre, der dem Sohn deines Vaters gar wohl stünde – aber, sei nicht zu kühn! Ach, es wird ja nicht mehr gekämpft wie ehedem, ehrlich und unter gleichem Vorteil; man sucht einander an Zahl und Waffen zu überbieten, so daß der Starke wie der Schwache von der Kugel eines Buben fällt. Denke nicht, Hamish, daß ich unwert sei, deines Vaters Witwe und deine Mutter zu heißen, weil ich so rede, denn Gott weiß, ich will es aufnehmen mit dem Besten im Lande.«

»Glaubt mir, liebe Mutter, ich bin außer Gefahr«, versetzte Hamish; »aber habt Ihr Mac Phadraick bei Euch gesehen, Mutter, und was hat er Euch von mir gemeldet?«

»Geld hat er mir dagelassen, viel Geld,« antwortete Elspat, »aber was mir das liebste von allem war, das war die Kunde, daß du wohlauf seiest und bald zu mir kommen werdest. Nimm dich aber in acht vor Mac Phadraick, mein Sohn! Denn wenn er sich auch einen Freund deines Vaters nennt, so war ihm die schlechteste Kuh in seiner Herde doch mehr wert, als Mac Tavish Mhors Leben! Gebrauche ihn, wenn er dir nützen kann, und bezahle ihn für das, was er dir nützt; es läßt sich nun einmal nicht ändern, daß wir Umgang auch mit solchen halten müssen, die des Vaters nicht wert sind. Aber verlaß dich auf meinen Rat und traue ihm nicht!«

Hamish konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, und Elspat schien zu verstehen, daß ihre Warnung zu spät komme.

»Was hast du mit ihm gehabt, Hamish?« fragte sie ungestüm; »ich erhielt Geld von ihm, und Geld gibt doch er nicht umsonst! Er gehört nicht zu denen, die für Spreu Gerste tauschen. Ach, wenn dich euer Handel gereut, und wenn du, ohne deine Ehre und Männlichkeit zu scheuen, ihn nicht rückgängig machen kannst, dann gib ihm sein Geld wieder, bloß traue seinen schönen Worten nicht!«

»Es geht nicht an, Mutter,« versetzte Hamish, »und es möchte mich auch nicht reuen, wenn ich Euch bloß nicht bald verlassen müßte.«

»Du mich verlassen? Was sprichst du, Hamish, einfältiger Knabe! Meinst du, ich wüßte nicht, was für das Weib und die Mutter eines verwegenen Mannes als Pflicht gilt? Du bist ja noch immer ein Knabe, aber dein Vater war zwanzig Jahre lang der Schrecken der Gegend, und doch verachtete er meine Gesellschaft und meinen Beistand nicht, sondern sprach es oft aus, daß meine Hilfe mehr wert sei als die von zwei kräftigen Knappen.«

»Nicht darum ist es, Mutter, aber da ich das Land verlassen muß –«

»Du das Land verlassen?« rief die Frau, ihn unterbrechend; »Und meinst du denn, ich sei wie ein Busch, der bloß dort wächst, wo er Wurzel schlägt und eingeht, wenn er versetzt wird? Habe ich denn nicht oft genug schon andere Luft als die vom Ben Cruachan geatmet? Bin ich nicht deinem Vater in die Wildnisse von Roß und in die unzugänglichen Ödeneien von Q-Mac Q-Mhor gefolgt? Kein Wort mehr, Knabe! Denn meine Glieder, so alt sie auch sein mögen, werden mich noch immer so weit tragen können, wie deine Füße laufen.«

»Ach, Mutter,« sagte stockend der Jüngling, »aber über die See?«

»über die See? Ei, für was hältst du mich, wenn du meinst, ich solle mich vor der See fürchten? War ich etwa nie im Leben zu Schiffe? Habe ich denn nicht den Sund von Mull gesehen, die Inseln von Treshornish und die gefährlichen Klippen von Harris?«

»Ach, Mutter! Ich muß weiter, viel weiter! Ich habe mich für die neuen Regimenter werben lassen und marschiere mit gegen die Franzosen – drüben in Amerika!«

»Anwerben lassen?« schrie die Mutter, wie vom Donner gerührt – wider meinen Willen? Ohne meine Zustimmung?« Das hast du nicht gekonnt, Hamish, du nicht, Hamish!« Dann stand sie auf, trat auf den Sohn zu und sprach herrisch, eine gebietende Stellung annehmend: »Hamish, das war dein Wille nie! Hamish, das hast doch du nicht getan!«

»Verzweiflung, Mutter, vollbringt alles«, entgegnete Hamish in resolutem Tone; »was sollte ich hier beginnen, wo sich kaum das kärgste tägliche Brot schaffen läßt für mich und Euch, da die Zeiten doch immer schlechter werden? Wollt Ihr Euch setzen und zuhören, so will ich Euch überzeugen, daß ich besser, als ich gehandelt habe, nicht handeln konnte!«

Mit bitterem Lächeln setzte sich Elspat. und mit bitterem Lächeln, mit fest aufeinander gepreßten Lippen hörte sie ihm zu. Ohne von ihr, wie er befürchtet hatte, unterbrochen zu werden, fuhr Hamish fort:

»Als ich von Euch ging, Mutter, habe ich Mac Phadraick aufgesucht, denn wenn es auch feststeht, daß er ein ausgefeimter Halunke ist wie alle Sassenach, so läßt sich doch nicht leugnen, daß er ein Mann von Witz ist,« und darum dachte ich, er könne mir, zumal es ihn doch nichts koste, gut und gern sagen, auf welche Weise sich unsere Umstände besser gestalten ließen.«

»Unsere Umstände!« wiederholte Elspat, indem sie anfing die Geduld zu verlieren; »und bei einem Schuft, dessen Herz nicht besser ist als das eines Kuhhirten, erkundigst du dich darnach, was du zu tun und zu lassen hast? Dein Vater hat niemand gefragt als sein Schwert und seinen Mut!«

»Aber, Mutter,« rief Hamish, wann werdet Ihr endlich einsehen lernen, daß Ihr in diesem Lande Eurer Väter noch immer so lebt, wie wenn Eure Väter noch lebten? Ihr wandelt wie im Traum, umschwebt von den Geistern derer, die längst bei den Toten weilen. Als der Vater noch lebte und focht, da fühlten die Großen im Lande noch vor dem Manne mit der starken Hand Achtung, und wer was zu verlieren hatte, fürchtete ihn. Von der ersten Klasse gewährten ihm Mac Allan Mhor und Caberfee ihren Schutz, und von der zweiten zahlten ihm nicht wenige Tribut. Er ist tot; aber sein Sohn würde bei einer Lebensweise, die dem Vater Ansehen gab und zur Macht verhalf, nur Schimpf und Schande ernten und unbemitleidet in die Grube fahren. Heute ist Schottland von England unterjocht – die Leuchten des Landes sind verlöscht – Glengarry, Lochiel, Perth, Lord Lewis, alle die großen Häuptlinge sind entweder ins Grab gestiegen oder leben in der Verbannung! Wir mögen hierüber trauern, aber helfen, ändern können wir es nicht! Das breite Schlachtschwert ist bei Drummossie-Muir verloren gegangen und mit ihm Macht, Stärke, Reichtum und Ruhm!«

»Das ist nicht wahr!« rief Elspat grimmig; »dich und andere feige Memmen gleich dir hat eure Mutlosigkeit besiegt, aber nicht Feindesmacht. Dem scheuen Wasserhuhn gleichest du, das die geringste Wolke am Himmel für den Schatten des Adlers hält.«

»Mutter,« erwiderte Hamish stolz, »beschuldige mich nicht feigen Sinnes! Denn ich gehe dorthin, wo es an Männern mit starkem Arm und keckem Mut fehlt. Ich verlasse eine Einöde, um in ein Land zu gehen, wo ich mir Lorbeeren sammeln will.«

»Von deiner alten Mutter willst du gehen, daß sie sterbe, verlassen von allen?« fragte Elspat, eifrig bemüht, einen entschlossenen Sinn, der ihr viel größer erschien als sie anfangs gedacht hatte, zu erschüttern.

»Das ist nicht der Fall, Mutter,« antwortete er, »denn ich lasse Euch in behaglicher Lage, mit einem gesicherten Einkommen, wie Ihr es noch niemals hattet, zurück. Barcaldines Sohn ist zum Offizier ernannt worden, und unter ihm habe ich mich anwerben lassen. Mac Phadraick steht in seinen Diensten, rührt die Werbetrommel für ihn und findet sein gutes Auskommen dabei.»

»Das ist das wahrste Wort von der ganzen Mär,« rief die Greisin bitter, »alles andere mag so falsch sein wie die Hölle!«

»Aber auch wir finden unseren Vorteil dabei,« fuhr Hamish fort, »denn Barcaldine gibt Euch eine Hütte in seinem Walde Letter-Findreight und Gras für Eure Ziegen, auch eine Kuh, wenn Ihr eine haben wollt. Wenn ich auch weit weg von Euch bin, so wird Euch doch mein Sold, Mutter, mit Mehl und allem, was Ihr sonst brauchen könnt, reichlich versorgen. Hegt also um mich keine Sorge! Ich trete wohl als gemeiner Mann ein, aber ich will, sofern es durch Pünktlichkeit und Tapferkeit im Dienste sich erreichen laßt, als Offizier und mit einem halben Dollar Einkommen pro Tag zurückkehren.«

»Armes Kind!« rief Elspat in einem Tone, in welchem sich Mitleid mit Verachtung paarte, »du traust also dem Mac Phadraick wirklich?«

»Ja, Mutter,« sagte Hamish, während die dunkelrote Farbe seines Stammes ihm auf Stirn und Wangen trat, »denn Mac Phadraick kennt das Blut, das in meinen Adern rollt, und weiß, daß Hamish zurück nach Breadalbane kehren würde, wenn er den Vertrag, der mit ihm in Eurem Betreff geschlossen wurde, nicht halten wollte, und daß seine Tags dann gezählt wären. Den Dolch stieße ich ihm ins Herz, wenn er das mir gegebene Wort bräche! So wahr Gott der Allmächtige lebt, der ihn und mich geschaffen hat!«

Blick und Haltung des jungen Kriegers zwangen Elspat auf eine Weile Ehrfurcht ab, denn solch feste, feierliche Rede, die ihr den Vater so lebhaft in Erinnerung rief, war sie nicht an ihm gewohnt. Aber sie fuhr mit ihren Einwänden in der gleichen bitteren Weise fort, wie sie begonnen hatte.

»Armer Junge!« rief sie, »und du meinst, daß über dem Zwischenraum einer halben Welt deine Drohungen gehört werden oder Berücksichtigung finden? Geh aber nur, geh und beuge deinen Nacken unter hannöversches Joch, gegen das jeder getreue Gäle bis zu seinem Tode kämpfte. Geh, und verleugne die königlichen Stuarts, für die dein Vater und deine Ahnen und deiner Mutter Ahnen Felder über Felder mit ihrem Blute gefärbt haben. Geh und beuge dein Haupt unter den Degengurt eines vom Geschlechte der Dermid, dessen Kinder,« setzte sie mit furchtbarer Stimme hinzu, »deiner Mutter Väter in ihren Wohnungen zu Glencoe ermordeten! Ja,« rief sie wieder und noch lauter, gellender, »ich war damals noch nicht auf der Welt, aber aus dem Munde meiner Mutter vernahm ich es, und ich lauschte der Stimme meiner Mutter, und ihre Worte klingen noch heute in meinen Ohren! In Frieden kamen sie und wurden gastfreundlich aufgenommen, und Blut ist geflossen und Feuer hat gewütet und Mord ist verübt worden!«

»Mutter,« erwiderte Hamish voll Trauer, aber mit Festigkeit, »dies alles habe ich bedacht! An der Hand des edlen Barcaldine klebt von dem Glencoer Blut kein Tropfen; der Fluch lastet auf dem unglücklichen Hause Glencoe, und Gott der Herr hat es an ihm und seinen Gliedern gerächt!«

»Sprichst ja schon ganz so wie der sächsische Pfaffe«, höhnte die Mutter; »ob du dich nicht noch besser stündest, wenn du bei Mac Allan Mhor um eine Kirche betteltest, daß du Vergebung predigen könntest für das Geschlecht Dermid?«

»Gestern war gestern, Mutter,« sagte hierauf Hamish, »und heute ist heute! Da die Clans niedergeworfen sind und in ihrer alten Reinheit und Unvermischtheit nicht weiter bestehen, sollte es für weise gelten, daß ihr Haß und ihre Erbitterung ihre Macht und Unabhängigkeit nicht überleben. Wer nicht wie ein Mann sich rächen kann, der sollte nicht nutzlose Feindschaft hegen wie ein besiegter Hahn. Der junge Barcaldine, Mutter, ist ehrlich und brav. Ich weiß, daß ihm Mac Phadraick geraten hat, mich nicht zu Euch hin gehen zu lassen, auf daß Ihr mir mein Vorhaben nicht ausredetet; aber Barcaldine hat ihm geantwortet: Hamish Mac Tavish ist eines braven Mannes Sohn und wird sein Wort nicht brechen. Mutter! Barcaldine führt hundert braver Galensöhne in ihrer Landestracht und mit den Waffen ihrer Väter ausgerüstet, Brust an Brust, Schulter an Schulter. Ich habe geschworen, mit ihm zu gehen. Er hat mir vertraut und ich will ihm vertrauen.«

Wie vom Donner gerührt war Elspat durch diese mit solcher Festigkeit erteilte Antwort und brach voller Verzweiflung zusammen. Gleich Wogen von einer Klippe waren die Beweise, die sie für so unwiderstehlich gehalten hatte, abgeprallt. Nach einer langen Pause füllte sie ihres Sohnes Becher und reichte ihn ihm mit dem Ausdruck achtungsvoller Niedergeschlagenheit und Unterwerfung.

»Trink,« sprach sie, »auf das Gedeihen des Baumes vor deines Vaters Hause, bevor du von ihm auf immer scheidest, und sage mir, da die Ketten eines neuen Königs und neuen Häuptlings, die deine Väter nur als Todfeinde kannten, an deines Vaters Sohne hängen – sage mir, wieviel Glieder zählst du an dieser Kette?«

Hamish nahm den Becher und sah sie an, als sei ihm nicht recht verständlich, was sie mit ihren Worten meinte. Mit gehobener Stimme fuhr sie fort:

»Sage mir, denn ich besitze ein Recht darauf, es zu wissen – sage mir, wieviel Tage, dich zu sehen, läßt mir der Wille derer, die du dir zu Herren erkoren hast? Mit anderen Worten: Wieviel Tage bleiben mir noch zu leben? Denn was hat die Erde noch, das mir das Leben wert machen könnte, wenn du von mir gehst?«

»Mutter,« versetzte Hamish, »sechs Tage kann ich bei Euch weilen, und ist es Euch recht, so will ich Euch am fünften in Euer neues Heim geleiten. Wollt Ihr hingegen hier bleiben, so will ich am siebenten mit Tagesgrauen aufbrechen, denn dies ist der letzte Termin, daß ich zurück nach Dumbarton muß. Melde ich mich nicht am achten als wieder eingetroffen, so werde ich als Deserteur bestraft und bin entehrt als Soldat und Edelmann.«

»Deines Vaters Fuß war frei wie der Wind auf der Heide,« gab sie zur Antwort, »ihn zu fragen, wohin gehst du, war ebenso müßig, wie diesen unsichtbaren Wolkenverjager zu fragen: weshalb bläst du? Sag mir, da du nun gehen mußt und gehen willst: welche Strafe trifft dich, wenn du in deine Sklaverei nicht zurückkehrst?«

Sprich nicht von Sklaverei, Mutter,« versetzte Hamish, »denn ich tue Dienst als ehrlicher Soldat, und Soldatendienst ist der einzige, der für Mac Tavish Mhors Sohn noch übrig ist.«

»Also sage mir: welche Strafe wartet deiner, wenn du nicht zurückkehrst?« fragte Elspat.

»Man straft mich als Deserteur«, erwiderte Hamish, und seiner Mutter entging der Kampf nicht, der in seinem Gemüte tobte. Sie nahm sich vor, das äußerste zu versuchen.

»Also die Strafe,« sprach sie mit einer Ruhe, die von ihrem blitzenden Auge Lügen gestraft wurde, »die den Hund erwartet, wenn er nicht parieren will? Ist es so, Hamish?«

»Stelle mir keine Fragen mehr, Mutter,« antwortete Hamish, »die Strafe bedeutet dem nichts, der sie nie verdienen wird!«

»Aber mir bedeutet sie was,« sagte Elspat, »denn ich weiß besser als du, daß dort, wo die Macht ist zu strafen, oft auch der Wille nicht fehlt, ohne Grund und Ursache zu strafen. Ich will beten für dich, Hamish, und muß darum wissen, gegen welches Unglück ich zu Ihm flehen muß, daß er dir Jugend und Unschuld bewahre, zu Ihm, der keinen verläßt, über dem niemand mehr wacht.«

»Mutter,« erwiderte Hamish, »sofern ein Mann entschlossen ist, nie in Strafen zu verfallen, so hat es wenig zu sagen, was für Strafen ausgesetzt werden. Unsere hochländischen Häuptlinge haben ihre Vasallen auch bestraft und, wie ich gehört habe, sehr grausam. War es nicht, wie ich von altersher mich erinnere, Lachlan Mac Lane, dem sein Häuptling den Kopf vom Rumpfe schlagen ließ, weil er vor ihm auf einen Hirsch geschossen hatte?«

»Ja.« antwortete Elspat, »und mit Recht ließ der Häuptling ihm den Kopf vor die Füße legen, weil er den Vater des Volkes entehrte angesichts der versammelten Clans. Allein die Häuptlinge des Hochlandes waren edler in ihrem Zorn: sie straften mit der scharfen Klinge und nicht mit dem Stocke. Ihre Strafe war blutig, aber sie brachte keinen Schimpf. Kannst du gleiches sagen von den Gesetzen, unter deren Joch du deinen, freigeborenen Nacken gebeugt hast?«

»Nein, Mutter, ich kann es nicht,« sagte Hamish düster, »selbst mit angesehen habe ich es, wie man einen Sassenach wegen Desertion oder Fahnenflucht, so lautet der Ausdruck im Kriegsgesetz, strafte. Er wurde geschlagen, mit Riemen geschlagen, ich bekenne es, wie ein Hund, der seine herrischen Herren erzürnt hat. Empört hat mich der Anblick, das muß ich sagen, und mir ist schlecht dabei geworden. Aber man straft nur solche wie Hunde, die schlechter sind als Hunde, elende Patrone, die Wort und Treue nicht zu halten wissen.«

»Gleichem Schimpf, Hamish, bist aber auch du ausgesetzt,« erwiderte Elspat, »wenn du was versiehst im Dienst oder deine Offiziere Anstoß an dir nehmen sollten. Ich mag nicht mehr mit dir über den Fall sprechen. Bloß eins sage ich noch: wäre der sechste Tag, von der heutigen Morgensonne ab gerechnet, mein Sterbetag und du verweiltest hier, mir die Augen zuzudrücken, so würdest du gleicherweise Gefahr laufen, an einen Pfahl gebunden und wie ein Hund gepeitscht zu werden? Ja! Sofern du kein Tröpfchen Mut besäßest, mich allein und an einsamem Herde sterben zu lassen, auf daß der letzte Funke von deines Vaters Herdfeuer und deiner Mutter letzter Lebensfunke zusammen verlöschen.«

Hamish schritt, von Ungeduld und Zorn befallen, in der Hütte auf und ab.

»Mutter,« sprach er nach einer Weile, »laß dich nicht durch solche Dinge beirren! Solcher Schande kann ich nicht ausgesetzt sein, denn ich werde mich der Ursache dazu nie schuldig machen, und sollte sie mir doch einmal drohen, dann werde ich, ehe ich mich so entehren lasse, zu sterben wissen.«

»Das spricht der Sohn meines Mannes!« rief Elspat.

Dann gab sie dem Gespräch eine andere Wendung. Es schien, als hörte sie dem Sohn mit stiller Schwermut zu, als er sie nun an die kurze Frist gemahnte, die sie noch miteinander zu verleben hätten, und herzlich bat, sie nicht mit unnützen und unangenehmen Erinnerungen zu vergeuden.


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