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Gegenüber der Westfalenhalle, dem modernen Circus Maximum in Dortmund, ist ein Gebäude errichtet worden, das schon durch seine äußere Gestaltung unter den Bauwerken der »Industriestadt mit dem gutem Bier« imponierend auffällt. Es ist ein flachgedeckter, klargegliederter Gebäudekomplex aus Eisenbeton, mit handgestrichenem Klinkermaterial wirkungsvoll geschmückt, mit großen hohen Glasfronten. Ein moderner Zweckbau mit liebevoll durchkonstruierter Raumgestaltung, bei dem nichts und nichts gespart wurde – das arbeitsphysiologische Institut in Dortmund.
Die Stadt Dortmund hat sich da als wirklich großzügige Hausherrin erwiesen und hat dieses respektable Haus gebaut, um der Arbeitsphysiologie im Mittelpunkt der deutschen Schwerindustrie eine taugliche Arbeitsstätte zu geben. Das Institut ist eine Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft und war früher in sehr unzulänglichen Mieträumen in Berlin untergebracht.
Die Arbeitsphysiologie ist eine moderne und junge Wissenschaft. Die wissenschaftliche Analysierung und Erfassung der menschlichen Arbeitsleistung ist ihr Ziel. Ihre Forschungsmethode stützt sich auf Experimente und Untersuchungen, zu deren Durchführung es geräumiger Werkstätten und Laboratorien bedarf.
Worum geht es nun eigentlich in diesem wissenschaftlichen Institut? Wir leben im Zeitalter der Technisierung und Maschinisierung der Naturkräfte. Was liegt da näher und was könnte nützlicher sein, als zwischen dem Menschen – immer noch die wichtigste Naturkraft im Produktionsprozeß – und seinen neuen Arbeitstechniken und Arbeitsbedingungen ein bewußtes und möglichst günstiges Verhältnis herzustellen? Die menschliche Arbeitsleistung ist so zu technisieren, daß auch der menschliche Motor bei geringster Abnutzung die größte Wirkung erzielen kann. Auch hierin ist der Kapitalismus der Vorarbeiter für eine höhere Wirtschaftsform; und ebenso wie er gezwungen ist, unaufhörlich seinen eigenen Totengräber, das Proletariat, zu produzieren, so drängt ihn seine eigene Entwicklung auch zur Akzeptierung und Praktizierung wissenschaftlicher Theorien, die seinem eigentlichen Wesen und Wollen widersprechen. Daß sich dabei nur ein höchst unvollkommener und spiegelfechterischer Kompromiß zwischen kapitalistischer Wahrheit und wissenschaftlicher Theorie ergibt, kann weiter nicht wundernehmen.
Die Steigerung des Arbeitsertrages durch Intensivierung der Produktion ist in der gegenwärtigen Entwicklungsphase des Kapitalismus, der in den europäischen Industriestaaten seine extensive Periode hinter sich gelassen hat und immer mehr Monopolkapitalismus wird, eine Frage um Leben und Sterben des ganzen Wirtschaftssystems. Verbesserungen der Maschinen und der Betriebsorganisation allein schaffen es nicht, und selbst die Lieblingsmethode der Expropriateure, der Lohnabbau, erweist sich als ungenügend.
Denn der lebende Mensch aus Fleisch und Blut, ein denkendes und beseeltes Wesen, steht immer noch in den Brennpunkten aller Produktionsgänge. Die Schnelligkeit und Sicherheit der menschlichen Handgriffe regeln den Ablauf der maschinellen Arbeit. Auch im modernsten Maschinensaal obliegen die differenziertesten Teile des Fabrikationsprozesses der menschlichen Arbeitskraft. Diese Arbeitskraft muß geschult werden und ist darum sogar vom Standpunkt des Unternehmers einer gewissen Pflege und Schonung wert. Lohnabbau ist, wie die Dinge heute liegen, kein Universalmittel zur Lösung der Probleme, die sich durch die Notwendigkeit der Verwendung hochgraduierter menschlicher Arbeitskraft ergeben.
Das Ideal des Unternehmers, maximale Arbeitsleistung für minimalen Lohn, paßt nur in eine extensive Wirtschaft, wo es, vor allem in Kolonialländern, auch heute noch die unerschrockensten (vor keiner Bestialität zurückschreckenden) Vorkämpfer hat. Die Führer einer intensiven Wirtschaft müssen sich, mehr oder weniger gern, an andere Blickpunkte bei der Betrachtung ihrer Lohnarbeiter gewöhnen. Auch sie müssen der Vernunft und der Entwicklung der Technik Rechnung tragen und sich mit dem Optimum der menschlichen Leistung zufrieden geben, wenn die Entwicklung und die bösen Kapitalfeinde sie verhindern, das Maximum aus ihren menschlichen Motoren herauszupressen.
Dieses Optimum festzustellen und zu erforschen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Arbeitsphysiologie. Professor Dr. Atzler, der Leiter des Dortmunder Instituts, definiert das wie folgt:
»Während Taylor, ohne jede genaue Kenntnis des menschlichen Organismus, Maximalleistungen zu erpressen sucht, verlangen wir, im Gegensatz hierzu, Optimalleistungen. Der Arbeitsvorgang muß so gestaltet werden, daß er der Eigenart des menschlichen Motors angepaßt ist. Das ist dann der Fall, wenn nicht auf dem kürzesten, sondern auf dem bequemsten Wege Maximalleistungen erreicht werden. Hier liegt also eine Aufgabe vor, die nicht der Ingenieur, sondern nur der Physiologe zu lösen vermag.«
Der Physiologe ist nun in erster Linie auf das Experiment angewiesen, und der Bau in Dortmund ist für Experimente solcher Art ganz besonders fürsorglich und großzügig eingerichtet worden. Hier hat man wirklich alles getan, um durch erfindungsreiche Ausnutzung der bautechnischen Möglichkeiten Forschungsräume entstehen zu lassen, in denen sich die Fachleute einer neuen Wissenschaft mit den physiologischen, pathologischen und hygienischen Fragen der körperlichen und geistigen Arbeit so zu beschäftigen vermögen, daß ihre Forschungsergebnisse als praktisch realisierbare Formeln und Zahlen der Öffentlichkeit übergeben werden können.
Es ist immerhin eine gewisse Beruhigung, daß im Arbeitsphysiologischen Institut Wissenschaftler arbeiten, deren Forschungsergebnisse wenigstens nicht unmittelbar der Zensur der Industrie ausgesetzt sind. Während das von der Industrie unterhaltene Institut für technische Arbeitsschulung in Düsseldorf ausschließlich den Interessen der Unternehmer dient, handelt es sich beim Institut für Arbeitsphysiologie um eine im Dienst der Allgemeinheit und unter Kontrolle öffentlicher Körperschaften stehende Einrichtung.
Das kommt schon in der grundsätzlichen Stellungnahme der Arbeitsphysiologen zu den Fragen der Rationalisierung der menschlichen Leistung zum Ausdruck.
Rationalisierung heißt wörtlich ins Deutsche übersetzt: Vernünftigmachung. Auf die Praxis der Industrie ist leider die Verdeutschung des vielgebrauchten Fremdwortes nur selten anwendbar. Immerhin äußert sich eine populäre Broschüre des Instituts für Arbeitsphysiologie sehr eindeutig und klar zu dem, was die Rationalisierung sein sollte:
»Nicht jede Mehrleistung, nicht jede Erhöhung der Produktion bedeutet Rationalisierung. Wird die Mehrleistung durch erhöhten Einsatz an Arbeitskraft, durch bloße Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit oder durch Verlängerung der Arbeitszeit erzielt, so handelt es sich um eine Intensivierung der Arbeit, welche die Gefahr einer Ausbeutung des Arbeiters mit sich bringt. Man kann erst dann von einer Rationalisierung der Arbeit sprechen, wenn der Kraftverbrauch für eine Arbeit sich mindert, oder wenn bei gleichbleibendem Energieverbrauch der Effekt einer Arbeit sich erhöht.«
Diese Erklärung ist immerhin so programmatisch und richtungsweisend für die Strebungen der Arbeitsphysiologie, daß ein nach solchen Maximen in unabhängiger wissenschaftlicher Forschung arbeitendes Institut den nur auf Ausbeutung der Lohnarbeit fußenden industriellen Kreisen nicht willkommen sein kann. Jene Institute, die sich, zwar auch mit einigen wissenschaftlichem Gehabe, mit der Psychologie des arbeitenden Menschen beschäftigen, sind den erwähnten Kreisen erwünschter. Deren Arbeit gilt der Herausbildung einer neuen Ideologie: die Werkgemeinschaft, der Arbeitsfrieden soll in der Masse verwurzelt werden. Man bemüht sich um die Züchtung eines wendigen Facharbeitertyps, der für mäßigen Lohn zu hoher Arbeitsleistung tauglich und bereit ist, dessen Produktionsbereitschaft von keinerlei klassenbewußtem Kampfgedanken eingedämmt wird. Die Seelen bewirtschaften, das ist gewinnbringender, als sich um die Körper zu kümmern. Kümmert man sich um den Körper des Arbeiters, da taucht gleich so eine peinliche Menge peinlicher Fragen auf, wie Sterblichkeitsziffern und Berufskrankheiten und Ermüdungsreste. Da hat man sich, zum Beispiel, in Dortmund – sehr fürwitzigerweise – mit der Gefahr der Ertaubung beschäftigt, die den Arbeiter am Preßlufthammer bedroht. Derlei Untersuchungen sehen die Unternehmer nicht gerne. Solch unangenehme Präzision kann dem Seelenforscher nicht passieren.
Kein Wunder, daß so selbständige Lebensäußerungen einer Wissenschaft die Schwerindustrie beunruhigen. Es paßt ihr durchaus nicht in die Rechnung, sich im Ausbeutungsprozeß medizinische Erkenntnisbarrieren errichten zu lassen, vor denen die Arbeiterschaft und ihre Vertreter bei Beratungen über Leistungssteigerung dann störrisch stehenbleiben.
Als Sachwalter der kapitalistischen Interessen rüffelte die »Deutsche Bergwerkszeitung« schon am 30. Juni 1927: »Wir brauchen wohl nicht zu betonen, daß wir das Zusammengehen beider Bestrebungen« (es sind die psychologisch-technischen Erziehungsversuche der Industrie und die wissenschaftlich-arbeitsphysiologische Forschung gemeint) »für absolut notwendig halten, da die rein einseitige Anwendung der Naturwissenschaft auf den Menschen, seinem Wesen, besonders in den Zusammenhängen der Betriebsarbeit, nicht gerecht wird.«
Wenn die Industrie an die Seele denkt, weiß man, was gemeint ist. Und welche Rolle der Kapitalismus der Wissenschaft zudenkt, ist mit ihrer »Beseelung« auch eindeutig bestimmt. Beseelen heißt mit bürgerlicher Idealität erfüllen. Und das wichtigste Kennzeichen bürgerlicher Ideale ist die ihnen eingeborene Verlogenheit.
Welches Motiv könnte das Kapital dafür haben, Arbeitsgänge zu methodisieren? Sicherlich nicht das, dem Arbeitenden zu nützen. Die Arbeitsphysiologie muß aber, zumindest theoretisch, von diesem Punkt aus an ihre Arbeit herangehen. Das Leitmotiv ihrer Forschung ist: Wie muß die Arbeitsmethode gestaltet werden, daß bei dem gleichen oder einem verringerten Energieaufwand ein gleicher oder erhöhter Nutzen erzielt wird, ohne daß der menschliche Motor für die Zukunft durch den verbleibenden Ermüdungsrest geschwächt und vorzeitig unbrauchbar gemacht wird?
Die Arbeitsphysiologie ist als wissenschaftliche Doktrin noch so neu, daß es unmöglich ist, heute schon Abschließendes über sie zu sagen. Und auch am Arbeitsphysiologischen Institut in Dortmund weiß man, daß die ganze Institutsarbeit noch am Anfang des Anfangs steht, denn noch nicht einmal alle die Wege, die heute schon dem Forscher klar vor Augen liegen, sind beschritten, geschweige denn zu Ende gegangen worden.
Immerhin ist man mit weitläufigen Experimenten jetzt schon dahin gelangt, einige der wichtigsten Arbeitsgänge in ihre Elemente zu zerlegen, ihre Wirkungsgrade, den zu den Haupt- und Nebenbewegungen nötigen Energieaufwand und die verschiedenen Ermüdungsquotienten zu messen. Man hat, um eine auf allen körperlichen Energieaufwand anwendbare Maßeinheit zu finden, den Gaswechsel – die Art der Atmung – und die Bewegungskurven der Arbeitenden in ihrem gegenseitigen Verhältnis mit unendlich komplizierten Apparaten registriert und immer wieder registriert, bis man zu Resultaten kam, die sich so einfach anhören, wie die Feststellung, daß die optimale Drehgeschwindigkeit einer Kurbel selbst bei großen Variationen der Belastung und der Kurbellänge einheitlich zwischen 30 und 35 Umdrehungen in der Minute liegt.
Bei einem Gang durch das Institut sieht man allerlei geheimnisvolle und interessante Dinge. Männer und Frauen arbeiten an seltsam geformten Apparaten, in der strahlenden Wärme vieler großer elektrischer Heizsonnen, die die Temperatur herstellen, die zum Beispiel in einem Kesselhaus herrscht. Sie haben einen dicken Schlauch vor dem Mund und eine Klammer auf der Nase. Der Schlauch führt zu einem Gummisack, den sie auf dem Rücken tragen. Dort wird die während der Verrichtung einer bestimmten Arbeitsmenge ausgeatmete Luft gesammelt. Arbeit mit dem Respirationsapparat nennt sich die ganze Prozedur. Die im Sack gesammelte Luft wird dann in dem Gas-Analysierraum, der im Erdgeschoß des Instituts neben dem chemischen Laboratorium untergebracht ist, genau gewogen und untersucht; das ergibt Vergleichsmöglichkeiten für den verschiedenen Grad der Anstrengung, der Ermüdung und der Erholungsfähigkeit. Im Keller dröhnt und bollert ein Preßlufthammer. Die Experimentenkette, die das fürchterliche Schicksal der Ertaubung von dem mit dem Preßlufthammer arbeitenden Proletarier fernhalten soll, konnte leider noch längst nicht mit einem günstigen Ergebnis abgeschlossen werden.
Man hat im arbeitsphysiologischen Institut auch für die Feststellung der individuellen Arbeitseignung bereits eine Menge Methoden ausprobiert und in Gebrauch genommen. Die psychologische Eignungsprüfung allein, selbst wenn ihre Ergebnisse unbedingt stichhaltig wären, genügt nicht, um die Eignung eines Menschen für gewisse Berufe mit einiger Aussicht auf Stichhaltigkeit festzustellen. Was nützt es, die geistige Auffassungsfähigkeit eines Prüflings zu untersuchen, an Hand seiner Reaktion auf verschiedene Eindrücke zu wissen, dieser Mensch verfügt über die nötigen Verstandes- und Nervenkräfte, den fraglichen Posten auszufüllen, wenn man nicht untersucht, ob er auch körperlich für diesen Posten geeignet ist?
Unter anderm wird im arbeitsphysiologischen Institut zur Prüfung der körperlichen Eignung ein Apparat verwendet, mit dem man aufs genaueste die Veränderungen des Volumens der Beine zu messen vermag. Damit man erkennen kann, ob die Blutgefäße der untern Extremitäten genügend Spannkraft haben und auf längeres Stehen nicht mit Blutüberfüllung reagieren. Schließlich helfen auch noch so fixe Geistesgegenwart und rege Auffassungsgabe einem Straßenbahn- oder Lokomotivführer nichts, wenn seine schlecht funktionierenden Beingefäße beim Stehen durch Stauung des Blutes in den Beinen eine Blutleere im Gehirn und damit Neigung zu Ohnmachten herbeiführen.
Die Ausarbeitung weiterer Methoden für Prüfungen der verschiedenen Arbeitseignungen bleibt neben der Systematisierung und Aufhellung anderer Probleme (Arbeitskleidung, Ernährung, das Verhältnis der Ermüdungswerte zu den Arbeitspausen u. a. m.) eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben des Instituts für die nächste Zukunft.
Die Arbeitsbedingungen des schaffenden Menschen zu durchforschen, um sie ihm zu erleichtern, um sie seinem Organismus, seinem Rhythmus, seiner Kräftewirtschaft anzupassen, das ist eine Aufgabe für die Wissenschaft, die den Einsatz höchsten Forscherfleißes wahrhaft wert ist.
Der Besucher verläßt das schöne Haus mit dem Gefühl, daß von dieser Stätte wissenschaftlicher Forschungsarbeit die Antwort auf eine Unmenge wichtigster Fragen zu erwarten ist, die vor ein paar Jahren noch als einer wissenschaftlichen Bemühung für unwert gegolten haben, die aber, ein planvolles Wirtschaftssystem vorausgesetzt, zu den Selbst-Verständlichkeiten jeder Betriebsführung gehören werden.
Noch ist in diesen Sälen und Hallen, medizinischen, chemischen und physikalischen Laboratorien, Verwaltungs- und Direktionsräumen, Registraturen und Maschinenhäusern nicht die beschauliche Ruhe eines sicher eingefahrenen zielschauenden Betriebes eingetreten. Man versucht noch ständig Neuerungen, spaltet neue Abteilungen ab, läßt beschrittene Wege liegen, um andere einzuschlagen. Daß dieses Tasten nicht mit Richtungslosigkeit gleichbedeutend ist, beweist schon der Bau selbst, der so konstruiert ist, daß sich jederzeit durch Versetzen leichtbeweglicher Zwischenräume Platz für neue Abteilungen und Apparaturen schaffen läßt.
Aber die Wissenschaft hat sich schon so oft und so eindeutig zum Einpeitscher der herrschenden Klasse heruntergewürdigt, daß ein gewisses Mißtrauen der Arbeiterkreise auch gegen die Arbeitsphysiologie nur zu gut zu verstehen ist. Schließlich wird doch auf dem Buckel des Arbeiters alles abgeladen, was die andern nicht schleppen mögen, und immer ist er es, der die Rechnung für das bezahlen muß, was dem Aktionär rationell erscheint. Wird in dem glatten Zweckbau mit den spiegelnden Fronten ein neuer Feind der Schaffenden erstehen, oder wird die Arbeitsphysiologie sich als unbestechliche und gerechte Wissenschaft erweisen?
Natürlich ist auch schon heute die Fama nicht untätig geblieben. Um das schöne Gebäude gegenüber der Westfalenhalle haben sich bereits Geschichten gebildet, die zeigen, wie unheimlich und weltenfern die Methoden der wissenschaftlichen Forschung dem Volksempfinden auch noch in unserer Zeit geblieben sind.
Ich unterhielt mich mit einem alten Funktionär der Arbeiterbewegung, dessen Vorstellung vom Institut für Arbeitsphysiologie sich in dem spiegelte, was er mir beinahe scheu zuflüsterte:
»Was die da oben machen?« sagte er; »Junge, da wirst du staunen! Die jagen einen Rüern durch ein Tretrad.« (Rüer ist der Lokalausdruck für Hund. Das Institut arbeitet nämlich auch mit Tierexperimenten.) »Und hetzen und jagen ihn, wie verrückt, und dann schneiden sie ihm das zuckende Herz heraus. Da wissen sie dann, was ein Rüern aushalten kann. Am liebsten würden sie ja doch einen erwerbslosen Kumpel schlachten, um mal nachzugucken, was ein Mensch aushalten kann.«
In die Stimme dieses einzelnen ist zusammengeflossen, was sich an Mißtrauen gegen akademische Forschung und Heilkunde im Volke angesammelt hat. Auch die Medizin ist ja eine Wissenschaft, und doch wie weit ist sie – nicht nur bei Schwangerschaftsunterbrechungen – von der sozialen Indikation entfernt; wie sehr tragen ihre Vertreter – nicht nur als beamtete Vertrauensärzte – im Dienste der herrschenden Klasse den Klassenunterschied in die Heilkunde.
Die junge Wissenschaft der Arbeitsphysiologie hat es in ihrer eigenen Hand, die Bedenken des Volkes zu zerstreuen.