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Es wurde Abend, ehe Hamish erwachte. Aber im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte war er noch bei weitem nicht. Als Elspat seine wirren Reden vernahm, als sie den unregelmäßigen Pulsschlag fühlte, da befiel die Frau die schrecklichste Angst. Sie bot alles auf, was sie von Arzneien und ärztlichem Wissen irgend anwenden konnte, diese schwere Betäubung von ihrem Sohne zu nehmen, und hatte endlich die Freude, ihn des Nachts abermals in einen tiefen Schlaf sinken zu sehen, der wahrscheinlich die Wirkung des Trankes aufheben würde.
Gegen Sonnenaufgang hörte sie ihn auch aufstehen und laut nach seiner Mütze rufen, die sie mit Absicht versteckt hatte, weil sie besorgte, er möchte während der Nacht munter werden und sich ohne ihr Wissen hinwegbegeben.
»Meine Mütze! Meine Mütze!« rief Hamish, »ich muß aufbrechen. Es wird die höchste Zeit! Euer Trunk, Mutter, war zu gut gemeint! Die Sonne steigt ja schon herauf, aber am nächsten Morgen muß ich die Doppelkuppel vom alten Dun sehen. Meine Mütze, Mutter, meine Mütze! Ich muß fort, muß im Augenblick fort!«
Diese Worte ließen deutlich erkennen, daß der unglückliche Jüngling nicht wußte, daß drei Nächte und ein Tag verstrichen waren, seit er den Becher getrunken hatte, und jetzt hub für Elspat die schlimme und, wie sie recht wohl wußte, gefahrvolle Verpflichtung an, ihn über ihre Tat aufzuklären.
»Verzeih mir, mein Sohn«, sagte sie, auf Hamish zutretend, und nahm seine Hand mit einem Ausdruck, so voller Angst, wie sie ihn vielleicht nicht immer ihrem Manne gegenüber, wenn er finsterer Laune war, gezeigt haben mochte.
»Euch verzeihen, Mutter, und weshalb?« erwiderte Hamish mit Lachen. »Weil Ihr mir einen Trunk reichtet, der zu stark war und den ich heut morgen noch im Kopfe spürte? Oder weil Ihr mir, um mich einen Augenblick länger zu halten, die Mütze verstecktet? Nein, Mutter! Verzeiht Ihr mir, das ist das Richtigere zwischen uns. Gebt mir meine Mütze und laßt geschehen, was sich nicht ungeschehen machen läßt. Gebt mir die Mütze, oder ich gehe ohne sie. Mich soll das gewiß nicht abhalten, habe ich doch jahrelang bloß einen Lederriemen gehabt, das Haar mir aufzubinden! Gebt mir die Mütze, Mutter, oder ich muß barhäuptig gehen, denn länger, hier zu bleiben ist mir unmöglich.«
»Mein Sohn,« Hub Elspat an, ihn fest bei der Hand nehmend, »Geschehenes läßt sich nicht ändern! Könntest du dir vom Adler die Schwingen borgen, so würdest du doch zu spät kommen nach Dun zu dem, was du vorhast, zu früh aber zu dem, was deiner dort wartet. Du meinst, die Sonne zum erstenmal, seit du sie sinken sahst, aufsteigen zu sehen, aber gestern sah sie der Ben Cruachan, während deine Augen dem Lichte verschlossen lagen.« Einen wilden Blick äußersten Schreckens warf Hamish auf die Mutter. Dann faßte er sich schnell und sagte:
»Mutter, ich bin kein Kind, mich durch solche Kniffe von meinem Vorsatz abbringen zu lassen. Lebt wohl, Mutter! Jeder Augenblick wiegt ein Leben auf!«
»Halt ein,« rief sie, »und bleib hier, mein heißgeliebter und schwerbetrogener Sohn! Stürze dich nicht in Verderben und Schande! Dort auf der Straße erblick ich den Priester auf seinem Schimmel. Geh, frag ihn um Wochen- und Monatstag. Er mag entscheiden zwischen dir und mir!«
Schnell wie der Adler flog Hamish den Hang hinauf und trat vor den Geistlichen von Glenorquhy, der so früh auf dem Wege war, um nach Bunawe, einer in Trauer befindlichen Familie zum Troste, zu eilen.
Der wackere Priester war aufs höchste betroffen, einen Hochländer im Tartan und in Waffen vor sich zu sehen, der sich im Zustande wilder Erregtheit seinem Gaul entgegenwarf und mit lallender Stimme nach Wochen- und Monatstag fragte.
»Wäret Ihr gestern gewesen, junger Mann, wo Ihr hättet sein sollen, dann wüßtet Ihr, daß es am Sabbath gewesen wäre und daß wir heut Montag, den zweiten Tag der Woche, haben, und zwar den einundzwanzigsten des Monats!«
»Ist das wahr, Pfarrer?« rief mit dem Ausdruck entsetzlicher Bangigkeit Hamish.
»So wahr,« antwortete der Priester überrascht, »als daß ich gestern in meiner Pfarrkirche das Wort Gottes verkündigte. Junger Mann«, setzte er hinzu, »was fehlt Euch? Seid Ihr krank oder nicht recht bei Verstand?«
Hamish gab keine Antwort, sondern wiederholte bloß mit lallender Stimme die ersten Worte, mit denen der Pfarrer ihm Antwort gegeben hatte:
»Wäret Ihr gestern gewesen, wo Ihr hättet sein sollen–«
Dann stand er eine kurze Weile da, wie von Sinnen, dann ließ er den Zügel des Pferdes fallen und ging den Fußpfad zur Hütte hinab, mit der Miene und im Schritt eines Delinquenten, der zum Hochgericht geführt wird.
Verwundert sah ihm der Geistliche nach, indessen konnte er es nicht über sich gewinnen, den Fuß zur Hütte hinunterzusetzen, denn der Charakter des Weibes, das dort hauste, war ihm wohlbekannt, galt sie doch allgemein als Papistin oder vielmehr als Frau, die gar keine Religion besäße, sondern nur wenige abergläubische Gebräuche, die sich von den Eltern auf sie vererbt hätten.
Mit Hamish hatte Ehrwürden Mr. Thrin dann und wann, bei zufälliger Begegnung, ein Gespräch angeknüpft und recht Wohl erkannt, daß, wenn auch die Saat hier zwischen die Dornen eines wilden und ungezügelten Gemüts fiel, sie doch nicht ganz verloren war. Die Gesichtszüge des Jünglings hatten einen so gräßlichen Ausdruck gezeigt, daß der wackere Mann sich versucht fühlte, zur Hütte hinunterzusteigen und Nachfrage zu halten, ob die Leute etwa Unglück getroffen habe. Vielleicht daß sich ihm Gelegenheit böte zur Tröstung oder anderswie seines Amtes zu walten.
Ein Unstern fügte es, daß diesem Gedanken nicht der Entschluß folgte, denn großes Unglück wäre dann vielleicht verhütet worden, weil der Pfarrer schließlich doch vielleicht hätte vermitteln können. Aber der rauhe Sinn der damaligen Hochländer, deren Erziehung noch der alten Volkssitte gemäß erfolgt war, schreckte ihn davor zurück, sich um das Schicksal von Witwe und Sohn des gefürchteten Räubers Mac Tavish Mhor zu bekümmern, und so ließ er eine Gelegenheit, viel Gutes zu stiften, ungenützt vorbeiziehen, zum Höchsten Schaden, wie er später zu seinem schweren Leidwesen erkannte, eines unseligen Menschenpaares.