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Damit wandte er sich dem Hause zu, Frau Milan stand noch unter der Tür. Er schärfte ihr nochmals ein, weder an dem Toten noch sonst im Hause eine Veränderung vorzunehmen, bis die Polizeikommission erschienen sei, und ließ sich den Fernsprecher zeigen. Er telefonierte nach der Kriminalpolizei.
Bald darauf fuhr ein Wagen vor und hielt mit knirschenden Bremsen dicht vor dem Gartentor.
Ihm entstiegen vier Männer: ein Kriminalrat, der Gerichtsarzt, ein Fotograf mit seinem Inventar und ein Wachtmeister.
Der uniformierte Beamte bezog seinen Posten am Eingang zum Garten. Die anderen gingen wortlos an ihre Plätze. Alles geschah mit bewundernswerter Ruhe und Sicherheit.
Der Kriminalrat war ein scharfäugiger, sachlicher Mann in nicht sehr vorgeschrittenem Alter, höchstens Ende der Dreißig, von schlankem, durchtrainiertem Körper und mit kurzen, strengen Bewegungen. Es wurde wenig gesprochen. Die Haushälterin wurde nicht herbeigerufen; die Männer hatten ihre Erfahrungen und brauchten niemand für die äußeren Feststellungen.
Der Arzt untersuchte den Toten. Der lag noch immer ausgestreckt auf dem Wege, der Mantel war geschlossen, der Kragen hochgeschlagen. In einiger Entfernung fand sich der Hut.
»Tot seit knapp zwei Stunden«, sagte der Arzt. »Schuß über dem linken Auge ins Gehirn. Die Kugel ist nicht herausgetreten, steckt offenbar in der oberen Schädeldecke. Das wird die Obduktion ergeben. Der Schuß war sofort und absolut tödlich.«
»Selbstmord?« fragte der Kriminalrat.
»Nicht anzunehmen. Er müßte Linkshänder gewesen sein. Außerdem hätte er als Arzt nicht in den harten Stirnknochen geschossen, wo ihm die Kugel steckenbleiben konnte und ihn höchstens um das Auge brachte. Dafür ist das dünnere Schläfenbein da. Haben Sie etwa die Waffe gefunden?«
»Ist nicht vorhanden.«
»Also!«
Der Schauplatz war mit taghellem Blendlicht erleuchtet, das gespenstisch das Dunkel durchbrach. Er hatte trotz des unerfreulichen Wetters und der späten Abendstunde Zuschauer angelockt, die von dem Posten am Tor ständig vom Eindringen in das Grundstück abgehalten werden mußten.
Im Schein des Lichtes war jedes Fleckchen sorgfältig abgesucht worden. Es war nichts zu finden. Auch Fußspuren waren auf dem glatten, reinlichen Stein nicht festzustellen; der Rasen war unberührt.
»Also Mord, eventuell Totschlag«, entschied der Kriminalrat. »Keine Beraubung des Toten.«
Der Fotograf hatte unterdessen Blitzlicht-Aufnahmen von mehreren Seiten aus gemacht, und die Befundaufnahme war beendet. Der Kriminalrat ging ins Haus und rief die Haushälterin herbei.
Frau Milan hatte stark verweinte Augen und fing sofort zu schluchzen an, als sie dem Herrn von der Polizei gegenüberstand. Sie wollte wortreich zu klagen beginnen; aber der Rat schnitt ihr, ohne gerade unfreundlich zu sein, sachlich die Rede ab.
»Lassen wir das jetzt«, sagte er. »Der Doktor ist tot, auch wir bedauern das. Aber wir können ihn mit Jammern nicht wieder lebendig machen. Beantworten Sie mir aber einige Fragen. Doktor Eggebrecht war unverheiratet. Er bewohnte dieses Haus allein?«
»Jawohl, Herr, allein mit mir.«
Er fragte sie nach Namen und Alter, dann ging er auf Doktor Eggebrecht über. Die Frau wurde bei seinen Fragen bald merklich ruhiger. Die leidenschaftslose Art, die sachlichen, klaren Fragen zwangen sie in seinen Bann, und bald wußte er alles, worüber sie ihm Auskunft geben konnte und was ihm für seinen Tatsachenbericht zu wissen nötig erschien.
Doktor Eggebrecht stand allein. Er schien keine Verwandten zu haben, wenigstens hatte er nie zu der Frau davon gesprochen, auch niemals von irgendeiner Seite her Nachricht bekommen. Besuch war im Hause unbekannt, und verreist war er in der Zeit, die sie bei ihm war, nicht. Sie wußte, daß er frühzeitig Halbwaise geworden und das einzige Kind seiner Eltern war. Vor seinem Austritt aus dem Gymnasium hatte er den Vater verloren, der Staatsanwalt in einer großen Stadt gewesen war. Die Mutter war erst seit wenigen Jahren tot. Warum er ledig geblieben war, wußte sie nicht. Einen Weiberfeind konnte man ihn aber nicht nennen, und von einem Sonderling hatte er ebenfalls nicht das geringste an sich.
Der Kriminalrat war nicht Untersuchungsrichter; mit diesen tatsächlichen Feststellungen war seine Aufgabe zunächst erfüllt. Er fragte sie noch, ob sie den Schuß gehört habe. Sie verneinte. Bei dem stürmischen Wetter an diesem Abend fand er das glaubhaft. Es war ihm schon vorgekommen, daß man im Nebenzimmer den Schuß des Mörders nicht gehört hatte.
Gemeinsam mit dem Wachtmeister trug man den Leichnam ins Haus. Der Kriminalrat ließ sich das Arbeitszimmer des Doktors zeigen, überzeugte sich, daß der Schreibtisch verschlossen war, und nahm aus den Kleidern des Toten die Schlüssel an sich. Der Frau trug er auf, in der Wohnung zunächst nichts zu verändern, ihren Dienst in der Haushaltung aber weiter zu versehen, bis sie behördlichen Bescheid erhalte. Da sie mit dem Toten nicht allein bleiben wollte, versprach ihr der Kriminalrat, einen Beamten zu schicken, der die Nacht über im Hause wachen werde.