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Viertes Buch.
1840 bis 1857

 

»... Ueberhaupt solltet ihr den Garten immer in Gemeinschaft behalten; wer kann wissen, ob es Mutter und mir nicht vergönnt wird, noch unsere Freude an eurer Eintracht zu haben, wenn wir von euch auch nicht mehr gesehen werden.«

(Briefschluß Smidts vom 8. Nov. 1851 an Sohn Heinrichs Frau Hannchen.)

 

XV.

Im Jahre 1834, als Smidt, von Heinrich begleitet, wieder einmal in diplomatischer Sendung zu Wien geweilt, hatte er von dort am 15ten April seiner Tochter Mine zu ihrem neunzehnten Geburtstage geschrieben:

»Wenn ich deine Briefe auch sonst nicht direkt beantworten kann, du liebe, süße Tochter! und dich auf einen Antheil an den Briefen, die ich an Mutter oder Hermann schreibe, oder die Heinrich auch für mich mit schreibt, verweisen muß, so darf ich doch die heutige Post zu einer Ausnahme nicht unbenutzt lassen, da sie grade an deinem Geburtstage dort eintreffen wird. – Daß wir an diesem Tage deiner in herzlicher Liebe eingedenk zu seyn beabsichtigen, darfst du zuversichtlich annehmen, und daher, wenn du diese Zeilen erhältst, um so mehr Sinn und Gedanken zu uns herüberfliegen lassen. Unsre freundlichsten Glückwünsche aber magst du dir selbst mit Worten aussprechen, wenn du dir denkst, daß sie mit deinen eigenen Wünschen, soweit du dir aufrichtig gestehen darfst, daß du dich ihrer nicht zu schämen habest, zusammenfallen werden.

Du wirst nun 19 Jahre alt; es fehlen dir also nur noch 2 Jahre, und du hast das nämliche Alter erreicht, in welchem sich deine theure Mutter mit mir zu dem innigen Bande vereinigte, das ich seitdem für das größte Glück meines ganzen Lebens betrachtet habe und betrachten werde, solange es mir durch höhere Fügung vergönnt ist. – Ob nun in dieser Frist, ob früher oder später, ein Mann deines Herzens dir auf ähnliche Weise entgegen kommen werde, das wollen wir gleicher, höherer Fügung ruhig anheim gestellt seyn lassen; aber daß er, wenn es der Fall seyn sollte, sechs und dreyßig Jahre später ein gleiches von dir bezeugen, und, wenn es die Umstände so mit sich bringen, auch aus weiter Ferne mit gleicher Sehnsucht an dich denken möge, in welcher mir heute das Bild deiner lieben Mutter in inniger Verbindung mit dem deinigen vorschwebt –, das ist der schönste Wunsch, der in diesem Augenblicke meinem Herzen für dich entquillt.

Herzlich dein Vater.«

*

Als der glücklichste Gatte und Vater hatte er damals zu seinem fernen Kinde gesprochen, und glücklich war er auch jetzt noch, zehn Jahre später, da er die Siebzig erreicht hatte, von Vielen geliebt, geachtet und verehrt, von Wenigen gehaßt; von Niemandem verachtet. Weder zum Vergöttern noch zum hämischen Verfolgtwerden eignete sich seine schlichte, ehrwürdige Gestalt, und ob ihn auch äußerlich das Alter zu beugen begann, innerlich stand er aufrecht auf dem Posten, das bewegte Meer seines langen Lebens überschauend. Reich an Mühen und Kämpfen lag es um ihn her und streckte sich noch voraus; ebenso reich an Schätzen in der Tiefe. Sein Heim, die Liebe der Seinen und verwandter Geister; das Vertrauen seiner Bürger, das waren die Perlmuscheln in seinem Lebensmeere. Noch verklärte die Sonne es warm und golden und goß ihm Jugendkraft in die Seele.

Nur eine schwere Trübung schob sich dunkelnd zur Sonne empor: die wachsende Sorge um sein Liebstes, seine Frau. Ihr Gichtleiden machte unaufhaltsame Fortschritte, und wenn auch ihre selbstlose Sanftmut niemals klagte, wußte er doch, daß ihre Erdentage gezählt waren. Den Söhnen sprach er sich ungern darüber aus; einzig Tochter Mine, die das elterliche Leben teilte, sah und empfand, wie sehr ihr Vater, bei aller Seelenstärke, um die Mutter litt und zitterte. Ihre Jugend war ernst und verantwortungsvoll, trotz tausendfacher Anregung von außen her und vom väterlichen Geistesreichtum gespendet; sie mußte sich zwischen Krankenpflege, Haushalt und zunehmenden geselligen Pflichten teilen.

Um diesen genügen zu können, verkaufte Smidt das damalige Stadthaus an der Buchtstraße und ließ sein Gartenhaus an der Contrescarpe zum ständigen Wohnsitz einrichten. Statt der abgebrochenen Stallung schloß sich ein geräumiger und behaglicher Anbau an's Hauptgebäude, und sein großes Saalzimmer konnte viele Gäste fassen. 1843 war alles fertig, und gleichzeitig erhoben sich am Ende des Gartens, gegen die Kohlhökerstraße zu, drei stattliche neue Häuser unter einem Dache für die drei ältesten Smidtssöhne: Hermann, Heinrich und Gustav: Jurist, diplomatischer Philologe und Großkaufmann beisammen. »Szüh! unser alter Burrmeister, der hat sich erst'n Arbeitshaus anner Kunterschaft gebaut, un nu noch'n Kinnerbewahranstalt bei die Kohlhökers!« sagten die kleinen Leute und freuten sich daran. Lange, sonnige Terrassen verbanden die Brüderhäuser nach der Straßen- und Gartenseite; die breiten Vorgärten prangten mit bunten Beeten, und rückwärts dehnte sich, noch viel schöner, viel blühender, das elterliche Reich im Glanz der Mittags- und Abendsonne. Johann, der vierte Bruder, versuchte sein Glück drüben in Louisville, und Wilhelm, der fünfte, zwei Jahre jünger als Schwester Mine, bewirtschaftete die Dunge. Er war ein flotter, bildhübscher Bursche, lustig wie der Vogel im Hanfsamen auf seinem idyllischen »Busch« mitten in den Blumenwiesen.

Im Gegensatz zu den ernsteren, älteren Brüdern hatte er Schwester Minens goldnen Humor mitbekommen, nur lauter und biderber, während des Vaters Herrschergeist sich, in's weibliche übersetzt, bei Mine ausprägte, und doch konnten ihre Augen sanftmütig wie die mütterlichen blicken mit einer starken Beimischung schelmischer Demut, wenn sie irgend eine schroffe Maßregel ihres Haus- und Gartenregiments begründen oder gutmachen wollte. Diesen Blick, den ihr der gewiegteste Diplomat nicht nachahmen konnte, tauften wir halbwüchsigen Kinder fünfzehn Jahre später ihren »Lämmerblick«, und einen treffenderen Namen dafür gab es nicht. –

Sie war eine sehr ausgeprägte Persönlichkeit. Klug, mundfertig, herbe; warm bis zur Glut bei'm Freundschaftschließen mit Geschlechtsgenossinnen, von zäher Treue, verläßlich und verschwiegen. Hübsch ist sie niemals gewesen; nur frisch und stattlich, aber sie besaß mehr als Schönheit: Eigenart. Die gab ihr einen so seltsamen Reiz, daß man nie genug von ihr hatte. Das Heiraten lag ihr nicht; kühlen Blutes soll sie manchen Korb ausgeteilt haben. Die männliche Hingabe ihrer Brüder genügte ihr, und die Schwesternliebe der Bruderfrauen gehörte ebenso zu ihrem Lebensglücke.

*

Am 14ten November 1845 stellte die Bürgerschaft dem Senat folgenden Antrag:

»Der 26ste April des kommenden Jahres bezeichnet den Tag, an dem vor fünfundzwanzig Jahren unser hochverehrter Herr Bürgermeister Smidt zu dieser Würde erhoben wurde, und der Wunsch einer Löblichen Bürgerschaft, diesen Tag in unserem Freistaate festlich begangen zu sehen, entspricht zu sehr dem innigsten Dankgefühle eines jeden Genossen desselben, als daß er irgend weiterer Begründung bedürfen sollte. Eine Löbliche Bürgerschaft ersucht daher einen Hochweisen Rath, sich mit ihr zu einer würdigen Feier vereinigen und deren Vorbereitung und Ausführung einer gemeinschaftlichen Deputation übertragen zu wollen, zu der sie ihrerseits ernannt hat die Herren: Dr. J. D. L. Motz, Aeltermann Haase, Aeltermann Heye, Dr. W. Focke, C. Th. Gevekoth, Dr. Kottmeier.«

Hierauf war die Antwort des Senats:

»Was die, von der Ehrliebenden Bürgerschaft angeregte Feier eines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums anlangt, so kann der Senat sich nur mit großer Freude dem Antrage anschließen und ist daher gern damit einverstanden, daß zu einer solchen würdigen Feier die Vorbereitung und Ausführung einer gemeinschaftlichen Deputation übertragen werde, zu welcher er, unter Bestätigung der von der Ehrliebenden Bürgerschaft namhaft gemachten Deputirten, ernannt hat die Herren: Bürgermeister Meier, Senator Dr. Gildemeister, Senator Fritze, Senator Duckwitz.«

*

Am 23sten Februar, zwei Monate vor seines Vaters Jubiläum, verlor Sohn Hermann seine jugendliche, von allen sehr geliebte Frau im sechsten Wochenbette. Sie war auch eine »Mine« gewesen, vom Holler-Noltenius-Stamme. Die, welche das Schicksal zu ihrer Nachfolgerin bestimmt hatte, gehörte schon längst zum Smidtschen Freundinnenkreise, die schöne Christine Ulrichs, Senator Gildemeisters Tochter. Als junge Witwe des Professors Ulrichs in griechischen Diensten, war sie mit ihren beiden Töchterchen in die bremische Heimat zurückgekehrt und hatte sich besonders an ihre Altersgenossin Mine Smidt angeschlossen. Sohn Gustavs Frau, eine Enkelin des Bremer Arztes und Astronomen Dr. Wilhelm Olbers, galt für die geistig bedeutendste des Frauenkreises, und Wilhelms dunkeläugige Lucie, ein Vegesacker Schiffsbauerskind, für die zurückhaltendste. Fein und zart, ihres lustigen Ehemannes grades Gegenspiel, und so bräunlich und schwarzhaarig wie eine Südländerin. Diesen drei Ehen waren schon insgesamt neun Kinder entsprossen, als endlich auch Heinrich sich entschlossen hatte, seine blondlockige Johanna Wedeke aus dem Hause ihrer Berliner Pflegeeltern zu sich ins Smidtsche Mittelhaus zu holen. Er zählte damals achtunddreißig und sie einundzwanzig Jahre und hatte sich gleich ihres Schwiegervaters Herz erobert mit ihrem seltenen Jugendliebreiz und ihren großen, sprechenden Augen. Er nannte sie gern seine kleine Litauerin wegen ihrer Geburtsstadt Insterburg, und ihr Kosename: »Hannchen«, in den das heldenhafte »Johanna« alsbald verwandelt worden war, paßte gut zu ihr. Eine Anzahl inniger Briefe hat ihr Schwiegervater im Lauf der Jahre an sie gerichtet, und nicht minder innig und töchterlich vertrauend waren ihre Antworten, schon aus ihren Brautzeittagen. Dennoch war sie von sprühender Lebendigkeit, und als einmal Minens Frankfurter Busenfreundin ihr ein buntes Seidenband geschickt, mit der Widmung: »Dem sanften Hannchen«; hatte sie entrüstet auf den Tisch geschlagen und gerufen: »zum Kuckuck! ich bin nicht sanft!«

*

So standen denn, im Jubiläumsmonat April alle drei Smidtshäuser an der Kohlhökerstraße bewohnt unter dem gemeinsamen Dache, und in Hermanns frühverwaistes Heim war Professor Rumps zweite Witwe gezogen – unser »Tänti« – und behütete und versorgte ihm seine fünf mutterlosen Kinder, sowie sie einst die Erziehung der gestorbenen Mutter geleitet hatte. –

*

Das Jubiläum selbst soll meine liebe Mutter schildern, so wie sie in ihrer frischen Art das schöne Fest für die Familie beschrieben hat.

» Der sechsundzwanzigste April 1846.

... Schon acht Tage vorher gerieth das ganze Haus zur würdigen Feier in Aufruhr. Alle Scheuereimer, Schrubber und Besen waren in Bewegung, als sollte wenigstens der Pabst seinen Einzug halten. Da wurden Sophas ausgebessert, hier Fenster geputzt, in einem dritten Gemache Blumen beschnitten, – kurz, es war ein Leben und Treiben, das, trotz der Unbequemlichkeit, doch reizend war, weil eben Jeder, vom Herrn bis zum Diener aus vollster Seele und gespanntester Erwartung der Festfreuden sich abmühete. Vater hatte sein großes Arbeitszimmer unten räumen müssen, denn die Aussicht, daß die sich häufenden Besuche und Gratulanten möglichst weite Räume wünschenswerth machen würden, bewog ihn zu diesem Opfer, das sonst wohl kaum geleistet wäre. Er zog solange in ein Zimmer des oberen Stockes und befand sich dort ganz behaglich, abgesehen davon, daß er nun immer eine Treppe steigen mußte, um zu Mutter zu gelangen und die Leute zu sprechen; ... und so erschien endlich der Tag vor dem langersehnten Feste.

Prachtvoll strahlte die Sonne am blauen, leichtbewölkten Himmel, der Rasen prangte im frischesten Grün; die Vögel sangen auf den blühenden Bäumen, und die Blumen schimmerten in buntem Schmucke auf den Beeten. Drüben, in der Eltern Haus, ward die letzte Hand an die Zimmer gelegt, die sich wirklich einzig festlich und hübsch ausnahmen. Hermann und Gustav hatten ihre schönsten Blumen, Heinrich und ich die Gypsfiguren (Sct. Laurentia auf dem Hirsche reitend und der Schutzengel mit dem Kinde) zur Ausschmückung geliefert, und so glänzte Alles sauber und gemüthlich. Durch die geöffneten Fenster und Flügelthüren sah man in die schönen Gärten; sie bildeten den freundlichsten Hintergrund.

Aber nicht allein bei uns in den Häusern war man thätig; auch auf Wall und Contrescarpe ward gearbeitet, Spazierwege geordnet und das Gras abgemäht, da die Leute wohl ahnten, daß es sich am Montage kaum in einem noch brauchbaren Zustande für das Vieh befinden werde; denn man hörte bedeutend munkeln von einem großen Fackelzuge am 25sten, und die Bürger sprachen lebhaft für und wider eine Erleuchtung am 26sten, womit das Fest beschlossen werden solle. – Am Sonnabend kam sogar höchst naiv ein Junge und wollte sich Lichte ausbitten von Bürgermeister Smidt, weil er illuminiren wolle und zu arm sei.

Sonnabend Nachmittag langten Wilhelm und Lucie von der Dunge an; übrigens wurden kleine Kuchen bestellt, Weingelee bereitet und Klaben, Butterkuchen und Chokolade besorgt, um am Sonntag Morgen so manchen leeren, hungrigen Magen zu erquicken, der sich etwa hinter die Coulissen verlieren dürfte.

Vater ging am Nachmittage ergebenen Sinnes in seinem Zimmer auf und nieder, fuhr zuweilen durch die Haare, (die Mine ihm Tages zuvor geschnitten hatte) rieb die Hände und wartete das Wetter ab, das sich über seinem Haupte entladen würde; der Gedanke, auf diese Weise den Mittelpunkt zu bilden, war ihm sehr störend. Wir Uebrigen waren im Blumenzimmer versammelt, wo die schöne Fensterfronte uns Alles übersehen ließ, und Vater kam von Zeit zu Zeit herein, um uns kleine Gedichte und Gratulationsbriefe zu zeigen, die schon eingegangen waren. So erschien das Sonntagsblatt der »Weserzeitung«, der »Bürgerfreund« usw. mit Golddruck und besonders geheftet; auch sandten die Kohlhöker ein plattdeutsches Gedicht ein. –

Auf einmal erschien ein großes, hohes, braunlackirtes Gefäß mit Messinggriffen und flachem Deckel, etwa wie ein zugedecktes Theecomfort, oder ein Ascheneimer, über dessen Bedeutung wir uns vergeblich die Köpfe zerbrachen. Der Deckel ward geöffnet, aber siehe da: noch ein zweiter, hölzerner, mit Blei beschlagen, lag darauf. Indeß fand sich auf diesem zweiten Deckel ein Blatt Papier, mit Folgendem beschrieben:

»Genehmigen Ew. Magnificenz am heutigen Tage, als guter Hirte unserer Vaterstadt, dies kleine Rauchopfer aus Hochachtung, Liebe und Dankbarkeit. Ehrfurchtsvoll dargebracht von Küpern. Bremen, 26. April 1846.«

Nun ward die letzte Hülle entfernt, und – eine Masse von feinem, geschnittenen Taback zeigte sich unsern erstaunten Blicken. Das Ganze war so allerliebst ausgedacht, so völlig in Vaters Liebhaberei eingegangen, daß wir uns furchtbar darüber freuten, Vater à la tête. – Mehrere Vegesacker sandten ein Paar sehr schöne, silberne Armleuchter, und die Bremerhavener einen schönen silbernen Tabackskasten, auf dem Deckel eingravirt der Hafen, an den vier Seiten Vaters Wappen mit einem Lorbeerkranze umgeben und mit der Bürgerkrone geschmückt. Ein langer, roth und weiß gestreifter Korb mit etlichen Hundert acht holländischen, weißen Thonpfeifen, alle wohlweislich mit Federposen versehen, nebst einer silbernen Kapsel und zwei Trommen des feinsten Tabacks vervollständigten die ebenso schöne als sinnige Gabe, die auch so ganz für Vater berechnet war. Auch 12 Flaschen alten Weines von 1624, schönes Bockbier und eine Schnepfenpastete, zur Stärkung und Erquickung, wurden gesandt; kamen aber erst später so recht zur Tracht, da der Trubel und die vielen andren Eindrücke das Einzelne in den Hintergrund drängten.

Leider verfinsterte sich der Himmel, jemehr sich der Tag neigte, und dicke, schwarze Wolken drohten mit anhaltendem Regen. Wir sandten trübselig bittende Blicke hinauf, aber vergebens; schwere Tropfen fielen, und es sah aus, als könnte es wohl acht Tage so fortregnen. Das war traurig, aber was wollte es helfen? Indeß stellten sich nach und nach allerlei Gäste ein, und verfügten sich theils in's Blumenzimmer zu Mutter, theils aber hinauf zur Balkonstube, damit Mutter doch nicht zu müde würde.

Allmählich ward es auch draußen immer lebendiger; die Menschen wogten, trotz Regen, Schmutz und Gedränge, auf Wall und Contrescarpe, im buntesten Gewühl hin und her, aber ruhig, ohne Gezänk und anderen Lärm. So war es 9 Uhr geworden; wir jüngeren Leute standen oben auf dem großen Balkon, von wo aus wir einen herrlichen Ueberblick hatten, und uns von Zeit zu Zeit am lustig flackernden Kaminfeuer in der Balkonstube wärmten, das uns in Mäntel und Hüte gehüllte Menschen ganz magisch beleuchtete. – Da knallte ein Schuß, und es hieß plötzlich: »sie kommen! sie kommen!« – Aber zuerst die Localität. Vor dem Hause ein umgitterter Blumengarten, davor der Fahrweg und, gegen den Stadtgraben breiter Spazierweg – die Contrescarpe; dahinter gesenkt, der hier ein Bassin bildet, ein die sich langsam erhebende Bastion des abgetragenen Walles, die längst parkartig angelegt worden ist, und sich mit frischen Rasenflächen, Blumenbeeten und schönen Baum- und Strauchgruppen höchst malerisch ausnimmt. Hoch oben auf dem Walle schließt die Aussicht eine Reihe schöner Häuser, die den Anfang der Stadt bilden. –

Als der Ruf: »sie kommen!« erschallte, eilte alles auf den Balkon zurück und richtete die Blicke nach Westen, wo wir, eine weite Strecke von uns entfernt, eine Masse von rothen, in dickem Qualm flackernden Lichtern erblickten, die sich auf dem Walle langsam gegen's Osterthor zu bewegten, und einen schönen Gegensatz zum dunklen Himmel bildeten, der sich allmählich mit den hellsten Sternen geschmückt hatte. Ueber 600 Fackeln, die hanseatische Musik voran, zogen durch die dichten Volksmassen dahin, die sich, ergriffen von dem köstlichen Anblick, ganz still verhielten, durchs Osterthor, machten eine Schwenkung und gelangten endlich vor unser Haus, wo sich ein Theil im Quarré aufstellte und die verschiedenen Liedertafeln in ihre Mitte nahmen. Diese schaarten sich um ihren Director Hagen, der, auf einem Tische stehend, dirigirte.

Unsere Pforten, die bis dahin geschlossen und von zwei eigens von der Festdeputation hierzu beorderten Polizeidienern bewacht waren, wurden nun geöffnet, um etwa 30-40 Fackelträger hereinzulassen, die sich im Halbkreise aufstellten und das freundliche Haus beleuchteten. Nun ging aber unsre Angst an: »o weh, was wird aus den hübschen Blumenbeeten werden – den hochstämmigen Rosen voller Knospen, Vaters Freude!« und dergleichen Lamentationen mehr, die nun freilich nutzlos waren.

Tiefe Stille herrschte; das Lied von Cherubini: »Die Liebe« ward von 250 Sängern angestimmt.

Am Schlusse trat einer der Zugführer hervor, sprach einige Worte und forderte dann die versammelte Menge zu einem dreimaligen Lebehoch auf, das von allen Seiten aus vielen tausend Kehlen erschallte. Ein zweites Lied ward angestimmt, von Dr. Ruperti zur Feier des Tages gedichtet und vom Director Hagen componirt. Der letzte Vers lautete:

... O schwinge dich empor
Unzähl'ger Stimmen treuvereinter Chor,
Und an des Höchsten Thron
Erfleh' als edlen Wirkens schönen Lohn.
Ihm, der des Staates Ruder rüstig lenkt,
Sei Kraft und Leben lange noch geschenkt!

Vater trat, mit entblößtem Haupte und von seinen Söhnen begleitet, hinaus. Allerdings bemächtigte sich unsrer eine gerechte Angst, er möchte sich noch am Vorabend seines Festes eine Erkältung zuziehen, indeß der umsichtige Henrich Wollermann, sein Bedienter, zog ihm draußen einen Ueberrock an und brachte ihm seinen Hut. Vater war tiefbewegt, und so sprach er nur wenige inniggefühlte Worte: »Es wird mir schwer werden, den Dank für soviel Liebe in die wenigen Jahre zusammen zu drängen, die mir noch zu leben vergönnt sein werden«. Ein abermaliges, anhaltendes »Hoch!« Vater ging in's Haus zurück, und die Sänger stimmten an: »Was ist des Deutschen Vaterland?!« – dies herrliche Lied, das unsere Herzen hochschlagen machte. Bei'm letzten Verse ließen sich einige dumpfe Trommelsignale hören, die wir nicht zu deuten wußten, bis die Erklärung folgte. Mitten auf dem Stadtgraben vor Vaters Hause erschien ein kleiner Lichtpunct, der mit ungeheurer Schnelligkeit wuchs und plötzlich die Nacht in Tag verwandelte. Es war ein bengalisches Feuer, dessen bläulich blendender Glanz den Fackelschein in gelbe Dunstflecke verwandelte, während der Wall, von ungeheuren Menschenmassen belebt, wie mit einem Zauberschlage tageshell erstrahlte. Die grünen Bäume, mit Menschen behängt, traten, feenhaft beleuchtet, wie Weihnachtsbäume hervor; die kleinen Wellen glitzerten, und einige Kähne durchschnitten den Wasserspiegel. Es war ein Anblick, so großartig, so wunderschön, wie man ihn wohl selten hat. Dann erlosch das weiße Licht, und noch einmal erstrahlte die Gegend im schönsten Roth. Lautes »Bravo!« lohnte den Spendern dieses herrlichen Anblicks. Nun traten die Fackeln, unter Musikbegleitung, ihren Rückzug an, und wir verfügten uns allmählich hinunter zu Mutter, auf die das Ganze wohl mit den tiefsten Eindruck gemacht hatte. – Still verlief sich draußen die große Volksmenge. – Es war eine köstliche Vorfeier gewesen, um so mehr, als sie vollkommen freiwillig, ohne Antrieb von oben stattgefunden hatte.

Unten bei Mutter waren noch etliche Hamburger und Lübecker Herren, und wurden, nebst Senator Duckwitz und Frau, gebeten zu Abend zu bleiben, was sie auch annahmen. Wir thaten uns bei Midderfricassée und gebratenen Hühnern gütlich, sehnten uns aber im Stillen nach unseren Betten; denn wir spürten eine ehrliche Müdigkeit. Das Ruheziel ward aber nicht sobald erreicht!

Um am nächsten Morgen gleich bei der Hand zu sein und nicht das Geringste von all den Herrlichkeiten zu versäumen, beschlossen Christine Ulrichs Lucie und ich hier in aller Heimlichkeit bei den Eltern und Mine zu campiren, und wir beredeten auch Marie Duckwitz, eine allerliebste, wunderhübsche Frau (beiläufig gesagt: Mutter von neun Kindern!), dazu, und es ward eine geniale Wirthschaft mit tausend allotrias und viel Lachen, in unsrer kleinen, mit Rumpelkram überfüllten Stube, eingekeilt zwischen Vaters Schlafstube und der, in welcher Syndicus Curtius aus Lübeck übernachtete. Jeden Augenblick fand sich noch etwas Lächerliches, bis wir, wohl gegen 1 Uhr, die Augen schlossen; aber großentheils mißlangen die Schlafversuche. Allerlei ungewohnte Töne, als Vaters Husten und Stuhlrücken bei Curtius weckten uns wieder, und so war es kaum 5 Uhr, als wir den Entschluß faßten aufzustehen. Drei Kanonenschüsse verstärkten ihn noch und der Blick durchs Fenster auf eine große Menschenmenge, die sich schon wieder unten versammelt hatte. Endlich, nach allerlei Nöthen, kamen wir glücklich in unsere Kleider und schlüpften dann, als wir Vater hinausgehen hörten, hinter ihm drein aus der Gefangenschaft hinaus auf den Balkon.

Ein reizender Anblick that sich auf! Vor dem Gitter standen in dichten Reihen sämmtliche Waisenkinder; die Mädchen in ihren blauen Kleidern, schneeweißen Schürzen und Tüchern, die Knaben mit gelben oder rothen Jackenaufschlägen; – reformirte und lutherische bunt durcheinander, und ringsumher wogten die Menschen, während die bunten Wimpel eines Schiffchens auf dem Stadtgraben im Winde flatterten, und die grauen Wolken sich nach und nach in heiteres Blau aufzulösen begannen. Die Kinder stimmten den Choral: »Bis hierher hat mich Gott gebracht« – an, und ihre weichen, reinen Stimmen klangen unendlich rührend und schön in den Morgen hinein. – Wir mußten an die selige Mine denken; – wie tief und innig hätte sie grade dies ergriffen. –

Vater dankte den Kindern aufs Herzlichste; er war aufs Schönste davon überrascht, um so freudiger, als ihn die, durch äußere Gründe noch immer festgehaltene Trennung der beiden Confessionen oft schmerzlich berührt hatte, und ihm hier dargethan werden sollte, daß im Wesentlichen die Eintracht ungestört vorhanden sei. Nach dem Gesange zogen die Kinder paarweise nach Hause, und wir gingen auch hinab, um erst unsere leeren Mägen etwas zu erquicken.

Unten wehte ein höchst amöner, festlicher Duft. Die sauberen, warmen Zimmer, sämmtlich geöffnet und mit den schönsten Blumen reizend geschmückt, waren äußerst behaglich und sonntäglich. Vaters kleines Sopha, der runde Tisch davor und seine Kaffeetasse waren von den Dienstboten bekränzt und sahen allerliebst aus, und im freundlichen Blumenzimmer stand heißer Kaffee und Festkuchen, so recht zum Genuß einladend, bereit. Wir schlüpften hinein, zum größten Erstaunen Vaters, der nicht begriff, wo Christine, Marie Duckwitz und ich so früh herkämen. Wir erzählten ihm unsere Nachtleiden und -freuden, zu seinem großen Amüsement, und trugen nicht wenig dazu bei, seine rosenfarbene Laune, die schon durch das unvermuthete Erscheinen der Waisenkinder hervorgebracht war, noch mehr zu befestigen.

Unterdeß war draußen in aller Frühe, von Deputationswegen, der Vorgarten gesäubert und schön geharkt worden, und es fand sich, daß auch nicht eine Blume in den Beeten beschädigt war. – Diese freundliche Schonung zeigte wohl am besten die Liebe, die auch im Geringsten nicht verletzen will. Auch auf den Fahrwegen waren mehrere Fuder Sand gefahren, und so sah Alles rein und hübsch aus; wenn auch die freundliche Sonne immer noch keine Lust zeigte, hervorzubrechen und dem Ganzen erst den rechten Glanz zu verleihen. Nun, desto mehr Sonnenschein war in uns! – Darüber wurde es 7 Uhr, und eine neue Ueberraschung sollte uns erfreuen. Das Hanseatische Musikcorps marschirte auf, dicht vor unser Haus im Garten, und der Choral: »Nun danket Alle Gott!« ertönte. Es war zu schön – diese wundervolle Melodie, und dabei die reizende, frische Landschaft, die so schweigend und festlich vor uns lag. Wir konnten uns nicht satt hören; denn die Musik spielte fast bis 8 Uhr die schönsten Symphonien und andre Stücke, und wir wandelten bald in den Garten, bald auf den Balkon und hätten ewig so wandeln und zuhören mögen.

Mutter ihrerseits hatte, auf ganz eigenthümliche Weise, auch etwas zum Amüsement des Publikums beigetragen. Sie lag noch in der unteren Stube, hinter geschlossenen Läden in ihrem grünseidenen Gardinenbette, und erwachte vom Gesange der Waisenkinder. Sophie, ihr Mädchen, fand sie so im Dunkeln und bat voll Mitleid, doch wenigstens einen Laden öffnen zu dürfen, damit Frau Bürgermeisterin ein Bischen von all den Herrlichkeiten sehen könne. Mutter sagt »ja«, Sophie öffnet einen Laden und geht wieder fort. Mutter richtet sich auf, sieht ein Weilchen, von ihrem Bette aus, in das Gewühl; aber, o Himmel! da bemerkt sie, daß Sophie – nicht einmal die grünen Vorsätze vor's Fenster gestellt hat! Mutter lag also preißlich vor aller Welt daher, und gab, mit allen ihren Bandagen und alten, bunten Seidenbändern, die hier ein Kräuterkissen, dort ein Flanellstück zusammenhielten, ein herrliches Bild ab. Die Leute draußen reckten die Köpfe in die Höhe, während Mutter mit Schrecken in die Kissen zurückflüchtete, bis sie endlich, mit Mühe und Noth soweit kam, daß sie nach Sophie klingeln konnte. – – Wir gingen nach Hause, um uns möglichst schnell umzukleiden, weil es hieß, um 8 Uhr würde die unlängst organisirte Schützengesellschaft in ihren hübschen, neuen Anzügen erscheinen und Hörnermusik zum Besten geben.

Als wir zurückkamen, hatte Mine indeß die letzte Hand an die Zimmer gelegt und war auch schon angekleidet. Hausthür und Pforten waren geöffnet, und auf dem Flur wandelten die Herrendiener, in ihren rothen Leibröcken und weißen Kniehosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen, umher. Da ertönte lustiger Hörnerklang, und durch die Menschenmenge drangen die Schützen, schwenkten und stellten sich in grader Linie vor dem Gitter auf; die bunte, lustig wehende Fahne in ihrer Mitte. Wieder Ansprache und Hochrufen und herzliche Dankesworte von Vater. Nun fingen die Hörner zu blasen an, und es klang so fröhlich und hell, während der Himmel immer blauer und sonniger ward. Als die Schützen abzogen, war es fast 9 Uhr, und schon begannen Gratulanten und die ersten Deputationen sich einzustellen.

Mutter war aufgestanden und hatte sich in's Blumenzimmer gesetzt, auf ihren Schaukelstuhl, von wo sie die schönste Aussicht nach draußen hin hatte und doch Alles, was nebenan bei Vater passirte, beobachten konnte. Alle Thüren standen offen, und Vater fühlte sich auf diese Weise höchst behaglich, weil wir eben so mitten drin, in nächster Nähe waren. Mutter sah prächtig aus, so einfach und so liebenswürdig und von Herzen demüthig, wie sie da saß, auf's tiefste gerührt und ergriffen von sovielen Beweisen der Liebe und Anerkennung. Sie hat, während 48jähriger Ehe alle Leiden und Freuden und soviel Schweres mit Vater getragen; da konnte sie nun wohl besser als jeder Andre auch die Liebe und Ehre mit ihm theilen, die er verdient hat, wenn auch sein Herz sich dagegen sträubte, daß man die 25 Jahre statt der 50 feierte. Er selbst sah vorzüglich aus, mit seinen ehrwürdigen, weißen Haaren und seinem lebendigen, gemüthlichen Gesichte, das heute so heiter war. Er hatte sich, zur Verherrlichung seiner Person, auf Heinrichs Antrieb, blanklederne Stiefel machen lassen, die nur leider grüne Schäfte hatten, die zuweilen naiv aus den Beinkleidern hervorrutschten, da Vater keine Sprungriemen trägt.

Nun strömten aber die Gratulanten zu Wagen und zu Fuß herbei, und bald füllten sich die Zimmer mit schwarzröckigen Herren aller Art, Freunden und Fremden. Der Reihe nach alle herzuzählen, wäre unmöglich; es waren ihrer wohl etliche Tausende. Da kamen die Landschullehrer, Bremerhavener und Vegesacker Abgesandte, Bremer Pastoren, Lehrer, Militär und Aeltermänner, eine lange Reihe hannöverscher Beamten aus den umliegenden Ortschaften, alle anwesenden Fremden usw. Verschiedene Consuln überreichten Schreiben ihrer Souveräne, z. B. von Oldenburg, Hannover, Würtemberg, Holland, Dänemark usw. auch von den in Newyork ansässigen Bremer Kaufleuten.

Doch die höchste Ehre kam noch und zwar mit den Herren der Festdeputation, die in glänzenden Staatsequipagen heranfuhren, mit Herrendienern vorauf. Vater empfing sie in seinem eigenen Zimmer; die Thür ward zugemacht und es dauerte lange, bis sie sich endlich wieder öffnete. Was drinnen vorgefallen war, konnten wir anfangs nicht ergründen, es mußte aber sehr ergreifend gewesen sein, da Vater ganz überwältigt aussah und keine Sylbe davon erwähnte, als er wieder aus seinem Zimmer trat. – Später erst hörten und sahen wir das Folgende und begriffen Vater.

Die Deputation hatte einen köstlich gearbeiteten Kasten aus Jacarandaholz überreicht; auf dem Deckel sehr erhaben in Silber das Bremische Wappen; innen im Deckel, bunt eingelegt, Vaters Wappen. In den Ecken die schönsten Arabesken, blau, roth, gelb und weiß. Im Kasten lag, auf rothem Sammt, eine große, herrlich gearbeitete Silbertafel, oben wieder das Bremische, unten Vaters Wappen von einem Lorbeerkranze umgeben und mit der Bürgerkrone geschmückt. Neptun, Merkur, Minerva und Apoll in den Ecken und folgende Inschrift in der Mitte:

»Am 14. November 1845 beschlossen Rath und Bürgerschaft der freien Hansestadt Bremen, den 26. April des folgenden Jahres, als den Tag, an welchem vor 25 Jahren Herr Senator Johann Smidt zur Bürgermeister-Würde erhoben worden, festlich zu begehen, und übertragen die Ausführung den unterzeichneten Rathsmännern und Bürgern.«

Demzufolge haben diese, um den spätesten Nachkommen ein sichtbares Zeichen der Gefühle des Dankes und der Verehrung zu hinterlassen, wovon die Zeitgenossen, in gerechter Würdigung des rastlosen und erfolgreichen Wirkens des Herrn Bürgermeisters Smidt und das Wohl unseres Freistaates, erfüllt sind, zu dem Beschlüsse vereinigt:

Daß ein von dem Bremischen Künstler Carl Steinhäuser in Rom auszuführendes Standbild desselben in der Rathhaushalle aufgestellt werde, daß dem Herrn Bürgermeister Smidt am gedachten Tage die, zu dessen Feier geprägte Denkmünze zu überreichen und der gegenwärtige Beschluß mittelst dieser Denktafel zu eröffnen sei.

Die von Rath und Bürgerschaft ernannte Deputation. Folgen die Namen) ...

Jetzt ist das Gypsmodell des Kopfes für die Statue schon auf dem Wege nach Rom. Die Medaille, hier in Bremen geprägt, ist auch sehr schön. Vaters goldene am schönsten; die kupferne schöner, als die silberne, die jedes der Kinder in einem zierlichen Kästchen erhielt.

Wie Vater diese beständige Aufregung aushielt; diese Masse von Menschen zu sprechen, Jedem etwas Freundliches, Dankbares zu sagen, kurz, so in immerwährender Geistesthätigkeit zu sein, begriffen wir nicht. Und doch kamen uns ganz einzelne Momente der Erschlaffung, die durch eine Minute Ruhe und ein mit Portwein geschlagenes Ei gleich wieder beseitigt wurden. Auch Mutter ward im Grunde wenig matt, und sie war gewiß von alledem tief ergriffen und sprach viele der Herren, die zu uns hereintraten und nicht wenig dazu beitrugen unsern Damenkreis zu beleben, wenn das überhaupt nöthig war!

Erst gegen 2 Uhr war es zu Ende, und Vater legte sich solange zur Ruhe, bis die Herren kamen, um ihn zum Diner abzuholen. Wir Frauen mit den älteren Kindern machten uns aber auf, um die Rathhaushalle und die gedeckte Tafel noch zu sehen, und schlichen etwas gespenstisch durch die Straßen. Am Rathhaus war ein buntes Leben und Treiben; Börse und Rathhaus waren durch ein rothweißes Zeltdach verbunden; hanseatische Flaggen wehten und Schildwachen behüteten wie Cerberusse die Pforten. Nach mancherlei Anstrengungen gelangten wir hinein, und wirklich, die Halle war überraschend schön. Die Wände roth und weiß bekleidet, die bunten Fenster, die alten Bilder und kleinen Thüren geputzt. An den Pfeilern prangten die bunten Fahnen und Wappen der vier freien Städte und sämmtlicher deutscher Bundesstaaten. An der Decke schimmerten die großen, blanken, altmodigen Messing-Kronleuchter mit Kerzen besteckt, und der niedliche kleine Dreimaster, völlig aufgetakelt, schwebte zwischen Himmel und Erde. Das prächtige, alte Archiv über der Güldenkammer diente zum Orchester. Die Tafel selbst, für fast 300 Gäste, war außerordentlich hübsch servirt mit vielen Blumen, Silberzeug, Torten und Pasteten und fünf kunstreichen Aufsätzen, die das Rathhaus, Stadthaus, Arbeitshaus, die große Weserbrücke und Vaters Haus vorstellten.

Leider mußten wir die schöne Halle bald verlassen, da die Herren der Deputation erschienen, um Zettel zu legen, und bei diesem wichtigen Geschäfte durften sie nicht gestört werden. Zu Hause angelangt revidirten wir unserer Männer Anzüge, ob auch Jabots, Chapeaux-claque und dgl. in Ordnung seien und entließen sie in Gnaden. Endlich fuhren langsam vier Staatskutschen heran; vier rothe Herrendiener vorauf, heraus stiegen die abgematteten Herren der Deputation und holten Vater feierlich ab ...

... Das Mahl soll ganz allerliebst gewesen sein; heiter und ungenirt und von Musik und allgemeiner Festfreude dermaßen belebt, daß in einzelne patriotische, nach den Toasten gespielte Melodien die singlustigen Kehlen mit einstimmten, während manche Gäste, begeistert und angeregt durch das Gefühl allgemeiner Freude sich, frühere Mißhelligkeiten vergessend, ohne Groll die Hände schüttelten, und so nichts aufkommen ließen, wodurch das Fest seinen rosigen Glanz eingebüßt hätte. Namentlich soll es auf die fremden Gäste den angenehmsten Eindruck gemacht haben, daß trotz der größten Vermengung aller Stände und Ränge, die ungezwungenste Heiterkeit geherrscht habe, während doch Niemand je die Würde des Festes außer Augen gelassen habe. – An Toasten fehlte es natürlich auch nicht.

Bürgermeister Meier machte damit den Anfang und ließ Vater leben, mit einfachen, innigen Worten, die Vater dankend erwiederte und, indem er die Blicke von sich abzulenken suchte, sie auf jene Zeit richtete, in welche seine erste Wirksamkeit gefallen, und auf den Umschwung in allen Verhältnissen, der, fünfundzwanzig Jahre lang, diese seine Wirksamkeit unterstützt und begünstigt habe. »In drei Worte,« so schloß er, »will ich meinen Trinkspruch zusammenfassen: »Ich trinke auf die dauernde Lebensfähigkeit Bremens.« – ...

... Als die alten Pokale, mit köstlichem Rheinwein gefüllt, die Runde machten, und auf das Wohl der Frauen und Jungfrauen geleert wurden, wuchs das Feuer der Begeisterung, und in kurzen, kernigen Worten forderte Professor Weber auf, zum Wohle des deutschen Vaterlandes anzustoßen. – Hierauf erhob sich Senator Duckwitz, der innig mit unserm Hause befreundet ist, und bat in warmen Worten: nun auch der Frau zu gedenken, die dem Gefeierten stets erheiternd zur Seite gestanden habe, mit seinem Leben und Wirken innig verschmolzen sei, und an diesem Feste leider nicht näheren Antheil nehmen könne. Er brachte ein feuriges Lebehoch auf Mutter aus. Zuletzt gab Vater, mit einem Toast auf die Festordner, welche so Treffliches geleistet, im rechten Augenblick das Zeichen zum Aufbruch; Alles begab sich hinüber in die Börse und blieb, lange, heiter plaudernd, beisammen.

... Während nun auf dem Rathhause so schön geschmaust ward, dachten auch wir an unser bescheidenes Mahl, das freilich weder Pasteten noch Torten aufwies, dafür aber eine schöne Suppe, gewürzt durch die beaux-restes des Midderfricassées vom vorigen Abend, und danach einen stattlichen Kalbsbraten, nebst Salat und Milchreis. Eine Flasche rothen Champagners erhöhte den Glanz des Mahles, und er hätte uns in die heiterste Stimmung versetzt, wären wir nicht so grenzenlos müde gewesen. Die Kinder hielten ihn für Bier, bekamen ganz rothe Gesichter und mußten zur Abkühlung in den Garten geschickt werden ...

... Gegen 5 Uhr, nachdem jeder sich zu Haus ein wenig ausgeruht hatte, fanden wir uns sämmtlich wieder an Mutters Kaffeetisch zusammen. Diese und Jene unsrer Bekanntinnen hatte sich eingestellt, und die Ereignisse des Tages boten übergenug Stoff zum Erzählen. Leider fing es zu regnen an, und wir glaubten, es würde nun wohl aus der Erleuchtung nichts werden, was uns im Grunde sehr lieb war. Denn wir konnten nur eine theilweise Illumination erwarten, und wußten, aus früherer Erfahrung, wie leicht sich der Uebermuth ein Vergnügen mit Scheibeneinwerfen macht. Einestheils ist das Illuminiren zu Ehren einer Person in Republiken dem freien Sinne scheinbar widersprechend, und dann hatten auch Viele es, aus Prinzip, auf alle Weise zu hintertreiben gesucht. Vaters große Bescheidenheit, die alle Ostentationen haßt, glaubend dadurch werde die rächende Nemesis herausgefordert, gab ihnen den besten Anlaß dazu. – Auch wir, unter uns bildeten zwei Partheien und debattirten sehr lebhaft: unsere Männer, die sich in diesem Falle mehr als die Bürger und weniger als die Söhne betrachteten, waren für's Erleuchten; wir Frauen dagegen. – Nur Tante Rump, die strengen Befehl von Hermann hatte, schloß sich uns nicht bei'm Widerspruch an ...

Indeß ward ein Haus nach dem andren hell; Lichter flimmerten, und der Himmel fing an sich aufzuklären. Wir zögerten noch immer hinüber zu gehen und Lichter in unsere Fenster zu stellen; es war uns zu fatal, und doch mußte es geschehen. Unsre Kohlhökerstraße war ganz erleuchtet und nahm sich wunderschön aus. Vor einem Hause brannten Pechfackeln, an anderen standen die schönsten Blumen und Lichter, während in der Straße die Menschen wogten, trotz des Schmutzes. Wir setzten vor jedes unserer Fenster vier Lichter, und gewiß machten sich unsere Häuser ganz stattlich. Wir blieben zu Haus, nur Mine fuhr mit Dr. Thulesius in der Stadt umher und kam ganz entzückt heim, so schön war es gewesen. Nur vereinzelte Häuser waren dunkel geblieben, sonst Alles hell, bis in die kleinsten Gäßchen und Häuserchen. Es kam ja so ganz aus freiem Herzen und grade von den unteren Ständen herauf. An vielen Häusern prangte Vaters Bild und auch hier und da Transparente und Verse. Ueber einer Thür sah man einen Schmied, der auf dem Amboß einen Krebs zerschmetterte, mit der Inschrift:

»Der Krebs der geht zurücke,
Smidt bricht ihm das Genicke! –
Es lebe der Fortschritt!«

Vor der Hannoverschen Post im hellsten Lampenlichte der Wappenschimmel und darunter: »Nunquam retrorsum«: »Niemals rückwärts!« An einem Hause hing Vaters Bild, umgeben von den Büsten und Portraits der berühmtesten Staatsmänner Europas und Amerikas, und darüber stand:

»Es lebe Smidt, seit fünfundzwanzig Jahren
Vater des Vaterlandes!«

In der Kohlhökerstraße leuchtete noch folgendes, höchst originelles Dichtwerk:

»Heut sind es 25 Jahr,
Daß Smidt unser Bürgermeister war.
Mit Stolz nenn' ich ihn unsern Smidt;
Zwar brennt dabei ein Schillingslicht.
Wer's größer hat, zünds größer an;
Wer's nicht thut, ist von Marzipan!
In Oldenburg, Hannoverland,
In Preußen, Sachsen, Hessenland,
Im ganzen, heil'gen, deutschen Reich
Kennt man den Smidt von Bremen gleich.
Drum Alt und Bremer Bürger Kind,
Zünd't alle Lichter an geschwind,
Zu ehren diesen großen Mann,
Den Bremen nicht vergessen kann;
Dem selbst das Ausland Achtung zollt,
Wenn's heißt: »Der Smidt von Bremen kommt!«
Drum Alt und Jung, ruft mit mir mit:
»Noch lange lebe Bürgermeister Smidt!«

*

Kurz, der Jubel und die Erleuchtung waren so allgemein, so herzlich; es ging so friedlich dabei her, daß es wohl einen sehr erhebenden Eindruck machen mußte, und nicht blos auf Vater und uns, die wir ihm am nächsten stehen. So recht innig fühlten wir, daß es besser ist geliebt, als gefürchtet zu sein.

Vater war auch noch mit seinen Herren herumgefahren, und kam gegen zehn Uhr nach Hause, müde und erschöpft und fast erdrückt von soviel Ehre und Liebe. Auch unsre Männer stellten sich ein, und wie recht hatten wir gethan, nicht unsern, sondern ihren Köpfen gefolgt zu sein, wenn es auch mit Widerstreben geschehen war. – Wir erkannten hieraus abermals, wie gut es ist, wenn die Frauen ihren Männern gehorchen, zumal es in der Bibel heißt: »Ihr Weiber aber seid unterthan euren Männern,« und »Der Mann ist des Weibes Haupt.« – –

*

Tags darauf gab der bayerische Gesandte, Herr von Hormayr, ein solennes Diner, Vater zu Ehren und überreichte ihm ein Glückwunschschreiben des Königs von Bayern, und am Dienstage, früh um 5 Uhr, saß Vater schon mit den Lübecker Fremden und Heinrich auf dem Dampfboote, um nach Bremerhaven zu fahren. Die Hamburger Herren reisten indeß in ihre Heimat zurück.

In Bremerhaven ward das Fest auch so recht aus vollster Seele begangen. Es war gewesen, als seien die Leute rein aus dem Häuschen! Drei Tage hindurch ist gefeiert und gejubelt worden, als wäre überall Hochzeit.

Um am besten zu zeigen, wie es dort herging, will ich den Brief eines dortigen Gastwirths, Herrn Garrels, den er an seinen Sohn schrieb, und der zufällig in unsere Hände gerieth, hierhersetzen.

» Bremerhaven, d. 26. April 1846. ... Nun die Beschreibung des heutigen Festes. Eine Kanonensalve bei Sonnenaufgang eröffnete die Feier, um sieben Uhr Morgens wurden alle Bewohner des Orts durch eine zweite Salve aufgefordert, sich auf dem Marktplatze zu versammeln, wo, nach feierlicher Absingung des Chorals: »Nun danket alle Gott!« das folgende Festgedicht zu Ehren des vielgeliebten Jubilars angestimmt wurde:

»Denkt ihr daran, an diesen Tag der Wonne,
Weß Name heut den frohen Staat durchtönt?
Wem Bürgerlieb, als heil'ge Ruhmessonne,
Den Jubeltag im würd'gen Amt verschönt?
Die Flaggen wehn, Kanonenschall verkündet
Der Brust Empfinden für den theuren Mann:
Heil unserm Smidt, der unsre Stadt gegründet –
Wir Bremerhav'ner denken froh daran!

Der Ocean, vom scharfen Kiel durchzogen,
Trägt mancher Hoffnung Keim im heil'gen Schooß;
Noch enger zieh'n an's Herz wir seine Wogen,
Er macht uns reich, er macht uns stolz und groß.
Wenn bald der Lauf des Jahres sich gerundet,
Zieht, dampfumwölkt, die neue Welt heran; –
Heil unserm Smidt, der unsern Port gegründet!
Wir Bremerhav'ner denken stolz daran!

Und nun, o Gott, in ew'gen Himmelsräumen,
Den Mann, der Brema's treuster Vater war,
Woll' ihn mit deines Segens Licht umsäumen,
Schenk' ihn sich und der Welt noch manches Jahr.
Von heißem Fleh'n ist unser Herz entzündet,
Erhalt ihn, Gott, den heißgeliebten Mann,
Der Brema's Blüh'n gewartet und gegründet –
O, großer Gott, mit uns gedenke dran!«

*

Danach hielt Herr Pralle eine sehr schöne Rede. Alle Einwohner hatten sich eingefunden und ließen dann den guten Bürgermeister hoch leben. Das Schwenken der Hüte und immer wiederkehrende Hurrah wollte kein Ende nehmen. Alle Schiffe und Häuser sind mit Flaggen geschmückt. Um 12 Uhr wurden alle Bewohner wieder durch eine Kanonensalve aufgefordert, dem Vortrage des Musikcorps auf dem Marktplatze beizuwohnen. Der Herzog von Oldenburg ist so gut gewesen und hat uns seine Musik vom Regiment geschickt, die hier mit ihren Pickelhauben viel Aufsehen erregen. Dieselben spielen ganz vorzüglich. Heute Abend wird der ganze Ort freiwillig illuminiren. Es herrscht hier nur eine Stimme für unsern Smidt, der unsern Port gegründet hat, und dem wir Alles verdanken können.

Alle Straßen sind voll von Menschen; – sogleich geht die Illumination los. Der Eine will es noch brillanter machen, als der Andre. Unser Haus hat vor allen Fenstern Pyramiden mit Grün und Blumen geschmückt, wozu 500 Lichter brennen. Ich habe, zu Ehren des vielgeliebten Mannes, alle die Blumen aus unserm Garten dazu abgeschnitten. Die Musiker werden während der Illumination durch alle Straßen ziehen, und bis spät in die Nacht wird manche Flasche auf das Wohl des Jubilars geleert werden. Auf dem Marktplatz weht von einer großen Stange die deutsche Flagge: schwarz, roth, gelb. Wie vergnügt wir Alle sind, kannst du leicht denken ... Nächstens mehr.«

– – Als das Dampfschiff sich Brake und Elsfleth näherte, empfing es eine complete Kanonade, und alle dort liegenden Schiffe sahen festlich aus mit ihren Wimpeln und Flaggen. In Vegesack ahnte Niemand Vaters Anwesenheit auf dem Schiffe, und so wurden sie durch die Kanonade in Brake höchst unangenehm berührt, da sie ihm selbst ihre Liebe und Theilnahme gar zu gern durch gleiche Zeichen bewiesen hätten. Aber in Bremerhaven kam erst noch das Beste. Hier war noch Alles im vollsten Freudenrausche. Kaum hieß es: »Das Dampfschiff kommt!« so stürzte Alt und Jung zum Landungsplatze, und erkannte die Staatsflagge, welche Vaters Anwesenheit anzeigt; bildete Spalier und harrte sehnsüchtig des Gefeierten. Dieser, eine der von ihnen geschenkten, weißen Thonpfeifen mit der silbernen Kapsel in der Hand, stieg an's Ufer und bemerkte, höchlich überrascht, daß hier das Fest, welches er soeben erlebt, von neuem beginnen würde, wo er gedacht, den Fremden eine Freude zu bereiten und sich danach sehnte, endlich wieder den Andern gleich zu stehen. –

Von weißen, blumenstreuenden Mädchen gefolgt, mußte er Jedem in seiner Nähe stehenden die Hand reichen, wodurch allerdings der Zug sich nur langsam fortbewegen konnte. Vor dem Hafenhause angelangt, dankte Vater herzlich und trat herein, um nun endlich für seine Gäste zu sorgen und demnächst einige Schiffe zu besteigen. Bis dahin folgten ihm die blumenstreuenden Mädchen und entfernten sich erst am andren Ende des Hafens. Ungehindert gelangte er zum Drydock; nach dessen Besichtigung aber hatte sein Führeramt wieder ein Ende. Er ward in den Ort hinein und bis zum Marktplatz gezogen, wo plötzlich alle Fenster aufflogen, Notenblätter sichtbar wurden, und aus vielhundert Kehlen das Bremerhavener Lied erschallte. Das Komische der Situation, daß der Gefeierte vor der Thür stehen mußte, während die Sänger sich unter Dach und Fach befanden, brachte die heiterste Stimmung hervor.

Nachdem Vater einige Verse angehört und in die Fenster hineingedankt hatte, führte er seine Gäste zu der im Bau begriffenen Kirche. Die guten Leute jedoch wollten ihm nichts schenken, zogen hinaus auf die Straße und sangen so das Lied zu Ende, damit Vater ja nichts davon verlöre!

Um 2 Uhr ging das Dampfschiff wieder ab, und unter zahlreichem Geleit ward es bestiegen. Abermals folgten die Mädchen, streuten Blumen, nahmen, als sie nichts mehr von Florens Kindern in ihren Körben hatten, die Kränze ab und warfen sie Vater auf's Verdeck nach. Unter Kanonendonner stieß das Schiff ab, und als es bei Brake anlegte, zeigten sich die dort ansässigen Beamten, um Vater noch nachträglich Glück zu wünschen. Kanonenschüsse von Brake, Elsfleth und Vegesack begrüßten das Schiff nochmals, und gegen 8 Uhr trafen die Herren, müde und matt, wieder in Bremen ein.

Tags darauf reisten auch die letzten Gäste ab; bald kehrte Alles in's gewohnte Gleis zurück, und die Erinnerung schlug ihren Thron auf in uns Allen. – Es war ein köstliches, erhebendes Fest, dessen Andenken in unsern Herzen leben wird, solange sie schlagen!«

*

Am neunzehnten August dieses Jubeljahres wollte Dämon Zufall, daß ich nicht im Bremer Heim, sondern draußen auf der trauten, alten Dunge geboren wurde, und es muß ein drolliges Wochenbett gewesen sein, das meine junge Mutter dort unter Wilhelms, des Spaßvogels und Strohwitwers Dach gehalten hat. Frau Lucie weilte nämlich mit ihrer kleinen Anna im Seebade. – Ich war meiner Eltern erstes Kind. – – Als, nach vollbrachter Arbeit, die dörfliche, weise Frau, die mir zum Lichte der Welt verholfen hatte, endgültig verabschiedet werden durfte, und, abfahrtsbereit, in ungeheurer Leibesfülle auf dem Strohsack des Leiterwagens thronte, wurden ihr, zum Lohn für mich, ein Hut Zucker und zwei Pfund Kaffeebohnen hinaufgereicht. – – – – Wer weiß, ob es nicht daher stammt, daß ich, neben Großvaters Feder- und Versfreude, auch den starken Sinn für Haushaltliches mitbekommen habe.

*

Smidts Jubeljahr folgten ernste Zeiten für Deutschland und auch für Bremen im Nordwestzipfel des bunten Josephsrockes. – Nach steigenden, inneren Gärungen, die immer mehr Blasen an die Oberfläche warfen, brach die Empörung aus; die Revolution im März 1848.

Smidt, der Alterfahrene, faßte sie erstaunend ruhig auf, wiewohl sein wacher Geist, der fünfundsiebzig Jahre unbeschadet, noch sehr scharf im großen, politischen Exempel mitrechnete und verglich. Das Ueberschäumen der völkischen Flut, die vernunftwidrigen Umwälzungen des Freibürgertums betrachtete er fast als notwendige Giftfrüchte solcher Gewalten, die aus verjährten Samenkörnern geil aufgeschossen waren. Anstöße aller Art hatten die Körner in erhitztes und lockeres Erdreich geworfen; unliebsame Maßregeln von oben herab betteten sie ein, und sie keimten kräftig unter der Decke. Jetzt war die böse Ernte da und hatte so verfilztes Gewurzel in die Tiefe geschlagen, daß es ihr nichts ausmachte, wenn der große Zeitenstrom aus seinem Bette trat und sie überschwemmte bis ins Zweigwerk.

»Das sind vergängliche Nöte,« sagte der alte Smidt. Der Kapitän mußte nur gelassen auf seiner Brücke ausharren, vor Wind und Wirbel lavieren und so die Sintflut bemeistern. – Nichts von der schwererrungenen, hanseatischen Freiheit in den Wind streuen und vom Wirbel verschlingen lassen; dafür strebte er, und war entschlossen, den Flaggmast des guten Schiffes mit Leib und Leben zu schützen; Bremens Ehre in seiner Brust zu bergen und sie um keinen Preis von sich zu lassen.

Eine dräuende Welle der Revolutionsflut wälzte sich auch zu uns herein. Durch unsere Straßen lärmte der Janhagel; wollte dies und wollte das, und der betrunkene Unverstand brüllte am lautesten. – Ein ganzer Zug Volks torkelte, vom Stein weg her, die Ostertorscontrescarpe entlang bis vor des alten Bürgermeisters friedliches Haus. Sie rissen die entsetzte Schildwache bei'm Vorgartengitter aus dem Schilderhäuschen, entwanden ihr Helm und Seitengewehr und traten und prügelten sie braun und blau. Darauf zerschlug der wüste Haufe das rotweiße Häuschen in Scheite und Splitter, warf bei Bürgermeisters ein halb Dutzend Scheiben ein, und wälzte sich gröhlend weiter zum Bischofstor. Kühlte sein Mütchen am Sperrgitter und schlängelte sich den Bischofsberg hinan, durch die kurze Bischofsnadel und über den Domshof, bis zum Markt.

Da rotteten sie sich vor dem Rathause zusammen und umzingelten den Riesen Roland, dessen Spruch lautet: »Vryheit do ick jug openbar.« Sie wußten, daß oben in der Wittheitsstube des Rathauses der Senat zu dieser Stunde Sitzung hielt und mit vereinter Kraft Maßregeln wider die rote Gefahr baute; obenan hinterm Tisch der alte Smidt im Präsidentensessel. Den wollten sie heraushaben; den alten Smidt, der das verfluchte »Regier« in Händen hatte.

Als das Toben zu ihm hinein in die Wittheitsstube drang, verließ er seinen Platz und trat hinaus auf den Rathausbalkon, um zu seinen Bremern zu reden. Mehrere Senatoren folgten ihm und reihten sich zum Schutz hinter ihm auf. Jedoch seine kräftige Stimme verhallte in der hohen See des Aufruhrs; die Empörer schüttelten schmutzige Fäuste gegen ihn hinauf und bedrohten sein Leben. – Er aber wehrte alle Warnungen der Seinen schroff zurück und hieß sie bleiben, wo sie waren. Stracks und allein stieg er treppab und erschien vor dem Rathause unter den steinernen Bögen. Ruhig stand er und blickte um sich her und über die wogende Menge hinweg. –

Da machte ihm plötzlich der aufgehetzte Pöbel eine Gasse frei. Langsam, als ob er spazieren ginge, durchschritt er sie bis zum Riesen Roland, stieg auf die flache Stufe und rief überlaut sein Losungswort in den Tumult hinein:

»– Niemand wird getreten, er werfe sich denn zuvor nieder, Ihr erniedrigt euch! – Steht wieder auf –; geht nach Hause! – Haltet Ruhe! – – – –« – – –

Das Pfeifen und Johlen ertrank in Hochrufen auf den alten Smidt; das Volk umdrängte ihn und streckte ihm die Hände entgegen. Er schüttelte rechts und schüttelte links und redete kein Wort weiter; ehrerbietig begleiteten ihn fünf oder sechs der ärgsten Schreier bis zur Rathaustüre zurück. Er hatte gewonnenes Spiel.

Draußen auf dem Markte ward Stille, und in Ordnung gingen die Leute auseinander.

*

So erzählte mein Vater. Er war damals zweiter Ratssyndikus, und hat jenen Tag miterlebt. – Und wenn das Ganze auch wie eine schöne Legende klingt: es spiegelt unseres Großvaters Geist und Macht über seine Bürger wieder.

*

Möglichst bald reiste Smidt wieder für kurze Zeit nach Frankfurt, und Heinrich begleitete ihn nochmals. Freilich ließ ihn das wilde Tosen der politischen Windsbraut kaum zu Worte kommen, aber wie allzeit, so auch jetzt als greiser Mann: müßig blieb er nicht. Im allgemeinen Wirrsal schaffte er mit; schrieb, mahnte und unterhandelte zum Frommen der Hansestädte und stemmte sich kräftig gegen den Strom der Vorschläge und Neuerungen, damit sein kleines Staatsschiff und die der Schwesterstädte nicht vom Schwall niedergerissen wurden und leck zu Grunde gingen. – Er fühlte, daß die heimische Verfassung noch viel mehr auf den Ton der allgemeinen Welt- und Zeitlage gestimmt werden mußte, und arbeitete in der kurzen Frist seine Vorschläge aus. – – Daß statt des Erfolges ein Fehlschlag kam; war damals nicht vorauszusehen; Smidts Klugheit und Energie, zusammen mit dem Einflüsse seiner Persönlichkeit, haben jedoch später vornehmlich dazu beigetragen, die schlimme Verwickelung glimpflich zu lösen.

*

Er kehrte heim, aber schon im Spätsommer zwang ihn die Gesundheit seiner geliebten Gefährtin, nach Wiesbaden mit ihr zu reisen und dann in Frankfurt zu bleiben, weil sie keine Fahrten mehr ertragen konnte. Seit ihrem goldnen Hochzeitstage, Neujahr 1848, siechte sie dahin, und doch wollte ihr Gatte nicht glauben, daß der Tod an seines Glückes Tür pochte. – An ihre letzte Abreise ist meine erste Kleinkindererinnerung geknüpft, wie ihr bereits wißt; Mine pflegte sie, und am 29sten Dezember schlossen sich ihre Augen zum letzten Schlafe.

Smidt schrieb an seine vereinten Söhne und ihre Frauen nach Bremen:

Frankfurt, 30. Dec. 1848.

»Ihr wisset es also schon, ihr lieben, lieben Kinder, was uns gestern Abend widerfahren ist, wenn dieses Blatt in eure Hände kommt. Eure kräftige Schwester hat gegen Mitternacht noch ausgerichtet, was ich mir unter der Wucht dieses Schlages nicht mehr ansinnen durfte. Sie war vorbereiteter als ich. Kloß (der Arzt) hatte ihr an demselben Tage mehr gesagt als mir. Wie ich gestern Abend um 9 Uhr zu Hause kam, und durch die Kunde, daß endlich Schlaf eingetreten sei, von einem neuen Hoffnungsstrahl beschienen ward, begab ich mich so leise wie möglich in mein Zimmer; jedes Geräusch durch Thüröffnen und Klingeln vermeidend, schrieb ich bis 10½ Uhr Briefe nach Lübeck und Bremen und streckte mich zum Lesen der Abendblätter auf das Sofa. Da trat gegen 11 Uhr Mine, die ich schon ruhend glaubte, zu mir in's Zimmer. Mit dem ersten Blick auf sie wußte ich, was vorgegangen; eilte an's Krankenbett, um womöglich noch einen letzten Lebenshauch aufzufangen, aber mein brennender Kuß fiel schon auf eine kalte Lippe. – Von der Nacht laßt mich schweigen. Der Schlaf wollte sich nicht einfinden ...

Der Körper wollte sein Recht; heute hat der Geist das seinige geltend gemacht. Was kann ich mir anders sagen, als daß ich der undankbarste Mensch der Welt wäre, wenn ich beklagen wollte, daß ein ganz ausgezeichnetes, über ein halbes Jahrhundert mir zu Theil gewordenes Glück nicht noch länger gedauert. Muß ich nicht vielmehr demüthig bekennen: »ich bin nicht werth all der Gnade und Barmherzigkeit, die mir widerfahren ist«.

Und ist sie denn schon zu Ende? Kann ich für die kurze Zeit, die mir hienieden noch übrig bleiben mag, nicht noch schwelgen in der Erinnerung an die vielfachen, gemeinsamen Erlebnisse in den nächsten Verhältnissen zu einem Wesen, so voll Reinheit, Güte und Wahrheit, wie mir kein andres im Leben vorgekommen ist?

Und was das Jenseits betrifft, – wir haben wiederholt mit einander gesprochen über die Ungewißheit dessen, was es bringen kann und werde, aber das Resultat war immer: » an uns soll es nicht liegen, wenn wir uns nicht wieder aufsuchen und wiederfinden.«

... Euch aber, lieben Kinder, wird die teure, verklärte Mutter ein segenbringendes Vorbild bleiben, so oft ihr ihrer gedenkt.

Ich kann mit Wahrheit bezeugen, daß sie mir in unserer 51jährigen Ehe nicht eine trübe Stunde durch ihre Schuld gemacht hat. Und wer hätte es über's Herz bringen können, ihr eine machen zu wollen? Ja, es hat zu den Seltenheiten gehört, daß unsere Ansichten über das, was in der Sphäre unsers gemeinsamen Lebens zu thun und zu lassen sei, verschieden waren, und ich erinnere mich nicht, daß die Berathung dieser Verschiedenheiten je in leidenschaftliche Aeußerungen übergegangen sei, die geeignet gewesen, den Anderen verletzen zu können. In der Regel war sie immer die Nachgiebige und das grade, weil sie fühlte, daß ich ihr würde nichts abschlagen können, was sie ernstlich und anhaltend wünschen würde.

Wie sehr dieser Riß die Sehnsucht steigern muß, den Rest meiner Tage in eurer und eurer lieben Kinder Mitte zu verleben, brauche ich euch nicht erst zu sagen. Hoffentlich kommt es in einigen Monaten dahin; einstweilen gereicht mir eure liebe Schwester zu einer kräftigen Stütze. Mit welcher Aufopferung und Treue sie für die theure Mutter gesorgt hat, wißt ihr, auch ohne daß ich es euch zu bezeugen brauche. Ihr dürft ihr das nie vergessen; es muß euch in lebendiger Erinnerung bleiben, so oft ihr der Mutter gedenkt ...

Mine schlägt vor, die sterbliche Hülle, aus der der Geist entwichen ist, am Neujahrstage der Erde zurückzugeben. – Ich mag es nicht hindern; es weht mich wie ein Gefühl von Pietät an, die Rückgabe grade an diesem Tage zu gestatten ...

... Nochmals, in dem schmerzlichen Gefühle, die theure Mutter euch nicht ersetzen zu können,

herzlich euer Vater.«

*


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