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Fünf und zwanzigste Kapitel.

Es hatte noch nicht 9 geschlagen, als der Herr Direktor sich schon aufmachte, seine Klassenvisitation fortzusetzen. Mit leisen Schritten schlich er sich vor Wenzkys Thür und horchte mit gespitzten Ohren, ob er ihn nicht auf seinem poetischen Klepper attrapiren könnte? Allein vergebens; Es war itzt Katechisationsstunde, und diese hielt Wenzky heilig. Da er also sein Müthchen nicht kühlen konnte, gieng er weiter nach Quarta, um Herrn Rosentreters pädagogische Künste zu hören. Dieser las eben den Cornelius mit seinen Schülern und zwar das erste Kapitel des Pausanias. Die Uebersetzung fiel so kläglich aus, daß wenn Spitzbart nur noch einige Brosamen von Schulgelehrsamkeit besaß, so muste er sich davor kreuzigen und segnen. So lautete der Anfang: Pausanias der Lacedämonier ist ein grosser Mann gewesen, aber auch verschieden in allen Lebensarten. Denn gleichwie er an Tugenden geleuchtet hatte, also ist er auch mit Lastern überschüttet worden etc. In der That war auch dem Herrn Direktor so halb und halb zu Sinne, als ob es dieser Uebersetzung irgend woran fehlte: Da er sich aber nicht stark genug fühlte, sie besser zu machen, so ließ er sie laufen. Dagegen aber brachte er eine andre pädagogische Schnurpfeiferey aufs Tapet! Halt, halt, rief er, als Rosentreter ununterbrochen in seiner Uebersetzung fortfahren wollte. Lassen Sie uns erst den vorliegenden Text ein wenig durchsokratisiren! Das Wort war für Rosentretern Arabisch: Kaum kannte er den Sokrates dem Namen nach, geschweige denn seine berühmte Methode, das beliebte Stecken- und Tummelpferd unsrer neuern Schulverbesserer! Der Herr Direktor muste also schon seiner Unwissenheit unter die Arme greifen und begann eine sehr pathetische Vorlesung über die Hebammenkunst des Geistes, wie er es zu nennen beliebte. Rosentreter spannte alle Segel seines Verstandes auf, dem hohen Fluge des Redners nachzukommen, aber vergebens! Der Herr Direktor, der sich darum wenig bekümmerte, oder vielmehr voraussetzte, daß ihn jedermänniglich nothwendig verstehen müsse, foderte ihn nach geendigtem Sermon auf, sogleich mit der beschriebenen Sokratischen Lehrart eine Probe zu machen. Diese Foderung brachte den armen Schächer so sehr aus Reih und Gliedern, daß ihm der helle Angstschweiß auf der Stirn perlte: Aber so wie man von den Gemsen erzählt, daß wenn sie von den Jägern in die äusserste Klemme getrieben werden, sie zuweilen durch eine ausserordentliche Anstrengung ihren Feind in den tiefsten Abgrund hinunterstürzen, so machte es auch Rosentreter. Da er sich schlechterdings unvermögend fühlte, den geistigen Accoucheur zu spielen, sagte er zu Spitzbarten: »Ich bitte Sie unterthänigst, mein Herr Direktor – ich will gern alles thun, was Sie befehlen, aber haben Sie nur die Güte, mir es ein ganz klein wenig vorzumachen, damit ich sehe, wie es ist!« Ein derber Zwick an den empfindlichsten Theil des Körpers hätte unserm Helden nicht schmerzlicher seyn können, als dieser verwünschte Einfall: und doch war in der Geschwindigkeit keine Finte zu ersinnen, um ihn auszuparieren! Herr Spitzbart muste also nolens volens schon dran gehen, sich abermal zu prostituiren. Den Stoff dazu gab ihm der magnus vir in dem eben angeführten Kapitel des Pausanias, und er sokratisirte darüber mit den Quartanern also und folgendermaßen:

Sokr. Meine lieben Kinder, sagt mir einmal, was versteht ihr denn wohl unter einem grossen Manne?

Schüler. (giebt keine Antwort.)

Sokr. Nun ich will es euch deutlich machen, was ein grosser Mann eigentlich ist, – Hm, Hm! – Sagt mir einmal, was meynt ihr wohl! Ist ein Flügelmann unter den Soldaten – ihr wißt doch wohl, was ein Flügelmann ist?

Alle. O ja.

Sokr. Schön! Nun was dünkt euch, ist ein Flügelmann unter den Soldaten wohl ein grosser Mann?

Alle. Ja, ein Flügelmann ist ein grosser Mann!

Sokr. (den Kopf schüttelnd) Ey das war sehr dumm geantwortet! Besinnt euch!

Schüler. (nach einer Pause) Nein, ein Flügelmann ist kein grosser Mann!

Sokr. Recht, das war gut geantwortet! Ein Flügelmann ist kein grosser Mann! Aber wer ist denn nun ein grosser Mann? Wie muß denn derjenige beschaffen seyn, der ein grosser Mann seyn will?

Schüler. (schweigt still)

Sokr. Ich sehe schon, ich muß mich noch mehr zu euern geringen Fähigkeiten herablassen. Also beantwortet mir nur einmal die Frage: Wenn jemand ganz und gar nichts thut – Gebt ja recht Achtung! – Kann er denn wohl ein grosser Mann seyn?

Alle. Nein, dann kann er kein grosser Mann seyn!

Sokr. Recht schön! Nun weiter, Was ist denn die unmittelbare Folge davon?

Schüler. (schweigt still)

Sokr. (ein wenig verdrüßlich) I das ist ja so leicht, wie was! Was folgt daraus: Wenn jemand ganz und gar nichts thut –

Schüler. Daß er ein Taugenichts ist!

Sokr. (stampft vor Aerger mit dem Fusse) Ihr seyd nicht klug! Was sind das für alberne Antworten? Ich muß es euch nur sagen, sonst seh ich wohl, wird nichts! Die unmittelbare Folge davon ist diese: Ergo, wer ein grosser Mann seyn will, muß etwas thun! Habt ihrs nun gefaßt?

Alle. Ja, wer ein grosser Mann werden will – muß etwas thun!

Sokr. Bravo, er muß etwas thun! Aber was muß er nun thun, das ist die Hauptfrage: Wer kann mir das sagen?

Alle. (schweigen still)

Sokr. Ich sehe schon, ich muß euch nur wieder ein wenig aufs Gleiß helfen. Sagt mir einmal, wie heißt denn wohl das Substantivum von Thun?

Einer. Das Thun?

Sokr. (schüttelt mit dem Kopfe)

Noch einer. Die Thuung!

Sokr. (wie vor.)

Noch einer. Die That!

Sokr. Bene, bene, die That! Nun sind wir nah am Ziele: Wenn also ein grosser Mann etwas thun muß; was wird das wohl seyn?

Alle. Er muß die That thun.

Sokr. Den Pluralis, Kinder, den Pluralis! Der grosse Mann muß Thaten thun: Und was für welche?

Einer. Grosse Thaten!

Sokr. Bravissimo, das war vortreflich geantwortet: Nun ist alles klar; Also wer ist ein grosser Mann?

Alle. Der grosse Thaten thut!

Sokr. Recht! Und warum nennt nun unser Cornelius Nepos den Pausanias einen grossen Mann?

Alle. Weil er grosse Thaten gethan hat!

Sokr. Scharmant! Aber wie nun, wenn jemand keine grosse Thaten thut?

Alle. Dann ist er kein grosser Mann!

Mit triumphirendem Lächeln wandte sich itzt der grosse Sokrates zu Rosentretern: Sehen Sie, sagte er, so fragt man Kindern die Gedanken aus der Seele heraus! So entwickelt man ihre konfusen Begriffe! Das ist sokratische Lehrart, die ich Ihnen hiermit auf das eifrigste anempfehle. Folgen Sie meinem Beyspiele, und Sie werden sich um unsre Schule und um die ganze Stadt verdient machen.

Der Herr Direktor gieng und nahm auch den letzten Ueberrest von Rosentreters Angst und Verlegenheit mit sich hinweg. So dunkel ihm vorhin die hohen Lehren von der Hebammenkunst des Geistes gewesen waren, so hell war ihm diese Probe derselben. Es kam ihm sogar vor, als hätt er schon mehrmal auf dieselbe Art sokratisiren gehört, und überhaupt dünkte es ihm, es sey kein grosser Unterschied zwischen katechisiren und sokratisiren. Dieser Arbeit des Geistes nun fühlte er sich vollkommen gewachsen, und um dem Befehle des Herrn Direktors Genüge zu leisten, nahm er die Tugenden und Laster vor, die Cornelius dem Helden Pausanias beylegt, und es vergiengen keine zehn Minuten, so wuste ganz Quarta, daß die Tugend aus guten Handlungen und das Laster aus bösen bestünde.

Mittlerweile giengs in Nachbar Wenzkys Klasse schon bunt über. Der Herr Direktor hatte zum zweytenmale und mit besserm Erfolge vor seiner Thüre gehorcht. Er saß itzt wirklich auf seiner poetischen Mähre und noch dazu auf der elendesten, die je auf Erden geritten worden. Nur wenige Leser werden den Namen Lysius aus Halle kennen: Diejenigen aber, die ihn kennen, lachen gewiß schon bey dem blossen Namen laut auf. Unter allen elenden Reimern war er der elendeste, und lebten wir noch in den Zeiten des Heidenthums, so könnte man sagen, die Götter hätten ihn für seine wäßrichten Reime sehr passend bestraft, denn er hat sein Grab in der Saale gefunden. Von diesem nun las Wenzky auf Ansuchen eines seiner Schüler ein sehr originales, extradummes Hochzeitkarmen vor und die Knaben alle wollten schier vor Lachen bersten, als urplötzlich, mit furchtbarer Stirn und drohendem Auge, der Herr Direktor in die Klasse trat. Vor Schreck ließ Wenzky Hut und Karmen fallen, und wer weiß, was sonst noch mehr fiel, wovon man vor zarten Nasen nicht gern spricht. »Was machen Sie da, fuhr er ihn schnaubend an? Was sind das für Possen? Haben Sie Ihren Verstand verlohren, daß Sie die edle Zeit damit verderben, ihrer Klasse elende Karmina vorzulesen? Wie gehört das hieher? Es sey Ihnen hiermit ein für allemal verboten! Und was meinen gestrigen Beyfall betrift, so nehm ich ihn hiermit öffentlich zurück! Ich weiß alles: Es ist lauter Gaukeley und Blendwerk gewesen! Aber mich betrügt man nur einmal: Versuchen Sie es zum zweytenmale, wenn Sie können! Ich fodere Sie heraus: Ins besondere aber dank ich Ihnen für den vortreflichen Gebrauch, den Sie von meinem Ihnen geschenkten Ideale gemacht haben, und wünsche von Herzen, daß Sie die dafür gelösten 20 Groschen mit Ihrer Familie in allem Wohlseyn verzehren mögen. Voritzt empfehl ich mich Ihnen: Aber ich werde bald Anstalt machen, daß Sie in Ihrer ganzen Blösse erscheinen.«

Die vier Wände der Klasse oder die Tische und Bänke hätten eben so gut ihren Mund aufthun und sich verantworten können, als Wenzky. Dieser war rein kapot und bekam auf der Stelle Anwandlungen von Schwindel, die ihn nöthigten, die Klasse aus einander gehen zu lassen. Der Herr Direktor aber, gleich dem Donner,

          Der den Wandrer ereilt,
Tödtend ihn fasset, und seine Gebeine zu fallendem Staube
            Macht, triumphierend alsdann
  Wieder die hohe Wolke durchwandelt –

wandelte auch triumphirend nach Hause, und ließ sich nach ausgeleerter Galle seine zweite Portion Kaffee und seine zweite Morgenpfeife noch einmal so gut schmecken.


*


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