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Zwey und dreyssigstes Kapitel.

Diejenigen Leser und Leserinnen dieser Geschichte, die sich mit Recht oder Unrecht auf ihre feinen Nasen etwas zu guthe thun, werden itzt den Ausgang schon fest bey den Haaren zu halten glauben. »Spitzbarts Leben und Tod hängt itzt von einem einzigen grossen Aerger ab; Dieser findet sich in seiner Situation sehr bald, er darf sich nur von neuem in Schulsachen mischen; Ergo können wir den Rest überschlagen, neues kann er doch nichts enthalten!«

Es thut mir herzlich leid, daß meine Leser dismal keine Gelegenheit haben sollen, sich über ihren Scharfsinn zu kitzeln. Die Launen der Dame Fortuna sind oft so gar sonderlich und original, daß selbst ein Tiresias sich daran zu schanden rathen würde!

An eben dem Fenster, an dem der Herr Direktor sein Söhnlein zu seinem Todesschreken herbeykutschirt kommen sah: An eben demselben Fenster erblickte er einige Tage nach seiner völligen Genesung abermal eine Kutsche, die grade auf sein Haus zulenkte. Die Kutsche war mit sechs Postpferden bespannt und zwey Postillions bliesen im Duetto: Als ich auf meiner Bleiche etc. Auf dem Bocke sassen zwey Bediente und alles kündigte einen vornehmen und ausländischen Reisenden an. Das ganze Spitzbartische Haus rannte an die Thür und der Fremde, ein junger, schöner, feuriger Herr, wendete sich gerade an den Herrn Direktor und fragte: Ob er der berühmte Verfasser von dem Ideal einer vollkommenen Schule sey! Spitzbart, man kan leicht denken, mit welcher selbstgefälligen Mine, versicherte Ja. »Nun so hab ich die Ehre, erwiederte der Fremde, mich ihnen als Schüler vorzustellen! Ich bin der Graf Brsezkoy aus Rußland; Ich gehe auf Reisen, möchte aber gern vorher von Ihrem vortreflichen Unterrichte profitiren. Haben Sie die Güte, mich in Ihrem Hause und an Ihrem Tische aufzunehmen!«

Es würde ein hübsches Stückchen Arbeit seyn, das freudige Erstaunen des Herrn Direktors und seiner Frau Gemahlin und Mamsell Tochter nach dem Leben zu schildern. Ich begnüge mich also, es bloß anzuzeigen und will dafür kürzlich Meldung thun, wie und auf was Art unser Held zu einer so unerwarteten Ehre kam.

Der alte Graf Brsezkoy, ein sehr reicher Herr, hatte im vorigen deutschen Kriege gegen den König von Preußen gedient und nach dem Friedensschlusse seinen Abschied genommen. Er heyrathete und seine Gemahlin schenkte ihm diesen einzigen Sohn, dessen Geburt ihr das Leben kostete. Der Vater ließ das Kind mit der äussersten Sorgfalt und Zärtlichkeit erziehen, und da er auf deutschem Grund und Boden auch eine Neigung für deutsche Erziehung und Literratur eingesogen hatte, so verschrieb er sich für seinen Sohn einen deutschen Hofmeister, der auch wirklich den Knaben in seinem 14ten Jahre schon so weit gebracht hatte, als gewöhnlich Jünglinge von 18 bis 19 Jahren nicht sind. Um diese Zeit war der Hofmeister befördert und der Vater glaubte nichts bessres mit ihm anfangen zu können, als daß er ihn eine Reise nach Deutschland thun liesse. Auf dieser Reise sollte der junge Graf seine Studia vor wie nach fortsetzen und der Vater hatte ihm zu Ende eine Instruktion aufgesetzt, in welchen Städten und bey welchen Männern er vorzüglich lernen sollte. Nun waren auch einige Exemplare von Spitzbarts Ideale, durch den Buchhändler Hartknoch in Riga, nach Rußland verschlagen worden und der alte Graf hatte eins davon erhalten. Einem Manne wie ihm war es wohl am ersten zu verzeihen, daß er sich durch diesen glänzenden Irrwisch verführen ließ und daß er Rübenhausen und den Herrn Inspektor Spitzbart in seiner Instruktion obenan setzte. Der junge Graf war auch wirklich in Rübenhausen gewesen: Da er aber unsern Helden nicht dort gefunden, war er hieher nach Arlesheim geeilt.

Es ist so was unerhörtes eben nicht, daß ein einziger Mann oder eine einzige Frau eine ganze Stadt verwirrt, vollends wenn die Stadt nicht viel über 10000 Menschen hat: Daß aber unser junger Graf die Stadt Arlesheim verwirrte und ihr ganzes bisheriges System um und um warf, das ist nicht nur nicht unerhört, sondern es würde umgekehrt, unerhört seyn, wenn es nicht geschehen wäre. Die unserm Helden vorher so aufsätzigen Bürger waren itzt seine gehorsamsten und ergebensten Diener und brachten reichlich Gaben und Geschenke, damit er ihnen von seinem Grafen recht viel Rubel zuwenden möchte. Nicht nur Heineccius, sondern mehrere Senatoren (Mirus allein ausgenommen) kützelten sich nicht wenig über den Glanz, den ein Russischer Graf ihrer Schule verschaffte und ermangelten nicht, dem Herrn Direktor dafür den verdienten Weihrauch zu opfern. Die allergrößte Revolution aber gieng in der Familie des Herrn Direktors selbst vor. Er selbst bestätigte, als ein ehemaliger Diener des Wortes Gottes, die Wahrheit des biblischen Ausspruchs: Das menschliche Herz ist ein trotzig und verzagt Ding, wer kann es ergründen! So mürb ihn vorher sein Unglück gemacht hatte, so stolz und eitel machte ihn itzt wieder sein Glück. Nur um die ihm anvertraute Schule bekümmerte er sich itzt gar nicht mehr: Denn sein ganzes Dichten und Trachten war bloß auf den Privatunterricht seines Grafens gerichtet, dem er täglich eine Stunde gab. Die Frau Direktorn ihrerseits hatte die schweren Küchen- und Wirthschaftssorgen auf sich und kam fast keinen Vormittag vor allem Kochen und Braten und Schlachten und Spicken und Backen zu sich selber! Und was Fiekchen anbetrift – Dazu gehörte wohl billig ein eignes Kapitel.


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