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Zweites Buch.
1800 bis 1814

 

»Niemand wird getreten; er werfe sich denn zuvor nieder.«

 

VII.

In unserm Bremer Rathause führen zwei alte Türen aus der Halle ins Innere des Baues. Die eine zur »Wittheitsstube«, wo ehedem des hohen Rates Obere und wohl weise Herren sich »in Sachen staatlicher Förderung und gerechten Urtels« versammelten. Ob die Nebentür mit der krausen Mönchsschrift des fünfzehnten Jahrhunderts etwa ins Conclave der Wahlwürfelung ging, weiß ich nicht zu sagen. Die Uebersetzung ihrer Inschrift ins Deutsche, die ich einem hundertjährigen, vergilbten Hefte entnehme, lautet, wie folgt:

 

»Bei'm Staatsregiment merke dir zwölf Regeln:
»Erhalte Eintracht unter den Bürgern.
»Habe das allgemeine Beste vor Augen.
»Vertraue die Gewalt nur erfahrenen Männern.
»Sorge für die Einkünfte der Stadt, damit sie destomehr aufblühet.
»Halte den Nachbarn zum Freunde.
»Gieb gleiches Recht auch den Geringen und Armen.
»Halte fest auf die Grundgesetze.
»Weise zurück, was nicht gut ist.
»Verehre den Herren.
»Befolge die Lehren der Weisen.
»Die Stadt, der es an solchem fehlet, hat weder Glück noch Stern.
»Höret auch den andern Theil. –«

 

Außen, über der Wittheitsstubentüre, steht:

»Laß jede Leidenschaft bei'm Eingang zurück,
»Und sage freimüthig deine eigene Meinung.«

Innen, über derselben Türe:

»Bei'm Ausgang vollführe mit treuem Fleiß deine Aufträge,
»Und halte geheim, was ohne Schaden nicht kundwerden darf.«

*

Auf diesen Satzungen erbaute Smidt sein Amt als jüngster Senator der freien Stadt Bremen.

Zu Anfang der neuen Tätigkeit hieß es vor allem seine Interessen im Ringe der Stadtmauern festzuwurzeln; in der Wittheit, hinter der vielsagenden Tür, die Verhandlungen nachzuschreiben, und mehr zu hören, als zu reden. Ferner mußte man der städtischen Polizei auf den Fersen sein und, zwischen dem ersten und zweiten Frühstück, als »Morgensprachherr« die »Lamenten, Molesten und Elogen« der Zünftigen gebührend entgegennehmen: schlichtend, beratend, begütigend und um Vertrauen werbend. – Der Wittheitslehrling Johann Smidt mußte sein Gesellenstück austifteln, bevor die gestrengen Aeltesten ihm den Meisterbrief schrieben. – Vieler Tiftelei jedoch bedurfte er nicht. Er hatte eine geschickte Hand und kluge Augen zur Arbeit; seine regen Interessen schoben, nach der Bewurzelung, nicht träge Blatt um Blatt durch die schwere, norddeutsche Erde, sondern trieben gleich hochstrebende Schößlinge voll Saft und Kraft, die sich über ihre Einfriedigung hinausreckten, ehe man sich dessen versah. Sein warmer Eifer steckte sich immer weitere Grenzen; von jedem, was er angriff, lernte er; setzte das Gelernte sofort in dauernde Werte um und übte sich früh darauf, den rechten Mann zu rechter Zeit für den rechten Platz erst vorzuschlagen und dann zu bestimmen. So entwickelte sich sein Regententalent aus der Knospe zur Blüte, und es konnte nicht fehlen, daß seine selbstsichere Persönlichkeit die Aufmerksamkeit auch außerhalb der Wittheitstüren auf sich zog.

Ein ganzer Mann war er. Man las es schon in seinen jugendlichen Zügen und las es noch in denen des Greises, fünfzig Jahre später. Ein schöner Kopf im verinnerlichenden Sinne betrachtet. Unter der starken Haarfülle die kluge Stirn und die tiefliegenden Augen von verblüffender Bläue und lebendigstem Ausdruck. Fest drückte sich die energisch vorgeschobene Unterlippe gegen die schmale Oberlippe von feiner Zeichnung und daran schloß sich das ausgeprägte Kinn. Die Nase sprang kräftig heraus; über ihr schnitten sich senkrechte Falten ein, wenn er, nachsinnend, in seinem Arbeitszimmer auf und ab ging, das Kinn gegen die Halsbinde gepreßt, die Hände umeinanderreibend. Das war seine typische Bewegung, wenn er nicht in kritischen Momenten mit allen zehn Fingern durchs aufgebäumte Haar fuhr. Beides erinnere ich sehr deutlich aus Kindertagen, und ich habe es, glaub' ich, schon früher einmal erwähnt.

Längst ehe die napoleonischen Greuel begannen, hatte er sich klargelegt, was hier ein Hemmnis des bremischen Volkswohls bedeutete und dort Trägheit im Aneignen neuzeitlicher Bildung und Freiwerden von Vorurteilen, die, seiner Meinung nach, mit dem neuen Jahrhundert ausgemerzt sein mußten. – Die Standesvorurteile, die Titelsucht und Augendienerei nach dem Muster der Reichsstädte; das Floskelgerank von Untertänigkeit, das von außen her nach Bremen herüberschmarotzerte und nachgerade allerorten im deutschen Lande wucherte, zum Ekel Smidts, des Mannes von vorbildlicher Geradheit. – Auch andrem Dunkeltun sah er hinter die Gardinen: dem unlauteren Gelderwerb, der Tugendheuchelei, dem Kirchengehen mit den Füßen und nicht mit dem Herzen; allem, was sich unter der beblümten Deckschicht der versumpften Nachrevolutionszeit verbarg.

Zugleich mit dieser traurigen Erkenntnis befiel ihn die heiße Ungeduld zum Bessermachen. Er traute sichs zu, den überblümten Sumpf in Erdreich für frische Aussaat zu verwandeln; das Floskelgerank auszurotten. Merkwürdig, wie greifbar und lebendig er stets seine Endziele vor sich hatte: das Erntefeld, die Neubauten, wenn der Weg darauf zu ihm noch verschwommen im Nebel dräute. – Was machte das? Nur kein Verzagen: geradedurch! – Schliche und Kniffe verschmähte er von je und je.

»– wenn sichs machen läßt, fange ich bei den Werdenden meinen Umbau an,« dachte er, und sieh da: es ergab sich naturgemäß, daß ihm, dem Berufstheologen, das Kirchen- und Schulwesen anvertraut ward. Seine alte Liebe zur geistlichen Lehrwissenschaft erwachte wieder, und der Jugend, auf deren Reifen und Gedeihen er wirken sollte, stand sein Herz offen, denn er war ein großer Kinderfreund: – Zwei seiner eignen Kleinen, die Mine ihm geboren, lebten und blühten; zwei hatte er verloren. Er war der zärtlichste Vater und der innigste Gatte. Niemals wurde er müde auszusprechen, daß Gottes Güte ihn mit der Krone aller Frauen gesegnet habe. – Es geht als goldner Faden durch seine Familienbriefe und andre Ueberlieferungen. Frühzeitig schon spendete ihm das Leben die idealen Güter, die ihn zum glücklichen Manne und Menschen machten; äußerlichen Reichtum begehrte er nicht. Frohes Hausbehagen, gewürzt von Geist und Humor; Freunde und Verwandte, auf die er sprechen konnte, die sich ihm schriftlich und mündlich nahestellten, da war's, was ihn reich machte; das und reiner Naturgenuß. Bereits 1804 besaß er seinen vorstädtischen Sommersitz im Garten zwischen Contrescarpe und Kohlhökerstraße, und dazu kam des öfteren die geliebte Dungener Landruhe, fern vom Stadtgetriebe. Im bescheidenen Hause unter den grünen Vorzeitswipfeln wohnte ihm die friedlichste Vergangenheit, und die Zukunft bedrängte ihn weniger in der vogeldurchzwitscherten Stille von Busch und Wiesenweite. –

*

So lag er denn pflichttreu seiner zugewiesenen Arbeit ob, ohne Handel und Wandel, Innen- und Außenpolitik zu verabsäumen. Im Gegenteil: die Politik drängte sich immer mehr in den Vordergrund und steckte Warnungssignale auf.

Seine Erfahrung und sein Wille wuchsen; seine Hellsichtigkeit ward zur Macht. Die Heimatsliebe trieb ihn. Mehr und mehr umfaßte seine Tatkraft das Ganze anstatt des Bruchteils, da und dort, aus innerster Notwendigkeit heraus, griff seine Rechte in die Steuerung des bremischen Staatsschiffes, wohlüberlegt und rasch zufassend, je nach Steigen und flüchtigem Abebben der gewaltigen Zeitnot. Seine scharfen Augen sahen die furchtbare Brunst des Kommenden flammenrot am westlichen Sichtkreis über das Meer der Not emporwachsen von Frankreich her, und die Brandung der Völkerfeindschaft schlug aufs Ufer. – Die See ging hohl; es stürmte.

Schon 1803 hatte Bonaparte, der seinen Fuß sicher auf die Vorstufe zum französischen Kaiserthron setzte, die freien Hansestädte gänzlich von der hohen Politik ausgeschlossen. An keiner wichtigen Beratung über Krieg und Frieden durften sie teilnehmen, keine Vertreter von Amts wegen zu Staatsentschlüssen senden, und sie hatten in Reichskriegen unbedingte Neutralität zu bewahren. Genau betrachtet und von Smidt ohne Bemäntelung erkannt, war dies ein Zustand tatenloser Unfreiheit; eine Fessel mit Baumwolle umwickelt, damit sie nicht drücken sollte, aber bis auf wenige, fand das friedensselige und stolze Patriziergeschlecht noch nichts ehrenrühriges an dieser ungeheuerlichen Ausschaltung von Recht und Stimme. –

Den Südländer Napoleon Bonaparte reizte es, seinen Uebermut an diesem zähen, unzugänglichen Volksschlage im deutschen Nordwesten zu wetzen, den Gegenfüßlern der Gallier mit ihrer plumpen Verfassung, ihrem Hochmute ob der lächerlichen Erdscholle ihrer Zwergstaaten, ihrem nüchternen Ketzertum. »Ce peuple sauvage, nommé 'eïdsnouc«, »ces bon-pour-niquels«, die sich von klumpigem Schwarzbrote und gegohrenem Kraute nährten; die Heidschnucken und Pumpernickel, die in Morästen und Dünen und ungebildeten Pfahlbauten hausten, konnten noch jetzt einen Caesar locken, ihnen seinen Varus mit etlichen Cohorten auf den Hals zu schicken. Denn, parbleu, ungeschlachte Bärenhäuter schienens zu sein! – und der Korse ergriff demgemäß seine Maßregeln.

Am 18. Mai 1804 setzte er sich die goldne Kaiserkrone aufs Haupt und ein Jahr später die Mailänder eiserne. Er verstreute rings um sich her Fürstentümer und Königreiche an seine Anverwandten und Günstlinge, und der gefällige Papst hatte seine erste Krönung nachdrücklich geweiht mit eigener Hand. – Ende Januar 1806 beschenkte ihn sein Pariser Senat mit dem Ehrentitel »der Große«. – Nun fehlte ihm nur noch das Erdreich zum Schemel seiner Füße, und, bei allen Göttern; er wollte sichs erobern und der Obergott sein! Wer wußte, ob er seine Hand nicht auch an Mond und Sterne legen und die Sonne als Gloriole um sein finstres Angesicht zwingen konnte!

*

Droben im halbfreien Bremen nahe der breiten Wesermündung schwankte das Staatsschiff auf den unruhigen Wassern weiter durch die drei bangen Jahre zwischen der Auflösung des heilig römischen Reiches und der napoleonischen Zwingherrschaft unter der eisernen Krone der Tyrannei.

»Wer den Wagemut hat, sein Schiff durch Sturm und Brandung in den Hafen zu lotsen, eh' es wrack ist, dem wird Wagnis Pflicht«, sagte Smidt und drängte vorwärts. – Nun stand er wirklich am Steuer und hielt es fest. Eine eiserne Krone trug er nicht; aber die eiserne Hand war auch etwas wert. Sein Kollege im Amt, Georg Gröning, dem, von Alters wegen, die führende Stellung eher zugefallen wäre, mußte dauernd von Bremen abwesend sein, um die feinen Schachzüge seiner Außenpolitik im Auge zu behalten. Er war ein reifer, vornehm gesinnter Mann, der seine schwierigen Sendungen zu Paris mit außerordentlicher Sicherheit vollführte und nie sein Deutschtum vergaß.

Smidts Vorbild und diplomatischer Lehrmeister war er; sein getreuster Helfer. Denn denkt nicht, daß mein Großvater der einzige Held im Sturm war. O nein! Viele andre arbeiteten mit ihm im Schiff und waren bereit, Gut und Blut hinzugeben wie er. Unter denen, deren Namen die bremische Geschichte bewahrt, will ich nur einige herausheben, die Smidt besonders nahe standen: die Senatoren Vollmers, Gondela, Horn und Nonnen; den Rechtsprofessor Wichelhausen, den Doktor Gildemeister und die Brüder Post: Liborius und Simon Hermann. Tüchtig, begabt und vaterländisch sie alle. – Daß Smidts Tüchtigkeit und Begabung von Genialität durchleuchtet waren und ihn zur Höhe hoben: das war sein Gottesgeschenk und sein Dank dafür: sich des Geschenkes würdig zu machen.

*

Nach und nach ward das Friedensheim im nordwestdeutschen Seewinkel zur Hölle. Die Kriegsunruhen, eine aus der andren geboren, zogen sich herauf. Truppen aller Länder fielen in die Stadt ein, rabuscherten schonungslos, verschwanden und machten andren Platz. Eine Ueberschwemmung von fremden Generälen und Marschällen, Drahtpuppen des Weltkaisers, verbreitete sich durch die geschreckte Stadt und ihr Gebiet; wenig Freundwillige und Barmherzige; destomehr feile Lumpen aus goldbetreßtem Tuche, von fantastischer Geldgier beseelt: »ha welch' schönes Leben, ist das Räuberleben! –« Der gute Bremer Mittelstand blieb besonnen; die Bauern des Gebiets erwehrten sich des bunten Schädlingsschwarms nachdrücklicher. Auf Flegel und Mistforken kam's ihnen nicht an, und mit ihrem derbem Weserplatt gingen sie den »Franschen«, »Ingel'schen« und »Hollänners« kurzfahrig zu Leibe. Noch nachdrücklicher den näher verwandten Ueberläufern und Friedensstörern. Ihren finstren Groll kauten sie in sich hinein.

Senat und Bürgerschaft hielten eng und fest zusammen und trugen das grenzenlose Unglück mit äußerlicher Gelassenheit. Smidt zeigte sich auch gelassen; aber sein feuriges Temperament hieb in der Verschwiegenheit der Wittheitsstube manch liebes Mal springende Funken aus der Steinlast allgemeiner Unterdrückung. Seine Hoffnung ging noch auf hohen Wogen; fest glaubte er an seines Bremens selbständige Lebenskraft. Die würde sich schon unter der Steinlast hervorarbeiten und frei machen; freier, als zuvor. Es mußten nur alle wollen mit der Tat gleich ihm! darauf kam es an; nicht dasitzen, die Daumen drehen und seufzend leiden, oder gar den Zwingern Zugeständnisse machen; solche, die den Schatten eines Schattens von Franzosenfreundschaft vor sich her warfen! – Es gab hier in Bremen ein paar gute, alte Namen, auf die mußte man achthaben! –

Smidt hielt die Augen offen und ließ sie weder trüben noch blenden.

*

Er pflegte Herkommen und Grundgesetze, trotz Wind und Wetter der politischen Wirren, so hingebend, wie er seinen lieben Sommergarten am Stadtgraben vor dem Tore pflegte; er strebte Verbesserungen an, nutzbringend, gleich den Fruchtbaumspalieren an seiner sonnigen Hausmauer; denn die Sonne schien weiter über Gerechte und Ungerechte. – Ihm war es hauptsächlich zu danken, daß im August 1806 dem Bürgereide ein kurzes Gebot und Verbot angegliedert ward: »kein Mitglied des Rates darf hinfort auswärtige Aemter, Titel und Orden annehmen, und kein Bürger jeglichen Standes dasselbe tun ohne Erlaubnis des Rates. Bremer Bürger zu sein ist höchste Ehre.«

In dieser Satzung lag Smidts edler Bürgerstolz beschlossen; vom eignen Ich gab er den Seinen zur Stärkung. Aus demselben Antriebe verfocht er schon damals unermüdlich den Wunsch, daß auch die Ratsmitglieder sich mit der schlichten Anrede: »Bürgermeister« oder »Senator« begnügen möchten, ohne durch den »Doktor beider Rechte« Scheinglanz darüber hinzuwerfen »Solchen, die das verantwortliche Amt verwalten dürfen, im Rate einer freien Stadt zu sitzen, sei der Name ihres Amtes der äußerlichen Würde genug.«

*

Erst nach mehr denn vierzig Jahren ist ihm dieser Wunsch in Erfüllung gegangen; im Revolutionsjahre 1848. –

*

Die drei Hansestädte hatten sich, seit kurzem, noch ernstlicher ihrer Haut zu wehren, wollten sie nicht ihrer letzten Sonderrechte in irgend einer neuen oder neuesten Bündlerei verlustig gehen. »Rheinbund«, »nordischer Bund«: die Sammelnamen fielen den Hanseaten unangenehm ins Ohr, und zu Preußens politischer Vormundschaft hatten sie wenig Vertrauen. So verhielten sie sich abwehrend; Grönings Rat zu dieser Taktik hätte es nicht bedurft.

Smidt setzte sich in eingehenden Briefverkehr mit den Kollegen der Schwesterstädte an Elbe und Trave, und man beschloß, daß die drei Regierungsvertreter in Lübeck zu eingehender Beratung der freistädtischen Interessen zusammenkommen sollten. Im September begann die Tagung. Syndikus Curtius vertrat seine Vaterstadt Lübeck, Syndikus Doormann das nachbarliche Hamburg und Smidt Bremen.

Ganz leicht war die Sache nicht. Syndikus Doormann kehrte frostiges Widerstreben heraus. Das unerquickliche Hin und Her währte beinahe einen Monat. Smidts Ungeduld spornte und Curtius' Ueberredungsversuche bohrten Woche auf Woche vergebens. Endlich warf Smidt das Mißtrauen des Hamburgers zu Boden. Zum erstenmal siegte er auf der ganzen Linie durch die Fülle seiner haarscharf aufs Ziel eingestellten Gesichtspunkte, seine unbeirrbare Logik, vereint mit lebensfrischer Rede und gesunden, ausführbaren Vorschlägen.

Die Beratenden, die das Wohl und Wehe ihrer Staatskörper erwogen, beschlossen ein Gutachten folgenden Inhalts über die beste Zukunftsgestaltung der drei Schwesterstädte abzugeben:« – Der offizielle Titel: ›Kaiserlich freie Reichs- und Hansestadt‹ soll in das schlichte: ›freie Hansestadt‹ verkehrt werden und für die hemmende Reichsgerichtbarkeit eine selbständige Oberbehörde geschaffen, zu Nutz und Frommen einer zweifellos anerkannten, hansischen Unabhängigkeit.«

Am 15. Oktober hatten die drei Männer ihr Gutachten unterfertigt. Smidts deutsche Seele sah seine eigne Stadt und die beiden verschwisterten schon im Vollbesitz ihrer verbrieften Rechte, da kam es anders. – Während die Ahnungslosen an der Trave Luftschlösser bauten, brach das Gewitter schmachvollen Unglücks herein. In Lübeck wußten sie noch nicht einmal, daß Preußen am 9. Oktober Napoleons Kriegshandschuh aufgenommen hatte; daß am gleichen Tage General Tauenzien zurückgeschlagen war, bei Schleiz, und am 10ten bei Saalfeld Prinz Louis Ferdinand, der Ritterliche gefallen. Am 14ten vernichteten die Franzosen des Preußenkönigs Heer bei Jena und Auerstedt. Der Thronräuber selbst und sein Schildknappe Davoust hatten den großen Sieg erstritten. –

– Und nun schlug den drei Hansestädten ihre Stunde.

Lübeck ward zuerst ereilt, anfangs November, da es schon winterte. Die Franzosen verfolgten Blücher und die Trümmer seiner Armee. Als entsprungene Wildbestien wüteten sie in der unseligen Stadt; nichts ward verschont; weder Heim noch Heiligtum, nicht Frauenreinheit noch Kindesunschuld; nicht Alter, nicht Krankheit. – – Von Lübeck nach Hamburg, von Hamburg im Eilmarsch nach Bremen hinüber.

Frühmorgens am 20. November, im Nebeln und Stäuben, standen die Mordbrenner urplötzlich hinterm versperrten Ostertor, schlugen mit Kolben und Knäufen wider Holz und Eisen und sacrierten: »ouvrez la coterie! ouvrez! ouvrez – nom d'un – – –!«

Der Wächter blies Alarm, der vom Herden- und Ansgaritor fiel ein; die ganze Wittheit mußte schleunigst aufs Rathaus, in heißer Hast, ohne das Kleid ihrer Würde. Schlafrock, Hausrock, Siebenkragenmantel über nächtlichem Unterzeug –: alles gleich!

»Erhalte Eintracht unter den Bürgern.
»Habe das allgemeine Beste vor Augen.
»Halte fest auf die Grundgesetze – – –
– »Laß jede Leidenschaft bei'm Eingang zurück. –«

Das war in die Türen eingegraben mit Lettern für eine irdische Ewigkeit, und alle die hinter den Türen saßen und standen, sagten sich Spruch und Sinn ehrlich vor, Schmerz, oder Furcht in ihren erschrockenen Augen. Allein was nützte es heute? Gewalt geht vor Recht. Kaum Zeit konnten sie sich nehmen, die führenden Mitglieder der Bürgerschaft zu berufen: dann öffneten sie den Todfeinden ihre Tore. Das Unheil flutete herein, lärmte durch die Straßen; verfing sich in den Winkelgassen und ward hinter der Liebfrauenkirche und rings um den Riesen-Roland mit Signalschmettern und schnarrenden Kommandos gesammelt. Grau und schwer hing der Novemberhimmel über Türmen und Dächern; die Rinnen tropften, der Kot spritzte. Im Rathaus mußte Licht gezündet werden, und zur versammelten Wittheit und Bürgerschaft hinauf polterten die welschen Offiziere in den schneenassen Mänteln und schmutzigen Stiefeln. Dieser lachte und jener spottete laut über das Geländer der uralten Wendeltreppe zur Halle empor, das mit starken Eisenspitzen bewehrt ist: »sales brutes d'allemands!« – man konnte sich nicht einmal daran festhalten!

Droben in der Halle wartete die »bremische Regierung«, stumm und ohne die Köpfe zu beugen. Gondela und Smidt traten als Sprecher vor.

»Gebt acht, Messieurs; wir stehen unter des Kaisers Schutz«, sagte Gondela und Smidt:

»Tun Sie Ihre Pflicht – wir werden uns selbst zu schützen wissen. –« Darauf Oberst Clément, der Häuptling seiner Horde:

»– restez tranquils, messieurs; vous êtes sauvés; – vot' bonne ville sera sauvée!« – und draußen tobten die Banden der Bedränger.

*

Der hohe Rat und die wackre Bürgerschaft gerettet – die gute Stadt gerettet: zu welchem Lose? – – – – –

Bremen wurde, als letzte der drei hansischen Schwestern, unters Joch gezwungen, und das Lübecker Gutachten der klugen Köpfe mochte im Archiv verstauben.

*

– – – – Die öffentlichen Aemter blieben für jetzt noch in den Händen ihrer seitherigen Verwalter liegen; aber sie lagen eben, wirken und schaffen war ihnen untersagt. Geknechtete Freiheit, und die Herrenmenschen und seßhaften Bürger waren zu stolz, um nutzlos widerzubellen.

Dann kamen die unerhörten Verfügungen Napoleons gegen England und seine Beziehungen zu den hansischen Handelsstädten an der See von Berlin aus. Dort verweilte der Vergewaltiger eben. Er beklagte, daß er die gute Stadt Bremens ihres regen Englandverkehrs wegen besetzen lassen müsse, da sie, erwiesenermaßen, die Freundin Englands und demgemäß dessen Mitschuldige sei. Also: Einziehung aller englischen Waren im bremischen Staatsgebiet, Gefangennahme aller englischen Untertanen; weder Post- noch Schiffsverkehr zwischen Bremen und den britischen Inseln ferner mehr gestattet.

»Wehe euch, wenn ihr die Satzungen auch nur in einem Falle übertretet. Dreitausend weitere Mann von des Kaisers glorreicher Armee würden sofort einrücken!« Diese Drohung kam auf die brieflichen Vorstellungen des Senats ob solch brutaler Maßregel, und auch Grönings freimütiger Fürspruch in persönlicher Audienz bei Napoleon nützte wenig oder nichts. – Bis nach Warschau folgte der treue Patriot dem Kaiser, den er in Posen gefunden hatte. Ueber ein Vierteljahr lang hat er an seinem Erlösungswerke für die Vaterstadt gearbeitet – – verlorene Liebesmüh'. –

Das war nun die vom Kaiser selbst verkündete Unabhängigkeit der drei Hansestädte. – Nicht anders wie allen durch Gewaltstreich erbeuteten feindlichen Gebieten wurde ihnen mitgespielt. Bremens Besitznahme ließ Oberst Clément den Behörden der Stadt in aller Form mitteilen im Namen des Kaisers. Der Weserstrom konnte seinetwegen versanden. Ueber alle Schiffe und Kähne unter fremder Flagge in Fahrwasser und Hafen ward Sperre, Haft und Beschlagnahme der Ladung verhängt; ein Wunder, daß die Fährboote zwischen den Flußufern dem drakonischen Befehl entgingen. – Das Sterbelied für Handel und Schiffahrt wurde angestimmt, und selbst Smidts mutiger Idealismus auf das Thema: »Laßt uns besser werden; bald wirds besser sein!« hatte seine ersten Zweifelsstunden bis zur Niedergeschlagenheit. –

»Im Namen des Kaisers,« hieß es an den Kassen; »im Namen des Kaisers« hinterm Gerichtstisch. »Im Namen des Kaisers« mußte die friedfertige Bremer Miliz ihre Waffen ausliefern; »im Namen des Kaisers« wurden Schuhwerk und Uniformtuch gefordert, nebst Holz und Stein, Ziegel und Glas für ein neues, französisches Spital. Straße auf und ab drangen fragwürdige Sendboten in die Häuser ein und holten fort, was sie an Jagdflinten und Reisepistolen, Zierdegen und Nickfängern erwischen konnten. Sahen sie etwa ein paar silberne Tischmesser und Gabeln, so gingen auch die im Namen des Kaisers mit. Davon wußte Smidts Cousine ein Lied zu singen, Professor Rumps erste Frau, die hübsche Henriette de Hase aus der Dungener Idylle. Rumps spätere, zweite Frau, unsre allgeliebte »Tänti«, mit den herrlichen Braunaugen zu lückenloser, sonstiger Vollkommenheit, hatte die sieben Jahre französischer Drangsalierung schon als reifer Mensch miterlebt, und wußte wundervoll davon zu erzählen, höchst anschaulich und doch gehalten. Unter ihren vielen Franzosengeschichten ist mir die grausige von Beke Wienges aus dem Winter 1806 besonders lebhaft im Gedächtnis geblieben, und ich will sie möglichst treu in Täntis Weise und Worten wiedergeben:

»Beke Wienges, weißt du, mein Mägdlein, das ist die junge Wittfrau von Cord Wienges gewesen; der war Landreiter zwischen Arsten und Kattenturm, und Anno viere ist er in der Ochtum ertrunken und tot herausgefischt worden. Da hat Beke sich seine Monturknöpfe und seinen Pallasch zum Angedenken ausgebeten und ist von Kattenturm nach Bremen verzogen mit ihrem kleinen Jungen Cordje, in den Glockengang bei'm Dom. Eine große, rische Person von einunddreißig ist sie damals gewesen, fleißig und resolut, und hat mit Malerfarbe an ihre Haustür schreiben lassen: »Gebeka Wienges, zum Waschen und Reinemachen« und bekam bald Kundschaft: Rumps und Smidts und Thulesius und Treviranus' gleich auf einmal und Trinchen Castendyk, Großvater Smidts Schwester, auch schon eine Wittfrau. – Das ist nun egal, lieb Kind; ich wollte dir ja von den Franzosen erzählen. – Die haben derzeit von allen Bürgern nach der Reihe die Waffen herausgefordert, und da hört so ein französischer Haussucher irgendwo, daß Beke Wienges einen Pallasch über ihrem Bette zu hängen hat und überhaupt eine ganz gewaltsame Person sein solle, und das merkt er sich, und schreibt Namen und Hauszahl in sein Buch und denkt gewiß: »Dabei kannst du vielleicht ein Geschäft für dich selber machen.«

Drei Tage vor Weihnachten begibt er sich früh um Glocke fünfe auf den Weg; der hohe Schnee ist rein und weiß und leuchtet ihm, und so findet er auch den Glockengang bald, und sucht. Tür bei Tür, bis er den rechten Namen herausbuchstabiert. Er ist nämlich von Natur ein schlechter Deutscher aus dem Kölnischen gewesen, ein feiger Ueberläufer. Also bei Beke sieht er durchs Fenster die Tranlampe brennen, und drin steht Beke in Rock und Hemd und steckt sich die Haare auf. Ueber dem Bette, mit Cordje drin, blinkert der Pallasch im Licht.

Da klopft der Franzose ans Fenster. Beke denkt: »wokeen hett Klocke fiewen hier an't Finster to kloppen? – Klopp du man to! und kämmt sich sinnig den Scheitel blank. Da klopft es nochmal, und es klingt, wie Stahl und Eisen, und ruft: »ouvrez!« Das Wort kennt Beke und erschrickt halb zu Tod; aber sie bindet sich erst ihre Schürze um und deckt ihr Cordje bis über den Kopf zu, und dann geht sie langsam zur Haustür und riegelt offen. Gleich steht der Franzose schon drin bei ihr und fährt sie an: »– vos armes!«

»– mien Arms, de sünd nich för di!« sagt Beke und setzt ihm die Faust in die Brust und will ihn wieder hinausdrücken. Da stößt er sie beiseite und langt sich Wienges seinen Pallasch von der Wand herunter und will auch noch das neue Brotmesser mitnehmen. Das windet Beke ihm aus der Hand, und als er flucht und sie anfaßt, wie es eine rechtliche Frau nicht leiden darf, macht sie sich mit Püffen los und wirft ihm Cordje seinen Grotenssäbel vom Freimarkt an den Kopf: » dat will'k di gewen, du Röwer; dat anner nich!« und ringt mit ihm um ihren heiligen Pallasch wie eine Wütende. Mit einemmale zieht er blank und haut ihr mit der scharfen Klinge schräg über den Schlaf bis hinters Ohr, so daß ihr das Blut die Backen hinunterstürzt. Da springt sie nach ihrem Reisbesen hinter der Tür, holt weit aus und schlägt zu was sie kann, ihm mitten ins Gesicht, und schlägt ihm das rechte Auge aus dem Kopf. Da krümmt er sich wie ein Aal und jammert auf und drückt beide Hände vors Gesicht. Läßt den Pallasch fallen und torkelt aus dem Hause. Draußen wird der Schnee rot vom Blut, wie bei einer großen Mordtat, aber es schneit und schneit und ist gleich wieder weiß und der Glockengang totenstill.

»Nu schölt se mi woll bold na'r Klocken Die Glocke, das Kriminalgefängnis bei'm Ostertor. weghoaln, de Schinners, un smiet mi in'n Fängniß«, denkt Beke, und muß sich hinsetzen, so wunderlich ist ihr zu Mut. Aber sie krümmt sich nicht, wie der Franzose; nur all das Blut mag sie nicht gern sehen. Cordje schläft noch, das glückliche Kind, und Beke tappt auf Strümpfen an den Pumpsoot und wäscht sich die fürchterliche Wunde mit kaltem Wasser aus, setzt ihren Leimtiegel auf die letzten Kohlen und läßt den Leim flüssig werden. Nimmt einen Lappen aus dem Flickkorb, schmiert den Leim dick auf und klebt sich die Wunde fest zu damit, daß sie's friert und schüttelt vor Schmerz. – Als das Blutwasser weggegossen ist und sie die Jacke auf dem Leibe hat, holt sie Cordje aus dem Bett, zieht ihn an ohne Waschen und Kämmen und steckt ihm sein Stück Brot in die Hand. Zuletzt gräbt sie den Pallasch in das Sandfaß bei'm Kellerhals, deckt das Bett zu und löscht die Lampe. Hinter sich verschließt sie die Haustür und geht über Liebfrauenkirchhof in die Sögestraße zu Senator Smidts. Ueber ihre Tritte fliegt der dichte Schnee, und der Wind verweht die Spur. In der Sögestraße sind sie eben erst aufgestanden und wundern sich, daß Beke schon um sieben Uhr da ist und bringt das Kind mit. Sieht auch anders wie sonst aus, weil sie keine Strichmütze unter der Nebelkappe hat, sondern ihr schwarzes Tuch schräg um den Kopf gebunden. Großmutter fragt sie: »Beste Beke, wat fählt Aehr denn?« und Beke sagt: »och blot'n bäten Kopppien, Fro Zinnatern«, und schruppt den ganzen Vormittag wie ein Berserker. Mittags aber kann sie nichts essen und läßt sich, von Tisch weg, bei Großvater ansagen, und geht auf Strümpfen zu ihm in seine Stube. Da berichtet sie ihm alles ganz kaltblütig nach der Wahrheit und sagt zuletzt: »dat knippt mi doch bannig – –, dat ole Lock!« Großvater holt Großmutter herein; sie muß alles immer gleich wissen, und er legt ihr das Kind von Beke auf die Seele, und fährt mit Beke flugs zu Ohm Treviranus. Der ist damals ein berühmter Arzt in Bremen gewesen.

Ob Beke an der Wunde gestorben ist? Nein, Kind; und denke bloß: als Ohm Treviranus ihr den dickgeleimten Lappen mit Gewalt abgerissen hat, weil es nicht anders ging und darunter alles aufgefeuert gewesen ist, da hat sie sich die Zunge durchgebissen und keinen Laut von sich gegeben, – und nachher, im Krankenhaus, im Fieber, hat sie immerfort vor sich hingelacht und die Faust geknotet: »– dat högt mi blot, dat 'k denn franschen Hund mit mien' Riesbeßt dat Ooge rutfegt heww!«

Ein Jahr und zwei Monat hat ihre Krankheit gedauert. Die Franzosen haben ihr keine Strafe antun können; dafür ist dein Großvater dagewesen und hat auch gesorgt, daß Cordje in's reformierte Waisenhaus gekommen ist.

Später ist sie wohl wieder auf Waschen und Reinmachen gegangen und hat getan, als ob gar nichts passiert wäre; aber alle Leute haben ihr nachgeguckt, und niemand kannte die hübsche, fixe Beke Wienges mehr. Denn aus der Nebelkappe hat ihr armes Gesicht nur noch wie ein dünner, verzerrter Halbmond herausgesehen, und zu dreiunddreißig ist sie alt und grau gewesen. Im »langen Jammer« zu Walle hat sie gewohnt und ist Anno siebenundvierzig verstorben, mit Wienges seinem Pallasch über ihrem Bett. – Cordje ist derzeit auf See gewesen und bei'm Schiffbruch ertrunken, wie sein Vater früher in der Ochtum. Der Pallasch? – der ist zum alten Eisen gekommen. – –

Sieh, mein lieb Mägdlein, so haben wir uns dazumal vor den Franzosen fürchten müssen; dank du dem lieben Gott, daß du nicht in solch schrecklicher Furcht zu leben brauchst! –

*

Damit zurück zur unverblümten Schilderung der Franzosenzeit in deutschen Landen und besonders in unserm Bremen. – Sie wollten unser Staatsschiff in Grund bohren und das Ruder zerbrechen; Smidt aber hielt es fest unter den finsteren Wassern der französischen Trübsal und verzagte nicht.

*

Das, was Beke Wienges, das arme Weib aus dem Volke, mit tausend andren litt, war nur des Leidens Anfang. So ward das Neutralitätsversprechen gehalten; so fing man Gimpel. Aber die Besonnenen und Starken des deutschen Volkes sagten sich dennoch, wenn die Dunkelheit jede erleuchtende Hoffnung zu verschlingen schien, daß des Erdballs ewiges Wandeln selbst die napoleonische Sonne von Austerlitz einmal unter den Sichtkreis ziehen würde.

Die ersten Wolkenschatten überflogen ihren blendenden Glanz schon am 7ten und 8ten Februar 1807, als die Eylauer Schlacht in Wind und Wetter zu Ungunsten der Franzosen entschieden ward. Zwei Monate später, Ende April glaubten sich Preußen und Rußland kräftig genug zu fühlen und schlossen zu Bartenstein Vertrag. Nicht eher sollten die Waffen ruhen, bis Deutschland befreit und der Franzose über den Rhein zurückgeworfen wäre. Auf England und Schweden ward sicher gezählt, und Oesterreichs Beitritt in den Abmachungen vorbehalten.

Die Wage schwankte; das Fieber der Erregung stieg. Der preußische König hatte Frau und Kinder von Berlin nach Königsberg und von Königsberg an's äußerste kurische Haff, hinauf nach Memel geflüchtet, und da saßen sie nun im schlichten Bürgerhause zwischen den hellen Maserholzmöbeln am bescheidensten Tische, und die schöne Königin strickte und schneiderte für ihre Kinder, und dankte Gott, wenn sie eine warme Suppe und ein Brot auftragen konnte zur Mittagsstunde des kleinen Mannes. – In der Verborgenheit weinte sie schmerzlich, als am 24sten Mai der neue Schlag kam: die Feste Danzig gefallen, nach dreimonatlicher Belagerung. Blücher, der furchtlose Held, mußte weichen, aber er zog doch englische und schwedische Hilfstruppen zu seinem eigenen, kleinen Korps und bereitete einen Querangriff hinter Napoleons Rücken vor. Der gepanzerte Halbgott zuckte die Achseln. Was machten ihm ein Dutzend Bienenstiche aus? was die Junischlappen von Heilsburg und Friedland? Solch ein Pygmäentumult! solch ein Ameisenlaufen völkischer Erregung! ihm!

Er zog sich zu gnädigen Friedensverhandlungen durch Littauen gegen das kurische Haff hinauf, langsam und pompös. Zwischen den vernichteten Breiten grünen Sommerkorns hin, um bläuliche Seen, durch Urwald und Moor, Dörfer und Städte, darin die armselige Menschheit vor ihm zitterte. Droben in Memel wartete die königliche Frau auf ihn, die deutsche Mutter deutscher Söhne. Sie wollte versuchen, bei ihm für ihr unglückliches Preußen zu bitten. Am 6ten Juni, als selbst im Nordosten die Centifolien und Honigrosen in den Hausgärten blühten, trat sie dem kleinen Allmächtigen mutig entgegen in königlicher Frauenwürde; ihr heißes Herzblut, ihre ungeweinten Tränen strömten in ihre Worte: umsonst. Der Korse hatte nichts für sie als hochfahrenden Spott, von kalter Galanterie verschleiert, und schamlose Verleumdung zur Nachrede. –

– – und tags darauf wurden zu Tilsit die schmählichen Friedensbedingungen den Verbündeten vorgelegt: Bis zum 9ten währte das Feilschen, der fränkische Länderschacher, das Auftrumpfen des Starken wider die Schwachen. Dann war's getan: Preußens Kraft entmannt, sein Wille entwaffnet. Der König fassungslos, die Königin seine seelenmutige Trösterin mit rotgeweinten Augen – und das Volk? –

Das rottete sich wohl allerorten zusammen, und dann kroch's in Hütten und Häuser zurück und ballte zähneknirschend ohnmächtige Fäuste. Was mochte der kreisende Berg gebären, der steinige deutscher Vernichtung? Den anspringenden Löwen, dem der gefeite Völkerschrecken Napoleon nichts war als ein sterblicher Mensch? oder die flüchtende Maus – die feige Kleinheit? –

Seht, und da packte den Zaren Alexander zu allererst die Furcht: – »Wer kann wider Beelzebub Krieg führen?« – So ließ er den fassungslosen Preußenkönig fahren und verbündete sich mit Frankreichs Kaiser.

*

Im deutschen Lande begann ein neues, unbehagliches Deutschtum sich breit zu machen: polternder Fremdenhaß, Prahlsucht, Schmähen edler Vorvätersitte. Erbitterung und Mangel stellten sich so auf die Stelzfüße des Trotzes. »Laßt uns – wir haben keine andre Wehr,« sagten die Hilflosen. »Lieber doch möchten wir unter die Erde kriechen, hundert Klafter tief, als auf der Erde am jammervollen Knechtsdasein schleppen, über Menschenkraft.« So ward im langsamen Dahinpflügen unterm Joche aus 1807 das Jahr 1808.

Gleich zu Anfang desselben verfügte Napoleon durch seinen Gesandten in Hamburg, Bourienne, die sofortige Einführung seines neuen Gesetzbuches: des Code Napoléon. Ein musterhaftes Gesetzbuch; aber es bedeutete die Umwälzung alles Bestehenden mit Anhängseln und pedantischer Gründlichkeit, wie sie der bequeme alte Schlendrian zu Papier gebracht hatte, samt Zunftzöpfen und hochnotpeinlicher Halsordnung aus grauen Zeiten. Damit wollte der Weltkaiser schleunigst aufgeräumt haben; alles sollte neu werden nach seinem allmächtigen Willen. Er war der größte Staatsverweser seiner Zeit – vielleicht aller Zeiten; das mußte der Haß ihm zugeben, aber ein schlechter Kenner von Völkern und Ländern war er ebenso sehr, und in diesen bösen Gegensätzen von Genie und Stümpertum lag das Geheimnis seines glänzenden Aufstiegs und seines jähen Absturzes. – Ikarusnatur.

Die Ausführung seiner unverzüglichen Forderung mußte als unmöglich vertagt werden und des Kaisers Zorn und schneidender Spott darüber waren beängstigende Vorhersagen für die Zukunft. Hamburg und Lübeck nahmen die schwere Arbeit sofort in Angriff; Bremen zögerte noch; Smidt wollte sich nicht ohne Gegenwehr beugen, solange der Gallier zuließ, daß sich die Bedrängnisse und Erpressungen in solch unerhörter Weise steigerten. Denn die holländischen Truppen, die den abziehenden französischen im Februar unter herrisch harten Generälen folgten, trieben es ärger denn je. – Smidt war buchstäblich fortwährend auf der Fahrt zwischen Bremen und Hamburg, um dort mit Bourienne zu verhandeln. Ruhe, Hausglück kannte er nur noch stundenweise, und Minens kluges Verständnis der offenen und geheimsten Nöte, ihr stolzer Glaube an seine Kraft und die Art, wie sie ihm jedes Heimkommen licht und freundlich zu machen wußte, halfen ihm besser, als es alle Ehrungen gekonnt hätten. Ihre Liebe pflegte und nährte seine Lebensfrische, so daß er seinem kleinen Kindervierklee aus der politischen Dunkelheit heraus Briefe schreiben konnte, so naiv, so warm, als sei er selbst in ein glückliches Kind verwandelt worden. Hier ist einer dieser kindlichen Briefe, der vom 22. März 1808.

Hamburg, den 22. März 1808.

Guten Morgen, ihr lieben süßen Kinder! Guten Morgen, liebe Hanne; Guten Morgen lieber Hermann; Guten Morgen kleines Heinichen: Vater ist nun in Hamburg. Gestern ging Vater auf der Straße in Hamburg und besah die Häuser in Hamburg und was die Leute in Hamburg zu verkaufen haben. Da stand vor einer Thüre ein schönes Pferd, so ein Pferd, wie Thulesius Thulesius, innig mit Smidt befreundet, hatte mit ihm am gleichen Tage die Schwester seiner beiden Schwäger Heinrich und Daniel Noltenius geheiratet. Kinder haben, aber noch viel schöner. Das Pferd war ein Schimmel, weiß sah es aus mit schwarzen kleinen Stippen, hatte Augen von Glas, einen ordentlichen Schwanz und Mähnenhaare am Halse von weißen Pferdehaaren. Es war auch ein Zaum daran und ein ordentlicher Sattel darauf mit Steigbügeln, wo man hineinsteigt, wenn man auf das Pferd steigt und darauf reiten will. Da dachte Vater, wenn wir doch so ein Pferd in Bremen hätten, das wäre wohl ein schönes Pferd für Hanne und Hermann und für das kleine Heinichen, die könnten alle Tage darauf reiten! Und da fragte Vater den Mann, dem das Pferd zugehört, ob er ihm das Pferd wohl verkaufen wollte und was er ihm dafür geben sollte. Da sagte der Mann: »das ist das schönste Pferd in ganz Hamburg, das Pferd kostet viele, viele Thaler«. Da sagte Vater: »viele, viele Thaler habe ich nicht; dann kann ich das Pferd nicht kaufen, und ich wollte es doch so gern nach Bremen schicken in mein Haus, wo meine lieben Kinder sind, Hanne und Hermann und das kleine Heinichen, die sollten darauf reiten und der ganze kleine Bruder sollte auch darauf reiten, wenn er größer geworden ist.« Da sagte Vater noch weiter zu dem Manne: »hörmal, lieber Mann; Geld habe ich nicht, aber die Rathsherrn in Hamburg haben mir schönen Wein geschenkt, den sollte Vater austrinken. Aber ich will dir all den schönen Wein geben, wenn du das Pferd meinen lieben Kindern schicken willst.« Da sagte der Mann zu Vater: »das wollte ich wohl thun, aber dann mußt du lauter Wasser trinken.« Vater sagte: »ich will gerne lauter Wasser und gar keinen Wein in Hamburg trinken; schicke das Pferd nur an die lieben Kinder.« Da sagte der Mann: »ja, ich will es thun; ich will das Pferd auf einen Wagen setzen und lasse es nach Bremen fahren und nach der Sögestraße für Hanne Smidt und Hermann Smidt und das kleine Heinichen Smidt.« Und da schenkte Vater ihm auch all seinen Wein und trinkt nun lauter Wasser. Das Pferd wird nun nach Bremen gefahren, aber die Kinder müssen noch vielmal nach Bette gehen und wieder aufstehen, bis das Pferd nach unserem Hause herkommt. Und wenn es nun kommt, dann soll es auf dem Vorplatz stehen und Mutter und Tante Metta Mine Smidts jüngste Schwester, die spätere Pastorin Bekenn (S. Remberti). sollen immer sagen, wer darauf reiten soll, die Kinder sollen alle nacheinander darauf reiten, und wenn einer darauf sitzt, soll der andere nicht sagen: »nun will ich reiten«, und sollt euch nicht darum zanken, ihr süßen Kinder. Hanne kann wohl allein hinauf steigen, und Hermann lernt es am Ende auch noch, mußt dich aber fest anfassen auf dem Pferde, daß du nicht herunter fällst, wenn du darauf reitest, kleiner Hermann. Das kleine Heinichen muß sich aber von Beta oder Mutter oder Tante Metta anfassen lassen, wenn es reiten soll. Denn das Pferd ist groß und wild, daß das kleine Heinichen nicht herunter fällt, wenn es reitet. Hermann muß auch das schöne Pferd nicht entzwei machen, nicht den Zaum abreißen oder die Steigbügel, auch nichts daran schneiden mit Messer oder Scheere, denn es ist ein gar schönes Pferd, und wenn Tante Annchen Die älteste Schwester, Frau des Kaufmanns Heinrich Noltenius. ihr Daniel Noltenius kommt, oder Tante Friederike Die zweite Schwester, Frau des Senators Daniel Noltenius, später Bürgermeister. Ihr kleiner Daniel, der soll auch darauf reiten, das hat Vater gesagt.

Vater ist auch bei Herrn Vogt gewesen und bei Tante Vogt. Da waren auch die kleinen Vogt's Kinder, die vorigen Sommer mal in unserem Garten waren; die fragten gleich, was Hanne Smidt mache und wo Hermann Smidt wäre und wo das kleine Heinichen? Die wußten noch alle, wie ihr heißet. Wißt ihr nun auch noch, wie Vogts Kinder heißen? Das sollt ihr mir mal sagen.

Nun lebt wohl, ihr süßen, besten Kinder, und ihr sollt auch nicht vom Pferde fallen.

Euer Vater.

Im Mai mußte Smidt in Hamburg von Bourienne erregten Tadel darüber hören, daß die Hansestädte sich nach wie vor abgeneigt gegen den Beitritt zum Rheinbund zeigten, und den Kaiser, der die irdische Allmacht als Krone auf dem Haupte trug, auf den Argwohn brächte, daß alle Bedrückungshärte außerstande sei, ihre Vorliebe für England zu zerbrechen und sich den kaiserlichen Befehlen aus eigenem Antriebe zu beugen. Mit einem Ueberschwall finsterer Drohungen ward Smidt ungnädig entlassen und mochte seinen Kollegen in der Wittheitsstube diesen niederbeugenden Bescheid mitteilen. – Daheim in der Sögestraße, auf dem Vorplatz spielten seine lieben Kinder glückselig mit dem wundervollen Hamburger Schaukelpferde; Mine hatte ihn, vor dem sauren Gange zur Wittheit, so recht herzlich in den Arm genommen und geküßt: »mein Smidt; du wirst es wohl gutmachen und das Beste beschließen. Halt dich hoch, wir vertrauen dir alle.«

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Sie berieten und berieten und konnten zu keiner Meinungseinheit gelangen. Endlich beschlossen sie, von der Hoffnung auf den baldigen englisch-französischen Friedensschluß aufrecht erhalten, die Drangsale weiter zu tragen.

Allein im Volk ward die Empörung immer gerechter und heftiger. Die Unterdrücker wurden von verbrecherischem Uebermut zu tollsten Quälereien gestachelt. So schleppten sich die langen Monate hin, bis, kurz vor Jahresschluß, Smidt vom Senat abermals nach Hamburg abgeordnet wurde, um dort von Bourienne und dem Prinzen Bernadotte eine endliche Besserung der furchtbaren Lage zu erbitten. – Erbitten? nein! Katzbuckeln und winseln, das lag dem aufrechten Bremer Bürger nicht. Ruhig, mit schneidender Folgerichtigkeit, trug er das Anliegen seiner Staatsgemeinschaft vor; kein Wort zuviel, keins zu wenig. Die Macht der Rede war ihm gegeben, und er brachte das Versprechen sofortiger Abhilfe heim.

Gleichzeitig aber ging die Nachricht durchs Land, daß der Deutschesten und Einflußreichsten einer in dieser dunklen Zeit von Napoleon geächtet und für vogelfrei erklärt worden war: der Minister Freiherr von Stein. Napoleon hatte seinen aufgefangenen Brief an den russischen General Wittgenstein gelesen: seine Zuversicht auf die nahe Befreiung vom gallischen Schrecknis stand darin, und der deutsche Geächtete hatte nach Rußland fliehen müssen. – Immer mehr Aufregung und Bitterkeit. Der Sommer 1809 brachte Schills mißlungenen Ausfallsversuch; – seine Erschießung zu Stralsund, und vom fernen Tyrol drang, einer alten Heldensage gleich, die Mähr vom treuen Sandwirt Hofer und seinen kämpfenden Aelplerscharen herüber. – Würden sie siegen?

Oesterreich – Preußen – Bayern; das Gewimmel der kleinen und kleinsten Staaten: ein flatternder Vogelschwarm, und über ihnen der französische Aar, der Raubvogel, der heute unvermutet auf dies und morgen auf jenes Getier seiner Sippe niederstieß. – Was nützten die Bünde und Sonderbündnisse? – Höchstens, daß sie dem Adler seine Fangbeute besser zusammentrieben.

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