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Es war ein Mann im Lande Uz, der lebte schlecht und recht mit seinen Mitmenschen, der lebte schier mehr als untadelhaft mit Gott. Auch jede nur mögliche Schuld seiner Kinder sühnte er vorsorglich, ohne erst ihre Wirklichkeit feststellen zu wollen. Darum erfreute er sich auch großen Wohlstandes und genoß des verdienten Ansehens unter seinen Mitbürgern; ja der Herr selbst rühmte ihn gegen Satan, als dieser sich unter den anderen Söhnen Gottes vorstellte, daß seinesgleichen im Lande nicht sei. Satan fand das jedoch gar nicht wunderbar: Hiob mache ja mit seiner Frömmigkeit ein vorzügliches Geschäft; wollte Gott ihn einmal unsanft anfassen, so würde er ihm gewiß sofort den Rücken kehren. So übergab der Herr dem Satan seinen getreuesten Knecht, daß er ihm alles nehme, woran sich bisher sein Herz erfreute, seine Herden, seine Kinder; nur Hiobs Persönlichkeit selbst sollte unangetastet bleiben.
Und Hiob wurden auf Einen Tag seine Herden geraubt, seine Kinder vom Blitz erschlagen. Schmerzlich wand sich sein Herz in seinem Busen; aber kein Wort kam über seine Lippen, als der Ausdruck unbedingter Ergebung: »Der Herr hat's gegeben; der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobet«.
Als Satan abermals unter den Söhnen Gottes sich dem Herrn vorstellte, mußte er zugeben, daß Hiob diese Probe bestanden hatte. Aber er fand das wieder gar nicht wunderbar: sie war eben zu leicht gewesen. Würde Hiobs Person selbst angetastet, so würde er unfehlbar Gott sofort den Rücken kehren. Da gab der Herr Satan die Vollmacht, daß er Hiob, seinen getreuesten Knecht, mit schmerzhafter, ekelerregender, unheilbarer Krankheit schlage: nur seines Lebens sollte er schonen.
Da wurde Hiob vom Aussatz befallen. Sein eigenes Weib gab ihm den nächsten, den besten Rat: »Gib Gott den Abschied und stirb!« Aber Hiobs Ergebung erwies sich ohne Grenzen: »Du redest wie die erste beste Törin redet! Das Gute nahmen wir von Gott an, und sollten das Böse nicht auch annehmen?«
* * *
Und später wurde Hiob wieder gesund. Und er erhielt seinen Reichtum verdoppelt wieder; und er wurde auch wieder mit sieben Söhnen gesegnet, und mit drei Töchtern, die waren die schönsten Frauen weit und breit. Und er lebte noch 140 Jahre, sah Kinder und Kindeskinder, und starb alt und lebenssatt.
Später wurde Hiob wieder gesund.
Wie viel später? Wir wissen's nicht. Sollte aber Satan ganz ins Unrecht gesetzt werden, so durfte die Prüfung Hiobs nicht zu kurz dauern, so mußte sein Schmerz sich bis ins Unerträgliche steigern, sein Leiden jede Hoffnung auf Wiederherstellung ausschließen. War erst gar nicht mehr daran zu denken, daß Hiob mit seiner Frömmigkeit ein Geschäft mache, und blieb Hiob dann unerschütterlich in seiner demütigen Ergebung, so mußte Satan selbst, wohl oder übel, beschämt zugeben, daß Gott Ursache habe, auf Hiob, seinen allergetreuesten Knecht, stolz zu sein.
Daraus ergibt sich leicht, wie die angedeutete Lücke in Hiobs Geschichte zu ergänzen ist.
Sein Weib wiederholte natürlich ihren guten Rat, der mit der Länge des Leidens immer richtiger, immer eindringlicher wurde: »Gib Gott den Abschied und stirb!« Hiobs Verwandte und Freunde kamen, suchten in ihm zuerst die Hoffnung auf Wiederherstellung aufrecht zu erhalten und stimmten dann, als diese Hoffnung endlich gar keinen Stützpunkt mehr fand, versteckt, ja offen dem Rate seines Weibes bei: »Gib Gott den Abschied und stirb!« Hiob aber ließ sich nicht irre machen. Nicht der Schmerz, der seinen Körper durchwühlte, nicht die versteckte, nicht die offene Verzweiflung seiner Umgebung vermochte seinen festen, frommen Sinn anzukränkeln, der die reife, gesunde Frucht eines langen Einverständnisses mit Gott war. Er blieb dabei: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet«; »das Gute nahmen wir von Gott, und sollten das Böse nicht auch annehmen?« – Und darum wurde er wieder gesund; darum erhielt er alles, was er verloren, verdoppelt wieder.
So, und auf keine andere Weise, müssen wir selbstverständlich die Geschichte Hiobs ergänzen. Fügen wir noch eine dritte Szene zwischen dem Herrn und dem Satan ein, da dieser erfährt, daß er seine Wette endgültig und glänzend verloren hat; gönnen wir endlich Hiob die Genugtuung, selbst Zeuge von Satans Beschämung zu sein und so nachträglich zu erfahren, wie's mit seinem Leiden eigentlich sich verhielt: so erhalten wir ein richtig gebautes, in sich abgeschlossenes, höchst erbauliches – Gedicht.
Der uns aber Hiobs wundersame Geschichte überliefert hat, war zwar auch ein Dichter (der größten einer, die wir kennen!), war jedoch noch mehr Denker, und war vor allem ein Mann von unbestechlicher Wahrhaftigkeit. Er hat freilich der Versuchung nicht widerstanden, der wirklichen Geschichte Hiobs einen Schluß anzudichten, den sie leider nicht hatte; denn des wirklichen Hiobs Geschichte hat überhaupt keinen Schluß. Dagegen war er ehrlich genug, den Handel zwischen Gott und Satan, den er sich als erklärenden Hintergrund zu Hiobs Geschichte hinzudachte, nicht weiter fortzuführen, als er ihn sich denken konnte. Darum ist er uns die nach den Regeln der Dichtkunst notwendige dritte Szene dieser divina commedia schuldig geblieben: es versagte ihm nicht die dichterische Phantasie, sondern der Gedanke. Und die Lücke in Hiobs irdischer Geschichte hat er, die Anforderungen der Dichtkunst und seine eigene Erklärung von Hiobs Geschick vergessend, so ausgefüllt, wie es der Wahrheit entspricht. Die Wahrheit aber ist, daß Hiob nicht ein Heiliger war, sondern ein Mensch.
So wollen denn auch wir eine Weile vergessen, was der Dichter des Hiob zu dessen wirklicher, irdischer Geschichte hinzugedacht und hinzugedichtet hat, und den Versuch machen, diese aus sich heraus zu verstehen.
Hiobs Freunde hören von dem Unglück, das ihn betroffen, und kommen, ihn zu trösten. Aber über dem Anblick seines gräßlichen Elends versagt ihnen die Stimme. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie neben ihm, ohne ein Wort zu sprechen.
Da löst Hiob das furchtbare Schweigen mit einem markerschütternden Schrei: Die Zitate sind entnommen: Hiob von G. Kemmler, Calw-Stuttgart 1877.
Der Tag geh' unter, da ich ward geboren,
Die Nacht, die sprach, empfangen ist ein Sohn!
Der Tag, er geh' in Finsternis verloren,
Gott such' ihn nicht von seiner Höhe Thron,
Und nie erglänz' ein Lichtstrahl über ihn!
Die Urnacht lös' ihn ein und Todesgrauen!
Es lagre sich Gewölk darüber hin!
Ihn schrecke, was nur Tage Düstres schauen!
O wäre er doch nie geboren! Er hat ja nicht leben wollen! Aber so wenig einst darnach gefragt wurde, ob er denn auch leben wolle, so wenig kommt jetzt in Erwägung, ob er noch leben kann, ob er, freilich leben, wirklich noch lebt:
Warum gibt er dem Leidensmüden Licht
Und denen, deren Seele trauert, Leben?
Die stets des Todes harren, der doch nicht
Sich einstellt, die ihn eifriger erstreben,
Als man nach Schätzen gräbt; die jubelnd ständen,
Die hüpfen würden, wenn ein Grab sie fänden, –
Dem Mann, auf dessen Weg sich Nacht gelegt,
Den Gott von allen Seiten eingehegt?
O hätte der Herr nicht gegeben! O hätte er gleich alles genommen! Wie mag er seine erst so gut scheinende Gabe dem Menschen so fürchterlich verekeln!
Hiob hat seinem Weibe noch nicht Recht gegeben – oder doch nur halb. Sterben möchte er ja; einen richtigen Fluch aber, mit dem er Gott den Abschied geben würde, bringt er nicht über die Lippen. Seine fromme Ergebung freilich ist dahin. Beglückwünschen wir ihn dazu! Sie war nicht wahr! Er lobte den Herrn, der alles gab, um alles zu nehmen, nur mit den wohlgezogenen Lippen, nicht mit dem nicht so leicht zu dressierenden Herzen. Dieses sein ursprünglich empfindendes Herz hatte auch nie geglaubt, daß die Hinnahme guter Gaben zur Annahme böser verpflichte. Soll das wirklich Pflicht sein, von dem Wein, der mir mundet, auch die Hefe zu trinken? Ein Mensch bilde sich nur diese sinnreiche Theorie: sobald er die Hefe schmeckt, speit er sie mit unwillkürlichem Ekel aus. Mit Recht – wenn anders nicht ein Grund, ein wirklicher Grund nachzuweisen ist, daß es um die Hefe schade wäre, wenn sie ausgespien wird.
Hiobs Leiden hat schon eine wertvolle Frucht getragen: sie hat seinem ursprünglich empfindenden, durch eine fromme Dressur unterdrückten Herzen die Herrschaft über ihn zurückgegeben. Von Qual gepeinigt, vermag sein Herz nicht mehr den schönen, frommen Sprüchlein, die die Lippen pflichtmäßig herzusagen gelernt haben, mit der Empfindung pflichtmäßig nachzufolgen; es zuckt einfach im Schmerze zusammen, und nun müssen die Lippen ihm gehorchen und verwandeln seinen Schmerz in einen natürlichen, wahren, menschlichen Schrei. Welcher Fortschritt! Hiob freilich sieht ihn nicht, vermag ihn noch weniger zu schätzen: Er leidet noch zu unmittelbar. Die Freunde dagegen, die ja nicht selbst leiden, wittern sofort, daß hier etwas Entscheidendes vor sich geht, und würdigen es nach ihrer Weise.
Hiobs Schrei nimmt unwillkürlich die Richtung auf Gott. Auf Gott müssen auch die Freunde hinweisen, wenn sie Hiob etwas Tröstliches sagen wollen; menschliche Hilfe ist hier ja ausgeschlossen. Die Art aber, wie Gott von Hiob hereingezogen wird, zeigt ihnen, daß nicht bloß Hiob Hilfe von Gott, sondern Gott gewissermaßen auch Hilfe gegen Hiob brauche. Als gute Menschen sind sie bereit, beiden Parteien nach Kräften zu dienen.
Eliphas von Theman setzt, um Hiob zur Besinnung zu bringen, mit harmlos sein sollender Ironie ein, die sich freilich in Hiobs Ohr sofort gegen den wohlwollenden Berater selbst wendet:
Wagt man ein Wort an dich, wird dich's verdrießen?
Doch wer mag Worte halten in der Haft?
So viele, sieh, hast du zurechtgewiesen
Und schlaffen Händen gabst du neue Kraft;
Wer wankte, den erhoben deine Reden,
Und Knie, welche brachen, stärktest du –
Und nun verdrießt dich's, da es dich betreten?
Nun es dich angreift, weg ist deine Ruh?!
Ist deine Gottesfurcht dir nicht Gewähr,
Nicht Hoffnung dir dein reiner Wandel mehr?
Wie treffend! Der gegenwärtige Hiob wird durch den früheren gerichtet – das sieht Eliphas ganz deutlich; nur sieht er leider das andere nicht: daß in dem gegenwärtigen Hiob der frühere ad absurdum geführt ist. – Ja, Hiob hatte geglaubt, seine Gottesfurcht gewähre ihm Sicherheit vor so hoffnungslosem Elend. Daß er nicht elend werden wolle, war vielleicht ein Motiv seiner Frömmigkeit gewesen; daß er nie ganz elend zu werden fürchtete, jedenfalls eine Frucht derselben. Und jetzt steckt er doch in der Qual drin, als in einer einfachen Wirklichkeit, die nach den Gesetzen des Weltlaufs, ohne daß seine Gottesfurcht irgendwie als Faktor der Entwicklung in Betracht käme, keine Aussicht auf Rettung gewährt! Das ist für ihn ja gerade das Entsetzliche!
Eliphas spürt Hiobs Schmerzen nicht, und so kann er aus Hiobs eigenem früheren Sinn, aus Hiobs eigener früherer Lebenserfahrung heraus ruhig und richtig weiter argumentieren:
Bedenk, wer mußte schuldlos untergehn,
Wo jemals ein Gerechter unterliegen?
Wohl aber hab' ich die, so Unrecht pflügen
Und Unheil streuen, es auch ernten sehn!
Sie schwinden hin vor Gottes Hauch,
Vergehn in seines Zornes Rauch!
Die Anwendung dieser Tatsachen allgemeiner Erfahrung auf die gegenwärtige Situation liegt nahe genug. Doch meint es Eliphas gar nicht so böse. Er erleichtert sogar Hiob die Zueignung seiner Lehre durch das demütige Eingeständnis, daß kein Mensch (auch Eliphas nicht), ja kein Engel vor Gott fehlerlos dasteht:
... Mag der Erdensohn
Gerecht vor Gott, und fleckenrein
Der Mann vor seinem Schöpfer sein?
Sieh, seinen Dienern selbst vertraut
Er nicht, an seinen Engeln schaut
Er Mängel – wie viel mehr an dem,
Der nur ein Haus bewohnt von Lehm,
Der nur auf Staubesgrunde steht,
Der vor der Motte noch zergeht?
Ein demütiges Eingeständnis eigener Verschuldung möchte Eliphas erzielen, das nicht die geringste Demütigung in sich enthält: wen könnte es schänden, nur allen Menschen, ja sogar den Engeln, gleichzustehen – in der Mangelhaftigkeit! – Da der Tröster nun hinlängliche Proben seines milden, billigen Urteils gegeben hat, darf er auch wagen, Hiob freundlich darauf hinzuweisen, daß seine leidenschaftliche Klage unnütz, ja schädlich ist:
So rufe, wird dir jemand Rede stehn?
An welchen von den Heil'gen willst du gehn?
Den Toren mordet nur sein Grollen,
Sein Eifer tötet nur den Tollen!
Eliphas selbst, der ja freilich den rasenden Schmerz Hiobs nicht empfindet, die Hoffnungslosigkeit des Leidens nicht an dem steten Zerfall der Kräfte unmittelbar erprobt, er würde es an Hiobs Stelle viel richtiger machen und kann sein gutes Beispiel, das er zum Glück bloß zu fingieren braucht, mit Zuversicht zur Nachachtung empfehlen:
Nun aber sucht' ich Gott mit neuem Mut
Und würde meine Sache ihm empfehlen,
Der unerforschlich Großes tut
Und Wunderbares, nicht zu zählen …
Indem er das im einzelnen beschreibt, wird ihm selbst so augenscheinlich, so überwältigend klar, wie sehr er Recht hat, wie gut er Hiob rät, daß er begeistert schließt:
Ja, Heil dem Mann, der Gottes Zucht empfindet!
Verwirf die Weisung des Allmächt'gen nicht!
Der Wunden wieder, die er schlägt, verbindet,
Der mächtig wieder heilt, was er zerbricht!
Aus sechs Gefahren wird er frei dich führen,
Und auch in sieben dich kein Uebel rühren!
Vom Tod erlöst er dich in Hungersplage
Und vom gehob'nen Schwert in Kampfesnot;
Er birgt dich vor der Zunge Geißelschlage,
Und furchtlos bist du, wenn Verheerung droht;
Darfst in Verheerung und in Mangel lachen,
Dir Sorge nicht vor wilden Tieren machen!
Denn auch mit dem Gestein des Feldes draußen
Bist du im Bund, und das Getier der Flur
Ist dir befreundet, und du weißt, es hausen
In deinem Zelte Glück und Frieden nur,
Und wirst du dein Gehöfte überzählen,
So wird es dir auch nicht an Einem fehlen.
Noch zahlreich wirst du deinen Samen sehen
Und deine Sprossen frisch, wie junges Grün,
Und einst in voller Kraft zu Grabe gehen,
Reif, wie die Garben, die zur Tenne ziehn.
Sieh nun, so ist's; dies haben wir
erfahren,
Drum hör's – und du besonders magst's bewahren!
Eine Musterleistung seelsorgerlichen Zuspruchs, in der Tat! Mild und bestimmt, besonnen und begeistert, den Trost auf die Erfahrung stützend, mit seiner Mahnung nur auf die immer mögliche, immer notwendige innerliche Tat hindrängend, daß Hiob sein Verhältnis zu Gott revidiere: wie kann Eliphas so der Wirkung verfehlen, daß er Hiobs leidenschaftliche Erregung beruhigt, ihn von der gefährlichen Nachgiebigkeit gegen seinen Schmerz zurückzieht, die Energie seines Denkens, seines Willens wieder entbindet? Die Weisesten der Weisen haben gefunden, daß der Mensch so lange nicht verloren sei, als er in seinem Schicksal noch eine Aufgabe für sich erkenne: Eliphas zeigt Hiob seine Aufgabe – und so ist Hiob gewiß gerettet!
Auf Hiob macht seine schöne Rede doch nicht den gewünschten Eindruck. Es scheint fast nicht möglich; aber Hiob läßt sich nicht beruhigen, nicht aufmuntern. Im Gegenteil! Des Freundes wohlgesetzte Zurechtweisung zeigt ihm, daß er mit Recht tobt; die Erklärung seines Leidens, die ihm dargeboten wird, empfindet er vielmehr als Verschärfung, als Vergiftung seines Schmerzes; den Rat, der aus dieser Erklärung fließt, erkennt er als völlig sinnlos.
O daß mein Jammer doch gewogen würde,
Und man auch meines Leidens Bürde
Dagegen auf die Wage hübe!
Der Sand am Meer
Ist nicht so schwer,
Drum sind auch meine Reden irr und trübe!
– – – – – – – – – – – – – –
O daß mein Wunsch sich doch erfüllte
Und Gott mein sehnlich Harren stillte!
Mich zu zermalmen, o gefiel's ihm doch,
Und reckte er die Hand, den Lebensfaden
Mir abzuschneiden! Ja, dann wäre noch
Ein Trost für mich. Wenn gleich mit Schmerz beladen,
Ich hüpfte doch! Hielt ich doch immer
Des Heil'gen Worte treulich ein!
Was ist denn mein Vermögen, daß noch immer
Ich harren soll? Was wird mein Letztes sein,
Daß ich der Seele Groll
Noch länger wehren soll?
Wie? Ist mir denn der Steine Kraft gegeben?
Ist dies mein Fleisch aus Erz vielleicht?
Ist nicht dahin die innere Kraft zum Leben
Und wahrer Beistand weit von mir gescheucht?
Helfen wir ihm doch mit einem Worte nach. Des nicht leidenden Freundes ruhiger Zuspruch enthüllt Hiob die Brutalität des körperlichen Schmerzes, der er ausgeliefert ist. Ja, wenn der Körper nur litte, der Geist aber, unbeeinträchtigt durch die Not seines Genossen, ruhig für sich fortlebte, aus dieser gar noch Kraft zu höherem Aufschwung schöpfte! Aber die Qual des Körpers verwirrt, lähmt auch den Geist – und das ist eine brutale Vergewaltigung. Der erste Schrei des Kindes ist ein Protest gegen diese Brutalität; das letzte Stöhnen des Sterbenden besagt nichts andres, als daß der Arme einem Gewaltakt unterliegt. Und jedes Zusammenzucken in körperlichem Schmerze, das zwischen diesen beiden ganz unwillkürlichen Protesten liegt, weist doch immer wieder auf dasselbe hin: wir sind einer Macht ausgeliefert, die wir mit Recht brutal nennen, weil sie sich nicht im geringsten scheut, durch Eingriffe in unser sinnliches Leben auch auf uns als Geisteswesen zu drücken! … Wobei wir doch nicht übersehen wollen, daß Hiob, indem er sich über diese Brutalität beschwert, zugleich eine schöne Frucht derselben zeigt! Die elementare Leidenschaft, womit er gegen seine Vergewaltigung aufbegehrt, hat tausendmal mehr, ja unvergleichlich mehr Sinn und Kraft als die wohlüberlegte Trostrede seines behaglichen Seelsorgers. Die Qual, durch die Hiob seinen Geist geschwächt und verwirrt glaubt, hat in ihm den Geist, den Gedanken und Willen erst entbunden. Den Gedanken – Hiob denkt, während Eliphas phantasiert; und den Willen – in Hiobs Empörung liegt auch Wille, nur freilich ein ganz anderer als in Eliphas' berechneter, beabsichtigter Tröstung und Ermahnung!
Zu der Brutalität des körperlichen Schmerzes, der er ausgeliefert ist, entdeckt Hiob noch eine zweite Not, die er früher gewiß nicht kannte: die natürliche Roheit des Glücklichen gegen den Unglücklichen. Eliphas will Hiob trösten; tatsächlich aber mißhandelt er ihn in der schlimmsten Weise. Mit empörender, ach so berechtigter Undankbarkeit spricht Hiob das aus. Er wäre jetzt ja der Hilfe wirklich bedürftig; die Freunde aber, die ausdrücklich gekommen sind, ihn zu trösten, lassen ihn im Stich wie der vertrocknete Wüstenbach die schmachtende, Erquickung hoffende Karawane:
So seid auch ihr mir jetzt ein eitler Wahn,
Ihr schaut das Schreckliche und scheuet dran!
Das ist's: sie werden scheu vor dem Entsetzlichen, das sie hier schauen müssen. Es erfaßt sie Angst – nur leider weniger für Hiob (wie dieser mit sicherem Instinkte spürt), sondern für sich selbst, für das Menschenleben überhaupt, für ein Verständnis des Lebens, auf dem die Sicherheit ihres Lebensgefühls beruht. Und so greifen sie zu einem Zuspruch, der sie zwar für sich beruhigen kann, Hiob aber kränken muß, den dieser deshalb mit Entrüstung, mit Hohn zurückweist:
Belehret mich, so will ich schweigen,
Wo ich gefehlt, mögt ihr mir zeigen!
Der Wahrheit Worte, o sie sind
So lieblich! Doch was soll von euch das Rügen?
Denkt ihr um Worte gar mich zu bekriegen?
Doch der Verzweiflung Worte geh'n in Wind!
Ihr freilich könntet losen um die Waise
Und markten über eures Freundes Preise!
Das können sie nicht nur, das tun sie schon: des Eliphas Denken hat im unmittelbaren Anblick von Hiobs Leiden bereits die Richtung genommen auf die Frage, ob Hiob wirklich der fromme Mann war, für den er ihn bisher hielt. Er hat ja auch triftigen Grund, diese Frage sich zu stellen: wenn Hiob als wirklich frommer Mann solchem Unheil verfallen konnte, so ist auch der, trotz seiner Teilnahme an der allgemeinen Fehlbarkeit der Menschen und Engel, natürlich wirklich fromme Eliphas vor einem ähnlichen Schicksal nicht sicher! So setzt also Eliphas, unter dem Scheine tröstenden Zuspruchs, an, seines Freundes Preis festzustellen; es liegt dabei in seinem scheinbar religiösen, in Wahrheit persönlichen Interesse, den Wert des Freundes herabzudrücken; und sein Interesse weist ihn auf eine Methode hin, die für den leidenden Hiob sehr gefährlich, für Hiob, den Freund, geradezu beleidigend ist: daß er, der Mann der Erfahrung, sich einen Hiob erdichtet, der als Exempel für seine Auffassung des göttlichen Waltens taugt, statt sich dessen zu erinnern, wie er Hiob einst kennen gelernt hatte, statt dem Hiob prüfend ins Auge zu sehen, den er jetzt vor sich hat.
Schaut mich doch an, ich bitte euch!
Seh' ich denn einem Lügner gleich?
fleht Hiob die »Freunde« an, sich windend unter der Brutalität, mit der sie ihn um ihrer frommen Theorie willen, in Wahrheit um ihrer selbst willen, mißhandeln. Freilich, ob es Hiob viel genutzt hätte, wenn die Freunde seiner Aufforderung folgten? Sie hätten mit Leichtigkeit entdeckt, daß alle Beweise für Hiobs Frömmigkeit, die sie früher zu sehen glaubten, zweideutig waren – eine eindeutige Offenbarung des Gemüts und Charakters gibt es ja überhaupt nicht. Daß aber der gegenwärtige Hiob in keiner Weise mehr »lügen« konnte, da die Wut des Schmerzes an ihm jetzt alle fromme Bildung zerstört hatte, die ihm früher in höherem Grade, in tieferem Sinne eignete als den Freunden: das ließ sie ja nur erkennen, daß er ein Frevler war, der er nicht von gestern auf heute hatte werden können, der er also immer gewesen sein mußte:
Ja, du entziehst der Gottesfurcht den Grund
Und schwächst die Glaubensinbrunst zum Gebete;
Die Schuld verrät ja nun dein eig'ner Mund,
Du wählst der Abgefeimten freche Rede.
Darin also täuscht sich Hiob, daß es ihm etwas helfen könnte, wenn ihn die Freunde ansehen wollten, statt über seinen Charakter zu spekulieren. Zugleich übersieht er etwas anderes: welch großen Dienst ihm die Freunde geleistet haben. Indem sie ihn gewissermaßen moralisch entmündigen wollten, haben sie ihn gerade mündig gemacht. Einst war er ihnen »Autorität« gewesen, und vielleicht hatte er einst seine Autorität auch mit dem üblichen Preise bezahlt: nichts zu sagen und zu tun, das erst durch seine Autorität Gewicht hätte bekommen müssen; nichts so zu sagen und zu tun, daß es durch seine Autorität erst hätte gerechtfertigt werden müssen. Jetzt hat er seine Autorität verloren; jetzt bekommt er deutlich genug zu fühlen, daß er keine Respektsperson mehr ist – und jetzt wird er Autorität, für sich. Er hat niemals zuvor mit seinen Freunden so geredet, wie er jetzt mit ihnen reden muß, so offen, so scharf, so rücksichtslos. Beglückwünschen wir ihn dazu! Hiob war in der Tat eine zu ursprüngliche, zu schwere Persönlichkeit, als daß er nur in dem Kreise ehrwürdiger, gesellschaftlich abgewogener Persönlichkeiten seine Meinung von bekanntem, geschätztem Gewicht auch mit in die Wagschale werfen sollte. Jetzt wurde er genötigt, allein in die eine Wagschale zu treten, und er trieb die ganze gewichtige Gesellschaft in der andern an die Decke empor!
Denn Hiob entdeckt und zeigt drittens, daß die religiöse Deutung des Menschenloses, mit der Eliphas ihm zurechthelfen will, ein barer Unsinn ist und das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen völlig verkennt. Freilich kommt er zu dieser theologischen Erkenntnis nicht durch unbefangene Widerlegung aller Gründe, die für und wider des Eliphas Glauben sprechen; nicht bloß die Qual des körperlichen Schmerzes verwehrt ihm eine solche, sondern noch mehr, daß er die dargebotene Erklärung, Tröstung und Zurechtweisung als persönliche Kränkung empfindet. Aber gegenüber einer Erklärung des Leidens gibt doch gerade der Schmerz des Leidens die richtige sachliche Stimmung; die Wahrheit eines Trostes, einer Zurechtweisung kann doch bloß dadurch erprobt und objektiv festgestellt werden, daß sie auch brauchen kann, der sie braucht. Achten wir darum Hiobs leidenschaftliche Erwägungen ja nicht gering, und lassen wir sie, ehe wir den Ertrag buchen, gerade in ihrer wilden, zügellosen Leidenschaftlichkeit auf uns wirken!
Drum will ich meinem Mund
Nicht länger wehren, will nun reden,
Luft machen dem gepreßten Geist,
Will klagen, wie in herben Nöten
Mich meine Seele klagen heißt.
Bin ich ein ungestümes Meer,
Bin ich ein flutentstieg'ner Drache,
Daß du der Leiden furchtbar Heer
Rings um mich stellst wie eine Wache?
Denk' ich, mein Lager soll mein Tröster sein,
Mein Bett mir helfen meinen Jammer tragen,
So jagst du mir durch Träume Schrecken ein
Und machst aus Nachtgesichten mich verzagen,
Daß mir Ersticken lieber wär',
Lieber der Tod als das Gerippe hier!
Ich mag nicht mehr!
Ich will nicht ewig leben! Laß von mir!
Sind meine Tage doch ja nur ein Hauch!
Was ist der Sterbliche denn auch,
Daß du so hoch ihn stellst, auf ihn dein Sinnen richtest,
Ihn heimsuchst Tag für Tag, ihn unaufhörlich sichtest?
Wann wirst du wegschau'n doch und frei vom Drucke
Mich lassen, nur bis ich den Speichel schlucke!
Hab' ich gefehlt, was konnt' ich
dir denn tun?
Warum, o Menschenhüter, stellst du nun
Mich als das Ziel für deine Stöße hin,
Daß ich mir selbst zur Last geworden bin?
Warum nimmst du nicht lieber mein Verseh'n
Hinweg und läßt die Schuld vorübergeh'n?
Denn jetzt leg' ich mich in den Staub hinein,
Und suchst du mich, so werd' ich nimmer sein!
Eliphas versteht das Leiden als eine Art Notwehr Gottes gegen frevelhafte Empörung der Menschen. Darum glaubt er aus verhängtem Leiden auf begangenen Frevel schließen zu können; darum empfiehlt er als Rettung vor dem Leiden die reuige Zurücknahme des Frevels, die demütige Unterwerfung unter Gott. Damit kann der Mensch es gar nicht eilig genug haben. Erst die Erkenntnis einer wirklichen, bestimmten Verschuldung abzuwarten, ist ein gefährlicher, aber auch ganz unnötiger Verzug: in irgend welchem Sinn schuldig ist der Mensch vor Gott ja doch immer. So konnte ja auch der frühere Hiob die nur mögliche Versündigung seiner Kinder gegen Gott nicht schnell genug durch ein Opfer sühnen. Nun Hiob sich selbst so behandeln sollte, fällt ihm doch auf, daß er eine Schuld, die zu sühnen wäre, ja gar nicht auf sich geladen hat. Untadelhaft war er freilich nicht, so wenig wie irgend ein Mensch. Aber er war stets ohne Falsch gegen Gott. Jedenfalls hat er nichts getan, das eine so grausame Behandlung durch Gott rechtfertigte; auch ist sein Sinn gegen Gott gar nicht so gestellt, daß er etwa durch solche Vergewaltigung erst zur Unterwerfung unter Gott gezwungen werden müßte. Es ist also Unsinn, daß er dies sein Leiden als Strafe auffassen sollte; es ist desgleichen Unsinn, daß er darin eine Mahnung zur Buße sehen sollte. Solcher Züchtigung bedarf er in keinem Sinn. Hiob entdeckt aber noch mehr, noch Wichtigeres: auch wenn er sich gegen Gott empört hätte, sich gegen Gott empören wollte, wäre diese Behandlung, diese Mißhandlung durch Gott sinnlos. Was könnte denn er, auch wenn er wollte, gegen Gott tun? Er ist ja selbst nur ein Geschöpf Gottes, bleibt als solches dauernd unbedingt in Gottes Hand. Wenn er Gott unbequem würde, so dürfte ihm Gott ja nur mit einem Hauche das Lebenslicht ausblasen! Gott brauchte es gar nicht darauf ankommen zu lassen, daß er ihn bestrafen müßte, er könnte ja jedem Frevel Hiobs zuvorkommen: wozu dann diese raffinierte Quälerei? Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist also gar nicht der Art, daß die Begriffe Recht und Unrecht, Schuld und Strafe, Empörung und Unterwerfung darin einen Sinn hätten! Hat es etwa einen Sinn, daß der Mensch sich durch den Wurm »beleidigt« findet, den Wurm für seine »Beleidigung« straft? Und das Mißverhältnis zwischen Gott und dem Menschen ist noch schreiender als das zwischen dem Menschen und dem Wurm … Hiob hat Recht. An einem unbedingt übergeordneten Wesen kann sich ein unbedingt untergeordnetes Wesen nicht verschulden. Seine »Kreatur« kann der Mächtige höchstens verachten, nicht strafen; und auch die Verachtung hat keinen Sinn, wenn die »Kreatur« (mit oder ohne Wissen) niemals etwas anderes ist und wird, als eine »Kreatur« des unbedingt Übermächtigen. Nur Eins übersieht Hiob: daß er aussätzig hatte werden müssen, um das zu verstehen, um den »heiligen« Glauben seiner Freunde, der ja sein eigener früherer »heiliger« Glaube war, als Unsinn zu erkennen! Es ist ihm das nicht zu verdenken; der unmittelbare Druck des Leidens lastet noch zu schwer auf ihm. Darum schreit er seine Gedanken mit solcher Kraft aus sich hinaus, daß er sich selbst gewissermaßen nicht hört, daß er nicht selbst feststellen kann, zu welcher Entdeckung ihm sein Leid verholfen hat.
Daß Hiob seine neugewonnene Erkenntnis mit dieser an Besinnungslosigkeit grenzenden Leidenschaft hinausschreit, hat freilich noch einen anderen, tieferen Grund: er kann nicht glauben, daß sein Verhältnis zu Gott, das mit seinem Verhältnis zum Leben, zu sich selbst letztlich zusammenfällt, ein bloßes Mißverhältnis sei.
Hiob schaut, daß er Gott gegenüber ein Nichts ist, daß es darum einfacher Unsinn ist, in seinem Leiden eine Rückwirkung Gottes auf sein Verhalten zu sehen. Gott ist Schöpfer, ist Machthaber, ist Herr mit solcher Unbedingtheit, daß er nie darauf angewiesen ist, sich nach dem Geschöpf zu richten, indem er sein Tun zur bloßen Konsequenz von dessen Tun machte. Es ist Selbstüberhebung des Geschöpfs, wenn es Gott mit oder ohne Absicht in diese Rolle gedrängt zu haben glaubt. Daß sich diese Selbstüberhebung in den Gedanken vermummt, durch Verfehlung gegen Gott dessen Rache erzwungen zu haben, nimmt ihr keineswegs den Charakter des Größenwahns.
Ist damit alles gesagt, was über Gott und Mensch zu sagen ist, so kann Hiob nur wiederholen: »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen«; »wir haben Gutes empfangen von Gott; wir empfangen jetzt Böses von Gott«. Das Lob Gottes läßt er dann, als sinnlos, natürlich weg; er ersetzt es aber natürlich auch nicht durch eine Klage über Gott, denn die ist ebenso sinnlos. Und da es nicht minder sinnlos ist, nur immer wieder objektiv zu konstatieren: »der Herr hat gegeben«; »der Herr hat genommen«; »jetzt hat er wieder gegeben«; »jetzt nimmt er wieder« u. s. f. u. s. f. – so wird Hiob schließlich schweigen, schweigend dahinbrüten, in eisigem Schweigen versteinern …
Aber Hiob schweigt nicht; er leidet ja so furchtbar! Und das ist ja so ein fürchterlicher Unsinn – gerade weil er gegen Gott nichts ist! Gerade weil Gott ihm gegenüber nie zur Partei werden kann, mit der er einen Rechtshandel hätte; gerade weil er Gott auf Gnade und Ungnade ausgeliefert ist – oder noch unbedingter, so daß nicht einmal die Worte »Gnade« und »Ungnade« einen Sinn haben; gerade weil er bloß durch Gott ist, also gegen Gott überhaupt nicht sein kann: muß er Gott fragen, ob denn das Sinn habe, daß der Schöpfer sein Geschöpf so mißhandle. Auf dem Boden seiner Nichtigkeit gegen Gott pflanzt sich Hiob auf, um Gott herauszufordern, daß er ihm Rechenschaft ablege von der Art, wie er ihn behandle.
Ja, meiner Seele ekelt vor dem Leben,
Drum sei der Klage freier Lauf gegeben!
Ich red' in meiner Seele Pein:
Verdamm mich nicht; o halte ein,
Sag ich zu Gott. Tu mir erst kund:
Aus welchem Grund
Erhebst du Fehde wider mich?
Ists etwa eine Lust für dich,
Das Werk, das deine Hände machten,
So zu zertreten, zu verachten?
– – – – – – – – – – –
Mich haben doch gestaltet deine Hände
Und um und um vollendet meisterlich;
Und die Vernichtung wär' das Ende?
Gedenke, daß wie Ton du mich
Geformt hast – und das Ende wäre,
Daß ich zum Staube wiederkehre?
»Darf das Gebilde den Bildner fragen: warum hast du mich gerade so gemacht?« – Ja! Das empfindende Gebilde, für das es eigene, ernste Lebensfrage ist, wie es gemacht, behandelt, ob und wie es in dem Leben, das es leben wollen muß, erhalten wird, – es muß so fragen, in seiner Schmerzempfindung schreit es diese Frage einfach hinaus; und
»Wer vor dem ew'gen Tode steht,
Darf tun, was er nicht lassen kann«.
Sagen wir es, aller Schweifwedelei gegen Gott zum Trotz, keck heraus: sicherer als das Recht des Schöpfers an das Geschöpf, das ja nicht leben wollte, das zum Leben einfach bestimmt wurde, steht das Recht des Geschöpfs an den Schöpfer, der es in freier Willkür leben hieß. Nicht Er kann die Fürsorge für sein Geschöpf an Bedingungen knüpfen, die dieses erst zu erfüllen hätte; sondern daß er für sein Geschöpf sorgt, so sorgt, daß ihm das aufgedrungene Leben auch zur Freude werden kann, das ist die Vorbedingung dafür, daß er an sein Geschöpf irgend welche Forderungen stelle. Daß das Leben ein Gut ist, darf nicht an der Erfüllung der Pflicht hängen, sondern ist die Grundlage des Gefühls der Verpflichtung.
Also ist gerade das bloße Geschöpf nicht bloßes Geschöpf; gerade das bloße Geschöpf hat ein Recht, nach seiner Bestimmung zu fragen; gerade das bloße Geschöpf ist ein gefährlicher Feind des Schöpfers. Kann dieser sich an dem bloßen Geschöpf nicht rechtfertigen, so ist Er – verloren. Je unbedingter, unzerstörbarer er seinem Geschöpf den Charakter der Kreatur aufgeprägt hat, ein desto heiligeres Recht hat das Geschöpf an ihn, gegen ihn.
Damit sind wir auf das eigentliche Geheimnis des Menschen gestoßen. Hiob hat es in seinem rasenden Schmerz aufgewühlt – nicht, daß er es klar sehen würde, sondern daß er es klar erlebt und vorlebt: indem der Mensch sich seiner bloßen Kreatürlichkeit empfindlich bewußt wird, überschreitet er die Schranken bloß kreatürlichen Daseins; indem er über seiner absoluten Ohnmacht gegen Gott verzweifelt, entdeckt er gerade seinen ungeheuren Rechtsanspruch an Gott.
* * *
Also muß Gott Hiobs Leiden von sich aus, ohne Rücksicht auf dessen Verhalten, haben wollen können, wollen müssen; und es wäre festzustellen, in welchem guten Sinn Gott den Hiob quälen will. Um die Unabhängigkeit der göttlichen Absicht mit Hiob unzweideutig hervorzuheben, können wir die Frage auch so formulieren: aus welchem guten Gedanken heraus konnte Gott, indem er Hiob zu schaffen beschloß, zugleich beschließen, daß er ihn dieser Qual ausliefere?
Auf diese Frage werden wir durch Hiob hingedrängt. Aber Hiob selbst versteht sie nicht; die Freunde verstehen sie auch nicht, und nicht einmal der Dichter scheint sie scharf erfaßt zu haben. Wir dürfen darum von ihnen auch keine Antwort darauf erwarten und könnten also Hiob an diesem Punkte verlassen. Aber der aussichtslose Zank Hiobs mit den Freunden und die vergeblichen Versuche des Dichters, des vor ihm aufgerollten Problems Herr zu werden, können uns wenigstens in dem Verständnis des Problems noch weiter fördern. Und so führen wir die Analyse der Dichtung zu Ende.
Die Freunde bringen den Streit schon nach der ersten Erwiderung Hiobs in ihrem Sinn auf den Begriff:
Gott sollte je das Recht verdrehen?
Der Mächtige Unschuld je in Schuld verkehren?
Und so treten sie denn als Advokaten Gottes auf und versuchen den Nachweis, daß Gott immer »gerecht« ist, daß er namentlich auch Hiob nur »gerecht« behandle. Hiobs Unschuldsbeteuerungen nötigen sie, ihm bestimmte, schwere Sünden vorzuwerfen; auch reichte ja die allgemein menschliche Sündhaftigkeit zur Erklärung so ungeheuren Leidens doch nicht aus. Da sie aber von Hiob keine bestimmte Schlechtigkeit wissen, so dichten sie flugs drauf los, zur Rechtfertigung von Hiobs bitterer Bemerkung:
»Schmach übers Unglück!« Das sind die Gedanken
Des Sicheren.
In welch seltsamem Lichte sie selbst nun dastehen, die langjährigen Freunde des Schuftes, als den sich Hiob jetzt erweist –
Um nichts hast deine Brüder du gepfändet
Und Dürft'gen ausgezogen ihr Gewand,
Hast dem Erschöpften keinen Trank gespendet,
Dem Hungrigen sein Brot entwendet.
Dem Mann der Faust ja nur gehört das Land,
Der Mann von Anseh'n nur hat Sitz darin!
Du ließest Witwen mit betrübtem Sinn
Hinweggehn, und den Waisen sind geknickt
Die Arme, die sie flehend recken!
Ja, darum bist du rings verstrickt,
Und dich betäubt ein jäher Schrecken! –
daß man von diesem Elenden auf sie, seine langjährigen Freunde einen Rückschluß machen könnte, merken die Guten in ihrer frommen Begeisterung für die Ehre Gottes und die Erhaltung frommen Sinns natürlich nicht. Noch viel weniger, wie komisch sich ihr advokatischer Eifer für den Gott macht, dessen Souveränität sie nicht hoch genug preisen können. Schließlich wendet sich ihr Mitleid doch vielmehr dem armen, hilflosen Gott zu, der ja kein Mittel hat, seine Sache selbst zu führen, als dem leidenden Hiob, der freilich ihnen gegenüber sich als überlegene Macht erweist. Noch viel weniger werden sie dessen inne, daß ihr Streit mit Hiob eigentlich gegenstandslos ist. Denn der »Ungerechtigkeit« wird Gott von Hiob wirklich nicht beschuldigt, selbst wenn dieser sich zu dem Ausrufe versteigt:
Und darum sag' ich: Wer man sei,
Fromm oder Frevler,
er vernichtet eben.
Aber das versteht Hiob selbst nicht, daß er die Voraussetzung des Streits über die Gerechtigkeit Gottes, ehe er noch entstanden war, schon aufgehoben hatte.
Hiobs Leiden ist so schwer, daß es für ihn recht gleichgültig ist, ob er von Gott verhältnismäßig, im Vergleich mit andern, richtig behandelt wird. Die berühmte Frage nach dem Ausgleich von Tugend und Glück spielt überhaupt bloß bei solchen Menschen eine Rolle, die von dem rechten Unglück (vielleicht auch von der rechten Tugend) noch keine Ahnung haben. Wer mit Hiob in das menschliche Leid eingeweiht wurde, verwundert, entsetzt sich nur noch darüber, wie schwer das Menschenleben überhaupt ist. Also hat auch Hiob von sich aus gar keine Veranlassung mehr zu der Frage, ob er nicht schlechter behandelt werde, als er verdient; seine Klage ist, daß er härter behandelt werde, als er seinem Wesen nach ertragen kann. Müßte er sich als den ärgsten Bösewicht bekennen, so bliebe doch diese seine Klage bestehen. Darum brächte ihm auch ein strikter Beweis der Gerechtigkeit Gottes keinen Trost; wenn Gott den Menschen überhaupt zu hart behandelt (härter, als er es seinem Wesen nach ertragen kann), was hat es dann zu bedeuten, daß Gott den Frevel etwa noch besonders bestraft? dem Verdienste vielleicht auch einen Lohn gibt? Was Hiob bedarf, ist eine Erklärung des göttlichen Tuns, die seiner allgemeinen Härte einen freundlichen Sinn abzugewinnen vermag.
Aber durch die Freunde wird Hiob von dieser seiner Frage immer wieder abgelenkt. Für sie existiert nur das Problem der relativen Gerechtigkeit Gottes; ob Gott die Menschen, den Menschen, recht behandle, wagen sie gar nicht zu fragen. Darum spielt für sie die Verschiedenheit des Menschenloses (die für Hiob in der Allgemeinheit des Menschenelends untergegangen ist) noch die wichtigste Rolle; darum müssen sie den Erklärungsgrund für die Verschiedenheit des Menschenloses in der Verschiedenheit menschlichen Handelns suchen (Hiob sollte verstehen, wie Gott von sich aus die Menschen mit dieser allgemeinen Härte behandeln kann). So werden sie auf die Frage nach der relativen Schuld oder Unschuld Hiobs geführt, und Hiob hat noch genug menschliche Empfindlichkeit, sich diese Frage aufdrängen zu lassen. Um sie resolut ablehnen zu können, hätte er freilich wagen müssen, seine relative menschliche Unschuld einfach preiszugeben, sich mit dem Frevler zusammenzuschlagen und frech zu behaupten, daß solche Qualen, wie er sie erdulde, durch keinen menschenmöglichen Frevel mehr gerechtfertigt werden. Dazu ist er zu schwach, und seine Schwäche bringt ihn in eine fast tragikomische Lage. Soll Hiobs Unschuld etwas zu bedeuten haben, so stellt sich Gottes Handeln sofort als ungerecht dar. Hiob wird darum durch den Kampf um seine Unschuld zu den gotteslästerlichsten Reden getrieben. Dadurch gibt er aber den Freunden nur einen neuen Beweis für ihre Behauptung, daß er sein Elend durch geheimen Frevel verdient habe. Und gegen diese Beschuldigung muß er wieder Gott zum Zeugen anrufen: wer könnte ihn sonst von dem Verdacht geheimer Schuld befreien? So muß er also Gott die Unbefangenheit zutrauen, daß er ihm das Recht seiner gotteslästerlichen Reden erhärte, … wobei doch vor allem das hervortritt, daß die Rechtsfrage zwischen Gott und Mensch überhaupt keinen Sinn hat.
Der Streit Hiobs mit den Freunden kann zu keinem Resultat führen. Die Freunde schweigen endlich, da sie gegen Hiobs Leidenschaft doch nichts ausrichten. Hiob aber zieht sich, etwas ruhiger geworden, darauf zurück, daß dem Menschen eben die Weisheit versagt sei, die Einsicht in den geheimen Sinn göttlichen Handelns. Zuvor hat er oft genug den verzweifelten Gedanken gestreift, daß die Behandlung der Menschen durch Gott eines Sinns überhaupt entbehre. Jetzt hat sich sein Glaube wieder gekräftigt. Die Weisheit ist; – Hiob kennt sie nur nicht, der Mensch hat sie nur nicht.
Endlich tritt Gott selbst auf den Plan, von Hiob wiederholt aufgefordert, daß er ihm Rede stehe und das Rätsel erkläre. Man glaubt sich zu der Erwartung berechtigt, daß Gott von der Weisheit, nach der Hiob lechzt, ihm wenigstens einen Vorschmack gewähre. Aber davon ist nicht die Rede. Der Herr läßt sich nicht dazu herbei, eine Erklärung seines Handelns zu geben.
Hat Hiob bereits zugestanden, daß ihm leider die Weisheit fehle, so nimmt der Herr das jetzt wieder auf und tadelt ihn, daß er sich vermessen habe, von Dingen zu reden, die ihm zu hoch seien. Insofern führt er also Hiob nicht weiter.
Sodann bestätigt er Hiob, daß die Weisheit ist, – ohne doch einen Weisheitsgedanken zu verraten. Ja, wenn wir genauer zusehen, bemerken wir, daß von dem Herrn geflissentlich beiseite geschoben wird, was Hiob das Leben zu einem Problem macht. Hiob findet, daß der Weltlauf auf den Menschen als empfindendes Wesen nicht die Rücksicht nehme, deren der Mensch bedürfe. Der Herr zeigt in einer Reihe hoch einherschreitender Naturschilderungen, daß der Weltlauf eine Intelligenz in sich berge, die der Mensch nur von ferne ahnen und bewundern könne. Aber auf den Menschen geht er gar nicht ein; und es wird auch die Natur von ihm bloß als Schauspiel behandelt. Daß auch in der Natur Ernst liegt, aufgenötigte Lust zum Leben, die mit aufgenötigter Lebenseinschränkung kämpft, aufgenötigte Angst vor dem Tode, die einem doch immer unnatürlichen, gewaltsamen Tode nicht entrinnt: das findet der Herr nicht der Beachtung wert. Fast möchte ich sagen: sehr bequem! Daß die Welt ein großartiges Schauspiel ist, wird niemand bezweifeln; und wenn unser Leiden und Kämpfen für uns (Menschen und Tiere) nur als schauspielerische Leistung in Betracht käme, so könnte das Ganze des Lebens als höchst ergötzliche Komödie gelten. Aber der große Herr, der sich diese Komödie leisten kann, hat sich die Natürlichkeit des Spiels durch den fatalen Kunstgriff gewährleistet, daß er seine Komödianten im Ernst kämpfen, im Ernst leiden läßt – in einem aufgedrungenen Ernst, der auch dem Gedanken niemals völlig weicht, daß das Ganze des Lebens wirklich ein höchst interessantes Schauspiel ist. Darin liegt das Problem des Lebens, auf das Hiob gestoßen ist, das aber der Herr einfach ignoriert. Für ihn existiert es ja auch nicht.
Der Gott, den der Dichter auftreten lassen kann, führt uns also in dem Verständnis des Lebens nicht weiter: er schiebt ja gerade das Lebensproblem beiseite. Die Gedanken über das Menschenlos, die in der Geschichte Hiobs zwischen den beteiligten Personen ausgesprochen werden, enthalten eine Lösung des Lebensrätsels nicht.
Aber auch was der Dichter über seinen Helden gedacht hat löst uns das Rätsel seines Geschicks nicht.
In Wahrheit verhält es sich ja, wie der Dichter zu wissen glaubt, so, daß der Herr Hiob die Gelegenheit gewähren muß, die Uneigennützigkeit seiner Gottesfurcht gegen die Verdächtigungen Satans zu bewähren. Macht uns dieser Gedanke Hiobs Schicksal wirklich verständlich? Konnte der Dichter seinen Hiob von diesem Gedanken aus wirklich verstehen?
Hat denn Hiob Gottes Vertrauen in seine Frömmigkeit gerechtfertigt? Einfach bejahen läßt sich diese Frage nicht! Hat Hiob die Verdächtigungen Satans durch sein Verhalten bestätigt? Auch das läßt sich nicht sagen. Hiob wurde durch sein Unglück so weit getrieben, daß er von Gott eine Erklärung verlangte, – und damit schreitet er aus dem unbefangen kindlichen Vertrauen zu Gott hinaus. Hiob hält aber an dem Gedanken fest, daß sich Gottes Tun müsse erklären lassen, – und insofern hält er das Vertrauen auf Gott fest. Hiob behauptet also nicht sowohl sein bisheriges Verhältnis zu Gott, sondern strebt auf ein neues hin, das weder in der Einleitung zu Hiobs Geschichte vorausgesehen, noch in deren Abschluß berücksichtigt ist. Dieser kann gar nicht anders aufgefaßt werden, denn als bloße Wiederherstellung des früheren Zustandes: Hiob ist wieder glücklich, ist wieder fromm, wie wenn nichts geschehen wäre.
Und doch ist etwas geschehen, was Hiobs ganzes Verhältnis zu Gott verändern müßte, wenn er es erführe; – der Dichter läßt es ihn aber nicht erfahren. Hiob wurde nämlich von dem Herrn – einem bis zur unbedingten Willkür souveränen Herrn – der mutwilligen Verdächtigung des Satans geopfert, wurde gefoltert und gefährdet für nichts. Der Herr kannte ja Hiob schon zuvor; der Satan wird durch den Ausfall der Prüfung seines Unrechts nicht sicher überführt; auch Hiob gewinnt durch die Probe eigentlich nichts. Ob Hiob darin, daß Gott so mit den Menschen umzugehen beliebt, wohl die beruhigende, beseligende Erklärung des Menschenloses gesehen hätte, nach der er verlangt? Ob er darin nicht vielmehr eine Bestätigung seiner schlimmsten Zweifel gesehen hätte: daß Gott kein Herz für den Menschen hat, seine Kreatur, die ihm stets wehrlos überliefert bleibt!?
Die Antwort scheint mir nicht zweifelhaft zu sein. Denn zum Wichtigsten, was Hiob in seinem Leiden entdeckt, gehört gerade das: daß die Wette zwischen dem Herrn und dem Satan, der er zum Opfer fällt, völlig sinnlos ist. Es soll die Uneigennützigkeit von Hiobs Gottesfurcht erprobt werden. Aber die absolute Übermacht Gottes, die absolute Abhängigkeit Hiobs, die dieser in seinen Qualen erfährt, schließt gleichermaßen jede Eigennützigkeit und jede Uneigennützigkeit in dem Verhältnis des Menschen zu Gott aus. Daß der Mensch das Dasein hat, daß es ihm zur Lust oder Qual wird, liegt jeden Augenblick unbedingt in der Hand Gottes. Und Gott verliert nichts, wenn er den Menschen quält, schwächt, vernichtet; denn der Mensch hat Gott schlechterdings nichts zu geben, zu leisten. Also fehlt für jeden Eigennutz des Menschen im Verhältnis zu Gott die Unterlage: daß der Mensch für Gott etwas sein könnte. Ließe sichs der Mensch einfallen, seinen Eigennutz gegen Gott zur Geltung zu bringen, so wäre das ein bloßer hohler Wahn; das Kind im Mutterleib kann eher noch »eigennützig« gegen die Mutter sein, als der Mensch gegen Gott. Ein ebenso hohler Wahn ist aber auch die große Idee, die dem Menschen kommen könnte, daß er Gott »uneigennützig« verehren wolle. Das Kind im Mutterleib kann eher noch »uneigennützig« gegen die Mutter sein als der Mensch gegen Gott.
So wenig ein »Rechtsverhältnis« zwischen Gott und dem Menschen einen Sinn hat, so wenig ein »moralisches« Verhältnis. Daß Hiob in seiner Frömmigkeit »moralisch« sein solle, ist eine teuflische Erfindung, auf die sich Gott wirklich nicht einlassen sollte. Er muß ja wissen, wie sich die Sache verhält: daß realistisch kluger Eigennutz und idealistisch großherzige Uneigennützigkeit ihm gegenüber gleich lächerlich sind.
Der Dichter hat also das Problem, das er sich und uns in dem Schicksal Hiobs gestellt hat, nicht bewältigt. Daß Hiob wieder in den vollen, ja verdoppelten Genuß seines Glücks eingeführt wird, gönnen wir ihm ja von Herzen; doch wissen wir aus vielfältiger Erfahrung, daß wir auf eine solche Lösung des Leidensrätsels im allgemeinen nicht hoffen dürfen. Zudem ist Hiobs Qual damit nicht gerechtfertigt, daß sie einmal wieder vergeht. Der Abschluß von Hiobs Geschichte gibt also keine Erklärung seines Schicksals.
Um so höher müssen wir dem Dichter anrechnen, daß er seinem Helden wenigstens gestattet, das Problem des Lebens in aller Schärfe zu entwickeln; daß er sich die Sympathie für seinen Helden durch dessen bedenkliche Extravaganzen nicht beeinträchtigen läßt. Hiob wird zwar von dem Herrn darüber zurechtgewiesen, daß er in Dinge zu reden wagte, die er nicht verstand. Aber es wird ihm zugleich bezeugt, daß er »ohne Falsch« von Gott geredet habe. Es macht also den Herrn – und den Dichter – nicht irre, daß er »der Abgefeimten freche Rede« gewählt hatte. Andrerseits läßt sich der Herr – und der Dichter – durch den frommen Eifer der Freunde für die Gerechtigkeit Gottes nicht bestechen: diese werden sogar auf Hiob verwiesen, daß er für sie bitte, damit Gott nicht mit ihnen »nach ihrer Torheit« handle. Sie haben kein Glück, diese Freunde, und sind doch so brave Leute! Hiob nimmt ihren Trost als Beleidigung auf und vergilt ihn mit den heftigsten Vorwürfen. Und der Herr dankt ihnen ihren freiwilligen Advokateneifer auch nicht (wie beleidigend ist es auch für ihn, daß jemand glaubt, sein Advokat werden zu müssen! wenn er anders in seiner Erhabenheit überhaupt zu beleidigen wäre!) und läßt ihre »Torheit« durch den Frechen begleichen, gegen den sie Gottes Ehre hatten verteidigen müssen! Freilich, so ganz »ohne Falsch« waren sie auch nicht: unter dem Schein, für Gott zu kämpfen, hatten sie vielmehr ihre Sache vertreten, die Sache der behaglich Frommen und fromm Behaglichen! Dank dem Dichter für die Großtat, daß er in den Freunden die »breite Masse« der Gläubigen, die Stützen kirchlicher Frömmigkeit, die Koryphäen der Seelsorge zu entlarven wagte! Sie kann ihm nicht hoch genug angerechnet werden!
Den tiefsten Gedanken seiner Dichtung aber, der die beste Erklärung von Hiobs Geschick enthält (freilich in ganz unbestimmter Allgemeinheit), hat der Dichter fast nur im Vorbeigehen ausgesprochen, vielleicht ohne seine Tragweite zu ahnen, weshalb wir ihn auch nur noch nachtragen können. »Von Hörensagen hatte ich von dir gehört,« ist Hiobs letztes Wort, »nun aber hat mein Auge dich geseh'n; darum widerrufe ich und tue Buße im Staub und in der Asche.« Der Ertrag dessen, daß er Gott mit eigenen Augen geschaut, scheint mir nur zur Hälfte angegeben: sollte seine Brust durch den Anblick Gottes nicht auch in Freude und Stolz geschwellt worden sein? Schade ist es auch, daß er uns mit keinem Worte verrät, was er denn gesehen hat. Aber durch sein Leiden wurde Hiob von dem Gotte der Tradition zu dem wirklichen Gott geführt, zu seinem tiefsten Entsetzen und zu seiner höchsten Beseligung: darin liegt die Erklärung seines Geschicks, – wenn es eine Erklärung überhaupt hat.