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Funfzehntes Kapitel.

Den Morgen Vormittag erschienen denn in Mirus Hause, auf vorhergegangene höflichste Einladung, die sämtlichen Herren des Senats, den Herrn Stadtdirektor selbst ausgenommen. Der gefragte Wein war nun verraucht und folglich das größte Hindernis gehoben, was unserm Prokonsul hätte im Wege stehen können. Ohne Umschweife schritt er sogleich zur Sache und redete seine Kollegen folgendermassen an:

Meine Herren

Ich habe mir die Freyheit genommen, Sie auf ein Viertelstündchen zu mir einzuladen, in der Absicht, mich mit Ihnen über eine Sache zu berathschlagen, bey der nicht bloß unsre Ehre im Spiele steht, sondern die selbst das edelste Gefühl des Menschen, das Gewissen interessirt. Stuppani ist todt, und warum sollte ich es nicht laut sagen, was wir doch gewiß alle denken, daß sein Tod für unsere Schule eine wahre, wesentliche Wohlthat ist. Wohlthat ist, sagte ich? Nein, Wohlthat werden kann, will ich sagen; Durch uns werden kann. Uns, meine Herren, liegt es itzt ob, seinen Posten mit dem würdigten Subjekte zu besetzen; unser Gymnasium, dessen Pfleger wir sind, an dem unsre eignen Kinder zur Ehre Gottes und zum Wohl des Staates gebildet werden sollen, fodert uns feierlich auf, einen Mann zu wählen, der den Namen eines Direktors desselben in der That und Wahrheit verdient. Lassen Sie sich denn gefallen, meine Herren, mit mir über eine doppelte Frage kürzlich nachzudenken: Was für Eigenschaften des Geistes und des Herzens wollen und können wir von einem künftigen Direktor unsers Gymnasiums verlangen? Und wo finden wir den Mann, der diese Eigenschaften des Geistes und des Herzens in sich vereiniget?

So sehr ich das Genie ehre, so hoch ich tiefe Denker und scharfsinnige Erfinder schätze, so kann ich doch nach meiner besten Einsicht nicht anders als von ganzem Herzen wünschen, daß unser künftiger Direktor ja kein Genie seyn möge. Das Genie ist ein schlimmer Nachbar, sagt ein berühmter Schriftsteller: Ich setze hinzu, ein noch schlimmerer Direktor! Um wohl zu regieren, muß man nicht nur die Kunst verstehen, sich zu weit geringern Talenten und Fähigkeiten herabzulassen, als man selbst besitzt: sondern man muß sich auch mit tausend Kleinigkeiten abgeben können und gewissermassen ein Bagatellenkrämer werden. Oft stokt eine Maschine bloß darum, weil hier ein wenig Staub sitzt, dort ein Zahn fehlt, da einer verrostet ist: Der Meister der Maschine muß es sich nicht verdriessen lassen, den Staub abzuwischen, den fehlenden Zahn einzusetzen und den verrosteten abzuputzen. Das Genie aber verschmäht gewöhnlich alles, was Kleinigkeit heißt: Den Blick zum Himmel gerichtet, sieht es nicht und mag es nicht sehen, was unter seinen Füssen vorgeht. Genies gehen überdem gemeiniglich in allem, was sie thun, gar zu rasch und hastig zu Werke. Wo höchstens eine grosse Reparatur nöthig wäre, reissen sie sogleich alles von Grund aus nieder, unbekümmert, ob ihr ganzes Leben hinreichen wird, den neuen Bau auszuführen. Nun ist es uns aber nicht um ein prächtiges Gebäude zu thun, das vielleicht in hundert Jahren fertig steht, da wir uns unterdessen bis dahin kläglich und armselig behelfen müssen: Sondern wir wollen bloß ein gesundes, reinliches und dauerhaftes Haus, das itzt schon wohnbar ist und nicht erst in der fernen Zukunft werden soll! Dieses werden wir demnach wohl nicht bey einem Genie verdingen müssen, sondern nur bey einem verständigen, erfahrnen und geduldigen Werkmeister, der statt grosse neue Anlagen zu machen, bloß das Alte ausflickt und jede Ritze, die er bemerkt, sorgfältig verklebt. Unser künftiger Direktor vereinigt eigentlich zwey Aemter in sich; Einmal ist er selbst Lehrer, und dann Aufseher und Censor aller übrigen Lehrer. Nie hab ich an diese vortrefliche Einrichtung unsrer Vorfahren denken können, ohne ihre Weisheit und tiefe Einsicht zu bewundern! Es ist allgemein, daß sich niemand gern meistern und zurecht weisen läßt, ausser von dem, der zu seinem Handwerke gehört. Daher verachten Schriftsteller die Urtheile solcher Kunstrichter aufs äusserste, die nie selbst etwas kluges geschrieben haben; Daher verschmäht ein Schulmann den geistlichen Scholarchen, der, ohne auf dem Katheder zu stehen, vom Katheder urtheilen will. Diesem Uebel, das furchtbar in seinen Folgen ist, ist auf unsrer Schule glücklich vorgebeugt; Unser jedesmaliger Direktor muß selbst Lehrer seyn, muß sich gleichsam dadurch erst das Recht erwerben, über die andern Lehrer zu gebieten, daß er unter ihnen allen der Meister vom Stuhl ist. Daher aber auch von unsrer Seite die heiligste Obliegenheit, dahin zu sehen, daß unser künftiger Direktor ein tüchtiger Lehrer sey, vor dem alle übrigen gern und willig die Segel streichen und es innig fühlen, daß sie an Lehrgaben weit unter ihm stehen. Er kann das um so eher, da es seiner Wahl überlassen ist, welche und wie viel Lektionen er nehmen will: Aber diese wenigen Lektionen müssen denn auch so meisterhaft seyn, daß sie allen andern zum Vorbilde dienen können. Was die Direktion selbst anbetrifft, so dünkt mich, gehört dazu eine komplette Uebersicht aller Schulwissenschaften, besonders aber eine recht gründliche Einsicht, wie eine jede derselben am besten und glücklichsten zu betreiben ist. Der Mann braucht darum kein Polyhistor zu seyn, aber freilich muß er sehr viel wissen, um einen jeden Lehrer in das rechte Gleis zu weisen, um aus der Sündfluth von Büchern die nützlichsten und lehrreichsten auszuheben, die beym Unterrichte zu gebrauchen stehen, um in jeder Verlegenheit guten Rath ertheilen zu können. So viel dis auch schon gefodert ist, so wenig ist es doch, in Betrachtung dessen, was noch übrig ist. Es ist herzlich leicht gesagt: So solls seyn! So muß es seyn! Aber alle Befehle und Vorschriften sind nicht im Stande, Gutes in den Menschen zu erzwingen. Dazu gehört ein Zwang, der vom körperlichen Zwange unendlich weit entfernt ist! Vorstellungen, Bitten, Ernst, Drohung, alles muß nach Verschiedenheit der Subjekte angewandt werden, um die Lehrer auf den Punkt hinzubringen, wo man sie haben will. Der Träge muß angespornt, der Hitzige gezäumt werden; Der Schwülstige muß mit Sanftmuth gelenkt werden, daß er sich herabstimmt und der Konfusionarius allmählich Ordnung lernen. Wie viel Kenntniß der Gemüther gehört dazu, wie viel Geduld, welch ein festes Ansehn und welche unerschütterliche Standhaftigkeit! Wo wollen wir einen Mann von allen diesen Eigenschaften antreffen? Werden wir ihn nicht vielleicht ganz vergebens suchen und uns folglich aus Verzweifelung entschliessen müssen, die Schule ihren alten Gang fortgehen zu lassen, den sie so lang unter Stuppani gegangen ist?

Ich für mein Theil denke nein; Ja ich getraue mir sogar einen Mann zu nennen, der nicht nur alle die angezeigten Eigenschaften in reicher Maasse besitzt, sondern überdem noch eine von unschätzbarem Werthe, die kein andrer ausser ihm hat noch haben kann. Der Mann, den ich meine, kennt bereits seit langen Jahren alle Fehler und Schwächen unsrer Schule auf ein Haar; Er ist einem Arzte gleich, der seinen Patienten schon gänzlich ausstudirt hat und um so leichter im Stande ist, ihm zu helfen. Und wer anders könnte dieser Mann seyn, als unser würdiger Rektor Herz? Ich geb es gern zu, daß ich mit günstigern Vorurtheilen für ihn eingenommen bin, als Sie, meine Herren: Aber diese Vorurtheile rühren nicht aus einer blinden, thörichten Neigung her, zu der ich nicht fähig bin, sondern aus der innigen Bekanntschaft mit dem, was in dem Manne steckt und was sich sogleich entwickeln wird, sobald wir ihn ans Ruder stellen. Von seiner Gelehrsamkeit und von seinen Talenten für den Katheder sind Sie selbst oft Zeuge gewesen, und noch kräftigere Zeugen davon sind eine Menge geschickter und gesitteter Schüler, die er gezogen und die zum Theil schon in ansehnlichen Aemtern für das Vaterland Frucht bringen. Und welche herrlichere Anlage zum Direktor einer Schule liesse sich wohl denken, als sein von Natur ernsthafter und gesetzter Charakter, sein scharfer Beobachtungsgeist, seine Behutsamkeit bey jedem Schritt, den er thut, sein anhaltender Eifer in allem, was er unternimmt und sein bereits feststehendes Ansehn bey allen Lehrern? Bis itzt hat er sich bloß als Lehrer gezeigt und zeigen können: Aber man gebe ihm Raum, und wir werden bald mehr sehen. Von Nebenbetrachtungen schweig ich gänzlich, daß die Bürgerschaft mit jedem andern neuen Direktor äusserst unzufrieden seyn wird, oder daß wir vielleicht in Gefahr stehen, unsern Herz ganz zu verliehren, wenn wir ihn übergehen. Solcher Betrachtungen braucht es hier nicht. Die Sache spricht für sich selbst und wir sollten dem Himmel herzlich dafür danken, daß er es uns dismal so leicht macht, unsre Pflicht als Patronen der Schule zu erfüllen.

Aber ein mächtiges Hindernis liegt unserm wackern Herz im Wege! Ein unbekannter Mann, deß Geist und Sitte wir alle nicht kennen, schreibt ein Buch von Schulen, das für mächtig schön ausgegeben wird, und um dieses Buches willen soll kein besserer Direktor auf dem weiten Erdenrund zu finden seyn, als er! Ich habe das Buch gesehen und, verzeihen Sie es meinem seltsamen Geschmacke! es weggeworfen. In der Luftbaukunst mag es leicht Epoche machen: Aber ich bin nun einmal nicht für diese Art zu bauen eingenommen, sondern bleibe gern auf der niedern Erde. Wäre aber auch das Buch ohne allen Streit vortreflich, so möcht ich Wunders halber wissen, nach welcher Logik dieser Schluß richtig sey: Jemand schreibt ein gutes Buch über Schulen, folglich muß er nothwendig der Schule gut vorstehen! Mit der Feder allein, so viel ich weiß, läßt sich keine Schule dirigiren: Wer also diese auch noch so meisterhaft zu führen weiß, könnte in der Praxis dennoch der ärgste Stümper von der Welt seyn. Ich hätte wohl den Justus Lipsius, der so viel vom Römischen Kriegswesen geschrieben hat, eine Armee mögen anführen sehen: An Stoff zum Lachen würd es sicherlich nicht gefehlt haben!

Hinterher, meine Herren, wenn ein Mann erst eine gute Weile an einer Schale gearbeitet oder sie sonst in der Nähe beobachtet hat, dann erst läßt sich etwas gutes und nützliches darüber schreiben und ich bin Ihnen Bürge, daß wenn unser Herz erst einmal mehr zur Ruhe kommt und es ihm einmal einfällt, die Feder zu ergreifen, dann wird er uns Sachen lesen lassen, wogegen Spitzbarts Ideal in Nacht und Nebel verschwinden wird. Von vorn hinein aber, ohne Uebung, ohne Erfahrung halt ich es für schlechterdings unmöglich, etwas brauchbares über Schulen zu sagen, oder aber es sind altägliche Dinge, die jeder mittelmäßige Schulmann lang an den Schuhen abgelaufen hat. Und nun überlasse ich es Ihrer Einsicht und Ihrem Gewissen, wie Sie unsern Herz und jenen Spitzbart in eine gleiche Waagschale legen wollen. Ohne Ihrem Urtheile im mindesten vorgreifen zu wollen, erkläre ich mich hiermit nach meiner besten Erkenntniß: Ich würde nicht nur die größte Unbesonnenheit, sondern eine wahre Ungerechtigkeit zu begehen glauben, die mich einst auf meinem Sterbebette schwer drücken könnte, wenn ich für irgend einen andern Mann eine Stimme hätte, als für den Rektor Herz. Mag sie immerhin von der Menge unterdrückt werden: Ich habe mir dann nichts vorzuwerfen. Und ist denn nun einmal das Schicksal über unsre Schule verhängt, daß sie einem Manne in die Hände fallen soll, der anstatt ihr aufzuhelfen, sie vollends zu Grunde richtet, dann werd ich, wenn die ganze Stadt schreyt, heiter und unschuldig dastehen und sagen: Warum folgte man meinem Rathe nicht? Warum war man mit sehenden Augen blind? Ich habe nun mein Herz gegen Sie ausgeschüttet und bin nicht ganz ohne Hofnung, daß das, was aus dem Herzen kam, auch einigermassen wieder zu Herzen gegangen seyn werde.

Hier schwieg Mirus, und wie wenn der Priester Amen sagt, fing die ganze Gesellschaft an, sich zu räuspern und zu schneuzen. Obgleich die Rede bey weitem kein Meisterstück war, so hatte sie doch in den Gemüthern starken Eindruck gemacht und die Senatoren schienen wie aus einem Traume zu erwachen. Der älteste unter ihnen nahm das Wort, dankte dem Prokonsul für seinen weisen Rath und versicherte, daß er für sein Theil ganz seiner Meinung wäre. Drauf nahm der Herr Senator Pauk das Wort, erklärte sich, daß allerdings der Rektor Herz ein ganz guter Mann sey, der gründliche Schulstudia besitze; Nur sein Stolz, sein Stolz! Kaum war das Wort gesagt, so stimmten gleich drey der übrigen ein und führten grosse Beschwerden über die Beleidigungen, die ihnen ihrer Meinung nach vom Rektor Herz widerfahren wären. In der That hatte Herz ihnen nicht alle die Ehre erwiesen, die sie als seine Patronen von ihm erwarteten. So richtig sonst seine Theorie von der Dankbarkeit für empfangene Wohlthaten war, so war er doch in diesem Punkte ein Ketzer, daß er glaubte, nicht er sey den Senatoren Dank schuldig, daß sie ihm seine Stelle gegeben, sondern sie ihm, daß er sie angenommen. Da er nun überdem von Natur zum Kuranzen und Schmeicheln verdorben war, so konnte es nicht fehlen, daß er fast bey allen Senatoren für einen aufgeblasenen, eingebildeten Mann passirte, der sich seines Wissens überhöbe. Mirus arbeitete aus allen Kräften, ihnen diese Idee aus den Köpfen zu bringen, aber vergebens! Der Schluß fiel endlich da hinaus, Herz müsse schriftlich beym Senate einkommen und um die Direktorstelle anhalten; Ohne das könne an ihn nicht gedacht werden. Obgleich Mirus voraussahe, daß sich Herz schwerlich dazu verstehen würde, so versprach er doch in seinem Namen, das sollte geschehen und so giengen die Herren wieder des Weges, den sie gekommen waren.


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