Ernst Schulze
Cäcilie
Ernst Schulze

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Vierzehnter Gesang.

1.
                            So klang das Lied vom grausen Tyrfingsschwert.
Und wie bald hier, bald dorthin auf den Zinnen
Im Sturme sich das Fähnlein kehrt,
So schwankt Thorildens Geist im zweifelhaften Sinnen.
Wohl scheint ihr jeden Kampfs die mächt'ge Waffe werth,
Um sie zum starken Schutz der Mauern zu gewinnen,
Doch fruchtlos späht sie lang nach einem sichern Rath,
Der ohne Sorge sie dem hohen Ziele naht.
 
2.
Denn wer auch kühn zur Gruft hinabgestiegen
Und sich das Schwert errang mit tapfrer Hand,
Der mag in jedem Kampf die Feinde wohl besiegen
Und wohl aus fremder Macht befrein sein Vaterland;
Doch muß er endlich selbst dem harten Fluch erliegen,
Den auf die finstre Wehr der Meister einst gebannt.
Nur Jener kann entfliehn, der nie die Kraft ergründet,
Die in der Waffe sich zu Heil und Fluch verbündet.
 
3.
Und ist des Schwertes Schrift, die diesen Fluch erzählt,
Auch längst veraltet schon und fremd seit vielen Jahren,
So muß der Ritter doch, den sie zur Fahrt erwählt,
Der Sendung Ziel und Zweck aus ihrem Mund' erfahren.
Und wenn sie täuschend auch die Wahrheit ihm verhehlt,
Leicht können Zeit und Ruf sie künftig offenbaren;
Und ihn vielleicht, an dem ihr Herz am treusten hängt,
Ihn hätt' ihr eigner Rath zum Tode dann gedrängt.
 
4.
So schlingt mit viel verworrenen Gespinnsten
Die Sorge sich um ihren regen Geist,
Bis sie zuletzt aus manchen Zauberkünsten
Ein Mittel wählt, das Sicherheit verheißt.
Sie kennt ein Wunderkraut, in dessen mächt'gen Dünsten
Ein seltsam Gaukelspiel die wachen Sinn' umkreist
Und so durch raschen Trug den klugen Geist verblendet,
Daß Jeder schnell vergißt, was er noch kaum vollendet.
 
5.
Wenn eben auch durch seinen starken Arm
Der bittre Feind den blut'gen Tod gefunden,
Wenn auch der Glückliche, vom seel'gen Rausch noch warm,
Vom Herzen seiner Braut sich eben losgewunden,
Und wenn er eben auch des Lebens größten Harm,
Des Lebens größte Lust geduldet und empfunden;
Genuß und Schmerz und Haß und Liebe flieht,
Sobald dies Kraut vor ihm in bunten Flammen glüht.
 
6.
Als nun die Priesterin so klüglich sich bereitet,
Da ruft sie Skiold und spricht zu ihrem Freund:
Ein böser Elf' auf Hween's Gestaden streitetEin böser Elf auf Hween's Gestaden streitet – Die Elfen oder Alfen der nordischen Mythologie sind verschieden von denen des deutschen Volksglaubens. Es gab zwei Gattungen, schwarze und weiße, und sie waren bald freundlich bald feindlich.
Für Lethra's Fall und schützt den kühnen Feind.
Und eh wir nicht ein zaubrisch Schwert erbeutet,
In dessen Stahl sich seine Macht vereint,
Eh wird's uns nie durch Kraft und Muth gelingen,
Von Christi stolzer Schaar den Sieg uns zu erringen.
 
7.
In tiefer Gruft im wüsten Haidenthal
Liegt jenes Schwert vor jedem Blick vergraben.
Ein grauser Wächter schützt den wunderbaren Stahl,
Sobald die Schatten sich um's Grab gelagert haben.
Hoch sitzt er dort auf altem Felsenmahl,
Den schwarzen Helm umziehn mit scheuem Flug die Raben,
Von manchen Streichen ist sein Panzerkleid zerfetzt,
Die Wange hohl und bleich, die Brust mit Blut benetzt.
 
8.
Erbebst du nicht, das Wagniß zu beginnen,
So mußt du heute noch zum öden Eiland ziehn
Und sein gewalt'ges Schwert dem Wächter abgewinnen,
Sobald im Sternenkranz die luft'ge Nacht erschien.
Dann wird kein Feind vor deinem Arm entrinnen,
Und bald das stolze Heer zurück zur Eider fliehn.
Kühn ist die That; doch kühne Werke lohnen
Den Kühnen mehr, als Andre Gold und Kronen.
 
9.
Doch wenn du dann den harten Streit vollbracht,
Dann säume nicht, noch eh die Schatten schwinden,
Dies Zauberkraut, ein Kind der stillen Nacht,
In rascher Gluth am Himmel anzuzünden.
Dies bändigt ganz des Elfen freche Macht,
Bezwungen wird er dann in's Reich des Feuers schwinden,
Und unverletzt durch deine tapfern Mühn
Die Kreuzesros' in Odin's Hallen blühn.
 
10.
So spricht die Zauberin. Und Skiold, der stets mit Freuden
Die Bahn betritt, wo's kühne Thaten gilt,
Eilt schnell von neuem sich mit Waffen zu bekleiden,
Er nimmt den großen Speer, das Schwert, den breiten Schild;
Und eh noch Nacht und Tag im Dämmerlicht sich scheiden,
Verläßt er Lethra's Thor und reitet in's Gefild
Und wählt, weil Zeit und Noth vorsicht'ge Eile fodern,
Den Pfad, wo sparsam nur des Lagers Feuer lodern.
 
11.
Wie thürmten Leichen hier sich auf dem blut'gen Feld,
Und Helm' und Schilde rings und Schwerter und Geschosse!
Wie war der Feind dem Feind so friedlich oft gesellt,
Wie dem Genossen oft so lastend der Genosse!
Tief unter schlechtem Volk lag hier ein tapfrer Held,
Erblichen ruhte dort der Reiter unter'm Rosse;
Das edle Thier, das er so oft geschmückt,
So treulich stets gepflegt, das hatt' ihn jetzt erdrückt.
 
12.
Auf jener Stirn war noch der Zorn zu lesen,
Auf der die Angst, auf jener wildes Dräun,
Und Jener dort, der kühn genug gewesen,
Durch seinen Fall den Freund, den Bruder zu befrein,
Schien durch des Feindes Schwert von größerm Schmerz genesen
Und durch den Tod dem Tod entflohn zu seyn;
Fast glaubte man, auf solchem Angesichte
Verweile freundlicher der Mond mit seinem Lichte.
 
13.
Wie manches Wehrgehäng, wie manches Waffenkleid,
Von zarter Liebeshand gewebt in sel'gen Tagen,
Lag jetzt zerrissen hier, besudelt und zerstreut!
Wie hatt' oft Eines Tod so Manche mit erschlagen!
Wie schlief hier manches Herz, das vieles Leid ertragen,
Und die es kränkte, trug statt seiner nun das Leid!
Mit Trauern ritt der Held durch diese blut'gen Orte
Und kam auf kurzem Pfad zur ersten Lagerpforte.
 
14.
Dort schlummerten, ermüdet von der Schlacht,
Im Kreise rings die deutschen Kriegsgesellen.
Kein Wächter ist, der Thor und Zelt bewacht,
Kein Späher schaut von Thürmen und von Wällen;
Nur lodern einsam noch die Feuer durch die Nacht,
Um weit das große Grab, so schien es, zu erhellen;
Kein spätes Lied, kein Reden ward gehört,
Und nur im Traume hob noch mancher Lanz' und Schwert.
 
15.
Als nun der Held den stummen Kreis betreten,
Da faßt ihn schnell der Rache blut'ge Pein.
Wohl könnt' er leicht die müden Schaaren tödten
Und weit die Gluth hinschleudern durch die Reihn;
Doch will sein Schwert sich nicht mit niederm Blute röthen,
Nicht seinen hellen Glanz durch nächt'gen Mord entweihn;
Drum kehrt er dort sich hin, wo edle Herrn und Grafen
Und Ritter, stark und kühn, in hohen Zelten schlafen.
 
16.
Und wer am würdigsten sich dort zum Kampf ihm beut,
Der soll auf seinen Ruf vom Schlummer sich erheben
Und ehrlich im gerechten Streit
Dem heißen Rachgefühl des Helden Lindrung geben.
Wohl drängt ihn Noth und Ort und Zeit,
Doch kann dem kecken Wunsch sein Herz nicht widerstreben,
Schon schaut sein Blick von Zelt zu Zelt umher
Und prüft Gestalt und Antlitz, Schmuck und Wehr.
 
17.
Da hört er dort, wo an des Lagers Walle
Ein dicht Gebüsch zur Laube sich verschlingt,
Ein holdes Lied, das bei dem süßen Schalle
Des Saitenspiels die stille Nacht durchdringt.
Die Zweige wölbten sich zu einer grünen Halle,
Von manchem bunten Licht durchzittert und durchblinkt,
Und lieblich schien die Luft mit oft gehemmtem Rauschen
Bald mit dem leisen Klang zu spielen, bald zu lauschen.
 
18.
Als nun der Held zum duftigen Gesträuch
Den leisen Schritt des leichten Rosses wandte,
Da sah er auf dem Grün ein Lager, schön und weich,
Um das ein bunt Gezelt die offnen Flügel spannte.
Dort lag ein Ritter, matt und bleich,
Den er schon früher oft in dichter Schlacht erkannte;
Manch blut'ges Tröpfchen ließ auf Wang' und Kleid sich sehn,
Doch schien ein linder Schlaf um seinen Mund zu wehn.
 
19.
Und so wie oft in stiller Nächte Schweigen
Zum Kinde, das im süßen Schlummer liegt,
Aus ew'gen Höhn die Engel niedersteigen,
Vom glänzenden Gewölk umflossen und gewiegt,
Das holde Haupt bekränzt mit grünen Palmenzweigen,
In leichten Silberflor den zarten Leib geschmiegt,
Und sanft auf's Bett geneigt mit ausgespannten Schwingen
Vom sel'gen Paradies ihm leise Lieder singen:
 
20.
So sah er an des Bettes Rand
Drei holde Fräulein dort in reichen Kleidern prangen.
Drei Harfen rührten sie in leichtbewegter Hand,
Und während leis' und süß die holden Lippen sangen,
War auf den Schlummernden ihr treuer Blick gewandt
Und schien von Sorge feucht an jedem Zug zu hangen.
Geschmeid' umgab die Brust, das Haupt ein bunter Kranz
Gar lieblich angestrahlt von leichtem Zauberglanz.
 
21.
Denn flüchtig zitterten an duftigen Gesträuchen
Viel Flämmchen in Krystall mit tausendfarb'gem Schein,
Dem funkelnd holden Licht der Würmchen zu vergleichen,
Die in der Sommernacht durchschwärmen Wies' und Hain.
Bald schien der zarte Glanz zu nahn und bald zu weichen,
Bald irrend durch's Gebüsch die Funken auszustreun.
Wohl war's, als ob den süßen Harfenklängen,
Den Liebesgeistern gleich, die Strahlen leicht entsprängen.
 
22.
Du stille Nacht, so sang ihr holdes Lied,
Auf deren Pfad der Schlummer niedergleitet,
Ihr Sterne, die ihr hell am Himmel zieht
Und unser Loos auf irren Bahnen leitet,
Ihr Pflanzen, die ihr nah und fern entblüht
Und durch die Luft heilsamen Hauch verbreitet,
Vereinigt euch in Milde, Duft und Schein,
Um Ruh' und Heil dem Lieben zu verleihn!
 
23.
Du schlummre süß! Vergiß die tiefen Wunden,
Vergiß die Müh, des Kampfes heißen Drang!
O schlummre süß! dann wirst du bald gesunden,
Wenn treuer Pfleg' ihr Hoffen je gelang.
Wir warten den in mitternächt'gen Stunden
Mit Sorg' und Schutz, mit Sang und süßem Klang.
O möge bald beim kräftigern Erwachen
Mit heiterm Licht dein frisches Aug' uns lachen!
 
24.
Erstaunt vernahm der Held den süßen Ton
Und lauschte lang, verhüllt von dichten Zweigen.
In seinem Aug' erlosch der Rache Drohn,
Die Hand begann das blanke Schwert zu neigen,
Des Kampfes blut'ger Wunsch war seiner Brust entflohn,
Er wandte mildgesinnt sein Roß mit ernstem Schweigen,
Zog friedlich dann durch's stille Lager fort
Und sprach bei sich im frommen Wahn dies Wort:
 
25.
Wohl kenn' ich euch, ihr göttlichen Walkyren,
Ihr seyd genaht zur ernsten Todtenwahl
Und wollt empor den wunden Jüngling führen
Mit Siegesklang zu Odin's Heldenmahl.
Leicht konnt' ich's an dem Reiz, der euch umwallte, spüren,
Am schlanken Götterleib, am hellen Augenstrahl.
Kein lauter Schwerterklang, kein feindlich wildes Dräuen
Soll euer heil'ges Werk, Schlachtjungfraun, jetzt entweihen.
 
26.
So zog der Held verborgen durch die Nacht,
Von keinem Feind erblickt und aufgehalten.
Wohl war's ein falscher Wahn, der ihn so mild gemacht:
Nicht webten zaubrisch dort die himmlischen Gestalten,
Die, wie der Normann glaubt, im wilden Drang der Schlacht
Bald feindlich, freundlich bald, durch alle Reihen walten;
Die Holden hatten dort in ihres Bruders Zelt
Zum schwesterlichen Dienst dem Wunden sich gesellt.
 
27.
Aus Franken zog der Herr von Egloffsteine
Zum Kriege mit in's dänische Gefild.
Drei Schwestern blühten ihm im lieblichen Vereine,
Nie sah man reizender der holden Eintracht Bild.
Wie zart und weich verstreut sich in dem Silberscheine
Der keuschen Lilien ein goldner Staub enthüllt,
So strahlte durch den Reiz der freundlichen Gebilde
Ein edler Schatz hervor von Geist, Gefühl und Milde.
 
28.
Wohl ließ im ganzen Frankenland
Kein Fräulein lieblicher das Saitenspiel ertönen,
Kein andres wußte so mit kunstverständ'ger Hand
Durch Farb' und Stickerei das Schöne zu verschönen,
Und wenn ein Sänger auch noch nie besiegt sich fand,
Wohl konnt' er sich durch sie den Kranz entrissen wähnen.
Allein, was Kunst und Geist den Holden auch verliehn,
Doch mußt' es vor dem Reiz der Seele noch entfliehn.
 
29.
Als nun aus allen deutschen Gauen
Zum Krieg des Kaisers Ruf die edelsten entbot,
Da achteten die treuen Frauen
Die Trennung bittrer noch, als Schmerz, Gefahr und Tod,
Und zagten nicht, der Fahrt des Heers sich zu vertrauen,
Dem wilden Meer, des Krieges Müh' und Noth,
Damit dem Liebling nur, an dem die ganze Seele
Der holden Schwestern hing, nicht Pfleg' und Freude fehle.
 
30.
Und als er nun in jener Schlacht
Gar manche Wund' empfing nach heldenmüt'gem Streite,
Da wich der treue Kreis ihm nimmer von der Seite
Und war auf Lindrung stets, auf Sorg' und Trost bedacht.
Daß freundlicher der Schlaf um seine Wangen gleite,
Erfüllten sie vereint mit süßem Klang die Nacht,
Und füllten Laub' und Zelt mit Glanz und bunten Blüthen,
Um dem Erwachenden ein holdes Bild zu bieten.
 
31.
Ihr Blüthen, die ihr jetzt die reichen Zweige schmückt,
Die von dem edlen Stamm durch manches Land sich schlingen,
O ihr, die freundlich oft mein wundes Herz erquickt,
Mag bald der Himmel euch die Theuren wiederbringen,
Die schon so manchen Kranz des Ruhmes sich gepflückt,
Die auch noch jetzt das Schwert für Recht und Freiheit schwingen!
Nie möge Schmerz und Tod auf ihrer blut'gen Bahn
Dem väterlichen Freund, dem holden Bruder nahn!
 
32.
Indessen ritt auf dunklem Waldespfade
Der kühne Skiold, von flücht'ger Hast gedrängt.
Und als die Sonne kaum aus nächt'gem Meeresbade
Die goldnen Locken hob, mit kühlem Thau besprengt,
Erschien vor seinem Blick das hohe Felsgestade,
Das mit gewalt'gem Arm der blaue Strom umfängt.
Längst harrend schien am Strand ein Fischerkahn zu liegen,
Den Helden und sein Roß durch's weite Meer zu wiegen.
 
33.
Gleich einem goldnen Netz, das mannichfach verwebt
Um einen Schleier sich von zartem Silber breitet,
So zeigt die Woge sich, die leis' im Schaume bebt,
Indeß der flücht'ge Strahl auf ihrem Kräuseln gleitet.
Der Wind, der oft so rauh mit Strand und Welle streitet,
Gleicht jetzt dem Schmetterling, der um die Blumen schwebt.
So kann im Lieben auch oft wilder Zorn sich regen,
Doch süßer wird die Huld, wenn sich die Stürme legen.
 
34.
Gleich einem Vogel schwebt der Kahn
Durch's weite Meer dahin, daß rasch die Wimpel fliegen;
Fast scheint's, als sey das All dem Kühnen unterthan,
Als müsse Well' und Wind nach seinem Wink sich fügen.
Schon sieht sein scharfer Blick des Eilands Berge nahnSchon sieht sein scharfer Blick des Eilands Berge nahn – Die Insel Hween, später berühmt als Tycho de Brahe's Wohnsitz, gleicht ganz einem waldigen Berge und liegt zwischen den Küsten von Seeland und Schweden in der Mitte. ,
Um deren Haupt sich noch die Morgennebel schmiegen,
Schon thut die Bucht sich auf, und am erhabnen Strand,
Wo Hialmar's Grab sich thürmt, betritt der Held das Land.
 
35.
Längst hatten dicht zum kühlen Schattenhaine
Die Bäum' um's hohe Grab die Arme dort verstrickt,
Und hold und jugendlich mit vielverflochtnem Weine
Und zartem Immergrün den alten Stamm geschmückt;
Es blühte mancher Kranz am weichbemoosten Steine,
Als wär' er eben erst von Freundeshand gepflückt;
Auch grünten hier und dort umlaubte Rasensitze,
Dem Wanderer zum Schutz vor Regen, Sturm und Hitze.
 
36.
Ein alter Hirt von Jahren längst ergraut,
Doch rüstig noch in Mienen, Blick und Gange,
Verweilte lange schon am grünen Hügelhange
Und hatt' aus Zweigen sich ein Hüttendach erbaut.
Drum tönt' am Grab' es stets von kräftigem Gesange,
Und weit durch's Meer erscholl der Flöte süßer Laut,
Wenn weidend dort um ihren treuen Hirten
Im hohen Gras die weißen Lämmer irrten.
 
37.
Dort landete der kühne Dänenheld,
Und freundlich ward von jenem biedern Greise
Der edle Gast erquickt mit Trank und Speise
Auf kühlem Sitz in grünem Laubenzelt.
Und wie sich dann nach gastlich guter Weise
Zum trauten Mahl manch trautes Wort gesellt,
Da forschte Skiold, wen jenes Grab enthalte;
Und so begann mit heiterm Blick der Alte:
 
38.
Längst hat die Zeit des Steines Schrift zerstört,
Drum weiß ich nicht den Namen dir zu sagen;
Doch hab' ich einst ein altes Lied gehört,
Hier sey vordem in grauen Vätertagen
Ein kühner Held durch ein bezaubert Schwert
Im tapfern Kampf für Lieb' und Recht erschlagen,
Und trauernd hab', ob Bruder oder Braut,
Ich weiß es nicht, ihm dieses Grab gebaut.
 
39.
Doch mein' ich fast, daß ihn die Braut bestattet,
Denn noch verweilt ihr Geist auf diesen Höhn;
Und wenn die Nacht sich mit dem Tage gattet,
Und laulich rings die Abendlüfte wehn,
Dann pflegt das holde Paar, vom duft'gen Hain beschattet,
Im flüsternden Gespräch am Hügel hinzugehn.
Und wem es je gelang, die Freundlichen zu schauen,
Dem wird wohl nimmermehr noch vor dem Tode grauen.
 
40.
Er geht einher in ritterlicher Tracht,
Mit goldnem Helm und glänzendem Geschmeide,
Sie wandelt hold im himmelblauen Kleide,
Das Haupt bekränzt mit bunter Blüthen Pracht.
So schweben sie in süßer Eintracht Beide
Und Arm in Arm, wie Sterne, durch die Nacht.
Auch seh' ich auf dem Pfad, wo sie vorüberziehen,
Seltsame Blumen oft, die Niemand kennt, erblühen.
 
41.
Dort, wo das Felsenmahl mit Efeu sich belaubt,
Dort läßt sie lieblich oft die leise Harfe klingen,
In ihrem Schoose ruht sein blond gelocktes Haupt,
Sie scheint mit süßem Ton in Schlummer ihn zu singen.
Dann zürn' ich oft der Luft, die mir die Klänge raubt,
Um zum Geschenk vielleicht den Blumen sie zu bringen;
Denn wirklich seh' ich auch, sobald die Harfe bebt,
Wie sich aus jedem Kelch ein buntes Flämmchen hebt
 
42.
Als einst mich dieser Strand vom wilden Meer geborgen,
Und meinem Blick zuerst das holde Paar erschien,
Beschloß ich gleich den Schmuck des Hügels zu besorgen,
Der Rettung, Schutz und Wohnung mir verliehn.
Drum kränz' ich jetzt an jedem neuen Morgen
Das alte Mahl mit Blumen und mit Grün;
Auch hab' ich oft für mein getreues Walten
Von jenem seel'gen Paar gar holden Lohn erhalten.
 
43.
Denn wenn der Zufall einst in Felsen und Gesträuch
Von meiner Heerde fern ein zartes Lamm entführte,
Und ich schon lang' umsonst nach seinem Pfade spürte,
Dann kam sie lächelnd oft, der jungen Hirtin gleich,
Im buntbekränzten Hut, und statt des Stabes zierte
Die luft'ge Geisterhand ein blühnder Lilienzweig.
So brachte sie mit freundlicher Geberde
Am silberhellen Band das Lamm zurück zur Heerde.
 
44.
Auch oftmals, wenn ein Wolf aus dichtem Walde sprang,
Und ich mit nackter Hand umsonst dem Räuber wehrte,
Erschien der edle Held in Waffen, schön und blank,
Und trieb das grimme Thier hinweg mit scharfem Schwerte.
So giebt das holde Paar fast täglich mir den Dank,
Daß ich ihr schattig Grab mit frommen Händen ehrte,
Und so ist wunderbar und ohne mein Bemühn
Zur reichen Heerde jetzt das Häuflein mir gediehn.
 
45.
So sprach der Hirt, indeß mit stiller Freude
Ihm Ohr und Geist der Ritter zugewandt.
Dann fragt' er auch nach jener wüsten Haide,
Wohin ihn jetzt Thorildens Wort gesandt.
Da schien's, als ob in Bleich sich Jenes Wange kleide,
Der Becher zitterte in seiner alten Hand;
Und als er bang nach jenen Oeden
Den scheuen Blick gedreht, begann er so zu reden:
 
46.
Nicht kann ich über jenen Ort
Dir sichre Rede stehn; nie bin ich hingekommen,
Denn immer scheuchte mich ein stilles Grausen fort,
Sobald ich vor dem Thal die wüsten Höhn erklommen!
Doch hab' ich oft von fern gar grimmen Klang vernommen,
Gleich dumpfem Wehgeheul und Drohn und blut'gem Mord.
Nicht red' ich gern davon; behüte Odin's Gnade
Doch jeden Wanderer vor jenem Schreckenspfade!
 
47.
So sprachen Beide dort, bis fast die Sonne sank,
Im kühlen Laubenzelt manch Wort aus alten Tagen.
Dann rief der Held sein Roß, das wiehernd zu ihm sprang,
Und faßte Lanz' und Schwert, die tief im Grase lagen.
Nicht sagt' er seinem Wirth, was ihn zum Scheiden zwang,
Und dieser scheute sich, den mächt'gen Jarl zu fragen.
Als Beide freundlich nun die Hand
Zum Gruße sich gereicht, verließ der Held den Strand.
 
48.
Erst ritt er fort durch dunkler Wälder Schweigen,
Durch Busch und Dorn, durch Ranken und Gestein.
Schon lauschte rings die Dämmrung auf den Zweigen,
Verschwommen stand in grauem Duft der Hain;
Doch bald begann der Mond hellleuchtend aufzusteigen,
Der Himmel kränzte sich mit Sternen, groß und klein;
Am Felsen und im Bach, durch Blätter, Zweig' und Ranken
Sah man im bunten Spiel vielfält'ge Lichter schwanken.
 
49.
Da öffnete, verhüllt von weichem Grün,
Sich eine Wiesenflur, bekränzt mit schlanken Bäumen.
Ein Quell, in dessen Fluth des Himmels Bild erschien,
Durchplätscherte das Gras mit silberhellen Schäumen;
Man sah an seinem Rand die späte Rose blühn
Und duft'ge Veilchen dort zum zweiten Mal entkeimen;
Und ohne Kunst verwob sich dort am klaren Bach
Aus Reb' und Immergrün manch luftiges Gemach.
 
50.
Doch dort, wo schnell mit oft gebrochnem Falle
Durch manches Felsenstück das Bächlein sich ergoß,
Und hochgewölbt gleich einer grünen Halle
Das üppige Geflecht den holden Strand umfloß,
An welchem immer wach vom hellen Wellenschalle
Auf jedem schwanken Zweig, auf jedem blühnden Sproß
Mit süßem Klang vielfarb'ge Vögel sangen
Und oft vom Bad' erfrischt die feuchten Flügel schwangen;
 
51.
Dort ruhte Arm in Arm das sel'ge Liebespaar,
Wovon der Hirt erzählt, zur Fluth hinab gebogen.
Bis auf die Wellen schwamm ihr aufgelöstes Haar,
Um dessen blond Gelock goldhelle Strahlen flogen;
Gar lieblich leuchtete im tiefen Glanz der Wogen
Ihr leicht bewegtes Bild und lachte still und klar.
Wer hier und dort sie sah, der konnte schwer erkennen,
Was luft'ges Schattenbild, was Urbild sey zu nennen.
 
52.
Denn in der hellen Fluth, wo tief und unbegrenzt,
Von Wolken nicht verhüllt, die blauen Lüfte wallen,
Wo leis' und leicht bewegt von rieselnden Krystallen,
Mit Sternen übersät, der goldne Himmel glänzt;
Wohl schien's, als wohne dort das Paar in sel'gen Hallen,
Von lindem Wehn umspielt, mit lichtem Schein bekränzt,
Und lieblich täuschend sey, vom Wellenschwung beflügelt,
Sein holdes Schattenbild vom Strand' emporgespiegelt.
 
53.
Doch sah man sie am bunten Strand
Lebend'ger, blühnder dann, von wärmerm Hauch durchflossen,
Von sel'germ Liebeslicht das stillre Aug' entbrannt,
Und friedlicher in's Grün die Glieder hingegossen,
Und wie um Locken rings und Antlitz und Gewand
Thau glänzte, Schimmer schwamm, Duft wehte, Blumen sprossen;
Dann mußte bald ein jeder Zweifel fliehn,
Daß hier der Himmel selbst, dort nur sein Bild erschien.
 
54.
Wohl wähnte Skiold, es ström' ein neues Leben
Durch seine Brust, ein nie empfundnes Glück;
Da sah er Sighild's Freund vom Ufer sich erheben.
Nicht schauerte das Roß bei seinem Nahn zurück,
Wehmüth'ges Lächeln schien um seinen Mund zu schweben;
So lächelt selbst im Schmerz des Engels sel'ger Blick.
Er hob die Hand empor und schien von jenen Bahnen
Halb bittend, warnend halb den Helden abzumahnen.
 
55.
Der fühlt schon Wunsch und Pflicht im Herzen sich entzwein,
Er steht und schwankt im ungewissen Sinnen;
Da fällt der Götter Noth, die hartbedrängten Zinnen,
Sein ritterliches Wort, Thorildens Lieb' ihm ein.
Er drückt die Augen zu und spornt sein Roß von hinnen
Und sprengt in wilder Hast hinweg durch Wies' und Hain.
Schon hat er bald in Waldesfinsternissen
Dem freundlichen Gebild, dem Zweifel sich entrissen.
 
56.
Und rauher wurde Pfad und Wald,
Dumpf sausten auf den Höhn die schwarzverflochtnen Tannen,
Und Felsen thürmten sich in wechselnder Gestalt,
Um die, den Schlangen gleich, sich braune Flechten spannen,
Bald senkten Höhlen sich und jähe Schlünde bald,
Durch deren tiefe Nacht verhüllte Ströme rannen,
Indeß mit Mühe nur durch's dunkle Fichtengrün
Der Mond zum Täuschen mehr als zum Erleuchten schien.
 
57.
Doch als der Wald sich endlich aufgeschlossen,
Da zeigte sich ein Hügel, wüst und kahl,
Wo sparsam nur verwachsne Sträucher sprossen
Und dürft'ges Moos und Haide, dürr und fahl.
Dann senkte bald, von Mondlicht bleich umflossen,
Sich schauerlich ein rund umhegtes Thal.
Hoch ragten rings die nackten Felsenwände,
Als sey das Reich des Lebens dort zu Ende.
 
58.
Dumpfschweigend lag der matt erhellte Raum;
Kein Vogel ließ, kein nächtlich Thier sich sehen,
Die Grille schwieg, das Lüftchen wagte kaum
Ein banges Wort dem Lüftchen zuzuwehen;
Es schien, als neige schwer ein mitternächt'ger Traum
In wüster Mißgestalt sich über Thal und Höhen,
Als schaue dort auf's fluchbeladne Grab
Der bleiche Mond viel bleicher noch hinab.
 
59.
Emporgethürmt aus mächt'gen Felsenstücken
Erhob der Hügel sich mit rauhgezacktem Rand,
Nicht wollte Blum' und Gras die Gruft des Finstern schmücken,
Der Lieb' und milde Lust und Mitleid nie gekannt;
Nur Dornen sah man dort und Disteln sich verstricken,
Dem schwerverfluchten Mahl ein würdiges Gewand;
Ein ehrnes Thor verschloß mit ehrnem Riegel
Den dunklen Pfad zum tiefen Grabeshügel.
 
60.
Der Held verließ sein Roß und wand durch Stein und Dorn
Zur Pforte sich empor auf nie betretnen Wegen,
Er stieß mit lautem Klang in's mächt'ge Kriegeshorn
Und schlug an's hohe Grab mit dumpfen Schwertesschlägen.
Die Tann' am Bergeshang, die Well' im Felsenborn,
Die Haid' im wüsten Thal begann sich bang zu regen,
Und selbst die Nacht erschrak, die um den Hügel schlief,
Als so der tapfre Skiold die kühnen Worte rief:
 
61.
Auf, Wächter, auf zum StreitAuf, Wächter, auf zum Streit! – Solche Kämpfe mit Gespenstern kommen oft in der nordischen Sage vor und sind der Gegenstand mancher noch jetzt berühmten Romanzen. Auch Bartholin in seinen Antiq. Dan. führt mehrere Beispiele davon an. ! zerbrich des Sarges Klammer!
Erhebe, grimm Gebild, dich aus der trägen Rast!
Noch einmal nimm den Schild, den Speer, den schweren Hammer;
Umgieb den morschen Leib mit ehrner Waffenlast!
Auf, Wächter, auf zum Streit! verlaß die dunkle Kammer!
Dein harrt der Skiold; hervor, du finstrer Höhlengast!
Der Skiold von Roskild ruft und heischt zur Siegesbeute
Des Hügels Schwert von dir; auf Wächter, auf zum Streite!
 
62.
Als so der Held den grausen Geist beschwor,
Begann ein kaltes Wehn durch Haid' und Busch zu schauern,
Der Mond verhüllte sich in trüben Wolkenflor,
Und bang schien Wald und Thal zu horchen und zu lauern;
Dicht thürmten ob den Felsenmauern,
Vom nahen Sturm gedrängt, die Wolken sich empor
Und dehnten länger stets, wie Bilder voller Grauen,
Die Riesenhäupter aus, dem Kampfe zuzuschauen.
 
63.
Schon brach der Sturm durch Wolk' und Duft,
Schon sah man hell den Blitz die dichte Nacht zertheilen,
Auf fernem Waldespfad, in wüster Felsenkluft
Begann der rothe Wolf sein Leichenlied zu heulen,
Und Raben flatterten und Geier rings und Eulen
Mit lautem Flügelschlag, rauh krächzend, um die Gruft.
Wo früher kaum der Puls des Lebens sich gehoben,
War Blitz und Donner jetzt, Verheerung, Sturm und Toben.
 
64.
Und aus des Hünen Grabe drang
Ein dürres Rasseln erst und grausenvolles Stöhnen,
Dann schallt' es dumpf hervor, wie rost'ger Waffenklang,
Ein stockend Lied begann in unverstandnen Tönen,
Als suche mühsam sich zum alten Schlachtgesang
Der langverschloßne Mund von neuem zu gewöhnen.
Der Riegel knarrte schon, schon sprang des Grabes Thor,
Und hoch und drohend schritt das grimme Bild hervor.
 
65.
Wie dunkel oft aus Hekla's tiefen Klüften
Mit breiter Schwing' ein Dampfgewölk sich hebt,
Das, dann vermischt mit mitternächt'gen Düften,
Zur riesigen Gestalt sich gliedert und belebt
Und als ein Schreckgespenst in schwarzbezognen Lüften
Mit wüstverwirrtem Haar und finsterm Antlitz schwebt,
Indeß um seinen Pfad die hellen Blitze lodern,
Und drohend Sturm und Sturm zum raschen Kampf sich fodern:
 
66.
So hob das starre Riesenbild
Aus seiner tiefen Gruft die ungeheuren Glieder.
In kaltes Eisen war die kältre Brust gehüllt,
Die Last der Kolbe zog den morschen Arm hernieder,
Viel Raben flatterten um seinen rost'gen Schild,
Auf seinem Helme schwang ein Geier sein Gefieder;
Wie Wind und Flamme ringt auf hohem Meeresthurm,
So mischten um sein Haupt sich kämpfend Blitz und Sturm.
 
67.
Das breite Helmvisir war hoch emporgeschlagen,
Und unbewegt erschien das bleiche Angesicht,
Wo tief im hohlen Kreis die starren Augen lagen,
Erloschnen Nerven gleich, entfärbt und ohne Licht.
Schwer ließ sich einst der Blick des Lebenden ertragen,
Des Todten mattes Aug' ertrug der Kühnste nicht.
Im Winde flatterten die weit zerstreuten Locken,
Nie ward die wunde Brust von schwarzem Blute trocken.
 
68.
Und als er jetzt aus seiner Höhle trat,
Begann noch welker sich die Wüste zu entfärben,
Es sank das duft'ge Moos, der Halme dünne Saat,
Was mühsam sich genährt, nun mußt' es ganz verderben,
Selbst künft'ger Jahre Keim erstarb auf seinem Pfad,
Und seine Spuren nur sah keine Zeit ersterben;
So unerbittlich war von rächerischer Hand
Des Todes ew'ger Fluch auf seine Bahn gebannt.
 
69.
Wie oft ein Sturm in engen Bergeshallen
Sich heulend regt im unwillkommnen Zwang,
So ließ das Nachtgespenst die hohle Stimme schallen
Und grüßte seinen Feind mit fremdem Schlachtgesang.
Dann hob's den schwarzen Schild und ließ die Kolbe fallen,
Die wie ein Donnerkeil sich durch die Lüfte schwang;
Vom ersten Schlage schon ward Berg und Thal erschüttert,
Der Felsengrund zersprengt, des Helden Schwert zersplittert.
 
70.
Doch mit dem mächt'gen Hieb entschwand
Auch schon die letzte Kraft den längst ermorschten Knochen.
Wie schnell in schwarzer Kluft die glühnden Hämmer pochen,
So schwang der Däne jetzt die Keul' in starker Hand,
Und gräßlich rasselte, von ehrner Kraft zerbrochen,
Das splitternde Gebein im rost'gen Kriegsgewand.
Wie hell am Harfenspiel zersprengte Saiten klingen,
So hörte man das Band der straffen Sehnen springen.
 
71.
Und wie ein kühner Thurm, der einst mit stolzer Macht
Die hohe Burg beschützt, vom Alter jetzt verwittert,
Mit grau bemoostem Haupt in's Thal herniederkracht,
Wenn in den Fugen ihn ein starker Sturm erschüttert:
So sinkt das Riesenbild hernieder durch die Nacht,
Die Rüstung klirrt und bricht, der Boden seufzt und zittert.
Doch eh der dunkle Geist der grausen Hüll' entfährt,
Wird aus dem bleichen Mund noch dieses Wort gehört:
 
72.
Was prangst du, Skiold, daß du mich überwunden,
Der freudig jetzt in ew'gen Schlummer sinkt?
Auch dich umhüllt nach karggemeßnen Stunden
Der Tod, der um dein Haupt schon jetzt die Flügel schwingt.
Noch ist von seinem Fluch der Tyrfing nicht entbunden.
Nicht neid' ich dir den Sieg, den grimme Noth dir bringt:
Schon seh' ich Mutterblut an seinem Eisen wallen,
Und von des Bruders Hand durch ihn den Bruder fallen.
 
73.
So sprach der Geist und schwieg; doch kühn versetzte Skiold:
Was drohst du, grimm Gebild, mit Tod mir und VerderbenWas drohst du, grimm Gebild, mit Tod mir und Verderben? – Skiold antwortet beinahe dasselbe, was Achill am Ende des neunzehnten Buchs der Ilias seinen Pferden antwortet, die ihm den Tod prophezeihen. ?
Wohl weiß ich, daß auch mir der dunkle Würfel rollt;
Nicht soll bei seinem Fall mein Antlitz sich entfärben.
Wer kühn gelebt, der weiß auch kühn zu sterben,
Denn tapfre Thaten nur sind tapfrer Thaten Sold.
Mein ist der Sieg, und mein sind Beut' und Ehre;
Was folgt, das weiß ich nicht, noch schreckt mich's, wenn ich's höre.
 
74.
Er sprach's und schlug mit hartem Stoß
Das Thor der finstern Gruft, daß alle Riegel sprangen,
Dann schleppt' er seinen Feind empor durch Dorn und Moos,
Daß hell die Stein' um's Grab am rost'gen Panzer klangen,
Und barg im dunklen Hügelschoos
Den Leib, den düster jetzt der ew'ge Schlaf umfangen,
Drauf zog er aus dem Schutt, der drinnen sich gehäuft,
Das Schwert, das schon so oft von grausem Mord geträuft.
 
75.
Wie manches Blut auch auf die Schneide sprühte,
Noch ward kein Rost daran, noch keine Schart' erkannt;
So trefflich war der Stahl an Dauer, Kraft und Güte,
So künstlich war das Schwert gefügt von kluger Hand.
Lang schaute Skiold es an, sein scharfes Auge mühte
Umsonst sich an der Schrift, die auf der Klinge stand;
Dann hob er's hoch in starken Händen
Und prüfte Schneid' und Schwung an Strauch und Felsenwänden.
 
76.
Nicht zürn' ich, daß der Feind die Waffe mir zerschlug,
So sprach er jetzt, nie tauscht' ich mehr mit Freuden.
Scheint's doch, als schwinge sich das Schwert mit eignem Flug,
Als fühl' es eigne Lust am Hauen und am Schneiden.
Fast wähn' ich, edler Stahl, lebendig dich und klug.
Drum sey mir treu und hold, der Tod nur soll uns scheiden.
Hat auch mit mancher Schmach dein Wächter dich belegt,
Gut wird auch böses Schwert, wenn gute Hand es trägt.
 
77.
Und wenn ich auch nur kurze Zeit dich schwinge,
Wie scheidend mir der finstre Feind gedräut,
Vielleicht daß ich durch dich so Herrliches vollbringe,
Daß manch Jahrhundert lang sich dehnt die kurze Zeit.
So sprach der Held zu jener falschen Klinge,
Die er erkämpft zu Schmach und bitterm Leid.
Nie sollt' in seiner Hand das Schwert im Kampfe blitzen,
Und bald sein eignes Blut von Tyrfings Schneid' entspritzen.
 
78.
Und als er mit dem scharfen Stahl
Sich nun umgürtet hat, da zündet er behende
Ein helles Feuer an, wie ihm die Braut befahl,
Daß gänzlich, wie er wähnt, die Macht des Elfen ende.
Hellleuchtend thürmen sich um's alte Riesenmahl
Vielfach gestaltet jetzt die nackten Felsenwände;
Schon flammt das Zauberkraut, das stille Kräfte nährt,
Am Hügelstein empor, von rascher Gluth verzehrt.
 
79.
Als höher nun die Flammen sich erheben,
Entsteigt ein dichter Dampf der zauberischen Gluth,
Er wallt zum Himmel auf mit luftig leichtem Schweben
Und wogt um Berg und Thal mit weitgedehnter Fluth;
Und drinnen weht und schafft ein wunderbares Leben,
Das auf und nieder schwimmt und nimmer säumt noch ruht;
Die Farben, die den Hain, die Berg und Wiese zieren,
Beginnen bunt vermischt sich in dem Strom zu rühren.
 
80.
Und als der rege Geist sein seltsam Werk vollbracht,
Da lassen Berg und Thal sich ganz verwandelt sehen:
Vom Sonnenlichte glänzt die trübe Mondennacht,
Weit dehnt die Schlucht sich aus, umhegt von sanften Höhen,
Hier steigt ein Wald empor in üppig holder Pracht,
Hier sieht man reife Saat und Wiesen dort entstehen,
Dort schwimmt ein heller Teich, bekränzt mit dichtem Grün,
Dort scheint ein klarer Quell durch bunte Aun zu fliehn,
 
81.
Und Früchte, die noch nie ein sterblich Aug' erblickte,
Erglänzten schon gefärbt an Ranken, Strauch und Zweig;
Und Blumen, wie noch nie des Menschen Hand sie pflückte,
Bekränzten rings umher das holde Zauberreich;
Ein irrend Licht, ein bunter Schimmer schmückte
Gebirge, Flur und Thal und Wellen und Gesträuch;
Vom fernen Libanon und von Hymettus Höhen
Schien über's weite Meer der süße Duft zu wehen.
 
82.
Rings sahe man im bunten Hain
Zu Lauben still und kühl die Zweige sich verweben,
Und Grotten dehnten sich in's moosige Gestein,
Von Quellen sanft bespült, verhüllt von grünen Reben,
Auch standen Zelte rings voll reicher Stickerein,
Mit Wimpeln bunt verziert, von seidnem Stoff umgeben,
Viel Schlösser hoben sich auf Berg und Fels empor,
Und aus den Büschen sah manch Schäferdach hervor.
 
83.
Von Festen schallt' es rings, von Spiel, Gesang und Freude:
Hier flog ein leichter Schwarm im Wettlauf durch die Aun,
Und Ritter kämpften hier in glänzendem Geschmeide,
Und saßen dort im Kreise schöner Fraun;
Dort ließen zart im leichten Kleide
Die Schäferinnen sich auf weichen Wiesen schaun,
Sie schlangen Hand in Hand zu vielverflochtnen Tänzen
Und schienen holder noch die holde Flur zu kränzen.
 
84.
Ein andrer Schwarm begann zur freud'gen Jagd
Auf hohem Roß am Berg emporzuziehen:
Schön glänzt' ihr schlanker Leib in reicher Jägertracht,
Auf ihren Wangen schien ein stolzer Muth zu blühen;
Laut schallte schon das Horn durch Berg und Waldesnacht,
Die Klüfte zitterten, das Wild begann zu fliehen,
Hoch schwang der edle Falk sich aus des Jägers Hand
Und hielt im stillen Flug die Flügel ausgespannt.
 
85.
Doch andre schaukelten sich friedlich auf den Wogen
Und schmückten hold mit Kränzen ihren Kahn:
Bald ruhten sie, wo tief hinabgebogen
Zur hellen Fluth die Zweige niedersahn,
Bald strebten sie dem Fels, von Immergrün umzogen,
Und bald dem blühnden Strand der Inseln sich zu nahn;
Hell perlte dort der Wein im glänzenden Kristalle,
Und Well' und Ufer klang von süßem Saitenschalle.
 
86.
Manch liebend Paar, das sich der Meng' entstahl,
Saß kosend dort an dunklen Waldesstellen,
Dort auf umranktem Sitz im blumenreichen Thal,
Auf weichem Moose dort am Rande klarer Quellen.
Im Blick des Jünglings sprach der Liebe Lust und Qual,
Die bange Jungfrau sah erröthend auf die Wellen,
Dann sank sie sanft mit leicht bewegtem Sinn
In seinen Arm zum ersten Kuß dahin.
 
87.
Auch Dichter wandelten, vom holden Traum umfangen,
Von ihrem Gott geführt, durch Wies' und Thal zerstreut,
Die zu der Harfe Ton viel hohe Lieder sangen
Von Lieb' und Heldenruhm aus alter Väterzeit.
Man sah ihr heil'ges Haupt in grünen Kränzen prangen,
Manch edler Schmuck umgab ihr festlich helles Kleid,
Aus ihren Harfen schien ein goldnes Licht zu springen,
Und durch die Saiten sich ein sel'ger Geist zu schwingen.
 
88.
Erstaunt und schweigend stand der Held,
Von Duft und Glanz entzückt, von Tänzen, Spiel und Klängen.
Fast war's, als sey für ihn die Feier angestellt,
So froh begann der Schwarm sich um ihn her zu drängen.
Die lacht' ihm freundlich zu, Der lud ihn hold in's Zelt,
Die kränzt' ihm Helm und Schild, Der pries ihn in Gesängen.
Auch schien's ihm bald durch mächt'ge Zauberei,
Als ob er hier und dort und stets doch selber sey:
 
89.
Dort schifft' er durch die Fluth und wähnte dort zu jagen,
Indeß er dort im leichten Tanz sich schwang;
Er war's, der hier und dort mit kühnem Liebeswagen
Im Thal, am Quell, im Hain nach holder Minne rang;
Dort glaubt' er süß das Saitenspiel zu schlagen,
Und doch war er's, zu dessen Preis er sang.
So schien's, als wollten hier aus einem ganzen Leben
Die bunten Bilder sich in einen Punct verweben.
 
90.
Doch als die Gluth erlosch am alten Mahl,
Da rissen schnell des Dampfes Zauberwogen:
Vom Himmel sah des Mondes bleicher Strahl,
Vom trüben Thau der Wolken oft umzogen;
Die Haide zeigte sich, das Gras, das enge Thal;
Duft war und Glanz, Spiel, Klang und Lust entflogen;
Nur grauser schien auf schroffen Felsenhöhn
Der Hauch der Nacht durch Haid' und Strauch zu wehn.
 
91.
Was du gefühlt, als einst in sel'gen Träumen,
Da schon der Kreis des Todes dich umzog,
Dein Geist, Cäcilie, aus niedern Erdenräumen,
Von gläub'ger Kraft beschwingt, zur holden Heimath flog
Und kühl umsäuselt dort von Paradiesesbäumen
Das Wehn der reinern Luft mit durst'gen Zügen sog,
Doch traurig dann zurück zur Welt sich senkte,
Die nie verdient, daß Gott dich einst ihr schenkte:
 
92.
Das fühlte Skiold, als ihm das Bild entschwand.
Zum ersten Mal ergriff ihn leises Beben,
Als er so einsam sich am düstern Grabe fand,
Von Haide, Fels und Nacht, von Graun und Tod umgeben.
Ihm schien's, als hab' er jüngst ein sel'ges Liebesleben,
Vom wilden Rausch bethört, mit raschem Lauf durchrannt,
Und ewig soll' er nun, den kurzen Wahn zu büßen,
Sich in der Dämmerung der öden Schlucht verschließen.
 
93.
Nicht wußt' er, was ihm jüngst Thorildens Wort vertraut;
Was er noch kaum gehört, gesehn und unternommen,
War alles wunderbar verwoben und verschwommen,
Wie dem, der fern in's Land der frühen Kindheit schaut.
Nur dunkel schien es ihm, er sey durchs Meer gekommen
Auf kleinem Fischerkahn im Dienste seiner Braut;
Auch sah er in der Nacht, die dämmernd ihn umwebte,
Den fremden Tyrfing nicht, der ihm am Gürtel schwebte.
 
94.
Wie kam ich her? was hab' ich hier vollbracht?
So rief er jetzt, was wollt' ich nun beginnen?
Was steh' ich hier im Traum und dumpfem Sinnen
An dieser Gruft so einsam in der Nacht,
Indeß zum Sturm vielleicht auf Lethra's hohe Zinnen
Der stolze Feind sich naht mit großer Kriegesmacht?
Hinweg, hinweg! Was eben mich bethörte,
Dem sinn' ich später nach; jetzt ruft die Noth zum Schwerte.
 
95.
So ruft er aus und sprengt auf hoher Bahn
Durch Haid' und Fels. Schon ist der Wald durchflogen,
Schon hört er fern des Meeres heisre Wogen,
Schon langt er an, schon tritt er in den Kahn.
Noch ist von dunkler Nacht die weite Fluth umzogen,
Man hört nur dumpf die Wellen fliehn und nahn,
Und einsam schwimmt das Schiff, von Menschengruß und Rede,
Von jedem Blicke fern, hinüber durch die Oede.
 
96.
Als nun auf wüstem Meer
Der Ritter durch die Nacht im engen Kahne schwebte,
Wo nur die Woge scholl, und weit und breit umher
Kein Vogel flatterte, kein kleines Würmchen lebte,
Da war's, als ob sein Herz von stillem Graun erbebte,
Auf seine Seele sank ein Schleier trüb' und schwer,
Und traurig schien ein dunkles Todesahnen
Aus Welle, Wind und Nacht den Sinnenden zu mahnen.
 
97.
Das war des Schwertes grimmer Fluch,
Der ihn schon jetzt umspann mit tiefverborgnen Schmerzen.
Vergebens schalt der Held mit seinem tapfern Herzen,
Das sonst so kühn und frei im Sturm und Kampfe schlug;
Nur nächtlicher begann sich sein Gemüth zu schwärzen,
Bis ihn die rasche Fluth zum dunkeln Ufer trug,
Schnell stieg er aus und trieb mit blut'gen Spornen
Sein müdes Roß durch Wald, Gebüsch und Dornen.
 
98.
Doch als dem Thier und ihm die letzte Kraft entflieht,
Da gähnt auf wilden Waldeswegen
Ihm eine Felsenkluft mit finsterm Thor entgegen,
Die weit sich in den Berg mit mancher Krümmung zieht.
Dort denkt der müde Held der kurzen Ruh zu pflegen,
Bis früh am Himmelssaum das Morgenroth entblüht,
Er facht ein Feuer an und streckt die matten Glieder
Bei heller Gluth zum süßen Schlummer nieder.

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