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Zwölftes Kapitel.

Hamish Mac Tavish trat wieder in die Hütte der Mutter und warf sich wieder auf das Lager, von dem er eben erst sich erhoben hatte.

Zerknirscht rief er: »Verloren, verloren!« und machte seinem Schmerze über den grausamen Betrug, dessen unglückliches Opfer er geworden, in herzzerreißenden Klagen und Verwünschungen Luft.

Auf solchen ersten Zornesausbruch war Elspat gefaßt.

Sie dachte bei sich: »Was ist es anders, als eine Gießbachsflut, vom Gewitter veranlaßt? Warten wir am Ufer ab! Und wenn es zurzeit auch noch so tobt, so wird es doch nicht lange währen, bis wir trockenen Fußes hinüberkönnen.«

Selbst bei diesem äußersten Schmerze, der ihm die Brust zerriß, bewegten seine Klagen und Vorwürfe sich in den Schranken kindlicher Ehrerbietung, und Elspat hörte alles an, ohne ihm Antwort zu geben. Eist als er die Ausdrücke des Schmerzes, dessen Sprache ja für den von ihm Betroffenen so reich ist, bis auf die Neige erschöpft hatte und in finsteres Schweigen sank, erst dann, nach Verlauf von fast einer Stunde, trat sie an sein Lager.

»Bist du nun zu Ende mit deinen vergeblichen Klagen?« fragte sie mit einer Stimme, die von Mutterwürde und Mutterliebe zugleich erfüllt war, »vermagst du nun, was du gewonnen, dem, was du verloren, gegenüberzustellen? Ist der falsche Sachse von Dermid dein Bruder oder deines Stammes Vater, daß du Tränen vergißt, weil du dich nicht an seine Degenkoppel binden, nicht einer von denen werden kannst, die tun müssen, was er gebeut? Kannst du in jenem fernen Lande die Berge und Seen wiederfinden, die du hier zurücklässest? Kannst du den Breadalbane-Hirsch in Amerikas Wäldern jagen? Gibt dir der Ozean den silberschuppigen Salm des Awe? Erwäge, was du verloren hast, und halte es als weiser Mann dem gegenüber, was du gewonnen.«

»Ich habe alles verloren, Mutter,« antwortete Hamish, »denn ich habe mein Wort gebrochen und meine Ehre geschändet. O, könnte ich mein Schicksal beichten! Aber wem? Wer möchte mir glauben?«

Der unglückliche Jüngling ballte von neuem die Hände, preßte sie an die Stirn und vergrub das Gesicht in den Kissen.

Jetzt geriet Elspat wirklich in Unruhe. Jetzt beschlich sie der Wunsch, den Betrug nicht versucht zu haben. Ihre einzige Hoffnung beruhte noch darauf, daß es ihrer Beredsamkeit gelingen werbe, den Sohn zu überzeugen, daß er nicht alles verloren, sondern alles gewonnen habe; und die Gabe der Beredsamkeit besaß sie auch in nicht geringem Grade, wenn auch ihre völlige Unbekanntschaft mit dem dermaligen Stande der Dinge ihre Kraft lähmte. Mit den zärtlichsten Schmeichelreden, die eine Mutter dem Sohne sagen kann, bat sie ihn, nunmehr auf seine Sicherheit bedacht zu sein.

»Ich will deine Verfolger hintergehen,« sagte sie, »will dein Leben, deine Ehre retten, will ihnen sagen, mein schönlockiger Hamish sei von dem Corrie Dhu in die Tiefe gestürzt, deren Grund noch keines Menschen Auge erblickt hat. Ja, Hamish, das will ich ihnen sagen, und damit sie mir glauben, will ich deinen Plaid auf die Dornen werfen, die am Rande der Schlucht wachsen; glaube mir, Hamish, sie werden es glauben und werden zu der Doppelkuppe des Dun zurückkehren, denn wohl mag die Trommel der Sachsen den Lebenden zum Tode rufen, nicht aber den Toten zu ihrem knechtischen Banner. Dann ziehen wir gen Norden zu den salzigen Seen von Kintail und lassen Berge und Täler zwischen uns und den Söhnen von Dermid. Wir besuchen die Ufer des schwarzen Sees und besuchen all meine Verwandten, denn war nicht meine Mutter eines der Kinder von Kenneth? Und werden sie unser nicht mit der alten Liebe gedenken? Ganz sicher werden meine Verwandten uns mit der Liebe der alten Zeiten aufnehmen, die in jenen fernen Tälern blüht, wo die Gälen noch wohnen in ihrer alten Größe und Herrlichkeit und unvermischt mit den gemeinen Sachsen oder der Bastardbrut ihrer Knechte und Sklaven.«

Die kräftige Sprache, die oft in ihren gewöhnlichsten Ausdrücken in Hyperbeln spricht, schien doch beinahe zu matt, selbst für Elspats überzeugende Beredsamkeit, um das gleißende Bild auszumalen, das sie von dem Lande entwarf, wohin sie mit ihm zu fliehen gedachte.

Auch waren es der Farben nur wenige, mit denen sie ihr hochländisches Paradies malen konnte.

»Die Berge dort,« fuhr sie fort, »sind höher und prächtiger als die in Breadalbane, und der Ben Cruachan ist bloß ein Zwerg gegen den Skoorovra. Die Seen dort sind breiter und tiefer und bergen nicht bloß Fische im Überfluß, sondern auch verhexte Amphibien, von denen wir das Öl zu den Lampen bekommen. Dort sind die Hirsche größer und zahlreicher. Dort wird der Eber mit den weißen Hauern, nach dessen Jagd den tapferen Schotten am meisten gelüstet, in den Öden des Westens noch immer gestellt. Dort sind die Männer edler und Weiser und stärker als die entartete Brut, die unter dem sächsischen Banner lebt. Dort sind die Töchter des Landes voll Liebreiz, mit den blauen Augen und dem schönen Lockenhaar, und aus ihrer Schar, Hamish, will ich für dich ein Weib suchen von tadelloser Abkunft und unbeflecktem Rufe, von treuer und wahrer Liebe, das zur Sommerszeit in unserer Hütte sein soll wie ein Sonnenstrahl, und zur Winterszeit wie die Wärme des Herdfeuers.«

Mit solchen Worten suchte die Mutter ihren trostlosen Sohn zu beruhigen, suchte ihn zu überreden, daß er von dem gefährlichen Orte wiche, an dem er nun zu bleiben entschlossen schien. Ganz so wie sie zu Hamish gesprochen hatte, wenn er als Knabe unwillig oder unfolgsam gewesen war, ganz so sprach sie noch heute zu ihm, und je mehr sie daran verzweifelte, mit ihren Worten ihre Wünsche erfüllt zu sehen, desto lauter, schneller und eindringlicher redete sie.

Aber auf Hamish machten all ihre Worte keinen Eindruck, war ihm doch die wirkliche Beschaffenheit des Landes besser bekannt als ihr, und wußte er doch nur allzu gut, daß es im ganzen Hochlande, wenn sich auch vielleicht in seinen höheren Gebirgsstrichen jemand als Flüchtling eine Weile lang fristen könnte, doch schon lange kein Winkelchen mehr gäbe, wo sich seines Vaters Handwerk noch hätte ausüben lassen, ganz abgesehen davon, daß ein Räuberleben kein Weg mehr zu Ehren und Auszeichnungen sei. Zu dieser Wahrheit hatte Hamish, so niedrig der Stand seiner eigentlichen Bildung war, die Aufklärung der Zeit, in der er lebte, geführt.

Elspat verschwendete mithin all ihre Reden an taube Ohren und erschöpfte sich vergebens in Versuchen, die Gegend, wo die Verwandtschaft seiner Mutter noch heute lebe, ihm in gleißenden Farben und mit schmeichlerischen Worten zu schildern. Stundenlang redete sie, aber immer umsonst, und keine Antwort vermochte sie ihm abzugewinnen außer Tränen, Seufzern und Ausrufungen, äußerster Verzweiflung.

Endlich sprang sie auf. Aus dem ruhigen Tone, in welchem sie das Land gepriesen hatte, wohin sie flüchten wollte, in die kurze rauhe Sprache finsterer Leidenschaft verfallend, rief sie zornig:

»Ich Törin, daß ich meine Worte an einen trägen Burschen von schwächlichem Mut und ärmlichem Verstand verschwende, der sich wie ein Hund vor der Peitsche duckt. Bleib hier und erwarte deine Vögte, sowie deine Züchtigung von ihren Händen! Aber glaube nicht, daß es deiner Mutter Augen mit ansehen werden. Ich könnte es nicht, es wäre mein Tod! Dem Tod sah ich oft ins Auge, niemals aber der Schande. Leb' wohl Hamish! Wir sehen uns niemals wieder!«

Schnell wie ein Kiebitz schoß sie aus der Hütte, im Augenblick vielleicht tatsächlich willens, auf immer von ihrem Sohne zu scheiden. Wer sie diesen Abend getroffen hätte, gleich einem ruhelosen Gespenst durch die Wildnis streifend, im Selbstgespräch mit sich in Ausdrücken, die keine Feder wiedergeben möchte, dem wäre sie ein furchtbarer Anblick gewesen. Stundenlang rannte sie umher, absichtlich die gefahrvollsten Pfade und Steige aufsuchend, statt sie zu vermeiden, durch das Moor auf schwankem Boden, am Rande jäher Abgründe hin, neben reißenden Gießbächen her, und immer hastig, unbedacht; verwegen. Aber der Mut, den ihr Verzweiflung einflößte, rettete ihr das Leben, das sie, wenngleich Selbstmord mit Vorbedacht kein häufiges Verbrechen im Hochlande ist, doch vielleicht abzuschließen suchte. Fest und sicher, wie der Tritt der Gemse, war ihr Tritt auf Schroffen, an Schluchten und neben Strömen, und ihr Blick so scharf, daß sie Gefahren, die kein anderer am hellen Mittag gewahrt hätte, mitten in finsterer Nacht erkannte.

Nicht geradeaus ging sie, sonst wäre sie bald weit entfernt von der Hütte gewesen, in der sie den Sohn zurückgelassen hatte, sondern im Kreise, wie die Häsin um ihr Lager. Denn die Hütte war der Mittelpunkt, um den sich alle Fibern ihres Herzens drehten, und ihr Herz sagte ihr, daß sie sich aus der Nähe dieses Mittelpunktes unmöglich entfernen könne.


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