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Mit dreihundert Talern festem Gehalt und nahezu ebensoviel unsicherer Einnahme für Smidts Vorlesungen, vergoldeten sie ihren jungen Hausstand. Ihre Räume waren beschränkt, Möbel und anderer Hausrat von rührender Einfachheit: was lag ihnen daran? Nur fortan Hand in Hand wandern, ein Leib und eine Seele sein, wie es Gott verordnet hatte. Lauteres Gold bargen sie in sich und legten es in ihr glückliches Eheleben hinein: unwandelbare Treue, fröhliches Genießen und Bescheiden; eine Fülle geistiger Interessen und hoher Bildung.
Bei schlichtester Bewirtung zum Talgkerzenlicht pflegten sie regen Verkehr im Kreise der Verwandtschaft und Freundschaft, und den wollten sie um keinen Preis aufgeben. »Um keinen Preis!« das sagt sich so rasch im Glück zu zweit; wie aber, wenn aus der Zweieinigkeit die Dreieinigkeit der Erdenwonnen wird? Schon im Advent ihres ersten Ehejahres kam den Glücklichen ihre kleine Hanne in's Haus geschneit; Frau Mine mußte die Wiege schwingen, und ihr kluger Gatte und Professor betrachtete sich sein lebendiges Liebeswunder händereibend und fuhr sich in Vaterfreude und leisen Sorgengedanken durchs dichte Haar.
Eine Dienstmagd zum Kinderwarten halten, das erlaubten die knappen Mittel noch nicht, und das schöne, heitre Beisammensein mit Rumps und Noltenius, Castendyks, Gondelas und Denekens aufgeben, weil es die winzige Mamsell Hanne Smidt mehr in Bremen gab seit dem 3ten Dezember? Das war doch ganz undenkbar, besonders für Smidt, dachte Frau Mine, und nun sannen sie hin und her, bis sie einen herrlichen Ausweg aus dem Zwiespalt gefunden hatten: – Sie ließen sich einen handlichen Weidenkorb flechten, länglich-viereckig, eben groß genug für ihres Kindchens Kissen und Zudecke, und an beide Schmalseiten des Moseskorbes ward das tüchtige Gurtenband zum Tragen befestigt. Damit hatte die Not ein Ende. Gings in Gesellschaft, so wurde Hanne warm vermummt und schlafend in ihr niedliches Tragbettchen verpackt. Frau Mine hängte sichs um die Schultern und deckte ihren guten Wattenmantel noch mit über die liebe Last. Auf die Art wanderte das Kind, richtig am Mutterherzen getragen, auch in den frohen und angeregten Kreis. Es ließ sich, ohne zu erwachen, sacht in's laue Ofeneckchen hinter den gestickten Schirm schieben, oder seitab, neben das Altvätersofa und schlummerte gemütlich fort, bis die Eltern zu später Stunde aufbrachen. Dann ward heimgepilgert, klein Hanne abermals unter Mutters Wattenmantel oder Vaters Siebenkragen, im sanftschaukelnden Korbe wohlgeborgen.
Einmal jedoch – (ich weiß nicht, war's nach der Vorlesung bei Senator Denekens, oder nach dem Familientage bei Schwager Heinrich Noltenius) – hatten Professor Smidts sich so außerordentlich belustigt und bis in den dunklen Hausflur hinab unterhalten, daß sie an ganz und gar nichts außer sich selber dachten, und lachend und plaudernd von dannen zogen. – Bis ihnen auf dem totenstillen Domshof im Mondschein plötzlich das schreckliche in's Bewußtsein sprang:
»– – Smidt! – Smidt! wo is use Hanne? – Wie hefft use Hanne vergeten!«
»– mien beste Mine – –: wo kann dat angoahn?«
» Ick heff Hanne nich; – o Gott, Smidt! Dat söte Kind! – Dat steiht noch unnern Flögel; – schast sehn, Smidt!«
Sie liefen wie gejagt zurück vor's gastliche Haus. Die Tür war verschlossen; alle Fenster unten und oben schon dunkel, aber, Gott sei Dank, der Messingklopfer ratterte schallend gegen's Holz, und der Hausherr selbst kam, fliegenden Schlafrocks, treppab pantoffelt:
«Smidt! – Mine! wat is passeert? wat hefft ji vergeten, Kinners?«
»– – use söte Hanne –!«
Nun kam auch die Hausfrau in der Nachtjacke und Strichhaube gesprungen, und selbviert rannten sie wieder treppan in den stockfinstren Saal. Da glimmte noch ein rotes Köhlchen Ofenfeuer, und als sie Licht machten, fanden sie den Moseskorb und das festschlafende Kleine darin sicher und warm unterm Flügel, da wo dessen Hinterbeine, gegen die Ofenecke hin, im Schatten standen. – – –
Alle Angst löste sich in Necken und Lachen auf, und im freundlichen Mondschein trugen die jungen Eltern ihren kleinen Schatz heim. Innerlich aber konnte Minens zartes Muttergewissen den Schrecken wohl lange nicht verwinden. Nur, daß Smidt nichts davon merkte: Smidt hatte so viel zu bedenken und zu arbeiten. – –
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Laßt mich an dieser Stelle gleich Großmutter Smidts liebes Bild zeichnen. Sie muß eine prächtige Mutter gehabt haben, nach ihres Vaters warmem Nachrufe zu schließen: »am 22. Juni 1786 nahm mir Gott mein Liebes, – Gott habe Sie seelig – bestes, herzlich Gutes Weib. Sie war außer Ordentlich gut und Brav.« – Der Schlußsatz spricht beredt vom Marthatum unserer Urgroßmutter Rohde, während der Anfang den liebreichen Mariensinn betont, und diesen Sinn hatte sie ganz auf Mine vererbt.
Andächtig-hingebend blickte sie zu ihrem Manne empor, den sie vorahnend als einen Auserwählten erkannte. Sie glättete allezeit die Unebenheiten seines lebensprühenden Charakters; sie las mit stiller Klugheit in seinen Augen unter buschigen Brauen und lernte. – Lernte reden und schweigen, wie es »Smidt« frommte, und diente seinem Leben und ihm, als ihrem Erhalter und Schützer, in weiblicher Sanftmut und kindlicher Demut, ihn bis in seinen geheimsten Wesensgrund verstehend. Sie war weich ohne Weichlichkeit, geduldig ohne Trägheit, mädchenhaft bis zuletzt, trotz der zehn Kinder, die sie in neunzehn Jahren ihrem Gatten schenkte. Sechs derselben haben sie lange überlebt. Mit ihrer Mädchenhaftigkeit verschwisterte sich die anmutigste Frauenklarheit, die des Gefährten Ehren und Würden voll gerechtem Stolzes mit ihm trug.
»Smidt wünscht!« Unter dieser Devise hat sie ihm jegliches Verlangen freudig erfüllt; nicht nur das schwere in ernster Zeit, sondern auch all die drolligen und plötzlichen, kleinen Einfälle, an denen seine Lebendigkeit und seine Lust zu erfreuen überreich waren.
»Smidt wünscht einen Hut geriebenen Zuckers.« » Zu was?« danach fragte sie nicht. Sie stand den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag und rieb sich die feinen, schon ein wenig gichtischen Hände müde an den fünfzehn und mehr Pfund Brotzucker. – Nach ihrem Tode ist der staubgrau gewordene Zuckerpuder hochoben auf Großvaters Bücherbort in seinem Arbeitszimmer gefunden. – Er hatte damals seinen Wunsch nach einer Stunde wieder vergessen gehabt über wichtigen Staatsgeschäften. –
»Smidt wünscht« –: und am Vorabende ihres Geburtstages ließ sie ihm aus der heimischen Sonnenapotheke bunte, unschädliche Farben holen; mit denen mußte die Frankfurter Küchenmarie leuchtende, kalte Puddings bereiten: veilchenblaue und spinatgrüne; die Saucen krapprosa und schwefelgelb. Mittags reichte dann der hübsche Frankfurter Diener, Henrich Wollermann, die prangende Nachkost an der geburtstäglichen Tafelrunde mit stiller Leidensmiene von Gast zu Gast, und das Farbenchaos der Reste bekam das Kindervölkchen der Eingeladenen geschickt.
»Smidt wünscht –«, und den fremden, vornehmen Gästen wurden zum Nachtisch die krossen Bremer Kleinzwiebäcke vorgesetzt, ganz von spanischem Feuerwein durchtränkt und reichlich mit buntem Streuzucker übersiebt. Die Herren Gesandten und sonstigen Hoch- und Hochwohlgeborenen wußten öfters am Ende der Festlichkeit nicht mehr, wo ihnen die Köpfe standen und wohin ihnen die klugen Gedanken auf der Flut absonderlicher Rauschgefühle entschwammen. – Der Gastgeber verspürte nichts davon; sein Kopf hielt sich allezeit nebelfrei und er hatte den vorzüglichen »Smidtschen Magen«, der Kieselsteine vertrug.
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– Hundertmal hat unsre Mutter uns Kindern diese beliebten Anekdoten erzählt; nicht zu vergessen der krönenden von Großvaters Deichschau im Blocklande. Da hatte er Dierk Bavendamm's Einladung zu Tisch angenommen, und nach Schweinebraten und dickem Reis wurde ihm ein großer, schneeweißer Pudding vorgesetzt:
»Snien S' em mann drieste dör, Herr Buhrmeister; wi hefft dat lunkohrt, datt Herr Buhrmeister so geerne söt mag – un mien Fro, de hett dachd –« und Großvater schnitt ein; da sank der Pudding leise krümelnd auseinander: – und »was für ein Pudding war das wohl?« fragte Mutter.
»– lauter feiner Zucker!« sagte der Kinderchor, und wir schauerten ordentlich zusammen bei der bloßen Vorstellung von solch unerhörter Leckerei.
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Nur ganz einzelne, älteste aus unsrer Enkelschar haben unsre sanfte Großmutter Smidt noch gekannt, und dennoch, auch meine allerfrüheste Kindheitserinnerung hängt an ihr, und ist mir heute noch zum Greifen deutlich. Kaum zweijährig kann ich gewesen sein, da hat Großmutter mich (wenige Monate ehe sie starb), kurz vor ihrer letzten Frankfurter Reise, im Rollstuhl durch den Garten mit zu Großvater hinüber genommen. Ihr seidenweicher Daunenmantel war halb um mich geschlagen; ich drückte mich an sie, und sie hielt meine kleine Hand. So flogen wir. – – –
Ihr Denkmal müßte neben dem unsres Großvaters stehen, so innig vermählt war ihr unvergleichlicher, weiblicher Reiz seiner Manneskraft und überragenden Größe. –
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Nun aber zurück zu Smidts jungem Eheleben und seinem raschen Werdegange. Im Jahre 1799 erschien, unter seiner Leitung, der erste Jahrgang des »Hanseatischen Magazins«, insbesondre für die Kultur der drei freien Hansestädte. Ueber deren Grenzen hinaus behielt er auch die andren deutschen Reichsstädte fortwährend im Auge, emsig im Buche der äußeren und inneren Politik lesend und lernend. Das war überhaupt seine sich immer ausgeprägter entwickelnde Gabe und Eigenart, wie schon früher angedeutet: die Weitsichtigkeit im idealen Sinne des Wortes, das lebhafte Auffangen und Begreifen jeder neuen Zeitlage, Wendung und Verschiebung, gleichviel, ob vom Throne eines Machthabers herab oder, aus der Volksseele und -hefe heraus, unabsehbare Kreise in stillen und bewegten Wassern ziehend. Dazu in allem, was seine Vaterstadt und ihr Staatsgebiet anging, das willige Hinabsteigen in rein praktische Regionen, die ihm, dem Theologen und Philosophen ohne Vorwurf gleichgültig sein durften. Seine eigenen Aufsätze im »Hanseatischen Magazin«, – das es, notabene, nur auf vier Jahrgänge gebracht hat, – beschäftigen sich mit Sparkassenwesen und Gesindeordnung; der 1799er Handelskrise, und der beweisführenden Verwahrung wider die Anklage, daß sein Bremen, gleich den Schwesterstädten, Aufruhrkeime im Herzen der Bevölkerung berge. – Die alten Bändchen liegen hier neben mir; sie sind mein Eigentum, und in stillen Stunden habe ich allerlei Zeitverständnis aus ihnen erworben. Der letztgenannte Aufsatz ist (wiewohl der Name fehlt), in Form eines Briefes, an Freund Perret in Rastatt gerichtet und von knappster Klarheit der Disposition.
Smidt wollte, neben dem höchsten und hohen, auch das kleine und geringste im Staatshaushalte kennen lernen und beurteilen können. Es war, als leite ihn der sichere Instinkt, daß er, zum Wohle Bremens, im eigenen Ich den Mann schaffen müsse, der, zu rechter Zeit fähig sein würde, den Staatshaushalt zu meistern.
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Im Dezember 1800 starb Senator Dreyer. Am 13ten versammelte sich »die Wittheit«: der ganze »hohe Rath« im Rathause, um, nach uraltem Brauche, vier seiner Mitglieder zum Wahlakte hinter verschlossener Tür, auszuwürfeln. Als die vier Berufenen wieder hervortraten, verkündeten sie, zum Erstaunen Vieler, daß »Herr Johannes Smidt« in den bremischen Senat gewählt sei.
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